special edition st.Galler festspiele 2015
Juni/Juli 2015
thema La Venezia dei Foscari «Oper muss sich trauen!» «Themen können schmerzen»
artists Rifail Ajdarpasic Leonardo Capalbo Claudio Cavina Maurice Steger Ensemble Thélème Ariane Isabell Unfried
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inserate
Oper
Klosterhof I due Foscari, Giuseppe Verdi
10. St. Galler Festspiele 19. Juni bis 3. Juli 2015
Tanz
Kathedrale Schweigerose, Jonathan Lunn
www.stgaller-festspiele.ch Tickets +41 71 242 06 06
Konzert Forum f端r Alte Musik
editorial
Liebe Leserin, lieber Leser nein, st.Gallen hat keinen see mit einer spektakulären landschaftskulisse, die stadt kann auch mit keiner römischen ruine aufwarten, worin oper gespielt oder musiziert werden könnte. Hingegen besitzt st. Gallen im historischen stadtkern einen Klosterbezirk mit einer Kathedrale und einer stiftsbibliothek, die von grandioser kultureller Blüte zeugen. sich auf diese tradition und ihre geistige ausstrahlung zu besinnen und zu beziehen, war bestimmt eine kluge entscheidung, als vor rund zehn Jahren die idee aufkam auch in der Gallusstadt festspiele zu veranstalten. unverwechselbar wollte man sein, und auch so auftreten. denn niemand wartete auf die nächste beliebige freiluft-«aida» oder auf sentimental-kitschige «Bohème»schneeflocken im sommer. und so nahm ein Konzept Konturen an, das einen eigenständigen Weg ohne die üblichen repertoire-renner vorgab, aber mit einer klug den ort und seine Historie einbeziehenden dramaturgie. das spannungsfeld zwischen kirchlicher und weltlicher Macht bietet dabei vielschichtige spiel- und reflexionsräume. dass zeitgenössischer tanz in ein spannungsvolles Verhältnis mit dem barocken sakralraum der Kathedrale gebracht wird, schärft dieses profil. auf dem Klosterplatz tragen selten gespielte, aber musikalisch zündende Werke in spannungsvollen inszenierungen ohne Historienstaub – diesen sommer Verdis frühes dogenfamiliendrama «i due foscari» – mit dazu bei, dass st. Gallen im internationalen festivalkalender auch künstlerisch sehr wohl wahrgenommen wird. erstmals wird 2015 der prunkvolle Barocksaal der stiftsbibliothek als spielort für ein Konzert alter Musik einbezogen. eine wunderbare Bereicherung und sinnlich erlebbare Vertiefung einer festspielidee, die heuer mit der zehnten auflage ein erstes Jubiläum feiern darf. darauf freue ich mich und wünsche auch ihnen starke festspielerlebnisse an einem starken ort. Herzlich, ihr
andrea Meuli
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inhalt
Leonardo Capalbo liess in den letzten Jahren an mancher renommierten Bühne diesseits und jenseits des Atlantiks aufhorchen. Der italo-amerikanische Tenor gibt sein Rollendebüt als Dogensohn.
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editorial . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3 impressum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 34
Venedig auf den Spuren des Dogen Francesco Foscari: Eine fotografische Spurensuche in der Lagunenstadt.
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thema «oper muss sich trauen!» . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6 la Venezia dei foscari . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14 «Kein harmloser schmusekurs» . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18
artists leonardo capalbo und sein debüt als Jacopo foscari . . . . . . . . . . . . . . . . 10 enigmatische lust – das ensemble thélème . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22 claudio cavina: festa a san Marco . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 26 Als geschäftsführender Direktor der Genossenschaft Konzert und Theater St.Gallen, ist Werner Signer auch mitverantwortlich für die Festspiele. Ein Gespräch über St.Galler Mentalität und künstlerische Offenheit.
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Claudio Cavina und das Ensemble «La Venexiana» bringen Pracht und Klanglichkeit der «Cori spezzati» von San Marco in die St.Galler Laurenzenkirche.
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Maurice steger und das frühbarocke Venedig. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 30
service das programm der festspiele. der Vorverkauf . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 32
Das Basler Ensemble Thélème singt in der Tanzproduktion «Schweigerose» des englischen Choreografen Jonathan Lunn. Auf dem vokalen Hochseil – ohne Netz.
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titelfoto: priska Ketterer
In der Opernszene gelten sie als starkes Duo: Der Bühnenbildner Rifail Ajdarpasic und die Kostümdesignerin Ariane Isabell Unfried kehren für Verdis «I due Foscari» nach St.Gallen zurück.
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Der Blockflötist Maurice Steger und sein Ensemble erwecken die Instrumentalmusik aus dem frühbarocken Vanedig zu prallem Leben. Ein Gespräch.
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thema Das Ausstatter-Paar Rifail Ajdarpasic und Ariane Isabell Unfried im Porträt
«Oper muss sich trauen!» In der Opernszene gelten sie längst als starkes Duo. Mit Carlos Wagner oder Calixto Bieito haben Rifail Ajdarpasic und Ariane Isabell Unfried bleibende Inszenierungen realisiert. Auch in St. Gallen waren sie bereits zu Gast. Jetzt kommen der Bühnenbildner und die Kostümdesignerin, die in Hamburg zusammenleben, erneut in die Stadt, um «I due Foscari» von Giuseppe Verdi zu inszenieren – mit dem Regisseur Carlos Wagner. Marco Frei (Text) & Priska Ketterer (Bilder) Es kann durchaus gewagt erscheinen, den Klosterhof in St. Gallen zu fluten. Abwegig ist es aber nicht, und zwar nicht nur weil die Oper «I due Foscari» von Giuseppe Verdi in Venedig spielt. Die spezifische Atmosphäre der Lagunenstadt war es, die Verdi seinerzeit schöpferisch wesentlich zu diesem Werk anregte – was man übrigens klanglich und dramaturgisch nachvollziehen kann. Eine ungewöhnliche Verdi-Oper ist dieses Werk. Atmosphärisch erinnert manches an den grandiosen Thriller «Wenn die Gondeln Trauer tragen» von Nicolas Roeg aus dem Jahr 1973, mit Donald Sutherland und Julie Christie. Jedenfalls meint man bisweilen, in der Musik Verdis dunkle Kanäle und fast schon geheimnisvoll-fatalistisch schwärende Mächte zu hören.
Der Mensch im Fokus
Schon deswegen ist es sinnvoll, in einer Inszenierung dieser eher selten gespielten Oper, mit Wasser zu arbeiten. «Carlos Wagner und uns war ziemlich schnell klar, dass wir Wasser benötigen», sagt Rifail Ajdarpasic. «Natürlich ‚fluten‘ wir den Platz nicht, aber das Wasser wird generell ein wichtiger Bestandteil der Inszenierung sein.» Inwieweit? «Der ganze Chor, das Volk also, wird im Wasser beheimatet sein», ergänzt Ariane Isabell Unfried. «Das Volk wird in diesem Wasser leben und sich dort bewegen, dieses Element ist sein Zuhause.» Ajdarpasic zeichnet für die Bühne dieser Produktion verantwortlich, und Unfried kreiert die Kostüme. Auch privat ist das in Hamburg lebende Ausstatter-Duo ein Paar.
Mit Carlos Wagner haben sie in St. Gallen bereits «La damnation de Faust» von Hector Berlioz realisiert, zuletzt befragten sie Bizets «Carmen» hier. Und wer ihre Arbeiten kennt, weiss, dass sich beide stets für das Individuum und die Gesellschaft interessieren – der Mensch in seinen sozialen Kontexten, seiner Herkunft, seinem Sein und Wollen, zurückgeworfen auf sich selbst. Vielleicht verbergen sich darin auch biografische Spuren. Zwar ist Ajdarpasic in Stuttgart geboren und aufgewachsen, seine Eltern aber sind Anfang der 1970er-Jahre aus dem ehemaligen Jugoslawien nach Deutschland gekommen – aus Montenegro. Seine Grossmutter lebt noch dort, und auch ein Onkel. «Der Rest der Familie verteilt sich über Europa – neben Deutschland auch Frankreich und Luxemburg.» Der Krieg auf dem Balkan in den 1990er-Jahren war für Ajdarpasic ein tiefer Einschnitt. «Ich konnte nicht mehr Montenegro besuchen, um nicht eingezogen zu werden. Jahrelang konnte ich nicht hinfahren.» Ob die Frage nach Herkunft und Sein, Heimat und Fremde auch sein Schaffen prägt? «Darüber habe ich noch nie nachgedacht, aber es ist schon etwas dran – nicht im Sinn einer ‚Traumabewältigung‘, aber das Thema Identität ist präsent. Deutschland ist zwar meine kulturelle Heimat, aber ich fühle mich mehr als Europäer» – was auch für Unfried gilt. Eine waschechte Hamburgerin ist sie, zog aber mit 20 Jahren nach Madrid. «Wieder zwanzig Jahre später bin ich zwar zurückgekehrt, Hamburg regt
jedoch zur Bewegung an. Es ist eine wunderschöne Stadt, sie trägt aber das Meer in sich. Das Meer ist der Weg woandershin.» Heimweh und Fernweh, zwei nur scheinbar widersprüchliche Pole, tatsächlich bedingen sie sich gegenseitig. Während ihres Studiums in Karlsruhe haben sich Ariane Isabell Unfried und Rifail Ajdarpasic kennen und lieben gelernt, 1998, in der Studienklasse von Michael Simons. «Sein Berufsethos, die aufrichtige, edle Haltung – für uns ist er ein grosses Vorbild, sowohl menschlich als auch professionell.» Er habe ihnen nicht zuletzt den Mut vorgelebt, einfach mal etwas zu wagen und Theater zu machen – auch wenn es mal gründlich schief geht. «Er hatte immer ein Ohr für Sorgen zu Entwürfen, sagte dann aber: ‚Klingt gut, sehr schön, mach mal.‘ Das ist unser Beruf. Keine Scheu haben, auch nicht vor den Gedanken. Theater ist auch eine glorreiche Geschichte des Scheiterns. Und Scheitern muss erlaubt sein in der Kunst, weil es zutiefst menschlich ist. Runterplumpsen und wieder aufstehen. Siegertypen sind doch im Grunde langweilig, auch wenn alle Sieger sein wollen. Auch die Geschichte der Menschheit ist eine grossartige Historie des Scheiterns, die Errungenschaften sind die jeweiligen Ergebnisse des Scheiterns – bestenfalls.»
Flexibilität und Freiräume
Und wenn es sich eben anbietet durch das jeweilige Werk, das es zu befragen gilt, äussert man sich zu einer Geschichte – bezieht Stellung und Positi-
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Ariane Isabell Unfried: «Das Kostüm wird im Laufe des Stücks auch leiden. Die Auswahl der Stoffe wird das Innere der Person unterstützen.»
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thema on. Dafür stehen nicht zuletzt die Regisseure, mit denen das Duo arbeitet, allen voran Carlos Wagner und Calixto Bieito. Die Herangehensweisen und Ästhetiken mögen unterschiedlich sein, vielleicht ist Wagner poetischer und Bieito direkter, auch körperlicher; grundsätzlich aber reiben sich beide an den Menschen in der Gesellschaft. «Wir haben sie 2003 in Barcelona kennengelernt, beide sind befreundet.» Was ihre Regiearbeiten eint? «Beide versuchen nicht zuletzt, einen Zustand zwischen Raum, Bühne und Kostümen zu schaffen – einen emotionalen, psychologischen Zustand.» Für die Ausstattung bedeute dies, Freiräume für die Regie zuzulassen. «Flexibilität ist wichtig, sowie ein Grundvertrau-
Die Opernbühne ist einer der wenigen noch verbliebenen Orte, der uns die Möglichkeit gibt, über uns Menschen im Heute etwas zu sagen. Das hat mehr mit Mut und einer Grundhaltung als mit einer äusserlichen Ästhetik zu tun. In unseren Arbeiten versuchen wir immer, den Bezug zu einer Gegenwart herzustellen – wenn auch nicht im Sinn einer realistischen Abbildung.»
Zweiklassengesellschaft
In «I due Foscari» äussert sich dieser Gegenwartsbezug in einer Art widergespiegelten Zweiklassengesellschaft. «Oben leben die Dogen, die ‚feine Gesellschaft‘, die sich auch untereinander nicht immer einig ist», erklärt Unfried. «Sie waten nicht im Wasser
«Oper muss zum Denken anregen, Gefühle erlauben, Emotionen auslösen.» en in eine Atmosphäre, eine Richtung – dass man nicht alles in Zement giesst, damit eine Reaktion ermöglicht wird. Das Suchen und das Finden sind bis zur Premiere ein Prozess. Diese Freiheit muss man dem Regisseur und sich selbst zugestehen.» Für Unfried und Ajdarpasic bedeutet diese Flexibilität auch, dass sie keinen ästhetischen Stil verfolgen, sondern die Ausstattung stilistisch jeweils neu und frei entwickeln – abhängig von der zu erzählenden Geschichte und dem Arbeitsprozess mit der Regie. «Wir möchten für jedes konkrete Stück eine spezielle Welt kreieren.» Was aber alle Arbeiten eint, ist das innere, dramaturgische Profil, das stets befragt wird – in Bühne und Kostümen. Die blosse, dekorative Bebilderung ist für Unfried und Ajdarpasic der «Tod der Opernbühne». Was die Opernbühne umgekehrt können muss? «Sie muss zum Denken anregen, Gefühle erlauben, Emotionen auslösen.» Ob die Opernbühne abstrakt oder realistisch ist, das sei zweitrangig – «weil dies eine rein äusserliche, ästhetische Diskussion ist. Die Oper muss sich trauen. Das bedeutet auch, dass sie etwas mit dem Heute zu tun haben muss.
– und wenn, dann dürfen sie mit den Gondeln fahren oder die umliegenden Stege benutzen. Im Wasser watet das einfache Volk. Diese gesellschaftlichen Gegensätze gelten auch heute. Denn es ist ein System, das aus den Fugen geraten ist – nicht unbedingt dem Untergang geweiht, wohl aber degeneriert.» «In ‚I due Foscari‘ wird der Chor Wat-hosen aus Gummi anhaben, wie sie Fischer tragen», verrät Unfried – nicht nur weil der Chor im Wasser steht. «Natürlich kann ein Chor nicht im kalten Wasser stehen, aber die Wathosen werden so angepasst, dass sie unsere Geschichte erzählen. Die Dogen werden edles Italien sein, den Kostümen wird man viel Seide und viel Geld ansehen – die Gesellschaft, die sie repräsentieren.» «Es werde sich eben zeigen, dass sich der Mensch an sich nicht viel geändert habe. Wir alle sind nicht gleich, sondern es gibt Unterschiede», betont Ajdarpasic. «Macht ist in dieser Oper eine ganz grosse Geschichte. Der mächtigste Mann Venedigs hat nicht die Macht, seinen eigenen Sohn vor dem Unglück zu bewahren.» Deswegen kommen in den Kostümen stets Elemente der Brechung hinzu, beim Sohn wie auch in der ganzen
Familie. «Ich gebe da etwas Hoffnungsvolles hinzu», sagt Unfried, «aber das Kostüm wird im Laufe des Stücks auch leiden. Die Auswahl der Stoffe wird das Innere der Person unterstützen.» Und welche Konsequenz hat das Machtspiel in Verdis Oper für uns heute? «In unserer Zeit offenbart die Bankenkrise, dass ein System aus Menschen kollektiv Opfer machen kann – alle zusammen, über Schichten hinweg», erwidert Ajdarpasic. «Es gibt kein Schwarz und Weiss, sondern es ist komplexer.» Denn im Grunde hat sich der Mensch nicht geändert. «Es ist eine grosse Illusion, wenn es heisst, der Mensch sei fortschrittlicher geworden. Das ist er nicht, er war schon immer so, wie er ist. Das macht solche Opernwerke so interessant, deswegen verlieren sie nie an Gültigkeit – weil sie zutiefst menschliche Eigenschaften und tragische Momente stets aufs Neue aufzeigen. Was erzählt wird, ist dem Menschen heute vertraut wie gestern und morgen. Das ist eine beruhigende Erkenntnis.» Allerdings muss man diese Erkenntnis eben auch zulassen.
Mut zur Kunst
Deswegen misstrauen Unfried und Ajdarpasic der Diskussion um realistische oder abstrakte Opernbühnen – auch aus kulturpolitischen Gründen. «Überall gibt es gefährliche Sparzwänge. Wie viel Kultur darf und kann noch bleiben? Das ist sehr gefährlich für diese Kunstform, weil sie nur überleben kann, wenn sie mutig ist. Und mutig sein darf. Der Mut, anders zu sein braucht die Freiheit, anders sein zu dürfen – auch Dinge zu benennen, die man in anderen Zusammenhängen nicht straffrei benennen könnte. Das erst ist die Existenzberechtigung dieser Kunst.» ■
Rifail Ajdarpasic: «Der Mut, anders zu sein, braucht die Freiheit, anders sein zu dürfen.»
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Leonardo Capalbo geht Verdis «I due Foscari» als Belcanto-Sänger an
«Ich bin doch kein Spinto!» Leonardo Capalbo liess in den letzten Jahren an mancher renommierten Bühne diesseits und jenseits des Atlantiks aufhorchen. Der italo-amerikanische Tenor gibt als Dogensohn Jacopo Foscari in der St.Galler Festspielproduktion von Verdis «I due Foscari» sein Rollendebüt. Kai Luehrs-Kaiser (Text) & Priska Ketterer (Fotos)
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artists Immer munter imitieren! Das allgemeine Vorurteil, es gäbe nichts Schädlicheres als bekannte Vorbilder nachzumachen, ist ganz falsch. Jahrhundert-Bariton Dietrich FischerDieskau erklärte dem Verfasser dieser Zeilen einst stolz, er habe, als er jung war, nach Kräften Beniamino Gigli zu kopieren versucht. Warum nicht?! Fischer-Dieskau dürfte hierdurch Farben bei sich entdeckt haben, die er vorher nicht hatte. Ein Benjamino Gigli wäre er sowieso nicht geworden. Leonardo Capalbo ging noch einen Schritt weiter, als er ganz jung war. Der amerikanische Tenor entdeckte die eigene Stimme, als er im Fernsehen Pa-
Miller» und Matteo Borsa in «Rigoletto» vorzuwagen. Den Rigoletto-Herzog hätte er nie gewagt. Eine derartige, klügliche Spezialisierung ist heute zwar leider kaum noch vorstellbar. Sie lehrt jedoch, was kundige Verdi-Spezialisten, wie etwa der Dirigent Antonio Pappano, ohnehin reklamieren: dass Verdi generell eine Art «Belcanto zweiter Stufe» ist. «Verdi ist Belcanto plus Deklamation», sagt Pappano, und gibt damit die Erklärung dafür, weshalb viele der besten Verdi-Sänger (etwa Montserrat Caballé, Bergonzi und auch Maria Callas) diesen Komponisten immer von seinen Belcanto-Vorgängern her in den Blick
«Am Brüllen bin ich nicht interessiert» varotti hörte und diesem nachzueifern begann. Vielleicht hat das Reproduzieren sogar sein Talent gefördert. Capalbo ist heute auch ein ingeniöser Stimmen-Imitator seiner Lehrerin Marilyn Horne. Ihre Rossini-Rouladen serviert er täuschend echt. Er würde sich, lacht er, sogar damit buchen lassen! In der Schweiz wird Capalbo im Juni als Jacopo Foscari in Verdis früher Oper «I due Foscari» erwartet. Das wird nicht nur sein Rollen-, sondern in Wirklichkeit auch sein St. Gallen-Debüt sein. Ein Gastspiel daselbst in Verdis «Requiem» scheint zwar im Internet noch nachweisbar, wurde in Wirklichkeit aber abgesagt. Das Internet weiss nicht alles. Nicht einmal, was schliesslich doch nicht stattgefunden hat. Der Sohn des Dogen von Venedig, Jacopo Foscari, ist eine Rolle, die auf Schallplatten von schlankstimmigen Sängern wie José Carreras und Carlo Bergonzi gesungen wurde – nicht aber von heldischeren wie Domingo oder lyrischeren wie Pavarotti. Der Sänger der Uraufführung in Rom 1844 war der italienische Tenor Giacomo Roppa, der zu seiner Zeit eben deswegen als typischer Rollenvertreter gelten konnte, weil er kein typischer Verdi-Sänger war! Roppa hatte sich als Bellini- und DonizettiSänger einen Namen gemacht, steigerte sich anschliessend bis zu Meyerbeers «Robert le diable», ohne sich bei Verdi indes weiter als bis zu Rodolfo in «Luisa
nahmen – ganz so, wie es auch der Amerikaner Leonardo Capalbo tut. Geboren 1978 in New Jersey als Sohn italienischer Einwanderer, hat er sich seit über zehn Jahren als lyrischer Tenor auf Rollen beschränkt, die den kernigen Schmelz seiner Stimme nicht gefährden. Genau genommen, gelang Capalbo über Jahre ein erstaunlicher Spagat zwischen zwei Rollen, die seine Karriere perfekt ausbalancieren: dem einfältigen Nemorino in Donizettis «L’elisir d’amore» und dem emphatisch sich in die Brust werfenden Alfredo in «La Traviata». Dass hierbei das Debüt mit Alfredo dem leichtgewichtigeren Nemorino sogar einige Monate vorausging, zeigt die erstaunliche, für heutige Zeiten untypische Tendenz, nicht schwere auf leichtere Rollen folgen zu lassen, sondern umgekehrt erst die schweren Rollen zu singen – und dann die leichten. «Ich bin nicht ungeduldig», sagt Capalbo, der fein in Schlips und Kragen zum Interview in Berlin erschienen ist. «Mein Stil ist Belcanto plus», so Capalbo, der hiermit die oben beschriebene Tendenz bestätigt. «Ich singe, mit anderen Worten, in einer Bergonzi-Tradition», so Capalbo. «Am Brüllen bin ich nicht interessiert.» Mit seiner Technik könne man zwar nicht so laut singen wie, sagen wir: Mario del Monaco. An alle wichtigen Rollen, wie das Beispiel Bergonzi lehre, komme man trotzdem heran.
Dem biegsamen, klaren und rhythmisch festen Gestus seines Tenors entspricht auch die Eigenart, leichtere Rollen etwas härter anzufassen – und schwere Rollen etwas leichter. «Caruso hat bewiesen, dass Donizetti den Nemorino nicht als zu leichtgewichtigen Tenor gemeint hat», so Capalbo in schönster Kenntnis der Gesangstradition. Um festzustellen: «Ich bin doch kein Spinto!» Den Fehler, Puccinis Rinuccio in «Gianni Schicchi» zu singen, habe er nur einmal gemacht. Und zwar damals, als er noch «jung und doof» war. «Die Attacken Puccinis sind harsch, und sein Orchester neigt dazu, einen zuzudecken. Dafür braucht man eine ganz andere Attacke.» So gestalte er alle Rollen, die er annehme, mit einem Anspruch auf Schöngesang, der aber keine Einschränkungen bedeute. «Ich schaue alle Verdi-Tenorrollen daraufhin an, ob etwas Passendes dabei sein könnte, und bin der Auffassung: ausser Radames und Otello kann man über alles reden.» Zu früheren Zeiten habe das schliesslich auch funktioniert, obwohl man zugeben müsse, dass damals die Orchester leiser und die Häuser mehrheitlich nicht so gross gewesen seien. «Die Frühwerke Verdis könnten fast auch vom späten Donizetti stammen», so Capalbo. Nur die Tessitura (also die durchschnittlich anzusteuernde Tonhöhe einer Partie) liege zum Beispiel beim Riccardo im «Ballo in maschera» höher. Und im «Passaggio», dem Übergang zwischen den Registern, müsse man bei Verdi mehr Stoff geben. Wenn man das könne, sei auch der Weg zu Partien wie Jacopo Foscari offen. «Man muss mutig, aber doch besonnen bleiben», so Capalbo über die nötige Marschgeschwindigkeit. «Ziele habe ich keine.» Alles müsse der Stimme folgen und sich organisch daraus ergeben. So hat er in letzter Zeit sehr erfolgreich Candide an der Berliner Staatsoper (an der Seite von Maria Bengtsson und Anja Silja), Alfredo am Teatro del Liceu und den Captain Ben Marco in der Uraufführung von «The Mandchurian Candidate» (von Kevin Puts) an der Minnesota Opera gestaltet. Neues Repertoire wird er wieder singen: in Thomas Adès «Powder her Face» in Warschau. Kurz danach bricht er dann nach St. Gallen auf. In Amsterdam folgt später mit Arturo in Bellinis «La straniera» (an der Seite von Elena Mosuc) wieder eine Belcanto-Partie. Dass das vorsichtige Ausbalancieren nicht zu schwerer Rollen eine Folge der Krise ist, in die der Tenor Rolando Villazón vor Jahren schlitterte, gibt Capalbo offen zu. «Ich hatte eine grosse
artists Bewunderung für ihn als Vokalisten – und habe es noch», sagt Capalbo über Villazón. In einigen Fällen übernahm er die Verträge seines strauchelnden Kollegen. «Man muss selbstkritisch und auf der Hut sein – und bleiben.» Wenn er nach einer Vorstellung müde in die Garderobe zurückkehre, sei der Punkt erreicht, wo er sich fragen müsse, ob die Partie richtig war. «Das ist ein Alarmzeichen», so Capalbo. «Mit falscher Stimme kann man wie jeder klingen, den man sich nur wünscht», meint Capalbo. «Die Frage ist eben nur, wie lange.» Er sei kaum je zufrieden mit sich, und immer ein wenig im Zweifel, das treffe freilich auf jeden echten Künstler zu. «Ehrlichkeit entscheidet!» Das Instrument des Sängers wechsle mit jedem Abend. Man sei «halb Athlet, halb Künstler». Und müsse dementsprechend vor der eigenen Selbstüberschätzung gewarnt sein. Und dann sei man übrigens auch noch Schauspieler. «Meine erste Liebe galt dem Drama, nicht der Oper. Für Regisseure mache ich allerlei, wenn sie mich denn überzeugen…» Nicht zufällig findet Capalbo seine Idole unter Sängern, die mit ihm selber wenig zu tun haben. «Ich habe mich gerne an Giacomo Lauri-Volpi orientiert und an Aureliano Pertile», dem Tenor Toscaninis. «Ich bin ein seltsamer Fall, eben weil ich als Akteur ein modernes Selbstverständnis habe und mich, sobald ich singe, als ‚vecchio teatro’ verstehe – alte Schule.» Das klingt vorbildlich. Sängerisch nicht über die Schnur schlagen, aber darstellerisch neugierig sein: Besser kann man das Anforderungsprofil heutiger, langanhaltender Karrieren kaum beschreiben. An der Juilliard School wurde er in dieser Weise geprägt – nicht zuletzt durch Marilyn Horne, den grossen Rossini-Mezzo des 20. Jahrhunderts. «Ich bin immer noch regelmässig mit ihr in Kontakt. In Santa Barbara, wo sie ein Haus besitzt, unterrichtet sie heute noch», erzählt er. «’Du bist vielseitig’, sagt sie mir, wenn du willst, probiere dich an möglichst vielen Dingen aus.’» Horne wisse, wovon sie spreche, denn sie habe als Sopran begonnen und noch mit Strawinsky persönlich an «Ödipus Rex» gearbeitet. «Sing Verschiedenes, aber immer mit deiner eigenen, mit unverstellter Stimme!», sei das Credo, das sie ihm mit auf den Weg gegeben habe. So steht als Jacopo Foscari in St. Gallen ein Tenor auf der Bühne, von dem eine idiomatische, stilistisch elegante und bewusste Leistung zu erwarten ist. Viel wert!, wie man angesichts zu vieler,
sich durch schwere Partien druckvoll mogelnder Tenöre sagen kann. Aus seinem Spektrum aktueller Rollen wie Hoffmann, Tom Rakewell und Roberto Devereux ragt dieser junge Foscari nicht zu scharf heraus. Als Ismaele in Verdis «Nabucco» lässt sich Capalbo übrigens auch auf CD nachhören (in der Gesamtaufnahme bei Chandos, Dirigent: David Parry). Wer übrigens beim Anblick dieses Italo Lovers stutzt und sich fragt, wo-
ran einen dieser Mann erinnert, dem sei gesagt: Auf der Bühne (stärker als auf Fotos) hat Leonardo Capalbo nicht frappante Ähnlichkeit mit dem jungen Jean-Louis Barrault. »Balance ist alles», sagt er, und legt gern akrobatische, körperliche Bühnenfähigkeiten an den Tag, wie man sie von Sängern früherer Generationen kaum erwartet hätte. Auch in dieser Hinsicht hat er sich von Pavarotti, seinem Initial-Erlebnis, weit entfernt. ■
Leonardo Capalbo: «Meine erste Liebe galt dem Drama, nicht der Oper. Für Regisseure mache ich allerlei, wenn sie mich denn überzeugen…»
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thema Venedig – auf den Spuren des Dogen Francesco Foscari
La Venezia dei Foscari Fotoreportage: Priska Ketterer
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Am späten Abend des 15. Aprils 1423 wird Francesco Foscari im Alter von 50 Jahren zum Dogen gewählt. Er ist von nun an der höchste Beamte der Republik Venedig. Mit diplomatischem Geschick hat er seine Rivalen Loredan und Contarini ausgebootet und kann, trotz seines für einen Dogen jungen Alters und der Tatsache, dass er mehrere Söhne hat, 26 der 41 Stimmen auf sich vereinen. Am 16. April wird er offiziell in seine Ämter eingesetzt und zieht in den Dogenpalast. Zweimal – 1433 und 1442 – versucht Francesco Foscari zurückzutreten, beide Male jedoch wird dieses Ansinnen vom Rat zurückgewiesen.
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thema
1445 wird Francesco Foscaris einziger, die Pestepidemien der vorhergehenden Jahre überlebender, Sohn Jacopo in die Verbannung geschickt. Ihm wird vorgeworfen, Geschenke angenommen zu haben. In der Folge wird er noch mehrmals verhaftet und gefoltert. Ihm werden nicht
nur Verbindungen zu fremden Fürsten, sondern auch die Ermordung Ermolao Donatos zur Last gelegt. Jacopo Foscari stirbt 1457 an den Folgen der Folter fernab Venedigs in der Verbannung auf Kreta. 1453 beginnt Franceso Foscari mit dem Bau der Ca’ Foscari auf den Grund-
mauern des abgebrochenen ehemaligen Sforzapalastes. Die Ca‘ Foscari, wahrscheinlich als Haus für seinen aus der Verbannung zurückkehrenden Sohn gedacht, wird in Zukunft Jacopos Frau und seine Kinder, also des Dogen Francescos Enkel, beherbergen.
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Im Oktober 1457 wird Doge Foscari zum Rücktritt gezwungen, da seine Gesundheit es ihm unmöglich macht, seinen Verpflichtungen als Doge nachzukommen. Am 1. November stirbt er in seinem Palast und wird am 3. zuerst im Dogenpalast aufgebahrt und nachher in
der Kirche St. Maria Gloriosa dei Frari beerdigt. Übrigens: Verdis Oper «I due Foscari» wird nicht wie geplant 1844 im Teatro la Fenice uraufgeführt. Die Intendanz des Theaters fürchtet, dass die immer noch in Venedig ansässigen Fa-
milien Loredan und Barbarigo in einem schlechten Licht erscheinen könnten. So kommt es, im selben Jahr, zur Uraufführung im Teatro Argentina in Rom. ■ Quelle: «The likeness of Venice», Dennis Romano, Yale University Press 1951
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thema Werner Signer: «Die Themen können auch schmerzen. Aber Sie müssen etwas zu sagen haben.»
thema Werner Signer über St.Galler Mentalität, die Idee von Festspielen im Klosterbezirk und die Lust auf künstlerische Offenheit
«Kein harmloser Schmusekurs» Als geschäftsführender Direktor der Genossenschaft Konzert und Theater St.Gallen, ist Werner Signer auch mitverantwortlich für die St.Galler Festspiele, die heuer bereits ihre 10. Auflage erleben. Im Gespräch formuliert er, weshalb Kultur als ein Teil unserer Identität unentbehrlich ist. Und weshalb das St.Galler Leitungsmodell auch mit Festspielen erfolgreich sein konnte. Andrea Meuli (Text) & Priska Ketterer (Bilder)
M&t: st. gallen ist eine barocke, also festfreudige, katholische stadt. doch der theaterleiter wird hier nüchtern «geschäftsführender direktor der genossenschaft konzert und theater st.gallen» genannt. ein Widerspruch? Werner Signer: Überhaupt nicht. Ich denke, es entspricht der St.Gallischen Mentalität, dass man nicht protzt. Die barocke Art und Tradition sind vielmehr an Bauten und in den Geschichtsbüchern erkennbar. Heute würde ich den St.Galler eher als zurückhaltenden Menschen beschreiben. In dieses Bild passt, dass die Titel bewusst funktional gehalten sind. M&t: geht st.gallen bewusst einen anderen Weg in der Wahl der theaterleitung: kein regie führender intendant. Werner Signer: …das geht aus der Struktur hervor. St. Gallen hatte 2000 als erste Schweizer Stadt den Mut, das Orchester und das Dreisparten-Theater unter dieselbe Führung zu nehmen. Daraus ist die Genossenschaft Konzert und Theater St.Gallen hervorgegangen. Dabei überlegte man sich, wie die Verantwortlichkeiten aufzuteilen sind. Es sollte ein Vierspartenhaus mit einem Konzertdirektor, einem Leiter des Musiktheaters sowie einem Schauspieldirektor werden. Die Intentionen müssen von den künstlerischen Kollegen kommen. Das ist ganz klar. M&t: gibt es weniger konfliktpotenzial bei diesem Modell? Werner Signer: Der grosse Vorteil ist, dass man miteinander reden muss, dass nicht einer allein seine Suppe kochen kann. Man muss lernen, sich auszutauschen und aufeinander Rücksicht zu nehmen. Das fördert einen guten Nähr-
boden für spartenübergreifende Projekte, und es fliessen viel mehr Ideen in einen Spielplan ein als wenn ein Einzelner das Sagen hat. Daher kristallisierte sich dieses Modell in der Praxis als erfolgreiche Lösung heraus. M&t: eine offene art der Führung also. Werner Signer: Das kann man so formulieren. Aber es heisst nicht, dass wir stets die gleiche Meinung haben. Das
M&t: Bühnenegomanen können ein haus gnadenlos an die Wand fahren. Werner Signer: Wenn eine Geschäftsleitung ihre Ideen zunächst bei den Kollegen durchsetzen muss, ist das bestimmt ein Schutz für alle Mitwirkenden an einem Haus, nicht zuletzt auch für die Künstler. M&t: ein Filter sozusagen, der allzu tollkühne selbstverwirklichungen abdämpft?
«Die Musik war immer meine grosse Leidenschaft» wäre ja langweilig und bedeutete den Tod jeder lebendigen Kulturinstitution. Aber wir können miteinander Projekte verwirklichen und Ideen einbringen. Mein Hintergrund, mit einer musikalischen Ausbildung neben dem kaufmännischen Rucksack, hilft wohl dabei, dass die Akzeptanz hoch ist, da wir viele Themen auf Augenhöhe diskutieren können. Das ermöglicht eine andere Gesprächskultur als wenn sich Management und Kunst strikt auseinanderhalten würden. Es ergibt sich eine andere Dynamik mit flexibleren Führungsmöglichkeiten, auch wie man Risiken zu tragen bereit ist.
Werner Signer: Genau, damit niemand ein Spielfeld für seine persönlichen Ambitionen abstecken kann, und zwingend jedem Entscheid eine Reflexion vorangeht. M&t: theaterleiter haben ganz verschiedene Biografien. Wie haben sie zum theater gefunden? Werner Signer: Die Musik war immer meine grosse Leidenschaft. Aufgewachsen bin ich in einem Elternhaus, in dem Wert darauf gelegt wurde, dass zunächst ein bürgerlicher Beruf erlernt wird. So kam ich zu meiner kaufmännischen Ausbildung, ging anschliessend jedoch mit
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thema einer gewissen Selbstständigkeit meinen musikalischen Weg. M&t: Wohin führte der? Werner Signer: Ich machte meinen Abschluss an der Musikakademie Zürich im Dirigieren, als Instrumentalfächer belegte ich Horn und Klavier. M&t: nahe an der kunst also, ein Vorteil zweifellos, wenn es darum geht, einer institution wie einem dreispartenhaus mit beschränkten finanziellen Mitteln den rücken zu stärken. Werner Signer: Es braucht die Bereitschaft, hin und wieder auch mal ein Risiko einzugehen und dieses finanziell abzufedern, wenn man nicht immer nur auf jenem Strom schwimmen möchte, der von der öffentlichen Hand vorgegeben ist. Natürlich streben wir an, dass das Haus eine Ausstrahlung hat. Auch die Resonanz in den Medien braucht es, genau wie jene der Künstler, dass ein
Haus als wertvoll betrachtet wird, dass man hier unter guten Bedingungen neue Partien erarbeiten kann. M&t: das theater hat heute weit stärkere konkurrenz, was die Freizeitgestaltung betrifft. Wie kann diese einrichtung eines kulturinteressierten Bürgertums dennoch erfolgreich sein? so, dass der politische Wille eine solche institution zu tragen, nicht in Frage gestellt wird. Werner Signer: Ganz wichtig ist, dass man mit einem Programm den Nerv aller möglichen Theaterbesucher trifft. Das muss überhaupt kein harmloser Schmusekurs sein, die Themen können auch schmerzen. Aber Sie müssen etwas zu sagen haben. Wenn ein Theaterbetrieb abläuft wie der Prozess in einer Kehrichtverbrennungsanstalt, die man zwar schätzt, sich jedoch bloss darauf verlässt, dass sie funktioniert, dann ist es vorbei mit einem lebendigen Haus. Der Ausbruch muss möglich sein. Dazu ge-
hört beispielsweise auch das Migrationsthema. Wenn wir nicht bereit sind unsere kulturelle Herkunft zu pflegen und zu unserer Tradition zu stehen, dann werden wir immer auch alles Neue ablehnen. Je stärker unsere Identifikation ist, desto offener können wir dem Neuen gegenübertreten, es zulassen. Und zu unserer Tradition gehört Kultur ganz wesentlich dazu. M&t: ablehnung des neuen aus unsicherheit heraus, wäre demnach ihre diagnose. Werner Signer: Ja, so sehe ich das. Wenn ich zu etwas stehe, brauche ich keine Angst vor Unbekanntem zu haben. Deshalb ist es auch wichtig, dass der Staat klar bekennt, dass Kultur ein Teil unserer Identität ist und deshalb entsprechend gefördert zu werden verdient. Nur stellt sich die Aufgabe der Vermittlung heute ganz anders. Einzig die Türe zu öffnen und zu meinen, das Publikum
Werner Signer, fotografiert im prunkvollen Barocksaal der Stiftsbibliothek St. Gallen. Erstmals findet diesen Sommer ein Festspielkonzert in diesem ehrwürdigen Rahmen statt.
thema ströme dann herein – das reicht heute bei Weitem nicht mehr. M&t: so kamen sie auf die idee, ihren spielplan mit Festspielen zu ergänzen? Werner Signer: Wir erkannten damals, dass das bisherige Abonnementsystem langsam wegzubrechen begann. Ganz einfach, weil es dem Zeitgeist nicht mehr entspricht. Also fragten wir uns, wie wir unsere kulturelle Vermittlungsaufgabe, vor allem im Musiktheater, wahrnehmen und unser Publikum mit einer neuen Idee verführen könnten. Das Schauspiel hat es in dieser Hinsicht einfacher. Mit einem Frisch oder Dürrenmatt kommt jeder einmal in seiner Schulzeit in Berührung, wogegen das Musiktheater da meist aussen vor bleibt, so wie die traditionellen Instrumente im heutigen Musikunterricht zunehmend verdrängt werden. M&t: dieser pädagogische Blickwinkel kann ja nicht das einzige argument für Festspiele in st. gallen gewesen sein… Werner Signer: Natürlich nicht. Genauso wichtig war die Frage: Was besitzt diese Stadt, was sie unverwechselbar macht? Damit rückten die besonderen Spielorte ins Blickfeld. Uns war sofort klar, dass dies nur im Klosterbezirk sein kann. Von dort gingen die musischen Impulse der Mönche im Mittelalter aus. An diese Tradition knüpfen wir an. Inhaltlich waren wir uns von Anfang an einig, ein eigenes Profil zu suchen. Die gleichen Werke zu spielen, die landauf, landab aufgeführt werden, konnte nicht unser Konzept sein. Wir wollten uns abgrenzen – und gleichzeitig darauf achten, uns und unseren regulären Spielplan nicht selber zu konkurrenzieren. Daher setzten wir uns zum Ziel, mit Raritäten des Opernrepertoires ein neugieriges Publikum zu erreichen. M&t: st. gallen ist ein ort mit einer starken kirchentradition und -geschichte. Wie weit ist die kirche in das geschehen der Festspiele eingebunden? Werner Signer: Sehr stark. Beide Hauptkonfessionen, sowohl die römisch-katholische wie die evangelische, stellen uns ihre Räumlichkeiten zur Verfügung. In der Kathedrale dürfen wir mit dem jeweiligen Festkonzert sowie vor allem auch mit einer Tanzproduktion zu Gast sein, und in der reformierten Kirche St. Laurenzen ist das Konzertangebot platziert. Eine Tanzproduktion, welche den sakralen Raum einbezieht und nicht als beliebige Choreografie daherkommt, ist natürlich etwas Besonderes. Den menschlichen Körper in seiner Bewegung zu diesem wunderbaren barocken Raum der Kathedrale in Bezug zu bringen, bedeutet eine besondere Heraus-
forderung und ist nicht austauschbar. Dazu kommt, dass mit der Orgel auch jenes Instrument, welches die nachhaltigsten Akzente in diesem Raum setzt, einen wichtigen Bestandteil des musikalischen Festspielprogramms bildet.
Diese Sprungbrettfunktion zu übernehmen, ist eine überaus dankbare Aufgabe, die wir mit Freude immer wieder angehen. Damit können wir punkten, das kann ein Haus wie St. Gallen attraktiv machen.
M&t: hat sich dieses Profil beim Publikum durchgesetzt? Werner Signer: Es gab auch Widerstand. Die Frage wurde natürlich gestellt, ob der Tanz in eine Kathedrale passt, die nach wie vor als gelebtes Zentrum ihrer ursprünglichen religiösen Funktion dient. Allerdings kommt uns gerade das auch entgegen, weil wir Kultur dorthin
M&t: erleben sie so etwas wie treue zu einem haus, welches einem beim durchbruch einst geholfen hatte? Werner Signer: Treue ist wohl ein zu starker Begriff. Aber wir denken, dass viele die Zeit hier bei uns geschätzt haben. Wie jeder einzelne zu seiner Vergangenheit steht, ist Charaktersache. Wir sind geehrt genug, wenn wir sehen, dass je-
«Die Intentionen müssen von den künstlerischen Kollegen kommen» bringen wollen, wo auch das Leben stattfindet. Diesen Gedanken möchten wir aufnehmen. Es gab sehr gute Gespräche mit den Verantwortlichen der Kirche, die uns das Vertrauen geschenkt haben. So sind wir sehr froh, in diesem ehrwürdigen Rahmen, zu dem auch der Klosterplatz gehört, spielen zu dürfen. M&t: dieses glück zweier ungemein starker aufführungsorte für Festspiele ist heute nicht mehr gefährdet? Werner Signer: Das kann man nie mit Bestimmtheit wissen. Ich denke, wenn Festspiele an einem Ort stattfinden, der nicht als selbstverständlich wahrgenommen wird, dann können sie ein ganz anderes Potenzial nutzen, als wenn sie in einem ohnehin ungenutzten Steinbruch spielen würden. Da spüren Sie eine Spannung. Und wenn es der Kultur gelingt, solche Spannung weiter zu vermitteln, die Diskussion anzuregen – dann macht sie Sinn. M&t: Wie schafft es ihr haus, immer wieder interessante junge sängerinnen und sänger an sich zu binden, die nicht selten internationale karriere machen? Werner Signer: Das ist das Verdienst unseres Operndirektors Peter Heilker, dem es immer wieder gelingt, junge talentierte Solisten zu gewinnen, die von unserer Bühne aus den Sprung in die internationale Musik- und Theaterszene finden.
mand nach seiner Zeit in St. Gallen den Weg macht und sich an den ersten Adressen des Musiktheaterbetriebs etabliert. Es liegt nicht an uns, sich da festzukrallen, sondern vielmehr wieder neue Talente zu entdecken. M&t: 2014 war alles andere als ein Bilderbuchsommer. Wie viele solcher nasskalter Festspieljahrgänge können sie überleben? Werner Signer: Es gelang uns auch letzten Sommer eine ausgeglichene Rechnung vorzuweisen. Das ist einigermassen erstaunlich. Wir konnten wohl alle Vorstellungen spielen, aber es war wirklich keine einladende Zeit, so dass das spontane Publikum ausblieb. M&t: dieses Jahr spielen sie «i due Foscari». dieses Frühwerk ist wohl unter Verdi-Freunden beliebt, doch darüber hinaus kaum bekannt. Was versprechen sie sich von ihrer Produktion? Werner Signer: In den Werken der letzten Jahre spielte die Kirche stets die dominante Rolle. Da dieser Platz nicht nur Sitz der kirchlichen Macht, sondern auch der weltlichen Regierung ist, wollten wir für einmal dieses Spannungsfeld stärker artikulieren. Der Zwiespalt zwischen öffentlichen Aufgaben und Familie kommt in diesem Stück wunderbar zum Tragen. Zum anderen hat St. Gallen – seit es das neue Theater gibt – eine starke Verdi-Tradition, die soll hier ebenfalls einfliessen. ■
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artists Das Basler Ensemble Thélème: auf dem vokalen Hochseil – ohne Netz
Enigmatische Lust Das Basler Ensemble Thélème singt in der Tanzproduktion «Schweigerose» des englischen Choreografen Jonathan Lunn für die diesjährigen St.Galler Festspiele. Was die vier Sänger und eine Sängerin von Thélème sonst so antreibt, warum das Bankett die ideale Konzertform für sie ist und welche Bedeutung dem Scheitern zuzumessen ist. Benjamin Herzog (Text) & Priska Ketterer (Fotos)
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artists Von der Decke hängen Lüster aus Pappkarton. Auf den Tischen Wein, Brot und Käse. Eine Frau in orangefarbenem Strickpullover, ein Mann mit Videokamera, Musiker aus der Stadt, Freunde des Ensemble Thélème. Man hat sich schon mal ein Glas eingeschenkt. «Le Banquet» heisst eine in Kennerkreisen bestens etablierte Konzertreihe des Ensembles Thélème in der Kantine des Musikerwohnhauses an der Lothringerstrasse in Basel St. Johann. Zur Ausstattung dieses von der Stiftung Habitat konzipierten und betriebenen Musikerhauses gehört auch ein Konzertsaal. Dort proben vier der Thélème-Sänger, sie kommen aus Frankreich, Israel und Brasilien, sowie zwei hinzugezogene Lautenisten. Kurzprobe im Konzertsaal für den Auftritt am Abend in der Kantine. Es ist die einzige Probe, und manches Stück gelangt dabei prima vista vor ihre Augen. «Unser Repertoire ist nicht für herkömmliche Konzerte gedacht, eigentlich nicht einmal für ein Publikum», erklärt Jean-Christophe Groffe. Der 39-Jährige aus Paris ist künstlerischer Leiter des vor knapp zwei Jahren gegründeten Ensembles. Groffe hat, wie seine Mitmusiker, an der Basler Schola Cantorum studiert und ist in der Stadt geblieben. Groffe ist das Fundament von Thélème – auch musikalisch, denn er singt den Bass. Ihr Repertoire hat in der europäischen Musiklandschaft Seltenheitswert: französische Musik der Renaissance. Geistliche Musik, und vor allem Chansons von Komponisten wie Clément Janequin oder Claude Le Jeune. «Diese Chansons hat man damals bei sich zu Hause gesungen. Mit Freunden, nach dem Essen, beim Wein», sagt Groffe. «Das stellt uns vor ein Problem. Wo führen wir diese Musik heute auf? Im Konzertsaal?» Die Antwort gibt ihre «Banquet»Reihe. Zwei Dutzend Zuhörer, intimer Rahmen, Wein, Käse, Bekanntmachung durch Mundpropaganda oder Facebook. Groffe gibt den Conférencier, erklärt die anzüglichen Wortspielereien in einem der Chansons. «Ton cul servira de trompette», heisst es darin nicht ganz jugendfrei. So weit, so klar. Nun ist nicht alles in diesen auf altfranzösisch gesungenen Chansons auf Anhieb verständlich. Sie gehören denn auch zum Genre der Musica riservata, einer vor Anspielungen in Text und Ton strotzenden Musik, sind klingende Kleinodien für kennerhafte Geniesser. Da tauscht etwa eine Schlachtenmusik, es ist Janequins berühmte «Bataille», ihre mit viel «rantantan»
und «zingzing» gepanzerte Rüstung in einer Fassung gegen das Gewand einer Messe ein, wird lammfromm – vordergründig. An dem Abend im Musikerwohnhaus erklingen selbstverständlich beide Fassungen. Das ist anspruchsvoll, nicht nur für das Publikum. «Wir stellen uns mit der Banquet-Reihe bewusst keinem Perfektionsanspruch. Wenn es schief geht, geht’s halt schief. Dafür ist diese Experimentierbühne da, und so hat man das auch damals gehandhabt», sagt Groffe. Das nimmt Druck – auch vom Publikum. Hinter dem Käseteller erhebt sich nicht ein makelloses Kunst-
Die erste Assoziation zu diesem, für ein Musikensemble nicht auf den ersten Blick passenden Thema, führte Groffe zu Orlando di Lasso. Seine «Prophetiae Sibyllarum» beschwören im Text zwar das Gegenteil der Schweigepflicht, waren die Sibyllen doch die über den ganzen Mittelmeerraum verteilten Verkünderinnen einer wichtigen Botschaft, der Geburt Jesu. Doch die chromatische Musik Lassos mit ihrer tonartlichen Verschlüsselung und die vielen Codes, die den Text enigmatisieren, geben den «Prophetiae» ihren sprichwörtlich sibyllinischen Charakter. Das verrätselte Werk
«Wenn es schief geht, geht’s halt schief» werk auf seinem Sockel. Ich selbst werde es bemerken, wenn sich ein Moment der Transzendenz einstellt. Oder auch nicht. Werde beglückt, wenn die Stimmen der vier miteinander verschmelzen und als Liebesklage «je veux plustôt mourir» aus ihrer reservierten Kunstschönheit hinaustreten, als klare Botschaft eines plötzlich sehr nahen 16. Jahrhunderts den Raum füllen. Oder ich merke es nicht. In seinem Namen verweist das Ensemble Thélème auf ein literarisches Werk aus der Zeit Janequins und Le Jeunes. Auf François Rabelais’ um 1550 erschienene Romanzyklus «Gargantua et Pantagruel». In einer Episode wird dort eine Abtei namens Thélème beschrieben, die sowohl Männer wie Frauen aufnimmt. Die fröhliche Mönchs- und Nonnenschar lebt dabei nach dem Motto, das Groffe sich und seinen Kollegen auch verschrieben hat: «Tu, was du willst!» Das utopische Potenzial dieses Mottos lässt sich nicht immer ganz ausschöpfen, dessen ist sich Groffe bewusst. Aber als Grundlage, auch etwa für eine Produktion wie «Schweigerose» an den St.Galler Festspielen, ist so ein Motto doch ganz tauglich. Die Schweigerose, als Ornament in Beichtstühlen oder bestimmten Zimmern in einem Kloster, ist das Zeichen dafür, dass hier Besprochenes diskret behandelt wird. «Sub rosa» sprechen heisst, sich der Schweigepflicht unterziehen.
Lassos, das in St.Gallen nebst Anderem erklingt, gehört ebenfalls zur sogenannten Musica riservata. Man wird sich auf einen enigmatischen Abend einstellen können. Formuliert der Choreograf Jonathan Lunn seine Lust am Verborgenen doch unverhohlen: «Die tänzerischen Formen, die ich anstrebe, rühren von einer Mischung aus Intentionen, Ideen und Gefühlen her, die nach einem Ausdruck verlangen, aber sich nicht unbedingt in Sprache fassen lassen. Sie bleiben verborgen und befinden sich unter dem Schutz der Rose des Schweigens.» Thélème-Gründer Groffe lebt mit seiner Frau, ebenfalls Sängerin, und ihren Kindern seit fünf Jahren im Basler Musikerwohnhaus. Soeben sind sie dort in eine der grösseren Wohnungen umgezogen. Am Boden Kisten. Nur der wohl wichtigste Ort in einem Musikerhaushalt, der Übungsraum, ist schon fertig eingerichtet. Ein Klavier von Schmidt-Flohr, Notenständer, Bücher, Noten, Kaffeetassen. An der Biennale für Neue Musik in Salzburg hat Groffe soeben etwas von Rebecca Saunders gesungen. Für einen Schola-Absolventen nicht selbstverständlich. Für einen, der nach dem Rabelais’schen Motto der Freiheit lebt, aber schon – wie überhaupt jedes der Thélème-Mitglieder, musikalisch gerne an anderen Blumen riecht. Das bereichert und fliesst wiederum ins Programm zurück. Groffe ist zurzeit
artists auch daran, elektronische Instrumente auf seinem Computer auszutesten, sie mit der Stimme zu verbinden. Die Suche nach dem Neuen geht stets weiter. Das führte etwa auch schon zu einem Programm mit Musik von Schubert und Janequin und erstaunlichen Gemeinsamkeiten der beiden «Bohème»-Musiker. Die Basler Konzert-Bankette sind eine ideale Bühne für solche Neukombinationen. «Das lokale Publikum macht da auch gut mit», erfreut sich Groffe. Natürlich hat auch sein Ensemble Auftritte in den grossen Musikzentren. «Aber es ist nicht wertvoller, in Wien, London oder sonstwo zu arbeiten als in der eigenen Stadt», gibt er zu bedenken. Im Gegenteil. Das lokale gepflegte Singen, nicht unähnlich der Kartoffel vom Bauern in Stadtnähe, bietet für ihn spürbare Vorteile. Er geniesst die Verwurzelung mit einem Publikum, das, so Groffe, weniger «autozentrisch» sei, als etwa das Pariser Publikum, das sich im Mittelpunkt der Welt wähnt. Schön sei der Prozess des Gebens und Nehmens in derjenigen Stadt, wo die ThélèmeMitglieder auch studiert haben, oder noch studieren. Die Porträtfotos für ihre Website haben die Fünf denn auch in einem alten Wagen der lokalen Tramlinie 21 gemacht. Die Verkehrsbetriebe willigten nicht nur in die Fotosession ein, sondern schenkten den Sängern und der Fotografin auch gleich die Fahrkarten. ■ Das Ensemble Thélème singt im Tanzstück «Schweigerose» von Jonathan Lunn. 24., 25., 29.6.2015 Kathedrale St.Gallen, 21:00 Uhr
Orlando di Lasso und polyfone Chansons aus der Renaissance – das Ensemble Thélème bereitet den musikalischen Boden für die Tanzproduktion «Schweigerose».
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artists Claudio Cavina: «Die Engel singen aus der Höhe, die Seele des Publikums soll bewegt werden.» Impression aus San Marco.
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Das Ensemble «La Venexiana» bringt die Pracht von San Marco in die Laurenzenkirche
Festa a San Marco
Andrea und Giovanni Gabrieli entwickelten am Markusdom in Venedig die mehrchörige Kirchenmusik zur Hochblüte.
Ein Konzert vom Ensemble «La Venexiana» unter Claudio Cavina erweckt diese Musik und die Klanglichkeit der «Cori spezzati» in St. Gallen zum Leben. Reinmar Wagner (Text) & Priska Ketterer (Bilder)
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artists M&t: claudio cavina, sie spielen und singen mit ihrem ensemble «la Venexiana» in st. gallen Musik von den beiden gabrielis, die für den Markusdom in Venedig geschrieben wurde. Welche rolle spielt Venedig für die Praxis der «cori spezzati», der mehrchörigen aufführung geistlicher Musik? Claudio Cavina: Venedig war im 15. und 16. Jahrhundert eine der wichtigsten, mächtigsten und einflussreichsten Städte der Welt. Das betrifft Politik, Militär und Handel, aber auch die Kultur. Die Hauptkirche Venedigs, San Marco, reflektiert diese Grösse. Die Technik der «Cori spezzati» wurde zwar nicht hier erfunden, aber mit den beiden Emporen und ihren Orgeln bot San Marco ideale Bedingungen und wurde hier von Giovanni Gabrieli zu ihrer Hochblüte gebracht. M&t: Wo entstand denn die idee der «cori spezzati»? Cavina: An verschiedenen Orten von Norditalien. Wir wissen, dass in Bologna zum Beispiel schon früh mit zwei oder sogar drei Chören musiziert wurde. Auch in Venedig wurde schon vor Andrea Gabrieli in San Marco mehrchörig gespielt und gesungen, der Niederländer Adriaen Willaert hat diese Praxis schon recht differenziert angewandt. Und manche Einflüsse kommen nicht einmal aus Italien selbst, sondern wurden im Norden vorgeprägt, zum Beispiel von Orlando di Lasso, der in den Niederlanden und in München wirkte. Andrea Gabrieli studierte bei Lasso und lernte dort die Doppelchorpraxis kennen. Als er nach Venedig zurückkehrte, entwickelte er in San Marco seine Version der doppelchörigen Psalmen und Concerti. Sein Neffe und Nachfolger Giovanni Gabrieli wurde dann der grosse Meister der Doppelchörigkeit mit reicher, vielfältiger Ausprägung dieser Technik und ihrer Erweiterung bis hin zu vier und fünf Chören. M&t: also gibt es grosse differenzen zwischen der Musik der beiden gabrielis? Cavina: Andrea steht noch in der Tradition der Consort-Musik: Alle spielen und singen dieselben Worte in homofonen Harmonien. Er nutzte die Doppelchörigkeit vor allem responsorial, als Spiel von Frage und Antwort, das an wichtigen und feierlichen Momenten in die Bekräftigung durch beide Chöre gemeinsam mündet. Bei Giovanni finden wir viele konzertante Elemente, nicht mehr nur ganze Chöre wechseln sich ab, sondern viele solistische Instrumente, bis hin zum virtuosen Wettstreit. M&t: es ist klar, dass im gegensatz zum päpstlichen ideal nicht nur singstimmen, sondern
Claudio Cavina: «Ein musikalischer Spaziergang durch den Raum der Kirche.» auch instrumente eingesetzt wurden. Welche instrumente spielen eine rolle? Cavina: In der Kirche hat man tatsächlich Instrumente verwendet, die den Gesang unterstützen, die sich dem Timbre der Stimmen anpassen wie die Zinken und Posaunen. Es gab auch Violinen und tiefere Streicher, vor allem aber hat man Blasinstrumente verwendet. Die Epoche unterschied stark zwischen «musica da chiesa» und «musica da camera», in welcher der Gesang viel moderater und stärker auf die Verständlichkeit des Textes ausgerichtet ist. In der Kir-
che entfaltete man den grossen Klang, pflegte das Demonstrative, die Fülle und Feierlichkeit, dazu passen auch die Zinken und Posaunen, die einen tragenden Klang haben. M&t: die auf den emporen agierenden Musiker sollten ja wohl auch wie stimmen vom himmel klingen? Cavina: Certo, es sind die Engel, die aus der Höhe singen. Man hört die Stimmen, man sieht nicht die Sänger, die Seele des Publikums soll bewegt werden. Die katholische barocke Kir-
artists chenmusik entfaltet schon im 16. Jahrhundert eine grosse Pracht und Feierlichkeit. Das ist grosses Theater, wie es sich auch in den aufwendigen Prozessionen ausdrückt mit ihren Gewändern und geschmückten Statuen. Die Musik soll die Manifestation dieser Feierlichkeit unterstützen. M&t: Was bedeutet das für die aufführung dieser Musik für ein ensemble heute? Cavina: Zum Glück sind wir sehr vertraut mit dieser Musik und diesem Stil, auch wenn wir als Ensemble ursprünglich vom Renaissance-Madrigal her kommen. Musik, die auf liturgischen Texten basiert, pflegt weniger den Textausdruck wie wir das in den Madrigalen finden. Die Akustik in der Kirche erlaubt keine zu schnellen Bewegungen und Verzierungen, die Harmonik ist vergleichsweise einfach. Im Madrigal ist die Poesie und die Farbigkeit des Textes sehr wichtig. In der Kirche haben wir lateinische Texte, die alle kennen: Der Text des Magnificats muss nicht im Detail verstanden werden, das kannten die Menschen damals auswendig. M&t: der kirchenraum in st. gallen ist wesentlich kleiner als san Marco. Was bedeutet das für ihre interpretation? Cavina: St. Laurenzen ist eine schöne Kirche, die Balkone erlauben mehrchörige Musik ohne weiteres. Ich bin neugierig, wie der Raum auf diese Musik reagiert, wie die Akustik sich auswirkt auf die Tempi und unsere Interpretationen. Giovanni Gabrieli liebte grosse Gruppen, er hatte bis zu 40 Sänger in San Marco, aber das ist in St. Gallen nicht nötig. Wir werden sieben Sänger haben, und 13 oder 14 Instrumentalisten: Zinken, Posaunen, Violinen, Orgeln und Theorben. M&t: der titel ihres Programms lautet «Festa a san Marco». Wie haben sie es aufgebaut? Cavina: Wir haben verschiedene Psalmvertonungen und Motetten der beiden Gabrieli ausgesucht, dazu zwei doppelchörige instrumentale Canzonen von Andrea, und wir schliessen mit einem grossen Magnificat in zwölf Stimmen. Nicht alles ist doppelchörig in diesem Programm, manchmal singen wir achtstimmig zusammen, manchmal sind wir geteilt in drei verschiedene Gruppen. Nicht alle werden ständig am selben Platz singen und spielen. Es wird eine Art musikalischer Spaziergang durch den Raum der Kirche sein. ■ La Venexiana, Leitung: Claudio Cavina Musik von Andrea und Giovanni Gabrieli. Freitag, 26. Juni, 19.00 Uhr, Kirche St. Laurenzen
Blick in den Chor von San Marco.
La Venexiana Nein, das x im Namen des italienischen Barockensembles ist kein Schreibfehler. «La Venexiana» ist eine anonyme italienische Renaissance-Komödie (1535–37), ein Vorläufer der «Commedia dell’arte», ein frühes Meisterwerk des Theaters, das italienische Hochsprache mit verschiedenen Dialekten mischt und damit Bräuche und Verhaltensweisen der Renaissance-Gesellschaft beleuchtet und aufs Korn nimmt. 1986 gab es übrigens eine Verfilmung der «Venezianerin» mit Laura Antonelli in der Hauptrolle. Das Ensemble «La Venexiana», das der Countertenor Claudio Cavina 1998 gründete, verknüpft in seinen Interpretationen die für diese Zeit typische Expressivität, die Aufmerksamkeit für die Subtilitäten der Sprache mit den Kontrasten zwischen Raffiniertem und Populärem, zwischen Kirchlichem und Profanem. Dieser alten Interpretationspraxis folgend, leitet Claudio Cavina auch kleinere Formationen mit einem diskreten Dirigat, das die Tempi ständig dem Fluss der Sprache angleicht. Claudio Cavina studierte in Bologna bei Candace Smith, später in Basel bei Kurt Widmer und René Jacobs, und sang als Countertenor in verschiedenen Ensembles und Produktionen. Mit «La Venexiana» konzentrierte er sich vorerst auf die grosse Tradition des Renaissance-Madrigals und pflegte neben Monteverdi und Gesualdo auch Komponisten wie Sigismondo d’India, Luca Marenzio oder Barbara Strozzi. Später wuchs das Interesse an der frühbarocken Oper, und «La Venexiana» machte sich auch mit Opern von Cavalli und Monteverdi einen Namen. Von Anfang an erschienen die Früchte dieser Arbeit beim spanischen Label Glossa auch auf CD. Gegen zwanzig Produktionen sind bereits veröffentlicht worden, darunter die kompletten Madrigale von Monteverdi, nebst den beiden Opern «Orfeo» und «L’Incoronazione di Poppea», aber auch Madrigale von Gesualdi, Luzzaschi, D’India, Marenzio oder Giaches de Wert. Im kommenden Herbst wird «La Venexiana» gleich zwei neue CD-Produktionen aufnehmen, einerseits Duette für zwei Countertenöre von Steffani, Benedetto Marcello und Händel, andererseits eine Zusammenstellung von Duetten für Sopran und Countertenor aus Opern von Francesco Cavalli.
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«Manchmal bin ich schon ein bisschen eifersüchtig» Maurice Steger und sein Ensemble lassen die Instrumentalmusik des frühbarocken Venedig auferstehen
M&t: Maurice steger, ihr Programm «Venezia 1625» lässt uns eintauchen in die Frühzeit der barocken instrumentalmusik. steht die Jahreszahl 1625 für ein konkretes ereignis? Maurice Steger: Nein, das ist nur ein ungefährer Anhaltspunkt. 1610 haben wir mit Monteverdis «Orfeo» die erste grosse Oper, nach 15 Jahren absolut wilder stilistischer Entwicklung. Wir haben in Venedig die erste Generation der grossen Instrumentalkomponisten mit Castello, Fontana und Salomone Rossi, die nächste Generation mit Uccellini oder Merula ist am Kommen. M&t: im Musikleben Venedigs spielt die kathedrale san Marco die unumstrittene Führungs-
rolle. Bei welchen gelegenheiten wurden die instrumentalen stücke gespielt? Steger: Die Monodie mit ihrer Ausgestaltung der Affekte ist erst gut zwanzig Jahre alt, das Solistentum ist neu, dass man eine Geigensonate spielt, ist neu. Musik soll nun Gefühle erwecken, nicht nur Gottes Lob sein. Sie wird dadurch bei neuen gesellschaftlichen Schichten etabliert. Davor gab es als Instrumentalmusik nur Tanzmusik, jetzt hält sie Einzug in die Palazzi. Aber die Besetzungen und die Stimmungen deuten darauf hin, dass diese Instrumentalstücke noch immer – auch oder vielleicht vor allem – in der Kirche gespielt wurden. Da sass Castello noch an der Orgel und hat seine Sona-
te begleitet. Und zwar allein, die heutige Mode, im 17. Jahrhundert überall Theorben im Generalbass einzusetzen, deckt sich kaum mit den historischen Verhältnissen. Ich finde, ein korrekt gespielter Continuo-Satz eines Organisten, kommt der Wahrhaftigkeit und Substanz der Komposition näher. M&t: auf ihrer cd «Venezia 1625» bringen sie aber ein sehr farbiges continuo mit. Steger: Ja, aber ich behaupte nicht, dass das damals so gewesen ist. Ich will einfach ehrlich sein. Auch in St. Gallen spielen wir mit Theorbe. Eine Orgel allein ist einfach zu wenig farbig, wir brauchen eine Besetzung, die emotionaler ist.
Bild: Marco Borggreve
artists M&t: halten sie sich in st. gallen an das Programm der cd? Steger: Nein, es ist sogar ziemlich verschieden. Die Kirche St. Laurenzen ist ein sehr guter Raum, da kann ich mit einem historisch weitgehend rekonstruierbaren passenden Ensemble spielen. Diese Stücke sind damals keine Kammermusik gewesen, das ist, glaube ich, ein zu moderner Gedanke. Wir machen einen Sprung zu Caldara als spätestem Werk im Programm. Er hat als erster geschrieben: Sonata da camera; und da ist dann ein Cembalo und eine eher tiefe Stimmung gemeint. M&t: auch für die Melodiestimmen haben die komponisten meistens kein bestimmtes instrument vorgeschrieben, sondern die Besetzung offen gelassen. Steger: Das war absolut üblich. In St. Gallen habe ich mit Fiorenza de Donatis eine tolle Barockgeigerin. Sie spielt die grosse Sonate von Castello, obwohl ich sie auch auf der Blockflöte spielen könnte. Ich habe mir als Gegenstück die Sonate von Fontana ausgewählt, die etwas intellektueller und bläserischer im Charakter ist. Aber der Siegeszug der Violine hat damals noch nicht richtig eingesetzt.
Maurice Steger: «Keine Musik ist probentechnisch so aufwendig wie Frühbarock.»
Auch ein Psalterium kann nicht nachgewiesen werden, dennoch setzen wir in St. Gallen diese Farbe ein. Aber ein wenig Zurückhaltung auf diesem Gebiet gehört heute zu meinem Personalstil, es wird meiner Meinung nach manchmal schon etwas übertrieben. Wenn ich so rumschaue, bin ich schon fast ein Hardliner geworden, daran muss ich persönlich schon ein bisschen knabbern. Was die Jungen machen, ist viel undogmatischer, und ein bisschen eifersüchtig macht es mich doch: Warum gebe ich mir eigentlich so viel Mühe, möglichst fundiert zu recherchieren, warum bin ich so ehrlich? Die Jungen sind mit diesen Klängen aufgewachsen, haben dadurch einen freien Zugang bekommen. Das ist sicher schön, und es klingt oft prächtig, aber ich vermisse manchmal ein bisschen einen Mangel an Konzept, an Struktur einer Komposition, was für mich schon immer noch das wichtigste ist an dieser Musik.
M&t: Warum verliert die Blockflöte später so stark an Boden? Steger: Man hatte in den 1630er- und 1640er-Jahren diese grossen Pest-Epidemien in Venedig, und es scheint tatsächlich, dass zum Beispiel viele der wirklich guten Zinken-Spieler dabei umgekommen sind. Es gab sie nicht mehr, sie bildeten keine neuen Virtuosen aus, und das hat, glaube ich, auch dazu beigetragen, dass diese Instrumente relativ rasch aus dem Gebrauch kamen. Es ist wirklich ein Bruch, auch bei den Blockflöten lässt sich Ähnliches beobachten. M&t: Vieles in dieser frühbarocken Musik erinnert stark an die consort-Musiken, die virtuosen solistischen Passagen werden immer wieder unterbrochen, die Musik wirkt kleingliedrig und dadurch abwechslungsreicher als später, etwa bei Vivaldi. Steger: Genau, deswegen haben Barockgeiger, die sich im 18. Jahrhundert auskennen, auch oft Mühe mit diesen Stücken. Man braucht viel mehr Wissen und eine starke Intuition für den Kontrapunkt. Die Rolle des Soloinstruments unterscheidet sich sehr von einem Vivaldi-Konzert, man ist manchmal nur eine Stimme in einem kontrapunktischen Gebilde, hängt kurz die Diva heraus, muss Affekte zeigen und gleich darauf wieder zurück gehen. Und vor allem muss man diese Rollen sehr schnell wechseln können. Im Hochbarock geht
alles viel länger, den ganzen Satz lang ist man der virtuose König des Geschehens, dann folgt eine Pause und ein Adagio mit ebenfalls ganz klarer Rollenverteilung. Hier, im frühen Barock, ist da alles noch nicht gefestigt, manches ist überraschend anders, wirkt willkürlich, ist sogar unlogisch. Es gibt viele Sackgassen in dieser Zeit. Keine Musik ist probentechnisch so aufwendig wie Frühbarock. M&t: Was heisst das für sie als leiter dieses ensembles? Steger: Ich kann nichts modellieren wie in der romantischen Musik, oder auch schon im Spätbarock. 90 Prozent der Interpretation wird in den Proben festgelegt. Man kann kaum etwas anzeigen. Aber ich kenne und liebe dieses Repertoire sehr, wenn mir Musik nahe liegt, dann diese. M&t: Müssen sie dafür bei den Veranstaltern kämpfen? Steger: Man kennt immerhin den Flötisten, sagen sie dann. Aber es ist tatsächlich ein Problem: Niemand kennt diese Komponisten. In St. Gallen war das jetzt sehr schön, sie kannten die CD und wollten genau diese Musik haben. Frühbarock kann ich nicht so oft spielen, dabei wäre es zum Beispiel hoch interessant, was zum Beispiel in Neapel in dieser Zeit genau passiert. Vielleicht muss ich eine CD machen, dann steigt das Interesse. Aber ich habe halt auch gelernt, dass die Musik, die ich wirklich sehr gerne spiele, für die mein Herz schlägt, nicht so richtig mehrheitsfähig ist. M&t: Wie reagiert denn das Publikum darauf? Steger: Es geht eher nicht mit Tränen in den Augen aus dem Konzert, sondern reagiert auf die ganzen Emotionswellen. Darum brauche ich auch die Klangfarben. Ich würde gerne alles nur mit Orgel spielen und das Gerüst der Komposition zeigen. Das geht natürlich nicht, dafür fehlen die Hörgewohnheiten. Aber ich erlebe oft, wenn ich solche Stücke in andere Programme integriere, dass die Leute nachher sagen, diese Tanzmusik von Merula hat mir am besten gefallen. Dann ist für mich die Welt in Ordnung.
Reinmar Wagner Maurice Steger & Ensemble «Venezia 1625»: Musik von Uccellini, Picchi, Castello, Kapsberger, Fontana, Caldara, Rossi und Merula. Das detaillierte Programm finden Sie im Service-Teil am Ende dieses Heftes. Dienstag, 23. Juni, 19.00 Uhr, Kirche St. Laurenzen.
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service
Programm I due Foscari Oper vOn Giuseppe verdi Open-Air-AufführunG Auf dem KlOsterhOf st.GAllen Musikalische leitung attilio tomasello inszenierung carlos Wagner Bühne rifail ajdarpasic kostüMe ariane isabell unfried licht guido Petzold choreinstudierung Michael Vogel Francesco Foscari Paolo gavanelli / leo an JacoPo Foscari leonardo capalbo / derek taylor lucrezia contarini Yolanda auyanet / Majella cullagh JacoPo loredano levente Páll / Wade kernot BarBarigo riccardo Botta Pisana simone riksman / alison trainer
19. Juni bis 3. Juli 2015
Chor des Theaters St.Gallen Opernchor St.Gallen Theaterchor Winterthur Prager Philharmonischer Chor Statisterie des Theaters St.Gallen Sinfonieorchester St.Gallen Premiere: Freitag, 19. Juni 2015, 20.30 Uhr Weitere Vorstellungen: 20., 23., 26., 27. Juni, 1. und 3. Juli jeweils 20.30 Uhr
vivAldi und dresden vivAldi und dAs flOrenz des nOrdens
Schweigerose
sonntag, 28. Juni, 19 uhr, Barocksaal der stiftsbibliothek
tAnzstücK vOn JOnAthAn lunn KAthedrAle st.GAllen
Johannes Pramsohler, Barockvioline Philippe Grisvard, Cembalo
choreograFie Jonathan lunn kostüMe Marion steiner licht andreas enzler draMaturgie serge honegger gesang thélème orgel Willibald guggenmos
vivAldi Bei den hABsBurGern
dienstag, 30. Juni, 19 uhr, Kirche st.laurenzen
Capella Gabetta Andrès Gabetta, Violine und Leitung
Tanzkompanie des Theaters St.Gallen
cheruBini – requiem
Premiere: Mittwoch, 24. Juni 2015, 21 Uhr Weitere Vorstellungen: 25. und 29. Juni, jeweils 21 Uhr
Luigi Cherubini | Requiem c-Moll (1817)
Konzerte Forum für Alte Musik l’OrGAnO A veneziA venediG in der OrGelmusiK
sonntag, 21. Juni, 17 uhr, Kathedrale Willibald Guggenmos, Domorganist St.Gallen
veneziA 1625 sOnAte, sinfOnie, ciAccOne, cAnzOne e tOccAte dienstag, 23. Juni 2015, 19 uhr, Kirche st.laurenzen
Maurice Steger, Blockflöte und Leitung
musicA A sAn mArcO cOri spezzAti – musiK im rAum
freitag, 26. Juni, 19 uhr, Kirche st.laurenzen La Venexiana Claudia Cavina, Leitung
donnerstag, 2. Juli, 20 uhr, Kathedrale
Sinfonieorchester St.Gallen Otto Tausk, Leitung Kammerchor Feldkirch Prager Philharmonischer Chor
Venezianische Stimmungen im St.Galler Klosterbezirk Die Atmosphäre des UNESCO-Weltkulturerbes ist einmalig und macht einen Besuch der St.Galler Festspiele zu mehr als einem Kulturgenuss. Für Ihr ganz besonderes Festspielerlebnis bieten wir Ihnen spezielle Angebote, die Sie individuell zusammenstellen können. Vor der Veranstaltung können Sie bei einer Werkeinführung mehr über die Oper «I due Foscari», den Komponisten Giuseppe Verdi, die Solisten und das Kreativteam erfahren. Die Produktion einer Oper unter freiem Himmel bringt ganz besondere Herausforderungen mit sich. Innerhalb kurzer Zeit werden Bühne und Zuschauertribüne gebaut, mit Sound und Licht ausgestattet, das Sinfonieorchester platziert, die 200 Mitwirkenden organisiert, damit am Ende die Kunst ganz im Mittelpunkt stehen
und strahlen kann. Bei unseren Backstageführungen zeigen wir Ihnen, wie es geht und was alles bedacht wurde. Planen sie einen anlass? Für gruppen, die ihren Festspielabend mit kulinarischen genüssen verbinden möchten, wird die Benutzung der zelte auf dem klosterhof sowie nahegelegener räumlichkeiten angeboten. gemeinsam mit dem catering-Partner Psg i Peter schildknecht gastronomie organisiert das Festspielteam apéros für die gäste. erMässigungen gruppen ab 15 Personen erhalten bei den st.galler Festspielen 10% ermässigung auf die gültigen tagespreise (ausgenommen 5. kategorie).
Nutzen Sie die Festspielangebote und lassen Sie sich gerne individuell beraten. Für Anfragen zu Festspiel-Events steht Ihnen Frau Lucia Zimmermann gerne zur Verfügung: Telefon +41 71 242 06 31 oder l.zimmermann@theatersg.ch
Vorverkauf online www.stgaller-festspiele.ch Jederzeit die besten Plätze aussuchen und online kaufen teleFonisch +41 71 242 06 06 die Mitarbeiterinnen nehmen ihre ticketwünsche entgegen und beraten sie gerne. schriFtlich st.galler Festspiele, Billettkasse Museumstrasse 24, ch-9004 st.gallen schriftliche Bestellungen mit angaben zum Vorstellungsdatum, anzahl tickets, kategorie können an obenstehende adresse gesandt werden. Bearbeitungsgebühr: Fr. 5.– Persönlich tickets können sie am schalter der theaterkasse in der Museumstrasse 24 oder während der Festspiele im Besucherzentrum stiftsbezirk an der gallusstrasse 11 direkt beziehen.
service
Verdis Kreuzritter-Rivalentragödie «I Lombardi», 2011.
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Ein wildes Drama um Faust: Berlioz‘ «La Damnation de Faust», 2012.
«La Favorita» von Gaetano Donizetti, die Festspieloper des Jahres 2014.
Bilder: st.Galler festspiele/t+t fotografie tanja dorendorf/toni suter/Hans Jörg Michel
Verdis «Attila», sein patriotisches Drama um den Hunnenkönig, stand 2013 auf dem Programm der Festspiele.
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impressum 36. Jahrgang, Juni/Juli 2015 Special Edition St.Galler Festspiele 2015
Korrektorat Ernst Jenny
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Written on Skin Ab 2. Mai im Grossen Haus
Mit grossz端giger Unterst端tzung von
M端ller-Lehmann-Fonds
theatersg.ch
Jordan Shanahan als Protector | Foto: Daniel Ammann
Oper von George Benjamin und Martin Crimp
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inserate
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