Serbien

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Serbien

www.n-ost.org  Netzwerk für Osteuropa-Berichterstattung  März 2013  8,00 Euro

Beilage

beton

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Ein Länderspezial von n-ost TYCOONS NACH TITO

PARTISANEN DES POP

JUGO-PLAZMA

Ausverkauf eines Landes – oder: Wer in Serbien wirklich die Macht hat

Sie sind jung, sie sind kreativ und sie trotzen nationalistischem Mainstream

20 Jahre nach dem Zerfall verbindet sich Ex-Jugoslawien neu – ganz ohne Nostalgie


Wir danken unseren Partnern:


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Editorial „Korruption, Krise und Kriegsvergangenheit“. Diese drei „K“s dominieren die Berichterstattung über Serbien. Als im Mai 2012 mit Tomislav Nikolić ein ehemaliger Gefolgsmann von Slobodan Milošević die Präsidentschaftswahlen gewann, sahen viele das Land endgültig auf dem Weg in eine rückwärtsgewandte Zukunft. Doch ausgerechnet diese national-konservative Regierung geht auf Kosovo zu, sie strebt in großen Schritten Richtung EU. Die pragmatischen Macher sind Männer wie Ivica Dačić, Serbiens „Mann aus der ersten Reihe“, der einen serbischen „Ja-Aber-Nationalismus“ pflegt (S. 22). Doch reicht Pragmatismus allein aus? Knapp 20 Jahre nach den Kriegen kritisiert die Menschenrechtlerin Sonja Biserko ihre Landsleute für deren „Flucht in die Opferrolle“ (S. 55) und sieht die internationale Gemeinschaft dabei mit in der Verantwortung. Auch der Belgrader Schriftsteller Miloš Živanović sagt: „Das nationalistische Echo hallt bis heute nach.“ (S. 67) Nicht nur er kritisiert, dass die EU zu sehr auf Formalien achte und zu wenig bemerke, dass sich im Land nichts verändert. Živanović veröffentlicht deswegen „anti-nationalistische Propaganda“ gemeinsam mit seinen Schriftsteller-Kollegen von Beton, einem feuilletonistischen Magazin. Auszüge aus der deutschsprachigen Spezialausgabe sind in diesem Heft abgedruckt – in Kooperation mit Beton und dem Literatur­ netzwerk Traduki. Die meisten Texte in diesem Länderspezial sind nach der n-ost-Medienkonferenz in Belgrad im Oktober 2012 entstanden: Mehr als 100 Journalisten aus Deutschland und mehreren ex-jugoslawischen Ländern haben gemeinsam recherchiert und diskutiert. Eine gemeinsame „Jugosphäre“, die während der vier Tage in Belgrad spürbar war, zeigt sich auch in diesem Heft: Protestchöre in der gesamten Region knüpfen an Traditionen aus der Tito-Ära an und geben ihnen neuen Inhalt (S. 39), eine ungewollt gewollte Annäherung zwischen den ehemaligen jugoslawischen Republiken in der Kultur, im Sport und der Wirtschaft beschreibt die Historikerin Irena Ristić (S. 34). Was die in diesem n-ost-Länderspezial versammelten Beiträge von Künstlern, Politikern, Fotografen und Autoren in der Zusammenschau spiegeln, das zeigt: Serbien ist nicht nur „Korruption, Krise und Kriegsvergangenheit“. Man muss mindestens zwei weitere „K“s hinzufügen: Kritik und Kreativität.

Tamina Kutscher, Redaktionsleitung

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Inhalt 06

Eine Tour durch Belgrad mit Architektin Vesna Vučinić

Tycoons nach Tito 22

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„Andrić würde nur mit dem Kopf schütteln“

Raša Stanisavljević, Literaturwissenschaftler 39

Protest nach Noten

Chöre singen von Missständen ein Liedchen 43

Der Jugo-Nostalgiker

Vojin Ćućić, Cafébetreiber

Serbiens De-Industrialisierung

Ein Land wartet auf bessere Zeiten

Die Defragmentierung Jugoslawiens

Eine ungewollt gewollte Annäherung

„Wir müssen die Wirklichkeit anerkennen“

Jadranka Jelinčić zur Kosovo-Frage 26

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Immer in der ersten reihe

Premier Ivica Dačić ist ein Technokrat der Macht 24

Jugo-Plazma

Die eigenwillige Metropole

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Volk im Dienste der Kunst

Das Dorf Jalovik wird zur Galerie

Der Verhüllungsskandal

Das große Schweigen der Massenmedien 31

Was war?

Die Kämpferin

Jelisaveta Vasilić, Juristin

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Politisch, Poetisch, Provokativ

Dragana Mladenović, Journalistin und Lyrikerin 55

Flucht in die Opferrolle

Das Relativieren von Verantwortung 58

Der Vermittler

Milorad Pupovac, Politiker und Professor 59

Der Nationalist

Milić Radević, Unternehmer und Biker


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Partisanen des Pop 62

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Anja Đukić, Künstlerin

serbien ohne Stolz

Die Realität hinter dem Erfolgsfilm „Parada“ 66 67

Stadt und Land

Die Unerschrockene

Bojana Ivković, Studentin und LGBT-Aktivistin

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Miloš Živanović über sein Feuilleton-Magazin Beton

Beilage Beton – das kulturpropagandistische Paket

Belgrads Inkubator

Savamala ist das aufstrebende In-Viertel der Hauptstadt

„Wir machen anti-nationalistische Propaganda“

die Tätowiererin der Belgrader Unterwelt

Vom groSSen Wandel im Kleinen

Selman Trtovac, Künstler 77

Mirko Ondrik – das Auge der StraSSe

Eine Fototour 88

Europa im Kleinformat

Ein Besuch in der Vojvodina 93

Der Grenzgänger

Miroslav Džunja, Ingenieur 94

Abgeschoben in den Container

Zwangsräumungen von Roma-Siedlungen 98

Die neuen Gastarbajter

Serbiens kreative Elite zieht’s nach Berlin 106

impressum

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Die eigenwillige Metropole In Belgrads Architektur spiegeln sich Serbiens Vergangenheit und Gegenwart. Ein Rundgang mit der Architektin Vesna Vučinić. Fotos: Boris Kralj, Milovan Milenković / Kamerades  Protokoll: Sonja Volkmann-Schluck


Foto: Boris Kralj

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Foto: Boris Kralj

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Block 23, Neu-Belgrad, 1975

Foto: Sarah Portner

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„Neu-Belgrad entstand nach dem Zweiten Weltkrieg auf dem Sumpfgebiet am linken Save-Ufer. Zunächst als Regierungsviertel für den neuen Staat konzipiert, wurden hier bald massenhaft Wohnungen für die vielen Zuzügler gebaut, die nach Belgrad kamen. Allein Block 23, von den Architekten Božidar Janković, Branislav Karadžić und Aleksandar Stjepanović geplant, hat fast 2.500 Wohnungen. Neu-Belgrad ist heute immer noch beliebt, auch bei meinen Freunden. Sie schätzen den Freiraum, die Parkmöglichkeiten und die vielen Radwege. In nur fünf Minuten ist man außerdem am Donau- oder Save-Ufer. Viele Wohnungen sind bis heute modern, denn es gibt Schiebewände, mit denen man die Räume verkleinern oder vergrößern kann.“

vorherige Seite: Das „Osttor“ von Belgrad, 1976 Terrassenförmig und versetzt: Die Plattenbauten in Belgrad symbolisieren den eigenen Weg der jugoslawischen Architektur als Gegenentwurf zum Sozialistischen Realismus der Sowjetunion.


Foto: Boris Kralj

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Sportzentrum des 25. Mai, 1973 Der 25. Mai, nach dem das Sportzentrum benannt ist, weckt in meiner Generation Kindheitserinnerungen. Am 25. Mai feierte Tito seinen Geburtstag, und wir den Tag der Jugend. Das Gebäude ist nur schwer zu erreichen, aber unbedingt einen Besuch wert. Straßen, Eisenbahnschienen und Industriebauten trennen das Ufer von der Stadt. Steht man dann vor dem Komplex, tut sich ein atemberaubender Blick über Donau und Save auf. Inspiriert von dieser magischen Naturkulisse baute der serbische Architekt Ivan Antić 1973 eines seiner gelungensten Werke, das sich mit viel Leichtigkeit und Dynamik in die Umgebung einfügt. Der Komplex wird von Stützen getragen, so hat man eine freie Sicht auf die Donau. Das schwebende dreieckige ehemalige Restaurant „Donau-Blume“ ist mittlerweile ein Fitnesscenter, das Sportzentrum heißt jetzt nach einem serbischen Wasserball-Sportler. Doch noch immer richtet Marschall Tito auf einer Tafel seinen Appell an die Jugend, ihre Gesundheit für den sozialistischen Staat zu stärken.“

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Foto: Boris Kralj

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Museum für Zeitgenössische Kunst, 1965

Foto: Sarah Portner

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„Das Museum für Zeitgenössische Kunst betrachte ich am liebsten von oben, wenn ich mit Touristengruppen im obersten Stockwerk des Ušće-Hochhauses in Neu-Belgrad stehe. Aus der Vogelperspektive liegt es als weißer, schräg geschliffener Diamant an der Mündung von Save und Donau. Es gilt als Juwel der modernen jugoslawischen Architektur. Die Belgrader Architekten Ivan Antić und Ivanka Raspopović realisierten es im Jahr 1965. Die sechs Prismen sind ineinander verschachtelt, im Inneren hat man deswegen je nach Standpunkt immer eine andere Perspektive auf die Kunstwerke. Das Gebäude ist sogar beliebig um weitere Prismen erweiterbar. Doch dazu wird es in nächster Zeit nicht kommen: Der weiße Marmor ist vergilbt, das Museum geschlossen. Es steht seit Jahren halb renoviert da und wartet auf seine Zukunft.“


Foto: Milovan Milenković

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Genex-Turm, 1980 „Wenn ich als Kind von einer Reise mit meinen Eltern nach Belgrad zurückkam und den Genex-Turm sah, wusste ich, wir sind bald zu Hause. Das mit 115 Metern zweithöchste Bauwerk der Stadt liegt direkt an der West-Ost-Autobahn und wird deshalb auch ‚Westtor‘ genannt. Sein Name geht auf die jugoslawische Import-Export-Firma Genex zurück. Trotz seiner 35 Stockwerke hat das Hochhaus von 1980 etwas Leichtes, fast Elegantes. Die zwei Türme hat Architekt Mihajlo Mitrović mit einer Bogenbrücke verbunden. Mitrović war Anhänger des Brutalismus, einer Richtung, die sich vom französischen Ausdruck ‚béton brut‘ (‚roher Beton‘) ableitet. Mitrović setzte auf unverfälschte Materialien und versuchte mit natürlichen und abgerundeten Formen die Geradlinigkeit der Moderne aufzulockern. Der Genex-Turm mit seinen Röhren und Bullaugen an den Außenseiten ist eines seiner Meisterwerke.“

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Ehemalige jugoslawische Staatsdruckerei, 1940 „Meine Großeltern wohnten in der Straße, in der auch die jugoslawische Staatsdruckerei steht, im Serbischen kurz BIGZ genannt. Noch immer wirkt das Gebäude auf mich mächtig und monumental. Dabei ist es durchaus luftig angelegt: Horizontale und vertikale Gebäudeteile sind rhythmisch angeordnet, Fensterbänder, Lochfassaden und Glasbausteine lockern die Struktur auf. Die ehemalige Staatsdruckerei wurde von Dragiša Brašovan entworfen. Sie gilt als Grundlage für den serbischen Nachkriegsmodernismus und war Vorbild für viele andere Bauten. Heute ist das Unter­nehmen BIGZ ruiniert und im Gebäude haben sich eine Jazzbar, Musiker und Künstler niedergelassen.“


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Foto: Milovan Milenković

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Foto: Milovan Milenković

Hof der Fürstin Ljubica, 1831 „Obwohl Serbien bis ins 19. Jahrhundert zum Osmanischen Reich gehörte, sind nur wenige Gebäude in Belgrad im orientalischen Stil beziehungsweise im Stil der traditionellen Balkanarchitektur erhalten. Eins davon ist das repräsentative Stadthaus der Fürstin Ljubica. Der serbische Fürst Miloš Obrenović ließ es 1831 für seine Frau errichten. Mit Erker, Walmdach, dekorativen Schornsteinen und einem Hammam verkörpert es die typische Balkanarchitektur, weist aber schon westliche Einflüsse auf. Damals löste sich Serbien gerade in mehreren blutigen Aufständen von den Osmanen, Belgrad wandelte sich von einer osmanischen in eine europäische Stadt. Die orientalische Stadtstruktur erkennt man im Südwesten der Stadt immer noch an der unregelmäßigen Straßenführung. Im nordöstlichen Teil wurden die Straßen nach dem Abzug der Osmanen ab 1868 begradigt.“


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Foto: Milovan Milenković

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Wohnhaus für Dr. Đurić, 1933 „Das Wohnhaus des Architekten Branislav Kojić von 1933 gehört zu den gelungensten Bauten der Zwischenkriegsmoderne in Belgrad. Kojić gehörte zur ‚Gruppe der Architekten der modernen Bewegung‘, 1928 in Belgrad gegründet. Sie waren von Le Corbusier und den modernen europäischen Strömungen beeinflusst. Die Stadt ist in der Zwischenkriegszeit stark gewachsen, deshalb gibt es viele interessante Objekte aus dieser Epoche. Ich selbst bewundere immer wieder die Bauten aus dieser Zeit wegen ihrer Klarheit und Zeitlosigkeit.“

Foto: Boris Kralj

Generalstabsgebäude, 1963 „Der 1999 von der Nato zerbombte Generalstab ist kein Mahnmal. Er steht einfach noch immer da wie nach seiner Zerstörung, aus mangelnder Entschlusskraft, wie mit ihm umgegangen werden soll. Wie viele andere Belgrader habe ich mich längst an den Anblick gewöhnt. Früher bildete der 1963 fertiggestellte Komplex ein städtebaulich gelungenes Ensemble mit den Regierungsbauten in der Nachbarschaft: Sein Architekt Nikola Dobrović war ein Meister darin, Objekte und Skulpturen in ihre Umgebung zu integrieren. Dobrović arbeitete als Stadtplaner in Belgrad und war für seine modernen Villen an der Adriaküste bekannt. Der Generalstab ist sein einziges Werk in der serbischen Hauptstadt. Mit seiner kaskadenartigen Architektur öffnete es sich zum Himmel und brachte Dynamik in die belebte Straßenkreuzung. In einem unversehrten Gebäudeteil ist bis heute das Militär untergebracht. Ob der Komplex je wieder aufgebaut wird, ist ungewiss.“

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Neue Serbische Nationalbank, 2006

Foto: Milovan Milenković

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„Das neue Gebäude der Serbischen Nationalbank wird in der Fachwelt und der Bevölkerung weitgehend ignoriert. Wahrscheinlich, weil der massige Bau einfach aus der Zeit gefallen scheint. Tatsächlich wurde er schon in den 1980er Jahren geplant, doch erst 2006 nach dem Zerfall Jugoslawiens wurde das Gebäude fertig. Für seinen Entwurf, damals für die Jugoslawische Nationalbank, hatte Architekt Grujo Golijanin 1982 den ersten Preis in einem internationalen Wettbewerb gewonnen. Eine Seite der Bank grenzt mit ihrer spiegelglatten Oberfläche wie eine Mauer an den belebten und chaotischen Slavia-Platz. Dabei ist sie mit ihrem terrassenförmigen Aufbau an der Hauptseite architektonisch durchaus interessant.“


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Foto: Milovan Milenković

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Foto: Milovan Milenković

Square Nine Hotel, 2011 „Das Square Nine Hotel ist ein Beispiel für gelungene zeitgenössische Architektur in Belgrad. Es wurde 2011 von Branislav Mitrović und Vasilije Milunović errichtet und von dem brasilianischen Architekten Isay Weinfeld fertiggestellt. Das Gebäude buhlt nicht um Aufmerksamkeit in der von Kontrasten geprägten Stadt. Mit seiner unauffälligen und schlichten Formsprache passt es sich seiner Umgebung an, als ob es immer dort gestanden hat. Mich persönlich erinnert es an die Zeitlosigkeit der Belgrader Moderne der 1930er Jahre. Das Hotel ist zudem einer der wenigen Neubauten im historischen Teil von Belgrad.“


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Foto: Milovan Milenković

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Büroturm Ušće, 1965 „In der Glasfassade des Ušće-Hochhauses spiegeln sich die vielen Umbrüche, die Serbien seit dem Zweiten Weltkrieg erlebt hat. Die Vorgaben für das 105 Meter hohe Gebäude von Mihailo Janković und anderen gehen bereits auf das Jahr 1947 zurück. Wie kein anderes Bauwerk verkörpert es die Idee des jugoslawischen, westlich orientierten Sozialismus. Bis 1990 war hier das Zentralkomitee der Kommunistischen Partei Jugoslawiens untergebracht. Schon damals hatte es eine schlanke Glasfassade. Dann zog Slobodan Milošević mit seiner Partei ein. Das Stahlbetonskelett hielt das Gebäude zusammen, als die Nato es 1999 bombardierte. Ein europäisches Firmen-Konsortium rekonstruierte das geschichtsträchtige Hochhaus, seit 2005 ist es Sitz internationaler Unternehmen. Heute ist es für mich ein Sinnbild dafür, dass marktwirtschaftliches Denken in Serbien die politischen Ideologien ersetzt.“


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» Belgrad ist eine Stadt der Kontraste  « Die Architektin Vesna Vučinić über die Faszination für ihre Heimatstadt Interview: Sonja Volkmann-Schluck

Was fasziniert Sie an Ihrer Heimatstadt? Belgrad ist wegen seiner strategischen Bedeutung oft erobert und zerstört worden, sodass keine kontinuierliche Entwicklung stattfinden konnte. Die fehlende Kontinuität verbirgt viele Entwicklungsansätze, die wir bei den Führungen Schicht für Schicht aufdecken. Wir ­versuchen Belgrad so zu zeigen, wie es ist: kontrastreich, vielschichtig und unvollständig. Womit können Sie Touristen und Ausländer überraschen? Belgrad ist eine Stadt der Kontraste. Oft stehen Gebäude aus verschiedenen Epochen wie selbstverständlich Seite an Seite: osmanische Stadthäuser, Jugendstilbauten, jugoslawische und moderne Nachkriegsarchitektur. Auch die malerische Lage Belgrads an der Mündung der Save in die Donau sowie der spektakuläre Blick von der mittelalterlichen Festung überraschen die Besucher. In Belgrad stehen noch viele jugoslawische Gebäude. Was war das architektonisch Besondere an dieser Epoche? Die jugoslawische Staatsführung setzte sich eigene politische, wirtschaftliche, gesellschaftliche und kulturelle Maßstäbe, die sich auch auf die Architektur ausgewirkt haben. Genau wie der Staat suchten auch die Architekten nach einem eigenen Weg zwischen West und Ost. Schon 1948 brachen sie mit dem Sozrealismus der Sowjetunion und orientierten sich am vorherrschenden Internationalen Stil, in den 1960ern entwickelten sie dann eine eigene Formsprache. Diese Epoche ist von einem enormen Arbeitseifer gekennzeichnet. Die jugoslawischen Architekten und Stadtplaner spielten eine gesellschaftliche Rolle beim Aufbau des Landes, dem Wohnungsbau, der Infrastruktur wie auch der repräsentativen staatlichen und öffentlichen Bauten. In den Städten entstanden völlig neue Viertel wie Neu-Belgrad, Neu-Zagreb, Neu-Sarajevo.

Erleben Sie Vesna Vucˇinić auf dem UšćeHochhaus in Belgrad:  ► www.ostpol.de/beitrag/3496-vesna_vucinic_von_360beograd

360BEOGRAD ist Mitglied der Guiding Foto: Marttin Fejer

Gemeinsam mit anderen Architekten bieten Sie Stadtrundgänge durch Belgrad an. Was zeigen Sie den Besuchern? Wir führen unsere Besucher durch Stadträume und Bauten, die etwas über die Entstehung und Entwicklung der Stadt erzählen. Wir haben den Schwerpunkt jugoslawische Moderne. Aber wir zeigen auch die vielen informellen Bauten, die in den vergangenen 20 Jahren in Belgrad entstanden sind: kleine Kioske und Wohnhäuser oder auch ganze Siedlungen, die ohne Genehmigung gebaut wurden – entweder von einfachen Leuten für sich und ihre Familien oder auch von profitgierigen Spekulanten.

Architects, einem internationalen Netzwerk für Architekturführungen. ► www.360beograd.org ► www.guiding-architects.net

Einige im jüngsten Krieg zerbombte Gebäude, darunter der Generalstab, sind bis heute nicht aufgebaut worden. Welche Rolle spielt die Zerstörung heute in der Stadt? Die noch sichtbaren Ruinen erinnern klar an die dunkle Zeit der Milošević-Ära, sind aber nicht als Mahnmal konzipiert. Die Regierung bringt einfach nicht den politischen Willen auf, das Zerstörte zu beseitigen. Noch dazu steht der Generalstab seit einigen Jahren unter Denkmalschutz. Er müsste also originalgetreu wiederauf­ gebaut werden. Es ist eine Situation entstanden, in der niemand etwas unternimmt, sondern sich jeder mit den hohen Kosten für einen Wiederaufbau herausredet. Gibt es einen Neuanfang in der serbischen Architektur? Die serbische Architektur besteht aus einer Mischung verschiedener kultureller Einflüsse. Sie selbst setzt eher keine Trends, sondern verfolgt bereits vorhandene Strömungen. Sie besitzt die Tendenz, Elemente aus verschiedenen Stilen aufzunehmen und sie auf oft romantische Art und Weise neu und modern zu interpretieren. So betrachtet gibt es keinen Neuanfang, eher die Fort­set­zung der serbischen Architektur, die nun nach der Stag­nation der vergangenen zwei Jahrzehnte von Jahr zu Jahr immer mehr zu bieten hat. Boris Kralj wurde in Deutschland als Kind jugoslawischer Gast­arbeiter geboren. Seit 1997 lebt er in Berlin und arbeitet hier als Fotograf für Mode und Architektur. 2012 veröffentlichte der Verlag „Neue Sachlichkeit“ sein Buch „My Belgrad“, in dem er fotografisch dem untergegangenen Jugoslawien nachspürt. Milovan Milenković arbeitet als freier Fotograf in Belgrad und gehört dem Fotografenkollektiv „Kamerades“ an (siehe Impressum).


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Serbien  JUGO-PLAZMA

Tycoons nach Tito


Foto: Marko Risović/Kamerades

Serbien  JUGO-PLAZMA

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Serbien  TYCOONS NACH TITO

Foto: Nemanja Jovanović / Kamerades

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Immer in der ersten Reihe Ivica Dačić rechtfertigte als Pressesprecher von Slobodan Milošević Wahlfälschungen und Kriegsverbrechen. Als Ministerpräsident will er Serbien nun in die EU führen. Für ihn ist das kein Widerspruch. Text: Sonja Volkmann-Schluck

Für die Vergangenheit ist in Ivica Dačićs Leben kein Platz. Als sie ihn einholt, bedroht sie für einen Moment seine politische Karriere. Es ist nicht die Vergangenheit, an die viele Serben zuerst denken, wenn sie ihren Ministerpräsidenten sehen. Acht Jahre lang, von 1992 bis 2000, war Dačić der Pressesprecher von Slobodan Milošević. In der Presse, im Radio, im Fernsehen, rechtfertigte er Tag für Tag dessen Wahlfälschungen und Kriegsverbrechen, beschimpfte die EU, die NATO und jene Serben, die gegen Milošević auf die Straße gingen. Nicht dieser Teil der Vergangenheit bringt ihn ins Wanken. Gefährlich wird ihm ein Drogendealer. Rodoljub Radulović, genannt „Miša Banana“, ist längst untergetaucht. Doch 2008 hat sich Ivica Dačić mit ihm getroffen, damals als Innenminister. Innerhalb des Drogenrings, der Kokain aus Südamerika nach Europa schmuggelte, nannte man ihn angeblich „Genosse“. Ivica Dačić gibt seine Kontakte zur Unterwelt zu. Im Februar 2013 droht Vizepremier Aleksandar Vučić mit Neuwahlen. Für einen Augenblick sieht es so aus, als wäre Dačić gescheitert: Seine Sozialistische Partei (SPS) ist geschwächt, der Ultranationalist Vučić dagegen ist mit Abstand der populärste Politiker Serbiens. Doch die Koalition bleibt bestehen. Denn Aleksandar Vučić braucht seinen Ministerpräsidenten, obwohl ihm nicht nur dessen

Kontakte zur Unterwelt ein Dorn im Auge sind. Im Juni will Brüssel ein Datum für den Beginn der Beitrittsverhandlungen mit Serbien nennen. Und auf dem Weg in die EU ist Dačić sein wichtigster Mann. Dačić verfolgt den EU-Beitritt mit beispielloser Hartnäckigkeit. Dazu gehört auch Imagepflege für sein Land. Im Herbst, als seine Kontakte zur Drogenmafia noch nicht aufgedeckt sind, kommt er mit einer Delegation nach Deutschland. Es ist Abend, das Neonlicht strahlt auf die deckenhohen Gemälde in den Räumen der Deutschen Bank in Berlin. Ivica Dačić betritt in Anzug und Krawatte den Saal, in seinem runden Gesicht spielt ein Lächeln. Zunächst lässt er etwas klarstellen. „Dies ist kein politischer Besuch“, sagt ein Sprecher des Verbandes, der Dačić eingeladen hat. „Bitte stellen Sie nur Fragen im Wirtschaftszusammenhang.“

Ein Meister im Ausblenden Wer Dačić in dieser halben Stunde zuhört, könnte meinen, dass Serbiens EU-Beitritt nur noch Formsache ist. „Für Oligarchen ist bei uns kein Platz“, sagt Dačić. „Die Geschäftsbedingungen bei uns sind die gleichen wie im Rest Europas.“ Kritische Themen – Kosovo, die Debatte um Asylbewerber aus Serbien, die Aufarbeitung der Kriege – sollen ausgeblendet werden.


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Ivica Dačić ist ein Meister im Ausblenden. Das Beiseiteschieben von unangenehmen Tatsachen hat ihn dorthin gebracht, wo er jetzt ist. Schon immer wechselte der 47-Jährige mit atemberaubender Flexibilität die Fronten. Und immer hat er davon profitiert. Dačić ist seit Sommer 2012 Ministerpräsident von Serbien. Sein Amtsantritt kommt für viele überraschend, der pro-europäische Präsident Boris Tadić hatte völlig unerwartet die Wahl verloren. Erstmals kommen in Serbien nun wieder die Nationalisten an die Macht, die in den 1990ern verantwortlich für die verheerenden Kriege auf dem Balkan waren. Dačićs Gesicht mit den durchdringenden blauen Augen ist vielen Serben aus dieser Zeit noch vertraut. Als Pressesprecher von Slobodan Milošević imitierte er sogar die Frisur seines Mentors. Seine Gegner nennen ihn bis heute „kleiner Slobo“. Nach dem Volksaufstand gegen Milošević im Jahr 2000 wird Dačić nahtlos für einige Monate Informationsminister der Übergangsregierung unter Staatspräsident Vojislav Koštunica. Bei den folgenden Wahlen landet die von Milošević gegründete Sozialistische Partei Serbiens zwar auf den letzten Plätzen, dennoch wird sie schnell rehabilitiert: Schon 2003 ist die Minderheitenregierung, die nach der Ermordung von Zoran Đinđić zustande kommt, auf die Duldung der SPS angewiesen. Die Partei bleibt das Zünglein an der Waage. Fünf Jahre später wird Dačić Innenminister unter dem pro-europäischen Präsidenten Boris Tadić. Schon dieser Schritt erstaunt viele, noch erstaunlicher aber ist Dačićs Erfolg: Sein neues Ziel, die Annäherung an die EU, verfolgt er zuverlässig und hundertprozentig. Binnen kürzester Zeit gilt Dačić, über den die EU noch vor wenigen Jahren ein Einreise­verbot verhängt hatte, als deren zuverlässiger Partner. Seit 2009 dürfen die Serben ohne Visum in die EU einreisen. Ab jetzt sehen viele in Dačić nicht mehr nur den ehemaligen Hand­ langer Miloševićs, sondern einen Macher.

Ein Technokrat der Macht Nach den Wahlen im Sommer 2012 buhlt die siegreiche Serbische Fortschrittspartei um Dačićs Unterstützung. Der neue Präsident Tomislav Nikolić, der sich in der Stichwahl überraschend gegen Boris Tadić durchgesetzt hat, ist ein alter Bekannter: In den 1990er Jahren war er Vizepräsident von Slobodan Milošević. Seine Partei ist ein Sammelbecken des serbischen Chauvinismus. Weil Nikolić weiß, dass ein Ministerpräsident aus seinem Lager nicht salonfähig wäre, bietet er Dačić das Amt an. Dačić willigt ein. Er bleibt Innenminister und wird Regierungschef. Bei seiner Antrittsrede sagt er: „Die Vergangenheit spielt keine Rolle.“ Wie wechselt man, ohne mit der Wimper zu zucken, von einem pro-europäischen zu einem ultranationalistischen Koalitionspartner? Wie wird man, ohne sich je von seiner Kriegstreiberei distanziert zu haben, plötzlich zum Verfechter der europäischen Integration? Das ist nur möglich, wenn man in Wahrheit keine Überzeugungen hat. „Dačić ist weder Nationalist noch Sozialist, sondern ein Technokrat der Macht“, sagt Michael Martens, der als Korrespondent der Frankfurter Allgemeinen Zeitung über den Nachkriegs-

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balkan berichtet. „Als es gestern opportun war, die Gewaltpolitik Miloševićs zu vertreten, tat er das mit souveräner Entschlossenheit. Heute ist der EU-Beitritt das Ziel, also tritt Dačić dafür ein.“ Für Dačić ist der Weg zur EU-Mitgliedschaft ein technischer Ablauf, ein Katalog von Kriterien, den er erfüllen und abhaken will. Ein Geben und Nehmen. Er macht Zugeständnisse, buchtet Mafia-Bosse ein und verhandelt sogar mit dem verhassten Kosovo. Im Gegenzug erhofft er sich Machtgewinn, Ansehen und Aufschwung für sein schwer gebeuteltes Land, das in einer tiefen Wirtschaftskrise steckt.

„Scheiß auf die EU“, sagte er vor laufender Kamera Dass Dačić den europäischen Gedanken nicht verinnerlicht hat, wird deutlich, wenn er sich nicht im Griff hat. „Scheiß auf die EU, wenn die Gay Pride die Eintrittskarte ist“, entfährt es ihm im vergangenen Herbst vor laufender Kamera. Dačić hat zum zweiten Mal eine geplante Schwulenparade in Belgrad verboten und dafür scharfe Kritik geerntet. Europäische Politiker weisen ihn auf Menschenrechte und Freiheiten hin, die ein EU-Beitrittskandidat gewähren müsse. „Lasst mich doch endlich in Ruhe mit diesen Geschichten über Menschenrechte“, sagt Dačić im Fernsehen. „Was für Menschen­rechte, hier geht es um die Sicherheit der Menschen.“ Zwei Jahre zuvor hatten Hooligans Belgrad bei dem Umzug in ein Schlachtfeld verwandelt. Doch ist es letztlich nicht egal, wer Serbien in die EU führt? Zählt nicht allein die Aussicht auf einen EU-Beitritt, der Serbien aus der Isolation lösen und seine Wirtschaftsbeziehungen verbessern würde? „Dačićs Einstellung zum Kosovo ist zwar pragmatisch und hat nichts mit Versöhnung zu tun. Aber immerhin hilft sie, die Beziehungen zwischen Albanern und Serben zu verbessern“, sagt beispielsweise die serbische Aktivistin Nataša Kandić, die mit ihrer „Stiftung für Menschenrechte“ serbische Kriegsverbrechen aufdeckt. Zwar thematisiere Dačić trotz seiner Mitverantwortung die Vergangenheit nicht. Doch er erkenne, anders als selbst die proeuropäischen Vorgängerregierungen, die Realität an. „Er sagt, Kosovo sei nur insofern Teil Serbiens, als es in der Präambel der serbischen Verfassung auftaucht“, erläutert Kandić. Im Klartext habe er damit akzeptiert, dass niemand Kosovo den Serben zurückgeben werde. „Dačić hat Serbien sozusagen ausgenüchtert“, so die Aktivistin. Doch für diesen Pragmatismus zahlt sein Land einen hohen Preis. „Die Auseinandersetzung mit der Vergangenheit wurde be­graben und hat einem ‚Ja-Aber-Nationalismus‘ Platz gemacht“, sagt der Balkan-Experte Michael Martens. „Nach dem Motto: Ja, ­Serben haben Verbrechen begangen, aber die anderen doch auch.“ Mit ­diesem Argument werde jede ernsthafte Beschäftigung mit ­serbischen Verbrechen abgewürgt. „Und daran droht die serbische Ge­sellschaft zu ersticken.“ Mitarbeit: Ljuba Klassen Sonja Volkmann-Schluck ist Redakteurin beim n-ost-Artikeldienst. Seit 2013 ist sie zuständig für www.ostpol.de, das neue Online-Magazin von n-ost.


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»  Wir müssen die Wirklichkeit anerkennen « 2008 erklärte sich Kosovo von Serbien unabhängig. Belgrad betrachtet Kosovo allerdings offiziell weiterhin als Teil seines Staatsgebietes. Dennoch wird Kosovo kein zweites Zypern werden, meint Jadranka Jelinčić, Direktorin des „Fund for an Open Society“ in Belgrad. Im Interview spricht sie über europäische Perspektiven, neue Grenzkontrollen, gegenseitige Wirtschaftsbeziehungen und darüber, wie es auch ohne einen serbischen Botschafter in Priština Normalität geben kann. Interview: Hubert Beyerle

Das Verhältnis zwischen Serbien und Kosovo war lange angespannt. Doch nun geschieht, was undenkbar schien: Seit 2012 verhandeln die Regierungschefs in Belgrad und Priština miteinander. Ich würde es gerne glauben, dass sich endlich etwas ändert, aber sicher bin ich mir nicht. Es stimmt: Es gibt Anzeichen, die ermutigen. Die serbische Regierung ist offenbar dabei, die Realität anzuerkennen. Das ist gut, denn ohnehin ist der Bevölkerung das Thema Kosovo viel weniger wichtig, als manche unserer Politiker glauben. Die meisten haben das Thema abgehakt und akzeptieren die Wirklichkeit.

Wie kommt es, dass sich ausgerechnet die neue Regierung unter dem offen nationalistischen Präsidenten Tomislav Nikolić nun pragmatischer zeigt? Das stimmt, es wäre ein De-Gaulle-in-Algier-Phänomen (Anm. d. Red.: Der rechtskonservative französische Staatspräsident entließ Algerien in die Unabhängigkeit.). Die Zeit dafür ist reif. Jedes Jahr verschwinden Hunderte Millionen Euro aus dem serbischen Budget auf intransparenten Wegen in Kosovo, und das bei einem bedrohlich hohen Haushaltsdefizit. Kosovo muss endlich ein funktionierender Staat werden.

Was für eine Wirklichkeit ist das? Dass Belgrad keine faktische Souveränität über Kosovo mehr hat – auch nicht über den serbisch besiedelten Nord-Kosovo. Die im Sommer 2012 abgewählte Regierung unter Boris Tadić hat viel Energie und politisches Kapital investiert, um eine Front gegen die diplomatische Anerkennung von Kosovo aufzubauen.

Was wäre dafür nötig? Der Norden von Kosovo ist ein Ort der organisierten Kriminalität, der Geldwäsche und der Korruption, in dem keine Steuern gezahlt werden. Bei einem Autounfall ist man dort völlig auf sich gestellt, es hilft keine Polizei. Das ist unhaltbar. Die im Dezember 2012 aufgenommenen Grenzkontrollen sind absolut nötig. Sonst bleibt Nord-Kosovo ein gesetzliches Niemandsland.

Aber war sie nicht erfolgreich darin? Es sind immerhin rund 100 Staaten, die sich weigern, Kosovo anzuerkennen – darunter auch fünf Staaten der EU. Ja, aber wer glaubt, es ginge den Regierungen dieser fünf EULänder um Serbien, der täuscht sich. Alle fünf Regierungen haben eigene Sorgen. Spanien sorgt sich um Basken und Katalanen. Rumänien und die Slowakei um die ungarische Minderheit. Zypern hat das Problem der Teilung seiner Insel und ist zur Anerkennung von Nordzypern nicht bereit – und Griechenland unterstützt Zypern darin. Sie alle tun das ja nicht aus besonderer Freundschaft zu Serbien.

Wie weit wird die serbische Regierung gehen? Was kann sie mit Kompromissbereitschaft gewinnen? Ich würde es nicht als Kompromiss oder Nachgeben bezeichnen. Die Realität anzuerkennen, ist für Serbien die große Chance, sich zu einer normalen europäischen Gesellschaft zu wandeln. Seit 20 Jahren ist die Frage, wo die serbischen Grenzen liegen sollen, die wichtigste Frage der serbischen Führungsschicht. Alles andere war zweitrangig. Nun haben wir die Chance, die­ ses Thema abzuschließen. Nur so können wir die Demokratie in Serbien retten.


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Foto: Medija centar Beograd

Serbien  TYCOONS NACH TITO

Jadranka Jelinc ˇ ić ist Direktorin der von George Soros gegründeten Stiftung „Fund for an Open Society“ in Belgrad. Sie ist seit 20 Jahren in der Bürgerrechts- und Friedensbewegung aktiv.

Fakten zu Kosovo

Wie das? Serbien braucht die europäische Perspektive. Die serbischen Eliten sind nicht stark genug, alleine das Land zu demokratisieren und zu einem wirklichen Rechtsstaat zu machen. Aber Serbien will doch in die EU, daran gibt es doch keinen Zweifel, oder? Das Ziel Europa reicht nicht, das ist gar nicht das Entscheidende. Die wirkliche Europäisierung geschieht über den Prozess der Verhandlungen und der Anpassung vieler Tausender Regeln und Institutionen. Der EU-Beitritt ist endlich die Chance für Serbien, sich zu europäisieren.

In Jugoslawien war Kosovo bis 1989 eine autonome Provinz, also faktisch den sechs Republiken gleichgestellt. 1998 eskalierten die Spannungen zwischen ethnischen Albanern, der überwiegenden Mehrheit der Bevölkerung, und Serben. Nach Meldungen über Massaker serbischer Sicherheitskräfte führte die NATO von März bis Juni 1999 einen Luftkrieg gegen Jugoslawien. Dem Krieg folgte ein UN-Protektorat über Kosovo. Am 17. Februar 2008 erklärte sich Kosovo unabhängig, und seit September 2012 ist Kosovo auch völkerrechtlich souverän. Allerdings haben es rund 100 Staaten der Welt noch nicht anerkannt, darunter Serbien sowie fünf EU-Staaten. Der Prozess der Staatsbildung ist noch lange nicht abgeschlossen: Kosovo leidet noch immer an den Spätfolgen des Krieges, etwa den fehlenden Melde- und Grundstücksregistern, was den Verkauf von Grundstücken und die Entwicklung eines Immobilienmarktes bis heute beeinträchtigt. Der Status des mehrheitlich serbisch besiedelten Nordteils Kosovos ist bis heute umstritten. Seit Dezember 2012 gibt es gemeinsam verwaltete Kontrollstellen an der Grenze zwischen beiden Staaten. Viele Serben im Norden Kosovos sehen dies als Anerkennung einer zwischenstaatlichen Grenze und fühlen sich von Belgrad im Stich gelassen.

In Zypern stehen fast vier Jahrzehnte nach der Teilung heute noch UN-Blauhelme an der „Demarkationslinie“. Ein Szenario für Kosovo? Nein. Brüssel fürchtet innerhalb der EU-Grenzen nichts so sehr wie einen zweiten „frozen conflict“ wie auf Zypern. Brüssel hat aus Zypern gelernt: Nach einem EU-Beitritt lassen sich solche Probleme nicht mehr lösen. Anfang Februar 2013 ernannte Belgrad den Juristen Dejan Pavićević zum Verbindungsoffizier, der Serbien bei der EU-Mission in Priština vertritt. Wann wird es einen serbischen Botschafter in Priština geben? Auf absehbare Zeit sicher nicht. Das fordert auch niemand, auch ich nicht. Formell wird Serbien Kosovo nicht anerkennen.

Westdeutschland hat die DDR auch jahrzehntelang nicht anerkannt. Aber wie soll die Zukunft denn aussehen? Es geht um Normalität: Wichtig sind funktionierende Wirtschaftsbeziehungen. Wir müssen Hochschulabschlüsse gegenseitig anerkennen und der kosovarischen Regierung die alten serbischen Einwohnerregister aushändigen, damit sie überhaupt eine Chance hat, einen funktionierenden Staat aufzubauen. Das ist es, worum es geht. Hubert Beyerle ist n-ost-Korrespondent und lebt zwischen Berlin und Sarajevo.


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Die Stahlfabrik am Ufer der Donau wurde 2012 stillgelegt. Wie es in Smederevo nun weitergeht, weiß derzeit niemand.


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Serbiens De-Industrialisierung Seit sich der ausländische Investor US Steel Anfang 2012 zurückgezogen hat, ist das einst blühende Smederevo eine Stadt im Wartezustand. Die Arbeitslosigkeit ist hoch und das Geld knapp. Die Leute hoffen auf bessere Zeiten, doch der Politik fehlen Konzepte. Smederevo ist in Serbien fast überall. Text und Fotos: Hubert Beyerle

Die schwache Strömung treibt Herbstblätter und Altholz langsam flussabwärts. Rund 60 Kilometer von Belgrad entfernt schaukelt Zorans Boot in der leichten Strömung im Seitenarm der Donau, der abgewandt der Stadt Smederevo hinter einer lang gezogenen Flussinsel liegt. Hier ist die Strömung schwächer und die Donau fischreicher. Dennoch bleibt die Angelrute ruhig, heute waren die Fische schlauer. Statt sich im Angelhaken zu verbeißen, knabberten sie den Fischköder vom Schwanz her ab. Zoran lacht und wirft die restlichen Köder in die Donau. „Heute war es eben nichts“, sagt er und ein Grinsen geht über sein Gesicht. Seit Zoran seinen Job im Stahlwerk von Smederevo verloren hat, schlägt er sich als Selbstversorger durch. Zu Hause wartet eine sechsköpfige Familie auf den Mittfünfziger. Die muss ernährt werden. Große Fische werden darum eingefroren. In seiner Kühltruhe lagern die Fänge erfolgreicherer Tage, einige davon mehrere Kilo schwer. In seinen kleinen Garten hat Zoran nicht nur ein Gewächshaus aus Plastikplane mit rund 100 Tomatenpflanzen, sondern auch einen kleinen Stall gebaut. Dort hat er dieses Jahr zwei Schweine mit selbst gemahlenem Maismehl aufgepäppelt.

Smederevo war die blühende Stadt Serbiens Dabei ging es Zoran lange sehr gut im Stahlwerk: US Steel hatte das Werk 2003 übernommen, die Löhne waren bei dem ausländischen Investor, einem der größten Stahlkonzerne der Welt, für ­serbische Verhältnisse gut. Netto lagen sie bei um die 500 Euro, deutlich über dem serbischen Schnitt von 350 Euro. Überstunden wurden gut bezahlt, alles war klar und fair in Kollektivverträgen mit der Gewerkschaft geregelt. Mit zuletzt 5.100 Arbeitsplätzen war die Stahlhütte einer der wichtigsten Industriebetriebe in ganz Serbien. In den besten Jahren machte das Werk fünf Prozent der industriellen Produktion des Landes aus und fast 14 Prozent der Exporte. Smederevo blühte auf, war die boomende Stadt Serbiens. Doch dann häufte das Werk Verluste an, weil der Stahlpreis auf dem Weltmarkt in den Keller rutschte. Der Investor zog sich zurück, verkaufte das Werk an die Regierung – für einen Dollar.

Seit Anfang 2012 ist die Stahlhütte stillgelegt. Seitdem ist ­Smederevo eine Stadt in Wartestellung. Nur noch rund 1.000 Mitarbeiter sind beschäftigt. Der große Rest ist freigestellt und bekommt Kurzarbeitergeld, gerade einmal 60 Prozent des letzten Lohns. Einer von ihnen ist Zoran. Aber er möchte nicht klagen, andere trifft es härter. Denn nicht alle haben einen eigenen Garten und können auf Selbstversorgung umstellen. Viele haben Kredite aufgenommen für ihr Auto oder für die Wohnung. Keiner weiß, wie es weitergehen soll. Die Regierung sucht nach einem Käufer für das Werk. Es zeichnet sich ab, dass ein russischer Investor den Zuschlag bekommt. Smederevo ist in Serbien überall: Das 7,2-Millionen-Ein­wohnerLand steckt in der Rezession fest, 2012 schrumpfte die Wirtschaft um zwei Prozent. Die Arbeitslosigkeit betrug zuletzt rund 27 Prozent, doppelt so viel wie 2008. Die Inflation frisst die Löhne auf, sie lag im Herbst 2012 bei 15 Prozent. Schien es jahrelang aufwärts zu gehen, so herrschen nun allgemein Zweifel, was die vergangenen Jahre gebracht haben. „Seit 2002 haben ausländische Investoren 18 Milliarden Dollar investiert“, sagt Dragan Matić von der Unabhängigen Gewerkschaft Serbiens. „Aber wir haben in der Zeit zwei von drei Industriearbeitsplätzen verloren: Von rund 900.000 Arbeits­plätzen zu Beginn der Privatisierung sind etwa 300.000 übriggeblieben.“ Auch die Zukunft verheißt wenig Gutes. Viele Unternehmen werden restrukturiert, weil sie ihre Schulden nicht bezahlen können. Weitere Entlassungen drohen. „Serbien hat ein völlig verfehltes Modell der Privatisierung gewählt“, sagt Matić in seinem Büro im Haus der Gewerkschaften in Belgrad, in dem die gepolsterten Türen noch vom Geheimhaltungsbedürfnis früherer Tage künden. Begonnen hatte die Privatisierungswelle schon unter dem autoritären Machthaber Slobodan Milošević Ende der 1990er Jahre. Seither wurden Hunderte von Unternehmen verkauft – im besten Fall an Auslandsinvestoren wie US Steel, aber das blieb die Ausnahme. Meist hat ein Tycoon sich für ein paar Dinar einen Betrieb ergattert, oft mit einem Bankkredit. Dann verscherbelte er das Vermögen, vor allem die Grundstücke und Immobilien.


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Seit Zoran seinen Job im Stahlwerk verloren hat, schlägt er sich als Selbstversorger durch.

Von der industriellen Substanz blieb selten etwas übrig. Wer durchs Land fährt, sieht überall verfallene Industrieanlagen aus den 1960er und 1970er Jahren. Es gibt wenige positive Beispiele für zukunftsweisende Investitionen, wie etwa das Werk von Fiat im zentralserbischen Kragujevac. Aber die sind kaum mehr als ein Tropfen auf dem heißen Stein. Die Regierung lockt die ausländischen Firmen mit hohen Zuschüssen von mehreren Tausend Euro pro geschaffenem Arbeitsplatz. Viele kritisieren, dass am Ende gar nicht klar sei, was Serbien von den Investitionen hat, wenn sie so stark unterstützt werden.

Ein wachsender Berg von faulen Krediten Seit 2010 trifft auch noch die europäische Schuldenkrise das Land. Die Banken sitzen auf einem wachsenden Berg von faulen Krediten, laut Zentralbank liegt er inzwischen bei 20 Prozent. Vor allem ausländische Banken sind vorsichtig geworden, es herrscht eine regelrechte Kreditklemme. So wartet Serbien auf bessere Zeiten. Überall und jedem fehlt es an Geld. Viele Unternehmen sind mit der Zahlung ihrer Löhne monatelang im Rückstand. In vielen Läden liegt ein Buch zum Anschreiben. Wie lange und wie viel angeschrieben werden darf, ist ein heiß umstrittenes politisches Thema. Dabei ist die Geldknappheit nicht das einzige Problem. Es fehlt auch an Strukturen: „Geld ist in Serbien auch deshalb knapp, weil man als Unternehmer seine Forderungen kaum eintreiben kann“, sagt Michael Ehrke von der Friedrich Ebert Stiftung. Im Schnitt dauert es 124 Tage, bis eine Rechnung bezahlt wird. „Man kann einem Schuldner nicht mit dem Gericht drohen.“ Es gibt im serbischen Recht für den Gläubiger faktisch keine Möglichkeit, vom Schuldner die Auszahlung seiner Schulden zu erzwingen. Nur Gefängnisstrafen lassen sich erreichen, womit aber keinem gedient ist.

Die Regierung reagiert planlos: Subventionen sind oft sozialpolitisch begründet und werden von der Sparpolitik immer wieder konterkariert. „Es fehlt die industrielle Idee“, sagt Vladimir ­Gligorov vom Wiener Institut für Internationale Wirtschaftsvergleiche. ­„ Serbien braucht vor allem Wachstum. Aber die Regierung hat keine Strategie dafür. Die derzeitige Sparpolitik reicht nicht aus.“ Unterdessen ist die neue Regierung nach ihrem Antritt zur allgemeinen Überraschung zur Aufräumaktion angetreten: Tycoons, die viele Jahre als unantastbar galten, werden öffentlichkeitswirksam verhaftet. Zuletzt hat es sogar die unbestrittene Nummer eins getroffen: Miroslav Mišković, Chef der Delta Holding, Serbiens größtem Privatunternehmen, 2011 machte es 1,4 Milliarden Euro Umsatz. Delta mischt in zahlreichen Branchen mit, von Versicherungen bis Agrarwirtschaft, macht ihr Geld allerdings vor allem mit Lebensmittelverarbeitung. Sie ist im ganzen Land verhasst, weil Lieferanten von Obst und Gemüse systematisch lange auf ihr Geld warten müssen. Bei seiner Verhaftung hatte Mišković dem ver­ antwortlichen Vizepremier Aleksandar Vučić laut Polizei­angaben mit der Ermordung gedroht. Tatsächlich ist das Versagen der Tycoons offensichtlich. Groß geworden sind die meisten von ihnen in der Zeit der Isolation unter Milošević, indem sie die kostbaren Importlizenzen vergoldeten. „Die Tycoons waren reine Importeure, sie haben keine produktiven Exportkapazitäten geschaffen. Sie sind nicht nur in der serbischen Gesellschaft, sondern auch international völlig isoliert. Darunter leidet Serbien bis heute“, sagt Ehrke. Serbien exportiert viel zu wenig und die Handelsbilanz ist tiefrot. 2011 deckten laut Berechnungen von Raiffeisen die serbischen Exporte nur rund 60 Prozent der Importe. Die Wut auf diese oft dubiosen Oligarchen ist groß, nicht nur bei den Belegschaften, sondern in der gesamten Bevölkerung. Mit ihnen will niemand etwas zu tun haben. Die Boulevardzei­ tungen berichten immer wieder genüsslich über ihre Kontakte ins Drogenmilieu oder ihre Verhaftungen. Doch so populär das Aufräumen ist: Ob es dem Land hilft, darf bezweifelt werden. „Wenn Jahre alte Fälle plötzlich wieder aufgerollt werden, ist das ein schlechtes Signal für künftige Investoren“, sagt Dragan Matić von der Gewerkschaft. „Das schafft gerade keine Rechtssicherheit.“ Insgesamt werden 24 Privatisierungen der vergangenen Jahre neu aufgerollt, auch auf Betreiben der EU. In Smederevo hat Zoran unterdessen seine beiden Schweine schlachten lassen. Der Haus-Metzger ist nach rund drei Stunden Arbeit fast fertig mit seinem Werk. In Zorans Garage türmen sich auf einem langen Holztisch die Berge fein sortierten Fleisches. „160 Kilo Fleisch, das reicht gut für das nächste halbe Jahr“, sagt Zoran. Und fügt stolz hinzu: „Das ist Serbien.“


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Verhüllungsskandal Weil Massenmedien in Serbien unter starkem Einfluss von Politik und Wirtschaft stehen, ist es vor allem die Zivilgesellschaft, die investigativen Journalismus vorantreibt. So wurden in den vergangenen Jahren viele Korruptionsfälle aufgedeckt – Enthüllungen, die die breite Öffentlichkeit jedoch nicht erreichen. Die Ausgangslage ist folgende: Ausnahmslos alle Medien in Serbien stehen heute unter dem Einfluss von Politikern und dubiosen Geschäftsleuten. Sie stecken tief im Korruptionssumpf. Denn auf ihrer verzweifelten Suche nach Geld schalten Zeitungen, Zeitschriften, Radio- und TV-Stationen Werbung, die ihnen etwas einbringt. Für sie stellt sich die Frage nach dem nackten Überleben. So geraten sie leicht unter den Einfluss mächtiger Geschäftsmänner und Politiker, die ihnen die Türen zu Krediten und Werbepartnern öffnen. Im Gegenzug helfen die großen Medien den Tycoons und Politikern, indem sie positiv über sie berichten. Sie vermeiden es, über Korruptionsaffären zu schreiben, mit denen ihre Geschäftspartner in Verbindung gebracht werden, oder aber sie verfassen negative Beiträge über deren Gegenspieler. Im Ergebnis wird über die aktuellen kritischen Fälle geschwiegen. Dennoch sage ich dem investigativen Journalismus in Serbien goldene Jahre voraus. Warum? Weil sich der investigative Journalismus in die Zivilgesellschaft hinein verlagert hat. Das Interesse daran war noch nie größer als heute – gerade weil die Massenmedien so korrupt sind. So gibt es in Serbien gleich mehrere journalistische NGOs, die Korruptionsfälle untersuchen: allen voran das Center for Investigative Journalism Serbia (CINS), in dem ich als Chefredakteur arbeite, daneben das Web-Portal Pištaljka, das Balkan Investigative Reporting Network (BIRN) sowie das regional vernetzte Organized Crime and Corruption Reporting Project (OCCRP), ein Partner von CINS, für den ich ebenfalls arbeite. Sie alle sind unabhängig und finanzieren ihre Projekte mithilfe internationaler Geldgeber wie der amerikanischen Entwicklungsbehörde USAID oder dem Open Society Institute (OSI). Neben diesen Zusammenschlüssen gibt es eine große Zahl von unabhängigen Bloggern oder Forum-Aktivisten, die eigenständig recherchieren und ihre Ergebnisse im Internet veröffentlichen. All diese Netzwerke kooperieren und haben in den vergangenen Jahren ­zahlreiche Affären aufgedeckt.

Foto: Stefan Günther

Text: Stevan Dojčinović

Stevan Dojčinović sagt dem investigativen Journalismus goldene Jahre voraus.

Es war außerdem niemals zuvor so einfach, über Kriminalität und Korruption zu recherchieren. Seit 2004 ist das Gesetz über den freien Zugang zu Informationen in Kraft. Eine Vielzahl von Informationen wird nun allmählich der breiten Öffentlichkeit zugänglich. Mit hartnäckigem Eifer und mühevoller Recherche kann man in diversen Dokumenten auf kriminelle und korrupte Verflechtungen stoßen. Denn als sie ihre Deals abschlossen, haben sich die Kriminellen, die korrupten Geschäftsmänner und zwielichtigen Politiker kaum vorstellen können, dass ihre Verein­ba­rungen eines Tages Journalisten zugänglich gemacht würden. Daher haben sie sich auch kaum bemüht, ihre schmutzigen Praktiken zu verschleiern. Dennoch: Neben diesen positiven Entwicklungen hat der ge­­samte zivilgesellschaftliche Sektor, der sich mit investigativem Journa­ lismus in Serbien beschäftigt, mit vielen Problemen zu kämpfen.


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Mundtote Medien in Serbien? „Unabhängiger Journalismus und freie Berichterstattung existieren in Serbien“, konstatierte Dunja Mijatović, die aus dem benachbarten Bosnien stammende OSZE-Beauftragte für Medienfreiheit, bei ihrem ersten offiziellen Besuch in Belgrad im September 2012. „Aber schaut man auf die Fälle von Bedrohung und Gewalt gegen Journalisten, so hat das seinen Preis“, fuhr sie fort. Außerdem mahnte sie an, dass das Problem nicht die Gesetze seien – vielmehr würden gute bestehende Gesetze nicht durchgeführt. Zuvor hatte 2011 der von der serbischen Regierung ernannte „Rat zur Bekämpfung der Korruption“ (SZBPK) mit einem Bericht über die serbischen Medien für großes Aufsehen gesorgt. „Besitzer und Politiker nutzen sie heute ausschließlich als Mittel zur Verbesserung ihrer Wahlergebnisse und der persönlichen Bereicherung“, heißt es dort. Einzelne Politiker machten sich die Medien mit vielen Millionen Euro über die An­ zeigenvergabe gefügig. Der Staatsrundfunk RTS (Radio-Televizija Srbije) unter Intendant Aleksandar Tijanić diene ausschließlich der Propaganda. Von 18 wichtigen Medien des Landes seien die wahren Besitzer unbekannt, weil sie offiziell dubiosen Offshore-Gesellschaften gehören. Als Beispiele dafür wurde Željko Mitrovićs Einfluss auf „TV Avala“ und Milan Bekos auflagenstärkste Tageszeitung „Vecˇernje novosti“ genannt. Im September 2011 nahm die Regierung Tadić eine Medienstrategie bis 2016 an, die der Harmonisierung der serbischen Gesetzgebung mit europäischen Standards dienen soll. Dazu gehört der Rückzug des Staates als Eigentümer aus den Medien, die Gründung von sechs regionalen öffentlich-rechtlichen Fernsehsendern und das Recht zur Gründung von Medien in den Sprachen der nationalen Minderheiten. Die neue Regierung unter Nikolić beschloss außerdem, 2013 einige Gesetze zu novellieren, darunter die Gesetze über den Rundfunk, über die Nachrichtenagentur Tanjug und über den öffentlichen Dienst.

Da sind die Standard-Probleme: mögliche Drohungen und Übergriffe auf Journalisten durch einflussreiche Einzelne, über die recherchiert wird. Das größte Problem aber ist, dass derzeit leider nur sehr wenige Medien bereit sind, unsere Texte über Kriminalität und Korruption zu veröffentlichen. Deshalb erreichen unsere Recherchen kein breites Publikum. Sie kommen auf unsere Websites, finden ihren Weg in die sozialen Netzwerke und auf andere Internet-Portale, dort aber endet ihre Reise Text: Mathias Ebert in die Welt – was unzureichend ist, um die breite Öffentlichkeit in Serbien über unsere Enthüllungen zu informieren. Nur vereinzelt veröffentlichen führende Medien in Serbien unsere Dies ist der größte Trumpf, den die Politiker, GeschäftsmänArtikel. Und wenn, dann nie unmittelbar nach unserer Aufdeckung, ner und die Mafia gegen den zivilgesellschaftlichen, investigativen sondern erst viel später: Wenn die Regierung oder diejenigen, die Journalismus haben: Was auch immer wir aufdecken, sie werden im Verborgenen die Medien kontrollieren, ein Interesse daran haben, die Wege in die großen Medien blockieren. Unsere Recherchen die Akteure, über die wir berichten, öffentlich anzugreifen. Dann werden nicht veröffentlicht, die breite Öffentlichkeit erfährt nichts bringen sie unsere Texte – vor allem zur Abschreckung. Der brei- über Korruption und Kriminalität. Ich hoffe, dass wir uns einen Platz in den Massenmedien erkämpten Öffentlichkeit aber wird so vorgegaukelt, dass es in serbischen fen und unsere Recherche so einer breiten Öffentlichkeit präsenMassenmedien eine investigative Berichterstattung gebe. Unsere Enthüllungen über die Machenschaften des serbischen tieren können. Denn solange das nicht der Fall ist, stellen wir keine Tycoons Miroslav Mišković etwa sind in den Massenmedien erst Gefahr für korrupte Politiker und Geschäftsmänner dar – sondern zwei Jahre später veröffentlicht worden. Als die Regierung die lediglich eine potentielle Drohung. Verhaftung Miškovićs wegen Korruptionsvorwürfen beschloss, Aus dem Serbischen von Lepa Stijepić startete sie gleichzeitig eine Negativ-Kampagne gegen ihn. Die meisten großen serbischen Zeitungen veröffentlichten unsere Stevan Dojcˇinović lebt als investigativer Journalist in Belgrad. Er ist Chefredakteur des Center for Investigative Journalism Serbia (CINS). Für seine Arbeit wurde Dojcˇinović mehrfach ausgeArtikel über Mišković gleich mehrfach. Diese Texte hatten mehr zeichnet, u.a. mit dem Daniel Pearl Award (2011). als zwei Jahre öffentlich zugänglich auf unserem Webportal gestanden, doch kein einziges größeres Blatt wollte sie drucken.


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Die Kämpferin Jelisaveta Vasilić, Juristin, Belgrad An den hohen Wänden hängen die Porträts aller Staatsmänner Serbiens – in vergoldeten Rahmen, mit ernstem Ausdruck. Davor sitzt Jelisaveta Vasilić – aufrecht und resolut. Sie ist Mitglied des Anti-Korruptionsrats in Serbien. Nur einer der sieben Mitarbeiter des Rats ist männlich. Politik, so scheint es, ist Männersache, Korruptionsbekämpfung dagegen Frauen­ sache in Serbien. „Korruption ist in jede Pore unserer Gesellschaft eingedrungen“, sagt die 72-jährige Juristin. 30 Jahre lang war sie Richterin – und Augenzeugin der allgegenwärtigen Korruption im Land: „Ich musste zusehen, wie einige Kollegen schnell aufgestiegen sind, weil sie Anweisungen aus der Politik befolgt haben.“ Aus Protest gründete Vasilić in den 1990er Jahren eine Gruppe unabhängiger Richter, die sich zum Ziel machte, freie Gerichte zu etablieren. Kurze Zeit später wurde sie von ihrem Richter­posten entfernt – auf Weisung von Slobodan Milošević. Der Anti-Korruptionsrat, für den sie heute tätig ist, wurde 2001 von der Regierung Đinđić gegründet. Als beratendes Organ spricht er Empfehlungen etwa zur Reform des Rechtssystems aus und sammelt Beweise für Korruptionsfälle.

„Ich bin zwar nicht mehr die Jüngste, aber ich werde kämpfen, solange mein Körper mitmacht“, sagt Vasilić. Dabei scheint ihr Einsatz wie ein Kampf gegen Windmühlen: 27 Berichte hat der Rat ausgestellt, eine Antwort der Regierung gab es nie. „Kein einziges Gesetz wurde entsprechend unserer Empfehlungen geändert“, erzählt Vasilić. „Auch die Gerichte haben selten etwas unternommen, wenn wir ihnen Beweise für Korruptionsfälle vorgelegt haben.“ Doch Aufgeben ist Vasilićs Sache nicht. Zumindest von einer Seite erfährt sie nun außerdem volle Unterstützung: Die EU hat ihre Bedingungen für einen EU-Beitritt Serbiens auch auf Grundlage der Berichte des Rats erstellt. Vasilić ist froh darüber und zuversichtlich, dass die Regierung unter Nikolić die Berichte berücksichtigen und danach handeln wird. „Jeder Intellektuelle muss seinen Beitrag im Kampf gegen die Korruption leisten – so auch ich“, sagt Vasilić. „Wir stehen erst am Anfang.“ Text und Foto: Rayna Breuer

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Foto: Jan Kempenaers

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Die Defragmentierung Jugoslawiens Die Nachfolgestaaten Jugoslawiens verbinden sich wieder neu. Die Belgrader Historikerin Irena Ristić beschreibt eine Bewegung, die nicht von oben initiiert ist, sondern auf Gemeinsamkeiten sowie ganz pragmatischen Erwägungen basiert – und der Region eine ungewollt gewollte Annäherung bringt. Text: Irena Ristić  Fotos: Jan Kempenaers

Als zu Beginn der 1990er Jahre der Zerfall Jugoslawiens eine Reihe von Kriegen auslöste, dominierten in der Öffentlichkeit ein paar einfache Erklärungsmuster. Sie waren auf den ersten Blick alle sehr überzeugend: Jugoslawien sei ein künstliches Gebilde gewesen, die jugoslawischen Völker seien von jahrhundertelangem ethnischem Hass gezeichnet und der Kampf der Kulturen habe in diesem Raum ein exemplarisches Beispiel gefunden, so die einhellige Meinung. Die Mehrheit der Bevölkerung habe deshalb auch nie wirklich an ein Zusammenleben geglaubt, war man sich einig. In der logischen Konsequenz war die Auflösung der Föderation geradezu eine Notwendigkeit gewesen. Doch mehr als 20 Jahre später zeigt der Blick auf den post­ jugoslawischen Raum etwas anderes. Innerhalb der Grenzen, die einst den gemeinsamen Staat ausmachten, lassen sich Prozesse beobachten, die leise und fernab von großen Ankündigungen eben diesen gemeinsamen Raum wieder verbinden – mit Inhalten, die für den postjugoslawischen Raum spezifisch sind. Der erste ranghohe Politiker, der offen davon spricht, ist Stipe Mesić. Im Jahr 2009 ruft der damalige kroatische Präsident Unternehmen aus dem postjugoslawischen Raum zu einer engeren Zusammenarbeit und einem gemeinsamen Auftreten im Ausland auf. Einerseits, so Mesić, seien die Firmen in den neu entstandenen Staaten in der Regel zu klein und somit nicht wettbewerbsfähig, um für große Infrastrukturprojekte beauftragt zu werden. Andererseits sollten Unternehmen vom guten Image Tito-Jugoslawiens

im Nahen Osten und in Afrika Gebrauch machen, das noch aus der Zeit des Kalten Krieges stammt. Die Bewegung der Blockfreien Staaten hatte sowohl eine enge politische als auch wirtschaftliche Zusammenarbeit angeregt. Diese wirtschaftliche Zusammenarbeit, zu der Mesić aufruft, ist zu diesem Zeitpunkt allerdings schon längst im Gange. Denn das Besondere an diesem Prozess war und ist, dass er nicht von oben initiiert wurde. Er strebt die Versöhnung nicht bewusst an, sondern erreicht sie eher als willkommenen Nebeneffekt. Es ist auch kein durch „Jugo-Nostalgie“ getragener Prozess. Vielmehr handelt es sich um Entwicklungen, die von unten angestoßen werden – durch Individuen, Unternehmen und Kulturinstitutionen aus dem ehemaligen Jugoslawien.

Ein Supermarkt wirbt mit dem Slogan „Friends forever“ Motiviert sind sie durch das Bewusstsein eines gemeinsamen Sprach- und Kulturraums, gemeinsame Erinnerungen und eine damit verbundene wirtschaftspragmatische Erwartung: beidseitiger Profit durch Austausch und Handel. Auf ökonomischer Ebene beginnen die wirtschaftlichen Eliten bereits im Jahr 2000, unmittelbar nach der Abwahl der autoritären Regime in Serbien und Kroatien, wieder mehr das Gemeinsame als das Trennende des jugoslawischen Raumes zu entdecken. So wirbt die bekannte slowenische Supermarktkette Mercator, als sie 2003 nach Belgrad zurückkehrt und ein Einkaufszentrum ­eröffnet, mit dem Slogan „Friends forever“. Anfangs empfinden die ­Belgrader

vorherige Seite: Die Kriegsdenkmäler aus der Tito-Zeit sind heute auch Monumente einer gemeinsamen Erinnerung. Das Mahnmal nahe Tjentište, im heutigen

Bosnien-Herzegowina, wurde von dem serbischen Künstler Miodrag Živković geplant und 1971 fertiggestellt. Es erinnert an die Partisanen, die in der Sutjeska-Schlacht gegen die Deutschen gefallen sind.


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Die Skulptur von Ivan Sabolić wurde 1963 errichtet und erinnert an die circa 12.000 Opfer des Konzentrationslagers „Crveni Krst“ („Rotes Kreuz“). Es steht im gleichnamigen Stadtteil von Niš im heutigen Serbien. Das Lager wurde nach der deutschen Besetzung 1941 errichtet und 1944 durch Partisanen der Jugoslawischen Volksbefreiungsarmee befreit.

diesen Slogan als einen Affront, es scheint ihnen scheinheilig, dass die Slowenen nach allem, was 1991 geschehen war, zurückkommen, um in Serbien Geld zu verdienen. Mit der Zeit verwandelt sich Mercator jedoch zu einem der beliebtesten Einkaufszentren. Der Grund liegt auf der Hand – die Belgrader haben in Mercator das wiederentdeckt, was sie noch vor den Kriegen mit diesem slowenischen Supermarkt verbunden hatten: einen ausgesprochenen Sinn für Qualität, Ordnung und gute Angebote. Und da sie sich mit den Produkten aus der Jugoslawienzeit identifizieren, sind sie auch eher bereit, ihr Geld bei einer slowenischen als bei einer westeuropäischen Lebensmittelkette zu lassen. Zweifelsfrei handelte es sich bei dieser slowenischen Investition und Rückkehr auf den serbischen Markt vor allem um ein finanziell lukratives Geschäft und somit um ein wirtschaftliches Interesse. Aber es ist nicht von der Hand zu weisen, dass der erwartete Profit mit hervorgerufenen Erinnerungen und tatsächlich vorhandenen Anknüpfungspunkten an eine früher gemeinsame Kultur verbunden ist – an die sich die Bürger gerne erinnern.

In der Kultur war die Wiederbelebung des gemeinsamen Raumes noch offensichtlicher. Buchverlage, Musiklabels und die Filmindustrie begannen noch vor 2000 den Markt der Nachbarstaaten zu entdecken. Leserschaft und Publikum teilten schließlich nicht nur die Sprache, sondern auch ähnliche Interessen, Alltagsprobleme, Sensibilitäten und Traumata aus den kurz zuvor beendeten Konflikten.

Höhere Qualität und mehr Aufmerksamkeit Während in den 1990er Jahren kroatische Filmverleiher Filme aus Serbien noch untertitelt hatten, um die politisch proklamierte Sprachendifferenz zu unterstreichen, entsteht heute in den Nachfolgestaaten Jugoslawiens fast keine größere Filmproduktion mehr, ohne dass Produktionsfirmen und Schauspieler aus dem gesamten postjugoslawischen Raum dabei sind. Dabei passt keiner seine Sprache oder Aussprache an. Bei Theaterproduktionen ist es sehr ähnlich. Diese „jugoslawische Internationalität“ hebt nicht nur die Qualität, sondern bringt auch die entsprechende Aufmerksamkeit und Popularität in der ganzen Region mit sich.


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Hören Sie Irena Ristić im Interview: ► w ww.ostpol.de/beitrag/3536der_balkan_waechst_zusammen

Tendenzen zu dieser ungewollt gewollten Wiederherstellung des jugoslawischen Raumes lassen sich auch im Sport beobachten. Vor allem in den einst in Jugoslawien sehr populären Teamsportarten wie etwa Basketball, Wasserball oder Fußball war die Spielqualität nach dem Zerfall Jugoslawiens drastisch gesunken. Dies hing vor allem damit zusammen, dass einst in Europapokalen sehr erfolgreich spielende Vereine aus dem ehemaligen Jugoslawien unter dem mangelnden Wettbewerb in den neugegründeten National-Ligen litten.

Gleichermaßen bewusst und unbewusst Als eine Antwort darauf wurde als Privatinitiative 2001 eine Basketball-Liga gegründet, die Adriatic Basketball Association (ABA-)League. Sie vereinte die führenden Basketballvereine aus den Nachfolgestaaten Jugoslawiens in einer Liga. Die anfängliche Skepsis wurde schnell überwunden und innerhalb kurzer Zeit knüpfte man an die ehemaligen sportlichen Rivalitäten und internationalen Erfolge an. Als Folge davon besuchten immer mehr Zuschauer die Spiele, was auch einen finanziellen Vorteil mit sich brachte. Mittlerweile ist die ABA-League eine etablierte Liga. All diese Beispiele zeugen von einer Annäherung innerhalb des postjugoslawischen Raumes, die gleichermaßen bewusst und unbewusst stattfindet. Bewusst, weil die vorhandenen Gemeinsamkeiten real sind und man sich bewusst ihrer Vorteile bedient. Unbewusst, weil Ziel dieser Prozesse in erster Linie weder die (politische) Annäherung noch die Versöhnung ist. Vielmehr handelt es sich um einen stillen Prozess, frei von äußeren Auflagen und Druck. Die Zusammen­arbeit entsteht einfach deshalb, weil sie aufgrund vieler Gemeinsamkeiten naheliegt­ und Vorteile mit sich bringt. Dass die Versöhnung und Aufarbeitung der gemeinsamen jüngsten Geschichte dabei nicht direkt thematisiert und gefördert werden, liegt in der Natur dieses Prozesses. Denn er baut auf dem Gemeinsamen, nicht auf dem Trennenden auf. Doch langfristig wird er auch eine positive Auswirkung auf die Verarbeitung und Überwindung der Vergangenheit haben. Dieser Beitrag zur Aussöhnung ist wie der Prozess selbst: stetig und still. Irena Ristić studierte Politikwissenschaften und Geschichte in Passau und Alaska/USA. Sie arbeitet am Institut für Sozialwissenschaften in Belgrad und promoviert an der Universität Regensburg.

Zur Erinnerung an gefallene Kämpfer der jugoslawischen Befreiungsarmee entwarf der slowenische Bildhauer Janez Lenassi dieses Monument in Ilirska Bistrica, im heutigen Süd­westen Sloweniens. Es wurde 1965 aufgestellt.


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Jan Kempenaers, geboren 1968, arbeitet in Antwerpen und ist eng mit der School of Arts in Gent verbunden. Er realisierte in den vergangenen Jahren viele künstlerische Projekte, die symbol­trächtige Bauwerke thematisieren. In „Spomenik“ („Denkmal“) zeigt Jan Kempenaers die stein­ gewordene Erinnerungskultur unter Tito. Kempenaers fotografierte in allen jugoslawischen Nachfolgestaaten mehr als 60 Monumente, die an die Faschismus-Opfer im Zweiten Weltkrieg erinnern. Das Buch erschien 2010 bei Roma Publications.


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„Andrić würde nur mit dem Kopf schütteln“ Raša Stanisavljević, Literaturwissenschaftler, Belgrad Ein grauer Block an einem kleinen Park. Am Klingelschild ein Name: Ivo Andrić . Die Klingel schellt, der Summer tönt. In der Wohnung, die heute Museum ist, lebte der Schriftsteller und Nobelpreisträger bis zu seinem Tod 1975. Im Türrahmen zwei Treppen höher steht ein schmaler Mann mit Bismarck-Bart. „Nein, ich sehe mich nicht als etwas Besonderes. Ich bin nur der, der den Leuten die Tür öffnet, wenn sie bei Ivo Andrić klingeln.“ Ein Augenzwinkern, eine einladende Handbewegung – Raša Stanisavljević, 55, ist der Hüter des Erbes von Serbiens berühmtem Schriftsteller. Doch solcherlei Lob wehrt er ab. Er versuche den Leuten Andrić näher zu bringen, mehr nicht. „Hej du, nimm mal das Handy runter! Zappelt nicht so! Sagt, was wisst ihr über Andrić?“ Finger schnipsen, eine vielstimmige Kakofonie von Kinderstimmen. Stanisavljević erzählt. Bedächtig, leise. Und die Kinderschar schweigt. Später steht der schmale Mann im Arbeitszimmer. Nein, niemals würde er sich in den Sessel des Meisters setzen, sagt er zur Fotografin, als sei dies die höchste Form von Blasphemie. Später rührt er in einer Tasse Kaffee.

„Ob Andrić Serbe war?“ Die Augen über dem Bart verengen sich zu Schlitzen. „Für manchen ist Andrić heute nicht Serbe genug. Viele Bosnier empfinden ihn wegen der ‚Brücke über die Drina‘ als Feind, einige Kroaten bezeichnen ihn als Verräter. Andrić würde wohl nur den Kopf schütteln“, meint Stanisavljević. „Er wurde in Bosnien in einer kroatischen Familie geboren und hat die meiste Zeit hier in Belgrad gewohnt. Aber nie hätte er sich als Serbe, Kroate oder Bosnier bezeichnet“, fährt er fort und sagt: „Er hätte mir sicher aus dem Herzen gesprochen und gesagt: ‚Ich bin ich – ein Mensch!‘.“ Raša Stanisavljević zeigt auf Dokumente, Fotos. Eine Zeitreise. Was von Andrić bekannt ist, zeugt davon, wie sehr er ein geeintes Jugoslawien begrüßte. Und die Idee eines geeinten Europas? Der Bart rutscht an den Enden nach oben. Ein Lächeln. „Ja, die Idee eines geeinten Europas hätte ihm sicher gefallen“, sagt Stanisavljević. „Serbien in der EU? Auch ich hätte nichts dagegen. Aber sagen Sie mir: Wird es die EU noch geben, wenn wir so weit sind?“ Text: Mirko Schwanitz  Foto: Constanze Flamme


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Der Chor „Horkestar“ protestiert singend für kostenlosen Nahverkehr in Belgrad.

Protest nach Noten Belgrads selbst organisierte Chöre können von sozialen und politischen Missständen im Land ein Liedchen singen. Den Gesang als Protestform haben sie dem Sozialismus abgeguckt. Von Jugo-Nostalgie kann dennoch keine Rede sein. Text: Simone Böcker  Fotos: Saša Colić / Kamerades

Ein Dutzend Männer und Frauen steht im Halbkreis an einer Bushaltestelle im Zentrum von Belgrad und schmettert Passanten lautstark ein Lied entgegen. Sie singen zur Gitarre und klatschen im Takt dazu. Drumherum halten Menschen Transparente und Schilder hoch, auf denen steht: „Wir wollen kostenlosen Nahverkehr.“ Kommt ein Bus, steigt das bunte Grüppchen ein – ohne zu bezahlen. Dazu fordern sie auch die anderen Passagiere auf, mit einer kleinen Ansprache, dann wird wieder gesungen. Die Stimmung im überfüllten Bus ist heiter, die ­Passagiere lachen. Mit der Causa der Sänger ist hier jeder einverstanden: Die Preise für die Tickets finden sie zu hoch und das neu eingeführte Bezahlsystem „Busplus“ unpraktisch.

Die Aktion ist ein Auftritt des Chors namens „Horkestar“, ein Wortspiel aus den serbischen Wörtern für Chor und Orchester. „Die Preise sind unfair, deswegen protestieren wir“, erklärt Chormitglied Ružica Vrhovac, ein Chormitglied. „Und das machen wir auf unsere Weise – indem wir singen.“ „Horkestar“ ist einer von mehreren selbst organisierten Chören, die sich seit Ende der 1990er Jahre in Belgrad gegründet haben. Selbst organisiert bedeutet: Es gibt keine Hierarchien, niemand braucht musikalische Vorkenntnisse, das Repertoire unterschiedlichster Musikrichtungen ist selbst gewählt, sie sind unabhängig von Institutionen und anderen Strukturen. Und am wichtigsten: Alles passiert learning by doing.


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So klingt „Horkestar“: Eine Auswahl von Liedern hören Sie unter  ► www.ostpol.de/beitrag/3577der_protestchor_von_belgrad

An der nächsten Haltestelle steigt die Gruppe aus und wartet auf einen neuen Bus. „Wir performen eigentlich meistens in öffentlichen Räumen“, erklärt Dirigentin Maria. Auf Märkten, in Altenund Kinderheimen oder Schulen suchen sie den direkten Kontakt mit ihrem Publikum. Oftmals enthalten ihre Auftritte auch Theaterelemente. Ganz in der Tradition von Bertolt Brecht und Kurt Weill sehen sie sich als Singspieler, die ihre politische Kritik gespielt und gesungen in Humor und Parodie kleiden. „Wir sind Belgrader Singspieler“, sagt Dirigentin Maria. In seinen Liedern thematisiert „Horkestar“ die heißen Eisen der serbischen Gesellschaft. Eins seiner bekanntesten Lieder heißt „Nasad!“. Das bedeutet „zurück“, in Abgrenzung zur üblichen „Vorwärts“-Rhetorik politischer Parteien. In dem Lied geht es um Neofaschismus und den zunehmenden Einfluss der Kirche auf die Politik.

Die Texte sind kritisch, oft ironisch Genauso liegt den Sängern aber auch das Politische im Privaten am Herzen: der Bau eines neuen Einkaufszentrums, Randgruppen, die Ausgrenzung von Homosexuellen. Die Texte ihrer Lieder sind kritisch, oft ironisch. „Niemals würde ich meinen Kopf abgeben, mein Lächeln, meine Seele“, heißt es beispielsweise im Lied „Hvala“ („Danke“), „denn all das werde ich noch brauchen!“ „Durch die Chöre entsteht eine neue Form des Widerstands gegen die Politik und gegen die offizielle Kultur“, so Dragan Protić, Gründungsmitglied des ersten selbst organisierten Chors in Belgrad namens „Horkeškart“, aus dem später wiederum „Horkestar“ hervorging. Dragan Protić gehört zu einer Gruppe aus Architekten und Künstlern, die in den 1990er Jahren mithilfe von Kunstaktionen Widerstand gegen den aufflammenden Nationalismus leistete. Damals hatten sie die Idee, für das Projekt „Tvoje govno – tvoja

odgovornost“ („Deine Scheiße, deine Verantwortung“), das auf die persönliche Verantwortung jedes Einzelnen während der Kriege abzielte, mit einem Chor aufzutreten. Damit knüpfen sie an die Partisanenchortradition aus jugoslawischen Zeiten an Auch Dragan Protić sang als Kind im Schulchor, schon damals faszinierte ihn die Energie, die das Singen hervorbringt. „In den 1990ern fragten wir uns, warum keines dieser Kollektive das musikalische Potential genutzt hat, um sich gegen das System zu wenden. Die Chöre waren stattdessen sogar Teil von regimefreund­ lichen Shows! Wir wollten die Stärke des gemeinsamen Singens nutzen, um Kritik zu üben.“ Sie organisierten ein Vorsingen, akzeptierten jedoch alle Interessierten, die kamen – es sollte ein offenes Kollektiv sein. Das Lied für ihre Performance stammte von dem kroatischen Liedermacher Arsen Dedić, der ein Gedicht über heilige Kühe verfasst hatte. „Das war eine Parabel auf das System, das keine Verantwortung übernehmen will, inmitten all der heiligen Kühe, die nicht angefasst werden dürfen“, erinnert sich Dragan Protić. Das war im Jahr 2000. Die politische Situation gab ihnen die Richtung vor. Sie begannen, die antifaschistischen Lieder aus dem Sozialismus zu intonieren. Ihr Auftreten, die Musik wurde frecher, punkiger. Sie zogen sich blaue Overalls an und wählten für ihre Auftritte Orte wie alte Fabriken oder Bergbautürme. Die Analogie zur Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg lag auf der Hand: Wieder ging es darum, das Land nach katastrophalen Kriegen neu aufzubauen. Und zwar in erster Linie moralisch. „In den 1990er Jahren wurden der Sozialismus und die antifaschistische Bewegung völlig verteufelt“, erzählt Dragan Protić. Besonders bei jungen Menschen seien diese Themen nur negativ besetzt gewesen. „Es war deshalb ungemein wichtig, die positive Seite unserer Geschichte wieder zu betonen.“


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„Horkestar“ sucht den direkten Kontakt zum Publikum. Die Musiker sehen sich als „Singspieler“, die ihre politische Kritik in Humor und Parodie kleiden.

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Bloß kein Stillstand: Die Chöre entwickeln sich ständig weiter.

Die Chöre erinnern an diese Traditionen der jugoslawischen Gesellschaft, stellen sie jedoch in einen anderen Kontext. Die Partisanenlieder halten die universellen Werte der antifaschistischen Bewegung hoch: Solidarität, kollektiver Widerstand, Menschenrechte. Das Singen dieser Lieder bedeutet für sie nicht Nostalgie, sondern Aufruf zum Widerstand gegen heutige neoliberale Realitäten. Ihre Performances verstehen die Chormitglieder als Akt der Solidarität mit den Arbeitern, mit den Unterprivilegierten, mit den Minderheiten.

Die Chöre sind untereinander gut vernetzt Mit Jugo-Nostalgie haben die Chöre genauso wenig am Hut wie mit den allerorten wieder aufkeimenden Nationalismen. Die Besinnung auf die alten jugoslawischen Singtraditionen bricht diese vielmehr auf, denn die Idee findet auch in anderen ex-jugoslawischen Republiken Anklang – auch dort haben sich selbst organisierte Chöre gegründet: „Raspeani Skopjani“ in Skopje, „Kombinat“ in Ljubljana, „LeZbor“ in Zagreb. Die Chöre sind untereinander vernetzt und treffen sich ab und zu auf Festivals. „In Zagreb haben einige Frauen von uns inspiriert einen lesbischen Chor gegründet“, erzählt Dragan Protić. „Das wiederum hat dafür gesorgt, dass auch in Belgrad ein lesbischer Chor entstanden ist. Das ist toll, wie das völlig selbst organisiert passiert, unvorhersehbar, unkontrolliert.“ Gerade deshalb, weil sich die Chöre das lebendige Chaos auf die Fahnen schreiben, entwickeln sie sich ständig weiter. Aus „Horkeškart“ entwickelte sich „Horkestar“, aus diesem wiederum ist ein weiterer Chor entstanden: „Proba“, mit der gleichen Philosophie, erklärt Dragan Protić. Zum Proben treffen sie sich in seinem kleinen Einzimmerapartment. Vom früheren sozialistischen Partisanenliedgut haben sie sich entfernt, sie wenden sich stattdessen aktuelleren gesellschaftlichen Themen zu. Mittlerweile schreiben sie auch eigene Texte oder vertonen Lyrik zeitgenössischer Dichter. „Unser Name sagt, dass wir ein unperfektes System sind“, sagt Dragan, „Wir üben, lernen, ändern uns permanent.“ Simone Böcker lebt seit 2007 in Sofia und berichtet vor allem für deutsche Radiosender aus Bulgarien und der Region. ˇ olić ist freier Dokumentarfotograf in Belgrad. Er arbeitet für zahlreiche serbische und internationale Zeitungen Saša C ˇ olić ist Mitglied im Foto­ und erhielt mehrere Auszeichnungen bei den wichtigsten serbischen Fotowettbewerben. C grafenkollektiv „Kamerades“.


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Der Jugo-Nostalgiker Vojin Ćućić, Cafébetreiber, Belgrad „Tito? Das war ein echter Staatsmann, anerkannt in aller Welt“, schwärmt Vojin Ćućić über den früheren Präsidenten der sozialistischen Republik Jugoslawien. Ćućić nennt sich selbst freimütig einen Jugo-Nostalgiker. Und das, obwohl er das Objekt seiner Bewunderung nie kennengelernt hat. Ćućić ist 1989 geboren – da war Tito schon neun Jahre lang tot. Dennoch hat der Marschall in Ćućićs Leben immer eine Rolle gespielt. Vor gut elf Jahren, als das Erbe Titos nach mehreren Kriegen am Boden lag, eröffnete sein Vater in der Belgrader Innenstadt ein Café, gewissermaßen um die geschundene jugoslawische Seele wieder aufzurichten. Benannt ist es nach Pavle Korčagin, dem kommunistischen Romanhelden des sowjetischen Autors Nikolai Ostrowski. Versteckt im Parterre eines Hinterhauses erinnert das Café an ein Kuriositätenkabinett des real existierenden Sozialismus: rote Sterne, Manifeste, Fahnen, Embleme und immer wieder Josip Broz Tito. Das alles ist ernst gemeint, wie Ćućić versichert. Er spricht freundlich und selbstbewusst. Inzwischen führt er das Café.

Er bezeichnet es als Rückzugsort: „Das hier ist freies Gebiet. Wo gibt es heute schon noch die Möglichkeit, sich an die damalige Zeit zu erinnern? Dabei ist das Teil unserer Geschichte.“ Unter seinen Gästen sind viele so jung wie er. Zunehmend kommen sie auch von außerhalb: Vor allem Slowenen zieht es her auf der Suche nach den guten alten Zeiten, wie Ćućić sagt. Doch viele kommen auch einfach nur, weil die Bar gemütlich, das Bier günstig und immer etwas los ist. Eigentlich hatte Ćućić nicht vor, Kneipier zu werden. Er hat Jura studiert, doch als ihn sein Vater bat, das Café zu übernehmen, zögerte er nicht. Trotz aller Nostalgie glaubt er nicht an eine Wiedergeburt Jugoslawiens. Dafür sei zu viel Blut geflossen. Aber er hält auch nichts von einem Beitritt Serbiens zur Europäischen Union. „Ich weiß, die Mehrheit ist für den Beitritt. Aber die EU will doch nur Geld von uns“, meint er. Dann lieber außerhalb der Bündnisse bleiben – so wie einst Idol Tito. Text: Steffen Neumann  Foto: Melanie Longerich

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1  Als der serbische Künstler Boris Sribar für seine Skulptur „Pink Pig“ ein Schwein schlachtete, gab es unter den Kollegen Diskussionen, während sich die Dorfbewohner daran weniger störten (2008). 2  Die Mitglieder der ersten Künstlerkolonie von Jalovik im Jahr 1978 3  Der sogenannte „Großvater“ Proka vor der Galerie von Jalovik (2006) 4  Auch Gedichte und Texte entstehen in Jalovik. 5  Gäste bei der Vernissage (1988) 6  Still aus dem Stop-Motion-Film von Bojana Petković (2009) 7  Die Landschaft um Jalovik ist hügelig, weshalb sie manche als „serbische Toskana“ bezeichnen. 8  Der amerikanische Künstler Jason Stewart während der Arbeit an seiner Skulptur „The Bird“ (1990)

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Volk im Dienste der Kunst In Jalovik, einem Dorf im Nordwesten Serbiens, wohnen seit 35 Jahren jeden Sommer rund zehn Künstler. Bewohner und Kunstschaffende inspirieren sich gegen­seitig. Mit ihrem besonderen Konzept hat die Kolonie von Jalovik den Sozialismus, die Wende und den Krieg überstanden – und das Dorf zur Galerie gemacht. Fotos: Künstlerkolonie Jalovik  Protokoll: Tamina Kutscher

Jalovik liegt zwischen vielen Hügeln im Nordwesten Serbiens, knapp 70 Kilometer von Belgrad entfernt. 1.590 Menschen leben in dem Dorf und noch mehr Hühner. Seit 1978 kommen außerdem an zehn Tagen im August Künstler nach Jalovik. Am Anfang waren es vor allem serbische Landschaftsmaler und Amateure, die nach alter Tradition auf dem Land nach Inspiration und guten Lichtverhältnissen suchten. Mittlerweile kommen jedes Jahr professionelle Künstler, auch aus dem Ausland, die mit unterschiedlichen Medien arbeiten: Malerei, Skulptur, Film, Performance. Viele Jahre nahmen die Dorfbewohner die Gäste bei sich zu Hause auf. Zum Dank haben die Künstler den Familien jeweils ein Werk hinterlassen und ein weiteres der Galerie des Ortes. Weil viele Leute aus Jalovik weg­ gezogen sind, wohnen die Kunstschaffenden heute allerdings in einem eigenen Haus.


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1  Jeden Morgen trank der spanische Maler Vicente Fita erst ein paar Gläser Rakija mit seinem Gastgeber (Mitte), dann stellten sich die Gajićs auf, um porträtiert zu werden. Das Bild aus dem Jahr 1998 hängt heute im Wohnzimmer der Familie. Foto: B. Nikolić

2  In den anderen Zimmern sind weitere Kunstwerke von Gästen zu sehen. 3  Ivan Ðurðević posiert vor einem Porträt, das Branislav Nikolić 1997 von dem damals Dreijährigen in Jalovik gemalt hatte. Mittlerweile ist die Familie in die Stadt gezogen, das Bild hat sie mitgenommen.

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Foto: B. Belić

Das Kunstverständnis der Dorfbewohner sei oft ein anderes als das der Künstler, meint der derzeitige künstlerische Leiter Branislav Nikolić, der sich als „Selektor“ bezeichnet und die Künstler auswählt. Allerdings respektierten die Leute aus Jalovik die Arbeiten, auch wenn sie sie nicht immer verstehen würden. Nikolićs Vater Dušan war einer der Mitbegründer der Kolonie, so wuchs Branislav Nikolić in seine Aufgabe quasi von klein auf hinein. Er kennt die meisten Leute aus Jalovik sehr gut und viele Anek­doten. So wollte ein Dorfbewohner der Malerin Jelena Radić einmal sogar ein Ölgemälde abkaufen, das ihm besonders gut gefiel. Das Bild zeigte ein Schwein. Der Handel kam allerdings nicht zustande, da der Bauer im Gegenzug auch mit einem Schwein bezahlen wollte.

Foto: B.Nikolić

Foto: B. Petković

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1  Der serbische Künstler Kosta Bogdanović war lange Zeit Kurator in Jalovik (1988). 2  Impressionen aus Jalovik 3  Künstler bei der Arbeit: Nikola Marković (2008) 4  Ein Dorf wird zur Galerie: das Bild „White Dress“ von Branislav Nikolić vor einer Scheune in Jalovik (2008). 5  Lange Zeit stellten die Dorfbewohner die Backsteine für ihren Hausbau selbst her. Auch das sei eine Form von Kunst, fand der Aktionskünstler Slobodan Peladić, und nannte die Aktion „Baking the brick“ (1990). 6  Ein Maler im Feld (1985) 7  Dorfbewohner mit „Gastgeschenk“ 8  Dorfbewohner mit einer Skulptur von Kosta Bogdanović (1988) 9  Gast bei der Vernissage (1988)

Foto: B. Belić

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Foto: T. Bonaventura

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Foto: J. Damjanović

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Foto: B. Nikolić

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1–2  Die Kunstwerke entstehen oft in enger Zusammenarbeit mit den Dorfbewohnern: Der italienische Fotograf Tommaso Bonaventura porträtierte 40 Kinder des Ortes für die großformatige Serie „Kids are Watching You“. 3–5  Die Kinderhüpfbälle, die der Künstler Veljko Zejak im Jahr 2012 für eine Installation benötigte, lackierte der Betreiber der örtlichen Autowerkstatt und fand schließlich eine ungewöhnliche Technik, sie zu trocknen.


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Foto: Lise Wulff

Foto: B. Nikolić

Die Künstler müssen sich an Rhythmus und Arbeitsbedingungen des Dorfes anpassen. „Man muss improvisieren und kreativ sein“, sagt Branislav Nikolić. „Und schließlich will man auch etwas leisten, mit den Kollegen mithalten.“ An den zehn Tagen der Kolonie gibt es in Jalovik Workshops, Tanzaufführungen und schließlich eine Vernissage. Die Künstler prägen das Leben im Dorf und umgekehrt: Viele der eingeladenen Kunstschaffenden veränderten nach den zehn Tagen in Jalovik ihren Arbeitsrhythmus. Insofern, meint Branislav Nikolić, sei die Kolonie in gewisser Weise eine „positive Form gegenseitiger Kolonisation“.

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Was war ?


Foto: Milovan Milenković

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Politisch, poetisch, provokativ Dragana Mladenović, Journalistin und Lyrikerin, Pančevo Treffen auf dem Belgrader Montmartre. Morgennebel. Die Skadarlija-Straße im gleichnamigen alten Künstlerviertel ist noch still. Dragana Mladenović lauscht den Geräuschen der Besen nach, mit denen die Wirte das Laub vom Pflaster fegen. Die 35-Jährige ist zurzeit Serbiens wohl radikalste Lyrikerin: politisch, poetisch, provokativ. In ihrem Gedichtband „Verwandtschaft“ (Edition Korrespondenzen 2011) beschäftigte sie sich mit nur einem einzigen Thema: der Verantwortung für serbische Kriegsverbrechen. Sie erzählt darin eine Familiengeschichte. Das Kind eines Kriegsverbrechers trifft am Ende auf dessen Opfer. Brisantere Lyrik gab es in Serbien in den vergangenen 20 Jahren nicht. „Ich habe selbst erlebt, wie einer von diesen Kriegsverbrechern in meiner Heimatstadt Pančevo in einer Familie untergebracht wurde, die ich kannte. Da wurde mir klar, dass diese Leute sich überall verstecken“, sagt Mladenović in der für sie typisch leisen, zurückhaltenden Art. „Wir kennen die Geschichte von Karadžić und Mladić. Der Kriegsverbrecher in meinem Buch steht stellvertretend für sie alle.“ Aus einem fiktiven Polizei-Protokoll formte Mladenović das Psychogramm einer noch immer gespaltenen Gesellschaft. Da

ist der stumme Serbe, der plötzlich zu reden beginnt, weil er nicht auch noch den letzten Anstand verlieren, stattdessen seine Ängste überwinden will. Und da ist auch die Sorte Mensch, die all jene für krank hält, die Kriegsverbrecher anzeigen wollen. „An uns seien auch Verbrechen begangen worden, das ist die gängige Meinung. Ich denke aber, dass es besser wäre, wenn wir uns für unsere Seite, für unsere Verbrechen entschuldigen“, so Mladenović. Auch sie habe lange gebraucht, um sich mit der Vergangenheit auseinanderzusetzen: „Sicher, mein Buch kam mit 15-jähriger Verspätung. Aber es war meine Art, um Entschuldigung zu bitten.“ Von der neuen serbischen Regierung, geführt von Ivica Dačić, dem früheren Sprecher Slobodan Miloševićs, erwartet Mladenović nichts. Auch nicht, dass dieser das Land näher an die EU führen wird. „Ich glaube nicht, dass es diese Hoffnung für die Zukunft gibt“, sagt sie. Text und Foto: Mirko Schwanitz


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Flucht in die Opferrolle Nach den Freisprüchen von kroatischen und kosovarischen Kriegsverbrechern in Den Haag missbrauche Serbien seine Opferrolle, anstatt sich der eigenen Schuld zu stellen, kritisiert die serbische Menschenrechtlerin Sonja Biserko. Aber auch die internationale Gemeinschaft mache es den Serben leicht, Verantwortung zu relativieren. Text: Sonja Biserko  Illustrationen: Aleksa Jovanović, Lazar Bodroža / Metaklinika

Knapp 20 Jahre nach den Jugoslawien-Kriegen fehlt Belgrad jeglicher Wille, sich mit dem brutalsten Konflikt in Europa seit dem Zweiten Weltkrieg auseinanderzusetzen. Stattdessen prägen Regierung und Medien in Serbien die öffentliche Meinung mit der These, dass die Serben erneut Opfer einer globalen Ungerechtigkeit geworden sind. Kurz nach den Freisprüchen des UN-Tribunals zugunsten der kroatischen Generäle Ante Gotovina und Mladen Markač sowie des kosovarischen Ex-Premiers Ramush Haradinaj Ende 2012 wurde dies einmal mehr deutlich. Der serbische Staatspräsident Tomislav Nikolić übermittelte folgende Botschaft: „Falls die internationale Gemeinschaft erreichen wollte, dass wir Nachbarländer uns zerstreiten, hat sie einen Weg gefunden.“


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Die Reaktionen von Staat und Medien in Serbien, aber auch die der Zivilgesellschaft, haben einmal mehr gezeigt, wie hartnäckig sich die Serben als Opfer fühlen. Sie offenbaren die derzeitige serbische Haltung gegenüber dem Haager UN-Tribunal und sogar gegenüber der jüngsten Vergangenheit. Serbien hatte erwartet, dass das Urteil den Vorwurf der „Beteiligung an einem verbrecherischen Unternehmen“ („joint criminal enterprise“) bestätigen wird. Denn die bisherige serbische Strategie ist die Relativierung von Verantwortung. Anstatt sich mit den eigenen Verbrechen und der eigenen Schuld auseinanderzusetzen, zeigt man mit dem Finger auf die anderen und sagt: „Wir haben etwas falsch gemacht, aber ihr auch!“

Die Anklage zielt auf Relativierung von Verantwortung Die Urteile wurden nun zum Fiasko dieser Strategie. Sie zeigen aber auch das Debakel eines Teils der internationalen Gemeinschaft. Dazu muss man sich nur mit der Anklageerhebung auseinandersetzen. Denn auch diese zielte auf eine Relativierung von Verantwortung ab. Sie war darauf ausgerichtet, Angehörige aller ethnischen Gruppen zu verurteilen: Es wurden Anklagen er­hoben gegen die kroatischen Generäle Ante Gotovina und Mladen Markač,

gegen den kosovarischen Ex-Präsidenten Ramush ­Haradinaj, gegen den bosniakischen Kommandeur Naser Orić sowie den bosniakischen General Rasim Delić. In all diesen Anklagen taucht außerdem die gleiche charak­ teristische Formulierung auf: „Beteiligung an einem verbrecherischen Unternehmen“. Dadurch sollten die Angeklagten mit den serbischen Kriegsverbrechern Radovan Karadžić und Ratko Mladić auf eine Stufe gestellt werden. Das führt zu einer künstlichen Gleichstellung der kriminellen Verantwortung aller Kriegsparteien. Diese relativierende Denkschule ist in vereinzelten politischen und intellektuellen Kreisen in Europa vorherrschend, die meinen, dass der Aussöhnungsprozess in der Region so vereinfacht werden könnte. Doch was folgt daraus? Einige Anklagen bleiben ganz aus, etwa für Verbrechen in Ostslawonien oder für die Militärspitze und die jugoslawische Präsidentschaft zu Beginn der 1990er Jahre. Die Anklagen gegen Gotovina und Haradinaj dagegen wurden erhoben, obwohl Juristen wie Geoffrey Nice, stellvertretender Chef-Ankläger beim Prozess gegen Slobodan Milošević, von Anfang an der Ansicht waren, dass die Beweise nicht ausreichten. Die Wahrheit des Krieges ist komplex, das kann man an dem Freispruch sehen. Dazu muss man jedoch etwas ins Detail gehen.


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Im Fall Gotovina und Markač hatte das UN-Tribunal den Tat­bestand der „Beteiligung an einem verbrecherischen Unternehmen“ – wonach die Militäraktion „Oluja“ („Sturm“) mit dem Ziel durchgeführt wurde, die Serben aus der Krajina systematisch zu vertreiben – nicht bestätigt. Und tatsächlich muss man die Militäroperation „Sturm“ differenzierter betrachten. Anfang August 1995 eroberten kroatische Truppen während dieser Aktion die von kroatischen Serben selbst proklamierte Republika Srpska Krajina zurück. Viele Serben wurden vertrieben oder mussten flüchten.

Belgrad setzt sich nicht mit der Wahrheit auseinander Doch die Operation läutete das Kriegsende ein, nachdem die serbischen Massaker an der muslimischen Bevölkerung in Srebrenica und Žepa geschehen waren. Sie brachte eine neue militärische Balance in die Region. Denn sie markierte das Ende einer mehrjährigen militärischen Übermacht der serbischen Armee – die sich danach aus Kroatien und dem westlichen Bosnien-Herzegowina zurückzog. Bei dieser Aktion handelte es sich zudem um eine Abmachung zwischen dem kroatischen Präsidenten Franjo Tuđman und seinem serbischen Kollegen Dobrica Ćosić, die noch von 1993 stammte. Diese Abmachung ist bekannt, doch in Situationen wie dieser weist in Serbien keiner darauf hin. Belgrad missbraucht lieber weiter die Opferrolle, als sich mit der Wahrheit der Kriege auseinanderzusetzen. Dabei hatte Belgrad bereits im Mai 1995 drei Offiziere der Jugoslawischen Volksarmee nach Knin entsandt, um die Evakuierung der Serben vorzubereiten. Nur eine kleine Zahl „Auserwählter“ wusste darüber Bescheid. Die meisten ahnten davon leider nichts – daher waren sie es, die auf der Zielgeraden geopfert wurden. Den Serben aus Kroatien wurde Anfang 1995 ein Friedensplan angeboten, der für die Krajina den Status eines Staates im Staat vorsah – Belgrad überredete sie jedoch, ihn nicht anzunehmen. Stattdessen hat Belgrad überaus organisiert Serben aus der Krajina in den von Minderheiten bewohnten Gebieten in Serbien angesiedelt. So wurde die früher ausgesprochen multiethnische Vojvodina ethnisch konsolidiert, wie die Ergebnisse einer Volkszählung im Jahr 2011 aufgezeigt haben. Die internationale Gemeinschaft ließ sich auf diese Vereinbarungen ein. Denn es überwog die Annahme, dass die Bildung ethnischer Staaten im Gange und die Rückkehr der Flüchtlinge keine reale Option sei. Serbische Medien bezeugten während und nach der Operation „Sturm“ den „Exodus“ der Serben. Zur Tragödie wurde der vor allem deswegen, weil jede Rückkehr in die Heimat später von Belgrad wie auch von Zagreb verhindert wurde. Unter solchen Umständen kam das Haager UN-Tribunal vermutlich nicht umhin, die gesamten, oftmals recht widersprüchlichen Betrachtungen zu reflektieren. So nützlich das Tribunal für die Region ist: Debatten über seine Arbeit stehen noch aus. Und da muss man auch über die Anklageerhebung sprechen. Denn die Fälle Haradinaj, Delić und Gotovina kann man nicht mit Karadžić und Mladić vergleichen und unter der gleichen Anklage „Beteiligung an einem verbrecherischen Unternehmen“ zusammenfassen. Mit dieser Art der relativierenden Gleichsetzung ist niemandem geholfen – Serbien am allerwenigsten. Aus dem Serbischen von Veronika Wengert Sonja Biserko, geboren 1948 in Belgrad, ist seit 1994 Präsidentin des serbischen Helsinki-Komitees für Menschenrechte. Sie beschäftigt sich mit der Aufarbeitung der jüngsten Vergangenheit. 2009 wurde sie mit dem Menschenrechtspreis der Stadt Weimar ausgezeichnet. Die Illustrationen sind dem concept book „Seed of the nation“ von Aleksa Jovanović und Lazar Bodroža entnommen. Aleksa Jovanović ist eine Belgrader Illustratorin, Konzeptkünstlerin und Malerin. Lazar Bodroža ist bildender Künstler aus Belgrad und Mitbegründer des Grafik- und Designstudios Metaklinika. Er ist Autor des Buches „Order“ und Regisseur des interaktiven Films „Über Life“.

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Der Vermittler Milorad Pupovac, Politiker und Universitätsprofessor, Zagreb Die Situation der Serben in Kroatien verbessere sich, sagt Milorad Pupovac, aber es gebe noch viele ungelöste Probleme. Pupovac ist kein Mann für schrille Töne und Gefühlsausbrüche. Der Linguistik-Professor spricht ruhig und wählt seine Worte mit Bedacht – egal ob in Serbisch oder in perfektem Englisch. „Viele Fortschritte, die wir in Kroatien gemacht haben, sind Ergebnis der EU-Beitrittsverhandlungen“, meint er. Deswegen hoffe er, dass die EU-Erweiterung auf dem Balkan weitergeht und die Zusammenarbeit mit den Nachbarländern verstärkt wird. Als Vorsitzender des Serbischen Nationalrats ist Pupovac einer der wichtigsten Köpfe der Minderheit in Kroatien. Für die Serbenpartei SDSS gehört der schlanke und hochgewachsene 57-Jährige dem kroatischen Parlament an, er leitet den Ausschuss für Außenpolitik und ist einer der kroatischen Beobachter im EU-Parlament. Pupovac wurde 1955 im kroatischen Dorf Donje Ceranje geboren, in einer Region, in der bis zum Zerfall Jugoslawiens viele Serben lebten. In die Politik ging er Ende der 1980er Jahre. „Ich wollte zusammen mit anderen Intellektuellen das damalige Jugoslawien demokratisieren“, sagt er. Sein Ideal ist bis heute eine liberale und pluralistische Gesellschaft. Im Krieg 1991 bis 1995 blieb der zweifache Vater gegenüber Kroatien loyal.

Heute spricht er von einer „schrecklichen Stimmung“, die unter dem autokratisch herrschenden Präsidenten Franjo Tuđman gegen die serbische Minderheit erzeugt worden sei. Als Vorsitzender des Serbischen Demokratischen Forums (SDF) kämpfte Pupovac in Zagreb gegen den vorherrschenden Nationalismus, den Krieg und für die Rechte der serbischen Minderheit. In Kroatien galt er als Tschetnik, als serbischer Freischärler, in Serbien als Verräter. Seine Eltern und der Bruder flohen 1995 vor der kroatischen Militäroffensive „Oluja“ („Sturm“) aus der Krajina, die die kroatischen Serben 1991 zur autonomen Republik erklärt hatten. Pupovac blieb und machte sich nach Kriegsende für die Rückkehr und Integration der geflohenen Serben stark. Auch wenn es immer wieder Streit gibt, ist er heute ein anerkannter Mittler zwischen Zagreb und Belgrad. Die Freisprüche für die „Sturm“-Kommandeure Ante Gotovina und Mladen Markač vor dem UN-Tribunal in Den Haag im November 2012 besorgen Pupovac. Sie störten „die Aussichten auf Versöhnung und Demokratie“. Die Freisprüche würden weder die Rückkehr der Flüchtlinge fördern „noch die Integration der Serben in Kroatien”, warnt Pupovac. Text und Foto: Falko Wittig


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Der Nationalist Milić Radević, Unternehmer und Biker, Belgrad „Ich bin Nationalist“, sagt Milić Radević, „kein Chauvinist. Ich hasse niemanden, ich bin nur stolz: auf mein Land, meine Fahne, meine Sprache und meine Schrift.“ In seinem „Čorba Kafe“, einer rustikalen Kneipe, ist alles in kyrillischer Schrift geschrieben. Das Licht ist gedämpft, aus den Boxen dröhnt Turbofolk, an den Wänden hängen serbische Wappen und Plakate von Bikern. Radević ist der Präsident des Harley-Davidson-Clubs Belgrad und hat 2011 die fünfte „Bike Rock Mission“ nach Mitrovica im Kosovo organisiert. 150 Biker sind aus Belgrad aufgebrochen, knapp 3.000 kamen in Mitrovica an, um dort an einem großen Rockkonzert teilzunehmen. „Kosovo ist unser Herz, das Herz Serbiens“, sagt Radević. Mit der Rallye haben die Biker Spenden für die serbischen Enklaven gesammelt, Radević und seine Freunde unterstützen dort die Ausbildung und Erziehung von 21 serbischen Kindern. Er ist regelmäßig dort oder lädt die Kinder nach Belgrad ein. Ob er auch während des Krieges 1999 im Kosovo war? „Die Frage möchte ich nicht beantworten“, sagt Radević. „Ich bin Geschäftsmann.“ Dann krempelt er den Ärmel hoch und zeigt eine Einschussnarbe im Oberarm. In Belgrad gibt er auch die Zeitschrift „Istok“ („Osten“) heraus. Auf dem aktuellen Titelbild sieht man eine Schwangere

und eine Kinderhand, die von innen gegen die Bauchdecke drückt, Daumen, Zeige- und Mittelfinger zusammengepresst in der Geste, mit der sich serbisch-orthodoxe Christen bekreuzigen. „Eine Frage des Überlebens“ ist der Titel – für Radević die alles umfassende Frage: „Überlebt ein Kind, überlebt unsere Kultur, überlebt unser Volk?“ Ihm zufolge gibt es gerade viele, die das Serbentum gefährden. Die Schwulenparade zum Beispiel: „Ich habe selbst schwule Freunde. Die können zu Hause machen, was sie wollen, aber sie sollen nicht rausgehen und provozieren!“ Überhaupt sei die Parade eine weitere lebensfremde Forderung aus Brüssel: „Erst sollten wir Karadžić ausliefern. Dann Mladić. Dann das Kosovo. Als Nächstes nehmen sie uns wohl die Vojvodina oder den Sandžak weg … Wann ist Schluss?! Wenn das der Preis für die EU ist, dann will ich da nicht hin.“ Text: Cornelia Kästner  Foto: Constanze Flamme

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Partisanen des Pop


Foto: Darko Stanimirović/Belgrade RAW

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Serbien ohne Stolz Die serbische Schwulenkomödie „Parada“ gewann den Publikumspreis der Berlinale 2012 und sorgte auch auf dem Balkan für lange Schlangen an den Kinokassen. Belgrads echte Gay Pride jedoch ist alles andere als eine Erfolgsgeschichte. Text: Krsto Lazarević  Fotos: Nemanja Jovanović / Kamerades, Constanze Flamme

Das verwüstete Stadtzentrum von Belgrad: Bei der Gay Pride 2010 kommt es zu heftigen Auseinandersetzungen zwischen homophoben Demonstranten und der Polizei.


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Kampferprobte Kriegsveteranen aus allen Teilen des ehemaligen Jugoslawiens finden sich zusammen, um lesbische und schwule Demonstranten in Belgrad vor Hooligans und Neonazis zu schützen. Letzten Endes wird deutlich, dass der erste Eindruck nicht immer der ist, der zählt. So sieht die Belgrader Gay Pride im serbischen Film „Parada“ aus, in dem sich am Ende alle prächtig verstehen, unabhängig davon, ob sie nun Hochzeitsplaner, Kriegsveteranen, lesbisch, schwul oder hetero sind. Regisseur Srđan Dragojević wirbt in seinem Film „Parada“ für die Verständigung zwischen Lesben, Schwulen, Transsexuellen und der homophoben Mehrheitsgesellschaft in den Nachfolgestaaten Jugoslawiens. Dafür wurde der Regisseur auf der Berlinale 2012 unter anderem mit dem Publikumspreis geehrt. In Kroatien und Serbien gilt der Film als einer der erfolgreichsten aller Zeiten. Die Realität sieht jedoch anders aus: Die echte „Parada“, die Gay Pride in Belgrad, ist eine Geschichte von Misserfolgen, Nationalismus, Gewalt und bröckelndem Engagement aus der Community selbst. 2012 wurde die Parade zum wiederholten Mal verboten. Aus „Sicher­heitsgründen“.

Foto: Nemanja Jovanović

Der Heiland ist umringt von Gay-Aktivisten Dabei hatte sie in dem Jahr eigentlich ganz friedlich begonnen: Jesus lacht und hat großartige Laune. Er fährt mit dem Fahrrad in der ersten Reihe, hinter ihm Regenbogenflaggen und gleichgeschlechtliche Pärchen, die sich küssen. Der Heiland umringt von Aktivisten, ganz vorne dabei auf einer Gay Pride. Das Jesus-Bild war Teil der Ausstellung „Ecce Homo“ der lesbischen Künstlerin Elisabeth Ohlson Wallin aus Schweden, die noch vor der Parade in Belgrad gezeigt wurde. Die Veranstalter hatten dem eigentlichen Marsch die einwöchige Pride Week vorangestellt. Partys, Filmabende und Coming-out-Sessions, die in Belgrad sonst eher hinter geschlossenen Türen stattfinden, wurden öffentlich beworben. Ohlson Wallin zeigte in ihrer Ausstellung Jesus nicht nur als Teilnehmer einer Gay Pride, sondern auch beim letzten Abendmahl umgeben von Transsexuellen und Aidskranken. Die Künstlerin wollte damit daran erinnern, dass Jesus sich insbesondere um die Ausgeschlossenen in der Gesellschaft gekümmert hat. Bereits während der Ausstellung, die mit etwa 100 Teilnehmern eher dürftig besucht war, waren 2.000 Polizisten im Einsatz, um die Vernissage vor angereisten Fußballhooligans und Neonazis zu schützen. Als die Gay Pride nur wenige Tage vorab verboten wurde, gab Ministerpräsident und Innenminister Ivica Dačić den Aktivistinnen und Aktivisten eine Mitschuld: „Genauso wie die Anhänger der Gay-Community ein Recht darauf haben, ihre Identität auszuleben, haben die religiösen Menschen in diesem Land das Recht, nicht von einer solchen Ausstellung beleidigt zu werden. An dem Verbot des Marsches sind auch die Organisatoren schuld.“ Dabei war man schon einmal weiter. Am 10. Oktober 2010 wurden 5.600 Polizisten aus dem gesamten Land eingesetzt, um die knapp tausend Teilnehmer der „Parada“ vor 6.000 Gegendemonstranten zu schützen. Diese waren aus dem gesamten westlichen Balkan angereist, um die „schwule Seuche“ zu bekämpfen. Die Innenstadt wurde an diesem Tag verwüstet, Autos brannten aus, es kam zu über 150 Verletzten, hauptsächlich Polizisten. Rechtsextreme Organisationen finanzierten Busse, die den prügelnden Pöbel kostenlos vom Land in die Belgrader Innenstadt und wieder zurück fuhren. Orthodoxe Priester standen zwischen den Neonazis und motivierten diese, auf Polizisten und Demonstranten einzuprügeln.


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Foto: Nemanja Jovanović

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Jesus als Gay-Aktivist: Die Serie „Ecce Homo“ der schwedischen Künstlerin Elisabeth Ohlson Wallin sorgte bei der Belgrader Pride Week 2012 für Aufregung.

Und dennoch, die Teilnehmer des Marsches 2010 waren gut geschützt, wohl nicht zuletzt deswegen, weil die damalige Regierung unter Boris Tadić ihre EU-Tauglichkeit unter Beweis stellen wollte. Schon bei der ersten Pride 2001 hatte es ähnliche Bilder gegeben: Nachdem Milošević weg war, hofften viele, die Menschenrechtssituation in Serbien würde sich sichtbar verbessern. Zumindest die LGBT-Community wartet darauf bis heute.

Viele Aktivisten haben resigniert Nach den Ausschreitungen 2010 resignierten einige der Aktivisten in Serbien, andere haben den Weg in die Politik gefunden. Wer wissen will, wie es um den Parlamentarismus in Serbien bestimmt ist, dem sei geraten, die Zentrale der mitregierenden serbischen Sozialisten aufzusuchen. Das Gebäude wirkt verfallen und heruntergekommen. Kabel hängen aus der Wand, auf der Toilette sind die Sitze abgefallen, die Mitarbeiter zeigen sich unmotiviert. Der repräsentative Raum, in dem Gäste empfangen werden, sieht aus wie zu den Zeiten Titos: fensterlos, dunkel, roter Samt auf Holztischen. Hier sitzt Boris Milićević, der einzige serbische Politiker, der sich geoutet hat. Er trägt ein T-Shirt der holländischen Jungen Sozialisten und Bart. Im Gegensatz zu seiner Umgebung macht er einen sehr lebhaften Eindruck. Er sieht sich als Teil einer internationalen Bewegung und ist deswegen Mitglied der SPS, der Sozialistischen Partei Serbiens geworden. Auch Ivica Dačić und der Filmemacher Srđan Dragojević sind Mitglied in der Partei. Diese ist ein buntes Sammelsurium aus linken Aktivisten, die sich für

die Rechte von Schwulen, Lesben, Bisexuellen und Transgender einsetzen, und alten Milošević-Kadern geworden. Hier kommt zusammen, was nicht so recht zusammenzupassen scheint. Deswegen wird Milićević von vielen Aktivisten angefeindet. Schließlich ist gerade die SPS bekannt für die homofeindlichen Äußerungen ihres Vorsitzenden. Fragen nach reaktionären Tendenzen in seiner Partei weicht Milićević aus: „Mir gegenüber hat sich noch niemand in der Partei feindselig geäußert”, sagt er dann. Milićević war einer der Organisatoren der allerersten Pride 2001 und Mitbegründer der Belgrader NGO Gay Straight Alliance. Im vergangenen Jahr sprach er sich aber gegen den Marsch aus. „Natürlich wollen wir eine Parade, aber nicht um jeden Preis. Über 5.000 Polizisten sind notwendig, um die Veranstaltung zu sichern“, sagt er. Und fügt hinzu: „Sicher, die Zahl der Gegner wird sinken, aber das braucht noch Zeit. Auch in Deutschland wäre eine solche Veranstaltung vor 30 Jahren noch nicht möglich gewesen.“ Sein Stimmungswandel zeigt, wie kontrovers die Pride auch innerhalb der Community diskutiert wird. Viele haben resigniert, auch weil sie davon ausgehen, dass sie von der Mehrheitsgesellschaft sowieso nicht akzeptiert werden. Andere halten die Pride für eine westliche Veranstaltung und führen nationalistische Argumente gegen sie an. Darin ähneln sie nicht selten denjenigen, von denen sie auf der Straße verprügelt werden. Auf der Pride Week sagt eine junge Lesbe in einem Joy Division-Shirt, sie plane nicht, auf die Parade zu gehen: „Die Organisatoren können nicht für unsere Sicherheit sorgen und die Polizisten hassen uns doch genauso sehr wie die Gegendemonstranten. Warum soll ich mir das antun?“


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Foto: Constanze Flamme

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Die orthodoxe Kirche spielt eine entscheidende Rolle bei den Protesten gegen die Gay Pride 2012.

Bei den Verboten der Gay Pride 2011 und 2012 verwiesen die Behörden auf die angespannte Sicherheitssituation und die angeblich chaotische Organisation. Solche Vorwürfe weisen die Veranstalter zurück. Jelena Milić, Leiterin des Belgrader Zentrums für Euroamerikanische Studien, bekannte Bloggerin und eine der lautstärksten Verteidigerinnen der Belgrader Pride, sagte bei der ersten Pressekonferenz nach Bekanntgabe des Verbots: „Ob die Parade sicher ist oder nicht, entscheidet der Staat.“

Eine „tief verwurzelte Homophobie“ Hinter der Entscheidung, die Pride abzusagen, sieht sie „entweder eine tief verwurzelte Homophobie“ oder die Tatsache, „dass die Regierung die Belgrader Innenstadt nicht sichern kann“. Milić zieht daraus folgende Schlussfolgerung: „Also leben wir entweder in einem homophoben Staat oder in einem gescheiterten Staat. Den Marsch wiederholt abzusagen war eine politische Entscheidung.“ Um ihre Einschätzung nachvollziehen zu können, reicht es, sich in die Belgrader Innenstadt zu begeben: Kyrillische Graffiti fordern „Tod den Tunten“ oder hetzen „Wir verkaufen unser Land nicht an die Schwuchteln und die EU“. Die homofeindlichen Graffiti wechseln sich mit den nationalistischen ab. Präsident Tomislav Nikolić und Ministerpräsident Ivica Dačić, die seit 2012 das Land regieren, waren schon unter Milošević an der Macht. Nach Verbot der Gay Pride sagte der Ministerpräsident in einem Interview: „Scheiß auf die EU, wenn die Gay Pride die Eintrittskarte ist.“

Mirjana Bogdanović, eine bekannte Antikriegsaktivistin und Mitarbeiterin der Belgrader Gay Straight Alliance, fasst es wie folgt zusammen: „Ich kämpfe seit 20 Jahren gegen dieselben Leute, aber deren Hauptfeindbild ändert sich immer wieder. Erst waren es die Kroaten, dann die Muslime in Bosnien, dann die Kosovaren, und jetzt gehen sie eben auf die Schwulen los. Das ist eine Postkriegsgesellschaft, in der die Rechtsextremisten immer noch sehr gut organisiert sind.“ Im Belgrader Mediencenter fand am angesetzten Tag des Marsches ein Indoor-Christopher-Street-Day statt: 150 Teilnehmer standen dort etwas verloren beisammen. Bei dieser Gelegenheit wurde der Termin für die kommende „Parada” bekannt gegeben: der 28. September 2013. Die Regierung hat kein großes Interesse daran, diese stattfinden zu lassen. Auch die Unterstützung durch die serbische Community ist gering. Man darf sich nicht wundern, wenn die „Parada“ auch 2013 wieder abgesagt wird. Gegenseitiges Verständnis und Versöhnung, so scheint es, gibt es in Serbien erst mal nur im Kino. Krsto Lazarević, Jahrgang 1989, kommt aus Bosnien und studierte Politikwissenschaften, Soziologie und Gender Studies in Frankfurt am Main, Valencia und Berlin. Er arbeitet als Redakteur bei „MÄNNER“, zudem schreibt und fotografiert er als Freelancer. Nemanja Jovanović arbeitet als Bildredakteur und freier Fotograf in Belgrad. Er gewann zahlreiche Preise z.B. den Grand Prix für das beste Medienbild in Serbien. Jovanović gehört zum Fotografenkollektiv „Kamerades“.


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Die Unerschrockene Bojana Ivković, Studentin und LGBT-Aktivistin, Belgrad Bojana Ivković sitzt auf dem Sofa, isst Schokopralinen und nippt am starken, „einheimischen“ Kaffee. „Hier fühlen wir uns sicher“, sagt die 27-jährige Aktivistin und meint die Räume von „Labris“, einem der wichtigsten lesbischen Vereine in Serbien. Die Homophobie gehöre in ihrem Land noch immer zum Alltag, sagt Ivković. Sie selbst hat allerdings weniger Probleme gehabt: „Mein Coming-out war kein großes Drama. Meine Oma hatte es längst vermutet und ich musste nicht viel sagen. Meine Familie hat es gleich verstanden“, erzählt die junge Frau. Damit dieser offene Umgang mit Homosexualität auch für andere selbstverständlich wird, engagiert sich die Jurastudentin seit mehr als fünf Jahren ehrenamtlich bei „Labris“. An den Wänden hängen Bilder von serbischen und internationalen Künstlern, die sich oft provokativ mit dem Thema Homosexualität befasst haben, und Werbeplakate für die Belgrader Pride Week.

Auch Ivković war an der Organisation der Pride Week im Oktober 2012 beteiligt. Über das letztliche Verbot der Parade hat sie sich geärgert. Für sie jedoch kein Grund, sich nun zurückzuziehen: „Es ist wichtig, dass wir weitermachen. Wir müssen versuchen, unsere LGBT-Community zu stärken und immer mehr alternative Räume und Kontexte zu schaffen.“ In Belgrad kann die Community bereits Erfolge melden: Es gibt mittlerweile fünf lesbische Cafés und Kneipen, das ist ziemlich viel im Vergleich zu anderen Hauptstädten auf dem Balkan. „Die Gesellschaft hat sich inzwischen geändert, ist heute schon viel offener“, sagt Bojana Ivković und fügt hinzu: „Das ist sicherlich ein großer Vorteil dieses langen EU-Beitrittsverfahrens. Für Serbien ist das eine Chance.“ Text: Silviu Mihai  Foto: Aleksandar Andžić


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» Wir machen anti-nationalistische  Propaganda « Der Schriftsteller und Beton-Mitherausgeber Miloš Živanović über sein Feuilleton-Magazin, den Mythos der „bedrohten Nation“ und darüber, worum es in der Literatur eigentlich gehen sollte.

Foto: Privat

Interview: Tamina Kutscher

Herr Živanović, Sie sind Mitherausgeber von Beton, das als Beilage der Belgrader Tageszeitung „Danas“ alle zwei Wochen erscheint. Sie nennen Ihr Feuilleton-Magazin ein „kulturpropagandistisches Paket“. Was für eine Art Propaganda betreiben Sie? Dieser Titel ist ironisch, auch selbstironisch. Er spielt auf die linke Propaganda-Praxis von früher an und gehört zu dem Spiel mit alten Mythen und alter Sprache. Davon abgesehen: Was wir machen, ist anti-nationalistische Propaganda. Was heißt das? Beton konzentriert sich auf die spezielle Verbindung zwischen Politik und Ideologie auf der einen und Kultur, vor allem Literatur, auf der anderen Seite. Wir veröffentlichen kritische und satirische Texte, die sich mit der nationalistischen Vergangenheit auseinandersetzen, ihren Ursprüngen und ihren Folgen. Im Juni 2006 haben Saša Ilić, Tomislav Marković und ich Beton gegründet, weil wir nirgends die Möglichkeit hatten, solche Inhalte zu veröffentlichen. Das sind die anti-nationalistischen Ursprünge von Beton. Dieses Konzept haben Organisationen und Individuen weiterentwickelt, wie „The Writers Forum“, das Online-Portal und die Radiosendung „Peščanik“, der Verlag „Fabrika knjiga“ und viele mehr. Beton besteht also aus all den Menschen, die dafür schreiben, und diese kommen aus der gesamten Region ... …wie auch die Leser. Ja, auch unsere Leser sind über den ganzen Balkan verteilt, und, die serbischen Emig­ ranten eingeschlossen, sogar auf der ganzen Welt. Es gibt eine starke Tendenz, so etwas wie einen gemeinsamen kulturellen Raum zwischen den ex-jugoslawischen Staaten herzustellen, oder wiederherzustellen, mit allem Respekt für die offensichtlichen Unterschiede. Beton hat sehr gute Beziehungen und Kooperationen mit sämtlichen ex-jugo­ slawischen Ländern, vor allem mit Kroatien und Kosovo. Mein Verleger, zum Beispiel, sitzt in Zagreb. Sie sprachen von einer „speziellen Verbindung zwischen Kultur und Ideologie“. Was genau meinen Sie damit? Das ganze serbische nationalistische Projekt in den 1990er Jahren begann in der Kultur. Man kann sagen, in der Literatur wurde alles vorbereitet, was danach kam. Die Hauptthese war: Serbien ist in Gefahr. Das ist der spezifische Diskurs des Memorandums der Serbischen Akademie der Wissenschaft und Künste von 1995. Dieses Memorandum war schon seit 1986 in Umlauf, wurde auch in der Zeitung „Večernje novosti“ abgedruckt.


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Und was steht da drin? Die Botschaft ist: „Wir sind in Gefahr in allen Bereichen, Kultur, Sprache, Literatur mit eingeschlossen, wir haben es nur nicht rechtzeitig bemerkt. Wir waren durch den Kommunismus mit Blindheit geschlagen, jetzt müssen wir wieder auferstehen und die serbische Nation mit all ihren Tugenden wiederbeleben.“ Dieses Dokument liest sich wie das Programm des serbischen Nationalismus. Im Geist dieses Memorandums wurde viel Literatur produziert und propagiert. Auch heute noch? Heute ist diese Ideologie nicht mehr in diesem Grad präsent. Aber sie ist immer noch da. Das Echo der „bedrohten Nation“ kann man im Alltag spüren, unter ganz normalen Menschen. Wir erleben heute, wie der rechte Flügel wieder erstarkt, angeführt von meist sehr jungen Leuten, die nach dem Jahr 2000 noch im Geist der Nation oder im Geist der generellen Relativierung der 1990er Jahre erzogen wurden – aber natürlich mit den „Gründungsvätern“ im Hintergrund. Geht es noch immer um eine „Nation in Gefahr“? Der Hauptdiskurs ist das heute nicht mehr. Der Hauptdiskurs heute ist: Leugnen. Wenn du über die „Nation in Gefahr“ schreibst, dann wird das nicht als ideologisch angesehen, sondern als etwas ganz Natürliches. Wenn du aber über all die Folgen der nationalistischen Politik sprichst, dann heißt es, du würdest die Literatur mit Politik vergiften. In der deutschsprachigen Ausgabe von Beton, die seit 2010 zur Leipziger Buchmesse erscheint, schreibt Tomislav Marković diesmal die absurden „Fälle“ des russischen Schriftstellers Daniil Charms (1905–1942) fort. Generell setzen sich Beton-Autoren kritisch mit der serbischen Politik und Gesellschaft auseinander. Benutzen Sie das Schreiben als Waffe? Und wofür kämpfen Sie? Ja, die Beton-Autoren versuchen, sich mit Politik und Gesellschaft auseinanderzusetzen. Aber ich würde nicht sagen, dass wir Literatur in irgendeiner Art und Weise „benutzen“. Kultur wurde schon ausreichend benutzt. Und genau in diese Wunde legen wir den

Finger. Wofür kämpfen wir? Ums Überleben, für Wahrheit und gesunden Menschenverstand. Und für das Recht, eigene „(po)ethics“, eine eigene Poesie und Ethik, zu haben, diese zu propagieren und dafür nicht bestraft und ignoriert zu werden. In seinem Text „Wie wir zu Terroristen wurden“ beschreibt Saša Ćirić die öffentliche Kriminalisierung von Schriftstellern in Serbien. Der renommierte Leiter der serbischen Nationalbibliothek Sreten Ugričić wurde im Januar 2012 entlassen, weil er einen Schriftsteller-Kollegen vor Diffamierungen in Schutz genommen hatte. Wie beeinflusst diese Affäre die serbische Literaturszene? Diese Affäre wurde aus speziellem politischem Kalkül provoziert, sie ist heute fast vergessen. Die Folge aber ist, dass manche Leute geächtet und wie Feinde behandelt werden, und wir alle werden als Extremisten angesehen. Und die Nationalbibliothek ist heute ein sehr seltsamer Ort. Nur die, die während der Affäre schön die Klappe hielten, gelten als gute Schriftsteller und nette Menschen. In Ihren eigenen Gedichten zitieren Sie Gil Scott-Heron, dieser SoulLegende ist das in der Beilage veröffentlichte Gedicht auch gewidmet. Ein anderes widmen Sie „Fadil, dem Übersetzer“, der Ihre Verse ins Albanische übertragen hat. Nichts von einer „Nation in Gefahr“. Was macht serbische Literatur oder Lyrik für Sie aus? Ich suche mir meine kulturellen Ursprünge selbst, ohne auf die Folgen zu achten. Gil Scott und Fadil Bajraj sind Figuren dieser Ursprünge. Ich bin nicht bereit, Begrenzungen oder Bestimmungen ethnischer oder anderer Art zu akzeptieren. Und ich hab diese ganzen Anti-Globalismen satt. Es geht um die ganze Welt, oder es geht um gar nichts. Obwohl es sehr amüsant ist zuzuschauen, wie die Barbaren verrückt werden, weil Rom zusammenbricht.


KULTURPROPAGANDABEILAGE BETON, SPEZIALAUSGABE, 03. ZIP, LEIPZIG, MÄRZ 2013 Redaktion: Miloš Živanović, Saša Ilić, Tomislav Marković, Saša Ćirić, Alida Bremer; E-mail: redakcija@elektrobeton.net; www.elektrobeton.net;


Saša Ćirić WIE AUS UNS TERRORISTEN WURDEN Einführung Es begann an einem Sonntagnachmittag, am 8. Januar um 16.25, als nach Angaben der Sprecherin des Innenministeriums der Republika Srpska, Mirna Šoja, ein Waffen- und Sprengstoffarsenal gefunden wurde, einen Tag vor der Feier zum zwanzigjährigen Bestehen der Republika Srpska. In der Sporthalle „Borik“ in Banja Luka waren hochrangige Gäste aus Serbien zu den Feierlichkeiten geladen: Präsident Tadić, Premier Cvetković, Patriarch Irinej, die stellvertretenden Regierungsvorsitzenden Dačić und Krkobabić. Bereits in den ersten

Pressemeldungen über den Waffenfund war von Terrorismus die Rede. In der frühmorgendlichen Sondernachrichtensendung am 10. Januar auf dem Kanal RS wurde vermeldet, „die gefundenen Waffen könnten für einen terroristischen Angriff benützt werden, da mehr als tausend geladene Gäste aus der Republika Srpska, Bosnien und Herzegowina und aus der Region den Feierlichkeiten beiwohnen sollten“. Am 11. Januar machte Božidar Stanišljević, langjähriger Mitarbeiter der Sportanlage „Borik“, eine Selbstanzeige bei der Polizei und gab zu, die Waffen in die Sportanlage gebracht zu haben. Zwei Tage später wurde er offiziell unter

Terrorismusverdacht gestellt. Sein Rechtsanwalt Milenko Ljubojević sagte, sein Klient sei „gewiss kein Terrorist“ und habe die Waffen in die Sportanlage gebracht, „weil seine Familie ihn gedrängt hatte, die Waffen außer Haus zu bringen“. Die mediale Berichterstattung über diesen Vorfall, die Informationen über die Menge und Beschaffenheit des Waffenfundes (vor allem über die Kapazität der Gewehre) und über die Beziehungen von Božidar Stanišljević zum Staatssicherheitsdienst und zur Mafia erzeugten den Eindruck, es hätte die notwendigen Mittel, den Verdächtigen und die Möglichkeit gegeben, am 9. Januar in der Sporthalle Borik ein Attentat zu verüben. Was Ende März noch immer fehlt, ist eine Anklageschrift, die eine Erklärung liefern sollte, wann und warum Božidar Stanišljević die Waffen in die Sporthalle „Borik“ gebracht hat, beziehungsweise ob er tatsächlich geplant hat, bei den Feierlichkeiten zum zwanzigjährigen Bestehen der Republika Srpska einen Terroranschlag durchzuführen, und wenn ja, wer die Zielscheibe eines solchen Anschlags gewesen wäre und mit welchen Motiven und Zielen er sich auf die Durchführung eines Terroranschlags überhaupt eingelassen hätte. Wie aus einem Kolumnisten ein Terrorist wird Die inzwischen berühmt-berüchtigte Kolumne von Andrej Nikolaidis erschien zunächst online in E-Novine unter der Überschrift „Was von Großserbien übrigblieb“, am 11. Januar, anschließend auf dem Portal žurnal.info unter der Überschrift „Die poetische Wahrheit im Versuch“, am 12. Januar, und schließlich auf dem Informationsportal von Podgorica Analitika unter der Überschrift „Das Schminken eines politischen Monstrums“, am 13. Januar. Politiker, Journalisten, Schriftsteller und Menschenrechtsorganisationen in Bosnien und Herzegowina, Montenegro, Serbien und Kroatien reagierten auf die Kolumne, ebenso wie die Regierung der Republika Srpska, die dem Montenegrinischen Ministerium für Außenpolitik und Europäische Integration eine diplomatische Protestnote schickte. In dieser Demarche stand, die Standpunkte von Andrej Nikolaidis „als Berater des montenegrinischen Parlamentspräsidenten, zuständig für Kultur und öffentliche Transparenz“, die er im er-


wähnten Text darlege, seien „nicht nur unverantwortlich, sondern enthielten auch ‚gefährliche Absichten‘“ und würden „unerwünschte mediale und andere Konflikte schüren, auf Kosten guter nachbarschaftlicher Beziehungen“. Darüber hinaus wurden in der diplomatischen Protestnote Serbiens Ausschnitte aus Nikolaidis’ Roman „Mimesis“ aus dem Jahr 2003 zitiert, die als strittig und für das Verhältnis zwischen Serbien und Montenegro schädlich bezeichnet wurden. Der Anlass für die negativen Reaktionen auf die Kolumne von Andrej Nikolaidis war der folgende Satz: „Es wäre ein zivilisatorischer Akt gewesen, wenn Boleden Sprengstoff und die Gewehre benützt hätte, die er in der Sporthalle versteckt hat, wo Oberhäupter, geistliche Anführer und Künstler das zwanzigjährige Bestehen der Republika Srpska feierten.“ Die Kritiker der Kolumne reduzierten Nikolaidis’ Argumentation auf den folgenden Standpunkt: Der Einsatz von Sprengstoff und Gewehren, also Terrorismus, würde einen zivilisatorischen Akt darstellen. Da ein solcher terroristischer Akt, also ein Attentat, gegen die höchsten politischen und religiösen Vertreter mehrerer Länder gerichtet wäre, wurde Nikolaidis vorgeworfen, mit seinem Text ein Attentat auf Politiker aus Serbien und aus der Republika Srpska zu rechtfertigen oder gar zu einem solchen Attentat aufzurufen. Die Kritiker von Nikolaidis lassen sich in zwei Kategorien einteilen: Jene, die seinen Status als politischer Berater des Parlamentspräsidenten betonen und damit in seinen Aussagen offizielle Standpunkte Montenegros wittern, und jene, die den Standpunkt angreifen, Terrorismus sei ein zivilisatorischer Akt. Nach Erhalt der diplomatischen Protestnote meldete sich Ramiz Bašić im Namen Montenegros zu Wort und sagte, „die Aussagen des Schriftstellers Andrej Nikolaidis, die er in seinem Text getätigt hat, spiegeln keineswegs die offiziellen Standpunkte Montenegros wider“. Zivilisation und Terrorismus Kommen wir nun zur angeblichen Interpretation Nikolaidis’, wonach Terrorismus einen zivilisatorischen Akt darstelle. Zunächst muss man die Struktur von Nikolaidis’ Argumentation in der inkriminierten Kolumne in Kürze darstellen. Der Autor führt anfänglich eine Opposition zwischen Zivilisation und Barbarei ein, wobei er das Augenmerk auf ein Paradoxon legt: „Die Zivilisation beruht auf der Barbarei: Friede und Wohlstand im Zentrum bedeuten die Hölle für jene, die sich an der Peripherie und außerhalb der Grenzen der Zivilisation befinden.“ Im Zentrum der Zivilisation befinden sich, so Nikolaidis, die hoch entwickelten westlichen Staaten, an der Peripherie hingegen sind Länder, die eine solche

Entwicklung und eine solche Gesellschaftsordnung anstreben. Zu letzterer Gruppe zählt Nikolaidis die Balkanländer, darunter auch die Republika Srpska. Obwohl Nikolaidis ebenso radikal wie paradoxal behauptet, „die Zivilisation, zu deren höchsten Errungenschaften die etablierte Staatsordnung zählt“, sei „eine totale Instrumentalisierung der Heuchelei“, ergreift er Partei für die Zivilisation und nicht für die Natur: „Ich habe ein Problem mit unserer Zivilisation, weil darin zu viel Natur ist.“ Für ihn ist die Rückkehr zum natürlichen Urzustand eine Rückkehr in die Barbarei. Jugoslawien sei gerade deshalb so bedeutend gewesen, weil es „eine unnatürliche Schöpfung“ gewesen sei, wohingegen die Republika Srpska „durchaus natürlich ist, ebenso wie ihre Entstehungsweise“. Man kann an dieser Stelle leicht Andrej Nikolaidis widersprechen und ins Treffen führen, dass Krieg, Kriegsverbrechen, das Diktat des jeweiligen Ist-Zustands im Kampfgebiet und der Einfluss von Großmächten nicht nur Ausdruck von Natur und Barbarei sind, son-

dern auch Ausdruck der Funktionsweise einer modernen Zivilisation. Der Autor hatte jedoch nicht im Sinn, eine juristisch-philosophische Abhandlung über Barbarei und Zivilisation zu schreiben. Dieser Teil der Kolumne ist wichtig als Kontext, in dem der Begriff des zivilisatorischen Aktes vorkommt. Nikolaidis bringt zunächst seine Meinung zum Ausdruck, die Abschaffung der Republika Srpska sei ein zivilisatorischer Akt (wenn „globale, supernationale und supranationale Institutionen die Wahrheit über den Pragmatismus und die Ethik des Nutzens stellen könnten“), was er für äußerst unwahrscheinlich halte. Anschließend kommt die Pointe: Wenn Stanišljević die versteckten Waffen benützt hätte, wäre das ein zivilisatorischer Akt gewesen – allerdings nur dann, wenn er das als ein Arbeiter getan hätte; ein Arbeiter, der begriffen hat, dass die Vertreter der Elite, die an den Feierlichkeiten teilnehmen, ihn beraubt und missbraucht haben. Wenn er also mit Klassenbewusstsein gehandelt hätte. Nikolaidis meint, eine terroristische Handlung, die

Siniša Tucić EIN ZIMMER OHNE GEBÄUDE Ich habe kein Problem damit, das Gebäude zu betreten, obwohl es schwer ist, den Fuß vom Boden zu heben, auf die Stufe zu treten. Im Leben habe ich das eine oder andere gelernt, Bücher gelesen, Wälder betrachtet und Bilder. Dennoch, alles Gelesene findet Platz in der Sprechblase eines schlecht gezeichneten Comics. Ich habe kein Problem damit, das Gebäude zu betreten, mich der Dunkelheit zu stellen, dem widerhallenden Echo. Rundum marschieren Soldaten, Kämpfer, Priester, Patrioten und ihre Nachfolger. Ich habe kein Problem damit, dass ich finster bin,

dass ich mich ausschweige, dass ich das Gebäude nicht betrete. Ich bin kein Kommunist mehr, obwohl ich noch immer ab und zu die Welt verändern möchte. Ein einziges Manifest habe ich in meinem Leben geschrieben, dem Patrioten eine geschmiert, die Revolution geküsst, das reicht vollkommen. Keine Lust mehr, Gebäude zu betreten, auch wenn die Tür sperrangelweit offen ist. Trotzdem – nein! Das Gebäude ist schal geworden. Viel langweilige Zeit, nichts für mich. Keine Lust, Gebäude zu betreten, höchstens das Zimmer ohne Gebäude, und zwar genau in dem Augenblick, da Ernst Jünger darin sitzt und zu seinem hundertsten Geburtstag Haschisch raucht. Übersetzt von Mascha Dabić Beton Spezialausgabe März 2013

III


durch Klassenbewusstsein motiviert ist, stellt zivilisatorisch gesehen etwas Größeres dar als andere Motivationen, wie etwa nationale oder religiöse, deren Antagonismen er zusammen mit den Klassenantagonismen nennt. Was macht Nikolaidis also da? Als Kolumnist und Analytiker stellt er verschiedene Abstufungen von Motivationen zum Terrorismus einander gegenüber. Für ihn hat eine klassenbezogene Motivation mehr Sinn als eine nationale oder religiöse. Daher wäre das seines Erachtens ein zivilisatorischer Akt gewesen. Ein zivilisatorischer Fortschritt im Vergleich zu den neunziger Jahren, als in den Kriegen, in denen die Republika Srpska entstanden ist, Verbrechen aus nationalen und religiösen Gründen oder Antagonismen heraus begangen wurden. Das ist die Pointe. Nikolaidis leugnet an keiner Stelle, dass der Terrorismus ein Verbrechen ist – mit diesem Standpunkt beschäftigt er sich gar nicht, sei es, weil er ihn als selbstverständlich voraussetzt, sei es, weil er es nicht als angemessen erachtet, ihn zu erwähnen. So wie er es auch nicht als angemessen erachtet, am Anfang einer jeden Kolumne anzumerken, dass diese lediglich seine persönliche Meinung ausdrückt und nicht die Meinung des Parlamentspräsidenten, den er berät, oder den offiziellen Standpunkt des Staates Montenegro. Tschistka Provoziert durch die Berichterstattung in Serbien über die besagte Kolumne rief das FoIV

Beton Spezialausgabe März 2013

rum der Schriftsteller am 17. Januar in einer Petition dazu auf, „augenblicklich diese Fatwa und die Lynchjustiz, die ‚Politika‘ und andere Medien ausgerufen haben, zu stoppen und den strittigen Text von Nikolaidis zur Gänze der Öffentlichkeit zur Verfügung zu stellen, um den vollständigen Inhalt sichtbar zu machen und damit jedem Interessierten die Möglichkeit zu geben, einen klaren Standpunkt zum Text von Andrej Nikolaidis zu formulieren“. Unter den Unterzeichnern der Petition waren auch alte und neue Mitglieder dieser informellen Vereinigung von Schriftstellern. Manche Medien druckten den Text der Petition sowie die Namen bekannter Unterzeichner, wie etwa Filip David, Borka Pavićević, Nenad Prokić, Mirjana Miočinović und Sreten Ugričić, zum Teil ab. Da in der serbischen Medienberichterstattung vermittelt wurde, dass Andrej Nikolaidis der Meinung sei, die Verwendung des Sprengstoffes bedeute einen zivilisatorischen Akt, wodurch die Bedeutung des besagten Textes grob verfälscht wurde, verlagerten sich die medialen Angriffe vom nicht greifbaren Nikolaidis auf die greifbaren Unterzeichner der Petition des Forums der Schriftsteller, und zwar in erster Linie auf Sreten Ugričić, den Direktor der Serbischen Nationalbibliothek. In der immer härter geführten Medienhetze tat sich das Belgrader Blatt Tabloid Press besonders hervor. Am 19. Januar erschien die Schlagzeile „Der Direktor der Nationalbibliothek unterstützte ein Attentat auf Tadić“.

Am selben Tag kündigte der Innenminister Ivica Dačić an, bei der Regierungssitzung den Rücktritt von Sreten Ugričić zu fordern, und drohte ihm sogar mit Gefängnis: „Ich werde persönlich verlangen, dass Ugričić seines Amtes enthoben wird. Er kann unterstützen, wen er will, aber vom Gefängnis aus, nicht aus der Bibliothek. Solche Aussagen zeugen von Dreistigkeit, und ich kann nicht verstehen, wie jemand es bedauern kann, dass ein Mensch nicht umgebracht wurde. Das ist Unterstützung von Terrorismus.“ Es folgte ein weiterer Protest des Forums der Schriftsteller sowie ein Unterstützungsschreiben an Ugričić von einem zehnköpfigen „Mitarbeiterteam des Direktors der Serbischen Nationalbibliothek“, in welchem sein professioneller Beitrag zur Modernisierung der Nationalbibliothek unterstrichen wurde. Dem Standpunkt des zuständigen Ministers zum Trotz wurde Sreten Ugričić im Zuge einer Telefonkonferenz am Nachmittag des 20. Januars vom Posten des Direktors der Nationalbibliothek abgesetzt. Tabloid Press veröffentlichte am 20. Januar eine E-mail von Sreten Ugričić an die Mitglieder des Forums der Schriftsteller vor der Unterzeichnung der ersten Petition. Die Zeitung führte nicht an, wie man an die E-mail gekommen war, in welcher alle Namen von jüngeren und älteren Schriftstellern angeführt waren, die an der Debatte teilgenommen hatten. Press veröffentlichte also unautorisiert den Inhalt einer privaten Korrespondenz mit den Namen sämtlicher Empfänger, wodurch diese indirekt ebenfalls einer Lynchjustizatmosphäre ausgesetzt wurden. Die unheilvolle Summe Unterm Strich kommen drei gefährliche Konstruktionen zum Vorschein: 1. der Verdacht, dass Božidar Stanišljević Terrorpläne hegte, als er eine größere Menge an Waffen in die Sporthalle „Borik“ brachte, und mediale Spekulationen, wonach dieses Waffenarsenal für einen Anschlag bei den Feierlichkeiten zum zwanzigjährigen Bestehen der Republika Srpska zum Einsatz kommen sollte; 2. die einzementierte Überzeugung, Andrej Nikolaidis hätte mit seiner Kolumne dem Terrorismus Vorschub geleistet; 3. der mehrheitliche Standpunkt der Regierung Serbiens, dass die Unterzeichner der Petition, die gefordert hatten, die mediale Hetzkampagne gegen ihren Kollegen aus Montenegro einzustellen, ebenfalls dem Terrorismus Vorschub geleistet und das hypothetische Attentat auf hochrangige Gäste unterstützt hätten. Die Folgen sind: 1. Wir haben noch immer keine Anklageschrift, die Božidar Stanišljevićs Terrorpläne


untermauern würde oder den Beweis erbringen könnte, dass er tatsächlich einen Anschlag auf die Festgäste der Republika Srpska geplant hat. 2. Wir haben eine diplomatische Protestnote Serbiens an Montenegro wegen des Textes von Nikolaidis, von dem das offizielle Montenegro versichert, er sei der persönliche Standpunkt von Andrej Nikolaidis. 3. Wir haben die Absetzung und die öffentliche Diffamierung des Direktors der Serbischen Nationalbibliothek Sreten Ugričić und die Ankündigung weiterer Verfolgungen jener, die die Forum-Petition unterzeichnet haben; den medialen Boden für eine solche Tschistka bereiten die Boulevardzeitungen auf. Wie es sich gezeigt hat, lässt sich die serbische Gesellschaft alles einreden. Das ausgehobene Waffenarsenal wurde durch Medienspekulation zum Hauptbeweis für einen geplanten Terroranschlag, der scharfzüngige Schreibstil eines Autors wurde zu Propaganda und Beistand zum Terror, die Petition einer Gruppe von Autoren, die ihren Schriftstellerkollegen vor der medialen Lynchjustiz

schützen wollte, wurde zur Unterstützung für Terroristen und Mörder. Im Jahr 2000, vor dem 5. Oktober, hatte die damalige Regierungskoalition, bestehend aus den Sozialisten von Dačić, angeführt von Slobodan Milošević, gemeinsam mit der Partei JUL von Mirjana Marković und den Radikalen von Tomislav Nikolić und Aleksandar Vučić, die sich damals nicht über alle Maßen für den europäischen Weg Serbiens einsetzten, an einem Anti-Terror-Gesetz gearbeitet. Mit einem solchen Gesetz wollten die damaligen Entscheidungsträger eine gesetzliche Grundlage für eine Abrechnung mit der Protestbewegung „Otpor“ und der demokratischen Opposition schaffen, wobei auch ohne Gesetz Aktivisten verhört und festgenommen wurden. Zwölf Jahre später zeigt die Situation in Serbien, dass ein solches Gesetz tatsächlich nicht notwendig ist: Es ist ohnehin sehr einfach, eine Terroranklage zu fabrizieren, eine Medienhetzkampagne gegen ausgewählte Zielobjekte aus dem Boden zu stampfen und diese Personen aus ihrem Amt zu jagen. Übersetzt von Mascha Dabić

Miloš Živanović SATAN UND ICH (to Gil Scott-Heron)

Er kam zeitig an mit dem Morgenbus der Arbeiterklasse. Ich öffnete die Tür er trat ein, an mir vorbei klopfte mir auf die Schulter sah sich um. Bekannt und unbekannt zugleich wie ein vernachlässigter Bekannter aus der Kindheit. Mit den Fingerspitzen klopfte er den Rhythmus von Eisenbahnschwellen. Er sagte es ist Zeit, dass wir gehen, weißer Teufel deine Seele ist von einem feinen Kolorit aber deine Haut ist komisch mein kleines rosafarbenes Küken. Wir sahen uns an er nahm mir die Kaffeetasse aus der Hand gib mir einen Schluck, du Geizhals. Er bot mir eine kurze dicke Zigarre an. Ich blickte auf die ausgestreckte Hand er blickte in mein Auge was ist bist du besser als die Ermordeten bist du besser als jene, die gemordet haben

bist du besser als die Selbstmörder. Ich zündete mir eine an zog mein Hemd an steckte Personalausweis und Führerschein in die Hosentasche für alle Fälle. Los, ich bin bereit. Ich sperrte die Tür ab so spazierten der Teufel und ich die leere Straße hinunter es war früh. Du hast den Job gut gemacht sagte er nur die Elite ist noch übrig du und ich. Satan und ich gingen einer neben dem anderen der Witzbold schubste mich mit der Schulter an. Satan und ich gingen Schulter an Schulter. Satan und ich gingen er, die geile Sau. Übersetzt von Mascha Dabić Beton Spezialausgabe März 2013

V


Tomislav Marković FÄLLE: HELDEN UNSERER ZEIT Das Kühlhaus im Garten von Dobrica Ćosić

Pseudo-Charms „Es gibt mehrere Arten des Lachens. Es gibt eine mittelmäßige Art des Lachens, wenn der ganze Saal lacht, aber nicht aus voller Kehle. Es gibt eine Art des Lachens, wenn nur ein Teil des Saals lacht, aber aus voller Kehle, während der Rest des Saals schweigt und vom Lachen gar nichts mitbekommt. Die erste Art des Lachens ist diejenige, welche die Kommission der Unterhaltungsszene vom Unterhaltungsschauspieler verlangt, aber die andere Art des Lachens ist besser. Mistviecher sollen nicht lachen.“ (Aus dem Brief von Daniil Charms an die Redaktion von E-Novine) Der Brief wurde weitergeschrieben von: Tomislav Marković Optische Täuschung Dobrica Ćosić1 setzt seine Brille auf, schaut in den Garten seiner Villa und sieht einen Leichenhaufen an der Grenze zwischen zwei Epochen. Dobrica Ćosić nimmt seine Brille ab, schaut vor sich hin und sieht Serbien zwischen blühenden Pflaumenbäumen. 1 Schriftsteller (*1921), der auch politisch tätig war. Er war 1992–93 Präsident der Bundesrepublik Jugoslawien. Ihm wird vielfach vorgeworfen, den serbischen Nationalismus salonfähig gemacht zu haben.

Dobrica Ćosić setzt wieder seine Brille auf, schaut in den Garten und sieht ein Kühlhaus voller albanischer Leichen. Dobrica Ćosić nimmt wieder seine Brille ab und sieht, dass im Garten gar kein Kühlhaus ist. Im Gras blühen überall kosovarische Pfingstrosen. Dobrica Ćosić setzt wieder seine Brille auf, schaut und sieht mitten auf der Wiese Eisenbahnschienen, darauf einen stehenden Zug, aus dem Bosniaken hinausgetrieben und vor das Erschießungskommando hinter der Luxusvilla geführt werden. Dobrica Ćosić will diesem Anblick keinen Glauben schenken und betrachtet ihn als eine optische Täuschung. Lauter Zufälle Slavko Ćuruvija2 geht im Zentrum Belgrads spazieren, als plötzlich aus dem Nichts ein Blindgänger angeflogen kommt und ihn auf der Stelle tötet. Ivan Stambolić3 joggt auf dem Trimm-Dich-Pfad in Košutnjak, stolpert, fällt in den Kleinbus, der zufällig gerade dort steht, und landet schließlich auf Fruška Gora, in einer Grube mit Branntkalk. Vuk Drašković 2 1949–1999. Journalist, der vermutlich in Zusammenhang mit seiner regierungskritischen Berichterstattung in Belgrad auf offener Straße erschossen wurde. 3 1936–2000. Jugoslawisch-serbischer Politiker. Er wurde in der Nähe seines Wohnortes entführt und ermordet.

wiederum ist gerade mit vier Parteikollegen auf der Ibar-Autobahn unterwegs, als ihr Auto plötzlich zufällig von einem Lkw angefahren wird; alle Insassen verunglücken, nur Vuk überlebt wie durch ein Wunder. Milan Pantić4 ist gerade unterwegs nach Hause, stößt in seinem Hauseingang mit einer Axt zusammen und ist auf der Stelle tot. Und Zoran Đinđić geht eines Tages zur Arbeit, vor dem Eingang ins Regierungsgebäude gerät er an ein Geschoss aus Eis und stirbt. Lauter nette Menschen, aber sie haben wohl keine Lust, mit beiden Beinen im Leben zu stehen. Dr. Kalaschnikow Vojislav Koštunica verkleidet sich als Legija5 und läutet an der Tür von Zoran Đinđić. Dieser erkennt ihn sofort und sagt: - Vojislav, die Kalaschnikow steht dir gut. Koštunica lässt sich von diesen Worten zu einer Lachsalve hinreißen, zum ersten Mal in seinem allzu ernsten Leben. Herausfallende Bosniaken Der Zug hält in Štrpci6 an. Ein Bosniake ist so neugierig, dass er sich aus dem Fenster lehnt, herausfällt und unten aufschlägt. Ein weiterer Bosniake lugt durchs Fenster und schaut hinunter auf den ersten Bosniaken, der auf dem Boden liegt. Auch dieser ist überaus neugierig, fällt aus dem Fenster und schlägt unten auf. Anschließend fallen ein dritter, vierter und fünfter Bosniake auf die gleiche Weise aus dem Fenster. Als auch der sechste Bosniake herausfällt, hat Dobrica Ćosić es satt, ihnen zuzuschauen. Er überquert das Landgut „Nejasnaja Poljana“ und geht zum Präsidentenpalast, in dem Radovan Karadžić ihn erwartet. Die beiden diskutieren den hiesigen Lauf der Geschichte. Der Traum Dobrica Ćosić schläft ein und träumt, dass er in einem Pflaumengarten hockt, sich an einem Baumstamm festhält, während Serge Brammertz7 durch den Pflaumengarten geht. 4 Ein serbischer Journalist, der durch einen Schlag mit einem stumpfen Gegenstand auf den Hinterkopf ermordet wurde. 5 Spitzname für Milorad Ulemek. Ehemals Fremdenlegionär und Soldat, wurde als Initiator des Attentats auf den serbischen Ministerpräsidenten Zoran Đinđić zu 40 Jahren Haft verurteilt. 6 Ein Ort bei Višegrad (Bosnien und Herzegowina), wo am 27. Februar 1993 ein Massaker stattfand, bei dem 18 Bosniaken und ein Kroate ermordet wurden. Die Opfer waren Fahrgäste im Zug von Belgrad nach Bar. 7 Chefankläger des Internationalen Strafgerichtshof für das ehemalige Jugoslawien in Den Haag; Nachfolger von Carla Del Ponte.

VI

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Ćosić wacht auf, fährt sich über den Mund und schläft wieder ein, und wieder hat er einen Traum. Diesmal geht er durch den Pflaumengarten, hinter einem Baumstamm versteckt sich Serge Brammertz und klappert mit Handschellen. Ćosić wacht auf, legt sich sein Buch „Der Krieg in Bosnien“ unter den Kopf, damit er sein Kopfkissen nicht vollsabbert, und schläft wieder ein. Abermals hat er einen Traum: Er hockt im Pflaumengarten, hält sich an einem Baumstamm fest, auf dem Ast sitzt Serge Brammertz und liest die Anklageschrift vor. Ćosić wacht wieder auf, wechselt das Buch und legt sich diesmal „Die Zeit der Schlangen“ unter und schläft wieder ein. Diesmal träumt er, dass er im Pflaumengarten hockt, sich an einem Baumstamm festhält, während Serge Brammertz durch den Pflaumengarten geht. Ćosić wacht auf und beschließt, nicht mehr weiterzuschlafen, aber er schläft augenblicklich wieder ein und träumt, dass er hinter Brammertz hockt, während Pflaumen in Reih und Glied an ihnen vorbeimarschieren und singen: „Christus, unser Herr, gekreuzigt und heilig, das serbische Land fliegt in den Kosovo.“ Ćosić schreit auf und windet sich im Bett, kann aber nicht mehr aufwachen. Ćosić schläft vier Nächte hintereinander. Am fünften Tag wacht er auf, dünn und ausgemergelt wie Ratko Mladić, bis zur Unkenntlichkeit verändert, er kann sich selbst nur mit Mühe im Spiegel wiedererkennen. In der Serbischen Akademie der Wissenschaften und Künste wurde Ćosić nicht wiedererkannt. Also brachte man ihn in den Keller, um ihn fürs Erste zu verstecken, bis man sich etwas einfallen ließe. Mönchskuttenträger Vojislav Koštunica verkleidet sich als Amphilochius und läutet an der Tür von Zoran Đinđić. Dieser erkennt ihn sofort und sagt: - Vojislav, dieses schwarze Kleid steht dir gut. Koštunica läuft purpurrot im Gesicht an, er platzt fast vor Wut. Er beschließt, diese Kränkung nicht ungestraft auf sich sitzen zu lassen. Abrechnung unter den Rechten Đogo, Mitglied der Akademie der Wissenschaften, tanzte den Kosakentanz um Nogo, Mitglied der Akademie der Wissenschaften. Nogo, Mitglied der Akademie der Wissenschaften, ließ Đogo, Mitglied der Akademie der Wissenschaften, nicht aus den Augen. Đogo, Mitglied der Akademie der Wissenschaften, fuchtelte beleidigend mit den

Armen herum und räkelte die Beine, wobei er Anspielungen auf Nogo machte. Nogo, Mitglied der Akademie der Wissenschaften, fauchte durch den Schnurrbart. Đogo, Mitglied der Akademie der Wissenschaften, wippte mit seinem Bauch und stampfte mit dem rechten Fuß auf. Nogo, Mitglied der Akademie der Wissenschaften, stieß einen Schrei aus und sprang auf Đogo, Mitglied der Akademie der Wissenschaften. Đogo, Mitglied der Akademie der Wissenschaften, versuchte zu flüchten, stolperte aber, und Nogo, Mitglied der Akademie der Wissenschaften, holte ihn ein. Nogo, Mitglied der Akademie der Wissenschaften, schlug mit der Faust auf den Kopf von Đogo, Mitglied der Akademie der Wissenschaften. Đogo, Mitglied der Akademie der Wissenschaften, stieß einen Schrei aus und fiel auf alle Viere. Nogo, Mitglied der Akademie der Wissenschaften, verpasste Đogo, Mitglied der Akademie der Wissenschaften, einen Tritt unter den Bauch und schlug ihn noch einmal mit der Faust auf den Hinterkopf. Đogo, Mitglied der Akademie der Wissenschaften, blieb auf dem Boden liegen und starb. Nogo hat Đogo umgebracht.

Stolperstein Blau-gelbes Bühnenbild. Boris Tadić (kommt heraus, stolpert über die Leiche von Zoran Đinđić und fällt hin): Zum Teufel! Wo immer man hinschaut – überall Đinđić! Dragan Đilas (betritt die Szene, stolpert über die Leiche von Zoran Đinđić und fällt über Tadić drüber): Ekelhaft! Schon wieder dieser Đinđić! Dragan Šutanovac (tritt auf, stolpert ebenfalls über die Leiche von Zoran Đinđić und stürzt auf Tadić und Đilas): Ständig irgendwelche Hindernisse! Sogar als Toter verarscht er uns noch immer! Jelena Trivan (kommt heraus, stolpert über die Leiche von Zoran Đinđić, bricht sich den Stöckel ab und stürzt auf den Haufen ihrer Parteifreunde): Eine Frechheit! Eine absolute Frechheit! Slobodan Gavrilović (stolpert über die Leiche von Zoran Đinđić und landet auf dem Haufen von Körpern): Was ist das für ein Scheiß! Leute, die Leiche von Zoran Đinđić muss weg von der politischen Szene! Alle bleiben bewegungslos liegen. E-Novine (www.e-novine.com), 30.5.2012. Übersetzt von Mascha Dabić Beton Spezialausgabe März 2013

VII


Saša Ilić DER TAG, AN DEM VENEDIG UND PRIJEDOR VERSANKEN Am 31. Mai 1992 erteilte die Regierung der bosnischen Serben in Prijedor über einen lokalen Radiosender den Befehl, alle nichtserbischen Bewohner der Stadt müssten ihre Häuser mit weißen Fahnen oder Betttüchern kennzeichnen und beim Verlassen ihrer Häuser eine weiße Armbinde anlegen. Dies war der Beginn einer Vernichtungsaktion, die Massenerschießungen und Vergewaltigungen beinhaltete, es wurden Konzentrationslager eingerichtet und andere Verbrechen begangen, und letztendlich dezimierte sich die bosniakische und kroatische Bevölkerung auf dem Gebiet der Stadt Prijedor um 94 %. Seit der Ankündigung der Nazis 1939, alle polnischen Juden müssten eine weiße Armbinde mit blauem Davidstern tragen, war dies das erste Mal, dass eine ethnische oder religiöse Gruppe auf diese Weise zur Vernichtung gekennzeichnet wurde. Aus: Initiative „Tag der weißen Armbinden“ Das Foto, auf dem Emir Hodžić mit einer weißen Binde um den linken Arm reglos auf dem zentralen Platz von Prijedor steht, während im Hintergrund das alltägliche Leben weitergeht (Menschen gehen vorbei, Kinder sitzen auf einer Bank, Nachbarinnen schwatzen miteinander), verdeutlicht vielleicht am besten die dramatische Asymmetrie der Erinnerung nicht nur der Bewohner dieser Stadt, sondern ganz Bosnien-Herzegowinas und sogar der ganzen Region. Emir Hodžić, dessen Vater und Bruder Gefangene im KonzenVIII

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trationslager Omarska waren, versuchte mit seiner Performance die Aufmerksamkeit auf den zwanzigsten Jahrestag der tragischen Ereignisse in Prijedor, die sich nach dem Einmarsch serbischer Militärkräfte in diese Stadt abgespielt hatten, zu lenken. „In einer Gewaltaktion wurden 3.173 Zivilisten getötet, unter anderem 102 Kinder und 256 Frauen; 31.000 Menschen kamen in Todeslager, und am Ende wurden ungefähr 53.000 Menschen ausgeraubt, erniedrigt und vertrieben; alle religiösen, kulturellen und wirtschaftlichen Güter von Bosniaken und Kroaten wurden zerstört.“ Aus diesem Grund gab es eine Initiative, in Prijedor dieses Tages zu gedenken, doch der Bürgermeister Marko Pavić, ein alter SDS-Kader und ehemaliger Angehöriger der Staatssicherheit, verhinderte jedwede Aktion, um „das Ansehen der Stadt nicht zu beschmutzen“. Es bleibt abzuwarten, ob es dabei wirklich um die Frage der „Beschmutzung des Ansehens der Stadt“ ging, um mit Pavićs Worten zu sprechen, oder um ein unerwartetes Zucken in der Erinnerungsasymmetrie. Demenz der Erinnerung Der Nationalismus hat sich noch immer nicht aus der öffentlichen Sphäre zurückgezogen und damit auch nicht aus der Politik. Das bezeugt die bereits erwähnte Fotografie von Emir Hodžić, der mit seiner traumatischen Erinnerung einer unglaublichen Einsamkeit in diesem öffentlichen Raum, der absolutes

Unverständnis für seine Geste wie auch für seine Botschaft an uns verströmt, ausgesetzt ist. Zwischen ihm und den Passanten herrscht eine solche Distanz, als könnte er mit seinem Gedenken jemandem schaden. Man könnte meinen, dass er etwas darstellt, was die Ordnung im ganzen Umkreis gefährdet. Das tut es wahrscheinlich auch. Daher die Distanz, räumlich und politisch, auf dem Bild und in der Realität des städtischen Lebens von Prijedor. Man könnte dies eine Blockade gegen Hodžićs Erinnerung nennen, die sich an einem runden Jahrestag seines perpetuierten Gedenkens manifestieren will. Die physische Umgebung, in der vor zwanzig Jahren alles geschah, ist absolut undurchlässig für die Bedürfnisse der Gedenkenden. Auf der einen Seite gibt es das Hindernis der Akteure aus der Vergangenheit, personifiziert in Bürgermeister Pavić, und dann noch die Generation derer, die auf der anderen Seite aufgewachsen sind, von wo aus man die Vergangenheit anders sieht. Das Ereignis aus dem Mai 1992 sah man schon zu der Zeit, als alles geschah, in den serbischen Medien völlig anders. Ein Reporter der Tageszeitung „Politika“ aus Banja Luka, D. Kecman, berichtete täglich von den Aktionen in Stadt und Landkreis Prijedor. Im Zentrum des politischen Interesses standen zu der Zeit die „Grünen Barette“. Auch D. Kecman schrieb ständig über sie: „Alle zehn Minuten, seit heute Morgen um sieben Uhr, werden über einen Radiosender in Prijedor Mitglieder der ‚Grünen Barette‘ aus Kozarac, Kozaruša und Kamičani aufgefordert, bedingungslos ihre Waffen abzugeben, damit es nicht zu kriegerischen Auseinandersetzungen und somit zu unnötigen Opfern und Zerstörung kommt.“ Auf der Titelseite wird ein exklusiver Bericht mit dem Titel „Ich war Gefangener der Grünen Barette“ aus der Feder Mirko Carićs, Reporter der „Politika“ aus Sarajevo, angekündigt. Statt über die Verbrechen serbischer Einheiten in Prijedor wird über ein Gespräch der amerikanischen Kongressabgeordneten Helen Delić mit dem Patriarchen Pavle berichtet, in dem sie von der Existenz von Konzentrationslagern in Bosnien und Herzegowina erfährt, in denen 4.000 Serben gefangen gehalten würden. Und während sich Slobodan Kljakić in einem Kommentar in der „Politika“ wundert, dass für die Lage in Bosnien immer nur die Serben zur Rechenschaft gezogen würden, wo doch alle Seiten dafür die Verantwortung trügen, berichtet D. Kecman äußerst genau über die Bewegungen örtlicher Extremisten (es geht immer um irgendwelche Extremisten, die es zu identifizieren gelte) an den Hängen des Kozara-Gebirges, die sich „durch kriegerische Handlungen aus der Umklammerung befreien wollen“. Dies ist ein Teil des durchdachten Mediennetzes, das über die realen Ereignisse in Prijedor geworfen wurde, ebenso wie über die Schaffung


des Konzentrationslagers Omarska, das nur in der Erinnerung des gegenüberliegenden Pols überdauern wird – bei den Bosniaken. In der serbischen Lesart der Vergangenheit bleibt Omarska ein Rohstoffvorkommen, der Ort, an dem es Kohle und Eisen gibt (siehe unter dem Stichwort „Omarska“ in der Enzyklopädie des serbischen Volkes) und außerdem ein idealer Ort für Filmaufnahmen (Srđan Dragojević, Sveti Georgije ubiva aždahu – Der heilige Georg tötet den Drachen, 2009). Die korrekte Verneinung Die Medien bedienten sich zu dieser Zeit exzessiv unterschiedlichster Genres, was beträchtlich zu der Konfusion in den Jahren nach 2000 beitrug, als sich Serbien in einem Zustand des Leugnens befand, denn die Realität wurde nicht diskursiv übermittelt. Als einzigartigen Beitrag zu dieser Konfusion könnte man Stanko Stojiljkovićs Artikel „Diese Zukunft sagt uns die neue Vanga voraus“ nehmen, erschienen auf Seite 16 der „Politika“ unter der Rubrik „Kultur“ und in überraschender Nachbarschaft zu Artikeln über die Aufnahmeprüfungen an weiterführenden Schulen und interessanten Fragen an die Grammatik (der Zufall wollte es, dass es in dieser Folge um die korrekte und falsche Verneinung ging und um die Verben verschwinden und fehlen); außerdem war da noch der neue Fahrplan der Bahn, da ja nun im neuen militaristischen System einige Orte fehlten. Stojiljković berichtet den Lesern der

„Politika“ über ein Treffen von Wahrsagern im Kloster Prohor Pčinjski. Unter ihnen war auch Mama Keti (Ivanova), Vangas Nachfolgerin, die den serbischen Lesern mittels ihres wichtigsten gedruckten Mediums folgende Botschaft sandte: „Wenn am 26. und 27. Mai kein Blut vergossen wird, wird alles einen glücklichen Ausgang finden.“ Dass sich das auf Bosnien bezieht, erfahren wir durch eine Wiederholung ihrer Visionen, die sie vor dem 6. April und dem Beginn des Krieges in BiH hatte. „Ich sah muslimische Turbane und viel Blut“, sagte Mama Keti, um dann mit Prophezeiungen für die Zukunft fortzufahren. Am schlimmsten treffe es „ Kalifornien und Norditalien, wo Venedig untergehen wird, sowie viele andere europäische und amerikanische Städte“. Am Ende prognostiziert die „Politika“ mit der Autorität von Mama Ketis Stimme, dass nach 2012 (?!) neue Menschen kommen würden und dass die Stadt an den zwei Flüssen (also Belgrad) zur neuen Hauptstadt Europas aufsteigen werde (da wird sich die Belgrader Verwaltung 2020 aber freuen). Durch die Prophezeiung auf Seite 16 beruhigt, verfolgten die Leser der „Politika“ weiter die Berichterstattung aus Prijedor, in der sich verfälschte Informationen aneinanderreihten, die hauptsächlich auf euphemistischen, entmenschlichten Aufzählungen beruhten – die Rede ist zum Beispiel von beschlagnahmter Manövermunition, rückstoßfreien Geschützen und dem einen oder anderen getöteten Grünen Barett, die hier nicht mehr als Tropen, sondern als Denotate funktionieren. Wenn

schon Venedig versinkt, wie es in der „Politika“ steht, warum sollten wir uns dann um Prijedor sorgen. Weder gab es dort Tote noch Gefangene, noch Vertriebene. Doch die Stadt Prijedor war, wie wir später erfahren sollten, Testgelände für bestialische Verbrechen. Human Rights Watch veröffentlichte in seinem Bericht für 1997 Informationen über die Aktivitäten serbischer Einheiten und einzelner SDS-Funktionäre wie Marko Pavić, der als Direktor der PTT (Post und Telekommunikation) in Prijedor unmittelbar vor dem Angriff den Auftrag erteilte, die Telefonleitungen der Bosniaken und Kroaten in Kozarac und anderen Orten zu trennen, damit die Säuberungsaktion möglichst effizient durchgeführt werden konnte. Zwanzig Jahre später funktionieren die Telefonleitungen in Prijedor scheinbar noch immer nicht. Und während Emir Hodžić mit einer weißen Armbinde reglos auf dem zentralen Platz dieser Stadt steht und hofft, dass Bürgermeister Pavić und ihm Ähnliche endlich die Leitungen in beide Richtungen freigeben, weiß ich, der ich dies aus sicherer Entfernung beobachte, dass dies nicht geschehen wird. (Neue Menschen aus der Prophezeiung gibt es einfach nicht, die alten sind noch immer hier.) Ich kann nun entweder meines Weges gehen, nach dieser kurzen Szene, die für einen Augenblick meinen Alltag unterbrochen hat, oder ich kann mich zu ihm gesellen. Und ich entscheide mich für das oder. Übersetzt von Blanka Stipetić Beton Spezialausgabe März 2013

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Bojan Tončić DER EHRENHAFTE TEIL EINER UNEHRENHAFTEN VERGANGENHEIT Frauen in Schwarz: Zwei Jahrzehnte Aktivismus Jedes Mal freue ich mich aufrichtig, wenn ich die nicht gespielte Bestürzung im Gesicht eines Zeitgenossen erblicke, der tatsächlich nicht begreifen kann, dass ich „Mitglied“ bei den Frauen in Schwarz bin (ich stelle mir dann vor, wie es wäre, einen Mitgliedsausweis zu besitzen, ein Zertifikat, das man vorzeigen könnte) und mir erstaunt die Frage stellt: „Was machen Sie denn da?“ Die Frauen in Schwarz sind eine Gruppe von Menschen, hauptsächlich Frauen, mit denen ich zugegebenermaßen immer seltener zusammenkomme und deren Fragen kein ideologisches Vorzeichen tragen; ihre Protestkundgebungen auf dem Platz der Republik – gegen Kriegsverbrecher, Militarismus und Faschismus – werden als Versammlungen von Sonderlingen wahrgenommen, die ein nur ihnen bekanntes Ritual vollführen, vermutlich ein satanistisches, schließlich tragen sie ja schwarz. Es werden keine Fragen über die Parolen auf den Transparenten gestellt, die Vorübergehenden registrieren diese nicht einmal. Sie fragen, was wir sonst noch tun, das im Verborgenen liegt, denn logischerweise muss es da noch etwas geben, in irgendwelchen geheimen Gemächern, bei Kerzenschein. Ein Beweis für all das sei der Geruch von Stašas Wunderkräutern gegen Zigarettenrauch und Küchenhexerei. Jene, die durch gründliche Gehirnwäsche ein politisches Bewusstsein erlangt haben – lassen wir die Toleranz beiseite, ich kann solche Leute nicht ausstehen, auch wenn Hass nicht im Sinne der Organisation ist – sind ebenfalls unverhohlen und aufrichtig erstaunt; zuerst lesen sie die Parole still für sich, dann murmeln sie kopfschüttelnd vor sich hin und sehen sich nach einem Verbündeten um, den sie selbstverständlich auch finden. Solche Leute empfinden Parolen, die in einer normalen Gesellschaft soX

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gar überflüssig wären („Die Albanerinnen sind unsere Schwestern“, zum Beispiel), als einen Angriff auf das nationale Bewusstsein und ihr Wissen über die politischen Gegebenheiten – eine Disziplin, in welcher der durchschnittliche Serbe seinesgleichen sucht. Na gut, ich bin jetzt boshaft, vielleicht sogar schlimmer als das, aber wenn ich das tiefe „Unglück“ und die Sorge dieser Leute um irgendwelche zukünftigen Generationen sehe, ihre Angst um die Erhaltung von Familie und Staat, wo doch alle gegen uns sind, dann fühle ich mich großartig; wozu etwas anderes vorspielen? Diese Leute sind bestürzt über unsere Dreistigkeit, aus ihren Köpfen ist die brutale Fernsehpropaganda der neunziger Jahre noch nicht gewichen, ganz im Gegenteil, sie wird in unterschiedlichen Formen, aber stets mit Erfolg, durch den faschistischen Müll angestachelt, der auf vorbereiteten, fruchtbaren Boden fällt. Unsere Opponenten wollen nicht wahrhaben, dass Serbien in einem Angriffskrieg Vukovar zerstört hat; nein, sie beharren darauf, dass die Jugoslawische Volksarmee bloß die Serben gegen die blutrünstigen Kroaten verteidigt hat; und überhaupt, die Moslems schlagen sich doch selbst die Köpfe ein, um es den Serben anzuhängen; wie kann bloß jemand mitten in Belgrad die Namen von Bosniaken aussprechen, die angeblich in Srebrenica umgebracht wurden? Wie können die Frauen in Schwarz es wagen, etwas auszugraben, während doch alle anderen versuchen, (die Massengräber) zuzuschütten? Für wen arbeiten sie, wer bezahlt sie?! DIE HAND DER SOLIDARITÄT Die entscheidende Antwort auf alle diese Fragen und eventuellen Dilemmata unserer zahlreichen Mitbürger gab wohl Vojislav Šešelj, als er während der NATO-Intervention

sagte, der Feind im Flugzeug sei hoch oben, aber in Griffweite seien unter anderem die Frauen in Schwarz, so wie zahlreiche andere Organisationen, aus denen die „NATO-Infanterie“ bestünde. Seit mit dem Staat endgültig nicht mehr zu spaßen ist, halten die Frauen in Schwarz ihre Proteste „in Anwesenheit der Behörden“ ab – das sind desinteressierte Polizisten, die sich regelmäßig mit Besitzern gestörter Gehirne und faschistischer Gedanken zanken („Alter, ich muss das tun, glaubst du, ich stehe freiwillig mit denen da in der Gegend herum?“), ganz genau so, als wäre es zu einer unglaublichen Fusion auf der rechten Flanke gekommen. Die Frauen in Schwarz haben es als einzige geschafft, die Fans der Fußballclubs „Zvezda“ und „Partizan“ miteinander zu versöhnen; diese haben nämlich, geeint im Hass, gemeinsam mit Anhängern von „Obraz“, „Dveri“, „Naši“ und anderen neuen serbisch-faschistischen ideologischen Formationen „Schlampen in Schwarz!“ skandiert sowie die beliebte Parole „Nož, žica, Srebrenica!“.1 Mit solchen Lautbekundungen und Hassergüssen ging der erste zwanzigjährige Zyklus des Protests gegen Krieg und Kriegsverbrechen zu Ende. Symbolisch gesehen waren auf der einen Seite die Frauen gegen Krieg, Gewalt, Militarismus, Patriarchat, Klerikalismus, Antimodernismus, all das, was das heutige Serbien charakterisiert, auf der anderen Seite der Staat, personifiziert durch faschistische Erscheinungen, Hooligans, die Lieblinge und Schlagfaust des Regimes. Vor zwanzig Jahren ließen sich die Ausmaße der Katastrophe, der die Frauen am meisten zum Opfer fallen sollten, bloß erahnen. Den Frauen, die nicht wiedergutzumachende Verluste erlitten haben, mit denen sie tagtäg1 „Messer, Draht, Srebrenica!“


lich konfrontiert werden, wurde aus der Region eine Hand der Solidarität entgegengestreckt. Aus der Stadt, in der sich das Hauptquartier der verbrecherischen Armee befindet. Echte Solidarität und nicht das Reinwaschen eines verbrecherischen Milieus von Blutflecken, in einer Zeit, da die Ideologie des Bösen in Serbien eine Kontinuität verzeichnet. In einem Staat, der sich von seinen Verbrechern nicht lossagt, in einem Staat, in dem diese Verbrecher von den höchsten Positionen aus und mit höchsten Staatsakten das Leben von Tausenden Menschen zerstört und verstümmelt haben. Das sind die Frauen in Schwarz. EINE KLEINE CHRONOLOGIE DES WIDERSTANDS In der jüngsten Geschichte Serbiens, die von nationaler Homogenisierung und wahnwitzigen Kriegsabenteuern gekennzeichnet ist, steht eines fest: Die Frauen in Schwarz haben mit Unterstützung von Friedensaktivisten im Zentrum Belgrads im Zeitraum bis zum Jahr 1996 Kundgebungen und Performances gegen die Kriegspolitik des serbischen Regimes

abgehalten, jeden Mittwoch, in Schwarz und in Schweigen gehüllt („Stoppt die Aggression gegen Kroatien!“, „Stopp der Zerstörung von Vukovar!“), anschließend gegen die Aggression gegen Bosnien und Herzegowina, gegen die Zerstörung von Mostar, gegen die Belagerung und Zerstörung von Sarajevo („Nicht in unserem Namen!“), gegen Konzentrationslager, gegen den Genozid in Srebrenica, gegen zahllose Verbrechen, die in Bosnien und Herzegowina begangen wurden; gegen die gewaltsame und gesetzeswidrige Kriegsmobilisierung der Männer, gegen ihre Verschleppung an die Front, gegen die Verfolgung von Deserteuren in Serbien, gegen die Entführung von bosniakischen Fahrgästen in Serbien (in Sjeverin und Štrpci), gegen die Verfolgung und Diskriminierung von Menschen in Serbien, die sich durch ihre ethnische, ideologische, religiöse Zugehörigkeit oder sexuelle Orientierung von der Mehrheit unterscheiden. Es folgten Straßenproteste wegen der Vertreibungen von Serben im Rahmen der Militäraktionen „Bljesak“ und „Oluja“ 1996/97, die tagtägliche und aktive Teilnahme an Massenprotesten in Serbien gegen die Kriegs-

politik des serbischen Regimes gegenüber Montenegro, gegen die Unterdrückung unabhängiger Medien in Serbien (Herbst 1997), gegen militärische Aktivitäten im Kosovo 1997–99: gegen die Apartheidpolitik in Bezug auf die albanische Bevölkerung im Kosovo. Außerdem gab es Solidaritätsaktionen für die gewaltlose Volks- und Frauenbewegung („Die Albanerinnen sind unsere Schwestern!“). Unterstützt wurden ebenfalls die Friedensverhandlungen zwischen der serbischen und albanischen Seite in Rambouillet („Lieber ein Pakt als ein Krieg!“2), und es wurde gegen die Vertreibung nichtalbanischer Bevölkerungsgruppen aus dem Kosovo nach der Militärintervention im Frühling 1999 protestiert. Nach dem Fall des Regimes im Oktober 2000 protestierten die Frauen in Schwarz hauptsächlich in Zusammenhang mit den Kriegen auf dem Gebiet des ehemaligen Jugoslawiens; die Frauen forderten das serbische Regime auf, Verantwortung zu übernehmen und die verbrecherische Vergangenheit 2 Anspielung auf die Parole „Lieber ein Krieg als ein Pakt!“ („Bolje rat negopakt!“), die 1941 bei Massendemonstrationen in Belgrad skandiert wurde (Anm.d.Ü.).

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che Seite des Krieges“ aus dem Jahr 2008, mit 120 Zeugnissen, Beschreibungen und Erinnerungen von Frauen an die Kriege, die zwischen 1991 und 1999 auf dem Gebiet des ehemaligen Jugoslawiens stattgefunden haben (Vukovar; Vor der Mauer des Schweigens; Der Mann ist eine erschreckende Kraft der Gewalt und des Schmerzes; Sie haben alles mitgenommen; Die Belagerung Sarajevos; Ich flüchte, bring die Kinder weg; Die Frauen der Krajina; Srebrenica; Die Stimme der Verschwundenen; Lichter im Tunnel; Frauen frischen ihre Erinnerungen auf; Kosovo, die „humanitäre“ Intervention; Überqueren der Linie). In der Edition Žucinfo, dem alternativen System zum Austausch von Informationen für Aktivisten und für interne Absprachen und Regelungen unter den Aktivistinnen des Netzwerks Frauen in Schwarz Serbiens, erschienen ein Wörterbuch der Sicherheit (im Rahmen des Bildungsprogramms „Frauen, Friede, Sicherheit – Vom traditionellen bis zum feministischen Konzept der Sicherheit“, 2009/11), „Antifaschismus ist meine Wahl“ (2009), „Kennen Sie Frauenrechte?“ (2009), „Die alternative Geschichte“ (2009) und „Die Hausordnung“ (2009). MEIN MITGLIEDSAUSWEIS

nicht länger zu leugnen; die Frauen protestierten gegen die Eskalation von Konflikten in Südserbien und Mazedonien (2001), gegen die Gewalt im Kosovo und in Serbien (März–April 2004); an Jahrestagen wurde der Verbrechen gedacht, die in unserem Namen begangen worden waren, die Tatorte wurden feierlich besucht (Vukovar, Sarajevo, Srebrenica, Štrpci, Sjeverin, Kosovo); der Jahrestag des Widerstands gegen den Krieg wurde in Belgrad und in ganz Serbien begangen. Die Frauen in Schwarz dokumentierten umfassend Straßenaktionen, Konferenzen, Workshops und andere Formen des Austausches und der Wissensvermittlung; es wurden zwölf Sammelbände unter dem Titel „Frauen für den Frieden“ veröffentlicht, auf SerbischKroatisch-Bosnisch, Englisch und Spanisch. Die veröffentlichten Artikel sind Zeugnisse der Frauen über den Krieg, über den weiblichen Widerstand gegen den Krieg, und zwar nicht XII

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nur im ehemaligen Jugoslawien, sondern auch weltweit; kommentiert werden Themen wie Gewissen, Antimilitarismus, Frauenbewegung, die Ästhetik des feministisch-pazifistischen Widerstands der Frauen in Schwarz, unter anderem im Sammelband „Kriegsdeserteure im ehemaligen Jugoslawien“, erschienen 1995 auf Bosnisch-Kroatisch-Serbisch, Italienisch, Englisch und Spanisch. „Belgrad aus dem Blickwinkel einer Frau: einer Kommunistin, SKOJ3-Mitglied und Volksheldin“ ist 2012 erschienen. Von den zahlreichen gedruckten Zeugnissen von Frauen über Krieg und Widerstand gegen den Krieg fallen die folgenden besonders auf: die gesammelten Erzählungen und Zeugnisse von Flüchtlingsfrauen „Ich erinnere mich...“, 1995 erschienen, 1996 auf Bosnisch-Kroatisch-Serbisch, Italienisch, Englisch und Spanisch neu aufgelegt, sowie der Sammelband „Die weibli3 Bund der kommunistischen Jugend Jugoslawiens

Auch zwei Jahrzehnte später gibt es jeden Tag mehr Gründe, Protestkundgebungen abzuhalten. Weil es an der Staatsspitze ebenso wie in der Nachbarschaft Verbrecher gibt, weil Geld für Armee und Waffen ausgegeben wird, während Kinder hungern und frieren, weil es Diskriminierung, Faschismus, Rassismus und Gewalt gibt. Die Frauen in Schwarz sind ein ehrenhafter Teil einer unehrenhaften Vergangenheit, aber sie leben nicht in der Vergangenheit, sie leben ihren Aktivismus, helfen Menschen, stehen für jene ein, die Hilfe brauchen. Ohne Angst, wie immer gegen einen gefährlichen, bösartigen Staat. Ich hatte das Glück, diese Familie kennenzulernen, als es mir schlecht ging, als ich in Belgrad am Anfang meines neuen Lebens als Deserteur und Flüchtling stand. Mit ihnen war es für mich leichter. Ich weiß noch, wie viel Angst ich hatte, wenn ich auf der Straße die weißen Gurtbänder der Militärpolizei erblickte, aber für sie, meine Freundinnen, war ich ein Held, so wie die anderen Deserteure auch. Später hatte ich die Ehre, häufig von ihnen gelobt zu werden; da wusste ich, dass ich etwas Richtiges und Gutes geschrieben hatte. Die Frauen in Schwarz haben eine Sammlung meiner Texte herausgegeben, sie sagen, sie seien stolz darauf. Das ist mein Mitgliedsausweis. Das ist zumindest eine Teilantwort auf die neugierige Frage vom Textanfang. All das tun die Frauen in Schwarz. Übersetzt von Mascha Dabić


Siniša Tucić AUFSATZ MIT FREIER THEMENWAHL Den Kommunismus betrat man am einfachsten durch Poesie, in aller Ruhe, ohne Panik, hinein in die Zukunft. Der Dichter ist schwach obwohl er allein ist und alle denken er habe es leicht weil er allein ist und er könne jederzeit ein Bild herbeiphantasieren ein Stadion voller Menschen Fahnen, Wappen, Sonne Kinder in Uniform, einen Parteitag und Genossen Tito. Poesie war stets eine einfache Antwort für einen Aufsatz mit freier Themenwahl. Plötzlich jedoch, von einem Tag auf den anderen stirbt Genosse Tito. Keine Politik mehr kein Stadion mehr keine Wappen und Fahnen. Keine Zukunft mehr. Der Dichter hat nichts mehr worüber er sich Sorgen machen könnte. Dabei war er einst mächtig frisch gebügelt, ein lachender Enthusiast im weißen Hemd. Sein Leben lang hing

jedes Gedicht, jeder Vers, einzig von ihm ab. Vielleicht war es gar nicht so? Ich weiß es wirklich nicht ich wurde später geboren und erwischte nichts mehr von dieser Freiheit und der Möglichkeit einer Zukunft. Genosse Tito ist tot aber der Dichter lebt und muss weiterleben auch ohne den Genossen Tito. Es gibt keine Zukunft mehr. Mit der Zeit erneuert sich die Politik der Dichter muss leben und mächtig sein. Die Präsenz ist für ihn eine Notwendigkeit. Seine Präsenz kann auch in der Vergangenheit sein in der Erneuerung der christlichen Zivilisation in der Transition in der rituellen Zerstörung von Städten dekoriert mit Kreuzen und Ikonen. Die Kommunisten leben von Christus und von der Zukunft die Christen dagegen sind vom Kommunistischen Manifest abhängig obwohl sie in die Vergangenheit zurückkehren. Etwas Drittes konstituiert die Wirklichkeit.

Der Dichter hat Massen von Menschen gesehen aber es war kein Parteitag. Das ist nicht die Zukunft. Eine neue Wirklichkeit bringt neue Verse hervor und poetische Bilder zur Zukunft der Vergangenheit der postmodernen Revision. Er kommt überall gut zurecht in Menschenmassen in abgewetzten Jeans in neuen Ideologien. In Blätterteig, Tschetnikmützen und Alkohol. Im fettigen Bart und im langen Haar. In zerlegten Versen Städten und Kirchen. In vergangener Zukunft der Vergangenheit in zukünftiger vergangener Zukunft in vergangener Zukunft der gegenwärtigen Vergangenheit... Egal zu welcher Zeit in der geschlossenen Welt in der Kapsel der aktuellen Ideologie ist die Präsenz für ihn eine Notwendigkeit auch wenn das Subjekt zerfällt. Es gibt weder Christus noch den Kommunismus denn etwas Drittes bildet die Wirklichkeit ohne Rücksicht auf den Aufsatz und die freie Themenwahl. (Die Gedichte stammen aus dem Gedichtband Metak, Fabrika knjiga, Belgrad 2012.) Übersetzt von Mascha Dabić


Miloš Živanović

TO FADIL THE TRANSLATOR

‘99 verließ ich Belgrad und landete im Arsch aber das weißt du vielleicht schon ich schrieb darüber und schickte dir das Buch. Ich überquerte die Sava, dann die Donau und flüchtete gen Nord-Nordwest. Später kam ich wieder an die Donau immer wieder gerate ich an die Donau wo auch immer du hingehst, irgendeine Donau ist da ich habe die Nase voll davon. Lieber würde ich den Mississippi überqueren, zur Abwechslung. Ich weiß nicht, wo du warst während ich die Donau überquerte auf der Flucht vor ihnen und vor mir. Ich weiß nicht, ob sie hinter dir her waren mit Helikoptern, Adlern Patronen, Augen Messern, Stiefeln haben sie auf dich geschossen oder hast du geschossen warst du versklavt hattest du das Glück, dich irgendwo weit weg zu verstecken. Aber du bist am Leben, das habe ich gehört ein Guru-Translator du übersetzt, über den Napalm-Fluss zur Freiheit. Deine Sprache beherrsche ich nicht (was normal, erwartungsgemäß und erwünscht ist). Ich habe dich nie gesehen. Die Leute sagen, du ähnelst einem Beatnik. Ich weiß nicht, ob es an der Übersetzung liegt oder an Ginsberg oder am Alkohol oder einfach so am Leben. Ich stelle mir vor, du im Kaffeehaus mäßig betrunken, wie es sich gehört wie du Verse vorträgst XIV

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in einer höllischen Vielzahl an Sprachen, Sprechweisen, Territorien machst du dir Gedanken über die Revolution zumindest, wenn du betrunken bist. Über die Solidarität, die Republik. Zukunft? Die Zukunft für all die Übersetzungen, die du im Schrank aufbewahrst? Ich kenne einige gute Kaffeehäuser in Priština (Querim hat sie mir gezeigt) die Namen weiß ich aber nicht mehr, eh klar. Ich kann kaum dem Drang widerstehen mich ins Auto zu setzen und in den Süden zu rasen. Die Freiheit ist auf der Autobahn zu Hause. Wenn der Asphalt voller Raupen ist. Was ist der Mensch ohne sein Auto? Im Herzen eines jeden gibt es ein Motel einen Punkt der Überschneidungen und Möglichkeiten für die Tasse Kaffee und den Zen-Moment. Lenkrad und Musik und die Logik der weißen Linie die das Echo der Eisenbahnschwellen bewahrt. Und der Tod als die beständige Wahlmöglichkeit – solange es so bleibt, ist es gut. Ich fahre nicht mehr betrunken seit die EU-Vorschriften in Kraft sind. Heute Abend sollte ich öffentlich auftreten und ein Buch bewerben (ein albanisches, stell dir vor) in Werbelaune. Ich hasse Öffentlichkeit und die Namen der Menschen, die öffentlich auftreten weil die Salon-Libertins nicht wissen dass Namen überflüssig sind während Solidarität und Anonymität unbedingt notwendig sind

und dass das Buch sein eigenes trauriges Leben hat in das wir uns nicht einmischen dürfen – flüsternd sang ich: ...because something is happening here, but you don’t know what it is. Deshalb sitze ich zu Hause und phantasiere, wie ich nach Priština fahre. Ich habe das Gras im Garten gemäht. Das scheint mir eine gesunde Betätigung zu sein. Mein Sohn mag es, wenn ich Gras mähe er rennt im Kreis herum wie ein wild gewordener Zwerg. Jetzt riecht es gut draußen. Ich bin zufrieden, erhole mich, trinke ein Bier in Gedanken fahre ich in den Süden nach Priština, nach Mexiko gen Süden, gen Freiheit. Denn autodidaktische automatisch betriebene Haubitzen vom Berg schleudern weiterhin gnadenlos Flüche und Schlamm auf die Stadt die Stadt sollte man vergewaltigen und anschließend verbrennen die Haubitzen machen uns weis, wir seien Selbstmörder. Aus dem Lautsprecher kommt etwas, das so gut ist, dass es teuflisch sein muss der Musiker muss mit etwas sehr Großem und Schrecklichem in Kontakt gewesen sein, – ein satter Mund singt nicht. In Gedanken habe ich genug Geld für zehn Tankfüllungen bleifreien Benzins einen Ölwechsel eine Stange Zigaretten und eine feine Sonnenbrille. Ich fahre und fahre am Parkplatz hinter der Tankstelle wichse ich wie ein Schimpanse ich fahre weiter und weiter ich weiß nichts über den Ort, an dem ich anhalte ich weiß nichts über Kosovo oder Mexiko ich weiß nicht, wo die Grenze ist ich weiß, wo Rio Grande ist ich weiß, das Leben ist noch immer billig. In meiner Phantasie bin ich stabil und stark ich habe genug Kraft und Verstand um über meinen Bruder nüchtern nachzudenken. Weißt du, mein Bruder ist tot Predator hat ihn aufgefressen. Ich spreche mit ihm, ich schreibe ihm aber die Toten sind tot. Ich denke auch über dich nach, und über Vlajsa und über deinen Bruder. Ich bin froh, dass ihr lebt. Dass ich euch lesen kann. Fadil Bajraj – Master Jedi may the force of language be with you. Übersetzt von Mascha Dabić


Übersetzt von Lepa Stijepić Beton Spezialausgabe März 2013

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Steckbrief: BETON Beton – kulturpropagandistisches Paket. Das Feuilleton für Literatur, Kultur und Gesellschaft auf vier Seiten wurde als eine unabhängige Beilage der Belgrader Tageszeitung Danas (Heute) im Juni 2006 gegründet. Zunächst erschien sie an jedem dritten Dienstag im Monat; seit November 2006 kommt sie in zweiwöchigem Rhythmus heraus. Die Beilage widmet sich der Literaturkritik und der Hinterfragung der Beziehungen zwischen nationalistischer Ideologie und Kultur sowie Kulturpolitik. Beton hat in der Rubrik „Boulevard der Sterne“ als erstes Medium eine systematische, kritische Erforschung der Biographien von Intellektuellen begonnen, die für den Krieg und den Zerfall Jugoslawiens verantwortlich sind. In Beton wird unter anderem eine scharfe politische Satire gepflegt. Die Herausgeber und Gründer von Beton sind Miloš Živanović, Saša Ilić, Tomislav Marković und Saša Ćirić. 2007 wurde die Redaktion von Beton mit dem Preis „Dušan Bogavac“ ausgezeichnet. Diesen Preis vergibt die Vereinigung der unabhängigen Journalisten Serbiens für journalistische Ethik und Mut. Eine Auswahl aus Beton erschien früher regelmäßig in der Zeitung Feral Tribune und erscheint heute in der Zeitung Zarez (beide aus Kroatien). Beton pflegt eine ausgezeichnete Zusammenarbeit mit unabhängigen Medien und Vereinen in der Region (Booksa – Zagreb/ Kroatien, Plima – Ulcinj/Montenegro, Žurnal – Sarajevo/Bosnien und Herzegowina, Qendra Multimedia – Priština/Kosovo, Ex-Symposion – Budapest/Ungarn). Für die Internationale Buchmesse in Leipzig 2010 hat Beton mit Unterstützung des Netzwerks TRADUKI eine spezielle Ausgabe in deutscher Spra-

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che herausgegeben (Stunde Null), in der eine Auswahl der bisherigen Produktion veröffentlicht wurde. Für die Leipziger Buchmesse 2011 ist die zweite Nummer des deutschsprachigen Beton (01) erschienen, in der ein Projekt vorgestellt wurde, das Beton gemeinsam mit der Zeitschrift MM aus Priština realisiert hatte. Im Rahmen dieses Projekts wurden mit Unterstützung von TRADUKI zwei Anthologien veröffentlicht: eine Auswahl der zeitgenössischen serbischen Literatur in albanischer Übersetzung und vice versa eine Auswahl der zeitgenössischen kosovarischen Literatur in serbischer Übersetzung. In der deutschsprachigen Ausgabe von Beton (02), die zur Leipziger Buchmesse 2012 erschien, wurden aktuelle Krisen in Europa thematisiert. Im Fokus stand Slowenien als das Land, das sowohl zur Europäischen Union als auch zu Südosteuropa gehört und mit den Krisen in Nord und Süd vertraut ist. Für die deutschsprachigen Ausgaben wurde die Redaktion mit Alida Bremer verstärkt. Für die diesjährige deutschsprachige Ausgabe von Beton, die zur Leipziger Buchmesse 2013 erscheint (Nummer 03), haben wir ein Dossier über subversive gesellschaftspolitische und literarische Praktiken vorbereitet. Die ausgewählten Autoren und Texte zeugen von den neuralgischen Punkten der Transitionsgesellschaften Südosteuropas. Wir haben uns die Frage gestellt: Was ist heute subversiv? Und so kamen wir auf eine Reihe von Themen und Ereignissen, die eine vorläufige Dekonstruktion der Werteordnungen in den Gesellschaften vollzogen haben, die, auf dem Weg in die EU oder schon in der EU angekommen, die eigene Vergangenheit blockieren oder ihre Revision begonnen haben.

IMPRESSUM Lektorat und Korrektur Benjamin Langer, Anke Zeitschel Layout und Design METAKLINIKA, Beograd Font Mechanical Marko Milanković Illustratoren und Fotografen Lazar Bodroža IV, VII, XII, XIII Nikola Korać I Miroslav Lazendić VI Johanna Marcadé und Mileta Mijatović XV Mr. Stocca II, IX Aleksandar Opačić V Vera Vujošević XI, XVI

Die Herausgabe dieses Werks wurde gefördert durch TRADUKI, ein literarisches Netzwerk, dem das Bundesministerium für europäische und internationale Angelegenheiten der Republik Österreich, das Auswärtige Amt der Bundesrepublik Deutschland, die Schweizer Kulturstiftung Pro Helvetia, KulturKontakt Austria, das Goethe-Institut, die Slowenische Buchagentur JAK, das Ministerium für Kultur der Republik Kroatien, das Ressort Kultur der Regierung des Fürstentums Liechtenstein, die Kulturstiftung Liechtenstein und die S. Fischer Stiftung angehören.


Serbien  PARTISANEN DES POP

Die Tätowiererin der Belgrader Unterwelt Anja Đukić, Künstlerin, Belgrad Ein Hinterhof. Wabernde Hitze. Knisternd vertrocknen Geranien auf einer Treppe. An deren oberen Ende liegt das Studio, in dem Anja ihre Kunden bedient: Mafiatypen, Kleinkriminelle, Knastentlassene. „Die verkloppen ihre Karren, um bei mir unters Messer zu kommen“, sagt sie, lacht und hat Blut an den Händen. Kleine Spritzer, kaum sichtbar an ihren OPHandschuhen. Ein Mann, nennen wir ihn Dušan, blickt in den Spiegel. Auf seiner Haut erschafft die 30-Jährige gerade ihr neuestes Meisterwerk. Anja Đukić – Juristin, Künstlerin, Tätowiererin der Belgrader Unterwelt. Wie wird man das? „Als braves Mädchen hörte ich auf meine Eltern: ‚Studiere Jura, dann verdienst du gut!‘, sagten die. Mein Studium fiel aber in die MiloševićZeit. Ich wurde zur Rebellin, organisierte Proteste.“ Mit Recht wollte sie nichts mehr zu tun haben, studierte noch einmal. Diesmal: Kunst. „Am Anfang hatte ich viele Ausstellungen. Aber dann begriff ich, dass nur Freunde vorbeikommen. Keine Käufer. Was also tun?“ Sie gab einem Tätowierer Kunstunterricht und er brachte ihr das Tätowieren bei. „Und nun kopiere ich das Geschäftsmodell einiger serbischer

Politiker – auch die lassen sich von Kriminellen bezahlen. Nur darf ich ihnen dafür noch wehtun!“ Inzwischen gilt Anja in Mafiakreisen als beste Tätowiererin Belgrads und in der alternativen Kunstszene als Name, den man sich merken sollte. Nicht wegen ihrer Tattoos. Anja klappt ihren Laptop auf, zeigt eine Videoinstallation. Ein Holzregal wird als Puppenstube zum Abbild des Lebens in einem NeuBelgrader Betonbau. Die hektische Kameraführung verleiht einem langweiligen Alltag eine furiose Dynamik. Bissig und wütend ist das und entspricht Anjas Stimmung: „Nach zehn Jahren Kampf habe ich keinerlei Illusionen mehr. Wir sind noch immer kein normales Land. Zwar haben wir seit 2009 Visa­ freiheit, aber die meisten haben kein Geld, um sich frei zu bewegen“, sagt sie. „Wenn ich an die EU denke, dann wünsche ich mir, dass sie jungen serbischen Künstlern wie mir genau diese Möglichkeiten eröffnet.“ Text: Mirko Schwanitz  Foto: Constanze Flamme

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Stadt und Land


Foto: Darko Stanimirović/Belgrade RAW

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Belgrads Inkubator In Savamala mischen sich Industrie-Charme und Gründerzeit-Grandezza. Jetzt soll Belgrads aufstrebendes Viertel an der Save Beispiel für nachhaltige Stadtentwicklung werden. Nicht allen gefällt das.

Foto: Max Merz

Text: Birgit Rieger  Fotos: Max Merz, Sarah Portner

Im ehemaligen Geodätischen Institut stellen heute junge serbische und internationale Künstler aus.


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Savamala ist eins der ältesten Stadtviertel Belgrads, ein länglicher Streifen am Ufer der Save, der sich ein kurzes Stück bis zur Altstadt hinaufzieht. Hier mischen sich Industrie-Charme und GründerzeitGrandezza. Doch die Fassaden der schönen Altbauten bröckeln. Seit dem Zweiten Weltkrieg wurde in Savamala kaum etwas renoviert. Miroslav Marinković kommt den Hügel herabgelaufen, schwungvoller Schritt, blau-weiß gestreiftes Shirt, Sonnenbrille. Der 69-Jährige ist in Savamala geboren und so etwas wie die gute Seele des Quartiers. Mit viel Hartnäckigkeit hat er eine Parkzone für Anwohner erwirkt. Die Trinkwasserspender am Save-Ufer gehen ebenso auf seine Kappe wie der erste und einzige Wegweiser mit der Aufschrift „Savamala“. Verwaltungstechnisch ist Savamala kein eigener Bezirk, eine Hälfte gehört zu Savski Venac und die andere zu Stari Grad. Eine Zwischenzone, die lange ohne Lobby war. Doch Miroslav ist nicht mehr der Einzige, der will, dass sich in Savamala etwas tut. Seit Kurzem führt ein asphaltierter Fahrradweg am Ufer der Save entlang. In den Lagerhallen am Fluss haben Geschäftsleute schicke Restaurants wie das „Cantina de Frida“ eingerichtet. Mit dem Zustand des Ufers ist Miroslav dennoch unzufrieden. Die Schiffswracks, die seit zehn Jahren im Wasser vor sich hin rosten, sind ihm peinlich. „Man sollte sie ein Stück weiter flussaufwärts ziehen, wo sie das Panorama nicht stören“, sagt er. Für die jungen Leute, die Savamala nach und nach für sich entdecken, sind die skurrilen Schiffswracks eine Attraktion. Man trifft sich im Kulturzentrum „Grad“ am Fuße der Branko-Brücke. Das „Grad“ ist der kulturelle Pionier Savamalas. Man kann dort gut bis vier Uhr morgens ausharren, es gibt eine Bar, Live-Auftritte, DJs, Ausstellungen. Die hölzernen Dachbalken wurden bei der Renovierung erhalten, im Garten baumeln bunte Lampen, selbst gebastelt aus Absperrband. Nebenan liegt das „Spanische Haus“, eine ehemalige Zollstation. Von dieser sind nur noch die Außenwände übrig, das Dach ist weg, die Fenster auch. Einem Investor ging das Geld aus. Entlang der Braće Krsmanović machen ständig neue Clubs auf, wie das „Krug“, eine Lounge fast am Wasser, nur Schienen und Straße trennen sie vom Fluss. Im „Manus“ wummern TechnoBässe, im „Čorba Kafe“ singen Live-Bands serbische Schlager. Ein Stück weiter oben am Hügel hat jemand im Sommer einen Teil der labyrinthischen Gewölbe unter Belgrad als Club genutzt.

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Mitte des 19. Jahrhunderts hatte Prinz Miloš Obrenović entschieden, aus Savamala, der Nachbarschaft am Fluss, ein modernes Quartier nach mitteleuropäischem Vorbild zu machen. Die Belgrader Börse eröffnete in einem prächtigen Jugendstilgebäude unweit des Flusses, Banker und Kaufleute bauten schmucke Bürgerhäuser. Die schönen Fassaden von einst sind heute schwarz vom Ruß der Lastwagen und Autos, die permanent durch Savamala fahren. Die Karađorđeva, früher eine der schönsten Straßen Belgrads, ist zur Transitstrecke geworden.

Bis vor Kurzem wollte kaum jemand in Savamala wohnen Miljana Srejić steht dort an einer Kreuzung. Die 25-Jährige ist in Kruševac, einer Kleinstadt im Herzen Serbiens, geboren, sie studierte in Belgrad Germanistik und fand einen Job in einer Marketingabteilung eines Konzerns. „Bis vor Kurzem wäre niemand auf die Idee gekommen, in Savamala wohnen zu wollen“, schreit die junge Frau gegen den Durchgangsverkehr an. Die Wohnungen sind in schlechtem Zustand, die Arbeitslosigkeit ist enorm, Perspektiven gibt es kaum. Doch Miljana Srejić möchte Savamalas Nachbarschaft für Veränderungen begeistern. Sie gehört zu den „Goethe-Guerillas“, einer kulturellen Task-Force aus jungen Einheimischen, die das deutsche Goethe-Institut nicht nur in Belgrad, sondern auch in Priština oder Skopje installiert hat. Sie haben gemeinsame Putzaktionen im Stadtraum gestartet und Begegnungen mit den Nachbarn in den Hinterhöfen organisiert. „Die jungen Leute sind als lokale Scouts extrem wichtig“, sagt Matthias Müller-Wieferig, Leiter des Goethe-Instituts Belgrad. Denn viele Bewohner sind skeptisch gegenüber Fremden. Im September 2012 stellte das Institut „Urban Incubator: Belgrade“ vor, ein umfangreiches Stadtentwicklungsprojekt, durch das 2013 zehn internationale und lokale Projekte mit architektonischen und sozialen Interventionen die Lebensqualität in Savamala verbessern sollen. Ein temporärer Kubus in der Ruine des „Spanischen Hauses“ soll zur Begegnungsstätte für Nachbarn und Kreative werden. „Wir wollen eine alternative, nachhaltige Form der Quartiersentwicklung anstoßen“, so Müller-Wieferig. Momentan verhandelt er mit der Stadtverwaltung über leer stehende Gebäude. „Es könnte ein Modell für eine Stadtentwicklung ‚von unten‘ werden, für den Westbalkan oder ganz Europa“, hofft der Institutsleiter.


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Foto: Sarah Portner

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Von der ehemaligen Zollstation sind nur noch die Außenwände übrig geblieben. Einem Investor ging das Geld aus.

Gentrifizierung ohne die üblichen negativen Folgen, ohne Verdrängung der alteingesessenen Bewohner? Warum sollte in Belgrad klappen, was bisher weder in Berlin noch in Hamburg oder Zürich besonders gut funktioniert hat? „Savamala ist frei von den wirtschaftlichen und bürokratischen Zwängen eines prosperierenden Immobilienmarktes und bietet derzeit ideale Voraussetzungen, um alternative Formen der Quartiersentwicklung zu erproben“, sagt Architekt und Stadtplaner Tim Rieniets. Er ist Kurator des Belgrader „Incubators“ und wird den Kubus im „Spanischen Haus“ bauen, sobald der Winter vorbei ist.

Das brachliegende Potential des Viertels ist bekannt Es gilt jetzt Fakten zu schaffen, bevor andere es tun. Auch wenn derzeit keine Investoren da sind – das brachliegende Potential des Viertels ist bekannt. Spätestens seit das Mikser-Festival für Design und Kreativität im Sommer 2012 die leer stehenden Häuser Savamalas bespielte. Das Festival hatte sich Gentrifizierung explizit zum Ziel gemacht hat. Eine Woche lang schwirrten Künstler, Kulturinteressierte und Touristen durch die Straßen. Gelder kamen von internationalen Großkonzernen wie Red Bull und Chevrolet. Unter den Bewohnern im Viertel war das nicht unumstritten. Doch viele Leute kamen zum ersten Mal in die Gegend und begeisterten sich für die Freiräume, die sich dort bieten. Gordana, in Blümchenkleid, perfekt geschminkt, wohnt dort, wo die Mikser-Leute aktiv waren. Sie lebte schon dort, als es in Savamala noch Arbeit gab, im Vertrieb von Elektrofirmen wie Gorenje zum Beispiel. Sie ist auf dem Weg zu ihrer Wohnung und hat einen vollen Wasserkanister in der Hand. Die Wasserleitungen unter der Teerdecke platzen durch die vorbeidonnernden Lkw ständig auf. Das muss dann erst wieder repariert werden. Dass junge Leute nach Savamala kommen, findet Gordana gut. Aber Savamala solle auch Savamala bleiben, sagt sie. Allerdings bleibt immer noch die Frage, wer die Probleme löst, wer sich um den schlechten Zustand der Wohnungen kümmert, wer etwas gegen den mangelnden Kontakt zu den Behörden und gegen die Arbeitslosigkeit unternimmt. Birgit Rieger ist Kulturjournalistin und Soziologin in Berlin. Für die Tageszeitung „Der Tagesspiegel“ betreut sie eine wöchentliche Kulturbeilage und berichtet für verschiedene Tageszeitungen und Magazine über zeitgenössische Kunst, Kulturpolitik und Gesellschaft. Max Merz studierte Fotografie und arbeitet in Berlin als freier Fotograf. Sein Fokus liegt auf Reportagen und Street Photography. Sarah Portner arbeitet bei n-ost als euro|topics-Redakteurin. Vorher war sie Stadtschreiberin in Vilnius, wo sie auch fotografierte. Ihre Bilder wurden in mehreren Ausstellungen gezeigt.


Foto: Max Merz

Foto: Max Merz

Foto: Sarah Portner

Foto: Stefan Günther

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In Savamala treffen Künstler, Touristen, Alternativszene und Investoren aufeinander.

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Vom großen Wandel im Kleinen Selman Trtovac, Künstler, Belgrad „Wir erschaffen eigene Mikro-Utopien“, sagt Selman Trtovac. Der großgewachsene Mann mit den dunklen Haaren und dem melancholischen Blick sitzt an einem seiner Lieblingsorte in Belgrad, dem „Fragezeichen“. Das älteste Restaurant der Stadt liegt unweit der Fußgängerzone Knez Mihailova. Trtovac ist Künstler, 42 Jahre alt und Mitgründer der achtköpfigen Künstlergruppe „Treći Beograd“ („Drittes Belgrad“). Deren Anhänger strecken sich schon mal auf öffentlichen Plätzen zum Schlafen aus – um gemeinsam zu träumen. Aber die Gruppe schafft nicht nur mentale Räume. Sie hat ein halb fertiges Haus am linken Donau-Ufer zu einem Kunstzentrum umgebaut, ebenfalls „Treći Beograd“ genannt. Der Ort ist Galerie, Club und Bibliothek. Künstler aus Belgrad, der Region und der ganzen Welt stellen dort gemeinsam aus. Es gibt Vorträge und Lesungen im Garten für jedermann, derzeit wohnt eine Künstlerin aus Österreich in einem der Wohnateliers, das eigens für solche Zwecke ausgebaut wurde. Immer mehr Künstler in Belgrad verlassen sich nicht mehr auf die Kulturpolitik, sondern werden selbst aktiv. „Künstler kämpfen in Belgrad um ihre Existenz. Es gibt keinen Markt

und nur ein paar Galerien, die noch dazu alle umsonst arbeiten“, erzählt Trtovac. Er hat an der Kunstakademie in Düsseldorf studiert und gehört zu der Generation, die während der traumatischen Kriegszeit in den 1990er Jahren ihre Ausbildung durchlief. Kunst sei die beste Möglichkeit gewesen, sich von all dem zu distanzieren, sagt er heute. Nach dem Studium kehrte Trtovac im Jahr 2000 nach Belgrad zurück. „Ein Künstler muss sich fragen, was er für die Gesellschaft tun kann“, sagt Trtovac. „Es reicht nicht, nur im Atelier zu stehen.“ Wenn „Treći Beograd“ „dritte“, neue, utopische Räume kreiert, geht es nicht um globale Politik, sondern um individuelle Möglichkeiten, um Mikro-Politik. Die EU ist dennoch ein Thema. „Für uns Künstler ist es sehr wichtig, eine Zeit lang woanders leben und arbeiten zu können“, sagt Trtovac. „Deshalb bin ich für die EU.“ Die EU-Krise mache ihm keine Angst, meint er. Auf Chinesisch, sagt er, bedeute Krise Gefahr – aber auch Chance. Die Chance, gemeinsam etwas Neues auf die Beine zu stellen, ist für ihn mehr als ein Traum. Text: Birgit Rieger  Foto: Max Merz


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Mirko Ondrik – das Auge der Straße Mirko Ondrik ist von zu Hause abgehauen und lebt in Belgrad auf der Straße. Dann bekommt er von einem Sozialarbeiter eine Handykamera in die Hand gedrückt. Er fängt an, seine Umgebung zu dokumentieren. Mirko Ondrik ist ein Naturtalent, seine Bilder sind so gut, dass sie in einer eigenen Ausstellung gezeigt werden. Eine Foto-Tour. Fotos: Mirko Ondrik  Protokoll: Stephanie von Oppen / Stefan Günther


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Ein Teilnehmer des Fotoprojekts „Oko Ulice“ („Auge der Straße“) richtet seine Handykamera auf das Bild eines Rap-Stars. Mirko Ondrik fotografiert ihn dabei. – Mirko Ondrik ist vor einigen Jahren von zu Hause abgehauen und lebt in Belgrad auf der Straße, als er den Fotografen Dragan Kujundžić zufällig kennenlernt. Kujundžić bietet Jugendlichen einer Roma-Siedlung einen Fotokurs an: „Oko Ulice“. Bei diesem Projekt sollen sie mithilfe einer Handykamera ihre persönliche Perspektive auf ihr Umfeld fotografisch einfangen. Der 21-jährige Mirko Ondrik schließt sich dem Projekt an.


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Mirko Ondrik fotografiert seine Tante, die einer Nachbarin die Haare schneidet. Das Streiflicht der einfallenden Sonne lässt die Atmosphäre spüren – man kann das feuchte Haar und das Shampoo fast riechen. Für seine Fotoreportage ist Ondrik zurück in sein Heimatdorf gefahren. Dort wohnen vor allem Familien aus der Slowakei. Sie sind vor Jahrzehnten nach Serbien gekommen, um sich für einfache Arbeiten zu verdingen. Heute haben die meisten von ihnen ihre Beschäftigung verloren, leben von Gelegenheitsjobs. Die Frage, wie der Vater reagierte, als sein Sohn nach so langer Zeit wieder auftauchte, quittiert Mirko Ondrik nur mit einem Achselzucken.

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Mirko Ondriks Ex-Frau. Die beiden waren sehr jung, als sie heirateten, erst 15 Jahre alt. Auf Mirko Ondriks Bildern ist seine Verbindung zu den abgebildeten Personen zu spüren. Er fotografiert sie aber trotzdem aus einer Distanz heraus und zeigt dem Betrachter so die Person in ihrer Lebensumgebung.


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Dragan Kujundžić, der Leiter des Fotokurses, und ein weiterer Projektteilnehmer auf stillgelegten Bahngleisen in Belgrad. Die Personen erscheinen als kleine Silhouetten, die aus einer gekonnten Perspektive gegen das Licht fotografiert dennoch im Mittelpunkt stehen. Von den Aufnahmen, mit denen Mirko Ondrik zurück nach Belgrad kommt, sind seine Lehrer so überrascht wie begeistert. Und der 21-Jährige feiert den bis dahin vielleicht größten Erfolg seines Lebens: Er bekommt eine Einzelaus­stellung in einer Straßengalerie.

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Am Giebel eines baufälligen Hauses in Mirko Ondriks Heimatdorf hängt ein kaputter Stuhl wie eine Trophäe. Ustice ist rund 120 Kilometer von Belgrad entfernt. Die Familien sind sehr arm, viele schicken ihre Kinder zum Betteln oder Klauen. Vor dieser Situation war Mirko Ondrik als Teenager nach Belgrad abgehauen. Heute wohnt der 21-Jährige in einem der Wohnsilos am Rande der serbischen Hauptstadt. Um sich die Miete von 75 Euro im Monat leisten zu können, verkauft er „Sachen“, sagt er.


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Mirko Ondrik ist ein Meister des Weglassens: Die recht alltägliche Situation durch die Stadt spazierender Freunde verwandelt er in ein symbolisches Bild, indem er die städtische Kulisse einfach weglässt. Mirko Ondriks Traum ist es, Fotografie zu studieren. Seine Fotolehrer versuchen ihn davon zu überzeugen, nun den Volksschulabschluss nachzuholen.

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Ein Nachbar auf dem Dorf und sein Pferd. Der Bildanschnitt ist präzise und obwohl mitten durch das Gesicht nicht störend, sondern betont das Miteinander von Mensch und Tier. Die gekonnte Setzung der Motive zeichnet die Fotos von Mirko Ondrik aus.


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Auf Belgrads Festung „Kalemegdan“. Im weichzeichnenden Gegenlicht zeigt das Bild einen Mann, dessen Form sich in der Denkmalfigur im Bildhintergrund wiederholt. Details, die Mirko Ondrik sofort wahrnimmt und mit seiner Handykamera einfängt.

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Ein sich küssendes Paar auf Belgrads historischer Festung „Kalemegdan“. Auf Mirko Ondriks Foto scheinen die beiden zu einer Person im Scheinwerferlicht zu verschmelzen. Mirko Ondrik ist ein Optimist. Von der Vergangenheit möchte er lieber nichts wissen. „Ich blicke in die Zukunft“, sagt er mit einem Lächeln, „jetzt brauche ich erst mal eine eigene Kamera!“


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Perspektivwechsel Das Projekt „Oko Ulice“ („Auge der Straße“) wurde initiiert von AFA, einer serbischen Fotografenvereinigung. Projektleiter ist Dragan Kujundžić. „Oko Ulice“ richtet sich vor allem an jugendliche Roma. Sie bekommen eine Handykamera und den Auftrag, ihre Umgebung zu fotografieren. In Workshops wird ihnen außerdem das nötige Handwerkszeug mit auf den Weg gegeben. 2012 startete das Projekt. Eine Auswahl von 60 Bildern wurde schließlich in einem Belgrader Kulturzentrum gezeigt. Der beste der Teilnehmer, Mirko Ondrik, bekam außerdem eine Einzelausstellung in einer Straßengalerie (siehe Foto rechts oben). „Die Jugendlichen erzählen in den Fotos Geschichten aus ihrem Leben“, so Projektleiter Dragan Kujundžić. „Sie bekommen eine Chance, um über die Bilder mit den Bürgern zu kommunizieren. Auf der anderen Seite ist dies eine Gelegenheit für die Belgrader, den Alltag der Jugendlichen kennenzulernen und mit bestimmten Stereotypen über sie zu brechen.“ Der nächste Workshop ist im Frühjahr 2013 geplant. Mirko Ondrik ist dann kein Teilnehmer mehr – er wird Dragan Kujundžić als Projektassistent unterstützen.

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Europa im Kleinformat Im Norden Serbiens, der teilautonomen Provinz Vojvodina, wird die Idee der europäischen Regionen vorgelebt: Verschiedenste Volksgruppen haben hier eine Heimat gefunden – in Serbiens Tor zur EU. Text: Annette Streicher  Fotos: Hannes Jung, Max Merz

Foto: Max Merz

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Foto: Max Merz

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Foto: Hannes Jung

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Mihai Szabo (ganz links) ist Ungar, Maria Hanik ist Slowakin – in der Vojvodina sind viele verschiedene Volksgruppen zu Hause.

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„Club Žena“ steht auf dem Button, den die Frau an ihrer aufwendig bestickten Bluse befestigt hat. In Berlin oder London kein übler Name für eine Trend-Bar. Dabei bedeutet die Bezeichnung schlicht „Frauenclub“, übersetzt aus dem Serbischen. Wenn Maria Hanik über ihren Club spricht, gerät sie ins Schwärmen. „Alle meine guten Freundinnen sind mit von der Partie, kennen alle traditionellen Rezepte.“ Im Gemeindesaal des Örtchens Belo Blato, einem Dorf in Serbiens Nordprovinz Vojvodina, serviert die 63-jährige Slowakin Krautsalat in süßsaurer Essig-Marinade. Erzählt, dass alle Frauen vom „Club Žena“ klöppeln können, spinnen oder sticken. Dass die Bewohner ihre jahrhundertealte Folklore hüten, dafür ist die Vojvodina bekannt. Herausragend an der Region nördlich von Save und Donau ist, dass zahlreiche Volksgruppen auf engem Raum friedlich miteinander leben und ihre Traditionen bewahren. Rund 26 Nationen, nationale Minderheiten und ethnische Gruppen teilen sich eine Fläche etwa so groß wie Hessen. Ungarn, Slowaken, Kroaten, Rumänen, Russinen, Roma und Deutsche gehören zu den rund zwei Millionen Menschen unterschiedlichster Herkunft, die hier eine Heimat gefunden haben, oft Tür an Tür.

Beloblatisch – „die Sprache der Menschlichkeit” „Wir sind ein kleines Europa, so viele verschiedene Nationen leben hier“, begrüßt Milan Njedelko Gäste in Belo Blato. In seiner legeren Kleidung wirkt der Serbe auf den ersten Blick nicht wie ein Schuldirektor. An seiner Dorfschule steht gemeinsamer Unterricht auf Serbisch erst ab Klasse fünf auf dem Lehrplan. Denn zunächst lernen die Kinder in ihrer jeweiligen Muttersprache, auf Slowakisch, Ungarisch oder Serbisch. Deshalb hört man fast überall in dem 1.300-Seelen-Dorf mehrere Sprachen, im Frauenclub wie auf dem grasüberwucherten Fußballfeld. Und eine Sprache beherrschen alle, beschreibt Njedelko fast poetisch das alltägliche Mischmasch: „Beloblatisch – die Sprache der Menschlichkeit“.


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Den Frauen vom „Club Žena“ liegt die Bewahrung alter Bräuche und Traditionen am Herzen.

Mehrsprachigkeit, Minderheitenschutz und politische Teilhabe aller Volksgruppen werden in der Vojvodina großgeschrieben. Das Recht auf politische Vertretung beispielsweise wird durch nationale Räte und Ombudsmänner gesichert. Denn von jeher haben sich unterschiedliche Nationalitäten die Gegend in der Pannonischen Tiefebene geteilt: Fast drei Jahrhunderte gehörte die Vojvodina zur Habsburger Monarchie, fiel nach dem Ersten Weltkrieg an das Königreich Jugoslawien. Zu Zeiten Titos erhielt sie weitreichende politische Autonomie, die im nationalserbischen Jahrzehnt unter Slobodan Milošević allerdings aufgehoben, später schrittweise wieder hergestellt wurde. Vor einem reetgedeckten Haus sitzt ein älterer Mann, der ein Fischernetz knüpft. Viele Jahre lang hat Mihai Szabo aus den Seen, die Belo Blato umgeben, Karpfen gezogen, Hechte und Welse. Am liebsten erinnert sich der ungarische Fischer an die Zeit, als das Bild des Mannes mit dem strengen Blick noch in jeder Amtsstube hing. Im ehemaligen Jugoslawien habe „keiner jemals gefragt: Bist du ein Serbe oder Kroate?“ Ungern denkt der 68-Jährige daran, wie nach Titos Tod nationalistisches Gedankengut auch vor der Vojvodina nicht haltmachte, Ende der 1980er Jahre. Und ein großes Stück Speck plötzlich Billionen kosten sollte, nach der Hyperinflation Ende 1993.

„Eine Krisenzeit, die auch unser Dorf erreichte. Aber sie hat die Köpfe in der Vojvodina nie so verdreht wie im übrigen Serbien“, so Szabo. Vom Kriegsgeschehen sind die Menschen in der Vojvodina weitgehend verschont geblieben – viele Angehörige nationaler Minderheiten haben in den 1990er Jahren jedoch das Land verlassen, insbesondere Kroaten und Ungarn.

Die NATO-Bombardierung war ein Schock In Novi Sad, administratives Zentrum der Provinz und zweitgrößte Stadt Serbiens, ist es für viele Menschen noch immer schwer zu verstehen, weshalb ausgerechnet ihre Stadt bei den NATO-Luftangriffen auf Serbien 1999 stark bombardiert wurde. Schließlich wurde sie seit den Wahlen von 1996 von der Opposition regiert. „Immer hängt in der Luft eine Frage: Warum?“, sagt Hajnalka Buda, Chefredakteurin der ungarischen Redaktion beim staatlichen Fernsehsender RT Vojvodina, kurz RTV. Die resolute Journalistin macht Programm für die ungarische Minderheit in den beengten Räumen einer ehemaligen Fabrik, da damals auch das Rundfunkgebäude zerstört wurde. Dabei wurde aus Novi Sad schon vor den 1990ern in acht Sprachen gesendet – auch wenn der Sender zeitweilig vom serbischen


Staatsfernsehen in Belgrad einverleibt, auch für Propagandazwecke missbraucht wurde. Heute versorgt RTV wieder eigenständig zehn Minderheiten mit Nachrichten aus der Region. „Und auch die Serben schauen die Minderheitensendungen, weil die slowakische, russinische und mazedonische Sprache gut ver­ständ­ lich sind“, erzählt die Ungarin. Mit ihrer K.u.K.-Geschichte und Grenzen zu Ungarn und Kroatien ist die Vojvodina nicht nur geografisch näher an Zentraleuropa als andere Regionen Serbiens: Als bei den Parlamentswahlen im Mai 2012 der alte Präsident Boris Tadić abgewählt und der einstige Ultranationalist und Milošević-Vertraute Tomislav Nikolić neuer Staatschef wurde, erhielt Tadić nur in der Vojvodina mehr Unterstützung als sein Nachfolger. Erst im März 2012 hatte Tadićs demokratische Partei ihren größten Erfolg verzeichnet – als Serbien EU-Beitrittskandidat wurde. Vom Süden Serbiens hebt sich die Vojvodina auch ökonomisch ab: Rund 40 Prozent des Bruttoinlandsprodukts werden hier erwirtschaftet. In den Export gehen aus der ehemaligen Kornkammer Jugoslawiens Mais, Weizen, Zuckerrüben und Äpfel. Und der berühmte Paprika, im Sommer in Kränzen getrocknet.

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Hajnalka Buda macht das Fernsehprogramm für die ungarische Minderheit.

„Je mehr Autonomie, desto besser“, betont Regionalpolitiker Branislav Bugarski in fast akzentfreiem Deutsch. Besucher der Regionalversammlung in Novi Sad, dem „Parlament“ der Vojvodina, empfängt er vor einem Gemälde der winterlichen Provinz in Öl: Meierhöfe auf flachem Ackerland, aufgereiht wie an einer Perlenschnur. Der wortgewandte Mittdreißiger hat in Berlin Marketing studiert und ist sozusagen der „Außenminister“ der Vojvodina, zuständig für die Kooperation mit anderen Regionen. Sein Lieblingswort ist der Ausdruck „pushen“: „Gepusht“ hat der Serbe ausländische Investitionen, die heute fast zur Hälfte in die Vojvodina fließen. „Gepusht“ hat er Kooperationen mit deutschen Unternehmen genau wie die interregionale Zusammenarbeit mit Baden-Württemberg, Südungarn oder Westrumänien. Künftig will er die Integration der Vojvodina innerhalb Serbiens in die EU fördern, auch durch Austausch in Wissenschaft und Kultur. „Wir Europäer müssen lernen, unsere Kultur beizubehalten, aber diesen nationalen Stolz abzulegen“, sagt Bugarski.

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Der „Außenminister“ hat in Berlin Marketing studiert

„Je mehr Autonomie, desto besser“, sagt Branislav Bugarski, der „Außenminister“ der Vojvodina.


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Die Vojvodina mit ihren endlosen Feldern wurde als Kornkammer Jugoslawiens bezeichnet.

Die Vojvodina als Bildstrecke und in Kurzinterviews ► w ww.ostpol.de/beitrag/3543-die_vojvodina europa_im_kleinformat

Hoch oben auf dem Verwaltungsgebäude weht die serbische Flagge, gleich daneben die Provinzflagge der Vojvodina. Farblich zwar an die Nationalflagge angelehnt, zeigt sie drei gelbe Sterne auf einem breiten blauen Streifen: Drei Sterne für die Teile der Vojvodina Batschka, Banat und Syrmien; zugleich drei Sterne, die für den Wunsch der Bürger nach Zugehörigkeit zur EU stehen. „Völlig andere Rahmenbedingungen und neue Stabilität“, das sind Bugarskis Hoffnungen für sein Land. Im Gemeindesaal von Belo Blato fällt fahles Licht durch einen orangefarbenen Lamellenvorhang, wirft Muster auf das abgenutzte Fischgrätparkett. „Im Moment leben wir von Erinnerungen und hauptsächlich harter Landarbeit“, sagt Schuldirektor Njedelko. „Aber allmählich verdienen wir auch am Tourismus.“ Köchin Maria Hanik serviert Paprikaš, deftigen Eintopf aus Fleisch und Kartoffeln, dann ein für die Vojvodina typisches Dessert: Makoši – Mohnstrudel! Leicht fänden im Raum rund hundert Gäste Platz. Heute sind es etwa ein Dutzend, eine Reisegruppe aus Deutschland. Köchin Maria Hanik hat gerade erst Fremdenzimmer eingerichtet und hofft, dass es bald mehr Besucher nach Belo Blato verschlägt: „Engländer, Italiener, Deutsche.“ Soll doch schon der österreichischungarische Kronprinz Franz Ferdinand hier auf die Pirsch gegangen sein, nach Wildenten. „Unser Zusammenleben hier ist unsere Antwort auf die verrückte Welt da draußen“, sagt Milan Njedelko und reicht Pelinkovac, Kräuterlikör mit Wermut. Der schmeckt ganz ähnlich wie Jägermeister: bitter-süß. Annette Streicher, geboren 1975, studierte Politologie, Soziologie und Theaterwissenschaft und arbeitet als Journalistin in Berlin. Hannes Jung studierte Fotografie an der FH Hannover und arbeitet als freier Fotograf, z.B. für den Stern. Seine Arbeiten werden regelmäßig in deutschen und internationalen Magazinen veröffentlicht und sind außerdem in zahlreichen Ausstellungen zu sehen.


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Der Grenzgänger Miroslav Džunja, Ingenieur, Novo Orahovo Die Woche verbringt Miroslav Džunja in der EU, das Wochenende in Novo Orahovo, einem 2.000-Einwohner-Dorf in Nordserbien. Džunja arbeitet in Budapest, dort verdient er mehr als die 200 Euro monatlich, die er in Serbien bekommen würde. Der 50-jährige Ingenieur kommt mit dem Pendeln zwischen Orten, Staaten und Kulturen gut zurecht, er hat zwei Pässe und spricht drei Sprachen: Seine Muttersprache kann der 50-Jährige nur noch mit seinen Eltern sprechen, er gehört zur ethnischen Minderheit der Russinen. Als Kolonisten kamen diese im 17. Jahrhundert aus der Ukraine in die Vojvodina. Zu Džunjas Erbe gehört die Konfession – er ist gläubiger Adventist und beschäftigt sich gern mit Vatikanverschwörungen. Mit seiner Frau, einer Ungarin, und den Kindern spricht er Ungarisch. In der Armee hat er Serbisch gesprochen, im ersten jugoslawischen Zerfallskrieg war er Lastwagenfahrer bei der jugoslawischen Volksarmee in Slawonien. „Da ging es um meine Heimat“, sagt er heute. Als vier Jahre später Freiwillige für den Krieg im Kosovo gesucht wurden, hat er sich nicht mehr gemeldet: „Kosovo, das hatte mit mir nichts zu tun.“ Miroslav hat an Jugoslawien geglaubt,

schon deshalb, weil „die Jugo-Rockbands damals am besten waren“. Vielleicht auch, weil er als Jugoslawe serbischer Staatsbürger russinischer Nationalität mit einer ungarischen Familie sein konnte, ohne dass jemand von ihm verlangte, sich eindeutig festzulegen. Die 22-jährige Tochter studiert im ungarischen Szeged, der Sohn ist 27 Jahre alt und arbeitet nach einem Studium in Ungarn jetzt bei einer Versicherungsanstalt in Novi Sad. Miroslav, der den größten Teil der Woche in der EU verbringt und auch einen ungarischen Pass hat, wünscht sich mehr internationale Anerkennung für Serbien. Er hofft auf ein serbisches „Wirtschaftswunder“, wie es Deutschland nach dem Zweiten Weltkrieg erlebte. An eine baldige EU-Mitgliedschaft Serbiens aber glaubt er nicht: „Nicht, solange Merkel dort das Sagen hat“, meint er. Text: Cornelia Kästner  Foto: Stefan Günther

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Nach der Zwangsumsiedlung ist diese Containersiedlung am Stadtrand von Belgrad das Zuhause zahlreicher Roma-Familien.

Abgeschoben in den Container In Belgrad gibt es mehr als hundert informelle Roma-Siedlungen. Viele wurden in den vergangenen Jahren zwangsgeräumt, die Bewohner vertrieben oder in Containersiedlungen an den Stadtrand verfrachtet. Text: Dirk Auer  Fotos: Marko Risović / Kamerades


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Geblieben sind die Erinnerungen und ein Video auf seinem Handy. „Schau“, sagt Baškim. Auf einem verwackelten Clip sind aus Brettern, Wellblech und Karton gefertigte Hütten zu sehen, dazwischen Berge von Müll und kleine Kinder. „Belvil“ hieß diese illegale Siedlung, abgeleitet vom französischen „Belle Ville“ („Schöne Stadt“). Mitten in NeuBelgrad gelegen war sie für etwa tausend Roma jahrelang ein provisorisches Zuhause. Aber schön waren in Belvil allenfalls die Glasfassaden der Hochhäuser drumherum, die schicken Wohnblocks und das Shopping-Zentrum. Im Ghetto selbst war das Leben ohne Wasser und Strom eine „Katastrophe“, wie Baškim immer wieder sagt. „Aber immerhin, es gab etwas Arbeit“, wirft seine Frau Refica ein. Gemeinsam mit ihrem Mann ist sie 1999 nach dem Krieg aus dem Kosovo nach Belgrad geflohen. Zwölf Jahre lang haben sie dann in Belvil gelebt, bis am 26. April 2012 erst die Lastwagen anrückten, um ihr Hab und Gut einzuladen, und später die Bulldozer, um das Gelände dem Erdboden gleichzumachen. Die Stadt Belgrad hat das „Umsiedlung“ genannt, die Beendigung eines rechtswidrigen Zustands. Andere nannten es „Vertreibung“, eine „rechtswidrige Zwangsräumung“. So steht es in einem Bericht der Menschenrechtsorganisation Amnesty International. Die Bewohner seien weder vorher angehört noch auf Einspruchsmöglichkeiten hingewiesen worden – genauso wenig wie bei allen anderen insgesamt 17 Zwangsumsiedlungen in Belgrad seit 2009. Fast immer waren geplante Baumaßnahmen oder Infrastruk­turprojekte der Grund für die Räumung der jahrelang geduldeten Siedlungen.

Mit drei Kindern in zwei Containern Die Roma von Belvil leben seitdem auf mehrere Containersiedlungen verteilt. Die Zuteilung erfolgte nach einem exakt festgelegten Schlüssel: Für drei Familienmitglieder gab es einen Container, jeder etwa acht Quadratmeter groß. Mit drei Kindern dürfen Baškim und Refica deshalb zwei solche „mobile Wohneinheiten“ ihr Eigen nennen. Sie wollen nicht klagen, denn die neue Unterkunft hat zumindest Strom und Wasseranschluss. Sie ist auch normal beheizbar, zumindest wenn die Stadt ihr Wort hält und vor dem Wintereinbruch noch die versprochenen Öfen vorbeibringt.

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„Mobile Wohneinheit“ nennt man die Container. Jeder ist etwa acht Quadratmeter groß und muss für drei Familienmitglieder reichen.

Wenn da nur nicht diese ungünstige Lage wäre. „Als sie kamen, um uns umzusiedeln, hatten sie behauptet, dass die neuen Siedlungen ganz in der Nähe der Stadt seien“, beschwert sich Baškim. Tatsächlich sind sie dann in einen Vorort von Belgrad gefahren worden, nach Resnik, genauer gesagt an dessen äußersten Rand auf ein offenes Feld, wo bereits 16 Container aufgestellt waren. Bis zu den ersten Häusern von Resnik sind es etwa zwei Kilometer, bis zur nächsten Schule drei. „In Belvil war die Wohnsituation furchtbar, aber wir kamen irgendwie noch über die Runden“, blickt Refica zurück. Denn wenn es gut lief, ließen sich mit dem Sammeln von Altmetall und Altpapier bis zu 200 Euro im Monat verdienen. Das ist in Resnik nicht möglich. Und die wenigen, die in der Stadt einen regulären Arbeitsplatz haben, müssen nun bis zu zwei Stunden ins Zentrum pendeln.

Das neue Zuhause ist weit vom Zentrum entfernt Dabei hätte es noch schlimmer kommen können. Andere Roma aus Belvil wurden etwa in das Dorf Dren geschickt, das 26 Kilometer von Belgrad entfernt liegt. Dort haben sie überhaupt keine Möglichkeit mehr, einer Arbeit nachzugehen. Hatten die Behörden die Umsiedlung auch damit gerechtfertigt, die Situation der Roma verbessern zu wollen, ist das Leben für die meisten Betroffenen tatsächlich eher schwieriger geworden, bestätigt Jovana Vuković vom Zentrum für Minderheitenrechte. Sie haben ihre Arbeit verloren und sind nun praktisch vollständig von Sozialleistungen abhängig. Entspre-

chend fordert auch Amnesty International ein Ende der Zwangsräumungen und eine Legalisierung und Verbesserung der bestehenden Siedlungen. Baškim und Refica sowie alle anderen Bewohner ihrer Siedlung gehen seit einem halben Jahr jeden Tag ins Dorf und holen sich dort ihre Lebensmittelrationen ab: Bohnen, Mehl und andere Dinge. Das Allernotwendigste eben, sagt Refica. Damit es wenigstens einmal am Tag eine schlichte Mahlzeit gibt. Auch das Rote Kreuz kam schon einmal vorbei und brachte Kleider und Lebensmittel. Weil das alles trotzdem vorne und hinten nicht reicht, stehen fünf Container in der neuen Siedlung von Resnik auch schon wieder leer. Baškim weiß nicht, wo die ehemaligen Nachbarn sind. Mindestens eine Familie sei ins Ausland gegangen. Mindestens eine. Für Baškim und seine Frau ist das keine Option. Sie wissen, dass Roma auch im Westen alles andere als mit offenen Armen empfangen werden und wollen nur eins: endlich zur Ruhe kommen. Denn das Leben im Container ist wieder nur eine Zwischenlösung, das hoffen sie, und das beteuert auch die Stadt. Aber wann es weitergeht und wohin? Baškim zuckt mit den Schultern. Nur nicht noch weiter weg. „Eher ziehen wir wieder in einen dieser Slums, die es noch gibt“, sagt er. „Die Haupt­ sache ist, dass wir für uns selbst sorgen können.“ Dirk Auer, geboren 1970, lebt als freier Südosteuropa-Korrespondent in Sofia und arbeitet v.a. für den öffentlich-rechtlichen Hörfunk. Marko Risović arbeitet als freier Fotograf in Belgrad meist an längerfristigen Projekten. Zuvor war er sechs Jahre lang Fotojournalist bei verschiedenen serbischen Agenturen. Er gehört zu dem Fotografenkollektiv „Kamerades“.


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Das Leben im Container soll eine „Zwischenlösung“ sein. Wohin es weitergeht und wann, weiß keiner.

Die Siedlung ist zwei Stunden vom Stadtzentrum entfernt, bis zur nächsten Schule sind es drei Kilometer.

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Die neuen Gastarbajter Die jungen Eliten verlassen Serbien, weil sie in ihrer Heimat keine Perspektive sehen. Viele Kreative zieht es nach Berlin. Fotos: Constanze Flamme  Text: Krsto Lazarevic

Das Wort „Gastarbajter“ ist längst ins Serbische übernommen: Jeder dritte Serbe lebt heute in der Diaspora. Während die sogenannten Gastarbeiter der 1960er und 1970er Jahren vornehmlich mit Fließbändern in Verbindung gebracht werden, sind die jungen Kreativen das neue Gesicht der serbischen Diaspora in Deutschlands Hauptstadt Berlin. Eine halbe Million Menschen verließ Serbien in den vergangenen 20 Jahren, darunter überdurchschnittlich viele Akademiker. Die meisten gehen wegen der schlechten Arbeitsmarktlage und mangelnder Perspektiven. Heute stellen Serben die siebtgrößte Migrantengruppe in Deutschland.

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„Um Deutsch zu lernen, schaue ich Tatort mit Untertiteln“ Veljko Marković, 25, Architekt Veljko führt derzeit sein Architekturstudium in Deutschland fort. Der Versuch, in Belgrad ein Leben aufzubauen, hatte ihn zu viel Energie gekostet. Seine Eltern verstehen das nicht. Aus ihrer Sicht hat ihr Sohn alles richtig gemacht. Vorbildlicher Universitätsabschluss, Auslandserfahrung – und trotzdem fand er keinen Job. Von den 250 Kommilitonen, mit denen Veljko sein Architekturstudium in Belgrad abgeschlossen hat, haben bislang nur zwei Stellen als Architekten gefunden. 2010 kam Veljko schließlich über ein DAAD-Stipendium nach Berlin: „Wenn man die wirtschaftlichen Aspekte mal beiseitelässt, ist die Mentalität in Berlin ähnlich wie in Belgrad. Ich mag den Schmutz und dass man in den Bars rauchen darf“, sagt er. Um Deutsch zu lernen, besucht er Sprachkurse und sieht sich den Tatort mit Untertiteln an. Für die Zeit des Studiums hat Veljko Marković ein Visum. Was danach kommt, ist ungewiss. Wenn es hier nicht klappt, möchte er nach Belgrad zurück. Zu Besuch bei seiner Familie in Belgrad hatte er allerdings gemerkt, dass er schon etwas deutscher geworden ist. Seine Mutter sah ihn ganz verständnislos an, als er sie fragte, ob sie den Müll nicht trenne.


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„In Berlin muss ich weniger kämpfen als in Belgrad“ Mariana Jocić, 29, Fotografin Mariana wurde in Belgrad geboren und zog als Kind mit ihren Eltern nach Melbourne. Nach ihrem Studium kehrte sie Australien den Rücken: „Ich bin Europäerin und wollte dorthin zurück“, sagt sie. Sie ging nach Belgrad. Ein Jahr lang arbeitete sie dort als Fotografin beim Film. Wenn Sie Englisch spricht, wirkt sie ruhig. Sobald sie beginnt, Serbokroatisch zu sprechen, fängt das wilde Gestikulieren an. Bereits in diesem alltäglichen Wechsel zwischen den Sprachen zeichnen sich die Unterschiede zwischen ihrer australischen Sozialisierung und ihrer serbischen Herkunft ab. Obwohl sie an Belgrad hängt, stört sie dort vieles: „In Australien habe ich in einer multikulturellen Umgebung gelebt, die gibt es in Belgrad so nicht.“ Sie sagt, dass die meisten jungen Menschen in Serbien keine Perspektive sähen und das Land deswegen verlassen wollten – gerade diejenigen, die das Land bitter bräuchte. Auch Mariana entschied sich deshalb 2011, Serbien zu verlassen und nach Berlin zu gehen. Dort müsse sie nicht so kämpfen wie in Belgrad, meint sie. Sie bekam gleich viele Aufträge als Fotografin: „Da fühlte ich schnell“, sagt Mariana, „dass dies die Stadt ist, in der ich leben möchte.“


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„Erst mal musste ich erklären, dass ich keine Putzfrau bin“ Vanja Prokić, 25, International Account Managerin Einmal Finger schnipsen bedeutet: „Du hörst mir jetzt zu!“, zweimal bedeutet: „So wird das jetzt gemacht!“ und viermal: „Für heute bin ich fertig mit dir!“. So beschreibt Vanja ihren Job. Das ist aber mit einem Augenzwinkern zu verstehen. Bei einer großen Werbeagentur in Frankfurt am Main betreut sie internationale Kunden. Die zwei Jahre davor hat sie in Berlin verbracht. Trotz beeindruckenden Lebenslaufs war sie dort erst mal mit Vorurteilen konfrontiert. „Der Beamtin bei der Ausländerbehörde musste ich erklären, dass ich keine Putzfrau bin und eine reguläre Arbeitserlaubnis brauche“, erzählt sie. Bereits mit 18 Jahren arbeitete sie in Belgrad als Reporterin beim serbischen Fernsehen. Nebenbei studierte sie noch Medienmanagement, engagierte sich in der LGBT-Community und machte das Belgrader Nachtleben unsicher. Nach ereignisreichen Jahren fand sie, es sei an der Zeit, woanders hinzugehen. Dabei dachte sie nicht sofort an Deutschland, ließ sich aber vom Charme Berlins überzeugen. Obwohl sie Belgrad oft vermisst, möchte sie die nächsten Jahre nicht wieder zurück. Erst mal zieht es sie wieder nach Berlin: „Meine Wohnung dort habe ich nur untervermietet!“


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„Ich habe keine Lust, Klischees zu wiederholen“ Slaviša Marković, 41, Theaterschaffender Slaviša kam 1998 aus Serbien nach Deutschland. Über seine Gründe und die Jahre unter Milošević sagt er nur: „Es gab einen seelischen und materiellen Mangel.“ Zufällig verschlug es ihn nach Berlin, weil er hier einen Schlafplatz bei einem Bekannten hatte. In den ersten beiden Jahren fiel es ihm schwer, sich einzufinden. Doch bald konnte der ausgebildete Schauspieler Fuß fassen: Gemeinsam mit seinem Bruder Nebojša betreibt Slaviša seit 2006 das Rroma Aether Klub Theater in Neukölln. Ihm ist wichtig, dass auf seiner Bühne keine Vorurteile über Roma reproduziert werden. „Nur wenige Menschen haben sich mit dem Theater der Roma befasst. Die kennen die Filme von Emir Kusturica und nehmen seine Klischeebilder auf.“ Er versuche vielmehr, mit dem Theater das multikulturelle Lebensgefühl von Neukölln auf die Bühne zu bringen: „Unser Publikum kommt aus aller Welt und aus allen Schichten.“ Heute gefällt es Slaviša Marković sehr gut in Berlin. In Serbien war er seit seinem Wegzug nicht mehr. Er hofft, dass sich die politische und wirtschaftliche Situation dort bessert, „damit junge Menschen wieder einen Grund sehen, ihre Heimat mitzugestalten anstatt sie zu verlassen“.


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„In Berlin kann ich gut von meiner Arbeit leben – das wäre in Serbien nicht so“ Neven Cvijanović, 26, Grafikdesigner Nach seinem Studium in Ljubljana wollte Neven eigentlich nach Belgrad gehen. Doch dann wurde im Jahr 2012 aus dem Praktikum bei einer Berliner Design-Agentur bereits nach vier Monaten ein fester Job. „Ich kann in Berlin gut von meiner Arbeit leben. Das wäre in Slowenien oder Serbien nicht so“, meint er. Seine Freizeit verbringt er derzeit damit, den ersten Bildband von „Belgrade Raw“ zu illustrieren, einer Gruppe von Fotografen, die das Belgrader Stadtleben festhalten und dabei auch soziale Probleme darstellen. Nevens Eltern waren in den 1980er Jahren nach Slowenien gezogen. Nach dem Zusammenbruch Jugoslawiens galt das plötzlich als „Ausland“. Seine Heimat hat Neven bis heute nicht gefunden, weder in Slowenien noch in Serbien – noch in Deutschland. Deutsch zu lernen, fällt ihm derzeit noch schwer: „Immer, wenn ich anfange, Deutsch zu sprechen, antworten mir die Leute auf Englisch.“


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Constanze Flamme studierte Fotografie in Potsdam und Amsterdam. Sie ist freie Fotografin in Berlin. Ihre Arbeiten waren bereits in verschiedenen Ausstellungen zu sehen. Sie arbeitet zunehmend an Langzeitprojekten, für die sie bereits ein Stipendium der VG Bildkunst erhielt.


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Impressum Herausgeber n-ost Netzwerk für OsteuropaBericht­erstattung e.V. Neuenburger Straße 17 10969 Berlin n-ost@n-ost.org www.n-ost.org Redaktionsleitung: Tamina Kutscher Fotoredaktion: Stefan Günther Textredaktion: Tamina Kutscher, Juliane Matthey, Sarah Portner, Sonja Volkmann-Schluck Lektorat: Anke Zeitschel Artdirektion und Design: Anton Sokolowski Druck: Medialis Offsetdruck GmbH

Links Kamerades, das Belgrader Fotografenkollektiv, besteht aus sechs Fotografen, die dokumentarisch arbeiten. Ihr Ziel ist es, mittels der Fotografie den Blick für soziale Probleme in Serbien zu schärfen. Für unser Heft fotografierte Marko Risović Containersiedlungen, in denen Roma-Familien wohnen, Milovan Milenković Belgrads besondere Architektur, Nemanja Jovanović ˇolić das die Verwüstung während der Gay Pride 2010 und Saša C Horkestar-Ensemble bei seinen spontanen Auftritten. Belgrade RAW ist ein Zusammenschluss von Fotografen, die sich vor allem mit Street Photography beschäftigen. Ihre Fotos zeigen spannende, symbolische und oft komische Aspekte aus dem serbischen Alltag. Im Heft sind die Doppelseiten zu den Rubriken „Partisanen des Pop“, „Stadt und Land“, „Was war?“ sowie das Titelbild von Belgrade RAW fotografiert.

Titelbild: Darko Stanimirović / Belgrade RAW

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© n-ost e.V., Berlin 2013 Das Copyright für die Fotos liegt bei den

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