natur&land 2/2015

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ZEITSCHRIFT DES | naturschutzbund | HEFT 2-2015

Mit 32-seitigem Innenteil:

LASST BLUMEN BLÜHEN! Was es braucht, damit Wildund Honigbienen bessere Überlebenschancen haben

NATUR VERBINDET Neue Kampagne für mehr Blühflächen in Österreich

JEDER m² ZÄHLT! Melden Sie Ihre blühenden Wiesen, Felder und Wegränder

FISCHOTTERMANAGEMENTPLAN für Oberösterreich

ZUR FÖRDERUNG EINGEREICHT BEI BUND UND EUROPÄISCHER UNION


Diesmal darf ich Ihnen das neue Heft gleich als Doppelpack präsentieren: Sie finden unseren Themenschwerpunkt „Lasst Blumen blühen!“ als Beilage eingeheftet. Wer will, kann sich das zweite Heft herausnehmen. Da es wie ein kleiner Ratgeber aufbereitet ist, haben wir davon eine größere Stückzahl gedruckt und werden diese Beilage weit streuen. Wer noch weitere Exemplare zum Verschenken an Bekannte und Freunde haben möchte, kann sie gerne bei uns erwerben.

EDITORIAL

Liebe Leserinnen liebe Leser!

Ihre

NATURSCHUTZTAG 14.–15. 10. 2015

Vieles dreht sich bei uns heuer um Bienen & CO, Bestäubung & Blühflächen, regionales Saatgut & naturnahe Bewirtschaftung – angefangen von der aktuellen Kampagne NATUR VERBINDET über die Meldeplattform für Blühflächen bis zur Naturschutztagung im Herbst. Immer mehr Menschen vermissen blühende Landschaften und die damit verbundene Tierwelt. Es bräuchte oft nur einen Anstoß, damit sich etwas ändert. Aus diesem Grund haben wir uns zu dieser Beilage entschlossen – sie soll den Schritt in die Richtung zu mehr blühender Landschaft erleichtern!

Ingrid Hagenstein Chefredakteurin

Vorankündigung – Save the date!

45. ÖSTERR. NATURSCHUTZTAG 2015 NATUR VERBINDET: Wie kommen wir zu mehr blühenden Landschaften? WANN: 14. 10. ab 17 UHR und 15. 10. 9–16.30 UHR WO: ST. VIRGIL SALZBURG, 5020 SALZBURG

Mit Verleihung des Österreichischen Naturschutzpreises Eröffnungsvortrag von Dr. Paul Westrich, einem der renommiertesten Wildbienenexperten Europas: «Von Baumeistern, Blumenschläfern und Pollensammlern – eine Reise in die faszinierende Welt der Wildbienen» Nähere Infos im nächsten Heft und ab August auch auf www.naturschutzbund.at und www.naturverbindet.at WIR LADEN ALLE MITGLIEDER UND ABONNENTEN HERZLICH DAZU EIN! Foto: UMG

Sommerausgabe | natur&land | 101. JG. – Heft 2-2015

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INHALT

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AKTUELL 03

Ticker | Bienengefährlich – ja oder nein? | Größeres Wildkatzengehege im Nationalpark Thayatal

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Ticker | Green Belt Center Windhaag eröffnet | Neue Fischart in der Mur entdeckt

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Höchststrafe für Luchsmörder gefordert

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AUS DEN LANDESGRUPPEN 06

OBERÖSTERREICH Fischotter-Managementplan

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BURGENLAND Pflanzenwelt des Burgenlandes ist online | Neue Fischotterbroschüre

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STEIERMARK Grazer Vorgärten sind einzigartig!

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STEIERMARK Kraubatheck: Keine Windräder im Wohnzimmer von Specht & CO | DI DR. ANDREAS KRANZ

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KÄRNTEN Völkermarkter Stausee: Wo Fischotter, Graureiher & CO ungestört Fische fressen dürfen

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NIEDERÖSTERREICH Kein neues Kraftwerk am Kamp! DI WERNER GAMERITH

26 U 2 REIHE: Was Spendengelder ermöglichen: OÖ: Auf den Spuren bedrohter Kleinfische 12 Kinderseiten: Knubbli, der Skorpion, Teil 1 18 Buchtipps allgemein 19 Bücher der Landesgruppen 20 Adressen der Landesgruppen Impressum 21 Mitglied oder Abonnent/in werden 22 Shop 23 Vorschau aufs nächste Heft Abobestellschein/Geschenkabo U 3 Neues vom Bienenschutzfonds Fotos v. o.: NP Kalkalpen; Kurt Hoerbst; Werner Gamerith

Fotografie im Blut ? Natur im Herzen ? Wir wollen Ihre Bilder !

www.piclease.com

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Die Naturbildagentur

Titelbild: Eine Gartenhummel (Bombus hortorum) beim Besuch einer Gefleckten Taubnessel. Durch ihren sehr langen Rüssel ist sie bestens an langröhrige Blüten angepasst. Bemerkenswert ist die Einpassung von Fühlern und Blütenbau! © Wolfgang Schruf

Sommerausgabe | natur&land | 101. JG. – Heft 2-2015


AKTUELL Der massive Gifteinsatz in Landwirtschaft und Gärten setzt den Honig- und Wildbienen enorm zu und schadet letztlich uns allen.

++GRÖSSERES WILDKATZENGEHEGE IM NATIONALPARK THAYATAL Am Palmsonntag wurde Österreichs größte Wildkatzenanlage eröffnet. Während des Winters wurde das Wildkatzengehege des Nationalparks Thayatal durch die Einbeziehung eines Teils des angrenzenden Waldes auf 450 m² vergrößert. Dadurch können Frieda & Carlo, wie die beiden Wildkatzen heißen, ihr natürliches Verhalten noch besser ausleben. Die neue Anlage ist auch für Kinder eine Attraktion: Ein Kriechtunnel führt ins Gehege hinein und über eine Sichtkuppel kann man womöglich „Aug in Aug“ mit den Wildkatzen sein. www.wildkatze-in-oesterreich.at

Bienengefährlich - ja oder nein? Rechtsstreit um Bayer-Pestizide Der BUND darf Pestizide des Pharma-Konzerns Bayer als bienengefährlich bezeichnen. Der Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND) hatte im vergangenen Jahr eine Broschüre mit dem Titel „Pestizidverkauf in Bauund Gartenmärkten – BUND-Einkaufscheck“ veröffentlicht, um darauf aufmerksam zu machen, dass Verkäufer in Garten- und Baumärkten die Kunden sehr häufig falsch über den Einsatz verschiedener Unkraut- und Insektenbekämpfungsmittel informieren würden. In der Broschüre wurden Pflanzenschutzmittel von Bayer mit dem Wirkstoff Thiacloprid als für Bienen gefährlich bezeichnet. Bayer ging vor Gericht und blitzte ab: Die Richter entschieden, dass die Aussage der Bienengefährlichkeit durch einen „Tatsachenkern“ gedeckt sei. Der BUND-Vorsitzende Hubert Weiger rief Bayer und dessen Tochterunternehmen CropScience dazu auf, die Produkte umgehend vom Markt zu nehmen. Die Gefährlichkeit der Pflanzenschutzmittel für Bienen sei „wissenschaftlich belegt“. Konkret geht es um die Schädlingsbekämpfungs-Produkte „Schädlingsfrei Calypso“ und „Zierpflanzenspray Lizetan“ des Pestizidherstellers Bayer CropScience. Beide beinhalten den Wirkstoff Thiacloprid. Dieser gehört zur Klasse der Neonicotinoid-Wirkstoffe. Sie gelten mit als Auslöser des weltweit zu beobachtenden Honigbienenvölkersterbens. Daher hatte die EU-Kommission ab 1. Dezember 2013 die Zulassung für drei Neonicotinoide zunächst für zwei Jahre für bienenrelevante Kulturen wie zum Beispiel Raps eingeschränkt. Dagegen klagen die Hersteller Bayer und Syngenta derzeit vor dem Europäischen Gerichtshof. Auch in Österreich ist bienengiftiges Fipronil als Ameisenbekämpfungsmittel in Drogeriemärkten, im Lebensmitteleinzelhandel, in Baumärkten und Gartencentern frei erhältlich. Fipronil wurde jedoch wegen seiner Bienengiftigkeit von der EU in der Landwirtschaft weitgehend verboten. Die EU will derweil die Wirkung der umstrittenen Pestizide erneut unter die Lupe nehmen. Bis Ende Mai sollten neue wissenschaftliche Ergebnisse zu den Neonicotinoiden gesammelt werden. Eine Untersuchung des Wissenschaftsnetzwerks EASAC kommt zu dem Schluss, dass die Nervengifte Bienen, Wespen, Käfern und Regenwürmern erheblich schaden könQuellen: Greenhouse Infopool Berlin (dpa, KNA, epd); Global 2000 nen. HA

Fotos v. l. n. r.: NP Thayatal/M. Graf; Wolfgang Schruf; NP Thayatal/C. Waitzbauer

++TICKER ++Die Balkanflüsse sind das letzte große Kerngebiet des Huchen. Das belegt nun eine Studie. An 43 Flüssen wurden auf einer Strecke von insgesamt 1.842 km überlebensfähige Huchenpopulationen nachgewiesen. Das entspricht 65 % aller bekannten Huchen-Flüsse weltweit. ++200 Garnelenzüchter in Indien satteln auf nachhaltige Produktion um. Eine Partnerschaft der Firma Hofer und der Austrian Development Agency unterstützt sie dabei. ++Nein zu gefährlichen Ölbohrungen in der Adria – Die kroatische Regierung hat im Jänner d. J. 10 Konzessionen für Ölbohrungen an der Adriaküste vergeben, 7 davon hält die OMV u. a. vor Dubrovnik. Dagegen gibt es starken Widerstand in der kroatischen Bevölkerung und Kritik aus Italien. Denn die Menschen sehen ihre wertvolle Natur und den Tourismus bedroht. ++Reduktion der dünnen Plastiksackerl bis 2019 um die Hälfte. Laut Umweltausschuss des EU-Parlaments dürfen ab 2018 entweder keine mehr gratis abgegeben werden oder andere Maßnahmen sorgen dafür, dass der Verbrauch bis 2019 um die Hälfte sinkt. Sommerausgabe | natur&land | 101. JG. – Heft 2-2015

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Foto: Thomas Friedrich

AKTUELL

++GREEN BELT CENTER IN WINDHAAG ERÖFFNET Am 3. Mai 2015 war es soweit: Das große Green Belt Center Windhaag wurde bei Freistadt eröffnet. Es ist neben dem „Natura2000- und Grünen Band-Zentrum“ im OÖ Leopoldschlag nun das zweite dieser Art im Mühlviertel. Der gesamte Mittelstock ist dem Grünen Band Europa gewidmet. Naturschutzbund OÖ-Obmann Josef Limberger und der Fotograf und Filmemacher Thomas Hackl gestalteten eine Ausstellung mit ausgewählten Sequenzen der größten Dokumentation über das 12.500 km lange Grüne Band: Bildmaterial aus allen Regionen, vom Eismeer bis zur Schwarzmeerküste, von einigen der besten Fotografen und Fotografinnen, ergänzt durch bewegte Filmsequenzen von Thomas Hackl sind hier zu bestaunen. Mit dem Zentrum in Windhaag ist nun auch Platz für größere Seminare und Vorträge (über 1.000 m²). Betreiber und Errichter des Green Belt Centers ist die Naturraum Grünes Band GmbH. Finanziert wurde es aus Mitteln des Landes OÖ und der EU. HA

Neue Fischart IN DER MUR ENTDECKT Forschern der Universität für Bodenkultur Wien und der Karl-Franzens-Universität Graz ist 2014 gelungen, was sich fast jeder Naturwissenschaftler irgendwann einmal erträumt: Die Entdeckung einer neuen Art. Es handelt sich dabei um einen Gründling aus der Familie der Karpfenfische, der aufgrund seines grünlichen Schleiers vorerst den Namen Smaragdgressling (Romanogobio sp. nov) erhalten hat. Geglückt ist diese kleine Sensation bei einer Befischung im Oktober 2014 an der oberen Mur im Bereich von Bruck, nachdem dort bereits 2007 vereinzelte Exemplare gefangen worden waren. Bei den damals im Rahmen einer Studie zufällig ins Netz gegangenen Fischen vermuteten die Forscher Kreuzungen von Steingressling und Donaugründling. Erst eine morphologische Untersuchung verschiedener Größenklassen aus dem Jahr 2014 und die genetische Bestimmung mittels „DNA-barcoding“ im Rahmen der ABOL (Austrian Barcode of Life) Initiative haben ergeben, dass es sich um eine eigene Art handelt. Die erstmals für Österreich nachgewiesene Fischart ist nach bisherigem Wissensstand eine endemische, also nur eng begrenzt vorkommende Reliktart und unterstreicht damit den hohen ökologischen Wert der Mur. Neben der letzten großen Huchenpopulation gibt es mit dem Smaragdgressling nun eine weitere Art in der Oberen Mur für deren Erhaltung Österreich verantwortlich ist. HA Foto: Kurt Hoerbst

www.greenbeltcenter.eu

Die Forscher suchen Hinweise auf Vorkommen dieser Art in anderen Flüssen oder Murabschnitten! Kontakt: thomas.friedrich@boku.ac.at oder stephan.koblmueller@uni-graz.at Literaturhinweis: Eine erste Beschreibung dieser Art findet sich in: Österreichs Fischerei, 68. Jg., H. 4-2015, S. 91-99 „Eine neue, unbeschriebene Gründlingsart der Gattung Romanogobio in der oberen Mur“

++TICKER ++Atomendlager in Tschechien – Widerstand wird größer: Während sich bisher kleine Gemeinden gegen ein Atommüllendlager gewehrt haben, steigt nun auch die Stadt Brünn auf die Barrikaden und protestiert gegen einen Standort vor der Haustür. ++Amazonas droht ein Drittel seiner Fläche zu verlieren: WWF warnt vor globaler Waldvernichtung bis 2030. Der Erde droht in den nächsten 15 Jahren ein erheblicher Waldverlust: Bis zu 170 Mio. Hektar – die nahezu fünffache Fläche Deutschlands – werden laut WWF bis 2030 verloren gehen, wenn die aktuellen Entwicklungen nicht aufgehalten werden. ++Geplante Branchenlösung zur Aufzucht männlicher Küken äußerst begrüßenswert. Es gibt Pläne zu einer österreichischen Branchenlösung für Bio-Eier, in deren Rahmen Eier nur dann als „Bio“ verkauft werden dürfen, wenn auch die männlichen Küken aufgezogen werden.

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AUS DEN LANDESG RUPPEN OBERÖST ERREICH FORDERT

DER NATURSCHUTZBUND HÖCHSTSTRAFE FÜR DEN LUCHSMÖRDER

„EU-geschützte Arten illegal zu töten, wie in den letzten Jahren in Österreich immer wieder geschehen und vor kurzem nachgewiesen, ist kein Kavaliersdelikt und darf auch nicht als solches behandelt werden,“ fordert Josef Limberger, Obmann des Naturschutzbundes OÖ. Aufwändige und teure Bestandsstärkungen würden damit sinnlos und dem Ruf der Jagd in Österreich arger Schaden zugefügt. Es wäre aber auch falsch, die gesamte Jägerschaft für das Vergehen Einzelner verantwortlich zu machen. Hat doch der Landesjagdverband die Aufklärung um die verschwundenen Tiere vorangetrieben und sich klar zum Luchs in heimischen Wäldern bekannt. „Ein wachsender Teil der Jägerschaft sieht die Gesamtheit ihres Reviers als Zusammenwirkung verschiedenster Teile eines Ganzen und dazu gehört der Luchs als Spitzenprädator ebenso, wie Habicht, Fuchs, Hase, Reh oder Gämse“, so Limberger. Es gelte jetzt so schnell wie möglich für Ersatz zu sorgen und den Bestand des Luchses in den Kalkalpen zu stützen. Wichtig ist, dass die Jägerschaft die schwarzen Schafe in ihren Reihen selbst aussiebt und entfernt, damit die Jagd als traditionsbezogene Tätigkeit im Einklang mit Natur und Mensch wieder jene Akzeptanz und Achtung erwirbt, die sie verdient. „Die Jagd der Zukunft wird bestimmt werden von einer modernen Jagdausübung, mit Respekt vor der umgebenden Natur, in der nicht mehr der starke Rehbock oder Hirsch, sondern die Gesamtheit eines Reviers mit seiner artenreichen Tierwelt gewürdigt wird“, ist Limberger überzeugt.

Die Arbeitsgruppe LUKA (Luchs Kalkalpen), bestehend aus NP Kalkalpen, ÖBf, ÖNB OÖ, LJV OÖ, WWF und Forschungsinstitut für Wildtierkunde und Ökologie zeigt vorbildlich, wie die beteiligten Interessensgruppen positiv zusammenwirken und einen fruchtbaren Interessensaustausch pflegen können. Andere Bundesländer sind hier allerdings noch gefordert, um den Lebensansprüchen der weit umherziehenden Luchse gerecht zu werden und der faszinierenden, für uns Menschen absolut ungefährlichen Großkatze eine Rückkehr in die heimischen Wälder zu ermöglichen. Die Einrichtung und Vernetzung von Arbeitsgruppen in allen vom Luchs durchwanderten Bundesländern wird bereits angestrebt. In jüngster Zeit gab es im NP Gesäuse Nachweise von Jungtieren aus dem NP Kalkalpen. Aufklärung über die Lebensweise und die Gebietsansprüche des Luchses gibt es bereits in Form einer kleinen Wanderausstellung und soll in nächster Zeit verstärkt werden. Auch das Freihalten der vor ein paar Jahren in Oberösterreich belegten Weitwanderkorridore vor Verbauungen sollte endlich rechtlich verankert werden und nicht nur dem guten Willen von Politik und Wirtschaft unterliegen. HA Kontakt: | naturschutzbund | OÖ, Obmann Josef Limberger josef.limberger@naturschutzbund.at

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Fotos: ScienceVision

Seit Monaten werden vier im NP-Gebiet Kalkalpen ausgewilderte Luchse vermisst. Mitte April fand die Polizei nach einem Tipp aus der Bevölkerung in der Tiefkühltruhe eines Präparators im Raum Linz einen in Plastik verpackten toten Luchs.

Sendetermin: 30. 6. 15 20.15 | ORF 2

++UNIVERSUM-FILM: ZURÜCK ZUM URWALD – NATIONALPARK KALKALPEN

Drei Jahre lang hat das Team von ScienceVision die Prozesse der Walddynamik mit den neuesten Kameratechniken eingefangen. Dies war nur in enger Zusammenarbeit mit dem Nationalpark Kalkalpen, den Österreichischen Bundesforsten und namhaften Spezialisten möglich. Das Ergebnis ist ein bildgewaltiger Film über das größte Verwilderungsgebiet der Alpen. Noch nie gefilmte Geschichten zeigen, wie sich ein für die Eisenindustrie über Jahrtausende ausgebeuteter Nutzwald in einen wildromantischen Urwald verwandelt hat, in den auch der Luchs gehört. Auch weniger Spektakuläres, aber mindestens so Faszinierendes wie die „Arbeit“ der Schlupfwespen zeigt diese einzigartige Doku.

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RUPPE LANDESG OBERICH ÖSTERRE

Foto: Helmut Heimpel

AUS DEN LANDESGRUPPEN

OberösterreicH erarbeitet einen FISCHOTTER-MANAGEMENTPLAN Ein Leitfaden für den Umgang mit dem Fischotter soll dessen Schutz besser gewährleisten und zugleich die Interessen der Bewirtschafter von Fischwässern und Aquakulturanlagen sicherstellen. Damit ist Oberösterreich das erste Bundesland mit einem Fischotter-Managementplan. ernthemen des Plans sind zum einen der schutz des Fischotters, zum zweiten die fachliche beratung und Unterstützung der bewirtschafter von Fischereirechten und aquakulturanlagen und zum dritten der einsatz von präventiven schutzmaßnahmen. nur für den Fall, dass keinerlei zufriedenstellende alternativen gefunden werden und das Vorkommen des Otters dadurch nicht gefährdet ist, wird auch eine regulierung des bestandes möglich. Hintergrund für den Managementplan war die kritische Haltung von Fischereirechtsbesitzern und betreibern von aquakulturanlagen, die immer öfter in der Forderung nach einer bestandsregulierung des Fischotters gipfelte. eine studie von andreas Kranz und Lukas Polednik von 2013 zeigt, dass sich die Wassermarder nach Jahrzehnten stärkster Gefährdung im bundesland Oö (mit ausnahme der alpinen region) wieder ausgebreitet haben und der bestand auf etwa 245 tiere geschätzt wird. Um die Situation zu entschärfen, haben sich alle betroffenen – von der Landwirtschaftskammer Oö, dem Oö Landesjagdverband und Landesfischereiverband, dem naturschutzbund Oö sowie Mitarbeitern der abteilungen Land- und Forstwirtschaft und naturschutz des Landes Oö – an einen tisch gesetzt und gemeinsam den nunmehr vorliegenden Managementplan erarbeitet: begleitet wurden sie dabei vom Forschungsinstitut für Wildtierkunde an der Veterinärmedizinischen Universität Wien. Der naturschutzbund Oö begrüßt grundsätzlich ein strukturiertes Vorgehen wie nun im MP vorgesehen. er betont aber, dass man damit erst am anfang eines Prozesses steht. „Wir müssen den Managementplan und die getätigten annahmen nun einmal in der Praxis erproben und dann entsprechend anpassen. Das ist eine Grundvoraussetzung, zu der sich alle am MP Mitwirkenden bekennen. es ist davon auszugehen, dass diese anpassungen nicht nur kosmetischer natur sein werden. Dann wird sich zeigen, wie einfach oder schwierig es sein kann, einen Fischrückgang dem Otter anzulasten. auch die Frage, wann allenfalls ‘die Gefahr eines erheblichen wirtschaftlichen schadens’ an teichen und Fließgewässern droht, kann nicht im Vorhinein festgelegt werden, sondern bedarf einer einzelfallprüfung“, betont Obmann Josef Limberger.

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Präventivmassnahmen stehen im vordergrund Zahlreichen präventiven schutzmaßnahmen wird, sofern sie praktisch und mit einem vertretbaren finanziellen aufwand umsetzbar sind, der Vorrang vor einer bestandsregulierung gegeben. sie schützen einerseits die Fischbestände und verhindern andererseits, dass sich die Fischotterdichte durch das künstlich geschaffene Überangebot an nahrung erhöht. Das Land unterstützt dies bis max. 750.- € pro Maßnahme. Der fischereifachliche amtssachverständigendienst wird den Fischerei-bewirtschaftern beratend zur seite stehen. Präventionsmaßnahmen können sein: 0 Zäunungen 0 trockenlegen von teichen im Winter, z. b. in Kombination mit gut gesicherten Fisch-Hälteranlagen 0 Geringe besatzdichten in extensiv bewirtschafteten teichen 0 ablenkteiche 0 abschreckung durch Lärm, Düfte etc. 0 alternativnahrungsangebot durch vegetationsreiche und naturnahe Ufer 0 entwicklung weiterer Maßnahmen wie z. b. Fluchtkörbe, akustische und visuelle signale

Erst wenn dadurch keine Abhilfe geschaffen werden kann, ist eine regulierung des Fischotterbestandes anzudenken. Zu einer Gefährdung des bestandes darf es dadurch nicht kommen. Dazu ist es erforderlich, dass Monitorings und nach Möglichkeit wissenschaftliche begleitprojekte zu den angeführten Maßnahmen und regelmäßige evaluierungen – die erste nach einem Jahr – durchgeführt werden. Da auch andere Bundesländer, insbesondere nö, großes interesse an einem Managementplan haben, wird es hier einen austausch an informationen und Knowhow geben. Das burgenland verfügt bereits über einen Fischotter-Ombudsmann. eine erst zu beginn 2015 vom naturschutzbund burgenland herausgegebene broschüre nimmt sich ausführlich der Problematik Fischotter/teichbewirtschaftung an – siehe nächste seite.

Ingrid Hagenstein

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RUPPE LANDESG AND BURGENL

AUS DEN LANDESGRUPPEN

DIE PFLANZENWELT DES BURGENLANDES IST ONLINE eit März 2015 gibt es die gesamte Pflanzenwelt des Burgenlandes online. Besonders interessant ist das Angebot für alle Naturliebhaber und Spaziergänger: Der botanischer Wanderführer macht auf die Pflanzenwelt der Naturschutzgebiete, Naturparke und weiterer botanisch bemerkenswerter Gebiete aufmerksam. Ziel ist es, die Pflanzen übersichtlich und verständlich darzustellen und für alle Interessierten leicht zugänglich zu machen. Es werden aber nicht nur die Merkmale der einzelnen Arten angegeben, sondern auch alle wichtigen Eigenschaften wie Lebensform, Blütezeit, Standorte, Häufigkeit, Verbreitung, Gefährdungsgrad und auch Verwendungszwecke (z. B. als Wildgemüse oder Arzneipflanze). Darüber hinaus werden auch die Pflanzengesellschaften des Burgenlandes in ihrer Gesamtheit dargestellt: Unterschiedliche Waldtypen, Wiesen, Steppenrasen, Äcker, Wein- und Obstgärten sowie Ruderalfluren in den Siedlungen. Die online-Ausgabe ist eine erweiterte Fortsetzung der beiden Auflagen des Büchleins „Pflanzenführer Burgenland“ von Manfred A. Fischer & Josef Fally (1. Auflage, 2000; 2., vollständig überarbeitete und erweiterte Auflage, 2006). Die vorliegende Version ist erst ein Anfang. So sind etwa die Vervollständigung fehlender Kapitel und Fotos, eine Optimierung für Smartphones sowie „Online-Bestimmungsschlüssel“ geplant.

S TIPP Die Broschüre zum Projekt „Fischotter im Burgenland“ gibt einen guten Überblick, was 2013-2014 zum Fischotter im Burgenland alles gelaufen ist. Die hier enthaltenen Informationen sind vielfach auf andere Länder übertragbar und ein gutes Beispiel zur Konfliktbewältigung. Verfasst hat sie Fischotterombudsmann Dr. Andreas Kranz, der auch die landesweite Kartierung durchführte. Er steht in allen Fragen zum Fischotter zur Verfügung. Über ihn laufen auch die Naturteichförderung, die Förderung von Zäunen, um Otter von Teichen abzuhalten und das Totfundmonitoring: T 0664/252 20 17. Bezug: Naturschutzbund Burgenland, T 43/(0)664/845 30 47, nur Versandk.

Mitmachen! Wenn Sie zur Entwicklung der Burgenlandflora beitragen wollen und leidenschaftlich gerne fotografieren, laden wir Sie ein, uns Ihre Bilder von Pflanzenarten oder Pflanzengesellschaften des Burgenlandes zur Verfügung zustellen: burgenlandflora@naturschutzbund.at | http://burgenlandflora.at/

Grazer Vorgärten sind einzigartig! ie soll man die bedeutung von Grünflächen im städtischen bereich erfolgreich vermitteln? Diese Herausforderung nahm der naturschutzbund steiermark gemeinsam mit LiVinG rOOMs, dem Verein zur Förderung städtischer Wohnkultur an und bot in Graz eine ausstellung und schulworkshops an. Melitta Fuchs und renée Mudri-raninger gestalteten dafür acht schautafeln mit den wichtigsten aspekten und informationen. Der bogen spannte sich dabei von den historischen Wurzeln der Vorgärten über deren Pflanzenraritäten bis hin zur Flächenversiegelung und dem Umgang mit regenwasser. Kinder wurden in speziellen Workshops, konzipiert von Franziska schruth und Daniela Zeschko, für diese städtischen Grünflächen als besondere Lebensräume sensibilisiert. Die Kinder konnten mit dem neuen Wissen und nach ihren Vorstellungen einen „2 D Vorgarten“ im schaufenster der ausstellungsräume und sogar direkt auf der straße davor anlegen. Mit Hilfe eines experiments wurde die auswirkung von großflächiger Versiegelung in der stadt in Kombination mit großen Mengen an regenwasser untersucht. Gemeinsam wurde festgestellt, dass z. b. Hortensien trotz ihrer blütenpracht viel weniger nektar für insekten zur Verfügung stellen als etwa Heckenrosen und dass es unterschiedliche Möglichkeiten der bepflanzung von Vorgärten gibt. auch wurde festgehalten, warum diese Grünflächen für die stadt an sich und als erweiterung des

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LANDESG RUPPE STEIERM ARK

so stellten sich die Kinder „ihren“ Vorgarten vor – und setzen mit ihrer Kreativität im schaufenster das um, was sie zuvor erzählt bekommen hatten. Foto: Daniela Zeschko

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RUPPE LANDESG ARK STEIERM

Lebensraumes zahlreicher Tiere wichtig und welche Tiere in den Vorgärten zu finden sind. Der Naturschutzbund Steiermark befasst sich schon seit gut 15 Jahren mit den Grazer Vorgärten und hat dazu ein eigenes Buch herausgebracht. Die Ausstellung, die bis 31.12. 2014 zu sehen war, wird seit Februar d. J. in verschiedenen Grazer Bezirken präsentiert. Schulausflüge zu verschiedenen Vorgärten in Graz stehen ebenso auf dem Programm. HA

Foto: Daniela Zeschko

AUS DEN LANDESGRUPPEN

Kurzerhand wurde der Vorgarten um Gehsteig und Parkplatz „erweitert“. www.naturschutzbundsteiermark.at www.living-rooms.at

KEINE WINDRÄDER IM WOHNZIMMER VON SPECHT & CO

Das Kraubatheck in einer Fotomontage

Der | naturschutzbund | setzte sich erfolgreich für die Errichtung des Naturschutzgebietes „Niedere Tauern Ostausläufer“ und gegen Windräder ein. n der Steiermark wurden und werden zusehends Windparks auf den Bergen errichtet, im naturnahen Bergwald ebenso wie auf den Almen darüber. Dies hat gravierende Auswirkungen auf die Landschaft, aber auch auf viele geschützte Tierarten. Faktum ist, dass diese Lebensräume knapp unter und über der Waldgrenze in aller Regel zu den natürlichsten der österreichischen Kulturlandschaft zählen. Ein Windrad im Wohnzimmer von Dreizehenspecht und Auerhuhn oder am Tanzboden des Birkhahns sollte daher eigentlich verboten sein. Weil die Steiermark noch vergleichsweise viele dieser wertvollen Lebensräume hat und andererseits arm an wenig besiedelten agrarisch bzw. industriell dominierten Tieflandbereichen ist, werden diese Lebensräume nicht besonders geschätzt und seitens des Landes eben auch für die Errichtung von Windparks freigegeben. Eines dieser Gebiete, das Kraubatheck, liegt in den östlichen Ausläufern der Niederen Tauern. Man wollte hier ursprünglich über 30 Windräder aufstellen. Einige der betroffenen Grundeigentümer erlagen aber nicht den verlockenden Angeboten der

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Es ist ein Gebiet mit verhaltenem Charme, weil es nicht mit augenscheinlichen Naturschönheiten prahlt. Für die Artenvielfalt und Vernetzung von Lebensräumen und Teilpopulationen ist es aber sehr wertvoll, weil hier z. B. eine wichtige inneralpine Zugvogelroute verläuft und drei Naturwaldzellen von 20 ha sich selbst überlassen werden – gut für den Dreizehenspecht, der ausreichend alte Bäume zur Verfügung hat.

Windparkbetreiber und so reduzierte sich im Vorfeld konkreter Planungen die Anzahl auf weniger als 10 Anlagen. In der Folge hat man sich intensiv mit dem Gebiet auseinandergesetzt und aus einem bisher faunistisch weitestgehend unbeschriebenen Flecken steirischen Bergwaldes eine Vielzahl naturschutzfachlich relevanter Fakten zu Tage gefördert. So liegt das Gebiet zweifelslos an einer bedeutsamen inneralpinen Zugvogelroute und ist Trittstein für viele Bergwaldarten zwischen den Niederen Tauern im Westen und dem östlichen Randgebirge im Bereich der Gleinalpe etc. Die naturschutzfachlichen Argumente waren so überzeugend, dass das Land Steiermark 2015, statt 100 ha Wald zum Zwecke der Windkraftnutzung in Industrieland umzuwidmen, ein 700 ha großes Naturschutzgebiet eingerichtet hat. Hier kann weiterhin naturnahe Forstwirtschaft betrieben werden, Totholz und Spechtbäume dürfen nicht geschlägert werden. Einige der Grundeigentümer haben sich überdies bereit erklärt, namhafte Waldflächen ganz aus der Nutzung zu nehmen, um eine natürliche Entwicklung zuzulassen.

Text & Fotos: DI Dr. Andreas Kranz, | naturschutzbund | Steiermark, andreas.kranz@aon.at Sommerausgabe | natur&land | 101. JG. – Heft 2-2015


RUPPE LANDESG KÄRNTEN

AKTUELL

WO FISCHOTTER, GRAUREIHER & CO UNGESTÖRT FISCHE FRESSEN DÜRFEN Mit dem Erwerb von Fischereirechten im Bereich des Völkermarkter Stausees hat sich der | naturschutzbund | Kärnten einen langgehegten Wunsch erfüllt: Hier dürfen sich fischfressende Vögel ab jetzt für alle Zukunft nach Herzenslust satt fressen.

ermanente Störungen von Wasservögeln durch uneinsichtige Fischer, dies selbst in Natur- und Europaschutzgebieten, haben den Naturschutzbund Kärnten veranlasst, beim Kaufangebot für die Fischereirechte an einem 843.000 m² großen Rast-, Brut- und Überwinterungsgebiet von Wasservögeln aller Art inmitten des Völkermarkter Stausees sogleich zuzugreifen. „Es ist ein Jahrhundertprojekt“, schwärmt Klaus Kugi, Obmann der Landesgruppe und freut sich über diesen Erfolg. Durch das sehr sparsame, ausschließlich ehrenamtliche Wirtschaften des Vereins, die Unterstützung des Landes sowie der Kärntner Jägerschaft sei es gelungen, die über viele Jahre für ein „ganz großes Projekt“ angesparten Mittel nun für einen zeitlich unbegrenzten angewandten Naturschutz einzusetzen.

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Gravierende Störungen. Die Störungen in den Vogelschutzgebieten „Wernberger Schleife“ oder des „Völkermarkter Stausees“ durch das Befischen gewisser uneinsichtiger Fischer waren bzw. sind seit Jahren gravierend: Sogar während der Nacht und bis vier Uhr früh wird während der Saison von gewissen „Hardlinern“ gefischt, gezeltet und bis zum frühen Morgen am Lagerfeuer lautstark gefeiert. Nicht einmal das Eingreifen der Bezirkshauptmannschaften, der Bergwacht oder der Beamten der Magistrate konnte Abhilfe schaffen. Unter anderem auch deshalb hat die Landesgruppe schon in der Vergangenheit bei allen sich bietenden Gelegenheiten Fischereirechte, etwa an Altarmen an der Gail erworben, um die Gewässer für Fisch fressende und zumeist bedrohte Arten freizuhalten. Zumindest in diesen Gebieten können Wasservögel sich von nun an ungestört satt fressen und dort für alle Zukunft auch rasten, brüten oder überwintern. HA Sommerausgabe | natur&land | 101. JG. – Heft 2-2015

Eine zeitlich unlimitierte, sprich dauerhafte Lösung für die Probleme mit gewissen Fischern ist ausschließlich der Kauf oder die Pacht von Fischereirechten, weil jeder Inhaber dieser Rechte dann für alle Zeit verfügen kann, dass ein Gebiet nicht mehr befischt werden darf. Nur so können Rastplätze und Brutgebiete bedrohter Arten ein für alle Mal beruhigt werden. Foto: Klaus Kugi; Wolfgang Schruf (Graureiher)

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AUS DEN LANDESGRUPPEN

RUPPE LANDESG NIEDERICH ÖSTERRE

KEIN NEUES KRAFTWERK Am KAmp! Die EVN überlegt, am mittleren Kamp das bestehende Kraftwerk bei Rosenburg neu und größer zu bauen. Damit werden alte, vor Jahrzehnten verhinderte Kraftwerkspläne in Erinnerung gerufen. Der | naturschutzbund | NÖ fordert den Schutz dieser Tallandschaft. VON WERNER GAMERITH

as alte, 1907 erbaute und über verwachsene Wege zugängliche Kraftwerk Rosenburg liegt am Umlaufberg, in einer besonders schönen, urtümlichen und wenig erschlossenen Landschaft. Tief eingeschnittene Talmäander sind mit ihren Wäldern und Felsen, schmalen Auen und dem rauschenden Forellengewässer Lebensraum für Uhu und Schwarzstorch, Smaragdeidechse und Würfelnatter, Alpenbock und Scharlachkäfer, Wasseramsel, Eisvogel und viele andere geschützte Arten. Wegen dieser Naturnähe wurde der mittlere Kamp von WWF und Lebensministerium in den Katalog sogenannter „Flussheiligtümer“ aufgenommen. Damit hat sich die Republik verpflichtet, sich für seinen Schutz und seine Erhaltung einzusetzen. Leider vergisst die politik solche Versprechen gerne, sofern sich kein spürbarer Widerstand regt. Als Natura2000-Gebiet ist das mittlere Kamptal vor ökologischen Verschlechterungen zu bewahren. Gemäß dem verordneten Landschaftsschutz darf ein Vorhaben nicht genehmigt werden, wenn dadurch die Schönheit und Eigenart der Landschaft dauerhaft beeinträchtigt würde. Dieser passus im NÖ. Naturschutzgesetz wird, wie zu befürchten ist, einmal mehr nur graue Theorie bleiben, zumal das Land Niederösterreich als mehrheitseigentümer der EVN gleichzeitig Konsenswerber und Genehmigungsbehörde verläuft.

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Was ist beabsichtigt? Das Kraftwerksgebäude soll abgerissen und durch einen Neubau ersetzt werden. Unterhalb des Kraftwerks würde der lebendige Fluss 1 m tief ausgebaggert und in einen trägen Kanal mit minimalem Gefälle verwandelt werden – und die Au vom Fluss getrennt. Eine neue Staumauer soll die alte um 2,4 m überragen und den kleinen Stausee auf eine Länge von 1 km vergrößern. Neben der Vernichtung intakter Fluss- und Aulebensräume durch Überstauung und Eintiefung bringt auch der vorgesehene Bau von Zufahrtsstraßen irreversible Schäden für Ökologie, Schönheit und Erholungswert. Wird doch sogar die vorhandene Asphaltstraße, die bei der herrschftlichen Zinner- oder Rauschermühle des Stiftes Altenburg endet, als zu schmal erachtet und eine neue Straße am Kampufer erwogen, wo auch der dort ausgebaggerte Schotter auf LKW verladen und zur Deponie in den Stauraum transportiert werden soll. Die Baustellenzufahrt zur Staumauer sowie zum Stausee würde durch die Furt bei der Rauschermühle und dann über den Hals des Umlaufbergs ausgebaut. Eine Variante sieht für die Zufahrt den bewaldeten Steilhang am Südufer vor, wo jetzt ein schmaler Wandersteig ist.

Widerstand erneut notwendig Im oberen Bild das derzeit bestehende alte Kraftwerk Rosenburg. Im unteren Bild der von einer Stauerhöhung betroffene Flussund Aubereich.

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Zweifellos ist es sinnvoll, bestehende Wasserkraftwerke zu optimieren. Es ist jedoch verantwortungslos, ausgewiesene „Flussheiligtümer" anzutasten. Beim alten Kleinkraftwerk Rosenburg sagt die EVN Ersteres und beabsichtigt Letzteres. Sie denkt an keine Renovierung, sondern einen Neubau aller Anlagen. moderner und viel größer. Auch wenn die EVN derzeit in den medien beteuert, dass noch kein projekt eingereicht sei, so heißt das noch lange nicht, dass nicht emsig an einer Umsetzung dieser pläne gearbeitet wird. Sobald diese ausgearbeitet und eingereicht sind, ist es meist viel zu spät, um ein projekt zu verhindern oder maßgebliche Änderungen zu erwirken. Sommerausgabe | natur&land | 101. JG. – Heft 2-2015


KEIN KRAFTWERK AM KAMP

„Das Kraftwerk Rosenburg darf nicht vergrößert, kein Meter vom fließenden Kamp geopfert werden.“ Die 1983 durch Bürgerprotest abgewehrten Großkraftwerke im mittleren Kamptal werden heute von der EVN selber als „Wahnsinnsprojekt“ bezeichnet. Ihr derzeitiges Vorhaben, das Kraftwerk Rosenburg mit einem 2,4 m höheren Stau, einem neuen Gebäude und einer Sohlbaggerung im Unterwasser samt notwendigen Zufahrtsstraßen zu „revitalisieren“, wird vermutlich von der nächsten Generation ebenso vernichtend beurteilt werden. Vernunft und Weitblick sprechen gegen solche öffentlich geförderte Zerstörung wertvollster Flusslebensräume. Verlorene Naturlandschaften mit ihrer Lebensfülle und Erlebnisvielfalt sind nicht erneuerbar. Die kostbarsten von ihnen ungeschmälert zu bewahren, schulden wir den Nachkommen.

Im rechten Bild eine weitere perspektive der Stelle, an der der Kamp gestaut werden soll. Im linken Bild der Abschnitt für die beabsichtigte Sohlbaggerung.

Erneuerbare Energie versus Biodiversität Klimaneutrale Energieerzeugung ist Teil einer sinnvollen Strategie gegen den Klimawandel. Wir sollten aber nicht vergessen, dass die Arten- und Lebensraumvielfalt eine ebenso entscheidende Voraussetzung unserer Existenz ist. Ihre Bewahrung ist ebenso wichtig wie erneuerbare Energie. Auch das Argument des steigenden Strombedarfs führt sich ad absurdum: Wenn wir alle ausbaufähigen Flüsse in Kraftwerke zwängen, stünden wir in wenigen Jahren vor der gleichen Situation, hätten nichts mehr zu bauen, aber unersetzliche Lebensräume für immer ruiniert. Eine verantwortungsvolle Energiepolitik geht mit der Restnatur sensibler um und verbindet die maßvolle Nutzung von Sonnen- und Bioenergie, Wind- und Wasserkraft mit ambitionierten Ideen, den Verbrauch ohne Verzicht auf Lebensqualität zu senken.

Was können wir tun? Der Naturschutzbund NÖ fordert in einer am 4. 10. 2014 beschlossenen Resolution den Schutz dieser Tallandschaft. Gleichzeitig startete er auf www.fluessevollerleben.at eine Online-petition „NEIN zum Ausbau des Kraftwerks am Kamp. Unterschreiben Sie jetzt!“. Knapp 5.000 Unterschriften wurden für dieses wichtige Anliegen gesammelt. Sie werden an die zuständigen Landespolitiker ebenso weitergeleitet wie die derzeit auf www.avaaz.at gesammelten.

Text & Fotos: DI Werner Gamerith, Autor und Naturgartenexperte, gamerithwerner@gmail.com Sommerausgabe | natur&land | 101. JG. – Heft 2-2015

Das Unterschriftensammeln geht weiter! Unterstützen Sie den Widerstand gegen das Kraftwerk mit Ihrer Unterschrift! http://tinyurl.com/pjhvnbx (Link führt zur Petitionsseite von Avaaz)

DAS BUCH ZUM THEMA Kamptal Die Natur einer Kulturlandschaft Werner Gamerith. Verlag Berger, Horn, 2012, € 24,90

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Was Spendengelder ermöglichen… Fotos: Blattfisch

Reihe

PROJEKT 9

In jeder Ausgabe stellen wir Ihnen jeweils ein beispielhaftes Naturschutzprojekt vor, das mit Spendengeldern an den | naturschutzbund | ermöglicht wurde oder daraus mitfinanziert werden konnte.

Projekt 9: Oberösterreich: Artenschutzprojekt für Kleinfische und Neunaugen

AUF DEN SPUREN BEDROHTER KLEINFISCHE

In der Vöckla werden Strömer eingesetzt, eine Kleinfischart aus der Familie der Karpfenartigen. Im kleinen Bild eine Larve des Schlammpeitzgers für den Besatz.

Seit sieben Jahren wird in Oberösterreich ein Artenschutzprojekt für Kleinfischarten durchgeführt – sehr erfolgreich, wie viele überraschende Erkenntnisse zeigen. ie im Projekt hauptsächlich bearbeiteten Arten sind Strömer, Neunaugen, Steinbeißer, Goldsteinbeißer und Schlammpeitzger. Dank des Projektes wissen wir zum Beispiel jetzt, dass es den Goldsteinbeißer in Oberösterreich überhaupt gibt. Es wurden zwei voneinander unabhängige Populationen entdeckt, von denen eine so individuenreich ist, dass durch das mehrfache Umsetzen einiger Tiere die Etablierung eines weiteren Bestandes in einem geeigneten Lebensraum gelang. Auch zahlreiche weitere Restbestände der genannten Fischarten wurden entdeckt. Jene, die zu wenige Tiere umfassten, um neue Populationen durch Umsetzen begründen zu können, wurden nachgezüchtet, was bei so seltenen und teils noch kaum nachgezüchteten Fischarten sehr aufwändig und kompliziert ist. Trotzdem gelangen einige spektakuläre Nachzuchten. iel des Projektes ist es, die Bestände ausgewählter seltener bzw. bedrohter Kleinfischarten zu erfassen,

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zu erhalten und zu stützen. Sie finden mangels fischereiwirtschaftlichem Interesse nämlich viel zu wenig Beachtung. Generell trägt das Projekt erfolgreich dazu bei, das Wissen über das Verbreitungsgebiet der Zielarten zu vergrößern und brachte viele neue autökologische Aspekte zutage. Daraus wurden auch Maßnahmenvorschläge abgeleitet oder etwa, im Fall der Neunaugen, die Anforderungen an die bauliche Ausführung von Fischaufstiegsanlagen neu definiert. nter der Federführung der Naturschutzabteilung (Amt der OÖ. Landesregierung) haben sich weitere Abteilungen sowie auch der OÖ. Landesfischereiverband und der Naturschutzbund OÖ entschieden, dieses Projekt gemeinsam zu finanzieren. Auch die Durchführung des Projektes funktioniert in einer Zusammenarbeit – nämlich Eberstaller Zauner Büros (TB Zauner) und TB Alpenfisch unter der Leitung des TB für Gewässerökologie „blattfisch“.

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ie intensive Öffentlichkeitsarbeit, vor allem auch die Bewusstseinsbildung bei Wasserbauern und Amtssachverständigen führte zu einem viel sensibleren Umgang mit den Fischen. So wurden als Folge des Projektes schon zahlreiche Bestandsbergungen durchgeführt, die in einigen Fällen wahrscheinlich sogar populationsrettend waren.

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Text: DI Clemens Gumpinger, Blattfisch – Technisches Büro für Gewässerökologie, Wels, www.blattfisch.at

Spendenkonto P.S.K. IBAN AT74 6000 0501 1014 0425 BIC OPSKATWW

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präsentiert:

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Knubbli, der Skorpion Eine Geschichte mit Fortsetzung von Gloria Petrovics Zeichnung (Knubbli) nach einer Vorlage von Rudolf Klein Alle Zeichnungen von Wolfgang Schruf

1. Der jüngste Sohn Gespannt betrachtete Frau Skorpion, wie sich ihre neugeborenen Jungen aus der Eihaut befreiten. „Sechzehn – siebzehn – achtzehn“ zählte sie. Besonders viele waren es ja nicht, aber sie musste wohl zufrieden sein. Die Menschen bekamen noch viel weniger Junge, und was man so hörte, waren immer mehr kranke darunter... Hauptsache, bei ihr war alles in Ordnung. Sie wandte ihre Aufmerksamkeit wieder ihren neugeborenen Kindern zu. Fast alle waren schon ausgewickelt und begannen, auf ihren Rücken zu krabbeln – Skorpione tragen nämlich ihre Kinder auf dem Rücken herum, bis diese groß genug sind, auf sich selbst aufzupassen. Nur das letzte – irgendwie sah es seltsam aus. Sie konnte durch die Eihaut nicht viel erkennen, nur dass es runder zu sein schien als ihre anderen Kinder. Da! Endlich waren die letzten Eihautreste herunter, der Kleine war frei und Mutter Skorpion konnte ihren jüngsten Sohn betrachten. Ungläubig starrte sie ihn an. Das konnte doch nicht wahr sein! Frau Skorpion und alle ihre Kinder waren schlank, hatten vorne zwei große Scheren, dahinter acht kräftige Laufbeine und am Schwanz einen Stachel. Alle – bis auf den einen... Er war kugelrund, hatte nur sechs kurze Stummelbeine und - er hatte keine Scheren! Doch, eine besaß er, aber die saß statt des Stachels am Schwanzende. Nummer achtzehn war behindert! Mutter Skorpion starrte ihren jüngsten Sohn immer noch sprachlos an. Skorpione ernähren sich von kleinen Insekten und anderen kleinen Tieren – wie sollte er die jemals ohne Scheren fangen? Etwa mit der kleinen Schere am Schwanz? Außerdem konnte er ja ohne Stachel nicht einmal stechen. Momentan aber das wichtigere Problem: mit der Körperform und den kurzen Beinen, wie sollte er da über-

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haupt auf ihren Rücken kommen? Während sie noch darüber nachdachte, begann der Kleine loszumarschieren. Trappel, trappel, trappel, stapfte er zielsicher auf das Ende ihrer linken Schere zu. Sie senkte die Schere ab und der Kleine begann zu klettern. Es war mühsam, manchmal rutschte er wieder ein Stück zurück. Sie sah ihm zu, konnte ihm aber nicht helfen. Wenn er bloß nicht abstürzte! Es dauerte lange. Gespannt beobachteten seine Geschwister, wie er sich abmühte, aber er gab nicht auf. Endlich landete er auf ihrem Rücken, wo er sich mit einem Plumps niederließ. Erleichtert setzte sich Frau Skorpion mit ihrer nun vollzähligen Kinderschar auf dem Rücken in Bewegung. Sie musste sich ja um ihr Nachtmahl kümmern. „Das wichtigste Problem wäre ja vorläufig gelöst,“ dachte die frischgebackene Mutter, „meine Kinder bekommen jetzt ihre Nahrung durch meine Rückenhaut und alle sind dort, wo sie hingehören. Sehen wir mal weiter.“ Kleine Skorpione sehen einander so ähnlich, dass sie auch ihre Mutter nicht gut unterscheiden kann – der jüngste jedoch war eine Ausnahme. Ihn erkannte man auf den ersten Blick und deshalb suchte seine Mutter einen Namen für ihn. „Knubbli“ sollte er heißen, so rund und knubbelig wie er aussah. Seine Geschwister waren zuerst ein bisschen neidisch auf ihn – ausgerechnet er, der doch behindert war, hatte einen Namen und war dadurch jemand Besonderer. Sie dagegen waren rundum gelungene Skorpione und mussten namenlos herumsitzen. Ihre Mutter erklärte ihnen, dass sie sich so viele Namen einfach nicht merken konnte, jedes Jahr kam schließlich eine neue Kinderschar dazu. Damit mussten sie sich zufriedengeben und so blieb Knubbli der einzige Skorpion mit einem Namen. Die Skorpionkinder gewöhnten sich bald an den behinderten Bruder. Manchmal musste ihn zwar ein anderer blockieren, damit er nicht abrutschte, weil er sich mit seinen Stummelbeinchen nicht so gut auf der Mutter halten konnte, aber sonst benahm er sich ganz normal. Sie wuchsen alle ordentlich und häuteten sich fleißig. Skorpione haben nämlich einen PanSommerausgabe | natur&land | 101. JG. – Heft 2-2015


zer, der nicht mitwächst, also müssen sie den Panzer abstreifen und darunter kommt ein größerer neuer nach. Knubbli mit seiner runden Körperform hatte einige Probleme beim Häuten, aber irgendwie gelang es ihm doch jedes Mal, sich aus seiner Haut herauszuschälen. Kleine Skorpione kommen ganz weiß auf die Welt, erst später färben sie sich. Unsere Kleinen taten das natürlich auch, sie bekamen mit der Zeit eine hübsche hellbraune Tönung. Alle – bis auf Knubbli. Der musste sich unbedingt grau färben. „Ein grauer Skorpion, wo gibt’s denn so was“, sagte eine andere Skorpionmutter mit sehr vielen Kindern zu Knubblis Mutter. „Jetzt ist er ohnehin schon behindert und dann muss er noch die falsche Farbe haben, du Arme!“ Knubblis Mutter tat, als hätte sie die dummen Bemerkungen nicht gehört. Ja, Knubbli war etwas Besonderes, aber nicht wegen seiner Behinderung und der falschen Farbe. Er war das neugierigste Skorpionkind, das sie je gehabt oder gekannt hatte. Er wollte alles wissen und machte sich über alles Gedanken. Warum es Tag und Nacht gab, ob Hunde Skorpione fraßen und warum die Menschen, hinter deren Häuschen die Skorpione wohnten, immer so traurig waren. Und warum sie schimpften und mit der Faust drohten, wenn einer der fliegenden Kästen über ihr Zuhause flog und warum es dann immer so komisch roch. Die ganze Nacht, während Mama auf Jagd ging, fragte und fragte er. Mama Skorpion bemühte sich so gut sie konnte, Knubblis viele Fragen zu beantworten, aber oft brummte ihr am Morgen nur mehr der Kopf. Viel mehr noch als Knubblis ständige Fragen verursachte ihr aber eine andere Frage großes Kopfweh. Wovon würde ihr behinderter Sohn in Zukunft leben? Er würde ja sicherlich niemals erfolgreich jagen können und müsste dann verhungern. Aber Knubbli war zuversichtlich. „Mama, mach Dir keine Sorgen. Ich werde schon etwas finden. Du sagst ja immer, ich bin etwas ganz Besonderes, vielleicht bin ich auch besonders schlau“.

2. Menschen sind gar nicht so schlecht Eines Tages war es so weit. Die Kleinen waren so groß geworden, dass sie selbst in die Welt ziehen und jagen konnten. In einer Waldlichtung weit entfernt von ihrem Zuhause blieb Frau Skorpion stehen. Sie wollte die Jungen nicht unbedingt an ihrem Wohnort absetzen, die Menschen hatten ohnehin Angst vor Skorpionen und wenn dort so viele herumgewimmelt Sommerausgabe | natur&land | 101. JG. – Heft 2-2015

wären, würden die Menschen sie viel-

Mama Skorpion und Geschwister

leicht jagen. Ihre Kinder krabbelten von ihrem Rücken herunter, verabschiedeten sich und liefen in alle Windrichtungen davon. Knubbli war auch vom Rücken der Mutter gerutscht und saß neben ihr. „Du kannst bei mir bleiben und ich gebe Dir immer etwas von meiner Jagdbeute ab“, bot sie ihm an, obwohl Skorpione normalerweise Einzelgänger sind. „Danke, aber ich muss selbst sehen, wie ich durchkomme“, und damit trappelte er auf seinen Stummelbeinchen davon. Mühsam war es schon, der Ritt auf dem mütterlichen Rücken war viel einfacher gewesen, aber er war schließlich erwachsen und konnte nicht ewig auf der Mutter bleiben. Das hohe Gras behinderte ihn, wie ein kleiner Panzer schob er sich über die dicken Halme. Jetzt musste er sich vor allem zum ersten Mal um sein Essen kümmern. Das war leider einfacher gesagt als getan, wie er bald feststellen musste. Es roch überall nach Essen, das war nicht das Problem. So wie er aber näher kam, lief das Essen einfach davon und er hatte das Nachsehen. Ein anderer Skorpion wäre dem Essen nachgelaufen und hätte es eingefangen, aber er mit seinen Stummelbeinchen – da war das gute Essen längst über alle Berge. Vielleicht hätte er doch das großzügige Angebot seiner Mutter annehmen sollen? Wenigstens so lange, bis er sich eine andere Jagdweise ausgedacht hatte? „Wie auch immer“, dachte er, „jetzt ist es zu spät, jetzt muss ich selbst schauen, wo ich bleibe“. Aber halt, da lag doch ein Essen, das nicht davonlief? Er trappelte

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zu dem großen Käfer hin, der tot auf seinem Weg lag. Knubbli schnupperte ein bisschen, naja, ein frisches Essen wäre natürlich besser, aber in seiner Lage sollte er lieber nicht wählerisch sein. Also Mahlzeit! Viel fand er nicht in dieser Nacht, es reichte gerade zum Überleben. „Auf köstliche frische Mahlzeiten werde ich wohl für immer verzichten müssen“, dachte er. Am nächsten Tag wachte er schon am Nachmittag auf statt in der Nacht, weil er so hungrig war. Er marschierte wieder los und landete hinter einem kleinen Haus. So etwas kannte er, da wohnten Menschen. Seine Mutter hatte ja hinter einer Hütte gewohnt, allerdings hatte sie ihre Jungen immer gewarnt, vor die Hütte der Menschen zu gehen. „Die Menschen haben Angst vor uns und töten uns, wenn sie uns sehen“, erklärte sie oft. „Bleibt immer in Deckung, am besten hinter der Hütte“. Dazu war Knubbli aber viel zu neugierig und zu hungrig. Es dauerte ein bisschen, bis er um das Häuschen herumkam. Davor war ein freier Platz, auf dem keine Pflanzen wuchsen und mitten auf dem Platz stand eine Schüssel, die verlockend roch. Und das Allerwichtigste daran war: sie lief nicht davon! Knubbli hatte keine Ahnung, dass das die Schüssel mit Hundefutter war und nicht für Skorpione gedacht war. Aber er war schließlich sehr, sehr hungrig und wollte genau wissen, was da so gut roch. Er setzte sich in Bewegung und trappelte zur Schüssel. Hmmm, das sah ja interessant aus. Er kostete ein bisschen – himmlisch schmeckte das. Das war ja noch viel besser als das davonlaufende Essen. Er probierte noch ein bisschen mehr und achtete nicht auf seine Umgebung. So bemerkte er gar nicht, dass ein Menschenkind, ein Mädchen aus dem Häuschen gekommen war. Sie ging nicht aufrecht auf den Beinen, wie das Menschen sonst tun, sondern sie rutschte auf den Knien. Normalerweise sind Kinder um diese Zeit ja in der Schule, aber das Mädchen war behindert, hatte nicht einmal einen Rollstuhl und die Schule war überhaupt nicht auf behinderte Kinder eingerichtet, obwohl es genug davon im Dorf gab. Knubbli war so in sein leckeres Mahl versunken, dass das Kind bis zu ihm gelangte. Ihr Schatten fiel über ihn und da sah er sie. Das Mädchen hatte einen Stock in der Hand, weil sie Angst vor Skorpionen hatte. „Au weia“, dachte Knubbli, „jetzt ist es aus, ich war wohl doch zu unvorsichtig und zum Flüchten bin ich zu langsam mit meinen kurzen Beinen“. Das Mädchen sah Knubbli genauer an. „Du bist aber komisch“, meinte sie, „so einen Skorpion habe ich noch nie gesehen. Du hast vorne keine Scheren, dafür anstelle des Stachels hinten eine Schere, bist kugelrund, grau statt braun und hast Stummelbeinchen. Vielleicht bist Du gar nicht gefährlich?“ Sie legte den Stock nieder und streckte die Hand aus. Knub-

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bli wusste – jetzt geschieht etwas Einmaliges. Ein erster Kontakt zu einem Menschen, das durfte er sich nicht entgehen lassen. Zugegeben, es war ein etwas eigenartiger Mensch, schließlich rutschen Menschen sonst nicht auf den Knien, aber war er nicht auch ein eigenartiger Skorpion? Er zögerte nicht lange und krabbelte auf die Hand des Mädchens. Sie hob ihn hoch, so dass er mit ihr auf Augenhöhe war. Dann schauten die beiden unterschiedlichen Wesen einander lange und ganz genau an. „Hallo, ich bin die Anita“, sagte sie zu ihm. Er hätte ihr gerne gesagt „freut mich, ich bin der Knubbli“, aber Menschen verstehen Skorpione leider nicht. Danach rutschte sie zurück in das Häuschen und Knubbli blieb währenddessen ganz ruhig auf ihrer Hand sitzen. Knubbli wusste zu diesem Zeitpunkt noch nichts über die Menschen, bei denen er gelandet war. Später sollte er erfahren, dass die Dorfbewohner arme Indios waren, die sich gerade noch recht und schlecht ihren Lehrer für die Schulkinder leisten konnten. Viel zahlen konnten sie ihm aber nicht. Dieser Lehrer hieß Ramon Fernandez und war Anitas Vater. „Guten Abend, Liebling“, sagte Herr Fernandez zu Anita, als er von der Schule nach Hause kam. „Wie geht es Dir?“ Dann fiel sein Blick auf Knubbli, der vergnügt auf dem Keyboard des Computers herumtrappelte. Den hatte Anita von Professor Chapela bekommen, einem Wissenschaftler, der sich für das Leben der Bauern in ihrem Dorf interessierte. „Ein Skorpion“, rief der Vater entsetzt, „bleib ganz ruhig sitzen, damit ich ihn erschlagen kann“. „Bitte nicht, Papa“, bat Anita, „schau, der ist gar nicht böse, er hat vorne keine Scheren und statt eines Stachels nur eine kleine Schere. Und schau, er hat ganz kurze Stummelbeinchen. Weißt du, ich glaube, der ist auch behindert, so wie ich – und ganz zahm ist er auch“. Herr Fernandez sah seine Tochter liebevoll an. „Na wenn das so ist“, meinte er, „dann darf er natürlich weiterleben.“ Als Anitas Mutter nach Hause kam, ließ sie sich auch überzeugen, dass ein behinderter und zahmer Skorpion etwas ganz Besonderes sei. So durfte Knubbli bei der Familie Fernandez bleiben und bekam jeden Tag seine Portion Hundefutter.

3. Interessanter Besuch Knubbli verstand natürlich nicht sofort alles, was die Menschen redeten, aber weil er ein ganz außergewöhnlicher Skorpion war, lernte er ihre Sprache bald. Eines Tages kam wieder Professor Chapela vorbei. Natürlich redeten Anitas Eltern mit ihm über die vielen behinderten Kinder und er erklärte ihnen, dass wahrscheinlich die Unkrautbekämpfungsmittel schuld seien, die in großen Mengen von Flugzeugen aus über die Sojabohnenfelder neben ihrem Dorf gespritzt werden. Früher gab es auch Sojabohnen, Sommerausgabe | natur&land | 101. JG. – Heft 2-2015


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dort wurde das Unkraut herausgehackt oder mit den Händen ausgerissen. Das war schon schlimm genug, weil die Arbeiter von der großen Firma, denen die Felder gehören, einfach den Urwald niedergebrannt und alles plattgewalzt hatten, damit sie die Sojabohnen anbauen konnten. Dann war es aber noch ärger gekommen. Seit einigen Jahren wurden sogenannte „gentechnisch veränderte Sojabohnen“ angebaut. Ein bestimmtes Spritzmittel, das alle anderen Pflanzen umbringt, vertragen diese Sojabohnen gut. Wenn man damit spritzt, dann sterben alle anderen Pflanzen. Nur die Sojabohnen bleiben übrig und man spart sich das Unkrautausreißen. Das Spritzmittel ist aber giftig und gefährlich für Tiere und Menschen. Leider interessiert das die große Firma, die diese Sojabohnen und gleich die Spritzmittel dazu verkauft, überhaupt nicht. Knubbli saß auf einem Kästchen neben dem Tisch und hörte interessiert zu. Ob diese Spritzmittel auch der Grund dafür waren, dass er behindert war? Die Flugzeuge hatten seine Mutter ja oft genug angespritzt. Neugierig trappelte er an den Rand, um besser zu hören. Dabei machte er Lärm und Professor Chapela drehte sich zu ihm. „Was ist denn das“, fragte er erstaunt. „Das ist unser zahmer Skorpion, der ist auch behindert“, antwortete Herr Fernandez. Er nahm Knubbli und setzte ihn auf den Tisch. Knubbli schwenkte vergnügt seinen Schwanz zur Begrüßung. Chapela war zunächst sprachlos. Dann fragte er: „Glauben Sie, er lässt sich untersuchen?“ Wieder schwenkte Knubbli seinen Schwanz und drehte sich im Kreis. Dann lief er zum Professor hin. „Mir scheint, der versteht mich“, meinte Chapela und hielt ihm die Hand hin. Sofort krabbelte Knubbli auf die Hand und ließ sich dort nieder. Der Professor schüttelte verwundert den Kopf und betrachtete Knubbli von allen Seiten. Dann drehte er ihn um und besah ihn auch von unten. Knubbli ließ sich das alles ruhig gefallen. „Das ist wohl der seltsamste Skorpion, den ich je gesehen habe“, stellte Chapela schließlich fest. „Vielleicht sind seine Veränderungen wirklich durch die vielen Spritzmittel verursacht“, überlegte er schließlich, „aber dazu müsste ich ihn weiter untersuchen, damit ich das herausfinden kann“. „Wissen Sie“, setzte er dann fort, „wie ich Ihnen schon gesagt habe, ich bin ganz sicher, dass das Spritzmittel die Ursache dafür ist, dass in diesem Dorf so viele Kinder behindert sind. Deswegen bin ich hier und will mit Ihnen reden. Wenn wir das nachweisen können, dann muss die Firma, die die Spritzmittel herstellt, Ihnen viel Geld zahlen. Sie und die anderen Menschen hier können für Ihre behinderten Kinder teure Behandlungen und Hilfsmittel bezahlen. Anita könnte dann sogar einen Elektrorollstuhl bekommen. Zuerst würde ich Sommerausgabe | natur&land | 101. JG. – Heft 2-2015

jedoch gerne Ihren Skorpion untersuchen, wenn Ihnen das recht ist“. „Wow“, dachte Knubbli, „ob es wohl auch Therapien für behinderte Skorpione gibt?“ Dann dachte er weiter: „Eigentlich geht es mir ohnehin prima, aber wenn es den netten Menschen hilft, die mir immer zu essen geben, mache ich gerne mit“. Nach einigen Tagen bekam Anita vom Professor eine E-Mail auf ihren Computer. Die ganze Familie war sehr aufgeregt, weil es am nächsten Tag in die große Stadt gehen sollte. Knubbli wurde schon am Abend in einen bequemen Käfig gesetzt – nicht auszudenken, wenn er sich ausgerechnet am nächsten Morgen verkrochen hätte! Aber Knubbli dachte gar nicht daran. Er hatte sehr wohl mitbekommen, was geplant war und war schon, wie immer, sehr neugierig. Er war bisher weder Auto noch Zug gefahren, und eine Stadt hatte er auch noch nicht gesehen, außer im Computer. Anita hatte ihn nämlich immer neben sich, wenn sie im Computer surfte und Knubbli durfte sich alles auf dem Bildschirm anschauen. Aber natürlich ist das nicht dasselbe wie die Wirklichkeit. Im Auto schaukelte es, die Landschaft flitzte vorbei, dass Knubbli Hören und Sehen verging, im Zug war es ähnlich und in der Stadt war es vor allem laut. „Brr“, dachte Knubbli, „ich glaube, ich wohne doch lieber in einem Dorf“. Im Institut des Professors wurden sie freundlich empfangen. Knubbli wurde in ein Labor gebracht und genauestens untersucht. Er wurde gemessen, gewogen und von allen Seiten fotografiert. Anita war die ganze Zeit dabei und erklärte ihm alles. Ihre Eltern schauten ein bisschen skeptisch, aber sie war sich sicher, dass er alles verstünde. „Die Erwachsenen“, sagte sie wie schon oft auch jetzt wieder zu ihm, „die glauben immer, sie wissen alles“, und Knubbli schwenkte so wie jedes Mal zustimmend seine Schere am Schwanzende. Sogar eine Computertomographie machten sie. Er wurde in eine Röhre gesetzt und es wurde ziemlich laut, aber Knubbli lief nicht weg und ließ sich das alles völlig friedlich gefallen. Nur als sie ihm ein bisschen Körperflüssigkeit abnahmen, wurde er leicht betäubt. „Naja“, dachte er, „die Menschen sind eben übervorsichtig“. Die Heimfahrt verschlief Knubbli, untertags sind Skorpione ohnehin eher müde. Zu Hause bekam er eine besonders leckere Hundefuttermahlzeit. Der Hund der Familie ging ihm übrigens aus dem Weg, der hatte zum Glück noch nicht mitbekommen, dass Knubbli der harmloseste Skorpion der Welt war. Er war außerdem schon ziemlich alt und schlief die meiste Zeit. Von dem drohte Knubbli keine Gefahr. Wieder vergingen einige Tage, dann kam eine EMail vom Professor. Es war Sonntag, Herr und Frau Fernandez waren auch zu Hause. Alle steckten

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gespannt den Kopf in den Bildschirm, auch Knubbli saß auf dem Tisch dabei. Anita durfte vorlesen: „Untersuchungsgegenstand: Skorpion Fragestellung: Untersuchung auf Rückstände des Pflanzenschutzmittels ‘Kill All’, Methoden…“ „Ja, ja, wir waren ja dabei“ sagte der Vater ungeduldig, „lies bitte weiter!“ „…Ergebnis: In der Körperflüssigkeit des Skorpions wurden 100 Nanogramm „Kill All“ pro Milliliter Blut gefunden. Die genetischen und daraus resultierenden morphologischen Veränderungen des Skorpions sind mit hoher Wahrscheinlichkeit auf mutagene beziehungsweise teratogene Auswirkungen der Chemikalie im Zuge der Exposition des Muttertieres im Zuge der Herbizidausbringung zurückzuführen.“ „Siehst du“, sagte der Vater. „Und die sagen immer, dass das Zeug ganz harmlos ist!“ „Kann mir bitte jemand einmal erklären, was das bedeutet?“ fragte Anita. „Also“, sagte der Vater, „das ist so: dass unser Skorpion so anders geworden ist als die anderen Skorpione, daran ist höchstwahrscheinlich das Spritzmittel schuld. In seiner Körperflüssigkeit ist 1000-mal so viel von dem Gift, wie in einem Trinkwasser erlaubt wäre. Das Zeug verursacht Veränderungen in den Genen, und ein Tier oder ein Mensch entwickelt sich ganz anders, als das ursprünglich geplant war. Seine Mutter ist mit dem Gift angespritzt worden. Skorpione halten zwar viel aus, aber mindestens einer von den kleinen Skorpionen sieht jetzt ganz anders aus und ist auch behindert“. „So wie ich“, sagte Anita nachdenklich. „Glaubst Du, dass bei mir dasselbe passiert ist? Die spritzen doch hier seit vielen Jahren ständig herum und vielleicht hat Mama davon etwas abgekriegt“. Frau Fernandez wurde ganz blass. Der Professor hatte ja schon so etwas erwähnt, aber das war doch nur eine Vermutung gewesen. „Wenn wir damals rechtzeitig weggegangen wären, dann wäre Anita vielleicht jetzt nicht behindert“, weinte sie plötzlich. „Unsinn“, sagte Herr Fernandez energisch, „das konnte doch damals keiner wissen. Es sind doch nicht wir daran schuld, sondern die Firma, die uns dauernd anspritzt. Konzentrieren wir uns auf die Zukunft. Wir müssen unbedingt erreichen, dass die Firma mit der Spritzerei aufhört. Außerdem hat der Professor gesagt, dass wir und die anderen Familien mit behinderten Kindern vielleicht Schadenersatz bekommen können, wenn man nachweisen kann, dass das Zeug genetische Veränderungen hervorruft. Also müssen wir etwas tun. Aber jetzt essen wir zuerst unser Mittagessen, bitteschön!“

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In den nächsten Tagen ging es richtig los. Es gab ein großes Treffen im Dorf mit den anderen Eltern, die auch behinderte Kinder hatten. Herr Fernandez berichtete über die Untersuchungsergebnisse an seinem Skorpion. Knubbli durfte dabei sein. Zuerst gab es ein großes Geschrei „Wahnsinn, gefährliches Tier“, aber nachdem sich alle davon überzeugt hatten, dass er völlig gutmütig und harmlos war, freuten sie sich daran, wie er im Kreis auf seinen Stummelbeinchen von einem Menschen zum anderen trappelte. Sie streichelten ihn und fanden es auch lustig, wenn er sie mit seiner kleinen Schere am Schwanz ganz zart in die Finger zwickte und die Kinder quietschten vor Vergnügen. Aber in Wirklichkeit ging es nicht ums Vergnügen, sondern um eine todernste Sache. Wie sollte man eine Klage bei Gericht gegen die mächtige Firma angehen? Die hatten doch die besten Rechtsanwälte! Wie könnte man das Geld dafür aufbringen? Die Untersuchungen und die Gutachten allein würden schon furchtbar viel kosten und die Dorfbewohner hatten alle nur wenig Geld. Sie kamen zu keinem Ergebnis und gingen mit gesenkten Köpfen nach Hause.

4. Wer wagt gewinnt Anita saß an ihrem Computer und überlegte. „Es muss doch irgendeine Möglichkeit geben“, dachte sie. „Das ist doch unfair, was die da tun. Wir haben ihnen gar nichts getan, und sie machen uns krank und kümmern sich überhaupt nicht darum, was sie uns und den anderen Lebewesen antun. Das kann so nicht bleiben!“ Knubbli trappelte inzwischen wieder einmal auf dem Keyboard des Computers herum. Irgendwie hatte er durch sein Getrappel den Explorer geöffnet und plötzlich las sie auf dem Bildschirm: Youtube. Anita schaute Knubbli an und schüttelte den Kopf. Das war aber jetzt Zufall, oder? Skorpione haben eigentlich unbewegliche Gesichter, aber Anita hätte schwören können, dass ihr Knubbli zugeblinzelt hatte. Okay, Youtube also. Und was sollte sie hochladen? Die Antwort war sonnenklar: natürlich Knubbli als Filmstar. Sie kicherte bei dem Gedanken, was wohl die Eltern sagen würden. Ihr Computer hatte eine Webcam eingebaut. Die konnte den munteren Skorpion bestens aufnehmen. Bald hatte sie es geschafft. Knubbli hatte sich wie üblich hilfsbereit gezeigt. Er schwenkte den Schwanz mit der Schere, trappelte hin und her, nahm ihr vorsichtig kleine Bröckchen Hundefutter ab und ließ seinen ganzen Charme spielen. Sie schrieb noch dazu: Mein Skorpion, dessen Mutter „Kill All“ abgekriegt hat und der deshalb behindert ist. Dann lud sie das Video hoch. Bald darauf lag sie im Bett und träumte von einem Skorpionballett, alle hatten sie keine Scheren und sahen aus wie Knubbli. Sommerausgabe | natur&land | 101. JG. – Heft 2-2015


KINDERSEITE

Am nächsten Tag, als ihre Eltern wegegangen waren, fuhr Anita sofort den Computer hoch. Zweihunderttausendmal angeklickt – das gab es doch gar nicht. So viele Menschen interessierten sich für ihren Skorpion? Das war ja sensationell. Vielleicht sollte sie noch etwas anderes probieren? Sie schrieb eine Mail an die größte Tageszeitung des Landes: „Das ist mein Skorpion, den Sie in Youtube (dann folgte der Link) sehen können. Wollen Sie ihn persönlich kennenlernen?“ Nach kurzer Zeit kam eine Mail zurück: „Bin interessiert. Wo und wann?“ Und es folgte eine Telefonnummer aus der Hauptstadt. Das war nun eine Nummer zu groß für Anita. Ein Video vom Skorpion hochladen – gut. Ein Mail an eine Zeitung schicken – auch gut. Aber sich mit fremden Menschen treffen – da musste schon Papa her. Dieser wunderte sich ziemlich, als er das Video und die Anzahl der Klicks sah, die sich inzwischen weiter stark vermehrt hatten. Beim Anblick des Mailwechsels zog er kurz die Augenbrauen hoch, dann griff er zum Telefon und wählte die Nummer. Ein kurzes Gespräch folgte, dann legte er auf und drehte sich lächelnd zu Anita. „Ich habe mit dem Chefredakteur unserer größten Zeitung gesprochen und er wird einen Reporter und eine Fotografin herschicken. Gratuliere!“ Am nächsten Tag war schulfrei. Anita und ihre Eltern warteten gespannt auf den Besuch. Ein Auto bremste vor ihrem Häuschen und die beiden Zeitungsleute stiegen aus. Anita saß auf einem Sessel vor der Türe und hatte Knubbli auf dem Schoß. „Ah, da ist ja unser Filmstar“, sagte der Reporter, „wie bist Du denn zu dem gekommen?“ Anita erzählte die Geschichte und die Fotografin schoß einige Bilder. „Ein behinderter Skorpion, der noch dazu so zahm ist, das ist ja schon eine Wucht“, meinte der Reporter. „Wie ist das wohl passiert? Wurden ihm vielleicht die Scheren abgeschnitten?“ „Nein“, antwortete Herr Fernandez, „der ist so geboren. Das ist ein genetischer Schaden, wahrscheinlich wurde er durch das Spritzmittel verursacht, das die Flugzeuge hier dauernd versprühen. Bei uns gibt es sehr viele behinderte Kinder – meine Tochter hat ja auch eine Behinderung, wie Sie sehen können“. Das fand der Reporter jetzt aber sehr interessant und Herr Fernandez musste auch diese Geschichte erzählen – von Knubblis Untersuchungen bis zu dem Treffen der Eltern mit den behinderten Kindern. Der Reporter nahm alles eifrig auf und die Fotografin schoss noch mehr Fotos. Dann verabschiedeten sich die beiden und fuhren weg. Am Tag darauf brachte Herr Fernandez eine Zeitung heim. Auf Seite drei fand sich ein großer Artikel über Familie Fernandez, ihren behinderten Skorpion und über ihre Probleme. Anita strahlte über das ganze Gesicht und setzte Sommerausgabe | natur&land | 101. JG. – Heft 2-2015

Knubbli auf die Zeitung auf dem Küchentisch. „Schau“, sagte sie zu ihm. Knubbli trappelte ganz langsam von oben nach unten über die Zeitung. „Wenn der nicht den Artikel liest“, grinste Herr Fernandez. Anita schoss ihm einen strafenden Blick zu. Knubbli ließ sich bei der genauen Inspektion der Zeitung nicht stören. Als er am unteren Ende angekommen war, drehte er sich um und schaute die beiden intensiv an. Lachend nahm Herr Fernandez seine Tochter auf die Arme und setzte sie in ihren Sessel vor dem Computer. Nun ging es Schlag auf Schlag. Das Video mit Knubbli wurde mehrere Millionen Mal angeklickt. Die großen Fernsehsender des Landes brachten Berichte und Knubblis Foto zierte die Titelseiten der Zeitungen. Der größte Erfolg jedoch war, dass die große Zeitung ein Spendenkonto einrichtete, auf das die Menschen für die Dorfbewohner und die behinderten Kinder spenden konnten. Die Dorfbewohner beschlossen aber einstimmig, das Geld sollte nicht für die einzelnen behinderten Kinder verwendet werden. Darum würden sie sich später kümmern. Sicherlich, jeder hätte es gut gebrauchen können, aber sie wollten ihr Recht, nicht Almosen. Das Geld sollte für den Gerichtsprozess gegen die große Firma verwendet werden, für die Rechtsanwälte und die Gutachten. Es war Unrecht, dass die Firma einfach ihr Dorf mit Gift bespritzte und die würde auch nicht von selber aufhören. Es würden weiterhin behinderte Kinder auf die Welt kommen und nichts würde sich ändern. Diese Leute musste man dazu zwingen, mit der Spritzerei aufzuhören. So einfach war das. „Seltsam“, grübelte Herr Fernandez zu Hause vor sich hin. „Das Schicksal einer ganzen Reihe behinderter Kinder und ihrer Familien hat die ganze Zeit keinen Menschen interessiert. Wir haben die Firma angefleht, etwas zu tun, wir haben uns x-mal bei den Behörden beschwert – nichts. Jetzt, wo dein seltsamer Skorpion auf den Titelseiten der Zeitungen steht und sich die Fernsehsender in unserem Dorf überkugeln, wollen uns alle plötzlich zu unserem Recht verhelfen. In was für einer Welt leben wir eigentlich?“ Anita wusste das auch nicht so genau, aber sie dachte sehr vernünftig, Hauptsache, es klappt jetzt.

Wie die Geschichte ausgeht, erfahrt ihr im nächsten Heft Mitte September. Wer nicht so lange warten will, der/die kann die Fortsetzung auf unserer Homepage zu Ende lesen: www.naturschutzbund.at unter natur&land – ein bisschen suchen müsst ihr aber schon!

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VORSCHAU

Jeden Tag geht in Österreich hektarweise Naturraum verloren. Die Natur zieht sich vielerorts auf Restflächen zurück, die zu Überlebensinseln für Tiere und Pflanzen werden. Ein „sicherer“ Weg diese dauerhaft zu erhalten ist, sie freizukaufen. Nur als Besitzer kann der Naturschutzbund den bestmöglichen Schutz garantieren. Im Laufe seiner 100jährigen Geschichte konnte der Naturschutzbund bis heute fast 1.400 schutzwürdige Lebensräume im Ausmaß von über 12 Mio. m² unter seine Obhut bringen. Wie das gelingt, was damit an Verpflichtungen einhergeht und wo diese Flächen liegen, lesen Sie in der nächsten Ausgabe.

Schachblumenwiese des Naturschutzbundes Burgenland bei Hagensdorf

Foto: Manfred Fiala

Die nächste Ausgabe: „Flächenankauf mit Strategie“

HEFT 3 ERSCHEINT MITTE SEPTEMBER 2015

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