Abendzeitung

Page 1

ABENDZEITUNG

MONTAG, 4. 1. 2016

KULTUR 19

WWW.AZ-MUENCHEN.DE

Das große Rätsel der Kunstwelt 2016 ist auch das Jahr des Hieronymus Bosch: Vor 500 Jahren starb der geniale Maler aus Nordbrabant – bis heute werden seine Bilder unterschiedlich gedeutet

F

ische fliegen am Himmel, und Kröten kreisen um wolfsköpfige Drachen. Zwei Ohren flankieren eine Messerklinge, und eine Sau mit Nonnenschleier busselt einen nackten Kerl. Ist das nun Schweinkram? Oder malte der Künstler im Drogenrausch? Alles Mögliche hat man Hieronymus Bosch angedichtet, die tollsten Lesarten ziehen sich durch die Geschichte der Kunst. Vor allem aber fasziniert dieses Œuvre bis heute – und ist selbst 500 Jahren nach dem Tod des Meisters voller Rätsel.

Wer war dieser Maler? Als Hieronymus Bosch hat er spätestens ab 1488 seine Bilder signiert, um sie auch im Ausland gut verkaufen zu können. Getauft wurde der Künstler um 1450 allerdings auf den Namen Jeroen van Aken – die Vorfahren kamen aus Aachen und zogen 1426 in das aufstrebende ‘s-Hertogenbosch im Norden Brabants. Seit Generationen haben die van Akens gemalt, und das erfolgreich, Jeroens Vater Anthonius konnte sich direkt am Marktplatz ein stattliches Haus kaufen. Der Sohn taucht 1474 zum ersten Mal in den Urkunden auf, seine Heirat mit der reichen Bürgerstochter Aleyt Goyaert 1481. Doch als Person ist El Bosco, wie ihn die Spanier nennen, kaum zu fassen. Es sind weder Briefe noch Tagebuchaufzeichnungen überliefert. Das macht es auch so schwierig, dieses hochkomplexe Werk zu deuten. Bosch war ein Solitär, aber sicher kein einsames Genie. Eingebettet in seine Malerfamilie wuchs er bereits mit einer Fülle an künstlerischen Eindrücken auf, vom Vater und den älteren Brüdern hat er sich die Grundlagen abgeschaut. Außerdem durfte der hochtalentierte Jüngste die Lateinschule besuchen, die ihm eine fundierte humanistische Ausbildung vermittelt hat.

Beten statt wandern Doch im Gegensatz zu Zeitgenossen wie Albrecht Dürer zog es Bosch wohl nie auf Wanderschaft. Auch der immer wieder vermutete VenedigAufenthalt lässt sich nicht bestätigen. Und als Mitglied der „Bruderschaft Unserer Lieben Frau“, der er 1488 beitrat, hatte er sowieso „Anwesenheitspflicht“. Dort kam Bosch mit Vertretern aus den höchsten Kreisen der Stadt zusammen, mit Adligen, Patriziern und Gelehrten, die ihm Kontakte – etwa zum spanischen Hof – und Aufträge verschafften. Dieser elitäre religiöse Zirkel stand unter der Obhut der strengen Dominikaner, man traf sich nicht nur um zu „netzwerken“, sondern in erster Linie zu Gebeten und Gottesdiensten. Bosch befand sich also in einem straffen kirchlichen Korsett.

Bosch, der Moralist? Aber wie passt das zu Liebespaaren in durchsichtigen Blasen und nackten Hintern, aus denen Blumen sprießen? Das

Hieronymus Bosch dürfte sein ziellos treibendes „Narrenschiff“ voll völlernder, saufender, grölender Insassen zwischen 1500 und 1510 gemalt haben. Diese Allegorie auf die Maßlosigkeit ist heute im Louvre in Paris zu bewundern. 16. Jahrhundert kannte keine Tabus, und die Künstler hatten um 1500 das ganz normale Leben als Quelle der Inspiration entdeckt. Gerade in der flämischen Malerei geht es zwischen Bauernstuben und Bordellen hart zur Sache. Und Bosch gehörte zu den Pionieren dieser Alltags-Bilder. Doch während etwa bei Bruegel der Humor im Vordergrund steht, dominiert bei Bosch die Angst vor der Hölle. Vor allem in den späten Werken ist der moralisierende Kontext nicht von der Hand zu weisen. Im Mittelbild des berühmten „Garten der Lüste“ mit seinem sexuell freizügigen Personal wollte der Kunsthistoriker Wilhelm Fraenger noch das Kultbild einer Sekte sehen, die sich in das Dasein vor dem Sünden-

Surrealer Tag der Gerechtigkeit: Der Mittelteil des Altar-Triptychons „Das letzte Gericht“ (hier ein Ausschnitt) entstand um 1500 und hängt mit den Seitenflügeln im Groeningemuseum in Brügge. Fotos (3): Rik Klein Gotink für das Bosch Research and Conservation Project

fall zurücksehnt. Entsprechend sei Bosch Mitglied eines solchen Geheimbundes gewesen, der ein ausschweifendes, promiskuitives Sexualleben pflegte. Ein herrlicher Schmarrn, zumal dieser Mittelteil von Paradies und Hölle gesäumt wird und Bosch als Mitglied der Liebfrauenbruderschaft geachtet war.

schrumpft. Für den Bosch-Forscher Károly von Tolnay waren es 1937 genau 41 eigenhändige Gemälde, 1980 ließ der Kunsthistoriker Gerd Unverfehrt noch 25 gelten, inzwischen sind es 20 – und die christlichen Motive in der Überzahl.

Erhellende Schrumpfung

Nie Gesehenes meint man auf diesen Bildern zu entdecken. Oder besser: nicht in diesen Kombinationen. Denn tatsächlich wird man in der Buchmalerei fündig, auf Zierleisten oder Initialen. Hier haben sich die Maler schon seit Jahrhunderten ausgetobt, von kuriosen Mischwesen bis zu frivolen Figuren – übrigens auch in Gebetbüchern. Die Bordüren sind

Doch Bosch erhielt eben auch bald den Ruf des „Teufelsmalers“, und besonders die schrägen – unkeuschen – Szenarien wurden exzessiv kopiert, variiert und mit dem Namen des Meisters versehen. In den letzten 100 Jahren ist dessen Werk jedoch deutlich ge-

Wo ließ sich Bosch inspirieren?

voller Blumen und Beeren, Käfer, Schmetterlinge und Vögel, die durchaus wieder in Boschs Kosmos auftauchen.

Wozu also das Ganze? Man darf davon ausgehen, dass Boschs Werk auf die Seelsorge ausgerichtet war. Allerdings hatte er die Gabe, religiöse Stoffe fantasievoll zu interpretieren und komplexer als andere Künstler darzustellen. Mit dem Auffächern von Lastern konnte man sich zum Einen von den niederen „verdorbenen“ Schichten abgrenzen. Auf der anderen Seite diente das Ganze auch als Warnung – Fehlverhalten konnte zum so-

zialen Abstieg führen. Interessanterweise hat Philipp der Schöne (1478 – 1506), der erste Habsburger, der in Spanien König wurde, mit dem „Heuwagen“ und dem „Garten der Lüste“ die innovativsten und delikatesten Arbeiten Boschs in Auftrag gegeben. Nicht zuletzt, um ein höfisches Publikum zu beeindrucken, das schon alles gesehen hat. Dabei greift Hieronymus Bosch die wichtigen Themen seiner Zeit auf, also Verlockung, Sünde und Buße. Der große Reiz besteht bei ihm freilich darin, dass er uns die Belehrung mit einem höllischen Vergnügen schmackhaft macht. Christa Sigg

AUSSTELLUNGEN UND BÜCHER

„Bosch 500“ – ein europäisches Ereignis

U

nter der Lupe: Seit fast zehn Jahren untersucht ein internationales Forscherteam mit modernster Technik (Infrarotreflektografie etc.) die Originale des Meisters. Die Ergebnisse werden zum Auftakt des Bosch-Jahrs in der bislang größten Übersichtsausstellung mit fast allen Werken präsentiert. Erste Station von „Hieronymus Bosch – Visionen eines Genies“ ist vom 13. Februar

bis 8. Mai das Het Noordbrabants Museum in ‘s-Hertogenbosch, der Hauptstadt der niederländischen Provinz Nordbrabant, auf die sich Hieronymus mit dem Nachnamen Bosch bezogen hat. Vom 31. Mai bis 11. September wird die Ausstellung dann in Madrid im Prado zu sehen sein, der die meisten Werke Boschs beherbergt – auch den „Garten der Lüste“, der nicht reisen darf.

Der deutsche Ausstellungskatalog und das Werkverzeichnis mit den aktuellen Forschungsergebnissen erscheinen im Belser-Verlag. Im Februar kommt die Graphic Novel „Hieronymus Bosch“ des in den Niederlanden populären Autors und Zeichners Marcel Ruijters im Avant-Verlag heraus. Mehr Programminformationen im Internet unter www.bosch500.nl

Dieses Porträt Hieronymus Boschs entstand um 1550, also nach dem Tod.


Turn static files into dynamic content formats.

Create a flipbook
Issuu converts static files into: digital portfolios, online yearbooks, online catalogs, digital photo albums and more. Sign up and create your flipbook.