Touren & Reisen

Page 1

Touren & Reisen ||  Vincent van Gogh  ||

Radeln,

wo alles begann

E

s ist besser, an Leidenschaft zu krepieren als an Langeweile.“ In unzähligen Briefen – etwa 800 sind noch heute vorhanden – an seine Familie und vor allem an seinen geliebten Bruder Theo ließ sich Vincent van Gogh in die Seele schauen. Ist das der Maler, der sich das Ohr abgeschnitten hat, fragen viele Menschen. Ja, das ist er, und er zählt inzwischen zu den wenigen Künstlern, für deren Gemälde zwei-

||  Die Eindrücke seiner Heimat Brabant begleiteten den Maler Vincent van Gogh auch in seinen letzten Lebensjahren in Frankreich. 2015 jährt sich sein Todestag zum 125. Mal – Anlass für die Niederlande, schöne Radtouren auf seinen frühen Spuren anzubieten. || Text ||  Friederike Brauneck

Nuenen: Das elterliche Pfarrhaus war für zwei Jahre Unterschlupf und Motiv für van Gogh.

stellige Millionenbeträge aufgerufen werden. Die berühmten „Fünfzehn Sonnenblumen in einer Vase“, entstanden 1889, erzielten auf einer Auktion bei Christie’s in London 1987 knappe vierzig Millionen US-Dollar – und sind damit nicht das teuerste seiner Gemälde. Das Faszinierende an dieser Wertsteigerung ist die Tatsache, dass van Gogh zu Lebzeiten kaum ein Bild verkaufen konnte. Gerade mal im Bekannten- und Verwandtenkreis nahm man einige seiner Werke an. Seine Art zu malen galt Zeitgenossen als „Kleckserei, Pfuscherei, schlampig und schlecht gemalt“ mit „barbarischen Linien“. Aber van Gogh ließ sich nicht beirren, er wollte kein „Aquarellfabrikant“ sein, wie man in verschiedenen Briefwechseln, vor allem mit Theo, lesen kann. Die Stationen seiner Jugend und frühe Arbeiten kann man nun auf Radwegen durch Brabant nachvollziehen. Die gesamte Radtour ist 335 Kilometer lang, verteilt auf fünf Etappen entsprechend seiner Lebensstationen. Dabei führen die Routen an Häusern, Kirchen und Gärten entlang, und durch die schöne Landschaft Brabants, die ihn als Motive inspirierten und ein Leben lang begleiteten. Fünf Gemeinden, in denen er aufwuchs und seine ersten Erfahrungen als Maler sammelte, bieten Informationen am Wegesrand. Info-Säulen weisen auf Gebäude oder Landschaften hin. Museen, wie in Zundert, seinem Geburtsort 1853, geben Einblicke in die Jugendjahre des schwierigen Künstlers und Menschen. Hier steht anstelle des ehemaligen Küsterhauses heute das Vincent van GoghHuis.

Fotos: Friederike Brauneck (7), Wikimedia Commons (3)

|| Fernradweg und Rundwege Per Audiogerät lauscht man den vielen Briefen, die vom Alltag, aber auch von seinem Werdegang als Künstler aus sehr persönlicher Sicht erzählen. Es entspinnt sich ein Dialog mit Freunden und Familie. Der Garten hinter dem Haus ist ähnlich angelegt, wie er zu Vincents Kindheit aussah. Ein großer Ziergarten, in dem ein zartes Kirschpflaumenbäumchen steht – der Spross ­einer Pflanze, die Vincent selbst noch

44  02|2014

gesehen hat. Die Natur war ihm ein großes Glück, vom Vater hatte er die Liebe zu ihr erlernt, weil für den Pfarrer Gott in der Natur erkennbar war. Einen Schritt weiter trifft man auf die Kirche, in der der Vater von 1849 bis 1871 predigte – als niederländisch-­ reformiert eine Minderheit im ansonsten katholischen Zundert. In der kleinen Kirche ist noch einiges original erhalten, wie zum Beispiel das Becken, in dem Vincent getauft wurde, und die schlichte Kanzel aus dunklem Holz. Auf dem kleinen Kirchhof nebenan findet sich ein Grabstein mit dem Namen Vincent van Gogh – der erste, totgeborene Sohn, der genau ein Jahr zuvor zur Welt kam. Und vielleicht für den sensiblen Vincent als Nachgeborenen immer das Gefühl, nur Ersatz zu sein ... || Nicht angepasst Er war schon als Kind schwierig, sonderte sich ab, und die anfängliche Liebe zum Vater schlug bald um. Er wurde ins Internat nach Zevenbergen geschickt, besuchte in Tilburg die Mittelschule und versuchte sich im Berufsleben als Kunsthändler im Familienbetrieb und als Hilfsprediger – alles ohne Erfolg. Im Dezember 1881 im Alter von 28 Jahren entschloss er sich, Maler zu werden. Finanzielle und gesundheitliche Probleme zwangen ihn, 1883 bis 1885 in sein Elternhaus zurückzukehren, das sich inzwischen in Nuenen befand. Eine der Radtouren führt auch am Pfarrhaus vorbei, wie an etlichen weiteren Motiven, die er in jener Zeit malte und skizzierte. In einem Anbau des Elternhauses richtete er sich ein Atelier ein. Leider ist es innen nicht zu besichtigen, da es noch heute Dienstsitz des Pfarrers ist. Zwei Jahre blieb er hier und malte, und es entstanden etwa 180 Werke. Als Autodidakt studierte und kopierte er anfangs alte Meister wie Rembrandt oder Frans Hals. Er bewunderte an ihnen, dass sie ein Bild schnell malten. Der erste Strich musste sitzen – ein Prinzip, nach dem van Gogh sein Leben lang arbeitete. In dieser holländischen Periode dominierten dunkle Farben, Grau-, Schwarz- und Braun­

02|2014  45


Turn static files into dynamic content formats.

Create a flipbook
Issuu converts static files into: digital portfolios, online yearbooks, online catalogs, digital photo albums and more. Sign up and create your flipbook.