Staatstheater Mainz – Pension Schöller

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Staatstheater Mainz

Pension Schรถller Schwank von Carl Laufs und Wilhelm Jacoby

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PENSION SCHÖLLER Schwank in drei Akten von Carl Laufs und Wilhelm Jacoby Bearbeitung von Jürgen Wölffer für neun Schauspieler

v. Mühlen, Major a.D … Henner Momann Franziska Schöller, Tochter von Schöller, Kellnerin … Antonia Labs Josephine Zillertal, Schriftstellerin … Anika Baumann Prof. Bernhardy, weltreisender Wissenschaftler … Matthias Lamp Alfred Klapproth, Neffe von Klapproth … Daniel Friedl Ida Klapproth, Schwester von Klapproth … Anna Steffens Philipp Klapproth, Gutsbesitzer aus Kyritz … Clemens Dönicke Schöller, Inhaber der Pension Schöller … Klaus Köhler Eugen, angehender Schauspieler und Mündel von Schöller … Vincent Doddema Inszenierung … Peter Jordan und Leonhard Koppelmann Bühne und Kostüme … Katrin Kersten Mitarbeit Kostüme … Josephin Berger Licht … Sebastian Ahrens Dramaturgie … Patricia Nickel-Dönicke Musikalische Einstudierung … Paul-Johannes Kirschner Aufführungsdauer 2 Stunden 30 Minuten – eine Pause Aufführungsrechte Felix Bloch Erben GmbH & Co. KG, Berlin Premiere am 27. Februar 2016 Kleines Haus

Regieassistenz und Abendspielleitung … Amelie Barucha; Ausstattungsassistenz, grafische Gestaltung/Illustration der Requisiten … Natalie Krautkrämer; Inspizienz … Arpad Szell; Soufflage … Felix Schmekel; Regiehospitanz … Selina Blechschmidt; Technischer Direktor … Christoph Hill; Produktionsleiter … Bertil Brakemeier; Werkstättenleiter … Jürgen Zott; Assistent der technischen Direktion … David Amend; Bühneneinrichtung … Michael Hubertus; Leiter der Dekorationswerkstatt … Horst Trauth; Leiter der Schreinerei … Markus Pluntke; Leiter der Schlosserei … Erich Bohr; Vorstand des Malersaals … Andreas Beuter; Leiter der Tontechnik … Andreas Stiller; Ton- und Videotechnik … Marian Hoffmann; Kostümdirektorin … Ute Noack; Assistentin der Kostümdirektorin … Ingrid Lupescu; Gewandmeisterinnen … Britta Hachenberger, Mareike Nothdurft; Gewandmeister … Thomas Kremer, Falk Neubert; Modistin … Petra Kohl; Chefmaskenbildner … Guido Paefgen; Maskenbildnerin … Tanja Sussman, Johanna Prange, Jasmin Unckrich, Vanessa Kleine; Leitung der Requisite … Dagmar Webler; Requisite … Maren Luedecke, Birgit Schmitt-Wilhelm, Susanne Schmitz

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„BALD WIRD ES NUR NOCH VERRÜCKTE UND ALTE GEBEN“ Patricia Nickel-Dönicke Als Narrenstück oder Lokalposse war Pension Schöller zwar nicht konzipiert, nichtsdestoweniger steht der Schwank natürlich in der Tradition der Mainzer Posse, zumal das Autorenduo Jacoby und Laufs absolute Narren waren. Das Stück wurde als Schwank deklariert, der sich im 19. Jahrhundert aus der Posse entwickelt hat und in dem die Situations- und Typen­komik im Vordergrund steht. Die Tücken des Alltags oder die Verspottung der literarischen Figur des Dummen durch einen Listigen sind bevorzugte Themen eines Schwanks. Der Begriff leitet sich vom mittelhochdeutschen Nomen „swanc“ ab, was sich mit Schlag, Hieb oder auch schwingender Bewegung und lustiger Einfall übersetzen lässt. Die letzt­ genannte Bedeutung weist darauf hin, worum es grundsätzlich geht: um einen lustigen Einfall, gezeigt in einer komischen Situation. Das Stück, das unzählige Male verfilmt wurde und auch heute immer wieder auf den Spielplänen auftaucht, erzählt die Geschichte des Philipp Klapproth: Ein Guts­ besitzer aus der Provinz, der in Berlin etwas wirklich „Verrücktes“ erleben will. Sein Neffe Alfred soll ihm dabei helfen und da Alfred sich selbstständig machen will, ihm dafür allerdings das nötige Kleingeld fehlt, gibt er kurzentschlossen

den Gesellschaftsabend der Pension Schöller als eine sogenannte Soirée einer Irrenanstalt aus und ein Major, ein Weltreisender, eine Schriftstellerin und ein Schauspieler mit Sprach­ fehler tun scheinbar alles dafür, dass Klapproth seinen Voyeurismus ausleben kann. Die Komödie strotzt vor Irrwitz, schwingenden Türen und sich rasant überschlagenden Pointen. Wie in jedem guten Schwank gewinnt das unernste Schauspiel seinen Witz aus der Spaltung zwischen vorgestellter und wahrer Persönlichkeit, anständigen und hässlichen Verhaltensweisen, Schein und Sein. Ist der Widerspruch in einer Figur eher augen­zwinkernd, so schmunzelt das Publikum, doch je gegensätz­ licher die Charakterhälften sich gegenüberstehen, desto größer ist die Hoffnung auf großes Gelächter im Saal und vielleicht auch auf mora­lische Erziehung. Die produktive Spanne des Schwanks reicht ungefähr von 1850 bis 1930. „Die gesellschaftliche Schicht, für die diese Stücke konzipiert sind, befindet sich auf und vor der Bühne: das mittlere Bürgertum. Diese Zeit endet vorüber­gehend mit der Weltwirtschaftskrise, die nicht nur vielen Privattheatern die wirtschaftliche Grund­lage, sondern auch der schwank­haften Bühnen­ apotheose des mittleren Bürgertums den ideologischen Boden entzieht. Bis 1930 hat sich der Schwank 5


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demnach so konstant gehalten wie die Verkehrs­formen und Verhal­ tensmuster der Klasse, die ihn hervorbringt, bevölkert und verbraucht […]. Der Schwank als Komödienform verschafft seinem Publikum Gelegenheit, über sich selbst zu lachen, ohne dass es schmerzt. Der Schwankheld, der nichts auszurichten hat, wird in Situationen versetzt, die ihm über den Kopf wachsen. Dafür kann er nichts. So wenig wie der oder jener im Publikum. Der Schwankheld übernimmt sich in Mut, Potenz, unerlaubtem Verhalten. Losgelassen in überstürzender Situationskomik, schlagen die Umstände über ihm zusammen und scheuchen ihn zurück in die Ausgangslage. Auch dafür trifft ihn keine Schuld. Die Umstände strafen ihn, aber nicht zu hart. Wo der

Schwankheld alptraumhaft zu leiden hat – am Pranger kurzfristiger Entblößung –, geschieht es auf eine Weise, die dem Publikum gefällt. Denen, die dem Helden wohl gesonnen sind und denen, die finden, es geschehe ihm recht. Sie bangen zwar mit dem Helden, weil er ihre eigenen Lüste und Ängste auslebt. Doch sie leiden nicht mit ihm, weil das Ausmaß seiner Lüste und Ängste so fratzenhaft erscheint, dass man gern glaubt, lachend sich davon lösen zu können. Das ab­wei­chende Ausmaß verleitet die Leute im Parkett zum selbstschützenden Trugschluss, dann, wenn’s am ärgsten hergeht, handle es sich um eine andere Welt. Das schadenfrohe Gelächter kollert dabei über die eigenen Schäden hinweg“ (Volker Klotz).

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VON MAINZ NACH BERLIN NACH MAINZ – Pension Schöller in der Fastnachtshochburg Mainz von Heidi Pohl Zur Fastnacht, wenn gefeiert wird, die Arbeit ruht, Standesunterschiede kurzfristig aufgehoben, Rollen getauscht werden, Essen und Trinken ganz groß geschrieben und die Normalität auf den Kopf gestellt wird, kommt in regelmäßigen Abständen einer der wohl berühmtesten Schwänke auf die Mainzer Bühne. Geschrieben wurde das Bühnenstück 1890, in einer Zeit, in der die Arbeiter häufig streikten, da ein im Tagelohn beschäftigter ungelernter Arbeiter bei der Stadt Mainz in der niedrigsten „Classe“ nur 2,20 Mark verdiente. Im Verhältnis dazu war demnach eine Karte für die „Große Narhalla-Sitzung für auswärtige und einheimische Carnevalsfreunde“ des MCV (Mainzer Carneval-Verein, gegründet 1838) mit 3 Mark ein kleines Vermögen wert. Das Bürgertum wollte und konnte sich das Lachen leisten und das tat es, dank Wilhelm Jacoby, der, geboren am 8.3.1855 in Mainz, als Ideengeber der Pension Schöller gilt. Nach einer abgebrochenen Buchhändlerlehre und der Arbeit als Redakteur beim niederschlesischen Anzeiger, übernahm er 1878 die Redaktion des Mainzer Tagblatts. Er wurde bekannt als Lokaldichter, „der in humorvoll gebundener Rede zu den Tages­ereignissen Stellung 10

nahm“. Von 1884–1889 amtierte der glänzende Fastnachtspoet als Sitzungspräsident. Beim MCV lernte er Carl Laufs kennen. Der stammte aus einer Mainzer Familie, deren Mitglieder als Küfer und Hafen­ verwalter tätig waren. Sein Vater, Georg Josef Laufs, war städtischer Steuerbeamter und Liederdichter im MCV und 1878/79 selbst dessen Präsident. Carl Laufs war seit ca. 1880 Mitglied im MCV und wirkte dort als Protokollant und Bühnenschriftsteller. In dieser Zeit wurden beide Mitglieder von Schlaraffia   , einer weltweiten Vereinigung von Männern, die sich bis heute der Pflege von Kunst, Freundschaft und Humor verpflichtet fühlen. Heute gibt es ca. 260 Reyche (Ortsvereine der Schlaraffen) mit über 10.000 Mitgliedern weltweit. Über Politik, Beruf und Religion wird nicht gesprochen. Als Parodie aufs Ritterspiel wurde Schlaraffia   am 10.10.1859 von ehema­ligen Mainzer Schauspielern in Prag gegründet. Die beiden Autoren der Pension Schöller des Mainzer Reyches Schla­ raffia Moguntia waren unter dem Namen „Ritter Jocus der Har(e)m­lose“ (Carl Laufs) und „Ritter Saphir der Dramaturg“ (Wilhelm Jacoby) bekannt.   Uraufgeführt wurde Pension Schöller am 7. Oktober 1890 im Wallner-Theater in Berlin, einem Volkstheater für den Mittelstand, in welchem die Berliner Posse zu neuem Leben erwacht war und der Riesenerfolg begann sich auch


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gleich abzuzeichnen. Georg Jacoby, Wilhelms Sohn und selbst Autor und Regisseur, verfilmte dreimal die Pension Schöller. Über den Erfolg der Uraufführung sagte er: „Mein Vater, der als Chefredakteur im Monat 300 Goldmark verdiente, erhielt jetzt plötzlich wöchentlich rd. 900 Goldmark vom Verlag Felix Bloch Erben, der das Stück verlegte.“ Beide Autoren haben zu Lebzeiten rund 6.000.000 Goldmark mit dem Stück verdient. Obwohl Jacoby nicht einen Satz des Schwankes verfasst hatte, erhielt er, ohne Absprache oder Vertrag, die Hälfte aller Tantiemen. Ein Zeichen für die enge freundschaftliche Verbundenheit der beiden. 1892 übernahm Jacoby die väterliche Buchhandlung in Wiesbaden, ließ sich dort als freier Schriftsteller nieder und verfasste u.a. den Schwank Der große Komet und das Gedicht Lass das Rullo gehe, ein in Mainz sehr bekanntes Gedicht über den Rosenmontagszug. 1889 ging Carl Laufs als freier Schriftsteller nach Göttingen, 1894–1901 wohnte er in Kassel. Seine preis­gekrönte Fastnachtsposse Ein toller Einfall wurde später als Operette umge­ arbeitet. Carl Laufs starb 1900 in Kassel an einer Nikotinvergiftung. „Er war Kettenraucher, hatte fast jeden Abend in seinem Haus eine Party, wo er dann Gedanken für seine Theaterstücke bekam, und wenn es zum Essen und Schlafen ging, hatte er kaum Zeit, rauchte und schrieb seine Manuskripte“.

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Wilhelm Jacoby starb am Rosenmontag, dem 20. Februar 1925, in Wiesbaden. Pension Schöller wurde oft als Fastnachtsposse des MCV im Mainzer Theater aufgeführt. Meistens jedoch in einer Bearbeitung und unter dem Titel: Der messfremde Onkel, womit der den örtlichen Gegebenheiten nicht vertraute Klapproth gemeint ist (vermutlich um die Tantiemen zu sparen). Eine wichtige Bearbeitung der unverwüstlichen Pension Schöller entstand 1951. Unter dem Titel Der meßfremde Onkel oder Määnz bleibt Määnz übernahm Ernst Neger die Hauptrolle. Schramm und Binger schrieben ihm daraufhin ein Lied zum dama­ ligen Fastnachtsmotto: Määnz bleibt Määnz, das inzwischen längst Allgemeingut und zum musikalischen Signum der Stadt geworden ist. Zuletzt wurde das Stück 2004 als Fastnachtsposse mit dem Titel Pension Schöller oder sind wir nicht alle ein bißchen… unter der Regie von Heidi Pohl aufgeführt. Gaststar war der damalige Trainer von Mainz 05, Jürgen Klopp, der mit seiner Mannschaft in die Pension Schöller kommt, um dort in Ruhe zu trainieren, weil man in 100 Jahren gerne in der 1. Liga spielen möchte.   Im Archiv der Schlaraffia ist über die Entstehung des Stückes folgende Anekdote vermerkt: „Auf einem stillen Örtchen nahm Jacoby ein Stück zurechtgeschnittenes Zei­tungspapier vom zweckdien­lichen


Drahthalter und ehe es hinter­r ücks verschwunden war, blieb sein Auge zufällig an einem Satzfetzen hängen: ‚und er dünkte sich in einem Irrenhaus …‘. So hatte er flüchtig gelesen und war fasziniert. Da könnte man was draus machen!“ Bei einem späteren Spaziergang am Rheinufer mit seinem Freund und einem anschließenden Schöppchen in einer Mainzer Weinstube entstand dann die Pension Schöller.

Am Staatstheater Mainz findet zur Fastnacht seit 1838 die Fastnachtsposse statt. Das Theater wird närrisch und das im doppelten Sinne. Die sogenannten „Scheierborzeler“ sind Mainzer Laienschauspieler des Mainzer Carneval-­ Vereins, die jedes Jahr das klassische Lustspiel aufführen, in dem immer wieder bekannte Mainzer Persönlichkeiten auftreten. Es werden auch Klassiker der Fastnachtsposse, wie Hurra mir erwe, Konfetti und Pension Schöller gezeigt. Heidi Pohl inszeniert seit dem Jahr 2000 das traditionsreiche Stück auf der großen Bühne.

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FOTOS S. 3 Clemens Dönicke S. 4 Antonia Labs, Daniel Friedl S. 7 Ensemble S. 13 Antonia Labs, Henner Momann S. 15 Matthias Lamp, Clemens Dönicke, Klaus Köhler

IMPRESSUM

NACHWEISE Der Text Bald wird es nur noch Verrückte und Alte geben ist ein Originalbeitrag von Patricia Nickel-Dönicke unter Verwendung von Volker Klotzs’ Bürgerliches Lachtheater, Komödie-Posse-Schwank-­ Operette, Heidelberg 2007; Von Mainz nach Berlin nach Mainz, „Pension Schöller“ in der Fastnachts­ hochburg Mainz ist ein Originalbeitrag von Heidi Pohl. Als Quellen dienten ihr das Archiv der Schlaraffia Moguntia, Don Rastro, ErbA Moguntia (45) und Bürgerfest und Zeitkritik: 150 Jahre Mainzer Fastnacht – 150 Jahre Mainzer Carneval-Verein 1838–1988 mit Beitr. u.a. von Rolf Dörrlamm, Red. u.a. Friedel Eberhard, Hrsg. vom MCV, Mainz 1987; Woody Allen, The Lunatic’s Tale in: The New Republic, New York 1977.

Intendant Markus Müller

Alle Bilder sind Probenfotos: © Martina Pipprich

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Spielzeit 2015/16 Herausgeber Staatstheater Mainz www.staatstheater-mainz.com

Kaufmännischer Geschäftsführer Volker Bierwirth Redaktion Patricia Nickel-Dönicke Druck Druck- und Verlagshaus Zarbock GmbH & Co. KG, Frankfurt/Main Visuelle Konzeption Neue Gestaltung, Berlin


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n ist „Wahnsin stand.“ u Z r e v i t ein rela Woody A lle n

www.staatstheatermainz.com


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