Staatstheater Mainz – The Fairy Queen

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Staatstheater Mainz

The Fairy Queen Henry Purcell


Henry Purcell (1659–1695) THE FAIRY QUEEN (1692) Semi-Opera nach Ein Sommernachtstraum von William Shakespeare Textfassung von Jo Strømgren und Lars Gebhardt In deutscher und englischer Sprache mit deutschen Übertiteln Musikalische Leitung … Andreas Spering Inszenierung und Choreografie … Jo Strømgren Bühne … Stephan Østensen Kostüm … Bregje van Balen Licht … Stefan Bauer Dramaturgie … Lars Gebhardt Chor … Sebastian Hernandez-Laverny Theseus / Oberon … Klaus Köhler Hippolyta / Titania … Andrea Quirbach Egeus / Zettel … Clemens Dönicke Demetrius … David Schellenberg Lysander … Alin-Ionut Deleanu Hermia … Lilith Häßle Helena … Vida Mikneviciute Puck … Mattia De Salve Indischer Knabe … Ruben Albelda Giner Sopran … Alexandra Samouilidou Tenor … Michael Pegher Bass … Georg Lickleder Tanz … Alessandra Corti Ada Daniele Gili Goverman Amy Josh Bojana Mitrović Maasa Sakano Giulia Torri Ruben Albelda Giner Marin Lemić Cornelius Mickel Thomas Van Praet Mattia De Salve Chor des Staatstheater Mainz Philharmonisches Staatsorchester Mainz


Regieassistenz und Abendspielleitung … Rebecca Bienek; Choreografische Assistenz … Andrea Svobodova; Studienleitung … Michael Millard; Musikalische Assistenz … Samuel Hogarth, Christian Maggio; Ausstattungsassistenz … Kathrin Krause; Inspizienz … Eckhard Wagner; Soufflage … Heidi Pohl; Regiehospitanz … Ela Kurz; Ausstattungshospitanz … Mia Krämer; Kostümhospitanz … Susanna Bouchain; Einrichtung der Übertitel … Lars Gebhardt; Übertitelungsinspizienz … Christin Hagemann Technischer Direktor … Christoph Hill; Produktionsleiter … Olaf Lintelmann; Werkstättenleiter … Jürgen Zott; Assistent der technischen Direktion … David Amend; Bühneneinrichtung … Moritz Brünig; Leiter der Beleuchtung … Stefan Bauer; Leiter der Dekorationswerkstatt … Horst Trauth; Leiter der Schreinerei … Markus Pluntke; Leiter der Schlosserei … Erich Bohr; Vorstand des Malersaals … Andreas Beuter; Leiter der Tontechnik … Andreas Stiller; Tontechnik … Enis Potoku; Kostümdirektorin … Ute Noack; Assistentin der Kostümdirektorin … Ingrid Lupescu; Gewandmeisterinnen … Britta Hachenberger, Mareike Nothdurft; Gewandmeister … Thomas Kremer, Falk Neubert; Modistin … Petra Kohl; Chefmaskenbildner … Guido Paefgen; Maskenbildnerinnen … Marieke Berries, Anette Dold, Sabine Feldhofer, Yvonne Hoffmann, Lisa Kanniga, Vanessa Kleine, Elke Patzalt, Nadine Rodekurth, Patricia Starke, Stefanie Spang, Jasmin Unckrich; Leitung der Requisite … Hannelore Taubert-Bénèch, Dagmar Webler; Requisite … Fred Haderk, Stefanie Kaiser, Birgit Schmitt-Wilhelm

Aufführungsdauer ca. 2 Stunden 30 Minuten – eine Pause Premiere am 2. Oktober 2014 Großes Haus


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HANDLUNG Theseus, Herzog von Athen, hat die Amazonenkönigin Hippolyta im Kampf besiegt und damit ihre Einwilligung in die Ehe erzwungen. Sie wollen jetzt bald Hochzeit ­feiern. Doch der alte Egeus unterbricht die traute Zweisamkeit: Seine Tochter Hermia widersetzt sich der Ehe mit Demetrius, stattdessen trifft sie sich heimlich mit Lysander, der keinesfalls den Segen des Vaters erhalten wird. Theseus stellt ein Ultimatum: Bis zu seiner Hochzeit soll sich Hermia entscheiden – ­entweder sie stimmt der Ehe mit Demetrius zu oder sie geht ins Kloster. Hermia und Lysander wollen deshalb in den nahen Wald fliehen. Helena, die unglücklich in Demetrius verliebt ist, erfährt von diesem Plan. Sie und Demetrius folgen den beiden anderen. Im Wald finden sich die Paare neu und anders, denn sie geraten in den Streit des Elfenkönigspaares Oberon und Titania: Seit Jahren liegen die beiden im Zwist über Belanglosigkeiten und stürzen damit die ganze Welt ins Chaos – selbst die ­Jahreszeiten sind vertauscht. Nun weigert sich Titania, Oberon einen indischen Knaben zu überlassen, weil sie ihn für sich beansprucht. Oberon will sich rächen und befiehlt seinem Diener Puck, mit dem Saft einer Zauberpflanze Titania in das nächstbeste wilde Tier verliebt zu machen. Dabei will er auch den Liebespaaren helfen. Doch Puck

verwechselt die zwei jungen Männer, die plötzlich beide Helena lieben und Hermia verschmähen. Titania hingegen begehrt nun einen ab­ gehalfterten Landstreicher, Zettel. Der Streit zwischen den jungen Menschen eskaliert: Helena fühlt sich von Lysander und Demetrius verspottet, Hermia dagegen sieht jetzt in Helena ihre Feindin. Oberon erkennt, welches Unheil er und Puck angerichtet haben. Er entschließt sich, die jungen Liebenden in den „richtigen“ Paaren zu arrangieren: Lysander und Hermia – ­Demetrius und Helena. Bei so viel Eintracht muss auch der Herzog der Wahl der jungen Menschen zustimmen. Das Elfenpaar feiert seine Versöhnung und die Hochzeit der Paare. Die Natur wird wieder in Einklang gebracht und die Eintracht aller Paare gefeiert.

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AMAZONEN, TEUFEL UND LAMENTOBASS Lars Gebhardt Als Henry Purcell Ende des 17. Jahrhunderts seine Semi-Operas, wie King Arthur, The Indian Queen und eben auch The Fairy Queen, schrieb, tat er dies aus einer Not heraus: Zwar erlaubten die seit 1660 regierenden Tudors wieder Theateraufführungen, die 1642 durch das puritanische Parlament unter Oliver Cromwell verboten worden waren, doch das englische Publikum schien ein Unbehagen gegenüber der lange vernachlässigten Kunstform Oper zu haben. Gerade die italienische Opera seria wurde als unpassend empfunden, da die dramatische Einheit dadurch gebrochen wurde, dass der Sänger einen Menschen darstellte: Menschliche Handlungen und Gefühle sollten durch Sprache und nicht durch Musik ausgedrückt werden. Die meisten Dramatiker ­waren durchaus gewillt, große Teile von Gesang aufzunehmen, solange die Protagonisten die Handlung in Dialogen sprachen. So entstand die Mischform der „Masque“ in England – eine Kombination aus Tanz, Sprechtheater, Pantomime und musikalischen Einlagen. Die Musik durfte darin durchaus eine Geschichte vermitteln, aber kein autonomes Drama bilden. Sie übernahm somit meist eine Kommen­ tarfunktion – allegorische Figuren oder beispielhafte Vorbilder aus antiken Mythen traten auf und

r­ eflektierten über das dramatische Geschehen. Zwei rivalisierende Theater­ truppen, die Duke’s Company und die King’s Company, durften seit 1660 unter dem Patent des ­Königs Inszenierungen erarbeiten. Purcell arbeitete zunächst für beide T ­ ruppen, bis sich diese nach einem Bankrott zur United Company ­vereinigten. Binnen kurzer Zeit wurde Purcell mit einer Reihe von Semi-Operas beauftragt. The Fairy Queen war die letzte und teuerste Produktion der United Company vor ihrer Auflösung 1695. 1692 ur­aufgeführt und im folgenden Jahr revidiert und erweitert, war diese Bearbeitung von William Shakespeares Ein Sommernachtstraum durchaus erfolgreich. Adap­ tionen von Schauspielstücken waren im Theater der Restaurationszeit Usus: Das vom König erteilte Patent erlaubte Sir William Davenant – ­einer der angesehensten Theaterautoren und Leiter der Duke’s Company – ausdrücklich, Stücke zu „reformieren“, sie zu bearbeiten und zu ­modernisieren. Shakespeare-Adaptionen fielen während der Restau­ rationszeit sehr unterschiedlich aus: zum Beispiel kürzte Nahum Tate König Richard II. so sehr, dass die Handlung und Charaktere kaum mehr erkennbar waren, wohingegen John Dryden, basierend auf Antonius und Cleopatra, ein vollkommen neues Stück (All for Love) schrieb. Ein Sommernachtstraum war in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhun-

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derts kein populäres Stück; es ist nur eine Inszenierung von 1662 überliefert. Es kam also fast schon einer Wiederentdeckung gleich als sich Purcell dieses Stoffes annahm. Wer das Schauspiel bearbeitet hat, kann heute nicht mehr zur Gänze geklärt werden. Es gibt Spuren, die zu den Schriftstellern John Dryden, Elkanah Settle oder Thomas Betterton führen könnten. Wie kaum ein anderes Shakespeare-Stück bietet sich der Stoff für eine musikalische Bearbeitung an, denn schon die Vorlage enthält wichtige musi­ kalische Szenen: Die Elfen singen Titania in den Schlaf, Zettel weckt die Feenkönigin mit Gesang, ­Titanias „Genesung“ wird von ­I nstrumentalmusik begleitet, die Elfenmonarchen feiern ihre Ver­ söhnung mit einem Tanz. Purcells Musik beschreibt – das legt schon der Stücktitel nahe – vor allem die Feenwelt. Er interpoliert in jedem der fünf Shakespeare-­ Akte, die aber gekürzt und zum Teil umgestellt sind, eine Masque: Allegorische Figuren, wie Nacht und Geheimnis oder die Jahreszeiten, treten auf und kommentieren in verklausulierten Arien das ­Geschehen. Dabei kreisen fast alle Nummern um die Leiden und ­F reuden der Liebe – oder karikieren diese. Elfen machen sich über den menschlichen Liebesschmerz lustig, und ein junges Paar (eine Art Adam und Eva) begeistert sich an der Klarheit der neu geschaffenen Welt.

Selbst Juno, die Schutzgöttin von Familie und Ehe, und Hymen /  Hymenaios, der Gott der Ehe, treten auf und segnen die Paare. Purcell setzt auf simple, dafür aber umso überzeugendere musikalische ­Mittel. Im großen Lamento „O let me weep“ lässt der Komponist über eine zum Teil sehr frei gestaltete fallende Basslinie, den so typischen „klagenden“ Lamentobass, den Sopran im Dialog mit der Solo-­ Violine seinen Schmerz intensiv ausleben. Immer wieder stellt ­P urcell Soloinstrumente – Block­ flöten, Oboe, Trompete oder Instrumente der Continuogruppe – den Sängern an die Seite, um Farben und Schattierungen zu erzeugen. Die Kopplung von Arie mit nachfolgendem Chor ist eine von Purcells ­bevorzugten Formen. Eine Besonderheit in The Fairy Queen ist, dass die Chorpassagen einfallsreich harmonisiert sind, so dass sie fast zu neuen Stücken werden und nicht nur eine Reprise des Solo-Teils bilden. Einen der Höhepunkte bildet dabei „If love’s a sweet passion“, in der eine Oboe die so simple wie tiefgreifende Anklage des Soprans begleitet: „Wenn die Liebe so süß ist, warum tut sie uns weh?“ Melodie und Frage werden vom Chor auf­ genommen und weitergesponnen. In den zahlreichen Tänzen und Zwischenaktmusiken arbeitet ­P urcell mit Rhythmuswechseln und zum Teil fast kühner Stimmführung. So ist der „Dance for the ­Followers of the Night“ eine der

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bizarrsten Nummern, die Purcell je geschrieben hat – ein Doppelkanon, dessen strenge kontrapunktische Durchführung einige harmonische Dissonanzen erzeugt. Shakespeare lässt die Geschichte zur „Mittsommernacht“ spielen: Die kürzeste Nacht des Jahres war schon immer eine Zeit der Geister und des Spuks. Wie so oft bei Shakespeare ist der Wald eine Gegenwelt – ein Ort der ­Wünsche und Träume. Ein antiker Wald, den die Elfen mit Oberon und Titania quasi besetzt und verzaubert haben. Mythologisch haben diese Elfen den gleichen Ursprung wie die (Schwarz-)Alben der nordischen Sagenkreise: Sie sind weniger sphärische und ätherische Wesen als Projektionen menschlicher Ängste – gerade im Mittelalter nahm die Angst vor dem Alb, einem ­nächtlichen Zwerg, viel Raum ein. Unser Wort „Albtraum“ zeugt noch von diesem Aberglauben. Oberon ist niemand anderes als der Alberich der Snorra-Edda. Und sein Begleiter Puck ist keineswegs nur ein Schabernack treibender Luftgeist, sondern ein „Hobgoblin“ – ein Angst verbreitender kleiner Teufel. Diese nordischen Geister­ figuren sind wirkliche Fremdkörper im attischen Wald. Und auch die jungen Liebenden, die mit ihren zwischen Komik und tief gehender seelischer Verwundung pendelnden Szenen direkt einer italienischen Renaissancekomödie entsprungen sein könnten, wirken hier etwas

fehl am Platz. Denn Shakespeare rahmt die Handlung mit Figuren der griechischer Mythologie: Theseus, König von Athen und Besieger des Minotaurus, will Hippolyta heiraten, die Königin der Amazonen, deren Jawort er im Kampf erzwang. Hier schimmert die Antikenbe­ geisterung der Renaissance durch – die ja die alten griechischen und römischen (Kunst-)Ideale wieder­ beleben wollte. Auch die deutschen Autoren des frühen 19. Jahrhunderts – von Herder über Goethe bis ­Hölderlin – begeisterten sich für diese klassischen Ideale. Vielleicht liegt in diesem Zusammenfallen von Shakespeare- und Antikenbegeisterung bei August Wilhelm Schlegel das Besondere an seiner Sommernachtstraum-Übersetzung, die auch Grundlage für die Mainzer Spielfassung bildet. Das durchaus Romantische und Bildreiche in seiner Sprache korrespondiert mit der barocken Welt von Purcells Musik. Die Arientexte des anonymen Dichters greifen Shakespeares Metaphorik auf, kreisen aber ­vielmehr als die Worte des Renaissancedichters um barocke Topoi: Der lustvoll-schmerzende Pfeil der Liebe, die in der Musik hörbare Vergänglichkeit der herbstlichen Pracht, die Gleichsetzung von Schlaf und Winter durch strukturelle und musikalische Parallelen zwischen schlafbeschwörendem „Hush, no more“ und Winter-Arie sind nur einige Beispiele für die barocke Sprachsymbolik.

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Nicht zuletzt durch die Schlegelübersetzung war der Sommernachtstraum im 19. Jahrhundert gerade in Deutschland einer extremen Romantisierung ausgesetzt: Putzige Elfen mit Flügelchen schwirrten durch einen allzu deutschen ­Mischwald. Das Ätherische wurde betont, die Derbheit des Elfen­ streites und die Unberechenbarkeit eines Pucks zunehmend nivelliert. Und noch immer prägen solche Bilder unsere Rezeptionshaltung dieses Stoffes. Dabei wählte Shakes­ peare eben keinen mitteleuropäischen Wald als Spielort der Liebeswirren und der Identitätsfindung der jungen Menschen, sondern den Wald bei Athen. Die Antike als Folie für einen Renaissancestoff mit nordisch-heidnischen Einsprengseln in einer zunehmend romantischen Überformung: Gegenüber diesen widersprüchlichen Facetten des Sommernachtstraums muss man sich in einer Inszenierung verhalten.

Handlung, legt dabei aber den ­Fokus auf die jungen Liebenden sowie Oberon und Titania: Die zwei Extreme von erster, schmerzhafter Liebe und routinierter, ­streitgestälter Ehe bilden die Pole in diesem Panoptikum der Beziehungen. Hier kann die Musik ein­ haken und von Gefühlen, Zuständen und Vorgängen erzählen. Wenn Helena das Liebesglück von Hermia und Lysander sieht, wenn sie von Demetrius allein im Wald zurück­ gelassen wird und wenn plötzlich beide Männer um ihre Zuneigung streiten und sie sich verspottet fühlt, dann können Purcells Arien Spiegel ihrer Gefühlswelt werden, Tanz und Bewegung Assoziationen wecken.

Das strukturell angelegte ­Neben­einander von Schauspiel, Tanz und Gesang der Semi-Opera führt Regisseur und Choreograf Jo Strømgren in seiner Inszenierung zusammen. Denn den Shakespeareschen Sommernachtstraum und Purcells Musik in Gänze zu erzählen zu wollen, wäre vermessen – und würde gut und gerne fünf ­Stunden dauern. Die Spielfassung der Mainzer Inszenierung erzählt die wesentlichen Momente der

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HOCHZEITSSPIEL UND MASKENBALL Jan Kott Der Sommernachtstraum wurde erstmalig als Gelegenheitskomödie, nahezu als „private“ Komödie aus Anlass einer Hochzeit gespielt. Es war dies wohl die Hochzeit der famosen Mutter des Earl von Southhampton. Wenn dem so war, wird der junge Earl an den Vorbereitungen zur Vorstellung teilgenommen und darin selbst in Gesellschaft seiner Liebhaber mitgespielt haben. Zur Hochzeit der Mutter werden alle seine männlichen und weiblichen Geliebten erschienen sein, Freunde und Freundinnen, dieser ganze glänzende Gesellschaftskreis, zu dem Shakespeare vor einigen Jahren zusammen mit Marlowe Zugang gefunden hatte. Den Knaben, den Titania Oberon zum Trotz dem indischen Fürsten geraubt hat, führt Shakespeare nicht auf die Bühne. Aber erwähnt ihn mehrmals, und zwar nachdrücklich. Für die Handlung des Sommernachtstraums ist er ohne Belang, mühelos hätten sich hundert andere Gründe für den Streit der könig­ lichen Gatten finden lassen. Doch offenbar benötigte Shakespeare die Einführung dieses Knaben für andere, undramatische Zwecke. Übrigens ist nicht allein dieser fernöstliche Page auffallend. Die Sitten aller Personen, nicht nur die der „sterblichen“, sondern auch die der königlichen und fürstlichen,

sind äußerst frei. Die griechische Königin der Amazonen war eben noch die Geliebte des Elfenkönigs, und Theseus schmiedete noch vor kurzem Liebesränke mit Titania. Diese Mitteilungen sind unwesentlich für den Handlungsablauf, aus ihnen geht nichts hervor, sie trüben sogar das sittsame und ein wenig pathetische Bild der Verlobten aus dem ersten und fünften Akt. Es sind zweifellos Anspielungen auf zeit­ genössische Personen und Vorfälle. Die Dechiffrierung der Anspielungen und das Auffinden aller kleinen und großen Schlüssel des Sommernachtstraums ist wohl nicht möglich. Und es scheint auch gar nicht nötig zu sein, ebenso wie die einwandfreie Identifizierung der Hochzeit, für die Shakespeare das Stück so eilig fertigstellte und adaptierte. Die Flügel der Elfen und die grie­ chischen Tuniken sind nur Kostüm, und zwar nicht einmal poetisches, sondern Karnevalskostüm. Wie leicht kann man sich vorstellen, dass auf der Hochzeit der prächtigen Countess oder auch auf einer be­ liebigen anderen ähnlich prunk­ vollen Hochzeit ein großes Fest stattfindet. Man tanzt in Stil- und Phantasiekostümen. An italienischen Höfen und später in England bis zur puritanischen Reaktion war der Maskenball eine beliebte Vergnügung. Man nannte ihn hier „improptu masking“.

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LIEBESSCHOCK, LIEBESWAHN, UNERMESSLICHE LIEBE, LIEBESGLUT … Julia Kristeva Der Versuch, darüber zu sprechen, erscheint mir nicht minder strapaziös und köstlich berauschend als das Erleben, wenn auch auf andere Weise. Lächerlich? Eher verrückt. Das Wagnis eines Liebesdiskurses, eines Diskurses der Liebe, entspringt doch wohl vor allem der Unbestimmtheit des Objektes. Wo­ rüber wird eigentlich gesprochen? Ich erinnere mich an eine Diskussion unter uns Mädchen. Das junge Mädchen, die verliebte Person par excellence – das Klischee der verführerischen Verführerin, die Lust, Verlangen und Ideale in jene Glut einbringt, die es voll Leidenschaft „Liebe“ nennt – bleibt trotz allem eines der nachdrücklichsten Indizien für Wahrheit und Ewigkeit. Es ging darum, ob wir dasselbe meinten, wenn wir von Liebe sprachen. Wovon? Enthüllten wir unseren Liebhabern, wenn wir uns als verliebt bezeichneten, den wahren Gehalt unserer Leidenschaften? Nicht unbedingt; denn wenn diese sich ihrerseits als in uns verliebt bekannten, wussten wir nie mit Sicherheit, was genau das für sie bedeutete. Hinter der Naivität dieses Frageund Antwortspiels steckt möglicherweise eine metaphysische – oder zumindest sprachliche – Tiefe. Über

die Enthüllung eines weiteren trennenden Abgrunds zwischen den Geschlechtern hinaus suggeriert dieses Fragen, dass die Liebe schlechthin vereinzelt, weil nicht mittelbar wäre. Als würde das Individuum gerade in dem Augenblick, in dem es sich als zutiefst wahrhaftig erfährt, als machtvoll subjektiv und doch auch in höchstem Maße ethisch, weil für den anderen zu allem bereit, auch das Einengende seiner eigenen Lage und die Ohnmacht seiner Sprache entdecken. Sind zwei Lieben nicht wesenhaft individuell und damit nicht vergleichbar, die Liebenden damit nicht auch dazu verdammt, erst im Unendlichen zueinander zu finden? Sollte das Sprechen über die Liebe am Ende eine bloße Verdichtung der Sprache sein, die beim Empfänger lediglich dessen eigene metaphorische Fähigkeiten stimuliert – eine unkontrollierbare, unentscheidbare Flut, deren Geheimnis unwissentlich der Geliebte allein besitzt…? Was versteht er von dem, was ich sage? Was ich von dem, was er sagt? Taumel der Identität, Taumel der Wörter: für das Individuum ist die Liebe jene plötzliche Umwälzung, jener irreparable Kataklysmus, von dem man nur nachträglich spricht. Währenddessen spricht man nicht von… Man hat nur den Eindruck, endlich zum erstenmal wirklich zu sprechen. Aber um wirklich etwas zu sagen? Nicht unbedingt. Wenn ja, was eigentlich? Selbst der

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Liebesbrief, dieser unschuldig-perverse Versuch, die Wellen zu glätten oder aufzuwühlen, ist zu sehr in das unmittelbare Feuer eingetaucht, spricht nur von „mir“ oder von „dir“, oder gar von einem der Alchimie der Identifizierungen entsprungenen „wir“, aber nicht von dem, was sich tatsächlich zwischen dem einen und dem anderen abspielt. Spricht nicht von jenem Zustand der Krise, des Zusammenbruchs, des Wahns, der alle Schranken der Vernunft mitzureißen vermag, wie er auch, der Dynamik des wachenden, lebenden Organismus gleich, einen Irrtum in Erneuerung verwandeln, einen Körper, eine Mentalität, ein Leben von neuem gestalten, hervorbringen und erwecken kann. Sogar zwei. Wenn man allerdings, im Gegensatz zu unseren ungläubigen verliebten Jugendlichen und ungeachtet der Nichtvergleichbarkeit des jeweils von den Protagonisten eingebrachten Affekts und Sinns, einräumt, dass von einer Liebe, von der Liebe, gesprochen werden kann, dann muss man auch einräumen, dass die Liebe, so belebend sie auch wirken mag, uns nie erfüllt, ohne uns zu verbrennen. Über sie zu sprechen, und sei es auch nachträglich, ist wahrscheinlich nur von dieser Wunde aus möglich. Dieses stechende Gefühl von Schwäche und Ohnmacht, das auf die ungeheure Vergrößerung des liebenden Ichs folgt, welches in seinem Stolz nicht minder verstiegen ist wie in seiner

Demut, liegt am Grund dieser Erfahrung. Narzisstische Kränkung? Konfrontation mit der Kastration? Tod des Selbst? – Die Wörter sind brutal, mit denen wir uns diesem Zustand lebhafter Sprödigkeit und heiterruhiger Kraft zu nähern suchen, der aus den Fluten der Liebe auftaucht oder von ihnen zurückgelassen wird, aber unter dem Anschein wiedererlangter Souveränität immer einen ebenso seelischen wie körperlichen Schmerz verbirgt. Der gleichwohl zurückbleibende Schmerz ist Zeuge dieses wahrlich wundersamen Abenteuers, nämlich in der Lage gewesen zu sein, für, durch und im Hinblick auf einen anderen zu leben. Träumt man von einer glücklichen, harmonischen, utopischen Gesellschaft, stellt man sie sich auf die Liebe gegründet vor, da diese mich gleichzeitig über mich selbst erhebt und übersteigt. Allerdings ist die leidenschaftliche Liebe alles andere denn Eintracht, wie sie auch weniger dem ruhigen Schlummer der in sich versöhnten Zivilisationen entspricht als vielmehr ihrem Wahn, ihrer Entzweiung, ihrem Zerbrechen. Eine gefährliche Gratwanderung, bei der Tod und Regenerierung um die Vorherschaft ringen.

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Auf halbem Weg des Menschenlebens fand ich mich in einen finstern Wald verschlagen, weil ich vom rechten Weg mich abgewandt. Wie schwer ist’s doch, von diesem Wald zu sagen, wie wild, rauh, dicht er war, voll Angst und Not; schon der Gedank’ erneuert noch mein Zagen. Nur wenig bitterer ist selbst der Tod; doch um vom Heil, das ich drin fand, zu künden, sag’ ich, was sonst sich dort den Blicken bot. Nicht weiß ich, wie ich mich hineingewunden, so ganz war ich von tiefem Schlaf berückt, zur Zeit, da mir der wahre Weg verschwunden. Dante

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FOTOS S. 4–5 A. Samouilidou, Ensemble; S. 6–7 V. Mikneviciute, L. Häßle, M. Lemić, G. Lickleder, B. Mitrović, A. Corti, A.-I. Deleanu, T. Van Praet, G. Goverman, A. Josh, A. Samouilidou, A. Daniele, R. Giner; S. 8 A. Josh, C. Mickel, G. Torri, A. Daniele, B. Mitrović, T. Van Praet; S. 15 Abb. 1: V. Mikneviciute, G. Goverman, A. Corti, M. Sakano; S. 18–19 Abb. 2: D. Schellenberg, V. Mikneviciute, K. Köhler, C. Dönicke, A. Quirbach, A.-I. Deleanu, L. Häßle, Abb. 3: Ensemble, Abb. 4: G. Torri, M. Sakano, A. Corti, A. Samouilidou; S. 20 Abb.5: M. De Salve, K. Köhler, C. Dönicke, Abb. 6: A.-I. Deleanu, L. Häßle; S. 21 K. Köhler, A. Samouilidou, Ensemble S. 22–23 T. Van Praet, M. Lemić, M. De Salve, Chor; S. 24–25 Abb. 7: M. Pegher, M. De Salve, R. Giner, A. Quirbach, Abb. 8: A.-I. Deleanu, D. Schellenberg, Abb. 9: G. Torri, C. Mickel, V. Mikneviciute, M. De Salve, Chor; S. 26–27 M. De Salve, Chor; S. 29 A. Samouilidou

IMPRESSUM Spielzeit 2014/2015 Herausgeber Staatstheater Mainz www.staatstheater-mainz.de Intendant Markus Müller Kaufmännischer ­Geschäftsführer Volker Bierwirth Redaktion Lars Gebhardt Druck Druckerei Hassmüller, Frankfurt/Main Visuelle Konzeption Neue Gestaltung, Berlin

NACHWEISE Die Handlung sowie den Text „Amazonen, Teufel und Lamentobass“ verfasste Lars Gebhardt. Der Text „Hochzeitsspiel und Maskenball“ sowie das Zitat auf S. 31 entstammen dem Buch: Jan Kott Shakespeare heute, München 1970. Der Text „Liebesschock, Liebeswahn, unermessliche Liebe, Liebesglut…“ entstammt dem Buch: Julia Kristeva Geschichten von der Liebe, Frankfurt/M. 1989. Das Zitat auf S. 28 ist Dante Alighieris Die göttliche Komödie (Übertragung: Karl Steckfuß) entnommen. Alle Bilder sind Probenfotos © Andreas Etter

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Bei Shakespeare ist die Plötzlichkeit der Liebe immer überwältigend. Die Faszination auf den ersten Blick, die Vergiftung vom ersten Sichberühren der Hände. Die Liebe stürzt herab wie ein Habicht, die Welt versinkt, die Liebenden sehen nur sich. Bei Shakespeare erfüllt die Liebe das ganze Wesen, ist Verzückung und Begierde. Im Sommernachtstraum bleibt vom Liebeswahn nur die Plötzlichkeit der Begierde. Jan Kott

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