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Ausflug in die japanische Sprachgeschichte
HIRAGANA KATAKANA
Ausflug in die japanische Sprachgeschichte DIE ENTSTEHUNG VON HIRAGANA & KATAKANA
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Japanisch-Lernende wissen nur zu gut: Die Sprache verfügt über drei Alphabete, die zwei Silbenschriften Hiragana und Katakana sowie die chinesischen Schriftzeichen Kanji. Jedes Hiragana- und Katakana-Zeichen steht für einen Vokal oder für einen Konsonanten + Vokal. Doch warum gibt es dafür ausgerechnet zwei verschiedene Systeme, obwohl sie dieselben Silben beschreiben? (Text: Aya Puster)
Meistens werden in der ersten Japanisch-Stunde zwei Tabellen des japanischen Schriftsystems ausgehändigt. Auf den Tabellen stehen jeweils in der ersten Reihe die fünf Vokale (a, i, u, e, o) und in den folgenden neun Zeilen je ein Konsonant (k, s, t, n, h, m, y, r, w). Zur jeweiligen Kombination der beiden gehört ein entsprechendes Zeichen. Die Lehrkraft wird daraufhin sagen: „Diese Schriftzeichen nennen sich Kana. Die rundliche Schrift heißt Hiragana, die eckige Katakana. Die lernt ihr schnell, es sind ja nur jeweils 46 Zeichen“. Fortgeschrittene wissen, dass dies nur die Spitze des Eisbergs ist, bedenkt man die über 2.000 chinesischen Schriftzeichen (Kanji), die man für den Alltag in Japan braucht. Doch bleiben wir bei den Basics: Wie sind Hiragana und Katakana überhaupt entstanden?
Die Schrift der Hofdamen: Hiragana
Die Silbenschrift Hiragana entwickelte sich nicht aus dem europäischen Alphabet oder dem koreanischen Hangul, sondern aus der Kursivschrift der chinesischen Kanji. Vor über 1.000 Jahren, als Japan noch kein eigenes Schriftsystem besaß, war es schwer zu sagen, wie ein bestimmtes Kanji ausgesprochen werden sollte, da sie oft über mehrere Lesarten verfügten. So wurde jeder japanischen Silbe ein vereinfachtes Kanji mit der entsprechenden Aussprache zugeordnet.
Mit dieser Kursivschrift konnte man das gesprochene Japanisch schnell und einfach niederschreiben. Sie galt daher als eine „provisorische bzw. unechte“ Schrift (kana), die Kanji dagegen als die „echte Schrift“ (mana). Während die (männliche) Elite Texte weiterhin mit Kanji verfasste, waren Hiragana besonders bei kaiserlichen Hofdamen der Heian-Zeit beliebt. Selbst heutzutage wird den geschwungenen Zeichen ein feminines Aussehen zugesprochen.
SILBE KANJI KURSIVSCHRIFT HIRAGANA
a 安 あ u 宇 う na 奈 な
Beispiel: Vom Kanji zum Hiragana-Zeichen.
Im späten 10. Jahrhundert entstand ein Gedicht, in welchem jede Hiragana-Silbe nur ein einziges Mal vorkommt. Es beginnt mit „i-ro-ha“, weshalb bis heute das I-RO-HA im Japanischen das ist, was im Deutschen als ABC bekannt ist. Bis ins 17. Jahrhundert wurden Begriffe in Wörterbüchern nach dieser Reihenfolge angeordnet, bis führende Gelehrte der klassischen japanischen Literatur eine neue Kana-Tabelle anfertigten. Diese bekam ihre uns heute bekannte Reihenfolge, als Ende des 19. Jahrhunderts das erste große einsprachige Japanisch-Wörterbuch erschien. Heute werden vor allem Partikel und grammatikalische Endungen in Hiragana geschrieben, aber auch japanische Namen oder einfache Kinderbücher.
Buddhistische Lesehilfe: Katakana
Die zweite Silbenschrift Katakana ist wegen ihrer kantigen Schreibweise bei Japanisch-Lernenden eher wenig beliebt. Dabei gilt sie in Japan als besonders einfache Schrift: Im 19. Jahrhundert befand das japanische Kultusministerium, dass die rundlichen Hiragana-Zeichen für kleine Kinder zu schwer zu schreiben seien und sie daher das Lesen mit Katakana erlernen sollten. Bis 1945 lernten Schulkinder als erstes diese Silbenschrift. Katakana wurde im 9. Jahrhundert von buddhistischen Mönchen als eine Art Lesehilfe erfunden, um chinesische Texte besser zu entziffern. Durch ihre simple Schreibweise ließen sie sich gut zwischen den Zeilen einfügen. Sie wurden zwar ebenso wie Hiragana aus Kanji abgeleitet, jedoch handelt es sich nicht um eine vereinfachte Schreibweise, sondern man hat einfach Bestandteile der Kanji mit passender Lesung zu individuellen Zeichen auserkoren.
SILBE KANJI KATAKANA
i 伊 イ u 宇 宀 → ウ ro 呂 ロ
Beispiel: Ein Bestandteil eines Kanji wird zum Katakana-Zeichen.
Heutzutage wird Katakana vor allem für die Transkription von Fremdwörtern und ausländischen Namen, aber auch für Lautmalereien (etwa in Mangas oder Comics) verwendet. Man benutzt die Zeichen auch gerne anstelle der üblichen Schreibweise mit Hiragana oder Kanji, um bestimmte Begriffe zu betonen, z.B. auf Hinweisschildern. Lesehilfen für unbekannte oder komplizierte Kanji (etwa in Japanisch-Lehrbüchern) gibt es noch immer. Diese nennen sich Furigana – doch heutzutage wird dafür in der Regel Hiragana verwendet.
Kursivschrift: © IPA/NINJAL, licensed under the Apache License, Version 2.0
(Sprach-)Reisetipp: Yamashiro Onsen
Wer mehr über japanische Sprachgeschichte lernen möchte, dem empfiehlt sich ein Besuch des kleinen Ortes Yamashiro Onsen (Präfektur Ishikawa). Dort lebte einst der buddhistische Mönch Myōgaku. 1093 ordnete er in einer 5 x 10-Tabelle (die gojūon-Tabelle) 50 Kana anhand ihrer Phoneme an, um die japanische Aussprache des Sanskrit zu erleichtern. Sie bildete die Grundlage für die Kana-Tabellen, wie sie heute weltweit gelehrt werden. Yamashiro Onsen ist stolz auf die Meisterleistung „ihres“ Priesters und veranstaltet jährlich den Kotoshi no Nihongo-Wettbewerb. Dafür wird eine Reihe der Kana-Tabelle ausgewählt und die Teilnehmenden müssen eine kleine Geschichte über ein Wort einsenden, das mit einer Silbe aus jener Reihe beginnt. Die Gewinner erwartet u.a. ein erholsamer Aufenthalt in dem bekannten Thermalbadeort. 2022 ist die e-Reihe dran: Verfassen Sie doch selbst eine persönliche Anekdote, die von einem solchen Wort handelt!
© 石川県観光連盟
Der Yakuōin Onsenji-Tempel in Yamashiro Onsen, wo Myōgaku die gojūon-Tabelle entwickelte.