Ephemere Räume

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Ephemere R辰ume Konstruktive Strategien f端r ein Baudenkmal

Z端rcher Hochschule f端r Angewandte Wissenschaften Masterstudiengang Architektur, IKE Master-Studio | Herbstsemester 2014/15


Titelbild: Tadashi Kawamata, CathĂŠdrale de Chaises, 2007. Domaine Pommery, Reims

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Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften ZHAW Departement Architektur Gestaltung und Bauingenieurwesen Masterstudiengang Architektur Institut Konstruktives Entwerfen IKE Master-Studio Constructive Project | Herbstsemester 2014/15

Leitung Co-Leitung

Alain Roserens Marc Loeliger

Atelierdiskurse

Eberhard Tröger Prof. Josef Kurath Daniel Tschudy

Begleitung Tragstruktur

Prof. Josef Kurath

©ZHAW, IKE 2014 «Alle Rechte vorbehalten»

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Inhaltsverzeichnis

Einleitung 6 8 8 9 9 10 14 15

Das Zentrum Konstruktives Entwerfen Constructive Project – Konstruktives Entwerfen Synchroner Entwurfsprozess Atelierdiskurse Nachbereitung Leistungsbewertung Constructive Research – Konstruktives Forschen Constructive Strategies – Konstruktives denken II

Ephemere Räume 16 17

Begrifsdefintion Fragestellung

Semesteraufgabe 21 21 23

Aufgabenstellung Synchrones Entwerfen Raumprogramm

Dokumentation Villa Langmatt 24 37 41 47 61 63

Karten- und Plandokumentation Der Gartenarchitekt Otto Froebel (1844-1906) Isabel Haupt: Villa Sidney und Jenny Brown (Villa Langmatt), Baden Laurent Stalder: Der Puls des Lebens im „Garten der neuen Kunst“ Christian Engel: Von London via Winterthur und Oerlikon nach Baden Thomas Gnägi: Aus Karl Mosers Skizzenbuch: die Villen der Gebrüder Brown

Texte und Referenzen 77 87 93 95

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Dr. Kerstin Bussmann: Der Pavillon - Nomadische Momente der Architektur Prof. Nikolaus Hirsch: Die Pavillonisierung der Architektur Marguerite Duras, Michelle Porte: Die Orte der Marguerite Duras Axel Dossmann, Jan Wenzel, Kai Wenzel: Schneller sein - Architektur auf Zeit

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Weitere Literatur zum Thema

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Biographien Dozierende

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Semesterablauf und Termine


Doris Salcedo Installation at 8th International Istanbul Biennial, 2003 Photo by Muammer Yanmaz Š Doris Salcedo

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Einleitung Das Zentrum Konstruktives Entwerfen “Die materiellen Bedingungen der Architektur werden im Entwurfsprozess jederzeit mitgedacht.” Architektur: Unter Architektur verstehen wir die gebaute Umwelt als kulturelle Errungenschaft einer Gesellschaft. Materielle Bedingungen des Bauens: Konstruktion hat zu tun mit der korrekten und angemessenen Anwendung oder Verwendung von Materialien. Dabei kann unterschieden werden zwischen der technischen und der ästhetischen (ideologischen) Verwendung von Materialien. Die technisch-materielle Bedingung des Bauens beschäftigt sich mit der korrekten technischen und bauphysikalischen Anwendung verschiedener Konstruktionsprinzipien. Die ästhetische-materielle Bedingung des Bauens untersucht vor allem die ästhetischen und symbolischen Ausdruckseigenschaften des Materials. Dabei geht es um kulturelle, gesellschaftliche und wahrnehmungsbezogene Zusammenhänge und um die Bedeutungen von Materialien und ihrer Verwendung. Projekte am Zentrum Konstruktives Entwerfen führen die technisch-materiellen und die ästhetisch-materiellen Bedingungen des Bauens zusammen. Sie respektieren und nutzen die Eigenheiten der Stoffe und Bauweisen, sie lassen aber auch Raum für vorweggenommene Innovation. Neues kann durch das Ausloten noch unbekannter Möglichkeiten bekannter Stoffe und Konstruktionen entstehen oder durch die Suche nach angemessenen physischen Mitteln zum Erzielen erwünschter, neuartiger Wirkungen. Entwurf und Forschung sind untrennbar miteinander verbunden: Aus dem Entwurf heraus stellen sich die Fragen, die Forschung notwendig machen.

Bild rechts: Water‘s Edge 1981. Wine, James. SITE Architects (1982): Highrise of Homes. New York: Verlag Rizzoli International Publications. ISBN 13: 9780847804672

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Entwurfsprozess: Der Entwurfsprozess ist der Vorgang der Lösungsfindung einer Bauaufgabe in Abhängigkeit der kulturellen, programmatischen, baustrukturellen, atmosphärischen, konstruktiven, bauphysikalischen sowie material- und fertigungstechnischen Bedingungen. Am Zentrum Konstruktives Entwerfen werden diese Bedingungen in einem synchronen Entwurfsverfahren bearbeitet. Dies bedeutet ein gleichwertiges und gleichzeitiges Betrachten aller Bedingungen und ihrer Wechselwirkungen während des ganzen Entwurfsprozesses. Dieses Verfahren steht im Gegensatz zum üblichen Verfahren, bei dem der Entwurf in verschiedenen Phasen vom grossen Massstab zum Kleinen entwickelt wird.


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Masterstudio Constructive Project – Konstruktives Entwerfen Das Modul Studio hat die Aneignung einer fundierten Entwurfskompetenz zur Entwicklung und Umsetzung von integralen architektonisch-konstruktiven Konzepten zum Ziel. Voraussetzung dafür ist die Förderung des Bewusstseins für die vielschichtigen Zusammenhänge von unterschiedlichen Ebenen und Aspekten innerhalb einer Entwurfsaufgabe. Konstruktives Entwerfen bezeichnet die spezifische Haltung im Entwerfen von architektonischen Projekten, bei der dem konstruktiven Bewusstsein eine bedeutende Stellung zugewiesen wird. Konstruktive Fragen werden im Entwurfsprozess von Beginn an gleichwertig mit anderen Faktoren thematisiert und bearbeitet. Das Entwurfsthema, bzw. das räumliche und formale Konzept bestimmen die Wahl von Bauweise und Material. Ebenso in umgekehrter Richtung: Tragwerkskonzept, Baukonstruktion und Materialien erzeugen ihrerseits zentrale Impulse für das Entwurfsthema und den Charakter des Raums und der Form.

Synchroner Entwurfsprozess Aufbauend auf den Erfahrungen der letzten Masterkurse des Zentrum Konstruktives Entwerfen unterscheidet sich der Masterkurs von den üblichen didaktischen Verfahrensweisen durch die Postulierung eines ‚synchronen Entwurfsprozesses’. Der konventionelle Prozess vom grossen Massstab zum kleinen, von der Situationslösung über die Erfüllung des Raumprogramms zur konstruktiven Detailbearbeitung soll zugunsten eines parallelen Verfahrens aufgelöst werden. Durch das gleichzeitige Bearbeiten unterschiedlicher Entwurfsaspekte und Massstabsebenen soll das Bewusstsein um die vielschichtige Vernetzung beim Entwerfen gestärkt und eine gegenseitige Befruchtung der Elemente schon zu Beginn der Entwurfsarbeit ermöglicht werden. Konkret sollen die Aspekte ‚Baukörper und Form, ‚räumliches Erlebnis und Raumstimmung’, ‚Bauweise und Materialität’ in allen Phasen des Entwurfes mitgedacht und bearbeitet werden. Das Vorgehen beinhaltet die Möglichkeit, einzelne Teilbereiche als Katalysator für die anderen zu verstehen und diese auch zu einem späten Zeitpunkt immer wieder hinterfragen und neu denken zu können. So kann zum Beispiel die Einbettung in eine städtebauliche oder landschaftliche Situation länger als üblich bearbeitet werden, weil die Arbeit auf den anderen Massstabsebenen schon weiter gedacht ist. Es ergibt sich im gesamten Ablauf eine ständige, sich gegenseitig befruchtende dialektische Parallelität von Analyse- und Entwurfsarbeit. Das Verfahren macht es notwendig, schon zu Beginn der Entwurfsarbeit zu verschiedenen Fragestellungen Thesen zu erarbeiten – eine Position zu beziehen-, ohne dass klar ist, wo und auf welche Weise diese miteinander 8


korrespondieren. Im Laufe des Prozesses sollen sich die Positionen aufeinander zu bewegen und sich schliesslich in einem kohärenten und ganzheitlichen Projekt finden.

Atelierdiskurse Unterstützt wird der synchrone Entwurfsprozess durch Atelierdiskurse (Erörterungen bzw. methodisch aufgebaute Abhandlungen), welche zur Aufgabenstellung den Betrachtungsperimeter erweitern und gleichzeitig eine konzeptionelle und vernetzte Arbeitsweise fördern. Zu diesen Diskursen werden auch externe Fachleute beigezogen, die in ihren Fachgebieten wichtige Beiträge zur Architekturdebatte leisten. Aus den einzelnen Atelierdiskursen werden Recherchen abgeleitet, welche von den Studenten als Grundlage für die Ateliergespräche zuerarbeiten sind. Im Rahmen des Ateliers sollen dann die Ergebnisse zu kontroversen Diskussionen im Plenum führen. Parallel zur Schiene der Projektentwicklung sind zwei Vertiefungswochen (Study-Weeks) vorgesehen, welche den Kurs thematisch begleiten. Anschließend an das Semester erfolgt die Nachbereitung, welche neben einer kritischen Selbstbeurteilung der Arbeit eine abschließende Dokumentation (Portfolio) der einzelnen Projekte beinhaltet. Bild: Planspiel, Children Building Le Corbusier‘s La Ville Contemporaine. Schäfer, Albrecht (2003):Photocollage, 24 x 30cm.

Nachbereitung Anschliessend an das Semester erfolgt die Nachbearbeitung, welche eine kritische Selbstbeurteilung von Fragestellung, Prozess und Resultat der eigenen Arbeit darstellt und eine abschliessende, gewichtete Dokumentation (Portfolio) der einzelnen Projekte beinhaltet. Diese wird mittels einer Power Point Präsentation abschliessend vorgestellt. 9


Leistungsbewertung Die Modulnote setzt sich zusammen aus den Atelierdiskursen und der Bearbeitung des Projekts bis zur Schlusskritik und der Nachbearbeitung. Die Projekte werden nach folgenden Kriterien durch die Dozierenden bewertet: Atelierdiskurse · Eigenständigkeit und Tiefe in der Bearbeitung der gestellten Aufgabe. · Innovativer Gehalt und architektonische Qualitäten. · Darstellung und Präsentation des Resultates. Projektierungsphase bis zur Schlusskritik · Eigenständigkeit und Tiefe in der Bearbeitung der gestellten Aufgabe. · Schlüssigkeit der erarbeiteten Thesen und Strategien. · Kohärenz der Projektresultate im Hinblick auf die formulierten Ziele. · Innovativer Gehalt und architektonische Qualitäten. · Darstellung und Präsentation des Resultates. Nachbereitungsphase · Fähigkeit zur kritischen Selbsteinschätzung von Prozess und Resultat · Überzeugungskraft und Eigenständigkeit der Darstellung in Inhalt und Form

Bild rechts: Maison 5.5m x 5.5m, Fribourg; LVPH architectes

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«Tree Huts» (2008) Tadashi Kawamata, Kamel Mennour Photo ©Marc Domage

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Wahlpflichtmodul Constructive Research Entwicklung von Bauteilen in CarbonBeton

Thema Der Anspruch, im Rahmen der Lehre einen Beitrag zur Entwicklung bautechnischer Produkte oder Systeme zu leisten, stellt eine beträchtliche Herausforderung dar. Weder reichen der zeitliche Rahmen noch das vorhandene Knowhow in der Regel aus, um Ideen soweit zu entwickeln, dass sie in den Bereich einer möglichen Praxisanwendung gelangen. Bestenfalls lassen sich neuartige konstruktive Konzepte andenken, die den Beweis, in der baulichen Realität bestehen zu können, aber schuldig bleiben müssen. Mit der «in-house-Entwicklung» eines Betons mit Carbon-Armierung bietet sich für einmal die Gelegenheit, sich bei der Konzeption verschiedener Bauteile einzubringen. In diesen Wochen wird die serielle Produktion einfacher Betonplatten aufgenommen - weiterführende Infrastrukturen oder eine eigene Entwicklungsabteilung fehlen weitgehend. Dennoch sollen in den kommenden Monaten eine Reihe von spezifischen Bauteilen konzipiert und getestet werden. Nach der Untersuchung möglicher Anwendungsfelder im vergangenen Semester, erhoffen wir uns nun einen unmittelbaren Einblick in die Entwicklung einer neuen Generation von Bauteilen in Beton. Zusammenhang «Constructive Research» untersucht das Verhältnis zwischen Materialität, Konstruktion und formalem Ausdruck in der Architektur. Das Modul sucht sich seinen Platz zwischen Lehre und Forschung und setzt sich zum Ziel, Resultate aus der Forschung des IKE aufzugreifen, entwerferisch weiter zu bearbeiten und zu vertiefen. Die Studierenden führen unter Anleitung kleinere Erkundungsarbeiten durch, erweitern ihr konstruktives Wissen durch die Analyse bautechnischer Zusammenhänge und durch das Entwickeln individueller Lösungsansätze in der eigenen Arbeit. Erkenntnisse aus den Arbeiten der Studierenden wiederum, fliessen als Input in die Forschung zurück. Organisation Das Modul beansprucht einen Tag pro Woche. Die Untersuchungen sind als Gruppenarbeiten mit zwei bis vier Studierenden angelegt. Die Arbeiten werden durch ein Dozententeam aus Architekt und Bauingenieur betreut. Dozierende Alexis Ringli *1965, Architekt FH Winterthur, Architekturbüro mit Peter Gadola in Zürich; Matthias Schmidlin *1966, Bauingenieur und Architekt ETHZ, gemeinsames Büro in Zürich mit dem Architekten Thomas Berger.

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Wahlmodul Constructive Strategies II – Konstruktion Denken «Architektur und Konstruktion sollen synchron gelehrt oder praktisch angewandt werden: Die Konstruktion ist das Mittel, die Architektur das Resultat. Es gibt jedoch architektonische Gebilde, die man nicht als Konstruktion bezeichnen möchte, ebenso Konstruktionen, die man kaum der Architektur zuordnen würde.» Viollet-le-Duc, Eugène (1868): Dictionnaire raisonné de l‘architecture française du XIe au XVIe siècle, Tome quatrième. Paris: Morel. Seite 1

Lehrinhalte und Methode Das Zitat von Viollet-le-Duc verweist auf die Bedeutung der Konstruktion als sowohl sinnliche wie auch intellektuelle Leistung: Räumliche Ideen müssen in eine baubare Struktur übersetzt werden, was Rückwirkungen auf die architektonische Erscheinung und Wahrnehmung hat. Diesen Wechselwirkungen und facettenreichen Abhängigkeiten wird im Wahlmodul nachgegangen. Konstruktion soll als kulturelles Phänomen begriffen werden. Das Wahlmodul vermittelt keine geschlossene Theorie der Konstruktion. Es fokussiert vielmehr auf die Erarbeitung eines theoretischen und praktischen Rüstzeugs, das erlaubt, Konstruktion in ihrer Vielschichtigkeit zu verstehen. Die Vorlesung bedient sich unterschiedlicher Betrachtungsebenen, die von übergeordneten Fragen über die Behandlung einzelner Bauteile und Materialien bis zu Thematisierung von Fügungs- und Fertigungstechniken reichen.

Sankt Gertruds Kapelle auf dem Ostfriedhof in Malmö (S), 1943, Sigurd Lewerentz Foto: F. Renaud

Lernziel Die Studierenden verstehen Konstruktion in einem umfassenden Sinn als Mittel zur Erzeugung architektonischer Wirkungen und als Denkgerüst zu deren technischen Umsetzung. Grundlage dafür ist die Aneignung einer Terminologie, die das Nachdenken und Sprechen über Konstruktion unterstützt und hilft, konstruktive Strategien aller Epochen differenziert zu analysieren und kritisch zu beurteilen. Leistungsnachweise Das Wahlmodul ist als Kombination von Vorlesungen, Lehrgesprächen und Diskussionen angelegt. Die Unterlagen zur Vorlesung werden im Intranet des Departements A hinterlegt. Bedingung für die Erteilung der Credits ist die kontinuierliche und aktive Teilnahme am Unterricht sowie ein Kurzreferat mit dazugehöriger schriftlicher Vertiefung. Die Eigenleistung wird benotet. Dozent François Renaud, dipl. Architekt ETH SIA, 1979 Diplom an der ETHZ, Mitarbeit bei Carl Nyrén Stockholm, Kolker/Kolker/Epstein Tel Aviv, Winter/Trueb/Ellenrieder Basel, 1985-1990 Assistent an der ETHZ bei Vincent Mangeat, 1987 bis 1999 Architekturbüro mit Franz Engler, 1992-2003 Dozent Hochschule für Technik und Architektur Biel-Bienne, 2003-2009 Leitung Studiengang Architektur ZHAW und Dozent Modul ‚Grundlagen Konstruktives Entwerfen‘, seit November 2013 interimistische Leitung Institut Konstruktives Entwerfen ZHAW. 15


Ephemer (bildungssprachlich) nur kurze Zeit bestehend; flüchtig, rasch vorübergehend [und ohne bleibende Bedeutung] (Botanik, Zoologie) (von kurzlebigen Organismen) nur einen Tag lang lebend, bestehend Begriffsdefinition nach Duden

Ephemere Architektur bezeichnet Architekturkonzepte, die sich mit temporären Strukturen und Bauwerken beschäftigen. Diese haben eine beschränkte Lebens- und Nutzungsdauer und sind oft nur eine Übergangslösung, um einen akuten Bedarf zu stillen. Häufig handelt es sich um Mobile Architekturen, also Anlagen, die für eine Zeit an einem Standort aufgebaut, dann wieder demontiert und woanders wiederaufgebaut werden. In der Bauordnung wird der Begriff Fliegender Bau verwendet. Temporäre Architekturen aus Anlass größerer Festlichkeiten finden sich schon im Barock – beispielsweise Ehrenpforten, Pylonen etc., die entlang der Routen zeremonieller Ein- und Umzüge aufgestellt wurden. Als temporär konzipiert wurden und werden auch viele Bauten für zeitlich begrenzte Ausstellungen. Temporäre Bauwerke dienen zuweilen auch als Platzhalter für spätere, solider ausgeführte Versionen desselben Projektes. http://de.wikipedia.org/wiki/Temporäre_Architektur

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Ephemere Räume Fragestellung Baudenkmal Der hohe Siedlungs- und Nutzungsdruck in unserer durch zunehmede Dichte geprägten baulichen Umwelt führt dazu, dass Bauten verstärkt näher zusammenrücken, ehemals freistehende, historisch gewachsene Ensembles mit zusätzlichen Bauten verdichtet werden. Gerade in innenstädtsichen Situationen sind historische Gebäude zudem oft durch Aussenalnagen, Gärten oder Parks umgeben, die sich im Falle einer Nachverdichtung als mögliche Orte der Intervention anbieten. Diese teilweise sehr wertvollen Zeugen der städträumlichen und architekturgeschichtlichen Entwicklung sind unter dem Eindruck von grossen baukulturellen Verlusten vorallem in den 1960-er Jahren von einer vorsorglichen Denkmalpflege zu Recht unter Schutz gestellt worden. Der bauliche Spielraum innerhalb eines solchen geschützten Ensembles für neue Nutzungen ist deshalb sehr beschränkt, weshalb sich bei solchen Situationen oft nur noch eine Lösung mit möglichst grosser Distanz zum geschützten Bauobjekt erzielen lässt. Die zunehmende Wertschätzung von Qualität und Bedeutung von Landschafts- und Gartenarchitektur auch in der Denkmalpflege führt zusätzlich zu einer restriktiven Verfügbarkeit von Teilen dieser Freiräume für zusätzliche Neubauten, was sehr oft dazu führt, dass sich die neuen Raumprogramme als subkutane Unterwelten fast unsichtbar mit höchstens mimetischen Periskopen an der Oberfläche zeigen.

Ephemere Räume Eine Möglichkeit des sichtbaren Bauens im denkmalgeschützten Kontext scheint die Reaktion mit einer ephemeren Struktur zu sein, weil sie in ihrer Leichtigkeit im geschützten Umfeld Ansätze erlaubt, sich auf ganz unterschiedliche Weise dem Baudenkmal anzunähern und in ihrer provisorischen Präsenz die Permanenz des Bestandes zusätzlich stärkt. Das Masterstudio im Herbstsemester 2014 widmet sich der Frage, mit welchen konstruktiven und architektonischen Mitteln sich ein kohärenter Dialog zwischen dem Neubau und dem bestehenden Objekt etablieren lässt. Der Fokus der Erforschung auf eine leichte Konstruktion soll das Feld möglicher Interventionen bewusst einschränken, um über die Beschäftigung mit spezifischen Konstruktionssystemen, Materialcharakteristiken und Ausdrucksweisen eine stimmige, räumlich Reaktion auf die historische Situation zu finden. 17


Triumph-Pforte f端r Joseph I. Stich nach Johann Bernhard Fischer von Erlach 1699

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Vergänglichkeit Die vergängliche Erscheinung der neuen Bauteile muss dabei nicht absolut in einem problemlosen Rückbau umsetzbar sein, das heisst es kann auch mit dem Bild der Vergänglichkeit gearbeitet werden. Dazu dienen „leichte“ Konstruktionsmaterilien - Stahl, Holz, Kunststoffe - aber auch eine „günstige“ Erscheinung oder typologische Ansätze (Pavillon im Park). Die Lebenszeit von Provisorien kann diejenige von für die „Ewigkeit“ erstellten Bauwerke durchaus überdauern (Barcelona Pavillon, Globus Provisorium Zürich) - trotzdem bewahren sie ihre fragile Erscheinung einer flüchtigen Vergänglichkeit.

Experiment Die Beschränkung auf Bauten mit einer tieferen Permanenz erlaubt konstruktiv und kulturell einen entspannteren Umgang mit den Fragen der Verhältnismässigkeit und damit einen grösseren Spielraum für das Experiment. Dies soll den Weg fort vom sicheren Pfad der tradierten räumlichen und konstruktiven Prinzipien erlauben und einen forschenden Zugang mit neuen Erkenntnissen öffnen. Über ein differenziertes Raumprogramm von kleinteiligen und weitgespannten Räumen sollen die Möglichkeiten eines gewählten Konstruktionsprinzipes ausgelotet und untersucht werden.

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Semesteraufgabe

Aufgabenstellung Die bedeutende Sammlung impressionistischer Meisterwerke der Familie Brown in der Villa Langmatt in Baden soll um einen grosszügigen Raum für zeitgenössische Wechselausstellungen ergänzt und erweitert werden. Neben zusätzlichen Funktionsräumen für den Museumsbetrieb ist unter Berücksichtigung der hohen Schutzstufe von Villa und Park ein Raum für Vorträge, Empfänge und Vernissagen sowie ein Wohnatelier für Stipendiaten der Stiftung geschaffen werden. Ein schlüssiger Entwurf innerhalb des Ensembles der historischen Industriellenvilla mit dem alten, geschützten Baumbestand setzt eine sorgfältige Situationslösung und einen subtilen Umgang mit dem architektonischem Ausdruck, der Konstruktion und Materialisierung voraus.

Synchrones Entwerfen Im Sinne des synchronen Entwurfsprozesses wird die übliche Annäherung an die Entwurfsaufgabe vom grossen zum kleinen Massstab aufgebrochen. In einer ersten Phase entwerfen die Studierenden jeweils einen der drei Programmteile Ausstellungsraum, Saal und Ateliers weitgehend unabhängig vom konkreten Bauplatz. Konstituierende Entwurfsparameter sind das Raumprogramm, das Konstruktionsmaterial und die Stimmung des Ortes. In einer zweiten Phase sollen je drei Programmteile zusammen in einer konkreten Setzung stadträumlich am Ort verankert werden. Dazu werden Gruppen aus drei Studierenden gebildet die gemeinsam einen übergeordneten „Masterplan“ erarbeiten. In diesen müssen die jeweiligen Entwürfe dann wieder an- und eingepasst werden.

Bild links: Villa Langmatt, Fotografie ca. 1903 Archiv Museum Langmatt, Stiftung Langmatt Sidney und Jenny Brown, Baden

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Peter Zumthor Serpentine Gallery Pavilion 2011

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Raumprogramm

Programmteil

Raumbezeichnung

Ausstellungsraum

Wechselausstellung Technikraum

Richtraumflächen m 150

Wohnatelier

Mehrzweckraum

Raumhöhe ca. 5m kontrolliertes Tageslicht

10

Verbindung zu Altbau

Vortragssaal

Bemerkungen

geschlossene Verbindung

150

120 Personen Vorträge, Vernissagen, Konzerte, Vorführungen

Lager

20

Bestuhlung, Bühnenelemente

Technikraum

12

Toiletten

15

Arbeitsraum

30

Schlafbereich

10

Sanitärraum

3

Reduit

6

2 Toiletten F 1 Toilette, 1 Pissoir M

Toilette, Dusche, Lavabo behindertengerecht

23


© www.geo.admin.ch 24


25


Luftbild: 26 Google Maps

Luftaufnahme maps.google.ch


Bild: Luftbild der Stadt Z端rich (2011). Stadtplan Stadt Z端rich. Situationausschnitt. URL: http://www. stadtplan.stadt-zuerich.ch (Stand 2013)

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2353 404

220

30a

5 1.3

32a

1.1 3 30

4

1318

32

6247

Rรถmers

trasse

29

u.

1739

28


Grundstücksinformation Liegenschaft Parzellengrösse Kat. Nr. 1318 = 11'370 m2 Parzellengrösse Kat. Nr. 1319 = 1'090 m2

Bauten, bestehend 403

402

1

Museum Langmatt

1.1

Hauptgebäude

1.2

Galerieanbau

1.3

Ökonomiegebäude

2

Gartenhaus Ost

3

Gartenhaus West

4

Gewächshaus

5

Haus Germann

6

Garage

3345

6

1.2 u.

2

1201

1319

1742 379

0

5

25 m

5456

Situation 23

29


Kenndaten nach SIA 41 GF

Geschossfl채che

GV

Geb채udevolume

Untergeschoss Erdgeschoss Obergeschoss Dachgeschoss 1 Dachgeschoss 2

H

H

H

H

H

H

H

H

Dachgeschoss

0

3

Untergeschoss

4045 Machbarkeitss

30

Grundrisse Ist-Zus

Diethelm & Spillman


02

Kenndaten nach SIA 416 GF

Geschossfl채che, m2

GV

Geb채udevolumen, m3 GF

GV

Untergeschoss

730

2'570

Erdgeschoss

660

2'730

Obergeschoss

650

1'980

Dachgeschoss 1

370

880

Dachgeschoss 2

160

300

2'570

8'460

Obergeschoss

Erdgeschoss

0

3

15 m

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KNGW

+10.45

+7.42

+7.11

+5.68

+5.38 H

+4.95 +4.21

+3.73 H

+2.41

+2.13

H H

H

-0.02

-0.01

-0.27

-0.20

±0.00 = 382.03 m ü.M. OK fertig Boden Eingangslobby (EG Museum)

-0.98

-1.27

-3.02

-3.63

-4.23

Schnitt 3-3

+10.15

+10.15

+10.15

+9.84

+9.84

+9.88

+7.15

+7.17

+7.16

+6.81

+6.81

+6.86

+3.59

+3.58

ROL

ROL

H

+3.27

+3.59

+3.30

+3.19

ROL

KMDH

H

Schnitt 1-1

32

H

±0.00 = 382.03 m ü.M. OK fertig Boden Eingangslobby (EG Museum)

H

±0.00

-0.01

-0.01

-0.25

-0.25

-0.23

-3.02

-3.02

-3.01


Sonnenstore ROL

ROL

ROL

+5.68

+5.38

Sonnenstore

Sonnenstore

H

±0.00 = 382.03 m ü.M. OK fertig Boden Eingangslobby (EG Museum)

H

-0.02

-0.20

±0.00 = 382.03 m ü.M. OK fertig Boden Eingangslobby (EG Museum)

-0.20

-3.03

-4.12

Schnitt B-B

KMDH

KMDH

KNGW

+10.15

+10.15

+9.85

+9.90

+7.15

+7.17

+6.81

+6.82

+3.59

+3.59

+3.27

+3.27

ROL

H

H

+4.97 H H

H

H

H

ROL

+2.41

+2.14

±0.00 = 382.03 m ü.M. OK fertig Boden Eingangslobby (EG Museum)

H

H

H

H

±0.00

-0.21

±0.00

H

±0.00 = 382.03 m ü.M. OK fertig Boden Eingangslobby (EG Museum)

H

+0.01

-0.20

-0.74

-0.95

-3.02

-3.02

-3.66

Schnitt C-C

33 0

2


ROL

ROL

ROL

ROL

ROL

ROL

ROL

ROL

ROL

ROL

ROL

ROL

ROL

ROL

Sonnenstore

Sonnenstore

ROL

ROL

S

ROL

S

ROL

ROL

ROL

ROL

ROL

804

Südfassade

Nordfassade Veranda

+10.15

+9.88

KNGW

FLP

+7.18

+7.16

+6.86

+6.83

+3.59

+3.57

FLP

H

+3.33

ROL

+3.21

ROL

+2.92

FLP

±0.00 = 382.03 m ü.M. OK fertig Boden Eingangslobby (EG Museum)

H -0.01

±0.00

-0.02

H

-0.21

-0.20

-3.02

-3.05

-0.36

-3.58

Schnitt 2-2 / Südfassaden Ökonomiegebäude und Galerieanbau

ROL

ROL

ROL

34

Nordfassade

WA

ROL

ROL

ROL

ROL

ROL


ROL

ROL

ROL

Sonnenstore

Sonnenstore

ROL ROL

±0.00 = 382.03 m ü.M. OK fertig Boden Eingangslobby (EG Museum)

Ostfassade

+10.15

+9.84

H

H

+7.17

ROL

+6.81 ROL

ROL

ROL

ROL

ROL ROL

ROL

KNGW

H

+3.58

S

+3.19 +2.92

ROL

-0.01

-0.02

-0.21

-0.20

-3.03

-3.09

H

Schnitt A-A / Ostfassade Ökonomiegebäude

Westfassade Galerieanbau

ROL

ROL

ROL

ROL

ROL

ROL

ROL

0

Überwachung Sirene

nda

Sonnenstore

ROL

ROL

ROL

ROL

ROL

3

15 m

ROL

±0.00 = 382.03 m ü.M. OK fertig Boden Eingangslobby (EG Museum)

35 Fassaden/Schnitte 1 1:300 – Ist-Zustand Westfassade


Projekt für Gartenanlage der Villa Langmatt, 1900 Otto Fröbel, Zürich

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Der Gartenarchitekt Otto Froebel (1844-1906) Die Gartenanlage der Villa wurde vom Zürcher Gartenarchitekten Otto Froebel gestaltet. Das erste Plandokument zur Projektierung des Gartens stammt vom April1900. Dieser Plan ist noch stark von den Ideen des Architekten, Karl Moser, geprägt. Die gärtnerische bzw. gartenbauliche Ausführung wurde ebenfalls durch die Firma Froebel übernommen. Otto Froebel wurde in Zürich geboren. Sein Vater, Theodor, war ebenfalls Gartenarchitekt und hatte unter anderem den Rietpark gebaut. Nach dem Gymnasium ging er bei seinem Vater in die Lehre. Ab 1865 arbeitete er für seinen Vater und übernahm 1890 das Geschäft. Unter seiner Leitung wurde die Firma Froebel & Cie. zur wichtigsten Gartenbaufirma und Handelsgärtnerei der Schweiz. Berühmt wurde Froebel vor allem durch seine enorme Artenvielfalt, die er durch Neuzüchtungen und Neueinführungen erreichte.

Die Gartenanlage Das Haus steht exzentrisch im rechteckigen Grundstück. Das Wege-System ist stark geometrisiert und bildet einen inneren und äusseren Erschliessungsring. Seide führen zu herausgehobenen Gartenteilen und zu grösseren oder kleineren Sitz- und Aufenthaltsplätzen und verbinden diese miteinander. Beschriebenes Wege- System unterteilt den Garten in Teilräume, die im modernen Verständnis des Wohngartens auch als Spiel- und Aufenthaltsflächen gebraucht wurden. Zwei ornamental gestaltete Parterreelemente schliessen an die Süd- bzw. Ostseite des Hauses an und bilden die eigentlichen gartenkünstlerischen Höhepunkte. Das östliche Parterre ging allerdings bald durch den Galerieanbau verloren. Der Garten zeichnete sich gernäss Stöckli, durch die Dichte des Ensembles, das geglückte Verhältnis zwischen Haus und Garten und den einzelnen Gartenräumen untereinander, das geglückte Verhältnis zwischen formalen und freien Teilen und die reiche Inszenierung der pflanzlichen Ausstattung . Der Umbauplan entstand dann wohl um 1905/06 im Zusammenhang mit dem Galerieanbau, der einen starken Einfluss auf das Erscheinungsbild des Gartens hatte. Die Ausführung wurde wiederum von Otto Froebel übernommen. Die östliche Erweiterung umfasste vor allem Spiel- und Sporteinrichtungen: ein Holzhaus mit Garten für die Kinder, einen Turnplatz mit Rundlauf, Reck, Barren und Schaukel, einen "Lawntennis-Platz" und ein Kegelspiel mit aufgehängter Kugel. ln der westlichen Erweiterung wurden unter anderem ein Rosarium, ein Stauden- und "Naschgarten" (Erdbeeren) sowie ein Laubengang in der Verlängerung der Eingangsachse des Hauses errichtet.

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Projektplan für den erweiterten Garten. Otto Fröbel, ca. 1905

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Parallel zur "Französisierung" des Wohnheimes wurde auch der Garten "Französisiert", so Stöckli. Der ursprüngliche Garten der Langmatt, zeichnete sich durch eine grosse Sortenvielfalt von Pflanzen aus. Einige dieser Pflanzensorten waren erst vor Kurzem in Europa bzw. in der Schweiz eingeführt worden, wie z.B. die Rose "Crimson Rambler'', welche erst 1878 von einem britischen Ingenieur in Japan "entdeckt" wurde und wegen ihrer Einführungsgeschichte den Beinamen Ingenieursrose erhielt, oder die erst 1805 entstandene "Physostegia virginiana Alba". Nach dem Tode Sidney W. Browns kam 1941 auch die gartenbauliche Entwicklung zum Erliegen. Der südliche Teil der Liegenschaft mit Gärtnerhaus, Obstgarten und Tennisanlage wurde verkauft, abgebrochen und neu bebaut. Die Stiftung hat nicht nur zur Aufgabe die Sammlung und das Haus zu erhalten, sondern auch den Garten.

aus: Dokumentation Stiftung Villa Langmatt

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Bild oben: Die Familie Brown um 1900: hintere Reihe v. l. n. r.) Carl Täuber, Jenny Sulzer, Ulrich und Jane Müller, Charles Eugen Lancelot, Alice und Georg Boner; vordere Reihe: v. l. n. r.) Ellen «Nelly» Täuber, Sidney William, Eugénie und Charles sen., Amelie Nathan, Juliet und Gustav Melms. Archiv Dr. Ambros Boner, Zollikon; Fotograf: Zipser & Schmidt, Baden.

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Von London via Winterthur und Oerlikon nach Baden eine kurze Geschichte der Familie Brown Christian Engel

1896 heiratete der 31-jährige Ingenieur Sidney William Brown die Enkelin des einstigen Patrons seines Vaters, die 25-jährige Jenny Sulzer. Sie entstammte der Gründerfamilie der Winterthurer Firma Gebrüder Sulzer. Die Namen Sulzer und Brown gingen beide in die Wirtschaftsgeschichte ein, verdankt doch die schweizerische Maschinenindustrie des 19. und 20. Jahrhunderts den Ingenieuren dieser Familien wichtige Impulse. Sidney W. Browns Vater Charles Brown 1827–1905) hatte sich als Sohn eines streng religiösen Zahnarztes im englischen Uxbridge (heute zu London gehörig) sein technisches Wissen selber erarbeitet. 1851 trat er als Ingenieur in die Firma Gebrüder Sulzer ein. Browns Erfindung der Ventildampfmaschine bildete den Grundstein zum international erfolgreich agierenden Industriekonzern Sulzer. 1862 heiratete Charles Brown die aus dem Winterthurer Bürgertum stammende Eugénie Pfau. Brown verliess die Firma Sulzer 1871 und gründete mithilfe von Investoren die Schweizerische Lokomotiv- und Maschinenfabrik SLM) in Winterthur, deren technischer Direktor er wurde. 1884 wechselte er zur Maschinenfabrik Oerlikon (MFO) und baute dort als Leiter die elektrotechnische Abteilung auf. Ab 1890 lebte Charles Brown als selbständiger Ingenieur in Basel. Charles und Eugénie Brown hatten insgesamt sechs Kinder, zwei Söhne und vier Töchter. Die beiden Söhne Charles Eugen Lancelot (1863–1924) und Sidney William (1865–1941) liessen sich beide am Winterthurer Technikum zu Ingenieuren ausbilden. An der Seite ihres Vaters sammelten sie erste Berufserfahrungen in Winterthur und Oerlikon. Charles E. L. übernahm von seinem Vater die Leitung der elektrotechnischen Abteilung der MFO, während Sidney W. seinen Vater 1885 für einen Auftrag nach Pozzuoli bei Neapel begleitete und von 1888 bis 1889 eine 14 - monatige Reise nach Ostasien und Australien unternahm. 1891 gründete Charles E. L. Brown zusammen mit dem aus Bamberg stammenden Walter Boveri die Firma Brown, Boveri und Cie. (BBC) in Baden. Sidney W.Brown trat im selben Jahr als technischer Direktor der Firma bei. Nach der Umwandlung der BBC in eine Aktiengesellschaft war Charles E. L. von 1900 bis 1911 deren Verwaltungsratspräsident. Danach zog er sich ins Privatleben zurück und verbrachte seinen Lebensabend in Montagnola (TI). Sidney W. unterstanden die Konstruktionsbüros, Werkstätten und Versuchsabteilungen der BBC. Ab 1898 Teilhaber der Firma, prägte er die Entwicklung der BBC als Delegierter 1900–1935) und Vizepräsident 1935–1941) des Verwaltungsrates entscheidend mit. Er führte eine harmonische Ehe mit der 61


kunstsinnigen und gebildeten Jenny Sulzer 1871–1968). Als Tochter des Seniorchefs der Firma Gebrüder Sulzer, Jakob Heinrich Sulzer-Steiner 1837–1906), war sie im Kreise von fünf Geschwistern in Winterthur aufgewachsen. Aus Liebe zur Kunst entstand bei Jenny offenbar der Wunsch, selbst künstlerisch tätig zu werden. So soll sie in jungen Jahren Malunterricht erhalten haben, zuerst in München, nach ihrer Eheschliessung bei dem aus Konstanz stammenden Maler Karl Rauber in Baden. Im Laufe der Jahre baute das Ehepaar Brown eine bedeutende Gemäldesammlung auf. Zuerst wurden Werke der Münchner Sezessionisten angekauft, darunter Arbeiten von Franz von Stuck und Julius Exter, bei dem Sidneys künstlerisch tätige Schwester Juliet Malkurse besucht hatte. Ein Grossteil dieser Bilder wurde jedoch bald wieder veräussert, da das Sammlerehepaar ab 1908 seine Liebe zu den französischen Impressionisten, insbesondere Corot, Renoir und Cézanne, entdeckt hatte. Die 1901 erbaute Villa Langmatt erhielt 1906 für die rasch wachsende Gemäldesammlung einen eigenen Galerieanbau. Die drei Söhne von Sidney W. und Jenny Brown, Sidney Hamlet 1898–1970), John Alfred 1900–1987) und Harry Frank (1905–1972), blieben kinderlos. Sidney H. wirkte nach seiner Promotion zum Dr. iur. zuerst als Sekretär und Delegierter des Internationalen Roten Kreuzes, 1940 trat er in den Rechtsdienst der BBC ein und wurde 1948 Generalsekretär des Unternehmens. Harry F. bildete sich nach seiner Promotion in den Rechtswissenschaften zum Komponisten aus und förderte von seinem Wohnort Paris aus musikalische Talente. John A. promovierte mit einer wirtschaftshistorischen Arbeit über das Zinngiesserhandwerk in der Schweiz, lebte ebenfalls in Paris und war im Musée du Louvre tätig. 1969 heiratete er seine langjährige Lebensgefährtin Andrée Marthe Müller 1911–1976). 1972 kehrte er nach einem Schlaganfall in die Villa Langmatt zurück. Gemäss seiner testamentarischen Verfügung gründete die Stadt Baden nach seinem Tod eine öffentlichrechtliche Stiftung. Zum Andenken an seine Eltern hatte ihr John A. Brown den Namen «Stiftung Langmatt Sidney und Jenny Brown» verliehen. Die Villa Langmatt ist seit 1990 als Museum zugänglich.

aus: Badener Neujahrsblätter, Band (Jahr): 87 (2012) Christian Engel

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Von Thomas Gnägi, Zürich. Er ist Kunsthistoriker und hat über die

Architekturzeichnungen Karl Mosers promoviert. Er ist Dozent für

Architekturgeschichte an der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften ZAHW) und Wissenschaftlicher Mitarbeiter am

Kunsthistorischen Institut der Universität Bern.

Aus Karl Mosers Skizzenbuch: die Villen

der Gebrüder Brown «Kommen

Sie

statt nach Berlin zu mir. Ich habe für Charles Brown in Baden ein grosses und

interessantes Wohnhaus zu bauen. Sie könnten nach Karlsruhe kommen, die Pläne mit mir

ausarbeiten und, da Sie nun die Badener Verhältnisse kennen, den Bau auch ausführen.»1 Brodtbeck, Wilhelm

In der Rückschau auf seine beruflichen Anfänge erinnert sich der Basler Architekt Wilhelm Brodtbeck an diese Worte Karl Mosers, der seit 1888 zusammen mit Ro¬ bert Curjel in Karlsruhe ein erfolgreiches Architekturbüro führte. Brodtbeck avan¬ cierte 1897 zum Bauleiter für die Villa Römerburg. Sie war die zweite der insgesamt vier Vorstadtvillen, die Curjel & Moser für die Gründer und Partner der Elektrotech¬ nikfirma Brown, Boveri & Cie. in Baden gebaut haben. Die Einladung von Moser kam just zu dem Zeitpunkt, als Brodtbeck, nach einer Tätigkeit im Büro von Mosers Va¬ ter Robert, eine neue Herausforderung suchte. Das Büro Curjel & Moser war gerade mit der Realisierung der Karlsruher

Chris-tuskirche

beschäftigt und einem Entwurf für die Basler Pauluskirche, bei der nach dem Verwenden gotischer Stilelemente nun vermehrt romanische zum Tra¬ gen kamen. Brodtbeck und die anderen jungen Architekten in Karlsruhe wurden

und sogar in Worms «verwendbares Detail» zu skizzieren. So scheinen die Parallelen zum Wohnhaus¬ bau offensichtlich und die Abfolge der Stilgeschichte im Späthistorismus bereits hinreichend geklärt: Während der spätgotische Stil der Villa Boveri am Ländli¬ weg, die erste der Badener Villen von Curjel & Moser, noch auf den spätgotischen Stil der Christuskirche in Karlsruhe referiert, reagiert die Villa Römerburg an der Römerstrasse mit den Rundbögen bereits auf die romanischen Anleihen der Bas¬ ler Pauluskirche.3 deswegen angehalten, am nahe gelegenen Dom

in

Speyer

2

63


Die charakteristische Herleitung jedes einzelnen Wohnhauses ist jedoch weitaus komplexer, als es die einfach zuzuordnenden Stilformen vermuten lassen würden.

Verhält es sich doch so, dass die Gestalt jedes Baus von unzähligen Eindrücken des entwerfenden Architekten und von kaum nachvollziehbaren Entscheidungen ab¬

nämlich ganz direkt nach dem architektonischen Traum des Bau¬ herrn Charles Eugen Lancelot Brown gegangen, dem man eine gewisse «Neigung zur theatralischen Selbststilisierung»4 nachsagte, hätte Moser ein Gebäude errich¬ ten sollen, «ähnlich wie die Propyläen in München» ein «Mittelbau mit 2 seitlich hängt. Wäre

es

abschliessenden Pylonen» 5 erinnert sich Brodtbeck. Englische Landhäuser

Einer derart ortsungebundenen und historisierenden Bilderarchitektur wollte sich Moser nicht bedienen. Wie aber sollte der Entwurf einer Industriellenvilla aussehen?

Wie der Name «Römerburg» schon andeutet, ist ein Bezug zur römischen Geschichte des Ortes hergestellt.6 Und mit der Bezeichnung «Langmatt» wird der späteren Brown-

Villa ein lokaler Flurname beigefügt. Gibt es aber auch persönliche Bezüge, die sich

in Architektur übersetzen lassen? Und was sind die architektonischen Prämissen für ein Landhaus jener Zeit ganz allgemein? Der Bau von stadtnahen Villen im Grünen hatte um 1900 Konjunktur. 1909 schreibt der Architekt und Publizist Henry Baudin in seiner bilderreichen Übersicht

über die Villen und Landhäuser in der Schweiz, dass sich als Folge «der modernen Ideen und Lebensbedingungen [...] eine gewisse Auswanderung der städtischen Be¬ völkerung aufs Land» vollziehen würde, «um sich im Eigenhaus, der bedeutsamsten Erscheinung moderner Wohnkultur, einzunisten» 7 Baudin wiederholt damit eine Be-obachtung,

die der deutsche Kulturbeauftragte Hermann Muthesius bereits frü¬

her über die englische Lebensart gemacht hat: «Man ‹wohnt› in England nicht in der Stadt, man hält sich da nur auf.»8 Besonders das englische Landhaus wurde zum Prototypen der modern organi¬

sierten Villa.9 Und als gebürtige Engländer war für die Gebrüder Brown die Orientie¬

rung an englischen «Lebensbedingungen» naheliegend. Weder die Römerburg noch die Villa Langmatt erinnern jedoch in ihrer äusseren Erscheinung explizit an eng¬ lische Architektur. Der entwerfende Architekt Moser selber sah hingegen seine erste

Villa für die BBC, die Villa Boveri, durchaus in dieser Tradition verwurzelt. So zeich¬ nete er kurz nach ihrer Errichtung den Grundriss neben solche englischer Prove-nienz, die er aus Robert Alexander Briggs Bungalow and Country Residences von 1891 ko¬

pierte, und beschriftete die Räume Boveris in Englisch. Moser setzte also die Badener

Villa in die Kontinuität des englischen Landhauses, auch wenn es formal näher lie¬ gen würde, grossbürgerliche Villen Deutschlands als Paten zu nennen.10 64


Abb. 1: Karl Moser, Projektskizze Römerburg, Süd- und Ostfassade, Perspektive Tinte) 1897.

gta Archiv Archiv des Instituts für Geschichte und Theorie der ETH Zürich), 33- 1897- SKB-3. Abb. 2: Karl Moser, zwei Projektskizzen Römerburg, je Süd- und Ostfassade, Perspektive

Bleistift) 189. gta Archiv, 33-1897- SKB- 3. Abb. 3: Römerburg, Süd- und Ostfassade, Fotografie von Albert Rieder, um 1900. gta Archiv,

135-6-9:1.

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Entwicklung einer architektonischen Form Ausgehend von den genannten Grundrissen erarbeitet Moser die entwerferischen

Grundlagen für die zweite Villa der BBC-Gründer. So erwächst die entwerferische Idee für das neue Projekt gleichsam aus der Nachbereitung des gerade fertigge¬

stellten Gebäudes am Ländliweg. Nachdem er in verschiedenen Variationen die Räume im Erdgeschoss um die englisch inspirierte «hall» angeordnet hat, wechselt er in die Darstellungsform der Perspektive. Verfolgt man die Entwicklung der ar¬ chitektonischen Form für die Römerburg und dann auch für die Villa Langmatt in den Skizzenbüchern Karl Mosers weiter, wird die spezifische Eigenart dieser zwei exemplarischen Fälle erkennbar. Vorerst bleibt Moser dem damals üblichen Formenrepertoire verpflichtet. Er

variiert im Äusseren die malerische Typologie mit Türmchen, Giebel, Zwerchhaus, Erker sowie Loggia und orientiert sich damit an den zu Beginn der 1890er-Jahre er¬ richteten Villen in einem wenig spezifizierten englischen Stil, wie zum Beispiel denjenigen in den Berliner Vorstädten Abb. 1).11 Dann aber erfolgt in der Skizzen¬ reihe ein formaler Bruch: Die Kubatur ist deutlich massiger geworden Abb. 2). In der Ostfassade dominiert ein breiter Stichbogen über einem grosszügigen Unter¬ stand, auf der Südseite überfängt ein Bogenfeld die ganze Breite der Strassenfassa¬ de. Ein überdachter zweiter Eingang wird neu an deren rechter Ecke platziert. Es wird deutlich, dass sich der Architekt bemüht, für zwei Fassaden eine je eigenstän¬ dige Lösung zu finden. So verklammert Moser die wenig profilierten Eckstümpfe auf der Ostseite mittels Stichbogen, auf der Südseite wird jetzt das Dach mit einem zusätzlichen Turmbau durchstossen. War in den vorangehenden Zeichnungen die Seite im Osten als Hauptfassade lesbar, wird sie nun an der Römerstrasse mit dem vorspringenden Turmbau als Hauptfassade markiert. Letztlich wurde eine redu¬ zierte Turmversion in Form eines Altans, eines abgestützten Vorbaus, gebaut: Der Vorbau endet dabei unter der Dachtraufe als Balkon. Damit haben allerdings die Ecken zusätzliche Präsenz erhalten, da sie über das als Pyramide formulierte Dach

wie gedeckte Wehrtürme hinausschauen Abb. 3). Moser schwächt also im reali¬ sierten Bau die formal innovative Lösung einer kompakten Gesamtform zuguns-ten einer bildhaften Architektur ab.12 Ein amerikanischer Architekt und ein bayrischer Maler

Wie ist der genannte formale Bruch in der Skizzenfolge zu erklären? Welche Idee steht hinter solch imponierenden Eckbetonungen, und wie überwindet Moser die zeitgenössische Konvention in der typologischen Durchbildung eines Wohn¬ hauses? Für die Römerburg fällt die Antwort angesichts der vielen Möglichkeiten,

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die sich mit solchen Fragen gegenüber den vielleicht auch zufälligen und assozia¬ tiven Gedanken eines Architekten eröffnen, überraschend eindeutig aus: Moser

hat sich während des Zeichnens jener Reise erinnert, die er ein Jahr zuvor, an Os¬ tern 1896, mit dem Künstler und Architekten Max Laeuger zusammen nach Lon¬ don unternommen hatte. Dabei besuchten sie eine Villa im kleinen Vorort Bushey, die vom amerikanischen Architekten Henry Hobson Richardson für den bayrischen Wahl-Engländer und bekannten Maler Sir Hubert von Herkomer gezeichnet wor¬ den war.13 Und diese zwei Persönlichkeiten sind auch der Grund, warum Moser den Abstecher nach Bushey unternommen hat. Die Villa Herkomers war der einzige europäische Bau des berühmten amerika¬ nischen Architekten und Begründers des Modern Romanesque in Europa.14 Die und Johanniskirche von Curjel & Moser in Karlsruhe und Mannheim, die Anto¬ niuskirche in Zürich sowie auch bereits die frühe Pauluskirche in Basel sind Beispiele einer intensiven Auseinandersetzung mit Richardsons Bauten.15 Sie zeichnen sich jeweils durch einen besonders subtilen Umgang mit der Farbigkeit und der Materialität unterschiedlicher Steinsorten aus sowie durch das Verfahren, verschiedene architektonische Einzelformen durch wenige Profilierungen zu Grossformen zu verschleifen. Ein Blick auf Mosers Skizzen macht sein Interesse an der Fassade in Bushey offensichtlich. Vor allem der breite Stichbogen, der die beiden Ecktürme miteinander verbindet und sie so im Verbund mit der Mauer gleichsam aus dieser hervorwachsen lässt, ist ein besonders charakteris-tisches Merkmal, das an der Ostseite im realisierten Bau in Baden übernommen Lu-ther-

plas-tischen

wurde.

Nur gerade zwei Jahre nach seiner Fertigstellung besichtigt Karl Moser das englische Künstlerhaus. Tags zuvor aber, am 1. April 1896, besucht er einige

im Inneneinrichtungsgeschäft Waring

an der Oxford Street

Inte-rieurs

und notiert

dazu, wie wirkungsvoll es sei, «wenn alle Möbel organisch mit dem Bau verbunden werden» Er lobt die Engländer und deren «höhere Blüthe der Kunst das Heim

künstlerisch und als Ganzes zu gestalten» sie würden eben «das elende Mieths¬ haus System nicht kennen» Er nennt die Arts-and-Crafts-Vertreter Burne Jones und Walther Crane, die die «Freude am eigenen Heim [...] veranlaßt»16 hätten. Personality eines Wohnhauses Nach solchen Gedanken mutet der Besuch in Bushey tags darauf etwas anachronis-tisch an: Ein Bayer soll in England mithilfe eines amerikanischen Architekten das

Wohnhaus revolutionieren? Abgesehen von der Architektur der Hauptfassade

dürfte sich Moser jedoch auch für die Person Huberts von Herkomer interessiert 67


haben oder zumindest für das, was im Hause von ihr sichtbar war. Denn Herkomer

war ein aussergewöhnlich innovativer Geist, der Bushey nicht nur zum Zentrum der englischen Aquarellisten-Szene machte – was Moser als passionierter Aquarel¬ list ebenfalls angesprochen haben dürfte –, sondern sich in seinem eigenen Studio auch als Filmemacher betätigte, als Schriftsteller wirkte und ein früher Förderer von Autorennen war. Abgesehen von der beruflichen Ausrichtung geradezu ein

Äquivalent eines Charles Eugen Lancelot Brown. Der Architekturkritiker Karl Widmer schrieb 1900 in der Zeitschrift Deutsche Kunst und Dekoration über das «Prinzip des individuellen Schaffens» der Architekten

Curjel & Moser, die besonders «auf die Persönlichkeit, die Lebensgewohnheiten und

die Lebensstellung des Bau-Herrn»17 eingehen würden. Ganz explizit ist die Indivi¬ dualität des Bauherrn in der Herkomer-Villa in architektonische Darstellung ge¬ bracht worden. Der Hausherr selber führt den Leser seiner Biografie beim be¬ schreibenden Gang durch die Räume suggestiv in die personality eben dieses Hauses

ein: «The moment you enter it [...] you are aware of a personality, of the stamp of mind that not only constructed and decorated it, but intended to live in it. It is just that element that should permeate a house – personality.»18 Die Persönlichkeit des Hauses verschmilzt also mit der Persönlichkeit des Eigners.

ist gerade diese über die Wirkung der architektonischen Details und des Materials persönlich definierte Lebensumwelt, die Moser interessiert hat – der «Silberstoff» oberhalb der Wandvertäfelung im Drawing Room, die Musikbühne mit «Kupfer getriebener Brüstung»19 und anderes. Es ist die nach dem Besuch des Inneneinrichtungsgeschäfts tags zuvor notierte persönliche «Freude am eigenen Heim» die den Entwurf leiten und dieses «künstlerisch und als Ganzes zu gestal¬ Es

ten» helfen soll. Propyläen für Baden

Die Römerburg ist nicht die einzige Villa, die von Mosers Besuch in Bushey zeugt. Als erstes kommen nämlich die Pläne für ein Haus auf einem Eckgrundstück in Karlsruhe für den Maler und Professor für Historienmalerei an der Akademie,

Ferdinand Keller, zustande. Wie Skizzen von Moser belegen, gab Herkomers Villa hier ganz direkt Anregung für die Badener Ecklösung mit Turm. Nach der Reali¬

sierung der Römerburg wird an derselben Karlsruher Strasse und ebenfalls auf einem Eckgrundstück ein städtebauliches Pendant zur Villa Keller errichtet,

nämlich das Wohnhaus für den Kommerzienrat Max Müller. Diese Pläne beru¬ hen auf einer direkten Weiterentwicklung der Römerburg. Moser reduziert da¬ bei in einer Zeichnung die Form der Badener Villa mit wenigen Strichen und Flä68


Abb. 4: Villa Stuck, Fotografie von August Lorenz, um 1899. Aus: Jo-Anne Birnie Danzker Hg.): Villa Stuck. Ostfildern 2006.

Abb. 5: Henry Hobson Richardson, Villa Hubert von Herkomer, Entwurfszeichnung 1886, in: DeÂŹ partement of Printing and Graphic Arts, Harvard College Library Hg.), H. H. Richardson and his

Office. A Centennial of his Move to Boston 1874, Cambridge Mass. 1974 Ausstellungskatalog).

69


chen auf eine schematische Darstellung eines Kubus mit vier über das Dach des Hauptbaus hinausragenden Ecktürmen, ähnlich einem Kastell. An späterer Stel¬

le in Mosers Skizzenbuch findet sich der Grundriss einer Villa, die sich auf for¬ maler Ebene überraschenderweise bestens zur Typologie des Kastells in Bezug setzen lässt: Es ist die Villa Stuck in München Abb. 4).20

Die Persönlichkeit des Malers Herkomer wird in der Persönlichkeit des Hauses

in Bushey manifest. Die Exzentrik des Künstlerfürsten Franz Stuck spiegelt sich im Ausdruck seiner klassizistischen Künstlervilla. Und in der Römerburg wird der un¬ erschöpfliche charakterliche Eigensinn des Bauherrn zur Schau getragen. Die Vil¬ la Stuck in München wurde übrigens exakt zur gleichen Zeit realisiert wie die Rö¬

merburg in Baden. So sind die inneren Zusammenhänge zu verstehen – es gibt aber auch architektonische: Mögen auf den ersten Blick mit den drei Bauten im Äusseren ganz unterschiedliche Themen verfolgt sein, so ist vor allem zwischen

der Münchner und der Badener Villa die ähnliche Kubatur augenfällig. Hier wie

dort behaupten seitliche Vorsprünge eine deutliche körperliche Präsenz, wobei die Römerburg malerisch ausgewogen ist, während bei der Villa Stuck eine prinzi¬ piell axiale Symmetrie vorherrscht. Letztlich wurde es verstanden, mit beiden Bau¬ ten an einer Strassenseite genügend architektonische Masse aufzubringen. Unter¬

stützend wirken dabei die in eine verständliche Formensprache gegossenen allgemeinen Referenzen an die Architekturgeschichte, was der jeweiligen eigenen

Art ihrer Bewohner zusätzlich Ausdruck verleiht. Wenn bei der Münchner Villa, durch stilistische Mittel akzentuiert, tatsächlich ein lokaler Bezug zu den Propylä¬ en hergestellt werden kann, so wirkt der in Baden gewählte mittelalterliche Be¬ zugsrahmen eher zufällig. Charles E. L. Browns Wunsch nach einem «Mittelbau mit zwei seitlich abschliessenden Pylonen» «ähnlich wie die Propyläen in Mün¬ chen»

21

wurde mit romanischen Stilformen kaschiert.

Studiert man nun die ursprünglichen Entwurfsskizzen des amerikanischen Architekten für Herkomers Künstlervilla, wird die Verwandtschaft der beiden Villen noch deutlicher, als bisher beschrieben Abb. 5). Ein solcher von Richard¬ son vorgeschlagener Turm mit steilem Pyramidendach und architektonischen

Anleihen an Wehrbauten, den Herkomer in London nur in Ansätzen und ohne Turmabschluss realisiert hat, wurde in Baden gleich zweimal erbaut, und zwar

in der Anordnung seitlicher Pylonen – im

Wissen um Browns Äusserung muss

man noch einmal erwähnen: «ähnlich wie die Propyläen in München» Damit

wurde diese Fassade letztlich zum charakteristischen architektonischen druck der Persönlichkeit von Charles E. L. Brown.22

70 106

Aus¬


Abb. 6: Karl Moser, ÂŤ Boppard, 27. V. 97, 1655, Alter Fachwerkbau, Die Fenster haben Rahmen, die auf

den Balken aufliegenÂť gta Archiv, 33-1897-SKB-2. Abb. 7: Villa Langmatt, Ansicht von der Strasse, Fotografie um 1903. gta Archiv, 33-1900-6-F-AuG-2.

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Das moderne Landhaus

Die geschlossene Kubatur, die Betonung des Natursteinmauerwerks und ihre bild¬ hafte Architektur geben der Villa Römerburg eine monumentale Erscheinung, so¬ dass sie wie ein Wehrbau an der Römerstrasse steht. Dagegen wurde beim Land¬

haus von Sidney William Brown und Jenny Brown-Sulzer auf eine erzählende oder

eine die Umgebung dominierende Architektursprache ganz bewusst verzichtet Abb. 7). Im Vergleich zur Römerburg, die von einem durch Treppen, Stützmauern

und Podesten mit Ballustraden stark strukturierten Garten umgeben ist, bleibt die Landschaft um die Villa Langmatt nur wenig architektonisch gestaltet. Mit der Ar¬ chitektur des Hauses werden Bezüge zur ländlichen Bauart gemacht. Jede Fassade hat ihr eigenes Gesicht. Der ursprünglich geschwungene, als Zwerchhaus ins Dach hinaufgezogene Giebel auf der Südseite, das

für die

Ostseite bestimmende Fach¬

werk mit Krüppelwalm und nicht zuletzt die Wirtschaftsgebäude im Westen und Norden geben ein Bild einer malerischen, additiv komponierten und aufgelo¬ ckerten Architektur.

Ist also der Architekt bloss dem Wunsch des Bauherrn gefolgt und baute ganz explizit in einem anderen Stil als beim Haus von Sidneys Bruder?23 Wird anstelle von Schwere und kompakter Geschlossenheit wie bei der Römerburg neuerdings

Leichtigkeit und Abwechslung demonstriert? Die beiden Villen sind offensichtlich sehr verschieden, wenn auch die zentrale Halle eine Gemeinsamkeit in der grund¬ legenden Organisation des jeweiligen Gebäudes ist; derartige Hallen sind der An¬

gelpunkt, an dem sich die englische Lebensart im intimen Zentrum des Heims am meisten zeigt. Wie bereits bei der Römerburg ausführlich besprochen, gibt es auch

bei der Villa Langmatt noch andere Bezugspunkte, die auf England verweisen. Karl Moser paraphrasiert 1899 in seinem Skizzenbuch seitenlang den englischen Archi¬ tekten Mackay Hugh Baillie Scott und nennt die «Englischen Avantgardisten»24 und Initianten der Arts-and-Crafts-Bewegung, John Ruskin und William Morris. Moser liest Baillie Scotts Artikel in der Kunstzeitschrift The Studio, dem Organ der Arts-and-Crafts-Bewegung.25 «Das Auge muß so gut wie der Körper im Hause befrie¬

digt sein!» zitiert er und bringt damit Baillie Scotts Verständnis von Funktionalität auf den Punkt, das von der strukturellen Organisation bis zur Dekoration der In¬ nenräume reicht. Das zweite Interesse Mosers an der Arts-and-Crafts-Bewegung kreist um das Verhältnis der Architektur zur Natur. Er zitiert Horace Townsends Bemerkungen zu den Landhäusern von Charles Francis Annesley Voysey: «Eine feine Situation

hilft dem Architekten ein 72

schönes Haus zu schaffen, wenn der Architekt dafür


sorgt, sich der Natur unter oder ein zu ordnen [...]. Diese Unterwerfung ist eine Quelle der Inspiration.»26 Moser wird sich für die Villa Langmatt nicht an den bei¬ gefügten Beispielen Voyseys orientieren. Vielmehr sind sie Inspiration für die vierte Industriellenvilla in Baden, die Villa Burghalde. Vorerst bringt Moser das Ge¬ schriebene mit den in The Studio vorgestellten Häusern eines Baillie Scott zusam¬

men. Dieser entwarf mit dem Ideal Suburban

House

und dem

House asymme¬

trische und aufgelockerte Gebäudekonfigurationen mit Fachwerkgiebel und Walmdach, die in der Villa Langmatt ein Echo finden.27 Baillie Scott bezieht sich

mit seinen Gebäuden auf die historischen englischen Landhäuser, in denen er ne¬ ben praktischer räumlicher Anordnung auch die ursprünglichen Materialien wie

Backstein und Kalkputz wiederfindet. «Neue Ideen gründen sich auf dem Studium der Vergangenheit; nicht auf der Pflege einer bizarren, ‹neuen Kunst›, die ‹Origi¬ nal› sein möchte» 28 votiert der Engländer an anderer Stelle. Das moderne Haus müsse sich aus der Geschichte ableiten lassen und sich doch immer weiter entwi¬

ckeln. Ortsgebundene, aus der Tradition gewachsene Architektur wird zum Unter¬ suchungsgegenstand des Architekten. Es

sind genau solche Überlegungen, die Karl Moser ansprechen: Er geht auf

den Pfaden genannter englischer Architekten, indem die lokale natürliche) Situa¬

tion in Baden geprüft und die traditionelle regionale Bauweise studiert werden. Tatsächlich wird Moser nach dem Besuch in England vermehrt deutsche Fach¬ werkbauten analysieren Abb. 6).29 Ende Mai 1897 macht er eine Reise ins Rhein¬ land und skizziert in Kiedrich und Boppard mittelalterliche Fachwerkhäuser bis

ins Detail, und Mitte September 1898 besucht er mittelalterliche Orte im Elsass.30 Zudem lehrte seit 1894 der Mittelalter-Spezialist Carl Schäfer am Karlsruher Poly¬

technikum und lenkte die Aufmerksamkeit auch in Deutschland auf eine als ur¬ sprünglich empfundene Architektur, die in der klassizistischen Planstadt Karlsru¬ he freilich gar nie existierte. Schäfer realisierte dort 1896 mit dem Pfarrhaus der altkatholischen Kirche einen pittoresken Bau in Fachwerk und Krüppelwalm, der 1899 auf der anderen Strassenseite von Curjel & Moser

mit einem entsprechenden

Wohnhaus prompt zitiert wurde.31

Für das heimische Baden entwickelte Moser nun in Skizzen ein Landhaus, das mit Vorbauten und Giebel noch an die englischen Vorbilder eines Baillie Scott an¬

knüpft, jedoch durch Anzahl und Höhe der Geschosse eine massigere Gestalt an¬ nimmt. Moser verschmelzt das Pittoreske einer tradierten Architektursprache mit dem Volumen eines Bürgerhauses.

Die Villa Langmatt wie auch die Römerburg stehen im Werk Karl Mosers nicht als stilistische Solitäre

in der Architekturlandschaft. Vielmehr sind sie Stationen 73


in einem entwerferischen

Prozess des modernen Landhausbaus, der

in England

wichtige Impulse erfuhr. Die englische Bauweise wurde so direkt allerdings nie übernommen, sondern hat in stetiger Überarbeitung im einzelnen Bau einen je ei¬ genen Ausdruck erfahren. Moser baute also keine Landhäuser englischen Stils, sondern adaptierte vielmehr die in England früh entwickelte Idee, aus der Indivi¬ dualität des Bauherrn, aus der Geschichte des Hausbaus und aus der Situation des Ortes heraus das moderne Landhaus zu entwerfen. Anmerkungen 1 Brodtbeck, Wilhelm: Leben – Bauen – Menschen.

Reform-bewegungen

Abschrift Manuskript nach 1953. Typoskript Archiv Steinmann, Aarau, 6; mit besonderem Dank an Martin Steinmann. 2 Ebenda, 7. 3 Zu den Bauten Curjel & Mosers vgl. Hildebrand,

Sonja; Oechslin, Werner, Hg.): Karl Moser. Ar¬ chitektur für eine neue Zeit, 2 Bde. Zürich 2010. 4 von Moos, Stanislaus: Karl Moser. Die «Lang¬ matt» und der Traum vom Landleben, in: Preis-werkLösel, Eva-Maria Hg.), Ein Haus für die Im¬ pressionisten. Das Museum Langmatt. Stiftung Sidney und Jenny Brown, Baden. Gesamtkatalog. Ostfildern-Ruit 2001, 41– 59, hier 42. 5 Brodtbeck 1953 wie Anm. 1), 7. Ebenfalls abge¬

druckt in: Stalder, Laurent: Der Puls des Lebens im «Garten der neuen Kunst» Vier Villen um 1900, in: Hildebrand 2010 wie Anm. 3), 165–177, hier 176, Anm. 19.

12

Messerli, Barbara; Tassini, Tadej, Hg.), Reibungs¬

13 14

6 Rebsamen, Hanspeter; Röllin, Peter; Stutz,

Werner: Baden, in: Inventar der Neueren Schweizer Architektur. Bern und Zürich 1984, 394f. 7 Baudin, Henry: Villen und Landhäuser in der Schweiz. Genf und Leipzig 1909, XI. 8 Muthesius, Hermann: Das englische Haus. Ent¬

wicklung, Bedingungen, Anlage, Aufbau, Ein¬ richtung und Innenraum, 3 Bde., Bd. 1. Berlin 1904, 2. 9 Vgl. Stalder, Laurent: Hermann Mutthesius, 1861–1927. Das Landhaus als kulturgeschicht¬ 10

11

licher Entwurf. Zürich 2008. Beispielsweise die Villa Kolbe von Otto March in Radebeul bei Dresden. Vgl. von Moos 2001 wie Anm. 4), 44. Siehe beispielsweise die Villa des Kunsthistori¬ kers Robert Dome im englischen Stil im HansaViertel Berlins. Muthesius, Stefan: Das englische

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Vorbild. Eine Studie zu den deutschen in Architektur, Wohnbau und Kunstgewerbe im späteren 19. Jahrhundert. München 1974 Studien zur Kunst des neun¬ zehnten Jahrhunderts, Bd. 26), 106–108. Siehe auch Janiszewski, Bertram: Das alte Hansa-Vier¬ tel in Berlin. Norderstedt 2008, 52. Vgl. auch von Moos, Stanislaus: Die «Römer¬ burg» und die Industriekultur. Zu einem längst zerstörten Landhaus von Curjel & Moser in Ba¬ den 1898/99), in: Hubach, Hanns; von Orelli-

15

punkte. Ordnung und Umbruch in Architektur und Kunst. Festschrift für Hubertus Günther. Petersberg 2008, 189–198, hier 192. Vgl. Stalder 2010 wie Anm. 5), 169. Zum Zeitpunkt der Realisierung des Hauses in Bushey lebte Richardson zwar nicht mehr, aber Architekturzeichnungen des Architekten bele¬ gen seine Autorschaft. Herkomer selbst hat 1886, im Todesjahr Richardsons, ein Porträt des Architekten gemalt und soll im Gegenzug von Richardson das Projekt zu einem Einfamilien¬ haus erhalten haben. Herkomer nahm sich letzt¬ lich bis 1894 Zeit, um mit der sorgfältigen Wahl der Steine und mit der aufwendigen Innen¬ raumgestaltung, ein entsprechend qualitäts¬ volles Anwesen zu realisieren. Vgl. Baldry, A. L.: Hubert von Herkomer R. A. A Study and a Bio¬ graphy. London 1901, bes. 102–114. Bis auf Frag¬ mente der Eingangspartie ist das Gebäude zer¬ stört. Bezüglich der Rezeption Richardsons im Werk Karl Mosers vgl. Eaton, Leonard K.: American architecture Comes of Age. Massachusetts 1972, 56–108.

16

gta Archiv Archiv des Instituts für Geschichte

und Theorie der ETH Zürich), 33-1896-SKB-1.


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Widmer, K[arl]: Neuere Bauten von Curjel & Mo¬ ser, Architekten in Karlsruhe, in: Deutsche Kunst und Dekoration 7 1900/1901), S. 241–255. Zur Darstellung «persönlicher Wohnvorstel¬ lungen» vgl. Stalder 2010 wie Anm. 5), 168. Von Herkomer, Hubert: The Herkomers, 2 Bde., Bd. 1. London 1911, 209. gta Archiv, 33-1896-SKB-1. Moser wird die Villa Stuck erst um 1900 besu¬ chen. Vgl. gta Archiv, 33-1900-TGB-3. Wie Anm. 5. Die Villa Römerburg wurde 1957 abgebrochen. Von Moos meint, dass sich der jüngere Brown ar¬ chitektonisch von der Burg des älteren habe wollen. Vgl. von Moos 2001 wie Anm. 4), 41. gta Archiv, 33-1899-TGB-1; nachfolgende Zitate dis-tanzieren

24

ebenda. 25

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Baillie Scott ist mit Texten über das ideale Vor¬ stadthaus vertreten. Vgl. weiter unten. In dersel¬ ben Zeitschrift wurden im Übrigen auch mehr¬ fach Gemälde Herkomers abgedruckt. gta Archiv, 33-1899-TGB-1. Vgl. die Übersetzung Mosers mit Horace Townsend: Notes on Country and Suburban Houses. Designed by C. F. A. Voy¬ sey, in: The Studio 16 1899), 160.

27 Siehe Baillie Scott, M[ackay] H[ugh]: An Ideal Sub¬

urban House, in: The Studio 3 1894), 127–132. Ders.: An House, in: The Studio 9 1895), S. 28–37. Letzteres ist nicht zu verwechseln mit dem Wettbewerbsprojekt Baillie Scotts von 1901 für das Haus eines Kunstfreundes, das erst 1902 bei Alexander Koch publiziert worden ist und das deshalb nicht als Vorbild für den Entwurf der Langmatt herangezogen werden kann. Vgl. Breuer, Gerda Hg.): Haus eines Kunstfreundes. Mackay Hugh Baillie Scott, Charles Rennie Ma¬

ckintosh, Leopold Bauer. Stuttgart 2002. Baillie Scott, M[ackay] H[ugh]: Häuser und Gär¬ ten. Berlin 1912 orig. Englisch 1906), 9. 29 Bereits früher hat er sich mit hölzernen Dach¬ stühlen, auch englischer Provenienz, auseinan¬ dergesetzt. Vgl. Hildebrand 2010 wie Anm. 3). 30 Siehe gta Archiv, 33-1897-SKB-2 und 33-1898-SKB-3. 31 Siehe Kabierske, Gerhard: Curjel & Moser und Hermann Billing. Wechselwirkungen in der «Jung-Karlsruher Architektenschule» 1890 bis 1915, in: Hildebrand 2010, Bd. 1 wie Anm. 3), 93–111, hier 98f. 28

aus: Gnägi, Thomas Article Badener Neujahrsblätter, Band (Jahr): 87 (2012)

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Musikpavillon Stadthausanlage, Z端rich Robert Maillart, 1908


Dr. Kerstin Bussmann

DER PAVILLON NOMADISCHE MOMENTE DER ARCHITEKTUR Häuser können nicht wandern, aber die Vorstellung, dass sie es könnten, ist auch in der Geschichte der Architektur nicht folgenlos geblieben. Bereits in einem fabelartigen, spätantiken Roman über das Leben Alexanders des Grossen wird von einem mobilen Pavillon berichtet mit dem sich die Königin Kandaka zu den Kriegsschauplätzen ihrer Armeen bringen liess. Weiter im Osten werden die beweglichen Bauten umso fantastischer, bis Alexander schliesslich in Indien in einem Chattree - einem indischen Pavillon - durch die Lüfte fliegt um aus der Höhe die wirkliche Form der Erde zu erkennen. Untrennbar verbunden mit diesem Bautypus scheint der Charakter des zeitlich bedingten Gebrauchs und der Bewegung zu sein. Die Ableitung des Begriffs vom lateinischen Wort „papilio“ - Schmetterling, im Spätlateinischen „Zelt“, weist darauf hin. Diese vom Pavillon implizierten Dichotomien Bewegung und Fixierung überall und ortlos zugleich zu sein, rücken den Ursprung des Pavillons ins Blickfeld: Ebenso wie ein Nomadenzelt vermag dieser nicht ohne direkten Bezug zur umgebenden Welt gedacht zu werden. Der freie Blick auf die Landschaft bestimmt nicht nur den Pavillon im Alexander-Roman, sondern gehört zum wesentlichen Prinzip eines solchen Baus.

Ein Gast aus fernen Ländern In Europa schon seit der ägyptischen Antike bekannt, wurde die Existenz dieses flüchtigen Bauwerks in anderen Kulturkreisen, wie dem vorderen Orient, Indien, Thailand das frühere Siamund China und Japan, als Ort des Vergnügens oder für sakrale Momente erst im 17. Jahrhundert vermehrt wahrgenommen. Die Bilder der kaiserlichen Gärten und Paläste in China, die 1724 der Jesuit Matteo Ripa zusammen mit den ersten möglichen Reiseberichten der Neuzeit zeigte, verwiesen insbesondere auf die Gartenkunst Chinas, in der der Pavillon eine lange Tradition hat. Als architektonisches Experiment en miniature und Symbol einer bewussten Zeitlichkeit fand er vielfach seinen Niederschlag in den Gartenanlagen des Adels. Als architektonisches Experiment en miniature und Symbol einer bewussten Zeitlichkeit fand er vielfach seinen Niederschlag in den Gartenanlagen des Adels. Ripas Veröffentlichungen unterstützten die Verbreitung der im Abendland populär gewordenen Texte des Konfuzius und des Laotse, die die Grundlage für eine Umwälzung der europäischen Landschaftswahrnehmung boten. Für die chinesischen Philosophen bestimmte die Einordnung des Menschen in 77


Pavillon ,Ting‘ aus William Chambers: New Designs for Chinese Tempels. London 1750-1 752. Tafel II.

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Natur und Gesellschaft massgeblich die Kunst und die Gärten als eine Reflexion über die Welt. Diese Prinzipien sehen die Grünanlagen als den Ausschnitt einer kosmologischen Landschaft, als Ort der Kontemplation, Meditation und Stille; Innerlichkeit ist ihr Daseinszweck, und die Gebäude waren die „Pavillons des Gelehrten“. Einer der eifrigsten Verfechter des Konfuzianismus in Europa war der Engländer Sir William Temple, der schon 1685 einen Essay mit einer detaillierten Beschreibung der chinesischen Parkanlagen verfasste. Davon abgeleitet wurden nun in England „sharawadgi“ genannte Gärten von geschwungenen Wegen, Lichtungen, Rondellen mit einem Pavillon oder einer Statue in der Mitte bestimmt. Für die Architekturen in diesen Anlagen gab es kein einheitliches Formenrepertoire. Alles vom Ideal der Klassik Entfernte konnte als „exotisch“ bezeichnet werden. Gemeint wurde jedes Mal die Ableitung von chinesischen Bauten bzw. die Assoziation mit diesen. Charakteristisch war für sie neben einer für damalige Verhältnisse ungewöhnlichen Farbenpracht ihre Kleinteiligkeit und die Neigung zu elegant oder bizarr geschwungenen Kurven statt der klaren rechten Winkel der Säule-Architrav-Architektur. Ein Musterbuch für diese groteskexotischen Entwürfe veröffentlichten William und John Halfpenny in den Jahren 1750-1752, deren Vorlagen eher kleine Rokokoarchitekturen präsentieren. Gegen diese „Ungenauigkeiten“ der Entwürfe versuchte sich der englische Hofarchitekt William Chambers durch das 1757 in London erschienene Werk „Designs of Chinese Buildings, Furniture, Dresses, Machirres and Utensils“ abzugrenzen, in dem er behauptete, authentischere Bildvorlagen liefern zu können. Chambers hatte in der schwedischen Ostindienkompanie gedient und war dadurch mehrere Male in Indien und China gewesen, wo er sich mit Architekturstudien befasste. Wenn auch die Abbildungen seiner Veröffentlichung in vielen Details nicht wirklichkeitsgetreu und einem europäisch-klassischen Prinzip verpflichtet sind, so war sein Buch doch die erste historische Würdigung chinesischer Baukunst, die in ganz Europa vielfach Beachtung fand. Die anglo-chinesische Gartenidee konnte Chambers erstmals in Kew Gardens von 1757-1762 verwirklichen. Verschiedenste Staffagearchitekturen wie das Haus des Konfuzius, griechisch-römische Tempel, ein römischer Ruinenbogen, ein gotischer Sitz, eine Moschee, eine Alhambra und eine grosse Pagode statteten den Park aus. Mit der Einführung dieser unterschiedlichen Pavillons, doch vor allem des von ihm als „ting“ bezeichneten variablen Bautyps, dessen Begriff er aus dem Chinesischen abgeleitet hatte, war es Chambers gelungen, für den massenhaften Bedarf an Kleinbauten eine solide gestalterische Grundlage zu schaffen, die auch den nachfolgenden Architektengenerationen noch Anregungen liefern sollte. Ausgehend von den Gärten Chinas und der konfuzianischen Philosophie symbolisierten diese aufeinander abgestimmten Pavillons, Skulpturen und zugehörigen Anpflanzungen in der chambersschen Vorstellung eine philosophische Reise. Das Ziel war ein illusionistisches „Paradies“, in dem jeder Weltteil mit einem charakteristischen Bauwerk vertreten war, durch deren Betrachtung


Emotionen hervorgerufen wurden. Emotionen sollten eine „Reise zur inneren Erkenntnis“ ermöglichen.

Zeltarchitekturen Die häufig in den als fernöstlich geltenden Farben Siegellackrot und Zitronengelb gestalteten Zeltarchitekturen ergänzten als „türkischer Kiosk“ die Kleinbauten in ihrer Variationsbreite. Ob als Wohnbau, Gartenstaffage oder städtisches Kaffeehaus das erste wurde in Paris im Jahr 1780 eröffnet -, sie enthielten zum einen den Hinweis auf die osmanische Kultur, deren Zeltstädte bei der Belagerung Wiens in den Jahren 1529 und 1683 deutliche Spuren in der bildenden Kunst Europas hinterlassen hatten. Zum anderen trägt die Zeltform des Pavillons den Hinweis auf den Ursprung des Pavillons als Provisorium in sich. Denn Zelte gelten als Unterkünfte der Reisenden, sie bieten nomadische Momente des Stillstands inmitten der Bewegung. Der ständigen Veränderung unterliegend, spielen sie mit dem Reiz einer der festen Behausung oppositionellen Gegenwelt.

Erste Wiener Türkenbelagerung, zeitgenössische Darstellung von Bartholomäus Beham (1502-1540)

Räume zum Träumen Um 1800 wurde die Gestaltung der Pavillons auf Lustschlösschen oder Landhäuser übertragen. Ein imponierendes Beispiel bietet die eklektizistische Palazzina Cinese bei Palermo, die von 1802 bis 1815 für das neapolitanische Königshaus zu einem Exilsitz ausgebaut wurde. In der europäischen Perspektive wurde zunächst zwischen Chinesisch, Indisch und Japanisch nicht unterschieden. Noch im frühen 18. Jahrhundert konnte man ein Gebäude als indisch bezeichnen, das offensichtlich chinesisch sein wollte. Von der indischen Architektur war in Europa wenig bekannt, als der sächsische König August II. (der Starke) in Pillnitz an der Elbe seine indianischen Lustschlösser erbauen liess. Um 1770 tauchten erstmals indische Bauten auf, deren Bauformen von Beginn an einen wissenschaftlichen Aspekt vermittelten. Diese erste Rezeption der indischen Architektur wurde von den Veröffentlichungen William Hodges‘ getragen, der „Selected Views of India“ zwischen 1785 und 1788 herausgab, sowie durch die sich auch auf präzise Einzelheiten indischer Architektur konzentrierende Publikation von Thomas und William Daniell „Oriental Scenery“, 1795-1808. Eine der ersten Gartenstaffagen, die sich auf indische Architektur bezogen, war der indische Tempel in Melchet Park von Thomas Daniell aus dem Jahr 1800. Vorbild des heute nicht mehr bestehenden Pavillons war ein Hindutempel aus „Oriental Scenery“. Damit lieferte Daniell zugleich das erste Beispiel für die praktische Umsetzung seiner Darstellungen indischer Architektur. Die bekanntesten Bauten der englischen Indienbegeisterung, die als repräsentative Wohnbauten den Pavillon zitieren, sind das Landhaus Sezincote und 79


der von John Nash ab 1815 errichtete Royal Pavilion in Brighton. Sezincote, das Samuel Pepys Cockerell für seinen Bruder, einen ehemaligen Beamten der East Irrdia Company, ausgeführt hatte, präsentiert im Äusseren die Biografie des Besitzers anhand der Umsetzung exakter Detailaufnahmen der Mogularchitektur, mit denen ein aufgelockertes repräsentative Barockschlossschema überzogen wurde. Es wurde zu einem Denkmal der Indienfaszination und ein grosses Vorbild für viele indische Pavillonbauten . Für den Thronanwärter George, den späteren George IV., wurde der Lustpavillon in Brighton errichtet. Dieser besteht aus einer linearen Aneinanderreihung von orientalisch anmutenden Zeltdächern und Kuppeln, die jeden üppig dekorierten Bauteil bekrönen. Anders als in Sezincote wurde hier die ausgeprägte Neigung des Bauherrn George IV. zu allen irdischen Genüssen und Lustbarkeiten deutlich. Für den Royal Pavilion standen indische oder chinesische Lösungen zur Auswahl, als es darum ging, den bestehenden klassizistischen Bau neu zu gestalten. Der indische Stil wurde gewählt als neuester Trend einer gelebten Sinnlichkeit und weniger als ein Symbol der gefestigten Macht Englands in Indien. Gemeinsam ist diesen Objekten eine Abwendung von der realen Welt der Politik und Gesellschaft und eine Hinwendung zu einer Architektur, die einen luxuriösen, durch Heiterkeit geprägten Aufenthalt verspricht. Ebenso unterstreicht ein extravaganter Entwurf für einen schwimmenden Pavillon von Robert Home (1752-1834), einem Schüler Angelika Kaufmanns, diese Tendenz. Seit der Ernennung von Nawab Ghazi-du-din Haidar (r. 18141827) zum König von Oudh im Jahr 1818 war er dessen Hofmaler. Viele indische Herrscher engagierten europäische Künstler, die neben dem begehrten klassisch-europäischen Formenrepertoire die gegenseitige Faszination von Orient und Okzident in ihren Werken belegen.

John Nash, Royal Pavilion, Brighton. 1815-23

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Weltausstellungen Mit der französischen Kolonialisierung Nordafrikas und der Entdeckung des Orients als Ursprung der griechischen Antike entstand im Verlauf des 19. Jahrhunderts vor allem eine verstärkte Auseinandersetzung mit den islamisch geprägten Gebieten und deren kulturellen Erzeugnissen. Die architektonischen Inszenierungen der Weltausstellung bedienten von Beginn an durch aufwendige Gestaltung die Sensationslust des Publikums. 1878 wurde beispielsweise auf dem Pariser Marsfeld die „Rue des Nations“ errichtet, eine durch aneinandergereihte Pavillons führende Strasse, deren Bauwerke eine Vorstellung des jeweils als landestypisch angesehenen Stils vermitteln sollten und in den nächsten Jahrzehnten zu unzähligen Nachbildungen inspirierten. Dem einsetzenden Drang nach wissenschaftlicher Exaktheit gehorchend, wurde es immer wichtiger, architektonische Versatzstücke als Zitate erkennbar zu machen. Exakte Details zur Umsetzung lieferten Veröffentlichungen wie die von Owen Jones oder Prisse d‘Avannes. Sie unterstützten die Popularisierung der orientalisierenden Bauten durch detailgenaue Wiedergaben. Aufgrund kostengünstiger industrieller Fertigung entstanden nun überall Pavillons aus preiswerten Materialien wie Gusseisen und Holz. Das Beispiel zeigt den Kenotaph für den indischen Maharadscha Rajaram Chuttraputti von Kolhapur, der in Florenz verstarb. An hinduistische Bestattungsriten erinnernd, befindet das Denkmal sich am Zusammenfluss zweier Gewässer im CaseinePark.

„Rue des Nations“, Weltausstellung Paris 1878

Vergnügungsarchitekturen Was zuerst dem elitären Geschmack diente, durch einen innovativen Charakter überzeugte und gleichzeitig auch die Lustbarkeiten der internationalen High Society dokumentierte, wurde schliesslich zum grossstädtischen Phänomen. Freilufttheater, Pavillons in den Bade- und Kuranlagen sowie die architektonisch an die ferne Herkunft der Tiere erinnernden Unterstände in zoologischen Gärten, Treibhäuser, aber auch die Musik- und Aussichtspavillons in öffentlichen Parkanlagen folgten dem Unterhaltungsverlangen der Zeit. Unabhängig von der Bedeutung der aussereuropäischen Bauten wurden diese zuweilen extrem transformiert. Im frühen 19. Jahrhundert wurde die „Montagne Russe“ konstruiert, eine Achterbahn in einem Pariser Vergnügungspark, die deutliche Bezüge zum Observatorium Mishra Yantra in Delhi von 1710 aufweist. Solche architektonischen Orientalismen boten für wenige Stunden die Möglichkeit zur Flucht aus der industrialisierten Realität, um in eine märchenhaft sinnliche und „unzivilisiert“ farbenprächtige Welt einzutauchen, wie sie die Bilder der Orientmaler und Bühnenbildner imaginierten und die bis weit in das 20. Jahrhundert hinein nicht an Faszination verloren. Bühnenbildentwürfe Galileo Chinis für Puccinis „Opera totale d‘arte“ wie auch die der Ballets-Russes-Inszenierungen popularisierten eine ästhetische Verarbeitung 81


und schufen eine Neuinterpretation der Pavillon bzw. Zeltarchitekturen, die vor allem an die emotionale Wahrnehmung appellierten.

Ex Oriente Lux

Bruno Taut: Das japanische Haus und sein Leben, ISBN 978-3-7861-1882-4

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Hundert Jahre nach dem „Brighton Pavilion“ stand Südostasien erneut im Mittelpunkt des Interesses. Mit einer weiteren Welle des Orientalismus versuchte man einen Neuansatz für das alltägliche Leben zu entwickeln, wie es schon durch die Lebensreformbewegung und die Theosophie vorbereitet wurde. Nicht umsonst sahen die Architekten das „Licht“ der neuen Erkenntnis aus dem Osten kommen. Das römische Schlagwort „Ex oriente lux“ wurde gerne gebraucht, so auch von Bruno Taut 1919 für einen Aufsatz, und Erich Mendelsohn pries die Pagode, „die ihren Formenrausch breit austrägt, die Welt mit der Urwüchsigkeit ihres Dschungellebens zu beglücken“. Nach einer ersten Annäherung dank der Weltausstellungen sind es die Reisen in den „Orient“, die, wie für Taut, Frank Lloyd Wright und Le Corbusier dokumentiert, eine nachhaltige Faszination für die Funktionalität der Konstruktionsprinzipien und für die Schlichtheit der nordafrikanischen wie auch der japanischen Bauweise hervorriefen. Tauts Reisen zwischen 1916 und 1938 von Istanbul über Russland bis nach Japan faden ihren deutlichen Niederschlag in seinen Konzepten und in seinem Buch „Das japanische Haus und sein Leben“ von 1936. Neben der mit eigenen Augen gesehenen Architektur sind ihm genauso die nur auf Fotografien bewunderten hinduistischen Tempelanlagen Indiens und die buddhistischen Pagoden in Burma und Thailand Vorbild. Sein Entwurf zum Kristallhaus 1919 kann dem Chamukhte Tempel in Palitana, Indien gegenübergestellt werden. Wie zuvor der Garten dienten die internationalen Ausstellungen als Bühne für experimentelle architektonische Ausdrucksmöglichkeiten. Dort ist ein Freiraum geschaffen worden, um sich ausserhalb der klassischen Konventionen und Bauordnungen an Stilformen und Materialien zu versuchen. Damit seine architektonischen Vorstellungen und vielfältigen utopischen Entwürfe nicht nur auf dem Papier bestanden, wählte Taut die Möglichkeit des ephemeren und spielerischen Ausstellungshaus zur Umsetzung; beispielhaft kann das legendäre Glashaus der Werkbundausstellung von 1914 in Köln angeführt werden. Dementsprechend war auch der sowjetische Pavillon auf der Internationalen Ausstellung der dekorativen und angewandten Kunst 1925 in Paris von Konstantin Melnikow (1890-1974) der erste und zugleich triumphale Auftritt der nachrevolutionären Architektur vor den Augen der Welt. Mit einem in Leichtigkeit und Transparenz aufgelösten Baukörper entwickelte Melnikow neuartige Raumlösungen im Sinne von El Lissitzkys „transformablen Räumen“, die wie japanische Häuser verschiedene Benutzungs- und Bewegungsarten erlaubten. Mit dem Plan, der zum Ziel hatte, die Sowjetunion in ein Industrieland umzuwandeln und die Landwirtschaft zu kollektivieren, gewannen Ideen der vergesellschafteten Lebensweisen und der Errichtung


von Kommunehäusern an Aktualität, die neben Wohnungen, auch Kindergärten, Grossküchen und Speisesäle beherbergen sollten. Die heterogene Nutzung derartiger Bauten verdeutlicht der experimentelle Entwurf von Nikolaj A. Ladowskij, der kubische Bauformen Nordafrikas, chinesische und thailändische Pavillons und indianische Langhäuser zusammenfügt, bekrönt mit den geblähten Segeln eines Schiffs.

Das Ideal der Klarheit Das revolutionäre Selbstverständnis der Architekten des 20. Jahrhunderts bedeutete nicht, dass sie auf Vorbilder verzichteten, sondern dass neue Anstösse gesucht und assimiliert wurden. „Im Übrigen beschmutzt die Geschichte nicht unsere Hände. Im Gegenteil, sie füllt sie uns.“ Nach solchen Aussagen verwundert es nicht, dass Le Corbusiers Werk nicht ohne die Impressionen der islamischen Kultur zu denken ist. Er war es, der auf seiner grossen Orientreise 1911 Istanbul besuchte und hinter dem Reichtum des Dekors die konstituierenden räumlichen Verhältnisse erkannte und in seinen Bauten umsetzte. Ebenso flossen die kubischen Wohnbauten Nordafrikas in seine Konstruktionen ein, wie es markant am ersten Entwurf des von einer Dachterrasse bekrönten Citrohan-Hauses, 1919-1920, durch seine klare geometrische Anordnung der äusserst flachen Fassaden und der strukturlosen Glätte der Mauerflächen, erkennbar ist.

Villa Katsura, Kyoto Foto: Yasufumi Nakamori

Modul und Natur Obgleich Ludwig Mies van der Rohe 1924 behauptete: Es ist ein aussichtsloses Bemühen, Inhalt und Formen früherer Bauepochen unserer Zeit nutzbar zu machen“, waren viele europäische Architekten nicht willens, sich von historischen und aussereuropäischen Anlehnungen zu lösen. Die traditionelle japanische Bauweise schien in ihrer Versachlichung der natürlichen Materialien, der klaren Formgebung und des „offenen Grundrisses“den veränderten politischen wie sozioökonomischen Verhältnissen Europas gerecht zu werden. Die Villa Katsura, um 1640 in Japan errichtet, galt als die architektonische Ikone, von welcher die veränderten Bauprinzipien abgeleitet wurden. Die Architektur Japans, eingebunden in die umliegende Natur wie ein Gartenpavillon, erinnert an das Provisorium der imaginierten Urhütte. Durch die Rezeption der japanischen Bauweise übernahm das Abendland einen Aspekt, der bisher nur in den Pavillons der Gärten zu finden war: eine Öffnung hin zur Umgebung, eine völlige Durchdringung des Hauses durch die Natur. Die Schlichtheit der Raumarchitektur wählt sich den Landschaftsausblick als Bild. Westliche Architekten des ausgehenden 19. Jahrhunderts beschäftigten sich seitdem bis hin zur Gegenwart mit der Architektur Japans . Schon in den 1890er-Jahren waren an den freistehenden Privathäusern Frank Lloyd Wrights 83


nicht zu verleugnende Übernahmen zu erkennen. Er arbeitete jahrelang in Japan und baute in Tokio von 1916 bis 1922 das Imperial Hotel. Auch Mies van der Rohe, von Frank Lloyd Wright zur Auseinandersetzung mit dem japanischen Wohnbau angeregt, setzte die Verbindung zum Aussenbereich in seinen Planungen systematisch um. Der Ausstellungspavillon der Weimarer Republik auf der Weltausstellung 1929 in Barcelona (Exposiciò Internacional de Barcelona), wie auch die zeitgleich entstandene Villa Tugendhat in Brünn weisen darauf hin.

Eine universelle Behausung

Frank Lloyd Wright; Imperial Hotel Tokyo, 1905, 1917-1922

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Seit dem 17. Jahrhundert durch ein intensiviertes Zusammentreffen mit den Kulturen Asiens und der islamischen Welt vermehrt im Abendland errichtet, bot der Pavillon nicht nur die Möglichkeit, mit Baustilen, Formen und Materialien zu experimentieren. Aus dem Phänomen der Vorzeit der Hütte und dem Zelt und einem Satz einfachster Bauelemente wurde ein Gast aus fernen Ländern. In ihrer zeitlichen Begrenztheit und Eingebundenheit in die Umgebung erinnern Pavillons an den Ursprung des Menschen und lassen den Beheimateten eine Sehnsucht spüren nach dem ehemals nomadischen Leben. Gleichgesetzt mit dem Streben des festansässigen Menschen nach dem einfachen, ungebundenen Leben, das mit dem Dasein von Nomaden und anderen naturnah lebenden Völkern verbunden wird, beinhaltet diese Konnotation das Heimweh nach dem Paradies und den Glauben, dass alle, die sich gegen die Zivilisation gewehrt haben und sich ihrem Einfluss entziehen konnten, den Schlüssel zum Glück besitzen, das die städtische Menschheit verloren hat. Das Nomadendasein, gehasst oder verehrt, dient als Spiegel des Niedergelassenen, dessen eskapistische Träume wie eine Fata Morgana in den Pavillons erscheinen. Zelte wie Pavillons sind Zeichen erstarrter Flexibilität, die als etwas Flüchtiges, Weiterziehendes, der ständigen Veränderung unterliegen. Für die nomadischen Momente im Stillstand bieten diese ephemeren Erscheinungen Unterkunft. Wie ein Kaffeehaus, die Halle an der Tramstation oder wie der Schirm in der Hand, der ein tragbares Zelt über den Spaziergänger spannt, geben diese Eintagsfliegen Zuflucht im Irrgarten der Stadt oder einen geschützten Ort inmitten der (gestalteten) Natur der Landschaftsparks wie es Gustav Mahler in dem „Lied von der Erde“ beschreibt. In einem Pavillon aus zerbrechlichem weissem und grünem Porzellan, der allein über eine Brücke zu erreichen ist, sitzen Freunde: schön gekleidet, trinken, plaudern. Versenkt man sich in die Metamorphosen des Pavillons im Verlauf seiner Geschichte, so entfalten sie sich zum Panorama eines langlebigen Gebildes, das jederzeit fähig zu sein scheint, trotz seiner Unstetigkeit überall Fuss zu fassen und sich für die unterschiedlichsten Zwecke anzubieten. Ebenso ist die zeitliche Begrenztheit des Baus charakteristisch. Einen Pavillon baut man nicht für die Ewigkeit, er begleitet nur zeitweise die Reise durch die Zeit. Ein grosser


Teil der Weltbevölkerung ist mehr denn je unterwegs: Touristen, Geschäftsleute, Wanderarbeiter, Aussteiger, politische Aktivisten, Pilger usw. Wie die Nomaden, die sich als Erste auf einem Pferd fortbewegten, verfügen wir wieder über die Mittel zur totalen Beweglichkeit. Und so verwundert es nicht, dass die Pavillons der zeitgenössischen Architektur eine Zähigkeit des Archaischen und den Überschuss an genetischer Mitgift in ihren einfachsten Elementen beweisen, die im Kontext einer zunehmenden unscharfen Trennung zwischen Dauerhaftigkeit und Flüchtigkeit steht. Beinahe erweckt es den Anschein, als würde der Pavillon in neuer Zurichtung zur universellen Behausung für unsere eigene Völkerwanderungszeit.

aus: Modulor Magazin, #05-2012

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Serpentine Gallery Pavillon 2013, 86 Hyde Park, London Sou Fujimoto,


Prof. Nikolaus Hirsch

Die Pavillonisierung der Architektur Schnell experimentell, vergänglich der Pavillon scheint der angenehme Teil der Architektur zu sein. Etymologisch verwurzelt ist das Wort Pavillon im französischen Begriff „papillon“. Die Unterschiede zwischen Pavillon und Gebäude lösen sich auf und somit wird die Beziehung zwischen Architektur und Ausstellung neu bewertet. Die Rollen von Architekt und Künstler öffnen sich.

„Der Pavillon ist ein Gebilde wie ein Schmetterling, er landet für kurze Zeit und fliegt wieder davon.1 Im Gegensatz dazu scheint nichts ausser träger Architektur zu existieren: ein langsames Medium, das sich schwertut, im Takt mit einem immer sprunghafteren kulturellen Umfeld und dessen immer schnellerer Abfolge von Ausstellungen zu bleiben. Anders als der Pavillon kann ein klassisches Gebäude eine Ausstellung zwar zeigen, aber nicht selbst als Ausstellung agieren. Egal wie spektakulär und neu der Entwurf ist es vergehen Jahre bis zum Baubeginn und zur Fertigstellung, mit dem Ergebnis, dass das Gebäude oftmals veraltet aussieht. Architektur ist immer ein bisschen zu spät. Und doch sind die Unterschiede zwischen Pavillon und Gebäude weniger deutlich, als es anfänglich scheint. Dauerhafte Gebäude sind oft weniger dauerhaft, als sie vorgeben, und temporäre Konstruktionen können beständiger sein, als es zunächst den Anschein hat. Eine kritische Auseinandersetzung mit dieser simplen Schwarz-Weiss-Sicht erscheint notwendig, um die Dichotomie zwischen "temporär" und "permanent", zwischen Pavillon und Gebäude zu überwinden. Ziel ist hierbei, eine produktive Strategie zu entwickeln, welche die unterschiedlichen Rhythmen von Architektur und Ausstellung sowohl gebraucht als auch missbraucht. Hierbei geht es um nicht weniger als um eine Angleichung der Formate Ausstellung und Architektur sowie den Versuch, Architektur als solche auszustellen und dadurch die Rollen von Architekt und Künstler neu zu verhandeln.

Schnelle Museen Wie kann die Beziehung zwischen Architektur und Ausstellung kritisch bewertet werden? Der Konflikt zwischen diesen Formaten ist vor allem im Bereich der Museumsarchitektur virulent: Ist Museumsarchitektur lediglich ein Gehäuse zur Unterbringung von Ausstellungen? Ist sie mehr als nur ein stabiler 1 Beatriz Colomina : Pavilions of the Future. in: Your Black Horizon Art Pavillion. hrsg.von Eva Ebersberger und Daniela Zyman. Köln 2007. S. 158.

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Rahmen für eine ständig wechselnde kuratarische Praxis? Genauere Untersuchungen2 zeigen, dass Museumsarchitektur trotz ihrer stabilisierenden und konservatorischen Agenda einer Logik des permanenten Wandels gehorcht, anders gesagt: einer Logik der inneren Pavillonisierung. Die Entwicklung der Tate Gallery in London im Verlauf der letzten hundert Jahre ist ein hervorragendes Beispiel für den immer schneller werdenden Rhythmus von Kunstinstitutionen und ihrer räumlichen Transformation. Ein Vergleich der programmatischen Struktur zeigt ein dramatisches Abnehmen der Ausstellungsfläche von achtzig auf dreissig Prozent. Die Ausstellungsflächen wurden durch eine zunehmend differenzierte Mischung von Funktionen wie Kunstpädagogik, Cafés, Buchläden und anderen sekundären Funktionen ersetzt. Die stärkere Differenzierung der räumlichen Struktur ist nicht nur auf die fortschreitende Ökonomisierung durch Programme wie Museumsshops, Buchhandlungen und Gastronomie zurückzuführen, sondern ist auch eine Konsequenz veränderter künstlerischer Praktiken, die zunehmend Kunstvermittlung, Vorträge, Filme und Performances zum festen Bestandteil ihrer Arbeiten machenden. Im Massstab eines einjährigen Zyklus wird ein weiteres Prinzip klar: ständiger Umbau durch Ausstellungsarchitektur. Ein Jahr im Leben einer Kunsthalle wie der Schirn in Frankfurt am Main veranschaulicht die Verwendung von Ausstellungsarchitektur zur Herstellung von spezifischen Environments, die dem Rhythmus der Ausstellungen folgen. Dabei scheint es jedoch ein Problem der Synchronisierung zu geben. Innerhalb der gegenwärtigen Museumspraxis berühren sich die Rhythmen der architektonischen Hülle und jener der künstlerischen Tätigkeit gegenseitig nicht. Das Prinzip des ständigen institutionellen Umbaus ist konzeptuell in dem dauerhaften Modell nicht bedacht. Daraus entstehen grundlegende Einschränkungen für die programmatische und kuratarische Arbeit.

Langsame Pavillons Im Allgemeinen wird davon ausgegangen, dass Pavillons temporäre Gebäude sind, die nur eine kurze Lebensdauer haben. Eine detaillierte empirische Untersuchung der Praxis des Pavillons zeigt jedoch vielschichtigere und auch gegensätzliche zeitliche Abläufe. Häufig werden Pavillons für einen Sommer erbaut, bleiben aber den folgenden Winter über stehen, dann noch ein Jahr und ein weiteres und landen schliesslich auf der Denkmalliste oder werden zu Sammlungsobjekten. Und dann wird es undenkbar, dass sie wieder verschwinden sollen. Einige Pavillons nähern sich dennoch der ursprünglichen Idee des Verschwindens an. So entstehen die von Julia Peyton-Jones und Hans Ulrich Obrist kuratierten Serpentine Pavillons in extrem kurzer Zeit, nahezu ad hoc: Nur sechs Monate vergehen zwischen der Beauftragung der Architek2 Siehe Institution Building . Artists. Curators. Architects in the Struggle for lnstitutional Space. hrsg. von Nikolaus Hirsch u. a. New York und Berlin 2009. S. 8-46.

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ten und der Eröffnung der Ausstellung. Dann steht der Pavillon drei Monate lang in Kensington Gardens, bevor er wieder abgebaut wird und ein weniger spektakuläres Nachleben an einem anderen Ort beginnt. Cybermohalla Hub, eine experimentelle Institution in Delhi (Architekten Nikolaus Hirsch und Michel Müller), wurde 2008 auf der Manifesta 7 in Bozen gezeigt, bevor sie für Francesca von Habsburgs Sammlung Thyssen-Bornemisza Art Contemporary angekauft wurde und nach Wien wanderte und schliesslich zu einer neuen, grösseren Version in Delhi führte.3 Mies van der Rohes Barcelona-Pavillon von 1929 veranschaulicht einen weiteren noch widersprüchlicheren Prozess, der kurze Zeitspannen mit der Dauerhaftigkeit der Rekonstruktion vermengt. Nach der Weltausstellung 1930 zerstört, wurde er 1983 bis 1986 als Ikone der modernen Architektur wieder aufgebaut. Andere Pavillons blieben einfach stehen: Dan Grahams Oktogon, 1987 gebaut für Kasper Königs Skulptur Projekte Münster blieb erhalten. Für Frei Ottos Multihalle für die Bundesgartenschau 1975 in Mannheim waren nicht dauerhafte, sondern temporär eingestufte Materialien wie billige Holzelemente und einfache Plastikfolien verwendet worden, und trotzdem wurde sie schliesslich zu einem historischen Baudenkmal, das für die Ewigkeit bewahrt werden soll. Der Logik der kulturellen Wertsteigerung folgend, verwandelt sich der Pavillon vom "papillon" in ein eher schweres und unbewegliches Insekt; in ein Tier, das verlernt hat zu fliegen. In letzter Konsequenz wird es fraglich, ob der dauerhafte Pavillon immer noch zu der Kategorie der "fliegenden Bauten" einem Rechtsbegriff der Bauordnung, der temporäre Gebäude bezeichnet zu zählen ist.

Pavillonisierung Im Kontext einer zunehmend unscharfen Trennung zwischen Dauerhaftigkeit und Flüchtigkeit wird es möglich, ein Hybrid zwischen Pavillon und permanentem Gebäude zu entwickeln. Der Entwurf für die European Kunsthalle arbeitet an einer extremen Strategie, die das Phänomen der temporären Serpentine Pavillions auf ein neues kritisches Level hebt. Anstatt die Pavillons nach dem Sommer wieder abzubauen, initiiert dieser Ansatz eine endlose Sommerparty. Das Prinzip der Pavillons wird verwendet, um eine nachhaltige, wachsende Kunsteinrichtung zu schaffen. Der Baurhythmus passt sich der Zeitstruktur der Ausstellung an. Durch die Akkumulation von immer mehr Pavillons und programmatischen Einheiten wächst die Institution und wird im Lauf der Zeit immer stabiler. Die Architektur wird zur Ausstellung. Der heimliche Plan wäre, die rechtlichen Vorteile der "fliegenden Bauten" so 3 Siehe Cybermohalla Hub. hrsg.von Nikolaus Hirsch. Berlin/New York 2012; Sculpture Unlimited. hrsg. von Eva Grubinger. Jörg Heier. Berlin/New York 2011. Manifesta 7 I Index. hrsg . von Adam Budak u. a. Mailand 2008. S. 81 .

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Skizze zum Projekt von Peter Zumthor für den Serpentine Gallery Pavillon 2011, Hyde Park, London aus: Cameron McEwan, „Architecture of Analogy“ (http://cameronmcewan.wordpress.com)

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zu gebrauchen und zu missbrauchen, dass eine Situation entsteht, in welcher der temporäre Pavillon zu einer permanenten Einrichtung wird. Das Resultat könnte als eine "Pavillonisierung" der Architektur beschrieben werden: eine ständige Abfolge kurzfristiger Planungen. Jedes neue Stück des Gebäudes wird zum neuen Stück der Ausstellung. Nicht ad hoc, aber in den für Ausstellungen typischen Zyklen, zum Beispiel in drei Monaten. Auf diese Art wird Architektur zum kuratarischen Objekt. Exquisite Corpse Die auf Pavillons basierende, wachsende Kunstinstitution verweist auf die Logik des surrealistischen Spiels "Cadavre exquis" (auch "Exquisite Corps" genannt): Eine Prozedur, bei der sich eine Konstellation durch das kollektive Zusammenfügen individueller Einzelteile ergibt. Dieser Ansatz bricht mit der Vorstellung, dass der Entwurf einer Kunstinstitution mit ihren Ausstellungsräumen, Büros, Depots, Sanitäranlagen, Vortragssälen, Cafés und so weiter eine in sich kohärente Einheit formt, die von einem einzigen Autor, dem Architekten, geschaffen ist. Stattdessen teilt dieser Plan den Raum in autonome und doch zusammenhängende Komponenten auf. Das Resultat ist ein Netzwerk möglicher Wege, die einen Anfang haben und sich dann in eine Vielzahl möglicher unterschiedlicher Richtungen aufteilen. Die Neuverhandlung von Autorenschaft und deren traditionellen Rollenmodellen bezieht sich auf die wachsende Zahl von Künstlern, die an infrastrukturellen Architekturen arbeiten: Liam Gillicks Conference Room für den Frankfurter Kunstverein, Monica Bonvicinis Toilet, Elmgreens & Dragsets Galerien (besser bekannt als Powerless Structures) oder Anton Vidokles und Julieta Arandas Martha Rosler Library. Es ist jedoch paradox, dass im Allgemeinen immer noch davon ausgegangen wird, dass die räumlich-körperliche Einheit einer Institution eine kohärente physische Konstruktion sein muss, die von einem einzelnen Autor, dem Architekten, erdacht ist. Exquisite Corpse, ein Projekt von Nikolaus Hirsch und Philipp Misselwitz im Rahmen des Curating-ArchitectureProgramms4 des Londoner Goldsmiths College, forderte Künstler und Designer (Judith Hopf, Raqs Media Collective, Tobias Rehberger, Rirkrit Tiravanija, Anton Vidokle und Eyal Weizman) auf, gemeinsam eine Kunsthalle zu zeichnen, die sich in einer Abfolge von Faxsendungen entwickelte und schliesslich als dreidimensionales Modell umgesetzt wurde (Abb. 5). Die traditionellen Rollen haben sich geöffnet, und wer weiss vielleicht wird eines Tages der Künstler als Architekt agieren, der Kurator als Künstler und der Architekt als Kurator.

aus: Modulor Magazin, #05-2012

4 Andrea Phillips : The Body of a Building. Exquisite Corpse at Curating Architec- ture. in. Hirsch u.a.. 2009 (wie Anm. 2). S. 54-73.

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Die Orte der Marguerite Duras Text zum Atelierdiskurs von Eberhard Trรถger

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aus: Marguerite Duras, Michelle Porte; Die Orte der Marguerite Duras; Edition Suhrkamp 1080, Band 80, Frankfurt am Main 1982

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Doßmann, Wenzel, Wenzel: Architektur auf Zeit. Baracken, Pavillons, Container, Berlin 2006, S. 13-31.

Schneller sein – Architektur auf Zeit Ein Gespräch zur Einleitung Axel Doßmann, Jan Wenzel und Kai Wenzel

Aus: Axel Doßmann, Jan Wenzel und Kai Wenzel, Architektur auf Zeit. Baracken, Pavillons, Container, Berlin (b_books) 2006, S. 13-31.

AD — Es ist erstaunlich, wie sich durch temporäre Bauten die Atmosphäre eines Ortes verändern kann. Ich bin gerade mit dem Rad vom Berliner Westen in den Osten gefahren und kam an dem Zirkus vorbei, der das bislang freie Areal neben der Neuen Nationalgalerie besetzt hat. Innerhalb von wenigen Tagen ist hier eine zeltartige Arena aus Holztafelwänden entstanden. Stahlcontainer dienen als Kassenhäuschen, Toiletten, Geräteschuppen und Werbedisplay für dieses ›schönste Theater der Welt‹. Auf den Außenflächen der weißen Kisten steht ›SALOME‹, auf den Dächern glänzen goldene orientalische Kuppeln in der Sonne. Fünfhundert Meter weiter, auf dem stets zugigen Potsdamer Platz, zogen im Dezember 2005 flache Blockhütten mit Glühwein, Würstchen und Schlagermusik Leute an, die sonst vermutlich gleich in den Shopping Malls verschwunden wären. Eine meterhohe schiefe Ebene war mit Schnee bedeckt und warb zwischen den Glasfassaden der Hochhäuser für Skiurlaub in den künstlichen Landschaften Österreichs. KW — Solche temporären Bauten in der Innenstadt haben eine lange Tradition: künstliche Rodelhänge zum Beispiel gibt es bereits seit dem 16. Jahrhundert. ›Russische Berge‹ nannte man diese Holzgestelle, die von wandernden Schaustellern für kurze Zeit an einem Ort aufgebaut wurden. Auf den öffentlichen Plätzen zahlreicher europäischer Metropolen waren sie ein Anziehungspunkt für das Publikum der winterlichen Jahrmärkte. Überhaupt markieren Jahrmärkte vermutlich den Anfang einer bestimmten Tradition temporären Bauens in Städten. Im Mittelalter und der Frühen Neuzeit ließ man bei der Anlage oder dem Ausbau einer Stadt bewusst große Flächen im Zentrum für den Warenumschlag frei. Auf diesen Marktplätzen errichteten dann Händler, die oft von weit her anreisten, während der Jahrmärkte ihre Verkaufsstände und Buden. Hier hatten auch die Spektakel der Gaukler und Vergnügungsunternehmer ihren Platz. Durch die strukturellen Veränderungen des Handels im 19. Jahrhundert, die Entstehung von Einkaufspassagen und Warenhäusern,[1] veränderte sich die Funktion der Jahrmärkte. Sie wurden zu Orten des kurzweiligen Vergnügens, deren Attraktionen ständig wechselten.

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JW — Die erhöhte Frequenz des Warenumschlags hat ihre Auswirkungen auf die architektonische Struktur der Stadt. Von japanischen Metropolen heißt es, dass sie eine ständige Metamorphose von Aufbau, Abbau und Zerfall darstellen. Endgültiges gilt als nicht erstrebenswert. Der Journalist Kaye Geipel schreibt, dass in »Tokyo ganze Stadtviertel schneller ihre Fassaden wechseln als in Europa Boutiquen ihr Interieur«. Er sieht darin einerseits den »Triumph einer ökonomischen Moderne«, die in einen immer schnelleren Taumel von Produktion und Entwertung treibt, andererseits aber auch die Fortführung einer »vormodernen« Anschauung, die temporäre Konstruktionen als adäquaten Ausdruck angesichts der Brüchigkeit und Verletzbarkeit materieller Existenz erfand.[2] Auch in der europäischen Stadt lässt sich eine »Tradition der kurzen Dauer«, wie Kaye Geipel es nennt, feststellen. Sie ist auf vielfältige Weise mit der Industrialisierung und Kapitalisierung des urbanen Raums verknüpft. So werden zum Beispiel die Buden, die auf ein nostalgisches Bild kleinteiligen Warenumschlags anspielen, auf den traditionellen Jahrmarkt also, heute ähnlich organisiert wie Shopping Malls. Es gibt einen Anbieter, der die gesamte Anlage aufbaut und dann können sich Einzelhändler dort einmieten. Das funktioniert auf dem Potsdamer Platz in Berlin genauso wie auf dem Leipziger Augustusplatz oder in Paris-La Défense. KW — Auf innerstädtischen Plätzen wie dem Leipziger Augustusplatz haben aber auch temporäre Bauten für politische Rituale und die Inszenierung staatlicher Macht eine lange Tradition. Bis ins frühe 20. Jahrhundert sind es Triumphbögen und Festarchitekturen, die für Herrscherempfänge errichtet werden.[3] Während des ›Dritten Reichs‹ und in der DDR stehen Pavillons für propagandistische Ausstellungen und Tribünen für die verordneten Massenumzüge auf dem Augustusplatz. Dass heute die Tribünen der smart beach tour [4] hier aufgebaut werden oder wie zur Fußball-WM die Großsponsoren mit temporären Bauten, Absperrgittern und Sicherheitsdiensten den Ort besetzen, verweist darauf, dass die Herrschaft über die öffentliche Sphäre heutzutage nicht mehr von einer ständischen oder totalitären Politik beansprucht wird, sondern von global agierenden Unternehmen. AD — Viele deiner Beispiele verdeutlichen, dass der Einsatz temporärer Bauten oft politisch motiviert ist. Das schließt Handel und Unterhaltung als Modi bürgerlicher Öffentlichkeit ebenso ein wie die herrschaftlichen Selbstinszenierungen. Worin aber besteht der politische Gebrauch solcher Architekturen genau? Ist es das strategische Moment? Die schnelle Besetzung? Und die zeitweise Beherrschung eines Stadtraums? Sicher, aber das Beispiel des Augustusplatzes verweist auf einen weiter reichenden Aspekt: Die extravaganten Pavillons auf den kurzlebigen Weltausstellungen, Mustermessen und Vergnügungsparks des

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19. Jahrhunderts sind ja gewissermaßen die Morgendämmerung jener »Gesellschaft des Spektakels«, an der Guy Debord den Wandel von der traditionellen Ökonomie hin zur immateriellen Ökonomie im Postfordismus festgemacht hat. Der kulturelle Gehalt einer Ware ist heute mehr denn je selbst ein Konsumgegenstand und Distinktionsmerkmal geworden. Gleich ob Markenprodukt, Nation oder Replik einer historischen Architektur, alles will auf Prestigegewinne, auf Aufmerksamkeit und Beachtung hinaus. Es geht um eine Politik intensivierter Gefühle in diesem »mentalen Kapitalismus«.[5] In der Stadt sind zentrale Plätze bevorzugte Orte für solche emotionalisierenden Events. Temporäre, meist vorgefertigte Architektur kann genau hier ihr Potenzial für die »Künste des Regierens«[6] entfalten, denn sie ermöglicht oft den größten Effekt bei geringstmöglichem materiellen Aufwand. JW — Was du beschreibst, macht klar, warum die Weltausstellungen des 19. Jahrhunderts ein wichtiger Kristallisationspunkt für eine politische Geschichte temporärer Architekturen sind, die wir in diesem Buch exemplarisch entwickeln. Als wir mit den Recherchen begannen, stand ja zunächst auch die Frage, wie weit eine solche Geschichte von ›Architektur auf Zeit‹ in die Vergangenheit zurückgreifen muss? Sollten wir bei den Weltausstellungen des 19. Jahrhunderts einsetzen? Bei den Festarchitekturen des Barock mit ihren monumentalen Lust- und Scheinbauten? Oder schon beim Zelt – bei der Wohnung als Ausrüstung? AD — Haben wir uns nicht alle drei von recht unterschiedlichen Punkten dem gemeinsamen Gegenstand genähert? Mich zum Beispiel beschäftigt schon lange eine Medien- und Kulturgeschichte von Infrastrukturen unter der Frage nach Macht- und Herrschaftszusammenhängen. Egal ob ich Autobahnen, Überwachungstechnologien, Siedlungsbau oder eben Lager, Baracken und Container in ihrer gesellschaftlichen Praxis erforsche – oft ist der Ausgangspunkt die irritierende Beobachtung, dass zahlreiche Infrastrukturen ganz wesentlich die Alltagsroutinen von Menschen bestimmen, das öffentliche und private Leben mobilisieren und funktionieren lassen, dennoch aber als technische Artefakte meist nur in ihrer ›Pilot‹- bzw. Einführungsphase öffentlich thematisiert werden. Denn Infrastrukturen gleichen, so lange sie funktionieren, einer ›zweiten Natur‹. Zum Thema werden sie immer dann, wenn eine Störung eintritt, wenn sie fehlen oder Mängel aufweisen: beim Stau, beim Unfall, bei der Katastrophe, wenn eine Stadt wie New York plötzlich ins Dunkel fällt, weil das Stromnetz zusammengebrochen ist.[7] Am temporären Bauen interessiert mich vor allem die Frage, wie der moderne Nationalstaat alte Fragen der herrschaftlichen Raumordnung neu behandelt oder differenziert, um auf

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neue Erschließungsaufgaben oder alte, jetzt aber anders wahrgenommene Probleme wie Bevölkerungs- und Stadtwachstum, Hygiene, Mobilität und Sicherheit, Krieg und Handel schneller, flexibler und vor allem auch berechenbar reagieren zu können. »Kultur ist, wenn es trotzdem klappt« – das Vermögen zur Improvisation ist ein guter Indikator dafür. Industriell (vor-)gefertigte Architekturen wie die transportable Baracke sind dabei ein bislang unterschätzter Aspekt, der für eine Gesellschaftsanalyse seismographische Qualitäten haben kann: Wenn eine temporäre Architektur als technisch-infrastrukturelle Antwort auf ein soziales oder ökonomisches Problem gewählt wird, zeigt sich dabei oft schlagartig das Politische in der Kultur. KW — Mich faszinierten an der transportablen Baracke zunächst die architektonischen Eigenschaften dieses seriell gefertigten, flexiblen und multifunktionalen Gebäudetyps, der mit dem Etikett ›Behelfsbau‹ völlig unterbewertet wäre. Mein Ausgangspunkt war dabei die Geschichte des Unternehmens Christoph & Unmack, das seit dem späten 19. Jahrhundert nicht nur Baracken, sondern ganz verschiedene urbane Infrastrukturen hergestellt hatte: Eisenbahnen, Straßenbahnen, U- und S-Bahnen, LKWs, Stahlbrücken, Motoren für ›Kraftzentralen‹ und eben transportable Holzbauten. Die Nutzungsmöglichkeiten, die die Firma für ihre Baracken und Häuser in Tafelbauweise vorschlug – vom Lazarett über Notwohnungen zu Schulen, Krankenpavillons und Büroräumen –, fand ich sehr bemerkenswert. Die Baracke erschien plötzlich nicht mehr als eine improvisierte Architektur, sondern als ein hoch spezialisiertes, funktionalistisches Produkt, das verschiedene Bauaufgaben kompensieren konnte. Aus der Beschäftigung mit der Baracke als einem Prototyp mobiler und industriell vorgefertigter Architektur ist auch mein Interesse für ihre medialen Repräsentationen gewachsen, zum Beispiel für Firmenschriften früher Vorfertigungsunternehmen oder für Postkarten, die Barackenlager zeigen, von denen einige in unserem Buch zu sehen sind. Auch hier war mein Erstaunen groß: In der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts zählten Baracken, Militärlager und Flüchtlinge zu den populären Postkartenmotiven. JW — Mein Zugang war assoziativer. Ich habe unseren Arbeitstitel ›Architektur auf Zeit‹ zuerst einmal als einen Suchbegriff verstanden. Als einen selbst gewählten Fokus, um so die vielfältigen Zusammenhänge zwischen bestimmten architektonischen Formen und den mit ihrer Nutzung verbundenen Zeitkonzepten überhaupt in den Blick zu bekommen. Mit Zeitkonzept meine ich, dass Zeit selbst ein Faktor ist, der sich nicht nur in soziale Situationen, Handlungsweisen und Handlungsperspektiven einschreibt, sondern auch für die Produktion von Architektur bestimmend ist. Ich denke da zum Beispiel an die Ausstellung

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»Das wachsende Haus«, die der Berliner Stadtbaurat Martin Wagner 1932 organisierte. In ihr wurden Entwürfe für Wohnhäuser vorgestellt, die der »Wanderungsfähigkeit« des Investitionskapitals Rechnung trugen.[8] Die Montagehäuser sollten an einem Tag aufgestellt und in derselben Zeit auch wieder demontiert werden können. Eine Ausgangsthese der Ausstellung war, dass der provisorische Charakter der Architektur in Zeiten ökonomischer und sozialer Unsicherheit die Reaktionsfähigkeit erhöhen kann. Der Wunsch, Wohnen und Mobilität zu kombinieren, zieht sich wie ein roter Faden durch die Architekturmoderne. Allerdings sind die meisten Projekte, wie »Das wachsende Haus« von 1932 oder Archigrams »Plug-in City« von 1966, Utopien geblieben. Interessanterweise scheinen wirtschaftliche Umbruchphasen solche Architekturfantasien zu begünstigen. Man kann sagen, mit dem Provisorischen verbinden sich ganz bestimmte räumlich-situative Strategien. Das zeigt sich auch in den 1990er Jahren, wo das Wort ›provisorisch‹ für einen Lebensstil steht, in dem der Imperativ der Flexibilität jede langfristige Perspektive torpediert. Ein Leben auf Abruf also, für das ein Laptop bereits ein Büro und ein Handy eine feste Adresse bedeutet, das für viele aber vor allem mit widersprüchlichen Anforderungen und zunehmenden Ungewissheiten und Unsicherheitszuständen verbunden ist. Für mich war die »Renaissance des Provisorischen« und dessen Stilisierung in den 1990er Jahren ein wichtiger Punkt der Auseinandersetzung. AD — Allerdings stießen wir bald auch auf einen verbreiteten Trugschluss: Nicht alles, was ›temporär‹ ist, muss auch ›provisorisch‹ sein. Und umgekehrt: nicht alles, was ›provisorisch‹ gedacht ist, verschwindet nach wenigen Jahren tatsächlich wieder.[9] Baracken oder Container für Flüchtlinge oder Häftlinge zum Beispiel sollen meist gar nicht durch feste oder ›bessere‹ Bauten ersetzt werden. Vielmehr ist eine Baracke meist genau der Raum, den die Autoritäten den Insassen auf oft noch unbestimmte Zeit zumuten wollen. JW — Unsere Begriffsarbeit zum ›Provisorischen‹ und ›Temporären‹ hat im Frühjahr 2005 auf ganz praktische Weise begonnen, mit der Reihe thematischer Stadtführungen, die wir in Leipzig organisiert haben und die wir »Provisorien. Urbane Konzepte für Zwischenzeiten« genannt haben. Dabei ging es um die selten reflektierten und gewürdigten Provisorien einer Stadt, gewissermaßen um die blinden Flecken der konventionellen Stadtführer und der auf ›bedeutende‹ Architekten fixierten Architekturgeschichte. AD — Angeregt waren diese Führungen sicher auch durch unser Seminar zur Geschichte der Baracke mit Studierenden der Architektur und Medienwissenschaft an der Bauhaus-Uni in Weimar. Mit den Recherchen in Leipzig war ein lokaler Bezugspunkt und auch Ruhepunkt

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für unser gemeinsames Interesse an einer politischen Geschichte des temporären Bauens gefunden. KW — Die vier thematischen Stadtführungen im Rahmen des Projekts »Heimat Moderne« haben uns auch die Diversität provisorischer und temporärer Architekturen vor Augen geführt. Ein Spaziergang führte durch den Clara-Zetkin-Park, an dessen Stelle 1897 die Bauten der Sächsisch-Thüringischen Industrie- und Gewerbeausstellung standen. Bei der zweiten Tour fuhren wir quer durch Leipzig zu Orten, an denen während des ›Dritten Reichs‹ Zwangsarbeiterlager existierten.[10] Mit den Führungen wollten wir darauf hinweisen, dass sich in der Moderne temporäres Bauen zu einer beständigen und vielfältigen Praxis entwickelt hat. Dabei zeigte sich, wie zahlreich die Beispiele vorübergehender Raumproduktion allein in einer Großstadt wie Leipzig aus der Zeitspanne vom wilhelminischen Kaiserreich bis in die Gegenwart zu finden sind. Um sie wahrnehmen zu können, reicht eine architekturhistorische Perspektive allein nicht aus. Für die Geschichte temporären Bauens ist interdisziplinäres Arbeiten eine wichtige Voraussetzung, um die ganz verschiedenen ›Geschichten‹, vor allem die politischen Intentionen der Akteure in den Blick zu bekommen. AD — Intuitiv wurde uns durch die Stadtführungen klar: um sowohl die pragmatische Funktion als auch die symbolische Bedeutung provisorischer und temporärer Architektur für das Regieren einigermaßen gründlich beschreiben zu können, empfiehlt sich eine konzentrierte Untersuchung einer ausgewählten Stadt. Leipzig ist da ideal: kein Sonderfall einer privilegierten Hauptstadt, aber eine gewachsene deutsche Großstadt mit bedeutender Messe, mit Industrie. JW — Dass wir uns auf eine einzige Stadt konzentriert haben, hat sich meiner Meinung nach als sehr produktiv herausgestellt. Aus mehreren Gründen. Zum einen ist die ›Einheit des Ortes‹ erzähltechnisch ein sehr wirkungsvoller Modus. All die verschiedenen Phänomene, die wir beschreiben, haben an ein und demselben Ort existiert, das ist sozusagen der Darstellungsrahmen unseres Buches. Vielleicht wird es überhaupt erst durch diesen Fixpunkt möglich, bestimmte Gebrauchsweisen und das Politische an ihnen, zu konkretisieren. Es ist schon auffällig, dass die meisten Publikationen, die sich mit mobiler Architektur beschäftigen, diese Bauten so beschreiben, wie man auch ein Auto begreifen könnte – als ein Gehäuse, das völlig unabhängig von einem bestimmten Ort existiert.[11] Unter diesem Blickwinkel bleiben die Fragen des konkreten Gebrauchs oft eher diffus, ohne dass dies, wie von Rudolf Arnheim, selbst zum Thema gemacht wird. Er schätzt an einem beweglichen

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Gebäude, dass es sich in Größe, Form und Farbe nicht nach einem bestimmten Gelände zu richten braucht, sondern so konstruiert ist, »daß es in allen Situationen seiner Aufgabe einigermaßen gerecht wird, ohne sich in irgendeiner spezifischen Situation besonders auszuzeichnen. Seine individuelle Erscheinungsform leitet sich aus seinem eigenen Wesen her und nicht aus dem Wesen eines bestimmten, ihm zugedachten Standorts.«[12] Auch um zu klären, wie sich diese funktionale Offenheit dann doch mit konkreten Gebrauchssituationen verbindet, war die Konzentration auf eine Stadt hilfreich. Denn erst dadurch haben wir Beispiele in den Blick bekommen, die bei einem größeren Beobachtungsfeld ganz sicher durch das Wahrnehmungsraster gefallen wären: nicht nur weil sie zunächst zu unscheinbar sind, sondern weil man auf bestimmte alltägliche Formen des Gebrauchs gar nicht gestoßen wäre, wenn es eure wochenlangen Recherchen im Leipziger Stadtarchiv nicht gegeben hätte. Erst durch dieses sehr intensive Abklopfen eines Ortes, war es möglich, die Geschichte eines bestimmten Raumgebrauchs nachzuzeichnen. KW — Unser ›Graben‹ nach Bauakten, behördlichen Genehmigungsverfahren und Planungsdisputen stellte neben der Suche nach zeitgenössischen Bildquellen in der Tat eine wesentliche Grundlage des Buches dar. Zu einigen Themen konnten wir im Leipziger Stadtarchiv auf umfangreiche Bestände zurückgreifen, etwa zur Planungs- und Baugeschichte von Obdachlosenbaracken, Zwangsarbeiterlagern, Flüchtlingslagern oder zu Provisorien der ›Wendejahre‹. Für die meisten Leipziger ›Architekturen auf Zeit‹ aber, die uns zunächst in ihrer fotografisch überlieferten Form gereizt hatten, fanden wir nur knappe oder überhaupt keine Informationen und meist auch kaum Zeitzeugen, die sich an die konkrete Funktion oder auch nur an die schiere Existenz eines solchen Gebäudes erinnern konnten. AD — Das war manchmal enttäuschend. Was blieb, war das Foto, ein visuell verbürgter Ort, ein historischer Augenblick, eine Perspektive. Aber die Story fehlte, die Erzählung, der Stoff, um gleich auch noch Alltagserfahrungen der Nutzer dieser Gebäude zu rekonstruieren – das verlangt angesichts der Quellenlage dann meist doch allgemeinere Bezugnahmen, die uns hier nur für die übergreifenden Essays zur Baracke und zum Lager in der Stadt sinnvoll schienen.[13] Das Flüchtige dieser Architekturen macht besonders augenfällig, wie stark das historische Gedächtnis von der Überlieferungschance abhängt, das einem Ereignis oder einem Artefakt von den nachfolgenden Generationen eingeräumt wird. Über diese klassische Archivarbeit hinaus haben wir versucht, aus der Not eine ›Tugend mit Methode‹ zu machen. Die Lektüren von Akten, Lageplänen, Aufklärungsfotografien oder auch die Leerstellen im Archiv führten uns (zurück) an die Orte, wo ›vorher‹ mal eine Baracke oder eine ganzes Dorf

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aus Pappmaché und Gips gestanden hat. Das provozierte eigene Fotos, unsere ›NachherBilder‹, wenn man so will: Aufnahmen von Hinterhöfen, Schulhöfen, brachliegenden Flächen, Park- und Sportanlagen, öffentlichen Plätzen, Denkmälern an NS-Verbrechen. Nicht selten werden die Orte, an denen temporäre Bauten verankert waren, bald nach deren Verschwinden ›begrünt‹ oder ihrem Schicksal überlassen – eine andere Art und Weise, Gras über Geschichte wachsen zu lassen. JW — Oft sind diese verlassenen Räume verwildert, weil jegliches Interesse und jede Form der Nutzung von ihnen abgezogen wurde. Denn nicht nur der schnelle Zugriff auf Räume, auch die Möglichkeit, einen Ort ebenso rasch wieder aufzulösen und sich zurückziehen zu können, charakterisieren die vielfältigen Formen der räumlichen Umorganisierung, die mit ›Architektur auf Zeit‹ verbunden sind. Gerade dadurch, dass sie so schnell wieder verschwinden können, geht von diesen Architekturen oft auch etwas ›Unheimliches‹ aus. Das ist mir zuletzt erst wieder klar geworden durch den Abtransport des Polizeicontainers in der Löhrstraße. [

Erstarrte Bewegung, S. 66f.;

Straßenabsperrungen, S. 244f.] Ohne

dass sich an der Sicherheitslage im Frühjahr 2006 spürbar etwas geändert hatte, war er auf einmal überflüssig. AD — Und will man dieses unheimliche Verschwinden aufklären, sagt einem die Polizei freundlich, aber wenig hilfreich: Der Container ist »aus polizeitaktischen Gründen« verschwunden, es sei »alles in Ordnung«.[14] Dabei hat sich doch mit dem Verschwinden des Polizeicontainers in dieser Straße mit dem Raumbild auch die atmosphärische Suggestion von Sicherheit oder Angst verändert, je nachdem, von welcher Seite man es betrachtet. JW — Bei Siegfried Kracauer ist zu lesen: »Jede Gesellschaftsschicht hat den ihr zugeordneten Raum. (...) Jeder typische Raum wird durch typische gesellschaftliche Verhältnisse zustande gebracht, die sich ohne die störende Dazwischenkunft des Bewußtseins in ihm ausdrücken. Alles vom Bewußtsein Verleugnete, alles, was sonst geflissentlich übersehen wird, ist an seinem Aufbau beteiligt. Die Raumbilder sind die Träume der Gesellschaft. Wo immer die Hieroglyphe irgendeines Raumbildes entziffert ist, dort bietet sich der Grund der sozialen Wirklichkeit dar.«[15] Der clusterartige Aufbau unseres Buches stellt ja auch einen Versuch dar, sich dem von uns untersuchten Phänomen durch abrupte Perspektivwechsel auf ganz unterschiedlichen Wegen anzunähern: über bestimmte Einsatzfelder, über konkrete Orte, über typische Gebäudeformen.

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KW — Wir wollten nicht ein auf Vollständigkeit angelegtes Inventar provisorischen und temporären Bauens in Leipzig schreiben, was als Vorhaben ja auch eher müßig wäre. Uns ging es vielmehr darum, an prägnanten Beispielen zu zeigen, in welchen gesellschaftlichen Feldern und auf welche Weise ›Architekturen auf Zeit‹ im großstädtischen Raum verwendet werden. Betrachtet man diese einzelnen Bereiche, dann lassen sich ganz verschiedene Strategien feststellen: Städtische Fürsorge setzt mitunter bewusst temporäre Bauten ein, um Situationen des Unbestimmten zu schaffen und die Dauer des fürsorglichen Handelns offen zu halten, wie wir im Fall der Obdachlosenbaracken gesehen haben. [

Fürsorge, S. 85-87]

Geschäftsleute nutzen ›Architektur auf Zeit‹ mitunter als Anker, der ausgeworfen wird, um sich im nächsten Schritt einen dauerhaften Platz auf dem lokalen Markt zu sichern [ Geschäftssinn, S. 210-221]. Geht diese Strategie nicht auf, lässt sich ein Container schneller wieder aufgeben als ein kostspieliges Ladenlokal. AD — Wobei bei Kleinunternehmern meist auch das verfügbare Startkapital eine wichtige Rolle spielt. Für eine Imbissbude reicht das Geld vielleicht gerade noch, aber die Mietsumme für große Gewerberäume ist für viele von vornherein unbezahlbar. Es ist ja kein Zufall, dass es oft Türken, Vietnamesen und andere Migranten sind, die sich als Familienbetrieb mit Dönerbuden und Asia-Imbissen über Wasser zu halten versuchen. Knappe Kassen und wenige Arbeitsplätze erzwingen Mobilität und flexible Anpassung, oft alternativlos. Wenn eine planende Stadtverwaltung indes ›auf kurze Zeit‹ baut, argumentiert sie besonders gern mit der Figur des Sachzwangs, die oft nur Schutzbehauptung ist.[16] KW — Oder der Griff zum Provisorium wird als kluge Voraussicht erklärt mit dem Argument, dass »auch bei uns Bauleuten alles im Fluß ist« – so hatte das 1949 mal ein Architekt in einer Kunstzeitschrift erläutert.[17] JW — Das »alles im Fluss ist«, mit dieser Formulierung lässt sich ja auch die widersprüchliche Vermischung von Berechenbarkeit und Kontingenz ummanteln, von der Tom Holert und Mark Terkessidis sagen, dass sie »ein entscheidendes Kennzeichen gegenwärtigen Regierens« ist. [

Erstarrte Bewegung, S. 61] Architekturen, die sich leicht

auf und abbauen lassen, werden häufig für zeitlich begrenzte, also ›vorübergehende‹ Unterbringung genutzt. Oft wird mit dem Status der Architektur auch die Lebenssituation der Bewohner identifiziert. Das Temporäre ihres Aufenthalts wurde und wird ihnen – bewusst oder unbewusst – auch in der Art ihrer Unterbringung vor Augen geführt. Die Unterbringung von Migranten in temporären Bauten hat in Deutschland eine lange Tradition. Denn die

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deutsche Einwanderungspolitik ist seit dem 19. Jahrhundert selten auf dauerhafte Integration ausgerichtet, sondern fördert vor allem zeitlich begrenzte Aufenthalte und lässt nur temporäre Bindungen zu.[18] Man könnte sagen, in der Form der Unterbringung in temporären Bauten werden Zeitkonzepte architektonisch umgesetzt, die auf der politischen Ebene bereits ausgeformt wurden. AD — Die zweistöckige Containeranlage in der Raschwitzer Straße, in die 1993 die ersten Flüchtlinge einquartiert wurden, ist hier ein gutes Beispiel. Die mit Fragen der Asylbewerberunterbringung wenig vertrauten Mitarbeiter des Leipziger Sozialamtes hatten die Container von Kollegen aus der Partnerstadt Hannover mit dem Hinweis empfohlen bekommen, diese Architektur diene am effektivsten dem Ziel, Flüchtlinge schnell und billig unterzubringen, ohne dass dabei bleibende Infrastrukturen entstehen. [

Lager, S. 153f.]

Hier zeigt sich etwas, was wir bei vielen dieser temporären Architekturen beobachten konnten: das Prinzip ›schneller sein‹. Im Fall des Containerlagers Raschwitzer Straße heißt das unter anderem, dass die Verwaltung ihr Planungsverfahren abkürzen konnte. So war es der Stadt auch möglich, flexibler auf die schwer abschätzbare Zahl an Zuweisungen von Asylbewerbern aus der Vermittlungsstelle, der Zentralen Erstaufnahmeeinrichtung in Chemnitz, zu reagieren. Dass dieses Kalkül dann oft doch nicht aufgeht, steht auf einem anderen Blatt. KW — Situationen, in denen temporäre Architekturen von der Verwaltung als Werkzeug gebraucht wurden, um bestimmte Dynamiken steuern zu können, lassen sich schon in der Frühzeit der modernen Stadt beobachten. Sie sind unmittelbar mit der Herausbildung des modernen Verwaltungswesens verbunden, wie es Lutz Raphael beschrieben hat.[19] Die Modernisierung der Verwaltung im Verlauf des 19. Jahrhunderts veränderte den Blick auf ›Stadt‹: Der gewachsene, mit bestimmten Traditionen verbundene Ort wurde zunehmend als ein Organismus angesehen, der durch operative Eingriffe an die neuen Sicherheits-, Hygiene- und Segregationsvorstellungen angepasst werden sollte.[20] Funktionale Zonierungen zerlegten den Stadtraum in Bereiche des Wohnens, der Arbeit, des Handels und des Vergnügens, die durch Verkehrsmittel wieder verknüpft wurden. Jeder dieser einzelnen Bereiche besaß seine eigene komplexe Dynamik, die von wachsenden Verwaltungsapparaten erzeugt und gleichzeitig effektiv zu beherrschen versucht wurde. Dabei griff man immer wieder auf temporäre und provisorische Bauten zurück, die jene Zwischenzeiten überbrücken sollten, in denen bestimmte Entscheidungen offen oder divergierende Konzepte noch nicht aufeinander abgestimmt waren. Ich denke dabei zum Beispiel an provisorische Kirchen und Schulbaracken, wie sie nicht nur in Leipzig in schnell

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wachsenden Stadtteilen errichtet wurden. Sie dienten als Platzhalter, bis für das jeweilige Gebäude eine dauerhafte Lösung und für das gesamte Viertel eine langfristige Perspektive ausgearbeitet war. AD — Das heißt, sobald es um langfristige Planungen geht, kommt ›Architektur auf Zeit‹ als Joker mit ins Spiel. So wie beim Kartenspiel der Joker fehlende Karten eines Spieler zu ersetzen hilft, so übernimmt ein temporärer Bau für einen Stadtregierung zeitweilig die Funktionen anderer Gebäude. Wenn Stadtplaner und Architekten sich selbst und ihrer Zeit ein bleibendes Denkmal setzen wollen, dann müssen sie gleichzeitig Kulturtechniken des Provisorischen entwickeln und beherrschen, die es erlauben, Entscheidungen aufzuschieben, Zeit gewissermaßen zu dehnen, ohne dass dabei das Funktionieren einer Stadt wesentlich gestört wird. JW — Das ist sicher ein ganz wichtiger Aspekt. Hier zeigt sich eine Zeit-Strategie, die man als Überbrückung bezeichnen kann. Allerdings lassen sich temporäre Architekturen nicht auf diesen Aspekt reduzieren. Überbrückung findet man vor allem dort, wo es Masterplanung gibt, wo eine Vorgehensweise existiert, die zeitlich vorausgreift und festschreibt. Diese geschlossenen Planungssysteme stehen ja mehr und mehr in Frage, weil sich mit ihnen die Komplexität heutiger Stadtgefüge kaum noch beherrschen lässt. Die Zeit-Strategie, die gegenwärtig die weitaus größere Rolle spielt, ist eine des kurzfristigen Pragmatismus; eine Strategie, die dazu treibt, gleichzeitig unterschiedliche Optionen zu verfolgen, um so für alle möglichen Krisensituationen reaktionsfähig zu sein. KW — Das Wort ›Baustelle‹ ist seit den 1990er Jahren ja geradezu eine Metapher für viele Bereiche der Gesellschaft geworden.[21] In postsozialistischen Städten wie Leipzig, in denen starke Transformationsprozesse ablaufen, finden heute Umbauten oder Umwidmungen in allen Teilen zeitgleich statt, vom Zentrum bis zur Peripherie. Ein Quartier, das noch vor wenigen Jahren einen Aufschwung erlebte, kann sich heute schon wieder im Niedergang befinden. Für diese zyklischen Veränderungen scheinen temporäre Architekturen die anpassungsfähigsten Bauweisen zu sein. Gleichzeitig ist es in der Gegenwart schwieriger zu sagen, was eigentlich ›Architekturen auf Zeit‹ sind. Wenn heute in Leipzig ein Kaufhaus gebaut wird, sei es am Stadtrand oder in der Innenstadt, dann rechnen die Investoren mit einer Nutzungsperspektive von zwanzig bis dreißig Jahren. Andererseits steht in LeipzigProbstheida eine Grundschule aus Containern, bei der die Stadtverwaltung ebenfalls von dreißig Jahren Nutzungsdauer ausgeht. Die ›Lebenszeit‹ von Gebäuden – kurzlebige

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Stahlbetonbauten und langlebige, potenziell mobile Architekturen – scheint sich mehr und mehr anzunähern. JW — Von Zygmunt Bauman stammt die These, dass im Verlauf der Moderne an die Stelle fester Strukturen mehr und mehr flüssige und flüchtige getreten sind. »Wir kennen das aus der eigenen Erfahrung – mit leichtem Gepäck kommt man schneller voran«, heißt es am Beginn seines Buches »Flüchtige Moderne«.[22] Auch für den Bereich der Architektur lohnt es sich, die Geschichte dieser flüchtigen Strukturen genauer zu betrachten. Sie sind ein wesentlicher Aspekt der Stadt der Moderne, und nur die Tatsache, dass man umbauten Raum überwiegend unter dem Aspekt der architektonischen Form und nicht unter dem des Gebrauchs betrachtet, hat dazu geführt, dass temporäre Gebäude so lange übersehen wurden. Wenn sich eine Stadtverwaltung Ende des 19. Jahrhunderts drei transportable Lazarettbaracken angeschafft hat, um beim Ausbruch einer Epidemie schnell reagieren zu können, ist das dann für die Architekturgeschichte der Moderne nicht ebenso wichtig wie die neuartigen Stahlkonstruktionen Gustave Eiffels, die zur selben Zeit entstanden? AD — Lasst uns die Hypothese zuspitzen: Ohne temporäre Architekturen hätte sich das 20. Jahrhundert nicht so dynamisch entfalten können. Denn worum geht es in der Moderne? Zygmunt Bauman deutet es an. Es geht um ›schneller sein‹ – also darum, schneller zu sein als andere: zum Beispiel schneller als andere Armeen, andere Staaten, andere Firmen, als der Kollege usw. Es ist dieser Wettlauf, dieses Konkurrenzdispositiv, das in der Moderne förmlich zu Tempo antreibt und Energien mobilisiert, »die mittels des Dispositivs für die Ökonomie funktionalisiert werden, was den nach Subjekterfahrung Heißhungrigen aber vollständig unbewusst und ggf. piepe ist«.[23] Der berühmte ›Fortschritt‹ ist als neuzeitlicher Kollektivsingular eben ein Bewegungsbegriff. Das mag trivial klingen, aber darin scheint viel von der Energie verborgen zu sein, die wir auch bei unseren Analysen zu den ›Architekturen auf Zeit‹ beobachtet haben. JW — ›Schneller sein‹ ist ein Imperativ industrieller Gesellschaften. »Ökonomie der Zeit, darin löst sich schließlich alle Ökonomie auf«, heißt es bei Marx.[24] Wie aber wird der ZeitGewinn mittels industriell vorgefertigter Architekturen nun konkret realisiert? Vergleicht man die Firmenprospekte von Barackenherstellern am Ende des 19. Jahrhunderts mit Katalogen von Containerfirmen heute, findet man auf diese Frage fast wortwörtlich dieselben Antworten. Das Set der Verkaufsargumente bleibt erstaunlich gleich. Das erste ist meist die Beweglichkeit solcher Architekturen und die Schnelligkeit, mit der sie auf- und abbaubar sind. Das zweite ist ihre Verfügbarkeit, der Fakt also, dass sie jederzeit abrufbar sind. Der

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dritte Punkt ist ihre Nutzerfreundlichkeit. Betont wird fast immer, dass diese Gebäude auch von ungeübten Kräften errichtet werden können, was Auswirkungen auf die Konstruktion hat, die möglichst simpel sein muss. Hinzu kommt als Viertes die Multifunktionalität solcher Bauten, auf die die Anbieter meist schon hinweisen. Oft lässt sich die einfache Grundform durch leichte Modifikationen für die unterschiedlichsten Zwecke und Raumbedürfnisse herrichten. Natürlich sind solche Architekturen, und das wäre der fünfte Punkt, da sie in Großserie produziert werden, auch konkurrenzlos günstig. AD — Schnell, einfach, praktisch, billig – vier Imperative jeder Massenproduktion im Namen des Fortschritts. Fortschritt wurde oft gleichgesetzt mit Beschleunigung, sie sollte die finale Erlösung bringen. Peter Sloterdijk spricht von Fortschritt als »Bewegung zur gesteigerten Bewegungsfähigkeit« und bezeichnet Kinetik als die Ethik der Moderne: »Es gibt keine ethischen Imperative modernen Typus mehr, die nicht zugleich kinetische Impulse wären.«[25] Als wir uns zu Beginn unserer Recherchen fragten, auf welche Probleme der Gesellschaft die zerlegbare, transportable Baracke eine Antwort gewesen ist, liefen etliche unserer Überlegungen auf dieses vielstimmige Begehren nach »gesteigerter Bewegungsfähigkeit« hinaus. Mit der temporeichen modernen Kriegsführung, den neuen Reichweiten der Waffen, den massenhaft auftretenden Verletzten und einem neuen internationalen Kriegsrecht wurden die Forderungen von Militärs, Ärzten und Gesundheitsreformern nach ortsunabhängigen und sofort zu errichtenden Lazarett-Baracken immer lauter. Betrachtet man dann die Details im Zusammenhang, gelangt man rasch zu hochbrisanten Aspekten der Analyse von Macht und Herrschaft: politische und soziale Einund Ausschlüsse, Diskriminierungen, biopolitische Strategien, internationale Rechte und Standards, Fragen der Hygiene und Sicherheit. KW — Aus der Interaktion von Industrie, Verwaltung und Militär entstand im späten 19. Jahrhundert ein regelrechter Markt für temporäre Bauten: in der Fabrik vorgefertigte, einheitliche Gebäude, die jederzeit verfügbar und sofort benutzbar sein sollten. Ein wichtiger Impuls dafür war der internationale Barackenwettbewerb, der auf der Weltausstellung in Antwerpen 1885 stattfand. Eine Jury aus europäischen Militärärzten und hohen Funktionären des Internationalen Roten Kreuzes wählte aus zahlreichen Vorschlägen die zerlegbare Doecker-Baracke als das am besten geeignete »Bauwerk zur Behandlung von Verwundeten und Infektionskranken für Kriegs- und Friedenszwecke« und versuchte damit einen internationalen Raum-Standard zu setzen.

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AD — Dieses Ereignis steht in einer Reihe internationaler Standardisierungsbemühungen des späten 19. Jahrhunderts, zu denen beispielsweise auch die Einführung der Weltzeit gehört. Es sind Zeit-, Raum- und Technikstandards, die es ermöglichen sollten, dass sowohl in Kriegs- als auch Friedenszeiten alles noch einfacher, schneller, vor allem berechenbarer zirkulieren kann.[26] Aber ich möchte noch einen Schritt weiter gehen, hin zu normativrechtlichen und biopolitischen Fragen, also den weniger offensichtlichen Motiven. Wenn um 1880 transportable Baracken oder um 1970 Wohncontainer an der Schnittstelle von unternehmerischen und staatlichen Interessen entwickelt wurden, dann gehen damit auch sozial-rechtliche Normalisierung und zugleich Entstaatlichungen der Raumproduktion auf der Ebene des Rechts einher. Nicht mehr ein vom Parlament verabschiedetes Gesetz, sondern so genannte Experten aus industriellen Verbänden legen DIN-Normen fest, die Regierungen dann bereitwillig durchzusetzen helfen. Bis es nach einer Phase der Einführung temporärer Architekturen alle mehr oder weniger ›normal‹ und akzeptabel finden, dass zum Beispiel Asylbewerber in einem genormten Stahlcontainer ihren einstweiligen ›Platz‹ außerhalb der Gesellschaft finden. KW — Ein Punkt, auf den unsere Beschäftigung mit ›Architekturen auf Zeit‹ immer wieder hinausläuft, ist ihr konkreter Gebrauch. Ähnlich wie Computer sind es universell nutzbare Werkzeuge, die unterschiedlichste Funktionen übernehmen können. So wurden transportable Baracken unter anderem für Krankenhäuser, Schulen, Kindergärten, Kirchen, Arbeiterunterkünfte, Kasernen, Flüchtlingslager oder Konzentrationslager verwendet. Oft lassen sich sogar in der Nutzungsgeschichte ein und desselben Gebäudes solche Mehrfachverwendungen finden. Uns hat aber auch interessiert, die stadträumlichen Dynamiken zu zeigen, die mit Gebäuden wie Baracken oder Containern verbunden sind. Was heißt es konkret, einen Ort zeitweilig zu besetzen? Welche neuen Handlungsspielräume werden durch temporäre Architekturen geschaffen? Mit welchen Zeitperspektiven rechnen der Staat, städtische Behörden, Unternehmen oder Einzelpersonen, wenn sie sich für solche Gebäude entscheiden? AD — Hier lohnt die Erinnerung an die vielleicht berühmteste Baracke Deutschlands, die ›SPD-Baracke‹. Die stand einmal in Bonn am Rhein, ein Flachbau aus Holz in Plattenbauweise, in dem die SPD-Parteispitze 1951 ihr Quartier in der umstrittenen Bundeshauptstadt bezog. Einigkeit bestand damals allein in dem Glauben, Bonn sei nur eine provisorische Hauptstadt, die bei einer bald erwarteten Wiedervereinigung von Berlin abgelöst werden könnte. Erst 1975 weihten die Sozialdemokraten in Bonn das ›ErichOllenhauer-Haus‹ ein – den Namen ›Baracke‹ verlor die SPD-Parteizentrale allerdings bis

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heute nicht. Provisorische Architektur als Stellvertreter-Architektur ist immer auch politisches Statement, mal intendiert, mal unfreiwillig. Aus Teilen dieses Holzbaus ist Mitte der 1970er Jahre übrigens bei Travemünde ein Erholungsheim der Arbeiterwohlfahrt errichtet worden, das bis heute existiert. Was meint ihr, wenn sich heute eine neue Partei gründen würde: Könnte sie ihren ersten Sitz in einem Containerbau etablieren bei all den politischen Fallstricken, die mit dem Container als Ikone globalisierten Handels verbunden sind? KW — Vermutlich würde sie nicht auf herkömmliche ISO-Container zurückgreifen. Die Hersteller von Containerbauten bieten heute Lösungen an, die mit ihren Vorhangfassaden optisch nicht mehr an Frachtcontainer erinnern und sich zu komplexen ›Systembauten‹ kombinieren lassen. Sie werden für ganz verschiedene Zwecke eingesetzt, vom Kindergarten bis zum Truppenlager der Bundeswehr im Auslandseinsatz, warum nicht auch mit der entsprechenden Fassade als politischer Repräsentationsbau. Dein Gedankenspiel zeigt aber, wie sehr politische Codierungen temporären Bauten impliziert sein können. Nehmt den Pavillon der Nationalen Front, der auf dem Leipziger Marktplatz stand. Als am 17. Juni 1953 auch in Leipzig gegen die staatlichen Arbeitsnormerhöhungen protestiert wurde, zündeten Demonstranten den Pavillon an. Das war bestimmt nicht nur als Angriff auf eine temporäre Architektur gemeint, sondern auf den Staat, den der Pavillon repräsentierte. JW — Und dennoch wäre es ein Trugschluss, solche Codierungen als fix anzusehen. Da wir schon einmal dabei sind: ein Besuch im Big Brother-Container diente Guido Westerwelle im Wahlkampf 2002 als Höhe- oder besser gesagt Tiefpunkt des FDPSpaßwahlkampfs. Container können im wörtlichen und im übertragenen Sinn Behälter für alle möglichen Inhalte sein. Was an ihnen politisch ist, ist wohl eher ihre Vagheit und Unverbindlichkeit, die auch die unterschiedlichsten Besetzungen zulässt. Das hat nicht erst Christoph Schlingensiefs Container-Aktion »Ausländer raus!« 2001 in Wien klar gemacht.[27] AD — Diese Vagheit, die, zugespitzt formuliert, auch auf der symbolischen Ebene in eine Eigenschaftslosigkeit umschlagen kann, ist vielleicht das stärkste Kennzeichen und ein Grund mehr, warum es so schwer ist, diese Blechbox wie andere mobile oder auch nur temporäre und provisorische Gebäude auf den Begriff zu bringen. Robert Venturi spricht in »Learning from Las Vegas« vom Kiosk als ›decorated shed‹: Wieder ist es das Zeichen, die Oberfläche, weniger der Gebrauch der Räume, der interessiert. Ihr hattet ja bereits angedeutet, dass die Architektur- und Designgeschichte bislang meist doch nur die schrillen und effektheischenden Oberflächen und Formen von Pavillons, Kiosken oder mobilen Wohnmodulen ausgeleuchtet hat. Am ehesten haben bislang noch empirische Stadt- und

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Alltagsforscher und Fotografen versucht, über die Architektur hinaus ein paar kulturhistorische oder soziale Facetten sichtbar zu machen. Das ist wohl in der KioskForschung am deutlichsten geworden, wobei das nicht notwendig temporäre Gebäude sein müssen.[28] KW — In der Architekturgeschichte bleibt das Interesse oft leider nur auf die formalen Aspekte temporärer, provisorischer oder mobiler Bauten beschränkt. Und erstaunlicherweise stehen selten solche Gebäude im Mittelpunkt, die auch realisiert wurden. Vielmehr scheint von utopischen Projekten wie Richard Buckmister Fullers »Dymaxion House« oder Archigrams »Plug-In-City« eine größere Faszination auszugehen. In hohen Stückzahlen realisierte ›Architekturen auf Zeit‹ hingegen sind – wenn überhaupt – meist ein Thema am Rand. Wer kennt schon die transportablen Wohnhäuser für die Arbeiter der Tennessee Valley Authority (TVA) oder die Tafelbauten der Christoph & Unmack AG?[29] AD — Es ist wirklich paradox. Auch Designer und Künstler scheinen oft vom Charme und den Abgründen des Informell-Nomadischen fasziniert zu sein und wollen zum Beispiel Obdachlosen durch »robuste Kapseln« als einem »neuen Statussymbol« mehr gesellschaftliche Aufmerksamkeit verschaffen. Im Programm vom »Designmai 2006«, dem Berliner Internationalen Designfestival, habe ich jetzt folgendes über »Wohnsysteme für Obdachlose und andere urbane Nomaden« gelesen: »Mit den Instant Housings wird Raum zur Verfügung gestellt, der in erster Linie als Schlafplatz dient, der aber auch immer Kunstraum ist.« Konkret handelt es sich um Blechgehäuse, die gar nicht verleugnen wollen, dass sie auch wieder als rollbare Mülltonnen genutzt werden könnten. Mit einem Computer ausgestattet sollen sie auch als »transportabler Arbeitsplatz« geeignet sein. Man sieht schon förmlich die Figuren aus René Pollesch-Stücken da rein kriechen. Sicher, mit diesen Tonnen will der Designer keine Lösung des Obdachlosen-Problems bieten. Er will provozieren, wie Krysztof Wodiczko mit seinem »Homeless Vehicle Project« in New York bereits fünfzehn Jahre früher, gleichzeitig aber doch irgendwie dem Bedürftigen die Chance geben, einen Ort in der Stadt »sein Eigen zu nennen, indem er eines der Instant Houses besetzt.«[30] Was solche Design-Antworten auf die funktionalen Leerstellen der Gesellschaft meist zeigen, ist ein Desinteresse für die politische und soziale Geschichte temporärer Architekturen, insbesondere der ihres massenhaften Gebrauchs. Das Wissen um diese Geschichte kann vielleicht sensibler machen für die Schattenseiten von Strategien, mit denen soziale Probleme (design-)technisch statt politisch beantwortet werden.

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JW — Was auffällt, ist eine Diskrepanz in der Wahrnehmung temporärer Architektur. Bis heute ist die architekturhistorische Vorstellung davon, was umbauter Raum ist, sehr einseitig auf feste Bauten ausgerichtet. Wahrgenommen wird, was massiv, dauerhaft und unflexibel ist; ausgeblendet wird in den meisten Fällen, was beweglich, temporär und leicht demontierbar ist. Oder in welchem Überblickswerk zur Geschichte der modernen Architektur kommen zum Beispiel Baracken bzw. Container vor? Richard Sennett überschreibt ein Kapitel in seinem Buch »Der flexible Mensch« mit »Unlesbarkeit«. Ich denke, viele der Architekturen, mit denen wir uns beschäftigen, könnten in diesem Sinne auch unlesbar werden, weil die etablierte Methode, Architekturen und Räume zu denken und entziffern, anderen Regeln folgt. Sicher, man hat in den letzten Jahren wieder begonnen, sich dafür zu interessieren, wie Gebäude gebaut sein müssten, damit sie »flexibel genug sind, um sich den momentanen Bedürfnissen anzupassen«, wie Hans Ulrich Obrist über den »Fun Palace« von Cederic Price schreibt, bei dem »Zeit – neben der Breite, Länge und Höhe – die vierte Dimension von Design ist«.[31] Aber auch dieses Beispiel zeigt eher, wie kurzsichtig die Wahrnehmung von Zeitkonzepten im Zusammenhang mit Architektur nach wie vor ist. AD — Unlesbarkeit der Stadt ist ja aus Sicht des Staates vor allem eine Herausforderung für seine Sicherheits- und Machtansprüche. Dafür hat er bereits frühzeitig Lösungsstrategien entwickelt, die zu einer neuen Lesbarkeit führten: Das sind vor allem »rasterförmige Erfassungen« (Gilles Deleuze). Raster sind ganz wesentliche Elemente in der Kartografie, in der Anlage von Siedlungen, aber auch in der Registrierung von Vornamen, der Statistik, der Zentrierung von städtischen Verkehrswegen.[32] »Ordnung ist aller Raster Anfang«, schrieb der Architekturkritiker Julius Posener.[33] Die rasterförmige Erfassung von Menschenmassen ermöglicht den präzisen Zugriff auf Einzelne.[34] Es geht dabei um Adressierung: Jeder Punkt im Planquadrat des Rasters ist eindeutig definiert, gleich ob es sich um Baracken in einem Lager handelt oder Menschen, die einzelnen ›Blöcken‹ zugeordnet sind und eine ›Adresse‹ erhalten. Und dennoch ersetzt diese Perspektive, die uns die Bedeutung von Rasterung vor Augen führt, nicht den Blick auf Details im Innenleben temporärer Architekturen. Individuelle Aneignungen zu rekonstruieren, ist eine schwierige Aufgabe. Auch uns ist das hier nur punktuell möglich gewesen. Aber soviel ist sicher: Ein und dieselbe RAD-Baracke konnte für die einen in bestimmten Situationen Freiheit und Glück bedeuten, für andere Elend und Tod. Es ist der konkrete Gebrauch, nicht die Architektur oder Technik ›an sich‹, der wichtige Schlüsse auf die Gesellschaft zulässt.

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1 Dazu allgemein: Gabriele Bickendorf, Hotel, Passage, Warenhaus. Urbaner Lebensstil und neue Konsumformen, Heidelberg 1992; Helmut Frei, Tempel der Kauflust. Eine Geschichte der Warenhauskultur, Leipzig 1997. 2 Siehe dazu Kaye Geipel, Tradition der kurzen Dauer, in: ARCH+, Tokyo – Megapolis des organisierten Deliriums, 2:123 (1994), S. 38. 3 Marina Dmitrieva, Ephemere Architektur in Krakau und Prag. Zur Inszenierung von Herrschereinzügen in ostmitteleuropäischen Metropolen, in: dies., Karen Lambrecht, Krakau, Prag und Wien. Funktionen von Metropolen im frühmodernen Staat, Stuttgart 2000, S. 255-281. 4 Die smart beach tour machte im Mai 2006 auf dem Leipziger Augustusplatz Station. 5 Georg Franck, Mentaler Kapitalismus. Eine politische Ökonomie des Geistes, München/Wien 2005. 6 Neben Michel Foucaults eigenen Arbeiten zur Gouvernementalität siehe auch: Ulrich Bröckling, Susanne Krasmann, Thomas Lemke (Hg.), Glossar der Gegenwart, Frankfurt/Main 2004; Sven Opitz, Gouvernementalität im Postfordismus. Macht, Wissen und Techniken des Selbst im Feld unternehmerischer Rationalität, Hamburg 2004; Boris Michel, Stadt und Gouvernementalität, Münster 2005. 7 Siehe dazu Dirk van Laak, Infra-Strukturgeschichte, in: Geschichte und Gesellschaft 27:3 (2001), S. 367–393 sowie ders., Imperiale Infrastruktur. Deutsche Planungen für eine Erschließung Afrikas 1880 bis 1960, Paderborn 2004. 8 Martin Wagner, Zur Ökonomie von Städtebau und Bauwirtschaft, in: Siegfried v. Kardorff, Hans Schäffer, Götz Briefs, Hans Kroner (Hg.), Der internationale Kapitalismus und die Krise. Festschrift für Julius Wolf zum 20. April 1932, Stuttgart 1932, S. 361–367. 9 Zum Begriff des Provisorischen siehe u. a. Immanuel Chi, Provisorische Artefakte, in: Immanuel Toshihito Chi, Susanne Düchting, Jens Schröter (Hg.), ephemer – temporär – provisorisch, Essen 2002, S. 53–62; zu temporären Nutzungen in der Stadt siehe auch dérive – Zeitschrift für Stadtforschung 4:14 (Dezember 2003) sowie Antje Havemann, Margit Schild, Der Nylonstrumpf als temporäre Aktion – oder: Was können Provisorien? in: dérive – Zeitschrift für Stadtforschung 6:21/22 (Januar 2005). 10 Katja Heinecke, Jan Wenzel für Experimentale e. V. (Hg.), Heimat Moderne, Berlin 2006, Index 11–14. 11 Matthias Ludwig, Mobile Architektur. Geschichte und Entwicklung transportabler und modularer Bauten, Stuttgart 1997; Courtenay Smith, Sean Topham, Xtreme Houses, München/Berlin/London/New York 2002; Liesbeth Melis (Hg.), Parasite Paradise. A Manifesto for Temporary Architecture and Flexible Urbanism, Rotterdam 2003. 12 Rudolf Arnheim, Die Dynamik der architektonischen Form, Köln 1980 (zuerst engl. 1977), S. 150. 13 Zu dieser Perspektive siehe als sehr nützliche Zusammenfassung der Forschung: Alf Lüdtke (Hg.), Lager – Lagerleben – Überleben? = SOWI (Sozialwissenschaftliche Informationen) 29:3 (2000). 14 Auskunft von Birgit Schlegel, Pressesprecherin der Polizeidirektion Leipzig, 09.06.2006. 15 Siegfried Kracauer, Über Arbeitsnachweise (zuerst 1929), in: ders., Straßen in Berlin und anderswo, Berlin 1987, S. 52–59, hier S. 52. 16 Willibald Steinmetz, Anbetung und Dämonisierung des ›Sachzwangs‹. Zur Archäologie einer Redefigur, in: Michael Jeismann (Hg.), Obsessionen. Beherrschende Gedanken im wissenschaftlichen Zeitalter, Frankfurt/Main 1995, S. 293–333. 17 Günther Kühne, Provisorium oder Dauerbau? in: Bildende Kunst 3 (1949), S. 125. 18 Saskia Sassen, Migranten, Siedler, Flüchtlinge. Von der Massenauswanderung zur Festung Europa, Frankfurt/Main 1996, S. 74.

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19 Lutz Raphael, Recht und Ordnung. Herrschaft durch Verwaltung im 19. Jahrhundert, Frankfurt/Main 2000. 20 Heide Berndt, Das Gesellschaftsbild bei Stadtplanern, Stuttgart/Bern 1968. 21 Franz Pröfener (Hg.), Zeitzeichen Baustelle. Realität, Inszenierung und Metaphorik eines abseitigen Ortes, Frankfurt/Main/New York 1998. 22 Zygmunt Bauman, Flüchtige Moderne, Frankfurt/Main 2003 (zuerst engl. 2000), S. 21. 23 Jürgen Link, Kleines Begriffslexikon/Dispositiv (interdiskursives), in: kultuRRevolution. Zeitschrift für angewandte Diskurstheorie 11 (Februar 1986), S. 71. 24 Zitiert nach: Wohnung, Siedlung, Lebensweise. Aus Werken und Briefen von Karl Marx und Friedrich Engels, Ausgewählt und bearbeitet von Gerhard Schmitz, Berlin 1980, S. 289. 25 Peter Sloterdijk, Eurotaoismus. Zur Kritik der politischen Kinetik, Frankfurt/Main 1989, bes. S. 32ff., hier S. 36. 26 Siehe dazu Frank Haase, Die Beschleunigung des Nachrichtenflusses: Telegraphie, Funk, Fernsehen, in: Georg Christoph Tholen, Michael Scholl, Martin Heller (Hg.), Zeitreise: Bilder, Maschinen, Strategien, Rätsel, Basel/Frankfurt/Main 1993, S. 161–170. 27 Schlingensiefs Ausländer raus. Bitte liebt Österreich, Dokumentation von Matthias Lilienthal, Claus Philipp, Frankfurt/Main 2000. 28 Willy Römer, Ambulantes Gewerbe Berlin 1904–1932, Berlin 1983; Wolfgang Baumann, Harald Kimpel, Friedrich Wilhelm Kniess, Schnellimbiss. Eine Reise durch die kulinarische Provinz, Marburg 1980; Hermann Sturm, Alltagsarchitektur. Dargestellt am Beispiel Buden, in: Deutscher Werkbund e. V. (Hg.), Werk und Zeit 2:6 (Darmstadt 1981); Elisabeth Neumann, Kiosk. Entdeckungen an einem alltäglichen Ort. Vom Lustpavillon zum kleinen Konsumtempel, Marburg 2003; Frankfurter Wasserhäuschen. Fotografien von Martin Starl, Frankfurt/Main 2003; Jon von Wetzlar, Christoph Buckstegen (Hg.), Urbane Anarchisten. Die Kultur der Imbissbude, Marburg 2003; Peter Arlt, Jens Fischer, Benjamin Foerster-Baldenius, Kioskisierung. 29 Kioskmonografien aus 4 osteuropäischen Plattenbaugebieten, Berlin 2005. 29 Zu den transportablen TVA-Häusern: John Gloag, Grey Wornum, House out of Factory, London 1946, S. 59–64; Zu den Fertigteilhäusern der Christoph & Unmack AG und anderen vorgefertigten Wohnbauten aus der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts siehe: Kurt Junghanns, Das Haus für alle. Zu Geschichte der Vorfertigung in Deutschland, Berlin 1994. 30 Transform Berlin e. V., Mateo Kries (Hg.), Designcity. Design for Urban Space and the Design City Discussion, Berlin 2006, S. 153f. und S. 209f. Siehe auch http://www.winfried-baumann.de, 20.05.2006. 31 Hans Ulrich Obrist, Cederic Price, in: Philipp Misselwitz, Hans Ulrich Obrist, Philipp Oswalt (Hg.), Fun Palace 200X. Der Berliner Schlossplatz, Abriss, Neubau oder grüne Wiese?, Berlin 2005, S. 89. 32 James C. Scott, Seeing Like a State. How Certain Schemes to Improve the Human Condition Have Failed, New Haven/London 1998, bes. S. 53ff. 33 Julius Posener, Spaziergang in B.B.R., in: ders., Aufsätze und Vorträge 1931–1980, Braunschweig/Wiesbaden 1981, S. 169–173, hier S. 172. 34 Bernhard Siegert, (Nicht) Am Ort. Zum Raster als Kulturtechnik, in: Thesis. Wissenschaftliche Zeitschrift der Bauhaus-Universität Weimar 49 (2003), S. 92–104.

© Die Autoren und b_books Verlag (Berlin)

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Weitere Literatur zum Thema

Werner Oechslin, Sonja Hildebrand (Hg.) Karl Moser; Architektur für eine neue Zeit, 1880 bis 1936 Verlag gta, 2010 ISBN 978-3-85676-250-6

Badener Neujahrsblätter Band 87 (2012): „Meet the Browns“ Herausgeber: Literarische Gesellschaft Baden; Vereinigung für Heimatkunde des Bezirks Baden http://retro.seals.ch/digbib/voltoc?pid=ban-001:2012:87

Arch plus : Zeitschrift für Architektur und Städtebau Ausgabe 107, 3-1991

Der Pavillon: Lust und Polemik in der Architektur Herausgeber: Peter Cachola Schmal Verlag Distributed Art Pub Incorporated, 2009 ISBN 377572494X, 9783775724944

Chi, I. (2002). Ephemer – temporär – provisorisch, Klartext, Essen.

Dossmann, A., Wenzel, J. und Wenzel, K. (2006). Architektur auf Zeit. Baracken, Pavillons, Container. metroZones 7, b_books, Berlin.

Feuerstein, C. und Fitz, A. (2009). Wann began temporär? Frühe Stadtinterventionen und sanfte Stadterneuerung in Wien, Springer-Verlag, Wien.

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Konrad Wachsmann Wendepunkt im Bauen Dresden : Verlag der Kunst 1989

Kronenburg, R.H. (2002). Houses in Motion: The Genesis, History and Development of the Portable Building, Wiley-Academy.

Jun‘ichiro Tanizaki: Lob des Schattens. Entwurf einer japanischen Ästhetik. Manesse 2010

Otto Friedrich Bollnow: Mensch und Raum. 6. Auflage. Stuttgart Berlin Köln 1963

Aldo Rossi: Wissenschaftliche Selbstbiographie. Bern Gachnang & Springer 1991

Colin Rowe, Robert Slutzky: Transparenz. Kommentar von Bernhard Hoesli und Einführung von Werner Oechslin. Basel 1997

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Biographien Dozierende

Alain Roserens 1967 1996 1996 - 1998 1998 1998 - 2003 2003 2005 2010 -

geboren in Zürich Diplom ETH Zürich bei Prof. Flora Ruchat Bürogemeinschaft mit Samuel Bünzli und Simon Courvoisier Architekturbüro in Zürich mit Lorenz Baumann Diplomassistent bei Prof. Adrian Meyer, ETH Zürich Mitglied Kommission SIA 142 (Arch/Ingenieurwettbewerbe) Vorstand Architekturforum Zürich Dozent für Entwurf und Konstruktion ZHAW

Marc Loeliger 1965 1991 1991 1991 - 1992 1993 - 1997 1997 1998 - 2004 2005 -

geboren in Zürich Diplom ETH Zürich bei Prof. Flora Ruchat Mitarbeit bei Meili, Peter Architekten, Zürich Mitarbeit bei Bétrix Consolascio Architekten, Erlenbach Mitarbeit bei Peter Zumthor, Haldestein Architekturbüro in Zürich, ab 1999 mit Barbara Strub Assistentz Lehrstuhl Prof. Adfrian Meyer, ETH Zürich Dozent für Entwurf und KOnstruktion ZHAW

Eberhard Tröger 1969 1990 - 1996 1999 - 2001 2005 2006 - 2013 2010 2013 2014 -

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geboren in Hof, Saale (D) Architekturstudium an der TU Berlin Postgraduate Master am Institut gta der ETH Zürich Architekt, Hochschullehrer, Autor und Künstler in Zurich Assistent Architektur und Entwurf an der ETH Zürich Generalkommissar des Deutschen Pavillons an der ArchitekturBiennale in Venedig Dozent ür Gestalten und Visualisieren an der ZHAW Dozent für „Spatial Design“ an der ZHdK Autor verschiedener Bücher und Artikel in Fachzeitschriften (neuestes Buch „Dichte Atmosphäre“)


Josef Kurath 1987 1991 1991 1998 2000 2001 2006

Daniel Tschudy 1963 1991 1996 2007 2010 2010 2014

Diplom als Bauingenieur HTL am Technikum Winterthur Ingenieurschule Diplom als Bauingenieur ETH an der ETH Zürich Laufende Weiterbildung in Kursen, Seminarien Gründung Ingenieurbüro Staubli, Kurath & Partner AG Dozent an der Zürcher Hochschule Winterthur Gründung Swissfiber AG Forschung und Entwicklung im Bereich FVK an der ZHW Verleihung Professorentitel

geboren Dipl. Arch. ETH Zürich 1991 (MSc ETH) PGD Light Engineering TU Ilmenau Dozent Lichttechnik am Lehrstuhl Gebäudetechnik ETHZ MBA International Business USQ, University of Southern Queensland, 2010 Bereichsleiter & Partner / Mitglied GL A+W Holding Dozent MAS ETH integrated building systems

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Semesterablauf HS 2014/15

Ephemere Räume

Semesterablauf, Termine und Anforderungen

KW

Datum

38

15.09.14

16.09.14

Mo

Di

Zeit

Veranstaltungsart

Themen

Dozierende

09:00

Einführung

Begrüssung, Organisation

Alain Roserens, Marc Loeliger

10:00

Inputvortrag

Synchrones Entwerfen

Marc Loeliger

11:00

Atelierdiskurs

Kunst-Raum

Eberhard Träger

09:00

Inputvortrag

Fröbel und der Privatgarten

Claudia Moll

10:00

Inputvortrag

Bauliche Geschichte Langmatt

Thomas Gnägi

11:00

Besichtigung Bauplatz

Museum Langmatt

Noël Cordier

16:00

Atelierdiskurs

Leichtbau als Tragwerk

Sepp Kurath

39

40

Study Week 1 22.09.14

Mo

23.09.14

Di

24.09.14

Mi

25.09.14

Do

26.09.14

Fr

29.09.14

Mo

30.09.14

Di

Atelierbetrieb

Atelierarbeit

09:00

Atelierdiskussion GA

Kunst-Raum

Eberhard Träger

15:00

Zwischenbesprechung

Leichtbau als Tragwerk

Sepp Kurath

Atelierbetrieb

Atelierarbeit

Inputvortrag AQ

Mobile Architekturen

Atelierbetrieb

Atelierarbeit

17:30

Blauer Montag

Vortrag

Markus Peter

09:00

Atelierdiskussion GA

Leichtbau als Tragwerk

Sepp Kurath

10:00

Tischbesprechungen 41

42

43

44

Alain Roserens

06.10.14

Mo

Atelierbetrieb

07.10.14

Di

Tischbesprechungen

13.10.14

Mo

Atelierbetrieb

Atelierarbeit

Blauer Montag

Vortrag

17:30

Annette Spillmann, Harald Echsle

Atelierarbeit Alain Roserens

Lisa Euler, Tanja Reimer

14.10.14

Di

1. Zwischenkritik GA

20.10.14

Mo

Atelierbetrieb

Atelierarbeit

20.10.14

Mo

Atelierdiskurs GA

Licht-Raum

21.10.14

Di

Tischbesprechungen

27.10.14

Mo

Atelierbetrieb

Atelierarbeit

27.10.14

Mo

14:00

Atelierdiskussion GA

Licht-Raum

Daniel Tschudi

17:30

Blauer Montag

Vortrag

Jean-Piere Dürig

28.10.14

15.09.2014 118

Di

15:00

Tischbesprechungen

Daniel Tschudi Alain Roserens

Alain Roserens

1


45

46

Study Week 2 03.11.14

Mo

04.11.14

10:00

Seminarreise

Berlin - Räume für die Kunst

A. Roserens, M. Loeliger

Di

Seminarreise

Berlin - Räume für die Kunst

A. Roserens, M. Loeliger

05.11.14

Mi

Seminarreise

Berlin - Räume für die Kunst

A. Roserens, M. Loeliger

06.11.14

Do

Seminarreise

Berlin - Räume für die Kunst

A. Roserens, M. Loeliger

07.11.14

Fr

10.11.14

Mo

17:00

17:30

47

48

„Langer Tisch“ Halle 180 Atelierbetrieb

Atelierarbeit

Blauer Montag

Vortrag

11.11.14

Di

Tischbesprechungen

17.11.14

Mo

Atelierbetrieb

18.11.14

Di

2. Zwischenkritik AQ

24.11.14

Mo

Atelierbetrieb

25.11.14

Di

Tischbesprechungen

25.11.14

Di

01.12.14

Gion A. Caminada Alain Roserens

Atelierarbeit

Atelierarbeit Alain Roserens

Inputvortrag GA

Projekte für die Kunst

Mo

Atelierbetrieb

Atelierarbeit

02.12.14

Di

Tischbesprechungen

08.12.14

Mo

Atelierbetrieb

09.12.14

Di

Tischbesprechungen

51

16.12.14

Di

3. Zwischenkritik AQ

52

22.12.14

Mo

Unterrichtsfreie Zeit

23.12.14

Di

Unterrichtsfreie Zeit

29.12.14

Mo

Unterrichtsfreie Zeit

30.12.14

Di

Unterrichtsfreie Zeit

05.01.15

Mo

Atelierbetrieb

06.01.15

Di

Tischbesprechungen

09.01.15

Fr

Schlussabgabe

12.01.15

Mo

Schlusskritik

Gäste

13.01.15

Di

Schlusskritik

Gäste

15.01.15

Do

Besp. Nachbereitung

16.01.15

Fr

Ende Herbstsemester

49

50

53

02

03

17:00

A. Roserens, M. Loeliger

Alain Roserens

Alain Roserens Atelierarbeit Alain Roserens

Atelierarbeit Alain Roserens

119

15.09.2014

2


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