Jan Brecke: So wollen Top-Talente arbeiten.

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Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. Jan Brecke So wollen Top-Talente arbeiten Handlungsempfehlungen für eine Unternehmenskultur der Zukunft Frankfurter Societäts-Medien GmbH Frankenallee 71–81 60327 Frankfurt am Main Geschäftsführung: Oliver Rohloff 1. Auflage Frankfurt am Main 2015 ISBN 978-3-95601-085-9

Lizenzausgabe für die Schweiz: Verlag Neue Zürcher Zeitung, Zürich 2015 ISBN 978-3-03810-048-5 www.nzz-libro.ch NZZ Libro ist ein Imprint der Neuen Zürcher Zeitung

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Inhaltsverzeichnis Vorwort 7 I. Megatrends und ihre Auswirkungen auf die Arbeitswelt 2025 1. Der Begriff Megatrend 2. Megatrends mit Auswirkungen auf die Arbeitswelt 3. Neue Technologien und das Internet der Dinge 4. Deutsche Arbeitsmarkt-Spezifika 5. Schwarze Schwäne Leitfragen und Empfehlungen

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II. Fünf Generationen unter einem Firmendach 1. Beschreibung der Generationen 2. Die Generation Y 3. First Digitals 4. Gen Y in den BRIC-Staaten Leitfragen und Empfehlungen

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III. Komponenten stimmiger Unternehmenskultur 1. Definition von Unternehmenskultur 2. Grundlegende Konzepte der Unternehmenskultur 3. Unternehmenskultur, Vision und Leitbild 4. Was tut man gegen die Bürokratie? 5. Unternehmenskultur im deutschen Mittelstand 6. High Performance Organisationen 7. Beispiele für innovative Führungskulturen Leitfragen und Empfehlungen

48 48 49 52 61 64 65 71 75

IV. Die Führungskraft der Zukunft 1. Führung 2. Elementare Führungsmodelle 3. Elementare Führungstechniken 4. Führen über Ziele und Leistungsbewertung 5. Charakteristika der idealen Führungskraft Leitfragen und Empfehlungen

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V. Arbeitszufriedenheit und Mitarbeiter­motivation 1. Arbeitszufriedenheit 2. Mitarbeitermotivation Leitfragen und Empfehlungen

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VI. Rekrutierung von Top-Talenten 115 1. Personalauswahl 115 2. Talent Relationship Management und Employer Branding 118 3. Charakteristika von Hochbegabten und zukünftigen Potentialträgern 122 Leitfragen und Empfehlungen 127 VII. Karriere-, Talent- und Performance-Management 128 1. Karriere-Management in der Praxis 128 2. Alternative Karrieremodelle 132 3. Aufbau eines stimmigen Talent-Managements 132 4. Performance-Management 140 5. Der Zyklus von Zielvereinbarung, Leistungsbeurteilung und Vergütung 142 Leitfragen und Empfehlungen 149 VIII. Lebenslanges Lernen: Führungskräfte-, Talent- und Innovationsprogramme 150 1. Bestandsaufnahme der Weiterbildung 150 2. Ideales Lernen 152 3. Leadership Development 156 5. Aufbau einer leistungsorientierten Innovationskultur 170 6. Sinnvolle Kennzahlen zur Messung von Lernerfolgen 176 Leitfragen und Empfehlungen 178 IX. Kulturwandel und wie der Weg in eine Vertrauenskultur gelingt 1. Grundlegende Konzepte des Wandels 2. Kulturdiagnose – wie man der Unternehmenskultur auf die Spur kommt Leitfragen und Empfehlungen

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X. Fazit und Ausblick in die Zukunft Leitfragen und Empfehlungen

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Literatur 198 Der Autor

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Vorwort Die Schnelligkeit, mit der sich Veränderungen im 21. Jahrhundert vollziehen, kann je nach Betrachtung beeindruckend oder erschreckend sein. Über die komplette globale Vernetzung entwickeln sich Trends in solch einem atemberaubenden Tempo, dass komplette Business-Modelle, Industrien oder ehemals absolut gesunde und profitable Unternehmen innerhalb kürzester Zeit in existenzbedrohende Situationen kommen, weil sich ihre Unternehmenslenker nicht schnell genug auf neue Voraussetzungen eingestellt haben. Dennoch zwingen diese künftigen Herausforderungen jetzige und kommende Unternehmensführer zum Handeln. Die Arbeitnehmer werden künftig viel klarer erkennen und beeinflussen können, welches Unternehmen ihre Vorstellungen einer werteorientierten Führung am ehesten verwirklicht. Der Grund dafür liegt auf der Hand: Es hat ein Wandel von einem arbeitgeberorientierten Markt zu einem Arbeitnehmermarkt stattgefunden. Die Arbeitnehmer haben die aktive Möglichkeit zu entscheiden, ob eine Kultur ihnen wirklich entspricht oder nicht. Besonders die Generation Y (geboren nach 1977, auch Millennials genannt1) haben andere Vorstellungen von einer Arbeitswelt als die Babyboomer und die Generation X. Der transaktionale oder auch Top-down-Approach einer Führungskultur wird in Zukunft als Führungsstilmittel nur noch eingeschränkt funktionieren. Die Führungskraft übernimmt vielmehr immer häufiger die Rolle eines Coaches und Supervisors. Von Ausnahmefällen wie etwa in Krisensituationen abgesehen, erodiert die bisher vornehmliche Aufgabe der Führungskraft als alleiniger Entscheidungsträger mehr und mehr. Mitarbeiter sind die Experten ihrer Arbeitstätigkeit und werden durch gezielte Fragen zur Reflexion oder Anleitung von der Führungskraft angeregt, wie zu handeln ist. Erst wenn der Mitarbeiter außerstande ist, Entscheidungen zu treffen, wird die Führungskraft dies übernehmen, aber im Idealfall findet sich die Lösung durch die Kompetenz des Mitarbeiters.

1 Der Einfachheit geschuldet, werden in diesem Buch die Millenials mit Generation Y gleichgesetzt und durchgängig Generation Y genannt. Mitarbeiter und Führungskräfte beziehen sich auf beide Geschlechter.

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Der deutschsprachige Wirtschaftsraum tut sich aus diversen, überwiegend historischen Gründen mit dem Begriff „Führung“ äußerst schwer. Gerade im Vergleich mit der anglo-amerikanischen Welt ist „Leader­ ship Development“ in Deutschland eher defizitär und hat massiven Auf holbedarf. Dieses Buch soll u. a. vermitteln, wie diese Defizite in den nächsten Jahren für Spitzenunternehmen aufgeholt werden können. Trotz Manager-Misere sind Deutschland, die Schweiz und Österreich verhältnismäßig gut durch die Finanz- und die anschließende globale Wirtschaftskrise gekommen. Besonders Deutschland verdankt seinen Wohlstand auch einem Mittelstand, der oftmals durch Unternehmerfamilien geführt wird. Bei diesen sogenannten „Hidden Champ­ions“ in der Provinz gelten andere Regeln, so spielen etwa Shareholder-Value und Strategieberater keine große Rolle. Da Entscheidungen von den Eigentümerfamilien getroffen werden, welche langfristig denken, über Generationen hinweg den Erfolg suchen und dort andere Anreizsysteme genutzt werden, ist man seltener in die Schwierigkeiten vieler anderer globaler Unternehmen gekommen. Für alle Unternehmen aber gilt: Kunden und Mitarbeiter müssen wieder verstärkt in das Zentrum der Aufmerksamkeit gerückt werden. Ein Abbau von Hierarchien, der seit vielen Jahren spätestens seit dem Auf kommen von Lean Management postuliert und gefordert wird, ist unabdingbar für zukünftige Generationen sowie für innovatives, vernetztes Denken. Die Chefetagen würden bunter durch mehr Querdenker, internationale Manager und weibliche Führungskräfte, und aufgrund dessen vermutlich die Unternehmen wettbewerbsfähiger und menschlicher. Weiterhin hat man festgestellt, dass Teams, die divers und vielfältig aufgebaut sind, sehr homogenen Teams im Normalfall bezüglich Kreativität, Innovation und Leistung überlegen sind. Das derzeitige System schadet nicht nur den Unternehmen, sondern auch der Gesellschaft als Ganzem und macht Mitarbeiter oftmals unglücklich. Es braucht eine neue Führungsmentalität, die schon durch die Ausbildung von Managern beeinflusst werden sollte. Allgemeinbildung und die Fähigkeit zur kritischen Reflexion müssen wieder verstärkt Kern der wirtschaftswissenschaftlichen Ausbildung sein. Es scheint, dass die meisten Business Schools noch nicht aus den Fehlern der Finanzkrise gelernt und ihre Ausbildung umgestellt haben. Es reicht nicht aus, ein Alibi-Ethik-Seminar oder nur das Thema Nachhaltigkeit neu auf den Lehrplan zu bringen. Das Studium Generale ist in den vergangenen Jahren bei der Management-Ausbildung zu sehr in den Hintergrund 8


geraten. BWL-Seminare sollten wieder verstärkt als Plattform für wissenschaftlichen und gesellschaftlichen Diskurs genutzt werden. Das deutsche Bildungssystem, etwas weniger als das schweizerische, ist zurzeit überwiegend auf den Durchschnitt fixiert, und das gilt auch für den Arbeitsmarkt. Deutsche Unternehmen bevorzugen Beständigkeit und aufgrund dessen oft Mittelmaß. Für viele leitende Positionen bevorzugt man oft durchschnittliche Funktionserfüller gegenüber Personen mit Ecken und Kanten. Dabei wurde in verschiedenen Studien, wie etwa bei Collins (2011), festgestellt, dass Top-Führungskräfte, die in bestimmten Kompetenzen und Fähigkeiten zu Extremen neigen, aber in anderen Kompetenzen Schwächen besitzen, durchschnittliche und sehr ausgewogene Top-Führungskräfte in ihrer Leistung übertrafen. Es braucht mehr Toleranz für diese Extreme, aber vor allem muss in der Weiterbildung ein deutlicherer Fokus auf die Ausbildung dieser Stärken gelegt werden, und nicht auf eine Eliminierung von Differenzen. Das ist auch ein gesamtgesellschaftliches Problem: Originelles Denken und Spezialbegabungen werden in Kindergärten, Schulen und Hochschulen bis in die Personalabteilungen der Firmen hinein systematisch ignoriert und schon gar nicht honoriert. So geht man bei Einstellungen am liebsten nach gewohnten Mustern vor. Da wird ein kurzer Blick auf die Durchschnittsnote des letzten Hochschulzeugnisses geworfen, und die Anpassungsfähigkeit ans Mittelfeld wird mit Hilfe normierter Lebensläufe und normierender Assessment-Center überprüft. Dazu passt der Fokus der klassischen Personalentwicklung, welcher eher auf der Minimierung von Schwächen als in der besonderen Entwicklung von Stärken liegt. Leider achtet man bei der Auswahl des idealen Kandidaten viel zu wenig auf Potentiale, sondern wünscht sich vielmehr Erfahrungen des Kandidaten, die exakt 1:1 derjenigen des Stellenprofils entspricht. Diese Vorgehensweise werden sich Unternehmen nicht mehr leisten können – Talente werden immer knapper, der „War for Talent“2 ist schon seit Jahren ausgebrochen und wird sich noch verschärfen, da wir über zu wenig qualifizierte Kandidaten verfügen. „Diversity“ besitzt eine wesentlich entscheidendere Bedeutung, da die stromlinienförmigen, geklonten Kandidaten in Zukunft aufgrund der Demographie nicht mehr ausreichend vorhanden sein werden. Unternehmen müssen auf der einen Seite eine wirkliche, nicht diskriminierende Offen2 Michaels, Handfield-Jones, Axelrod, 2001

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heit für bisher nicht im Unternehmen angesiedelte Profile entwickeln (Geschlecht, Rasse, sexuelle Orientierung, Alter), da der in der Vergangenheit leider meist präferierte „typische“ deutsche und männliche Kandidat nicht mehr der alleinige Heilsbringer ist. Zum anderen sind die ausreichend qualifizierten Bewerber in einer wesentlich besseren Positionierung, sie können typischerweise schon jetzt und speziell in Zukunft zwischen einer wesentlich größeren Anzahl von Stellen wählen und werden sich im Zweifelsfall für diejenigen entscheiden, die ihrer Vorstellung von Karriereentwicklung und Unternehmenskultur am ehesten entsprechen. Aufgrund der Tatsache, dass sich der Arbeitgebermarkt zum Arbeitnehmermarkt wandelt, wird dies schwerwiegende Konsequenzen haben. In der Vergangenheit konnten sich attraktive Arbeitgeber die besten Kräfte aussuchen, und es wird mit Sicherheit auch weiterhin einige Arbeitgeber geben, die diesbezüglich nicht vor Probleme gestellt werden. Man wird aber feststellen, dass diese Arbeitgeber in der Vergangenheit ihre Hausaufgaben schon gemacht haben und alle Anforderungen für die Zukunft schon gestellt und entsprechend implementiert haben. Top-Talente werden neben den üblichen sehr gefragten Consulting-Firmen sehr modern orientierte Arbeitgeber wie Google, Apple, Cisco, IBM oder General Electric wählen, da diese in der Gestaltung der Arbeitswelten für ihre Mitarbeiter schon immer innovativ waren und für die Zielerreichung ausreichend Flexibilität gewährt haben. Entscheidend in diesen Unternehmen ist deren klare und bereits langjährige Ausrichtung auf „Performance Management“. Zu welchen Arbeitszeiten, in welcher Umgebung oder unter welchen Umständen jemand seine Ziele erreicht, spielt eine geringere Rolle. Dies ist auch eine Maßgabe für die Zukunft: klare Leistungsvereinbarungen, Authentizität und Integrität, aber Gewährung von größtmöglicher Flexibilität, wie diese Ziele erreicht werden. Letztendlich entscheidend ist aber die Einhaltung der Unternehmenswerte und die Beachtung klarer Regeln, die festgeschrieben sind und befolgt werden müssen. Innerhalb dieses Zielkorridors muss sich der Mitarbeiter einigermaßen frei bewegen können. Der Mangel an (hoch-)qualifiziertem Personal hat schon heute drastische Dimensionen angenommen: Allein dem deutschen Mittelstand entgeht aufgrund von nicht ausreichend qualifizierten Profilen ein Umsatz von mehr als 31 Milliarden Euro, wie das Beratungsunternehmen Ernst & Young 2014 in einer Studie festgestellt hat. Die Zahl zusätzlich geschaffener Stellen zum Jahr 2013 erreicht im Jahr 2014 10


in Deutschland mit mehr als 25.000 eine neue RekordhÜhe, aber die Unternehmen finden zu wenige qualifizierte Kandidaten, um diese Stellen zu besetzen. All diese Faktoren beeinflussen den Druck auf die Unternehmen, sich stärker auf die Vorstellungen der Arbeitnehmer einzustellen, um in Zukunft im Kampf um Talente gut vorbereitet zu sein.

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V. A rbeitszufriedenheit und Mitarbeiter­ motivation Viele tüchtige Fachkräfte verlassen ein Unternehmen, weil Manager die psychologischen Gründe für Arbeitszufriedenheit bzw. -unzufriedenheit nicht verstehen. Manche glauben, dass Menschen, die hervorragende Arbeit leisten, auch automatisch zufrieden sein müssten. Viele Top-Talente sind so gut ausgebildet und leistungsorientiert, dass sie beinahe jede Aufgabe erfolgreich bewältigen können. Sie bleiben aber nur im Unternehmen, wenn die jeweiligen Tätigkeiten ihren tief verankerten Motivationen entsprechen.

1. Arbeitszufriedenheit Zum besseren Verständnis werden zuerst einige Theorien und Experimente beschrieben, um die Einflüsse auf das Thema Arbeitszufriedenheit und Motivation bewusst zu machen. Das „Hawthorne“-Experiment Die ersten psychologischen Erkenntnisse zur Bedeutung der Arbeitszufriedenheit für den Arbeitsprozess stammen aus den 1920er Jahren. Diese Forschungen fanden in den „Hawthorne“-Fabriken54 statt. Es wurde untersucht, inwieweit ein Zusammenhang zwischen der Beleuchtungsstärke und der Arbeitsleistung in den Hawthorne-Fabriken vorhanden war. Dabei kam man zu einem überraschenden Ergebnis: die Arbeitsleistung erhöhte sich nicht nur bei einer Verbesserung der Beleuchtungsverhältnisse am Arbeitsplatz, sondern auch, wenn sich die Beleuchtungsverhältnisse absolut verschlechterten. Allein die intensive Beschäftigung mit den Belangen der Mitarbeiter führte dazu, dass diese mehr leisteten. Sie fühlten sich zufriedener bei ihrer Arbeit, und insofern veränderte sich ihre Einstellung zur Arbeit. Dieser Effekt wird als „Hawthorne-Effekt“ bezeichnet. Heute noch aktuell an dieser Studie ist, wie wichtig Interesse und vermeintliche Wertschätzung am Arbeitsplatz sein können.

54 Mayo, 1924

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Zwei-Faktoren-Theorie55 Herzberg differenzierte Motivatoren in zwei Gruppen und ging davon aus, dass nur bestimmte Faktoren (Motivatoren) im Arbeitsleben wirksam sind und zur Arbeitszufriedenheit führen, während andere lediglich einer Motivierung und Arbeitsunzufriedenheit entgegenwirken (Hygienefaktoren). Zu den Motivatoren zählt Herzberg Anerkennung, Verantwortung, eigenes Vorwärtskommen, die Arbeit selbst, Leistungserfolg, Entfaltungsmöglichkeiten. Dagegen bestimmt er Gegebenheiten wie Gehalt, Kollegen, Firmenpolitik und Leitung, Führungstechniken, physische Arbeitsbedingungen, Arbeitsplatzsicherheit, Möglichkeit zu interpersonellen Kontakten mit anderen, Status sowie Persönliches als Hygienefaktoren. Nur Motivatoren sind in der Lage, die Arbeitszufriedenheit zu steigern. Zufriedenheit wird nicht durch die äußeren Arbeitsumstände, sondern durch Arbeitsinhalte sichergestellt. Laut Herzberg erzeugen positive Verstärkungen wie Bonuszahlungen, Gehaltserhöhungen und Sozialleistungen keine positive Motivation, egal wie großzügig diese sind. Wenn sie aber unter ein akzeptables Niveau fallen, verursachen sie Ärger und Demotivation. Man sollte Herzbergs Ergebnisse heute differenzierter betrachten, da sich die Verhältnisse am Arbeitsplatz in den letzten 50 Jahren doch extrem gewandelt haben. Heute würde ein eklatanter Gehaltsunterschied von ca. 20 oder 30 Prozent je nach Seniorität und Position den Mitarbeiter natürlich zum Arbeitsplatzwechsel bringen. Und auch eine allein erziehende Mutter und Verkäuferin wird weniger Wert auf Gestaltungsspielraum oder Teamgeist legen als viel mehr auf eine vermeintliche Job-Sicherheit, eine dauerhafte Perspektive und die Erfahrung, in schwierigen Situationen Beistand zu erfahren.. Umgekehrt ist der monetäre Anreiz für gut verdienende Arbeitnehmer längst kein hoher Ansporn mehr. Die Bedürfnispyramide56 Abraham Maslow differenzierte verschiedene menschliche Bedürfnisse in einer Hierarchie und geht davon aus, dass übergeordnete Bedürfnisse (Wachstumsmotive) erst dann relevant werden, wenn untergeordnete Bedürfnisse und Motive erfüllt sind. 55 Herzberg, 1959 56 Maslow, 1943

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Motivation wurde jahrelang in der Tradition von Maslow und Hertzberg gedacht. Maslows bekannte Pyramide geht davon aus, dass zunächst Basis-Bedürfnisse wie die nach Nahrung und Sicherheit erfüllt sein müssen, danach Zugehörigkeit und Gemeinschaft motivierend wirken, bevor Status und Anerkennung für den Einzelnen wichtig werden und schließlich die Selbstverwirklichung zum Motivationsfaktor wird. Die erste Grafik zeigt Maslows originale Pyramide. Die folgende Grafik ist eine Weiterentwicklung aus dem Jahre 1970 und kommt unseren heutigen Bedürfnissen wesentlich näher. Fast selbstverständlich wird davon ausgegangen, dass in den westlichen Industrieländern die Basisebenen für alle Mitarbeiter erreicht sind, insofern es um die Förderung von Anerkennung, Teamgeist und Gestaltungsspielraum geht. Leider greift dies aufgrund prekärer Erwerbssituationen, Befristungen und allen Veränderungen auf dem Arbeitsmarkt nicht mehr durchgängig, so dass Maslows Modell nicht mehr ungefragt und nur mit Restzweifeln angewendet werden kann. Die Gleichheitstheorie Die Gleichheitstheorie von Stacy Adams basiert auf dem Prinzip, dass Menschen zum Handeln motiviert werden, wenn sie das Gefühl haben, sie seien ungleich oder ungerecht behandelt worden. Die Spannung ist dabei umso höher, je intensiver die empfundene Ungleichheit ist, und darum ist dann auch die Motivation zum Handeln stärker. Laut der Gleichheitstheorie ist jede Person darauf bedacht, in einer sozialen Beziehung für ihren Einsatz eine faire Gegenleistung zu bekommen. Man nimmt einen sozialen Vergleich vor: jede Person erwartet, im Vergleich mit anderen gerecht behandelt zu werden. Wird eine Ungleichheit erlebt, strebt das Individuum nach Auflösung, wozu folgende Möglichkeiten bestehen: • Veränderung der Inputs (weniger oder mehr Arbeit), • Veränderung der Einstellung zur Bedeutung des Entgelts, indem mehr Befriedigung aus der Tätigkeit gezogen wird, • Wahl eines anderen Vergleichsmaßstabes oder einer anderen Vergleichsperson oder • Verzerrung des eigenen Einsatzwertes („wahrscheinlich ist mein Einsatz gar nicht so hoch“) Die Höhe der Bezahlung korreliert allerdings nur schwach mit der allgemeinen Arbeitszufriedenheit, wobei die Kausalität unklar ist. Auch 103


Abb. 4: Motivationspyramide nach Maslow

Selbstverwirklichung

Individualbedürfnisse

Soziale Bedürfnisse

Sicherheitsbedürfnisse

Physiologische Bedürfnisse

Quelle: Maslow.

korreliert sie schwach mit anderen positiven Konsequenzen, wie zum Beispiel Ansehen und Handlungsspielraum. Anhand der Theorie von Adams ist vor allem darauf zu achten, dass sich die Zufriedenheit mit der Bezahlung anhand des sozialen Vergleichs orientiert. Gleitende Arbeitszeit und andere Formen der Flexibilisierung erhöhen in der Regel die Zufriedenheit. Die Valenz-Instrumentalitäts-Erwartungs-Theorie Die Valenz-Instrumentalitäts-Erwartungs-Theorie nach Victor Vroom behauptet, ein Mensch würde sich aufgrund der Erwartung, dass auf eine bestimmte Handlung eine gewünschte Belohnung folgen wird (Valenz), sobald sie abgeschlossen ist (Instrumentalität), auf eine bestimmte Art verhalten. Motivation entsteht damit aus der Formel: Valenz × Erwartung × Instrumentalität. Ist einer dieser drei Faktoren gleich Null, ergibt sich auch die Summe null, und somit ist keine Motivation vorhanden. 104


Abb. 5: Erweiterte Motivationspyramide nach Maslow

Transzendenz Selbstverwirklichung Ästhetische Bedürfnisse Kognitive Bedürfnisse Individualbedürfnisse Soziale Bedürfnisse Sicherheitsbedürfnisse Physiologische Bedürfnisse

Quelle: Weiterentwicklung der Motivationspyramide nach Maslow

Das Job-Characteristics-Modell Die Theorie von Richard Hackmann und Greg Oldham beruht auf dem Prinzip, dass Mitarbeiter aus der Bewältigung einer Aufgabe Motivation beziehen. Die Motivationssituation des Mitarbeiters resultiert aus drei psychischen Zuständen, nämlich: Sinn: der Mitarbeiter muss die Aufgabe sinnvoll finden. Verantwortung: der Mitarbeiter muss genug Spielraum haben, die Aufgabe so zu planen und auszuführen, wie er es für richtig hält. Rückmeldung: der Mitarbeiter muss wissen, wie effektiv er letztendlich war. Handlungsempfehlungen: Praktische Implikationen dieser Theorien Man sollte als Führungskraft anerkennen, dass manche Aufgaben wenig stimulierend und relativ einförmig sind, so dass man versuchen 105


sollte, die Langeweile zu lindern und Sinn zu stiften. Man sollte idealerweise Mitarbeiter von Anfang bis Ende an einer Aufgabe arbeiten lassen, so dass diese in einer ganzheitlichen Aufgabe ein sichtbares Endprodukt erkennen können. Regelmäßiges Feedback erhöht die Motivation. Man sollte unbedingt den Sinn der Tätigkeit im Gesamtkontext herausstellen. Die Haltung des Vorgesetzten kommt wiederum einer Coach-Rolle gleich. Was biete ich meinen Mitarbeitern, um deren Bewältigung des Alltags zu erleichtern? Wie kann ich helfen? Damit kehren wir Maslows Bedürfnispyramide auf den Kopf. Eine ernst zu nehmende Führungskraft sollte sich auch bei ihren Vorgesetzten gerne mal unbeliebt machen, um den Alltag der Mitarbeiter zu verbessern. Hierzu braucht es eine starke Persönlichkeit und viel Rückgrat. Der Fairness am Arbeitsplatz kommt ebenfalls eine eklatante Bedeutung zu – und Mitarbeiter haben ein extrem feines, teils über-sensibles Gespür für vermeintliche Ungerechtigkeiten. Objektive, faire und sozial-kompetente Vorgesetzte sind unerlässlich, denn: „Employees join a company – but leave their boss!“57 In Korrelationsstudien wurde festgestellt, dass Arbeitszufriedenheit Leistung beeinflusst, aber auch, dass Leistung als Ursache der Zufriedenheit wirken kann. Es besteht insofern eine Wechselwirkung zwischen beiden. Eine hohe Arbeitszufriedenheit kann die Fehlzeiten und Fluktuationsraten senken.58

2. Mitarbeitermotivation Die Mitarbeitermotivation und die Arbeitszufriedenheit sind untrennbar miteinander verbunden. Maßnahmen, die die Arbeitsmotivation steigern, verstärken in der Regel auch die Arbeitszufriedenheit. Damit Mitarbeiter ihre bestmögliche Leistung bringen können, sollten Sie sich an ihren Arbeitsplätzen wohl fühlen. Glückliche Mitarbeiter gelten heutzutage als ein wertvolles Gut, da sie vergleichsweise häufiger bereit sind, für ihr Unternehmen Überdurchschnittliches zu leisten und weil die Zeiten der lebenslangen Betriebstreue spätestens seit der Generation X vorbei zu sein scheinen. 57 Gallup Studie, 2006 58 Von Rosenstiel/Nerdinger, 2011

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Sprach man früher primär von Arbeitszufriedenheit, hat sich mittlerweile der Fokus hin zu Commitment und Engagement verschoben. Commitment bezeichnet die innere Haltung hinsichtlich der Bindung an das Unternehmen, während Engagement eher verhaltensbezogen ist: es gibt an, wie stark Mitarbeiter in ihrer organisatorischen Rolle aufgehen. Ob und in welchem Ausmaß sich Mitarbeiter im Unternehmen engagieren, hat einen nachhaltigen Einfluss auf den Unternehmenserfolg. Interessanterweise unterscheiden sich die verschiedenen Mitarbeitergenerationen nicht grundlegend in Bezug auf ihr Engagement. Arbeitsplatzgestaltung Viele Vertreter der Generation Y scheinen sich flexible Arbeitswelten mit privaten Rückzugsorten sowie Räume für kreatives Arbeiten und mentale Pausen zwischendurch zu wünschen, wie einige Studien, u.a. von Daimler nahelegen. Im tertiären Sektor bilden Wissensarbeit und Innovationsfähigkeit zentrale Bausteine für den Unternehmenserfolg. Da mit der Technologie auch die Mobilität Einzug gehalten hat, haben offene und flexibel nutzbare Raumflächen an Bedeutung gewonnen. Die Aufgabenschwierigkeit stellt eine interessante Komponente in Bezug auf die Motivation dar: Personen mit Furcht vor Misserfolgen könnten typischerweise sehr einfache oder sehr schwierige Aufgaben wählen, wodurch wenig über ihre tatsächlichen Fähigkeiten offenbar wird, während erfolgsmotivierte aufgrund der Hoffnung auf Erfolg eher mittelschwere Aufgaben auswählen. Selbstbewusste Talente sind überwiegend erfolgsmotiviert. Im Idealfall müssen Aufgaben gefunden werden, die im Schwierigkeitsgrad in ihrer Komplexität mehr und mehr gesteigert werden sollten, um ein Millenial-Talent durchgängig zu motivieren. Hier nimmt der individuelle Entwicklungsplan eine entscheidende Rolle ein, der durch das Coaching des Vorgesetzten ständig weiterentwickelt wird. Er ist die entscheidende Lösung für die Motivation von Top-Talenten! Um diese langfristig zu motivieren, müssen Aufgaben komplex genug sein, um deren Aufmerksamkeit anzusprechen. Die Ausgestaltung des idealen Schwierigkeitsgrads für Top-Talente ist eines der entscheidenden Kriterien zur langfristigen Motivation und Mitarbeiterbindung. Hier wird auch deutlich, warum nur der direkte Vorgesetzte der wichtigste Personalentwickler für den Mitarbeiter ist: er kennt diesen typischerweise am besten und sollte sich zum wichtigsten (beruflichen) Vertrauten entwickeln.

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Man differenziert extrinsische und intrinsische Motivation:59 Extrinsisch:

Intrinsisch:

Sicherheit

Verantwortungsübernahme

Salär

Gefühl der Selbstverwirklichung

Prestige, Aufstieg

Möglichkeit zur eigenen Entwicklung

Autorität

Ermöglichung von eigenständigem Handeln

Anerkennung

Selbstwertgefühl

Typischerweise tendieren die meisten Talente und gerade auch die Gen Y stärker zu intrinsischen Motiven und haben ein höheres intrinsisches Anspruchsdenken als vorige Generationen. Aufgrund einer hedonistischeren Einstellung und dem unbedingten Streben nach Selbstverwirklichung müssen den meisten Talenten sinnhafte Tätigkeiten angeboten werden. Die jetzige Arbeitswelt ist aber nur geringfügig auf diese Einstellungen vorbereitet. Hier tut sich eine massive Diskrepanz zwischen Anspruchsdenken dieser Generation und vielen Jobs auf. Hier sollten Führungskräfte eine ideale Balance der Aufgaben finden, eine Herausforderung, die es exakt zu bewältigen gilt. Nach einer Umfrage des Harvard Business Manager im Jahr 2013 von 3400 Arbeitnehmern, in der Motivatoren nach ihrer Wichtigkeit bewertet werden sollten, taucht der Faktor „Gehalt“ auf den ersten zehn Rängen überhaupt nicht auf. Ganz vorne waren für Mitarbeiter und Führungskräfte die Motivatoren „Zufriedenheitsgefühl“, „Arbeitsklima und gute Stimmung in der Abteilung“ sowie „eigenverantwortliches Handeln, Freiräume und aktive Teilnahme am Entscheidungsprozess“, wenngleich die Faktoren Arbeitsklima, Arbeitsplatzsicherheit und positives Feedback für Führungskräfte weniger relevant zu sein scheinen als für Mitarbeiter. Es ist durchaus möglich, dass Führungskräfte die Bedeutung von Lob unterschätzen, da für sie Arbeitsklima und positives Feedback weniger

59 Deci, 1971. Vernachlässigt wird hier die transzendentale Motivation, da rein transzendental Motivierte tendenziell häufiger im NGO-Kontext anzutreffen sind und seltener in der Realwirtschaft.

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relevant sind als für die Mitarbeiter60. Desgleichen gilt für die Arbeitsplatzsicherheit: Eine drohende Kündigung durch den Arbeitgeber hat für die meisten Beteiligten sehr negative Auswirkungen auf die Motivation – für die Mitarbeiter ist sie aber im Vergleich zu den Vorgesetzten absolut verheerend. Je mehr Vorgesetzte von ihren Mitarbeitern erwarten, desto mehr sind diese im Stande zu leisten. Insofern lässt sich der Pygmalion-Effekt, in dem die positive Einschätzung eines Schülers durch einen Lehrer gute Auswirkungen auf dessen Lernerfolg hat, auch hervorragend auf die Mitarbeiter übertragen. Trauen Vorgesetzte den Mitarbeitern dagegen wenig zu, sinkt auch deren Leistung. Es handelt sich hier um eine selbsterfüllende Prophezeiung, welche sich Unternehmen insbesondere bei der Ausbildung von High Potentials im positiven Sinne zunutze machen. Wie zufrieden Top-Talente bei ihrem Arbeitgeber sind, hängt meist davon ab, ob die Aufgabe, die sie erfüllen sollen, ihren Neigungen und ihrer weiteren Karriereplanung entspricht. Dabei sind Fähigkeiten und Kenntnisse eher zweitrangig. Wer seine Mitarbeiter an die Firma binden will, muss sich daher intensiv mit ihren Fähigkeiten und Interessen auseinandersetzen, denn Top-Kräfte zu verlieren ist für Unternehmen unerfreulich und auf Dauer teuer. Führungskräfte müssen daher gezielt in den jährlichen Bewertungsgesprächen nach Interessen der Mitarbeiter fragen und sensibel auf deren Hinweise reagieren. Nicht immer ist allein entscheidend, ob die Nachwuchskraft ihren Job gut macht, sondern viel wichtiger scheint, ob sie ihn gern macht. Die meisten Menschen werden von ein bis drei tief verankerten Interessen angetrieben, die sie bei der Arbeit motivieren. Man stieß auf acht wesentliche Neigungen oder Interessen, die einzeln oder in Kombination bei jedem Menschen auftreten61. Die folgenden acht Gruppen wurden ausgebildet: • • • • •

Technik anwenden Mit Zahlen umgehen Theorien entwickeln Konzeptionelles Denken Kreativ gestalten

60 Lehky, 2011 61 Butler, T. & Waldroop, J. (1999)

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• Beraten und betreuen • Menschen und Beziehungen managen • Durch Kommunikation und Medien Einfluss ausüben Es scheint, dass berufsbezogene (intrinsische) Interessen am stärksten über die Zufriedenheit bei der Arbeit entscheiden. Langfristig zufrieden wird sich der Mitarbeiter nur fühlen, wenn er auch seine beruflichen Interessen verwirklichen kann. Dies sorgt für verstärkte Loyalität gegenüber dem Arbeitgeber. Die Kunst, für Menschen genau die Tätigkeit zu finden, die ihrem innersten Interesse entsprechen, wird als Job Sculpting oder Job Crafting bezeichnet. Dazu gehört auch, dass individuelle Karrierepfade geschaffen werden, um die Chancen zu steigern, talentierte Kräfte im Unternehmen zu halten. Denn nicht üblicherweise das, was man am besten kann, macht einen Mitarbeiter außerordentlich erfolgreich, sondern die Tätigkeit, die das Individuum am meisten inspiriert und nicht „loslässt“. Das Missverständnis der Work-Life-Balance Eine nicht ausgeglichene Work-Life-Balance ist ein häufiger Grund für mangelnde Arbeitszufriedenheit und geringe Mitarbeitermotivation vieler Mitarbeiter und Führungskräfte. Work-Life-Balance ist an sich schon ein irreführender Begriff: Leben wir bei der Arbeit nicht? Der Ausdruck Work-Life-Blend ist schon ein wenig sinnvoller und würde mehr auf eine Vermischung von Arbeit und Privatleben hindeuten, wo definitiv die Zukunft der Arbeit liegen wird. Kaum ein Vertreter der Gen Y wird noch komplett zwischen diesen beiden Welten trennen können. Jede Führungskraft und jeder Mitarbeiter sollte für sich eine Vorstellung von der eigenen individuellen Work-Life-Balance haben und ein Ziel definieren. Weiterhin sollte aber das Wissen über Work-Life-Balance auch mit den unterstellten Mitarbeitern im Entwicklungsgespräch zum Tragen kommen, indem Vorgesetzte eine Vorstellung von der Balance der Mitarbeiter bekommen, um auf deren Perspektiven eingehen zu können. Im besten Fall ist Work-Life-Balance eine schwer zu fassende Idee und im schlechtesten Fall nur ein Mythos. In einer Studie der Harvard Business School (HBS) wurden weltweit 4000 Führungskräfte zum Thema Work-Life-Balance befragt62. Folgende Hauptmotive und -strategien kristallisierten sich dabei heraus:

62 Groysberg/Abrahams, 2014

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1. Erfolg für sich selbst definieren 2. Technologien ideal nutzen 3. Unterstützungsnetze für Job und Privatleben auf bauen 4. Selektiv reisen und umziehen 5. Mit dem Lebenspartner planen und gemeinsam entscheiden Erfolg für sich selbst definieren Für einen Top-Manager kann Erfolg bedeuten, mindestens vier Abende pro Woche zum Abendessen mit der Familie zu Hause zu sein. Jeder sollte für sich neben den beruflichen auch private Erfolge definieren. Frauen scheinen beruflichen Erfolg anders zu definieren als Männer, da sie erstaunlicherweise tendenziell stärker als Männer Wert auf die eigene Leistung legen, auf Leidenschaft bei der Arbeit, auf Respektsbekundungen anderer und darauf, etwas zu bewegen. Männern dagegen ist die Gesamtleistung ihrer Organisation sowie ständiges Lernen und Weiterentwicklung wichtiger als Frauen. Einig sind sich aber beide Geschlechter in Bezug auf bereichernde Beziehungen: Sie stufen sie mit Abstand am häufigsten als Zeichen für persönlichen Erfolg ein. Männer denken bei familiären Verpflichtungen eher ans Geldverdienen, während Frauen sich oft als Vorbilder für ihre Kinder sehen. Beide Geschlechter erwähnen bestimmte Varianten von Schuldgefühlen, da man selten beiden Themen gerecht wird. Ein intelligenter Vorschlag könnte zum Beispiel sein, das Abendessen mit der Familie so zu priorisieren, als hätte man um 18:30 Uhr einen Termin mit dem wichtigsten Kunden. Technologien ideal nutzen Technologie für den Arbeitsplatz zu Hause – und das kann bereits ein Smartphone sein – wurde von gut einem Drittel der Befragten als Eindringling wahrgenommen, von rund einem Viertel jedoch als befreiend eingestuft, da es andere Freiheitsgrade ermöglicht. Idealerweise sollte man für sein Team verfügbar sein, aber nicht in zu hohem Maß. Führungskräfte müssen lernen, Kommunikationstechnologien intelligent einzusetzen. Sollten sich Familienmitglieder über die Verwendung von Smartphones im Privatbereich beschweren, sollte man gegebenenfalls darauf hinweisen, dass man ohne diese technologischen Hilfen vermutlich seltener zu Hause wäre. Hier muss jede Familie ihre Regelung finden – und wichtig ist schon die Diskussion darüber, wie man so etwas ideal gestalten möchte.

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Netzwerke aufbauen Man benötigt einen Mix von persönlichen und professionellen Netzwerken. Viele Frauen trennen ihre privaten und beruflichen Netzwerke voneinander, weil sie um ihr Image fürchten. Manche erwähnen bei der Arbeit nie ihre Familie, um nicht unprofessionell zu erscheinen, doch worin liegt hier die Unprofessionalität? Einige weibliche Führungskräfte sprechen bei privaten Kontakten grundsätzlich nicht über ihre Karriere. Wer sich für eine Integration von privaten und beruflichen Netzwerken ausspricht, bemerkt oft eine Erleichterung, in allen Kontexten ein und dieselbe Person zu sein. Weiterhin ist es ja auch ganz natürlich, bei der Arbeit, wo man ohnehin die meiste Zeit verbringt, Freundschaften zu schließen. Langsam aber wendet sich auch das Blatt: je mehr Frauen arbeiten gehen, desto mehr sprechen Managerinnen auch über ihre Kinder. Selektiv reisen und umziehen Die meisten Top-Manager gaben an, dass sie lieber in jüngeren Jahren weltweit Erfahrungen und Bonusmeilen gesammelt haben. In späteren Jahren wird ein Umzug ins Ausland aufgrund der Implikationen auf die Familie oft abgelehnt. Ein weiterer Grund ist auch, dass sehr junge Kinder oft mobiler sind als pubertierende Kinder, die ab dem Alter von ca. zwölf oft stärker leiden, wenn sie aus ihrer gewohnten Umgebung gerissen werden. Auch sind Schulwechsel aufgrund der unsäglichen und völlig sinnfreien unterschiedlichen Bildungssysteme der Bundesländer schon in Deutschland ein Problem – noch dramatischer wird es bei Auslandsentsendungen. Mit dem Partner planen und gemeinsam entscheiden Ein großer Teil der befragten Population bezeichnete die emotionale Unterstützung als den wichtigsten Beitrag ihrer Partner für ihre Karrieren. Insgesamt dürfen Männer scheinbar stärker auf Unterstützung zählen. Weiterhin fiel auf, dass unter den Top-Managern die Männer zu 88 Prozent verheiratet waren, die Frauen nur zu 70 Prozent. 60 Prozent der Männer hatten Partner, die nicht in Vollzeit außer Haus arbeiten, während dieser Wert bei Frauen bei nur 10 Prozent liegt. Männliche Führungskräfte hatten im Durchschnitt 2,22 Kinder, die Frauen 1,67. Viele Befragten geben in der Studie an, dass es fast unmöglich sei, gleichzeitig ein bereicherndes Familienleben, Hobbies und eine beeindruckende Karriere zu haben. Selbst den engagiertesten Führungskräften kann es passieren, dass eine oder mehrere der drei Säulen aus Beruf, Familie/Partnerschaft oder Freunde/Hobbies wegbricht 112


oder zumindest unter Druck gerät. Es ist sehr schwer vorauszusagen, wie die Vereinbarkeit von Arbeit und Familie in diesem Jahrhundert irgendwann aussehen wird, aber man kann es auf drei einfache Wahrheiten zusammenfassen: 1. Der Ausgleich zwischen Arbeit und Familie wird oft ignoriert, bis etwas schief geht - keine weise Entscheidung. Man sollte planen, um sich für negative Veränderungen zu wappnen. 2. Es gibt viele individuelle erfolgreiche Wege und keine allgemein „richtige“ Antwort auf Fragen zu Kinderbetreuung, internationalen Jobs und Smartphones am Esstisch, aber diese Fragen müssen zumindest gestellt und mit den Partnern diskutiert werden, bis eine Einigung stattgefunden hat. Die größte Gefahr ist, nicht darüber zu sprechen und unwissende Annahmen über die Vorstellung des anderen zu treffen. 3. Kein Erfolgsweg lässt sich ganz allein beschreiten, und ein Netzwerk zur Unterstützung ist für Arbeit und Privatleben gleichermaßen unverzichtbar. Wer sich ernsthaft bemüht, das Richtige zu tun, hat gute Chancen, dass auch zu schaffen. Dass die gesetzlichen Arbeitszeiten von Führungskräften massiv überschritten werden, kann nicht wirklich überraschen. Die Professorin Sonja Bischoff veröffentlichte die fünfte Studie über Männer und Frauen in Führungspositionen der Wirtschaft in Deutschland, und kam zu dem Ergebnis, dass 10 Prozent aller Führungskräfte über 60 Stunden in der Woche arbeiten, 31 Prozent zwischen 50 und 60 Stunden und 58 Prozent bis 50 Stunden63. Die SHAPE Studie des Mediziners Walter Kromm steht für „Studie mit Hoch-Ambitionierten Persönlichkeiten“, in der knapp 500 Führungskräfte des mittleren und oberen Managements befragt wurden. Über 60 Prozent hätten gern mehr Zeit für ihre Kinder, über 70 Prozent für Partner oder Partnerin und über 80 Prozent für sich selbst. Sowohl männliche als auch weibliche Führungskräfte erleben mehr Stress als der Bevölkerungsdurchschnitt aufgrund ihrer hohen Anforderungen. Unter Arbeitsüberlastung, Erfolgsdruck und sozialer Überlastung leiden weibliche Führungskräfte auch überproportional, weil ihre eigenen Bedürfnisse zu kurz kommen. Es scheint, dass erfolgreiche Männer privat eher Zuspruch und Entlastung erfahren als erfolgreiche Frauen.

63 Bischoff, 2010

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Kompakt Arbeitszufriedenheit und Mitarbeitermotivation sind wichtige Komponenten, um Arbeitnehmer individuell zu Höchstleistungen animieren zu können. Aufgrund einer typischerweise stärkeren intrinsischen Motivation der jüngeren Generationen müssen die individuellen Motivatoren von Mitarbeitern herausgefunden werden. Normalerweise funktioniert dies am besten über individuelle Entwicklungspläne, die die Mitarbeiter zuerst allein ausarbeiten und die dann über das ­Coaching der Führungskräfte optimiert und gestaltet werden.

Leitfragen und Empfehlungen • Wie schätzen Sie derzeit die Arbeitszufriedenheit Ihrer Mitarbeiter ein? • Führen Sie Mitarbeitergespräche durch, in denen es um die Work-Life-Balance geht? Kennen Sie die privaten Zielsetzungen Ihrer Mitarbeiter? • Bemühen Sie sich, die individuelle Motivation all Ihrer Mitarbeiter zu verstehen. Welche individuellen Antreiber haben Ihre Mitarbeiter? Wo wollen diese sich jeweils hin entwickeln? • Definieren Sie Ihre privaten Ziele gleichwertig zu Ihren beruflichen und diskutieren Sie diese mit Lebenspartner und Familie. Was wünschen sich Ihre Angehörigen von Ihnen? • Ermöglichen Sie Ihren Mitarbeitern, Privates und Berufliches zu integrieren, zum Beispiel durch Smartphones, die für beide Netzwerke genutzt werden können? • Wie wird die Retention-Rate (Verbleibrate) Ihrer Mitarbeiter aufgrund der Arbeitszufriedenheit mittelfristig ausfallen? Wo möchten Sie langfristig stehen? • Wer benötigt enge Führung, wer benötigt höhere Freiheitsgrade? • Inwieweit engagieren sich Ihre Mitarbeiter in vollem Umfang? Wie viele sind (vermutlich) voller Commitment für die Organisation? Wie würde Ihr mittelfristiges Ziel lauten, wie das langfristige? • Was tun Sie und Ihre Firma für eine positive Stimmung im Team, am Arbeitsplatz, unter Kollegen? Sind Betriebsfeste für Ihre Mitarbeiter überwiegend ein freudiges Ereignis – oder ein notwendiges Übel? Wie können Sie dies ändern?

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Der Autor Jan Brecke leitet global HR Development bei Beiersdorf und hat als Senior Manager bei GE, UBS, der Deutschen Bank und Daimler Potentialtr채ger in den USA, Japan, der Schweiz und Deutschland gecoacht und beraten. Der Dipl.-Psychologe und Betriebswirt ist spezialisiert auf die Entwicklung von Top-Managern, deren Nachfolgeplanung und Talent-Management.

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