www.claudia-wild.de: Cottier__Liberalismus_oder_Staatsintervention__[Druck-PDF]/02.09.2014/Seite 4
Mit freundlicher Unterstützung durch – Agricura Genossenschaft – Carbura, Schweizerische Pf lichtlagerorganisation für f lüssige Treib- und Brennstoffe – Helvecura Genossenschaft – Migros-Genossenschafts-Bund, Zürich – Moser-Nef-Stiftung für rechtshistorische Forschung in der Schweiz – réservesuisse genossenschaft
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. © 2014 Verlag Neue Zürcher Zeitung, Zürich Umschlaggestaltung: GYSIN | Konzept + Gestaltung, Chur Satz: Claudia Wild, Konstanz Druck, Einband: Kösel GmbH, Altusried-Krugzell Dieses Werk ist urheberrechtlich geschützt. Die dadurch begründeten Rechte, insbesondere die der Übersetzung, des Nachdrucks, des Vortrags, der Entnahme von Abbildungen und Tabellen, der Funksendung, der Mikroverfilmung oder der Vervielfältigung auf anderen Wegen und der Speicherung in Datenverarbeitungsanlagen, bleiben, auch bei nur auszugsweiser Verwertung, vorbehalten. Eine Vervielfältigung dieses Werks oder von Teilen dieses Werks ist auch im Einzelfall nur in den Grenzen der gesetzlichen Bestimmungen des Urheberrechtsgesetzes in der jeweils geltenden Fassung zulässig. Sie ist grundsätzlich vergütungspf lichtig. Zuwiderhandlungen unterliegen den Strafbestimmungen des Urheberrechts. ISBN 978-3-03823-900-0 www.nzz-libro.ch NZZ Libro ist ein Imprint der Neuen Zürcher Zeitung.
www.claudia-wild.de: Cottier__Liberalismus_oder_Staatsintervention__[Druck-PDF]/02.09.2014/Seite 5
Inhaltsverzeichnis
Vorwort
9
1
Einleitung
11
2 2.1 2.2
Liberale Versorgungspolitik der Gründungszeit Liberale Wirtschaftspolitik als Versorgungspolitik Der Deutsch-Französische Krieg – eine Gefahr für die Versorgung Staatliche Massnahmen für den Kriegsfall Forderungen nach einem Getreidemonopol: Versorgungspolitik als Sozial- und Strukturpolitik
13 13
Versorgungsdiskussion um 1900 Krisen bei der Getreide- und Kohleneinfuhr um 1900 Forderungen nach staatlichen Versorgungsmassnahmen In Erwartung eines europäischen Kriegs
31
2.3 2.4
3 3.1 3.2 3.3 4 4.1 4.2
Widerwillige Staatsinterventionen im Ersten Weltkrieg Die Situation nach Kriegsausbruch und der Wirtschaftliche Mobilmachungsplan Interventionen in der Aussenwirtschaft 4.2.1 Wirtschaftskrieg und Kriegskonjunktur 4.2.2 Staatliche und private Importorganisationen 4.2.3 Versorgungsschwierigkeiten ab 1916
22 24 27
31 34 35
43 43 47 47 48 55
4.2.4 Privatrechtliche Transport- und Kreditorganisationen
5
58
www.claudia-wild.de: Cottier__Liberalismus_oder_Staatsintervention__[Druck-PDF]/02.09.2014/Seite 6
Inhaltsverzeichnis
4.3
Interventionen in die Binnenwirtschaft 4.3.1 Preispolitik 4.3.2 Zögerliche Rationierung 4.3.3 Steigerung der Inlandproduktion
59 60 62 67
4.3.4 Die Bildung von bundesbehördlichen Versorgungsinstitutionen
4.4
Soziale Konf likte
5
Vom Liberalismus zum Staatsinterventionismus in der Zwischenkriegszeit Ambivalente Wirtschaftspolitik in den 1920er-Jahren Staatliche Kontrolle des Aussenhandels und Rückkehr der privatrechtlichen Importorganisationen aufgrund der Weltwirtschaftskrise Revision der Wirtschaftsartikel, Konjunkturpolitik und nationale Verständigung
5.1 5.2
5.3
6 6.1
Starker Staat im Zweiten Weltkrieg Vorbereitungsmassnahmen
70 74
79 79
85 87 95 95
6.1.1 Aufbau einer kriegswirtschaftlichen Schatten-
95 96 6.1.3 Die neue Agrarpolitik 98 Von der Schattenorganisation zur Kriegswirtschaft 100 Importe 105 6.3.1 Staatliche Kontrolle des Aussenhandels 105 6.3.2 Drei verschiedene Phasen im Aussenhandel 107 organisation
6.1.2 Das Sicherstellungsgesetz
6.2 6.3
6.3.3 Energieträger, industrielle Rohstoffe und die Kreditforderungen der Achsenmächte 6.3.4 Lebensmittelimporte und alliierte Blockadepolitik 6.3.5 Transportschwierigkeiten
6.4
Bewirtschaftungsmassnahmen 6.4.1 Anbauwerk 6.4.2 Vorratshaltung 6
108 110 112 116 116 122
www.claudia-wild.de: Cottier__Liberalismus_oder_Staatsintervention__[Druck-PDF]/02.09.2014/Seite 7
Inhaltsverzeichnis
6.4.3 Staatliche Kontrolle über die Preise
123
6.4.4 Kontingentierung, Produktionsvorschriften und Rationierung
126
6.5
Die Versorgung als Teil der gesamten Kriegswirtschaft 128
7
Rechtliche Konsolidierung während des Kalten Kriegs 133 Rückkehr zur Schattenorganisation 133 Dauerhafte wirtschaftliche Kriegsvorsorge 135
7.1 7.2 8 8.1 8.2 8.3 8.4 9
Wirtschaftliche Landesversorgung und Neoliberalismus Vom Wirtschaftsboom der Nachkriegsjahrzehnte zur Rezession der 1970er-Jahre Die Neuordnung der Landesversorgung Praktische Neuausrichtung der wirtschaftlichen Landesversorgung in den 1990er-Jahren Das Denken in Risiken Schlusswort: die drei Paradigmen der Versorgungspolitik
141 141 150 156 161
167
10 Anhang 10.1 Anmerkungen 10.2 Meilensteine der schweizerischen Versorgungspolitik 10.3 Literatur und Quellen 10.4 Bildnachweis
7
175 203 207 215
www.claudia-wild.de: Cottier__Liberalismus_oder_Staatsintervention__[Druck-PDF]/02.09.2014/Seite 8
www.claudia-wild.de: Cottier__Liberalismus_oder_Staatsintervention__[Druck-PDF]/02.09.2014/Seite 9
Vorwort
Der Grundstein für dieses Buch wurde zwischen Oktober 2011 und Dezember 2012 gelegt, als ich beim Bundesamt für wirtschaftliche Landesversorgung ein Hochschulpraktikum absolvieren durfte. Mit einem leeren Blatt Papier stellte ich mich der Aufgabe, die Geschichte dieser Institution kennenzulernen. Nach den ersten Recherchen wurde rasch ersichtlich, dass es sich lohnen würde, nicht nur die Entstehung der staatlichen Versorgungsinstitutionen im engeren Sinn aufzuarbeiten, sondern die verschiedenen versorgungspolitischen Ideen und Konzepte zu erforschen, mit denen der Schweizer Bundesstaat seine Versorgung zu sichern und zu verbessern versuchte. Auf dieser faszinierenden Reise, die durch viele der wichtigen Ereignisse und Entwicklungen der jüngeren Schweizer Geschichte führte, entstand Liberalismus oder Staatsintervention. Wie jede wissenschaftliche Arbeit stützt sich auch dieses Buch nicht allein auf das Studium der Quellen und die Auswertung von Forschungsliteratur. Gespräche und Austausch sind ebenfalls wichtig. Ich möchte deshalb den Mitarbeiterinnen und Mit arbeitern des Bundesamts für wirtschaftliche Landesversorgung danken, die meiner Arbeit in den Mittagspausen und auf Betriebsausf lügen immer viel Interesse entgegenbrachten und mich damit motivierten. Simon Schläppi vom BWL unterstützte mich bei der Suche nach passendem Bildmaterial. Mit Manuel Schär konnte ich mich immer wieder freundschaftlich über das Projekt austauschen. Prof. Dr. Christian Pfister gab mir wichtige Hinweise zur Verfeine rung des Manuskripts. Das Gleiche gilt für meinen Vater Thomas, der die Rohfassung ebenfalls gewinnbringend kommentierte. Schliesslich gilt mein spezieller Dank Michael Eichmann, meinem ehemaligen Vorgesetzen beim BWL. Er hat das Projekt von der ersten Skizze bis zur Realisierung des Buchs mit Begeisterung und grossem Engagement mitgetragen. 9
www.claudia-wild.de: Cottier__Liberalismus_oder_Staatsintervention__[Druck-PDF]/02.09.2014/Seite 10
www.claudia-wild.de: Cottier__Liberalismus_oder_Staatsintervention__[Druck-PDF]/02.09.2014/Seite 11
1
Einleitung
Die Geschichte der Institution der wirtschaftlichen Landesversorgung wird heute vornehmlich mit dem Anbauwerk von Friedrich Traugott Wahlen oder mit der Lebensmittelrationierung während des Zweiten Weltkriegs in Verbindung gebracht. Es blieb damals aber nicht bei bepf lanzten Fussballfeldern und der Verteilung von Lebensmittelkarten an die Bevölkerung. Mit zahlreichen Massnahmen griff der Bundesrat während des Kriegs in die Marktwirtschaft ein. Nur dank einem starken Staat, der intervenierte und umverteilte, konnten soziale Konf likte verhindert werden und blieb die Schweiz innenpolitisch stabil. Wenn es darum ging, das Land mit Gütern und Dienstleistungen zu versorgen, waren in der Geschichte des modernen Bundesstaats nicht immer der Staat und seine Verwaltung die wichtigsten Akteure. Mit seiner Gründung setzte sich die liberale Sicht durch, dass durch die Eigeninitiative der privaten Produzenten, Händler und Konsumenten die Versorgung des Landes mit le benswichtigen Gütern und Dienstleistungen sichergestellt werden könne. Der Staat sollte nur dort eingreifen dürfen, wo die private Konkurrenz zu versagen drohte. In den letzten 50 Jahren gewann diese liberale Versorgungsidee wieder an Bedeutung. Die Versorgungspolitik war und ist immer noch ein äusserst dynamisches Feld, das mit einer Vielzahl von Faktoren in einer direkten Wechselwirkung steht. Wirtschaftspolitische Doktrinen wie der Liberalismus, der Keynesianismus oder der Neoliberalismus prägten die Entwicklung der Versorgungspolitik. Politische Ereignisse – vor allem Kriege – beeinf lussten die Versorgungspolitik entscheidend. Versorgungspolitik ist zudem immer auch im Licht der strukturellen Integration der Schweiz in die Weltwirtschaft zu betrachten. Die zunehmende Abhängigkeit von Importen und Exporten spielte eine wichtige Rolle. Dieser Prozess führte 11
www.claudia-wild.de: Cottier__Liberalismus_oder_Staatsintervention__[Druck-PDF]/02.09.2014/Seite 12
1 Einleitung
aber auch dazu, dass die Wirtschaftspolitik anderer Staaten einen starken Einf luss auf die versorgungspolitischen Fragen der Schweiz ausübte. Schliesslich veränderten technische Erneuerungen und Verbesserungen die Grundlage, auf der die versorgungspolitischen Neuausrichtungen diskutiert wurden. Vor allem der Eisenbahnbau im jungen Bundesstaat wirkte sich sehr direkt auf die Versorgungspolitik aus. Die Frage, wer die Verantwortung für die Versorgung des Landes übernehmen soll, bestimmte die politische Diskussion. Diese historische Arbeit geht den Antworten nach, die zu verschiedenen Zeiten und in wechselnden Kontexten auf diese Frage gegeben wurden. Die wirtschaftliche Landesversorgung wird dabei als rechtliche und administrative Organisation verstanden, mit welcher der Schweizer Bundesstaat die Versorgung der Bevölkerung und der Wirtschaft mit lebenswichtigen Gütern sicherzustellen suchte. Schliesslich werden die einzelnen Meilensteine der Versorgungspolitik des Schweizer Bundesstaats von seinen Anfängen bis in die heutige Zeit aufgezeigt. Die Arbeit ist daher chronologisch gegliedert und greift die verschiedenen kritischen Entscheidungsphasen auf, in denen die Versorgungspolitik in neue Bahnen gelenkt wurde.
12
www.claudia-wild.de: Cottier__Liberalismus_oder_Staatsintervention__[Druck-PDF]/02.09.2014/Seite 141
8 Wirtschaftliche Landesversorgung und Neoliberalismus 8.1
Vom Wirtschaftsboom der Nachkriegsjahrzehnte zur Rezession der 1970er-Jahre
Im Jahr 1956 weckte die Niederschlagung des ungarischen Volksaufstands durch die sowjetischen Truppen die Angst eines erneuten Kriegsausbruchs in Europa. Die politische Krise bestätigte, dass eine dauerhafte Organisation zur Sicherung der wirtschaftlichen Versorgung in Zeiten des Kalten Kriegs notwendig war. Wegen der anhaltenden Gefahr eines militärischen Konf likts unweit der eigenen Grenzen hatte der Bundesrat ein Jahr zuvor die wirtschaftliche Kriegsvorsorge ins ordentliche Recht überführt. Bereits im Herbst 1956 ereignete sich mit der Suezkrise ein militärischer Konf likt, der den labilen europäischen Frieden nicht unmittelbar gefährdete. Dennoch zeichnete sich während dieser kurzen Krise ein Szenario ab, das für die Versorgungspolitik ebenso bedeutend werden sollte wie die Bedrohung durch einen Krieg in Europa. Ende Oktober 1956 entluden sich zwischen den Verbündeten Frankreich, Grossbritannien und Israel einerseits und Ägypten an dererseits politische Spannungen in einem kurzen militärischen Konf likt, nachdem der ägyptische Präsident Gamal Abdel Nasser im Juli die private Suezkanal-Gesellschaft verstaatlicht hatte. Grossbritannien, Frankreich und das direkt von Nasser bedrohte Israel einigten sich auf eine militärische Intervention durch Israel mit dem Ziel, den Suezkanal zu besetzen. Ende Oktober überschritten israelische Streitkräfte die Grenze zu Ägypten und besetzten die Sinaihalbinsel. Grossbritannien und Frankreich unterstützten die Offensive ihres Verbündeten mit Angriffen aus der Luft. Die Kampfhandlungen führten dazu, dass Nasser im November 1956 den Suezkanal für die Schifffahrt sperrte und vereinzelt Erdölpipelines zerstören liess. Auf Druck der USA und der Sowjetunion zogen sich die Briten und 141
www.claudia-wild.de: Cottier__Liberalismus_oder_Staatsintervention__[Druck-PDF]/02.09.2014/Seite 142
8 Wirtschaftliche Landesversorgung und Neoliberalismus
Franzosen jedoch bereits im November wieder aus diesem Konf liktgebiet zurück, ohne einen strategischen Erfolg erzielt zu haben. Im Frühjahr 1957 war der Suezkanal für die Schifffahrt wieder vollständig geöffnet.284 Dieses kurze militärische Intermezzo hinterliess auch in der Schweiz Spuren. Die Verbraucher reagierten, indem sie sofort mehr Benzin an den Tankstellen nachfragten. Im Spätherbst 1956 war nicht abzusehen, ob in naher Zukunft genügend Erdölprodukte importiert werden konnten und ob sich das Angebot tatsächlich verknappen werde. Die Unsicherheiten beim Erdölimport veranlassten den Bundesrat im November 1956, die Nachfrage zu beeinf lussen. Gestützt auf das neue Kriegsvorsorgegesetz aus dem Vorjahr erliess er ein vorübergehendes Sonntagsfahrverbot, verfügte Sparmassnahmen beim konzessionierten Transportwesen und bei der Armee, beschränkte die Ausfuhr von Benzin durch ausländische Automobilisten und setzte ein «Verbot der Abgabe von Treibstoffen in zusätzlichen Gebinden» durch.285 Als die Versorgungsungewissheit andauerte, ordnete der Bundesrat im Dezember desselben Jahrs eine «Kontingentierung» von f lüssigen Treib- und Brennstoffen an. Die Einschränkung bestand darin, dass das Volkswirtschaftsdepartement die Importeure f lüssiger Erdölprodukte verpf lichtete, höchstens 10 Prozent ihrer «freien Vorräte» zum Verkauf anzubieten.286 Die befürchtete Mangelsituation blieb aber aus, denn die Einfuhr f lüssiger Erdölprodukte in die Schweiz war zu keinem Zeitpunkt eingeschränkt. Während der Suezkrise litt die Schweiz unter keinem Versorgungsengpass und sie war auch nie ernstlich von einem solchen bedroht. Breiten Bevölkerungskreisen in den westlichen Industrienationen wurde aber erstmals bewusst, wie stark die westlichen Volkswirtschaften von der Ressource Erdöl abhängig geworden waren. Erdöl wird seit 1859 industriell gefördert. Zuerst wurde es lediglich als Lampenöl zu Beleuchtungszwecken und erst in den letzten Jahren des 19. Jahrhunderts als Treibstoff für Automobilmotoren verwendet. Bis zum Zweiten Weltkrieg war der Anstieg des weltweiten Erdölverbrauchs überschaubar. Bis zu diesem Zeitpunkt 142
www.claudia-wild.de: Cottier__Liberalismus_oder_Staatsintervention__[Druck-PDF]/02.09.2014/Seite 143
8.1 Vom Wirtschaftsboom der Nachkriegsjahrzehnte
Abbildung 24: Bis zum Zweiten Weltkrieg war die Kohle der wichtigste Energie träger. In der Nachkriegszeit wurde sie immer mehr durch das Erdöl verdrängt. Kohlelager des Konsumvereins in Zürich. 143
www.claudia-wild.de: Cottier__Liberalismus_oder_Staatsintervention__[Druck-PDF]/02.09.2014/Seite 144
8 Wirtschaftliche Landesversorgung und Neoliberalismus
war immer noch die Kohle der wichtigste Energieträger der westlichen Industriegesellschaften. Nach 1945 änderte sich dies aber rasant. In den 1950er- und 1960er-Jahren setzte ein in der Geschichte unvergleichbarer Siegeszug des Erdöls ein. Europa und die westliche Welt lebten im «Erdölrausch»287, wie es Daniele Ganser treffend ausdrückt. Trotz der ständig steigenden Nachfrage nach Erdöl wurde dieses immer günstiger. Dieses Paradoxon ist damit zu erklären, dass in den 1950er- und 1960er-Jahren vor allem im Nahen Osten nicht nur immer mehr neue Erdölfelder gefunden wurden, sondern diese
Abbildung 25: Heizöllastwagen des Lebensmittelvereins Zürich in der Nachkriegszeit. Bis 1970 stieg die Nachfrage in der Schweiz nach günstigem Erdöl rasant. 144
www.claudia-wild.de: Cottier__Liberalismus_oder_Staatsintervention__[Druck-PDF]/02.09.2014/Seite 145
8.1 Vom Wirtschaftsboom der Nachkriegsjahrzehnte
auch immer effizienter ausgebeutet werden konnten. Bis in die 1970er-Jahre dominierte ein Kartell von sieben global operierenden Grosskonzernen die Förderung, Verarbeitung und den Verkauf von Erdöl. Die Sieben Schwestern, wie diese Firmen auch genannt wurden, erwirtschafteten immense Gewinne. Die Bau- und Betriebskosten sowie die Steuern und die proportional zur Fördermenge zu leistenden Abgaben an die Förderstaaten (Royalties) waren bereits in den 1940er-Jahren sehr niedrig und sanken in der Folge weiter. Die Sieben Schwestern bestimmten bis in die 1970er-Jahre die Erdölpreise. Die privaten Erdölfirmen und die Eliten der erdölfördernden Staaten waren bestrebt, ihre Gewinne durch Förderung zu maximieren. In diesem dual system ging es einerseits den Firmen darum, während der Laufzeit ihrer (günstigen) Verträge möglichst grosse Mengen zu fördern. Andererseits waren die Eliten an möglichst hohen Royalties interessiert. Trotz ständig wachsender Nachfrage bestand deshalb in der Nachkriegszeit stets ein Überangebot an Erdöl. Die historische Forschung betont, wie einmalig die Situation auf dem globalen Erdölmarkt nach dem Zweiten Weltkrieg war.288 Christian Pfister spricht im Zusammenhang mit dem Öl boom nach 1945 von einem zweiten Globalisierungsschock. Der erste solche Schock wurde durch den panatlantischen Getreidehandel in den 1880er-Jahren ausgelöst.289 Die Folgen für die Versorgung der Schweiz waren dabei ähnlich. 1973 deckten die Erd ölimporte 80 Prozent des schweizerischen Energiebedarfs.290 Zur Erinnerung: Vor dem Ersten Weltkrieg importierte das Land rund vier Fünftel 1973 deckten die Erdöl importe 80 Prozent des seines Getreidebedarfs.291 Auch beim schweizerischen Energie Erdöl geriet die Schweiz wiederum in bedarfs. Auch beim Erdöl eine gewinnbringende Abhängigkeit geriet die Schweiz wiederum eines importierten Gutes, das über weite in eine gewinnbringende Distanzen transportiert werden musste. Abhängigkeit eines Der Ausbau der zivilen Luftfahrt, die importierten Gutes, das Beheizung von Wohnraum, die Herstelüber weite Distanzen trans lung von Plastik und vor allem die Autoportiert werden musste. mobilisierung der Ge sellschaft waren 145
www.claudia-wild.de: Cottier__Liberalismus_oder_Staatsintervention__[Druck-PDF]/02.09.2014/Seite 146
8 Wirtschaftliche Landesversorgung und Neoliberalismus
direkte Folgen des Erdölrauschs. Das ausgeprägte Wirtschaftswachstum in den Nachkriegsjahren wäre in diesem Ausmass unmöglich gewesen, wenn nicht billiges Erdöl im Überf luss vorhanden gewesen wäre. Der Erdöltransport auf hoher See und mittels Pipelines war aber störungsanfällig. Dafür hatte die Suezkrise einen ersten Vorgeschmack geliefert. Da relativ wenige Anbieter gleiche Produkte verkauften, war das Erdölgeschäft zudem für Kartellbildungen, Manipulationen und politische Implikationen prädestiniert.292 Als Reaktion auf die uneingeschränkte Macht der Sieben Schwestern hatten sich 1960 die meisten der erdölexportierenden Staaten in der Organisation der erdölexportierenden Länder (OPEC) zusammengeschlossen. Die OPEC verfolgte das Ziel, die mächtige Stellung der privaten Firmen zu brechen und die Gewinnbeteiligung ihrer Mitgliedstaaten zu vergrössern.293 Während der 1960er-Jahre blieben die Erfolge der OPEC in der Auseinandersetzung um höhere Rohölpreise noch bescheiden. Anfang der 1970er-Jahre veränderte sich die Situation aber dramatisch. Der Erdölmarkt wurde unruhig. Ausschlaggebend hierfür war ein währungspolitischer Entscheid der USA. 1971 löste die Grossmacht eigenmächtig den Dollar von der Golddeckung mit dem Ziel, diesen abzuwerten, um so die Auslandschulden zu verringern. Durch diesen Schritt beendete die USA wohlweislich die internationale Währungs- und Finanzordnung von Bretton-Woods aus dem Jahr 1944. Dies hatte grosse Auswirkungen auf den internationalen Erdölhandel. Erdöl war seit dem Zweiten Weltkrieg stets mit amerikanischen Dollars bezahlt worden (daher der Name Petrodollars). In den 1950er- und 1960erJahren funktionierte dieses Zahlungssystem problemlos. Die Förderstaaten konnten die Petrodollars, die ihnen aus der Förderung des Erdöls zuf lossen, jederzeit zu einem fixen Preis in Gold umtauschen. Die Abwertung des Dollars und der Übergang zu f lexiblen Wechselkursen führten dazu, dass die Förderstaaten und die Ölfirmen deutlich weniger verdienten. Mit dem Dollar verlor auch das Erdöl an Wert. In der Folge stritt die OPEC erbittert, 146
www.claudia-wild.de: Cottier__Liberalismus_oder_Staatsintervention__[Druck-PDF]/02.09.2014/Seite 147
8.1 Vom Wirtschaftsboom der Nachkriegsjahrzehnte
aber weiterhin erfolglos mit den privaten Erdölkonzernen um einen höheren Erdölpreis.294 Die angespannte Lage hielt weiter an. Auch in der Schweiz wurde die Problematik bereits vor dem Jom-Kippur-Krieg erkannt. Der Zürcher CVP-Nationalrat Paul Eisenring warnte den Bundesrat vor einer Verteuerung des Erdöls als Folge der Dollarabwertung und forderte eine Erhöhung der Pf lichtlagerbestände bei den f lüssigen Treib- und Brennstoffen.295 Vor dem Hintergrund der Dollarkrise kam es im Oktober 1973 zum Jom-Kippur-Krieg zwischen Ägypten und Syrien gegen Israel. Nach Ausbruch des Kriegs beschloss die OPEC, den Preis für Rohöl mehr als zu verdoppeln.296 Kurz darauf meldete zudem die Organization of Arab Petroleum Exporting Countries (OAPEC), eine Unterorganisation der OPEC, die Fördermenge im Vergleich zum Vormonat um 5 Prozent zu kürzen. Sie drohte mit weiteren kontinuierlichen Kürzungen der Fördermenge, bis sich Israel aus den 1967 besetzten Gebieten zurückziehe. Dadurch wurde Druck auf die westlichen Importländer ausgeübt.297 Die OPEC-Staaten nutzten die politische Krisensituation letztlich für die Durchsetzung einer Erdölpreiserhöhung. Die westliche Welt reagierte empfindlich auf diese Ungewissheit. «Panikkäufe» trieben zusätzlich die Preise in bisher nicht gekannte Höhen.298 Der Bundesrat und der Delegierte für wirtschaftliche Kriegsvorsorge schätzten die Situation falsch ein und sprachen von einer Verknappung der Einfuhr. Der Bundesrat konstatierte eine «enorme Preissteigerung» und beschloss, die Nachfrage nach f lüssigen Treib- und Brennstoffen nach ähnlichem Muster wie 1956 einzuschränken.299 Jens Hohensee und Daniele Ganser zeigen in ihren Studien auf, dass es sich 1973 um einen «Ölpreisschock» und nicht um eine mengenmässige Öl- oder gar Energiekrise handelte. Wie schon 1956 war stets genügend Erdöl vorhanden.300 1973 kam es auch bei der Versorgung mit Zucker und Reis zu Schwierigkeiten. Beim Zucker drohten die Importe aus der Europäischen Gemeinschaft zu versiegen, weil diese erklärte, ihre Produktion vermöge den Eigenbedarf nicht mehr zu decken. Dies 147
www.claudia-wild.de: Cottier__Liberalismus_oder_Staatsintervention__[Druck-PDF]/02.09.2014/Seite 148
8 Wirtschaftliche Landesversorgung und Neoliberalismus
Abbildung 26: Strasse am Brünig an einem der drei autofreien Sonntage, die der Bundesrat zur Einsparung von Erdöl im November und Dezember 1973 anordnete. Zu einer Verringerung der Einfuhrmenge kam es allerdings während des Erdölschocks von 1973 nicht. 148
www.claudia-wild.de: Cottier__Liberalismus_oder_Staatsintervention__[Druck-PDF]/02.09.2014/Seite 149
8.1 Vom Wirtschaftsboom der Nachkriegsjahrzehnte
führte in der Schweiz zu Hamsterkäufen und zu einer vorübergehenden Freigabe von maximal 15 Prozent der Pf lichtlagerbestände.301 Beim Reis führten Missernten in den USA und eine Ausfuhrsperre der EWG-Staaten zu einem Mangel, der aber durch die Öffnung der Pf lichtlager überbrückt werden konnte. Auch diese Massnahmen stützten sich auf das Kriegsvorsorgegesetz von 1955. Den Vorkommnissen des Jahrs 1973 war gemeinsam, dass es sich bei ihnen zum allergrössten Teil nicht um wirtschaftliche Folgen eines Kriegs handelte und schon gar nicht um die Folgen eines Kriegs, der unmittelbar die Schweiz bedrohte. Beim Zucker und viel offensichtlicher beim Ölpreisschock handelte es sich auch keineswegs um Mengenkrisen. Die Einfuhrvolumen dieser Güter waren zu keinem Zeitpunkt eingeschränkt. Beim Erdöl wurde dies den Zeitgenossen bereits Anfang Dezember 1973 bewusst. Bei der politischen Aufarbeitung des Ölpreisschocks wurde festgestellt, dass der Bundesrat seine Interventionsbefugnisse streng genommen überschritten hatte. Das Bundesgesetz für wirtschaftliche Kriegsvorsorge von 1955 erlaubte nämlich staatliche Eingriffe nur bei einer ernstlichen Störung der Zufuhr oder bei unmittelbarer Kriegsgefahr. Tatsächlich konnte nur bei den Importschwierigkeiten für Reis von einer ernstlichen Störung der Zufuhr gesprochen werden. Bundesrat Ernst Brugger räumte denn auch ein, dass sein Departement die Gefahr einer ernstlichen Störung der Zufuhr «etwas vorsorglich und weitsichtig interpretiert» habe. Er führte aber weiter aus, dass man «aufgrund der gestörten Weltlage […] von gestörten Zufuhren reden [könne] und man sollte nicht warten, bis die Konsequenzen dieser internationalen Situation sich an unseren Grenzen bemerkbar machen».302 Möglicherweise war dem in die Defensive geratenen Bundesrat damals nicht bewusst, dass seine Rechtfertigungen die künftige Ausrichtung der Versorgungspolitik vorwegnahmen.
149
www.claudia-wild.de: Cottier__Liberalismus_oder_Staatsintervention__[Druck-PDF]/02.09.2014/Seite 150
8 Wirtschaftliche Landesversorgung und Neoliberalismus
8.2
Die Neuordnung der Landesversorgung
Das Kriegsvorsorgegesetz von 1955 sah zwar bereits das Kriterium der ernstlichen Störung der Zufuhr unabhängig von einer unmittelbaren Kriegsgefahr als Grund für die Bewirtschaftung lebenswichtiger Güter vor, doch mussten diese Störungen kriegsbedingt sein. So hatten zum Beispiel die USA im Koreakrieg die Ausfuhr kriegswichtiger Rohstoffe wie Nickel, Kupfer, Zinn oder Blei gesperrt. Die sogenannten ernstlichen Störungen waren in den Augen des Gesetzgebers von 1955 das Resultat von Kriegen, auch wenn diese die Schweiz nicht unmittelbar gefährdeten. Die enge Bindung der Versorgungspolitik an den Krieg wird auch durch die Formulierung «vorsorgliche Massnahmen für Kriegszeiten» in der Verfassung erkennbar. Die steigende Abhängigkeit von den erdölexportierenden Staaten führte jedoch in der zweiten Hälfte der 1970er-Jahre zu einer Umorientierung auf dem Gebiet der Versorgungspolitik.303 Denn die Suezkrise von 1956 und vor allem die Ereignisse des Jahrs 1973 hatten gezeigt, dass die Versorgung des Landes ernsthaft gefährdet sein konnte, ohne dass der Konf likt zwischen den Supermächten USA und Sowjetunion zu einem Weltkrieg zu eskalieren drohte. In der zweiten Hälfte der 1970er-Jahre setzte deshalb eine Diskussion über eine Reform der Versorgungspolitik ein. 1978 präsentierte der Bundesrat eine Botschaft zur Änderung der Verfassungsgrundlage der Versorgungspolitik. Es lohnt sich, einen genauen Blick auf diese sogenannte Neuordnung der Landesversorgung zu werfen, weil darin die grundsätzliche Neuausrichtung der Versorgungspolitik dokumentiert ist, die den Grundstein für die heute noch gültige Strategie der wirtschaftlichen Landesversorgung legte.304 In seiner Botschaft zu einer Neuordnung der Landesversorgung argumentierte der Bundesrat, «dass die Versorgung unseres Landes mit lebenswichtigen Gütern und Dienstleistungen heute auch durch andere als kriegerische Ereignisse bedroht werden» könne und forderte, dass die «Probleme […] umfassender betrachtet werden» müssten. Er konzipierte drei verschiedene Gefahren szenarien. Neben dem «eigentlichen Krieg» wurde die «äussere 150
www.claudia-wild.de: Cottier__Liberalismus_oder_Staatsintervention__[Druck-PDF]/02.09.2014/Seite 151
8.2 Die Neuordnung der Landesversorgung
machtpolitische Bedrohung» genannt, welche die Versorgung der Schweiz behindern könne, ohne dass diese der unmittelbaren Ge fahr ausgesetzt sei, militärisch angegriffen zu werden. Diese beiden Gefahrenszenarien waren zwar ähnlich wie schon im Kriegsvorsorgegesetz von 1955 formuliert (ernstliche Störung der Zufuhr und unmittelbare Kriegsgefahr), doch das neue Konzept der äusseren machtpolitischen Bedrohung bezog sich nicht mehr nur darauf, dass andere Länder aufgrund eines erhöhten Eigenbedarfs im Kriegsfall die Ausfuhr gewisser Rüstungsrohstoffe zurückhielten. Vielmehr umfasste es ganz allgemein die «machtpolitisch motivierte Sperre, Drosselung [und] Verteuerung der Versorgung». Das Konzept der machtpolitischen Bedrohung ging auf die Erfahrungen des Erdölschocks zurück, als die OPEC die Ölförderung verminderte, um Druck auf die westlichen Industrieländer auszuüben. Ebenfalls auf die Erfahrungen aus dem Jahr 1973 ging die dritte Art der «Bedrohung» zurück, die der Bundesrat «von den Märkten her erwachsen» sah. Er stellte zudem fest, dass «Störungen der Weltmärkte» durch «Missernten» hervorgerufen werden können oder als «unbeabsichtigte Folge einer bestimmten Wirtschaftspolitik» anderer Nationen aufträten. Das potenzielle Versagen des Weltmarkts bedrohe daher die Versorgung der Schweizer Wirtschaft «ständig», argumentierte der Bundesrat. Ausserdem könnte Marktmanipulation durch «Monopolinhaber oder ein Angebotskartell» «machtpolitisch» gewollt sein, besonders dann, wenn es sich wie beim Erdöl um staatlich kontrollierte Anbieter handle. Hier verwischte er die Grenze zwischen äusserer machtpolitischer Bedrohung und Marktversagen. Es fällt auf, dass der Bundesrat das «Überhandnehmen der internationalen Spekulation», die «organisierte Konzentration des Angebots» oder das «auf Schaffung und Vergrösserung einer Mangellage abzielende Aufkaufen und Horten, das darauf folgende Aufden-Markt-Werfen von lebenswichtigen Gütern» als «neuartige Probleme» charakterisierte. Diese Gefahren erinnern jedoch stark an die Situation um 1900.305 Der Ölpreisschock und die Importschwierigkeiten bei Reis und Zucker im Jahr 1973 stellten gewissermassen eine Rückkehr der Versorgungsgefahren dar, wie die 151
www.claudia-wild.de: Cottier__Liberalismus_oder_Staatsintervention__[Druck-PDF]/02.09.2014/Seite 152
8 Wirtschaftliche Landesversorgung und Neoliberalismus
Schweiz sie bereits vor dem Ersten Weltkrieg gekannt hatte. Die Probleme waren überhaupt nicht neuartig, sondern typisch für eine Marktwirtschaft, die in globalen DimenDer Ölpreisschock und sionen funktionierte, aber stark von na die Importschwierigkeiten tionalen Interessen beeinf lusst wurde. bei Reis und Zucker im Jahr Auch die eigenmächtige Auf lösung des 1973 stellten gewisser Bretton-Wood-Systems durch die USA massen eine Rückkehr der 1971 führte dies deutlich vor Augen. Versorgungsgefahren dar, Besonders der weltweite Erdölmarkt, wie die Schweiz sie bereits der in den Boomjahren der Nachkriegsvor dem Ersten Weltkrieg zeit eine Grundlage für das europäische gekannt hatte. Wirtschaftswunder gewesen war, unterlag nun grossen wirtschaftlichen und politischen Spannungen. Diese Ausgangslage stellte die Versorgungspolitik der Schweiz seit den 1970er-Jahren wieder vor neue Herausforderungen. Noch nahm die wirtschaftliche Landesverteidigung im Fall einer kriegerischen Auseinandersetzung einen hohen Stellenwert ein. Doch daneben wurden 1978 die Grundlagen für eine Neuausrichtung gelegt. Die Bundesverwaltung sollte neu die internationalen Märkte beobachten und dabei nicht mehr primär von kriegerischen oder anderen machtpolitischen Bedrohungen ausgehen, sondern die Gefahren abschätzen, welche die dichte und gewinnbringende Vernetzung der Schweiz mit den internationalen Märkten – eine gewinnbringende Abhängigkeit – mit sich brachte. Damit setzte ein sogenanntes Denken in Risiken ein, auf das im Abschnitt 8.4 näher eingegangen wird.306 Die Neuordnung der Landesversorgung stellte nicht nur eine rückwärtsgewandte Anpassung an eine veränderte Versorgungslage dar. Obwohl die Botschaft vor den neuartigen Gefahren der Märkte warnte, war sie gewissermassen selbst Produkt der neuen Entwicklung. Die folgenden Zitate verdeutlichen die weltanschauliche Wende in der Versorgungspolitik: «Hinsichtlich des markwirtschaftlichen Bereichs ist davon auszugehen, dass die Si cherstellung der Versorgung mit lebenswichtigen Gütern und 152
www.claudia-wild.de: Cottier__Liberalismus_oder_Staatsintervention__[Druck-PDF]/02.09.2014/Seite 153
8.2 Die Neuordnung der Landesversorgung
Dienstleistungen nach unserer freiheitlichen Wirtschaftsordnung Sache der Privatwirtschaft ist. Der Staat geht bei der Versorgungspolitik davon aus, dass es in erster Linie die marktwirtschaftlichen Kräfte sind, die mit dem ihnen gemässen Vorgehen die Aufgabe erfüllen. Er wird also mit eingreifenden Massnahmen Zurückhaltung üben, solange die Märkte funktionieren.» 1978 wurden die private Initiative und die Märkte als Träger der Versorgungspolitik rehabilitiert. Staatliche Eingriffe sollten fortan nur noch nach dem Prinzip der «Subsidiarität» erfolgen, also erst, wenn der Markt sich nicht 1978 wurden die private Initiative und die Märkte mehr selbst regulieren kann.307 Diese als Träger der Versorgungs Aussagen widersprachen der Doktrin der politik rehabilitiert. Staatsintervention, die seit dem Ersten Weltkrieg und spätestens seit der Weltwirtschaftskrise die Versorgungspolitik geprägt hatte. Am 2. März 1980 wurde der neue Landesversorgungsartikel in die Verfassung aufgenommen.308 Die Vorstellung, dass nicht mehr der Krieg und der Staat, sondern die Märkte und die private Wirtschaft im Zentrum der Versorgungspolitik stehen, war in der Folge richtungsweisend. Bei der Ausarbeitung des neuen Bundesgesetzes über die wirtschaftliche Landesversorgung (Landesversorgungsgesetz) von 1982 wurde be tont, dass unter dem Etikett der Versorgungspolitik kein «staat liche[r] Interventionismus» betrieben werde und die «Versorgungspolitik die Wirtschaftspolitik nicht dominieren» dürfe. Sie solle keine «Strukturpolitik mit protektionistischen Ansätzen» betreiben und keine «im internationalen Konkurrenzkampf un terlegene Unternehmen schützen». Positiv ausgedrückt bedeutete dies: «Die Vorsorgewirtschaft hatte sich nach den gegebenen Verhältnissen, das heisst nach den Regeln der freien Marktwirtschaft zu richten». Den konzeptuellen Wandel wollte der Bundesrat nicht zuletzt auch durch die Position des Delegierten unterstreichen, indem die Führung des neuen «Bundesamts für Landesversorgung» künftig mit einer «Persönlichkeit aus der Wirtschaft» zu besetzen war, die als «Verbindungsmann zwischen Behörden und Wirtschaft» wal153
www.claudia-wild.de: Cottier__Liberalismus_oder_Staatsintervention__[Druck-PDF]/02.09.2014/Seite 154
8 Wirtschaftliche Landesversorgung und Neoliberalismus
tete.309 Im Gegensatz dazu hatte es sich beim Delegierten oder Beauftragten während des Zweiten Weltkriegs stets um Bundesbeamte gehandelt. Am konkreten Massnahmenkatalog der Versorgungspolitik änderte die Neuausrichtung vorerst nichts. Der Staat stand weiterhin in «ständige[r] Bereitschaft», um im Kriegsfall bei einer machtpolitischen Bedrohung oder neu bei einer schweren wirtschaftlichen Mangellage die Versorgung des Landes zu gewährleisten.310 Die wichtigste versorgungspolitische Massnahme blieb die Pf lichtlagerhaltung, wobei der Staat weiterhin die Einfuhr von lebenswichtigen Gütern der Bewilligung unterstellen konnte, um auf diese Weise die Importeure zur Lagerhaltung verpf lichten zu können. Das Landesversorgungsgesetz, das 1982 in Kraft trat, regelte in erster Linie die Pf lichtlagerhaltung. Die Märkte und die Privatwirtschaft rückten nicht aufgrund einer tatsächlichen Versorgungskrise wieder ins Zentrum der Versorgungspolitik. Ausschlaggebend für ihre Rehabilitierung war vielmehr ein neuer wirtschaftspolitischer Diskurs, der sich in den westlichen Industriegesellschaften als Antwort auf die Rezession der 1970er-Jahre ausbreitete. Zuerst von seinen Anhängern und später vor allem von seinen Kritikern als Neoliberalismus bezeichnet, setzte sich diese Strömung für die Liberalisierung der Märkte und die Verkleinerung des Staatsapparats durch Privatisierungen ein.311 Just für das Jahr 1978 – als die Botschaft für die Neuordnung der Landesversorgung diskutiert wurde – setzt David Harvey den Beginn des neoliberalen Zeitalters an. In den USA und Grossbritannien formulierten die Regierungen unter Margaret Thatcher und Ronald Reagan ihre Wirtschaftspolitik nach den neuen Theorien, welche die Staatsintervention als leitende Doktrin ablösten.312 Die neue Versorgungspolitik von 1978 beziehungsweise 1982 ist daher selbst als Teil der neuen neoliberalen Wirtschaftsordnung zu verstehen. Möglichst grosse und freie Märkte waren nach der Vorstellung der neoliberalen Doktrin am besten geeignet, die wirtschaftlichen Prob le me der Industriestaaten zu lösen. Diese 154
www.claudia-wild.de: Cottier__Liberalismus_oder_Staatsintervention__[Druck-PDF]/02.09.2014/Seite 155
8.2 Die Neuordnung der Landesversorgung
Meinung teilte auch der Bundesrat, indem er die Versorgung des Landes wieder primär als Aufgabe der Privatwirtschaft verstand. Die Übertragung der Versorgungsaufgabe vom Staat auf die Privatwirtschaft war ein früher, wenn auch praktisch wenig bedeutender Schritt. Gleichzeitig erkannte der Bundesrat aber auch die Gefahren, welche die wirtschaftliche Liberalisierung für die Versorgung der Schweiz mit sich brachte. Die launischen Weltmärkte stellten eben auch eine potenzielle Gefahr für die Versorgung dar. War die Privatwirtschaft mit ihrer Aufgabe überfordert, sollte der Staat vorübergehend eingreifen können. Durch die Neuausrichtung begann sich die Versorgungspolitik allmählich von ihrem interventionistischen und strukturpolitischen Erbe aus der Zwischenkriegszeit und dem Zweiten Weltkrieg zu lösen. Die Getreideversorgung (Getreidemonopol und Monopolfreie Lösung) als erste dauerhafte Versorgungsinstitution hatte neben versorgungspolitischen auch protektionistische und strukturpolitische Ziele verfolgt. Die Weltwirtschaftskrise hatte schliesslich zum Ende der liberalen Wirtschaftsdoktrin geführt und diese durch den Staatsinterventionismus ersetzt, aus dem die umfassende Kriegswirtschaft des Zweiten Weltkriegs entstanden war. Zwischen 1939 und 1945 hatten die Eingriffe ihren Höhepunkt erreicht. Die staatlich gesteuerte Wirtschaft hatte die inländische Produktion, den Export und die Geldpolitik mit dem Arbeitsplatz, dem Im port und der Versorgung der Bevölkerung abgestimmt. Mit dem Landesversorgungsgesetz von 1982 begannen sich die Verbindungen zwischen der Landesversorgung und den strukturpolitischen ZielsetMit dem Landesversorgungs gesetz von 1982 begannen zungen zu lösen. Das Gesetz ersetz sich die Verbindungen zwi te deswegen auch den Begriff der schen der Landesversorgung Kriegsvorsorge und verwendete stattund den strukturpolitischen dessen denjenigen der wirtschaftliZielsetzungen zu lösen. chen Landesversorgung.
155
www.claudia-wild.de: Cottier__Liberalismus_oder_Staatsintervention__[Druck-PDF]/02.09.2014/Seite 156
8 Wirtschaftliche Landesversorgung und Neoliberalismus
8.3
Praktische Neuausrichtung der wirtschaftlichen Landesversorgung in den 1990er-Jahren
Das Ende des Kalten Kriegs brachte erneut Bewegung in die Versorgungspolitik. Durch den Zusammenbruch der Sowjetunion verlor die wirtschaftliche Landesversorgung eines ihrer wesentlichen Szenarien, mit dem sie seit dem Zweiten Weltkrieg politisch ihre Daseinsberechtigung begründet hatte. Aber nicht nur die veränderte sicherheitspolitische Lage, sondern auch die Möglichkeit eines Schweizer Beitritts zur Europäischen Union und die teilweise Agrarliberalisierung stellten die wirtschaftliche Landesversorgung vor eine ungewisse Zukunft. Im Parlament meldeten sich daher in den frühen 1990er-Jahren Kritiker und Befürworter zur Frage, ob und in welcher Form die wirtschaftliche Landesversorgung nach dem Kalten Krieg zu betreiben sei.313 Die Diskussion um die Versorgungspolitik wurde zudem durch eine grundlegende Entwicklung in der Wirtschaftspolitik provoziert. Der Neoliberalismus trat nach der zeitgeschichtlichen Wende noch deutlicher als wirtschaftspolitisches Paradigma in Erscheinung.314 Die wirtschaftliche Landesversorgung stand in der Kritik, obwohl sie sich mit der Gesetzgebung von 1978 beziehungsweise 1982 bereits eine neoliberale Richtung gegeben hatte. Je nach Sichtweise wurde die Institution der wirtschaftlichen Landesversorgung als gefährdet oder überkommen betrachtet. Für einige Vertreter der politischen Linken stellte die Landesversorgung ein Relikt aus dem Zweiten Weltkrieg dar, unter deren Deckmantel Kartellwirtschaft betrieben werde. Es ist be zeichnend, dass die Motion Theo Meyer von «wirtschaftlicher Kriegsvorsorge» sprach, obwohl dieser Begriff seit 1978 nicht mehr aktuell war.315 Diese Verwechslung, ob bewusst oder nicht, zeigt deutlich, dass die motionsstellenden Parlamentarier die wirtschaftliche Landesversorgung noch immer mit dem Zweiten Weltkrieg in Verbindung brachten. Es stellte sich daher die grundlegende Frage, ob sie überhaupt noch nötig sei. Die Institution der wirtschaftlichen Landesversorgung war aber auch Kritik aus dem 156
www.claudia-wild.de: Cottier__Liberalismus_oder_Staatsintervention__[Druck-PDF]/02.09.2014/Seite 157
8.3 Praktische Neuausrichtung der wirtschaftlichen Landesversorgung
bürgerlichen Lager ausgesetzt. Neu wurde die Landesversorgung nach ihrer Wirtschaftlichkeit hinterfragt. Dabei wurden die «hohen jährlichen Kosten» kritisiert, welche die Pf lichtlager verursachten, und es wurde ein Abbau der Bestände verlangt.316 Beide Forderungen entsprachen der neoliberalen Wirtschaftsdoktrin. Darüber hinaus forderte die Doktrin eine striktere Trennung von Wirtschaft und Staat. Dies betraf konkret auch die Finanzierungsweise der Pf lichtlager und der Schweizer Hochseeschiffe, was im Volkswirtschaftsdepartement vorerst für Verunsicherung sorgte. Das Landesversorgungsgesetz von 1982 schrieb dem Bund vor, für eine günstige Finanzierung der Pf lichtlager zu sorgen.317 Bisher hatte dies eine Vereinbarung des Bundes mit der Schweizerischen Nationalbank und den Privatbanken ermöglicht. 1989 weigerte sich die Nationalbank «aus Gründen der Preisstabilitäts- und Geldmengenpolitik», mit der bisherigen Finanzierungsweise der Pf lichtlagerwaren fortzufahren. Sie war nicht mehr bereit, «Pf lichtlagerwechsel» der Geschäftsbanken zu «subventionieren».318 Dies entsprach dem neoliberalen Staatsverständnis. Auf ähnliche Weise änderte sich auch die Finanzierung der Schweizer Hochseeschiffe. Hier widerrief die Schweizerische Bankiervereinigung 1990 ihre «Abmachung» mit dem Volkswirtschaftsdepartement «über die Zinsgestaltung für Schiffshypothekardarlehen aus wettbewerbsrechtlichen Gründen» und überliess «die Zinsfrage dem freien Ermessen ihrer Mitgliedbanken».319 Das neoliberale Credo sorgte auch hier dafür, dass sich die institutionellen Verbindungen zwischen Staat und Privatwirtschaft auf lösten. Die wirtschaftliche Landesversorgung musste sich in den frühen 1990er-Jahren diesen Veränderungen stellen, und das Volkswirtschaftsdepartement musste neue praktische Lösungen finden, um die Pf lichtlagerfinanzierung günstig zu gestalten. Eine neue Vereinbarung zwischen dem Volkswirtschaftsdepartement und der Schweizerischen Bankiervereinigung sah vor, dass jenes Pf lichtlagerdarlehen nur noch gegenüber Geschäftsbanken garantieren konnte, ohne die Möglichkeit einer Rediskontierung bei der Nationalbank. Dadurch konnten die Zinsen weiterhin tief und damit die 157
www.claudia-wild.de: Cottier__Liberalismus_oder_Staatsintervention__[Druck-PDF]/02.09.2014/Seite 158
8 Wirtschaftliche Landesversorgung und Neoliberalismus
Kredite günstig gehalten werden. Der Bundesrat sprach von einer Lösung «ohne direkte Beteiligung oder Intervention des Bundes».320 1992 schlug das Volkswirtschaftsdepartement staatliche «So lidarbürgschaften» anstelle der bisherigen einfachen Bürgschaften vor, um die Finanzierungsbedingungen der von der Ausf laggung bedrohten Schweizer Hochseeschifffahrt zu verbessern. Das Departement war ernsthaft darüber besorgt, dass die Schweizer Hochseef lotte ihre «sicherheitspolitischen Erfordernisse» nicht mehr er füllen könne. Die bisherigen strengen Finanzierungsvorschriften, die Schweizer Reeder und Eigner ermuntern sollten, ihre Seeschiffe unter Schweizer Flagge zu betreiben, mussten liberalisiert werden.321 Ähnlich wie bei der Pf lichtlagerfinanzierung wurde eine Lösung gefunden, die auf staatlichen Solidarbürgschaften mit f lexiblen Konditionen sowie einer gewissen Lockerung der bisherigen rigiden Registrierungsbedingungen beruhte.322 Ab 1995 stand auch die Pf lichtlagerpolitik unter dem Zeichen der neoliberalen Wirtschaftspolitik. 1991 hatte das Volkswirtschaftsdepartement die Pf lichtlagerbestände nur in geringem Um fang reduziert und dies in erster Linie mit dem Wegfall der «machtpolitischen Bedrohung seitens des Warschauer Pakts» be gründet.323 Die «Pf lichtlagerpolitik» für die Jahre 1996 bis 1999 sah hingegen eine erhebliche Reduktion der Lagerbestände vor, die ab 2000 kontinuierlich weitergeführt wurde.324 Gleichzeitig war die Unsicherheit über den Verlust der Unterstützung durch die Nationalbank bei der Finanzierung der Pf lichtlager einer neuen neoliberalen Zuversicht gewichen. Dementsprechend argumentierte das Volkswirtschaftsdepartement 1995: «Eine staatliche Finanzierung stünde den wirtschaftspolitischen Bestrebungen nach Deregulierung der schweizerischen Wirtschaft und nach verstärkter Beachtung des Subsidiaritätsprinzips diametral entgegen.»325 Der Bericht von 1995 rechnete zudem erstmals die Kosten auf, welche die «Wohnbevölkerung […] pro Person und Kopf» für die Versorgungssicherheit ausgeben musste, und sprach in diesem Zusammenhang von einer «Versicherungsprämie».326 Die Pf lichtlager hatten neben ihrer eigentlichen Zweckerfüllung auch noch günstig 158
www.claudia-wild.de: Cottier__Liberalismus_oder_Staatsintervention__[Druck-PDF]/02.09.2014/Seite 159
8.3 Praktische Neuausrichtung der wirtschaftlichen Landesversorgung
zu sein. Indem das Volkswirtschaftsdepartement die Pf lichtlager neu auch nach finanziellen Kriterien beurteilte und unter Kostendruck setzte, ging es auf die erwähnte Kritik ein. Die stark reduzierten Pf lichtlager bilden nach wie vor eine der wesentlichen Versorgungsmassnahmen. Um sie aufrechtzuerhalten, wurden zwei Errungenschaften aus der Zeit der staatsinterventionistischen Doktrin in die neoliberale Ordnung überführt. Zur Einfuhr von Waren, die der Pf lichtlagerhaltung unterstehen, braucht es trotz des Allgemeinen Zoll- und Handelsabkommens (General Agreement on Tariffs and Trade, GATT) und den Freihandelsabkommen mit der Europäischen Gemeinschaft (heute Eu ropäische Union) für Importgüter weiterhin eine staatliche Bewilligung, die ihre historischen Wurzeln in der Weltwirtschaftskrise hat.327 Die Kosten solcher Pf lichtlager werden weiterhin durch Garantiefonds der betreffenden Branchen entschädigt, die von privatrechtlichen «Pf lichtlagerorganisation[en]» verwaltet werden. In diesen Selbsthilfeorganisationen können sich die Importeure bewilligungspf lichtiger Güter zusammenschliessen.328 Wie oben erörtert, stammen diese Strukturen aus der Zeit der Weltwirtschaftskrise und des Zweiten Weltkriegs, hatten sich aber schon im Ersten Weltkrieg abgezeichnet. Bei der Hochseeschifffahrt konnte die Situation in den 1990er-Jahren merklich verbessert werden. Seit den 2000er-Jahren steht dem Bund ein Bürgschaftsrahmenkredit von über einer Milliarde Franken zur Verfügung.329 Versorgungspolitisch hängt die verstärkte staatliche Förderung der Hochseeschifffahrt mit dem Abbau der Pf lichtlagerbestände zusammen. 1997 vermerkte der Bundesrat dazu: «Die versorgungspolitische Bedeutung einer eigenen Hochseef lotte steigt deshalb in dem Masse, wie die Vorräte von Handel und Industrie in unserem Lande abnehmen […].»330 Die Sicherung der Transportwege nimmt in der heutigen Versorgungspolitik eine ebenso wichtige Stellung ein wie die Lagerhaltung. Der Gütertransport über die Weltmeere stellt ein besonders sensibles Glied in der langen Versorgungskette des Binnenstaats Schweiz dar. Er ist dabei selbst ein «versorgungspolitisches Risiko».331 Eine eigene 159
www.claudia-wild.de: Cottier__Liberalismus_oder_Staatsintervention__[Druck-PDF]/02.09.2014/Seite 160
8 Wirtschaftliche Landesversorgung und Neoliberalismus
Hochseef lotte bringt die Sicherheit, dass der Transport lebenswichtiger Güter auf See auch in wirtschaftlichen und politischen Krisen funktioniert und der Güterf luss aufrechterhalten werden kann. Zudem belastet das System der Solidarbürgschaften den Staatshaushalt so lange nicht, als die Schiffseigner solvent bleiben. Neben der Sicherung der Einfuhren aus Übersee wies der Bundesrat darauf hin, dass der «nationale Wirtschaftsstandort» in Krisenzeiten auf eine funktionierende Hochseef lotte angewiesen
Abbildung 27: Die MCT Matterhorn ist eines von 46 Schweizer Hochseefracht schiffen, die dem Bund für den Fall von Marktstörungen zur Aufrechterhaltung des Imports und Exports zur Verfügung stehen. Im neuen Versorgungsgesetz soll der Sicherung der internationalen Transportwege eine hohe Priorität beigemessen werden. 160
www.claudia-wild.de: Cottier__Liberalismus_oder_Staatsintervention__[Druck-PDF]/02.09.2014/Seite 2
www.claudia-wild.de: Cottier__Liberalismus_oder_Staatsintervention__[Druck-PDF]/02.09.2014/Seite 3
Maurice Cottier
Liberalismus oder Staatsintervention Die Geschichte der Versorgungspolitik im Schweizer Bundesstaat
Verlag Neue Z端rcher Zeitung