Franzen, Z'Graggen: An der Fluchgasse

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An der Fluchgasse Ein Ort voller Geschichte und Geschichten im Zürcher Niederdorf Barbara Franzen Andreas Z’Graggen

Verlag Neue Zürcher Zeitung


5 Editorial «Ein Dankeschön an mein geliebtes Niederdorf» 8 Neues Leben in der Zürcher Altstadt 18 Die Marktgasse – bis in die Neuzeit Zürichs Wirtschaftszentrum 34 Ein rotes Haus so alt wie die Eidgenossenschaft 56 Wirte, Apotheker, Pastetenbäcker, Bodenwichsehersteller – eine bunte Besitzerschaft 62 Vom Milchmann aus Fluntern zum Zürcher Gastrokönig 76 Roger Pfändler und sein legendärer «Fyrabig Plausch» 92 Die Girls können mehr als nur tanzen und nett plaudern 120 Tolles Varieté-Theater in Jecklins «Polygon»

136 Linksbewegte und «Blutjunge Verführerinnen» im Kino «Etoile» 146 Schwulenjagd auf dem Elsässerplatz 172 Interview «Das ungezwungene, fröhliche, andere Zürich» 179 Herausgeber und Autoren 181 Glossar 185 Quellen 199 Bildnachweis 200 Dank, Impressum


5 Editorial «Ein Dankeschön an mein geliebtes Niederdorf» 8 Neues Leben in der Zürcher Altstadt 18 Die Marktgasse – bis in die Neuzeit Zürichs Wirtschaftszentrum 34 Ein rotes Haus so alt wie die Eidgenossenschaft 56 Wirte, Apotheker, Pastetenbäcker, Bodenwichsehersteller – eine bunte Besitzerschaft 62 Vom Milchmann aus Fluntern zum Zürcher Gastrokönig 76 Roger Pfändler und sein legendärer «Fyrabig Plausch» 92 Die Girls können mehr als nur tanzen und nett plaudern 120 Tolles Varieté-Theater in Jecklins «Polygon»

136 Linksbewegte und «Blutjunge Verführerinnen» im Kino «Etoile» 146 Schwulenjagd auf dem Elsässerplatz 172 Interview «Das ungezwungene, fröhliche, andere Zürich» 179 Herausgeber und Autoren 181 Glossar 185 Quellen 199 Bildnachweis 200 Dank, Impressum


ieses Buch handelt von der Marktgasse, früher oft auch als «Fluchgasse» beschimpft. Sie liegt im Zürcher Niederdorf und war bis in die Neuzeit das wirtschaftliche Herz der Limmatstadt. Wir haben das Glück, dass uns im oberen Teil dieser Marktgasse, dort, wo sie sich mit der Münstergasse zum sogenannten Elsässerplatz vereint, vier Liegenschaften gehören: der einstige Gasthof «Zum Goldenen Schwert», das Haus «Zum Wilden Mann», ein kleiner Kiosk und das ehemalige Hotel «Rothus», wohl das älteste Gasthaus Zürichs. Innen und aussen total renoviert, erstrahlt «Ein Dankeschön es seit September 2015 in neuem Glanz als an mein geliebtes «Hotel Marktgasse». Nun sind alle LiegenNiederdorf» schaften für eine neue Phase bereit. Das ist der Anlass für dieses Buch. Ich habe zum Quartier schon seit vielen Jahren eine enge Beziehung und mich aus emotionalen Gründen in diesem Teil der Zürcher Altstadt engagiert. Es gibt im Leben Orte, die einem vertraut sind und in Erinnerung und Träumen Kraft, Halt und Eingebung schaffen. Für mich sind das Esszimmer meiner Eltern, Papas Kaffeerösterei, die Wiese vor der Jagdhütte, Hole one des Royal Dornoch Golf, unser Sitzplatz am See unter den drei Ahornbäumen und solche Orte. Und das Niederdorf, insbesondere der Elsässerplatz. In diesem Quartier des alten Zürich verbrachte ich erste Zeiten nach dem Abschluss meiner Luzerner Mittelschule. Grossstadt – und trotz­dem Charme der Kleinstadt. Ich wohnte da mehrere Jahre, durfte in diese wundervolle Welt liebenswerter Gastfreundschaft eintauchen und verbrachte mit kreativen Menschen unzählige Stunden in den dortigen Lokalen. Eine faszinierende Zeit der Inspiration. Später war ich traurig, mitansehen zu müssen, wie das Niederdorf und insbesondere die Marktgasse schleichend an Attraktivität und Leben verloren. Sympathische, erstklassige Fachgeschäfte wurden geschlossen. Der Fischhändler, die Bäckerei, der Käseladen – sie alle verschwanden. Zahlreiche Häuser verlotterten oder wurden von «Investoren» ertragsoptimierend umgebaut. Das Dörfli-Leben wurde dünner. Schwindende Vergangenheit ohne Zukunftsvision. Ich fühlte mich in meiner Seele angesprochen. Zeitgemässe Lebensräume zu entwickeln, war schon vor 50 Jahren das Thema meiner Doktorarbeit. Die Frage wurde also zusehends drängender: Was kann ich dazu beitragen, dem Niederdorf Strahlkraft zurückzugeben? Da bot sich die 5


Chance, mich an den Altstadtimmobilien des Unternehmers Hans Jecklin zu beteiligen. Wir wollten beide mehr als nur eine lohnende Investition tätigen. Wir wollten ein Gesamtkunstwerk schaffen als Dankeschön an unser geliebtes Niederdorf. Wir arbeiteten sechs Jahre harmonisch zusammen. Schliesslich hat Hans Jecklin die Aufgabe mir allein überlassen. Jetzt ist sie abgeschlossen. Die geschichtsreichen Häuser werden demnächst in eine von meiner Frau Regula und mir gegründete Stiftung eingebracht und somit langfristig und nachhaltig gesichert. Die traditionsbewussten und feinfühligen Architekten Quintus Miller und Paola Maranta machten in einem Architekturwettbewerb die besten Vorschläge, wie diese schönen alten Gebäude zu renovieren waren: im Gleichgewicht zwischen dem Respekt vor dem Hergebrachten und den Ansprüchen unserer Zeit. Schliesslich fanden wir mit COS, Changemaker, Valora und Migros Zürich – Letztere als Betreiberin des «Marktgasse Hotel» – Partner, die diesem Teil des Niederdorfs neue Kraft schenken und junges, vitales Leben zurückbringen. Für die Wohnungen haben wir Mieter ausgewählt, die auch wirklich in der Altstadt wohnen und diese lieben und beleben. Besitzerin der Liegenschaften ist die Alt-Züri AG. VR-Präsidentin Gisela Lacher hat von allem Anfang an meine Vision geteilt und deren Umsetzung mit viel Energie, Feingefühl und Wissen begleitet. Georg Medricky zusammen mit meinem erprobten Bauherrenvertreter Markus Salathé haben das Projekt mit sorgfältiger Professionalität durchgezogen und zum Abschluss gebracht. Franziska und Daniel Kessler haben ein stimmiges Konzept für das Hotel entworfen; Ueli Santschi und sein Team haben es mit Begeisterung und Leidenschaft entwickelt und umgesetzt. Allen, die an dem Vorhaben beteiligt waren, danke ich herzlich für ihr nie erlahmtes Engagement. Danken möchte ich auch den Autoren dieses Buches, der Historikerin Barbara Franzen, dem Journalisten Andreas Z’Graggen, der Produzentin Maya Repele, den Grafikern Prill Vieceli Cremers, Fotograf Niklaus Stauss, Hans-Peter Thür von NZZ Libro sowie allen anderen, die am Gelingen dieser spannenden Arbeit über die Geschichte der «Fluchgasse» beteiligt waren. Ich widme dieses Buch meiner Frau Regula Curti. Beat Curti Zürich, im Herbst 2015

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Wo sich die Marktgasse im Zürcher Niederdorf weitet, liegt der sogenannte Elsässerplatz: Stadtplan von Jodocus Murer von 1576.


Chance, mich an den Altstadtimmobilien des Unternehmers Hans Jecklin zu beteiligen. Wir wollten beide mehr als nur eine lohnende Investition tätigen. Wir wollten ein Gesamtkunstwerk schaffen als Dankeschön an unser geliebtes Niederdorf. Wir arbeiteten sechs Jahre harmonisch zusammen. Schliesslich hat Hans Jecklin die Aufgabe mir allein überlassen. Jetzt ist sie abgeschlossen. Die geschichtsreichen Häuser werden demnächst in eine von meiner Frau Regula und mir gegründete Stiftung eingebracht und somit langfristig und nachhaltig gesichert. Die traditionsbewussten und feinfühligen Architekten Quintus Miller und Paola Maranta machten in einem Architekturwettbewerb die besten Vorschläge, wie diese schönen alten Gebäude zu renovieren waren: im Gleichgewicht zwischen dem Respekt vor dem Hergebrachten und den Ansprüchen unserer Zeit. Schliesslich fanden wir mit COS, Changemaker, Valora und Migros Zürich – Letztere als Betreiberin des «Marktgasse Hotel» – Partner, die diesem Teil des Niederdorfs neue Kraft schenken und junges, vitales Leben zurückbringen. Für die Wohnungen haben wir Mieter ausgewählt, die auch wirklich in der Altstadt wohnen und diese lieben und beleben. Besitzerin der Liegenschaften ist die Alt-Züri AG. VR-Präsidentin Gisela Lacher hat von allem Anfang an meine Vision geteilt und deren Umsetzung mit viel Energie, Feingefühl und Wissen begleitet. Georg Medricky zusammen mit meinem erprobten Bauherrenvertreter Markus Salathé haben das Projekt mit sorgfältiger Professionalität durchgezogen und zum Abschluss gebracht. Franziska und Daniel Kessler haben ein stimmiges Konzept für das Hotel entworfen; Ueli Santschi und sein Team haben es mit Begeisterung und Leidenschaft entwickelt und umgesetzt. Allen, die an dem Vorhaben beteiligt waren, danke ich herzlich für ihr nie erlahmtes Engagement. Danken möchte ich auch den Autoren dieses Buches, der Historikerin Barbara Franzen, dem Journalisten Andreas Z’Graggen, der Produzentin Maya Repele, den Grafikern Prill Vieceli Cremers, Fotograf Niklaus Stauss, Hans-Peter Thür von NZZ Libro sowie allen anderen, die am Gelingen dieser spannenden Arbeit über die Geschichte der «Fluchgasse» beteiligt waren. Ich widme dieses Buch meiner Frau Regula Curti. Beat Curti Zürich, im Herbst 2015

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Wo sich die Marktgasse im Zürcher Niederdorf weitet, liegt der sogenannte Elsässerplatz: Stadtplan von Jodocus Murer von 1576.


in wahres Kleinod spätmittelalterlicher Steinmetzkunst wurde beim Umbau des « Rothus’ », eines uralten Gasthofs an der Zürcher Marktgasse, entdeckt: eine Fenstersäule mit üppiger Verzierung im einstigen Saal im zweiten Stock. Die Freilegung dieses während vielen Jahren hinter einer Wandverkleidung verschwundenen Kunstwerks ist für Beat Curti, den Besitzer des «Rothus’», «ein schöner, reicher Lohn» für sein Bemühen, alten Häusern an der Marktgasse «neues Leben einzuhauchen». Die Marktgasse war seit dem Mittelalter bis in die neuere Zeit die wichtigste GeschäftsNeues Leben strasse der Stadt. In Läden, auf der Gasse, in in der Zürcher Wohnungen und Zunfthäusern, in Schenken Altstadt und Spelunken wurde gekauft und verkauft, getrunken und gegessen, gestritten und politisiert – und geflucht. Fluchgasse wurde die enge Marktgasse, wo man sich dauernd in die Quere kam, in der frühen Neuzeit denn auch genannt. Hier wurde fast alles angeboten, was man für das tägliche Leben brauchte, von der Limmat bis hinauf zu jenem Platz, der im Volksmund später Elsässer hiess, wo Münstergasse und Marktgasse aufeinandertreffen. Das war ein zentraler Knotenpunkt, der gleichermassen weltliche und geistliche Macht, Rathaus und Grossmünster, miteinander verband. Seit dem ausgehenden 19. Jahrhundert begann die Marktgasse ihre Bedeutung zu verlieren. Mehr und mehr zogen die Handwerker weg, und von den unzähligen kleinen Geschäften machte eines nach dem andern den Laden dicht. Bäckerei, Metzgerei, Apotheke – die gibt es dort alle nicht mehr. Der Käsehändler, der Fischverkäufer, das Merceriegeschäft – verschwunden. Diese Entwicklung kann man nicht aufhalten. Erhalten indes kann man die teils prächtigen alten Häuser. Und exakt das ist es, was der Unternehmer Beat Curti will. Curti ist zwar Luzerner, doch schon seit den 1970er-Jahren pflegt er eine enge Beziehung zur Zürcher Altstadt. Er wohnte hier, er arbeitete hier, er vergnügte sich hier. Besonders der sogenannte Elsässerplatz, wie eh und je eine Art Drehscheibe der Altstadt, liegt ihm am Herzen. «Von da aus kann man all die kleinen, feinen Geschäfte entdecken, Galerien, Cafés und Bars aufsuchen», sagt Curti. «Und Leute sehen. Kaum verlasse ich meine Wohnung im ehemaligen ‹Goldenen Schwert›, treffe ich bestimmt jemanden, mit dem ich ein Schwätzchen halten kann. Herrlich!» An der Marktgasse zu engagieren begann sich Beat Curti 2004. Damals beteiligte er sich an den Liegenschaften «Rothus» und «Goldenes 8

Schwert», zu jener Zeit Hotels im Zwei-Sterne-Bereich mit diversen Gastroangeboten. Sie gehörten dem Unternehmer Hans Jecklin, gross geworden im Spielsalon- und Casinogeschäft. Gemeinsam planten Curti und Jecklin über ihre je hälftig gehaltene Firma Alt-Züri Immobilien AG einen Neustart sowohl im «Rothus» als auch im «Goldenen Schwert». Das denkmalgeschützte «Rothus», eines von Zürichs ältesten Gasthäusern,

Der «Wilde Mann» und ein Kiosk Das Haus an der Marktgasse 10 trug schon im ersten noch erhaltenen Steuerbuch von 1357 den Namen « Zum Wilden Mann». Damals gehörte es einem Klaus Früego (Früh). In der Folge besassen verschiedene Handwerker das stattliche Gebäude. Als wohlhabende Leinenweber und Tuchscherer waren sie Mitglieder der Zünfte zur Waag und zu Schneidern. Zudem sassen mehrere von ihnen im Rat der Stadt. Noch Anfang des 16. Jahrhunderts zierte eine Christophorus-Figur die Fassade des «Wildenmann im Merckt Zürich ». Der heilige Christophorus ist einer der «vierzehn Nothelfer» und wird oft als Hüne dargestellt, der das Jesuskind auf seinen Schultern durch einen Fluss trägt. Im 16. und 17. Jahrhundert war der «Wilde Mann» im Besitz der vornehmen Familien Werdmüller und von Orelli, beide in der aufstrebenden Zürcher Seidenund Textilindustrie tätig. Wie so viele Häuser an der Marktgasse beherbergte auch der «Wilde Mann » eine Wirtschaft, unter anderen und bis kurz vor 1900 das bekannte «Cafe Appenzeller ». Zu jener Zeit gehörte die Liegenschaft Jean

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Nötzli, Gründer und «Redactor» der Satire-Zeitschrift «Nebelspalter». Jetziger Besitzer des «Wilden Manns» ist Beat Curti. 2010 liess er das Haus renovieren und in den oberen Geschossen anstellte von Büros Wohnungen einbauen. Im Parterre befindet sich « Change­ maker», ein Geschäft für Wohn- und Fashionaccessoires, das, ganz im Sinne Curtis, darauf achtet, dass seine Waren nachhaltig produziert worden sind. Ebenfalls im Besitz von Beat Curti ist der Kiosk, der, flankiert von Condomeria und Saftladen, an der nördlichen Brandmauer des «Wilden Manns» klebt. Anstelle dieser drei kleinen, zweigeschossigen Verkaufsläden befand sich das aus dem 14. Jahrhundert stammende, weit in den nachmaligen Elsässerplatz hinausreichende « Neuhaus ». Um für das «Panner», die nach Quartieren organisierte Ortswehr, Raum zu schaffen, baten die Anwohner 1 702 den Rat von Zürich, das «Neuhaus » abzubrechen. In den später hier entstandenen Geschäften verkauften Knopfmacher und Vergolder ihre Produkte. Den Kiosk, anfänglich wohl ein Tabakladen, gibt es seit 1953.


in wahres Kleinod spätmittelalterlicher Steinmetzkunst wurde beim Umbau des « Rothus’ », eines uralten Gasthofs an der Zürcher Marktgasse, entdeckt: eine Fenstersäule mit üppiger Verzierung im einstigen Saal im zweiten Stock. Die Freilegung dieses während vielen Jahren hinter einer Wandverkleidung verschwundenen Kunstwerks ist für Beat Curti, den Besitzer des «Rothus’», «ein schöner, reicher Lohn» für sein Bemühen, alten Häusern an der Marktgasse «neues Leben einzuhauchen». Die Marktgasse war seit dem Mittelalter bis in die neuere Zeit die wichtigste GeschäftsNeues Leben strasse der Stadt. In Läden, auf der Gasse, in in der Zürcher Wohnungen und Zunfthäusern, in Schenken Altstadt und Spelunken wurde gekauft und verkauft, getrunken und gegessen, gestritten und politisiert – und geflucht. Fluchgasse wurde die enge Marktgasse, wo man sich dauernd in die Quere kam, in der frühen Neuzeit denn auch genannt. Hier wurde fast alles angeboten, was man für das tägliche Leben brauchte, von der Limmat bis hinauf zu jenem Platz, der im Volksmund später Elsässer hiess, wo Münstergasse und Marktgasse aufeinandertreffen. Das war ein zentraler Knotenpunkt, der gleichermassen weltliche und geistliche Macht, Rathaus und Grossmünster, miteinander verband. Seit dem ausgehenden 19. Jahrhundert begann die Marktgasse ihre Bedeutung zu verlieren. Mehr und mehr zogen die Handwerker weg, und von den unzähligen kleinen Geschäften machte eines nach dem andern den Laden dicht. Bäckerei, Metzgerei, Apotheke – die gibt es dort alle nicht mehr. Der Käsehändler, der Fischverkäufer, das Merceriegeschäft – verschwunden. Diese Entwicklung kann man nicht aufhalten. Erhalten indes kann man die teils prächtigen alten Häuser. Und exakt das ist es, was der Unternehmer Beat Curti will. Curti ist zwar Luzerner, doch schon seit den 1970er-Jahren pflegt er eine enge Beziehung zur Zürcher Altstadt. Er wohnte hier, er arbeitete hier, er vergnügte sich hier. Besonders der sogenannte Elsässerplatz, wie eh und je eine Art Drehscheibe der Altstadt, liegt ihm am Herzen. «Von da aus kann man all die kleinen, feinen Geschäfte entdecken, Galerien, Cafés und Bars aufsuchen», sagt Curti. «Und Leute sehen. Kaum verlasse ich meine Wohnung im ehemaligen ‹Goldenen Schwert›, treffe ich bestimmt jemanden, mit dem ich ein Schwätzchen halten kann. Herrlich!» An der Marktgasse zu engagieren begann sich Beat Curti 2004. Damals beteiligte er sich an den Liegenschaften «Rothus» und «Goldenes 8

Schwert», zu jener Zeit Hotels im Zwei-Sterne-Bereich mit diversen Gastroangeboten. Sie gehörten dem Unternehmer Hans Jecklin, gross geworden im Spielsalon- und Casinogeschäft. Gemeinsam planten Curti und Jecklin über ihre je hälftig gehaltene Firma Alt-Züri Immobilien AG einen Neustart sowohl im «Rothus» als auch im «Goldenen Schwert». Das denkmalgeschützte «Rothus», eines von Zürichs ältesten Gasthäusern,

Der «Wilde Mann» und ein Kiosk Das Haus an der Marktgasse 10 trug schon im ersten noch erhaltenen Steuerbuch von 1357 den Namen « Zum Wilden Mann». Damals gehörte es einem Klaus Früego (Früh). In der Folge besassen verschiedene Handwerker das stattliche Gebäude. Als wohlhabende Leinenweber und Tuchscherer waren sie Mitglieder der Zünfte zur Waag und zu Schneidern. Zudem sassen mehrere von ihnen im Rat der Stadt. Noch Anfang des 16. Jahrhunderts zierte eine Christophorus-Figur die Fassade des «Wildenmann im Merckt Zürich ». Der heilige Christophorus ist einer der «vierzehn Nothelfer» und wird oft als Hüne dargestellt, der das Jesuskind auf seinen Schultern durch einen Fluss trägt. Im 16. und 17. Jahrhundert war der «Wilde Mann» im Besitz der vornehmen Familien Werdmüller und von Orelli, beide in der aufstrebenden Zürcher Seidenund Textilindustrie tätig. Wie so viele Häuser an der Marktgasse beherbergte auch der «Wilde Mann » eine Wirtschaft, unter anderen und bis kurz vor 1900 das bekannte «Cafe Appenzeller ». Zu jener Zeit gehörte die Liegenschaft Jean

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Nötzli, Gründer und «Redactor» der Satire-Zeitschrift «Nebelspalter». Jetziger Besitzer des «Wilden Manns» ist Beat Curti. 2010 liess er das Haus renovieren und in den oberen Geschossen anstellte von Büros Wohnungen einbauen. Im Parterre befindet sich « Change­ maker», ein Geschäft für Wohn- und Fashionaccessoires, das, ganz im Sinne Curtis, darauf achtet, dass seine Waren nachhaltig produziert worden sind. Ebenfalls im Besitz von Beat Curti ist der Kiosk, der, flankiert von Condomeria und Saftladen, an der nördlichen Brandmauer des «Wilden Manns» klebt. Anstelle dieser drei kleinen, zweigeschossigen Verkaufsläden befand sich das aus dem 14. Jahrhundert stammende, weit in den nachmaligen Elsässerplatz hinausreichende « Neuhaus ». Um für das «Panner», die nach Quartieren organisierte Ortswehr, Raum zu schaffen, baten die Anwohner 1 702 den Rat von Zürich, das «Neuhaus » abzubrechen. In den später hier entstandenen Geschäften verkauften Knopfmacher und Vergolder ihre Produkte. Den Kiosk, anfänglich wohl ein Tabakladen, gibt es seit 1953.


Der «Wilde Mann» thront über drei Verkaufsgeschäften aus dem 19. Jahrhundert. Wo früher Kleinhändler ihre Waren feilboten, kauft man heute Kondome, frische Säfte, Zigaretten und Zeitungen.


Der «Wilde Mann» thront über drei Verkaufsgeschäften aus dem 19. Jahrhundert. Wo früher Kleinhändler ihre Waren feilboten, kauft man heute Kondome, frische Säfte, Zigaretten und Zeitungen.


as «Goldene Schwert» war zumindest seit der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts eine Liegenschaft, die aus zwei aneinandergebauten Hälften bestand. Erst seit Ende des folgenden Jahrhunderts, als im rechten Hausteil eine Apotheke untergebracht worden war, hiess dieser entsprechend «Vordere Apotheke» oder schlicht «Apotheke», während sich «Goldenes Schwert » bloss noch auf den anderen, linken Teil bezog; das ist in Dokumenten aus dem Spätmittelalter am Hauszeichen bestens zu erkennen. In einer Urkunde von 1637 hiessen die Gebäudeteile, unter einem gemeinsamen Wirte, Apotheker, Giebel zusammengefasst, «das obere» und «das Pastetenbäcker, untere» Haus. Entnehmen lässt sich das dem Bodenwichsehersteller präzisen Stadtplan des Kartografen Jodocus – eine bunte Murer von 1576. Giebelständig zur Marktgasse Besitzerschaft orientiert und leicht zurückgesetzt grenzte das fünfgeschossige Gebäude links an die Leuengasse und rechts an die Elsässergasse. Im Erdgeschoss des «Goldenen Schwerts» befanden sich ein rundbogiges Portal und ein entsprechendes Ladenfenster. Die vier kleinen Fenster im ersten Geschoss waren ebenfalls rundbogig. Daneben war als Hauszeichen ein aufrecht stehendes Schwert angebracht. Im zweiten Obergeschoss gab es ein Fensterband mit vier Fenstern und im dritten zwei grossflächige Kreuzstockfenster – ein Hinweis darauf, dass sich dahinter wohl repräsentative Räumlichkeiten befanden. Im Unterschied zum «Goldenen Schwert» verfügte die «Apotheke» im Erdgeschoss lediglich über Laden- und Werkstattöffnungen, die von einem durchgehenden Klebdach geschützt waren, gekrönt von einer Art Dachreiter. Im ersten und zweiten Obergeschoss befanden sich ein je vierteiliges Fensterband und im darüber liegenden Geschoss zwei grossflächige Kreuzstockfenster. Die oberste Etage verfügte über ein zweiteiliges Rundbogenfenster sowie über eine Öffnung, deren Zweck unklar ist. Die Nutzung war der Fassade klar zu entnehmen: links Gasthaus mit Saal, rechts Gewerbe, darüber Wohnen. Erstmals erwähnt wird das Gebäude zu Beginn des 14. Jahrhunderts, interessanterweise zusammen mit dem «Rothus», als «Ulrich Abdorfs hus am Salzmarkt gegenüber dem hus des Konrad Krieg». Dass die beiden Hausteile des «Goldenen Schwerts» zwar verschiedene Besitzer aber einen gemeinsamen Namen hatten, belegt ein Ratsbeschluss von 1622. Diesem ist auch zu entnehmen, wie das bauliche 56

Das «Goldene Schwert» und die «Alte Apotheke» in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts: zwei Altstadthäuser mit Verkaufsläden und bescheidenen Wohnungen unter einem Dach.


as «Goldene Schwert» war zumindest seit der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts eine Liegenschaft, die aus zwei aneinandergebauten Hälften bestand. Erst seit Ende des folgenden Jahrhunderts, als im rechten Hausteil eine Apotheke untergebracht worden war, hiess dieser entsprechend «Vordere Apotheke» oder schlicht «Apotheke», während sich «Goldenes Schwert » bloss noch auf den anderen, linken Teil bezog; das ist in Dokumenten aus dem Spätmittelalter am Hauszeichen bestens zu erkennen. In einer Urkunde von 1637 hiessen die Gebäudeteile, unter einem gemeinsamen Wirte, Apotheker, Giebel zusammengefasst, «das obere» und «das Pastetenbäcker, untere» Haus. Entnehmen lässt sich das dem Bodenwichsehersteller präzisen Stadtplan des Kartografen Jodocus – eine bunte Murer von 1576. Giebelständig zur Marktgasse Besitzerschaft orientiert und leicht zurückgesetzt grenzte das fünfgeschossige Gebäude links an die Leuengasse und rechts an die Elsässergasse. Im Erdgeschoss des «Goldenen Schwerts» befanden sich ein rundbogiges Portal und ein entsprechendes Ladenfenster. Die vier kleinen Fenster im ersten Geschoss waren ebenfalls rundbogig. Daneben war als Hauszeichen ein aufrecht stehendes Schwert angebracht. Im zweiten Obergeschoss gab es ein Fensterband mit vier Fenstern und im dritten zwei grossflächige Kreuzstockfenster – ein Hinweis darauf, dass sich dahinter wohl repräsentative Räumlichkeiten befanden. Im Unterschied zum «Goldenen Schwert» verfügte die «Apotheke» im Erdgeschoss lediglich über Laden- und Werkstattöffnungen, die von einem durchgehenden Klebdach geschützt waren, gekrönt von einer Art Dachreiter. Im ersten und zweiten Obergeschoss befanden sich ein je vierteiliges Fensterband und im darüber liegenden Geschoss zwei grossflächige Kreuzstockfenster. Die oberste Etage verfügte über ein zweiteiliges Rundbogenfenster sowie über eine Öffnung, deren Zweck unklar ist. Die Nutzung war der Fassade klar zu entnehmen: links Gasthaus mit Saal, rechts Gewerbe, darüber Wohnen. Erstmals erwähnt wird das Gebäude zu Beginn des 14. Jahrhunderts, interessanterweise zusammen mit dem «Rothus», als «Ulrich Abdorfs hus am Salzmarkt gegenüber dem hus des Konrad Krieg». Dass die beiden Hausteile des «Goldenen Schwerts» zwar verschiedene Besitzer aber einen gemeinsamen Namen hatten, belegt ein Ratsbeschluss von 1622. Diesem ist auch zu entnehmen, wie das bauliche 56

Das «Goldene Schwert» und die «Alte Apotheke» in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts: zwei Altstadthäuser mit Verkaufsläden und bescheidenen Wohnungen unter einem Dach.


Blick anno 1949 von der Leuengasse auf das «Goldene Schwert» samt Hinterhof. Kurz darauf wurde das Gebäude abgebrochen. Der Eingang zum «Goldenen Schwert» vor dem Abbruch 1950. Das enge Leuengässli 1937 vor seiner Auskernung. Hier befand sich ein Teil des mittelalterlichen Salzmarktes. Rechts angeschnitten das Ladengeschäft im «Goldenen Schwert».


Blick anno 1949 von der Leuengasse auf das «Goldene Schwert» samt Hinterhof. Kurz darauf wurde das Gebäude abgebrochen. Der Eingang zum «Goldenen Schwert» vor dem Abbruch 1950. Das enge Leuengässli 1937 vor seiner Auskernung. Hier befand sich ein Teil des mittelalterlichen Salzmarktes. Rechts angeschnitten das Ladengeschäft im «Goldenen Schwert».


Umfeld aussah. Jeder Hausteil hatte einen kleinen Hof, der im Lauf der Zeit mit Schuppen überbaut wurde. Hinter der «Apotheke» befand sich ein stattliches Gebäude, das «Haus zur Wannen». Zur Zeit, als es dem Sattler Felix Zubler gehörte, kam es zum Streit mit den Besitzern der Häuser «zum guldinen Schwert», Melchior Maag und Conrad Werdmüller. Zubler hatte angrenzend an das Höfli des « Goldenen Schwerts » Scheiterbeigen aufgetürmt und musste diese auf Anordnung der Obrigkeit wieder entfernen. Später, als Werdmüller das «Haus zur Wannen» erwarb, geriet er mit seinem früheren Partner Maag in Konflikt ob der Frage, wem der kleine Hof hinter dem «Goldenen Schwert» gehört. Salomonisch ordnete der Rat an, dass zwischen den Hofteilen ein Zaun zu errichten sei. Ein Hans Rudolf, ebenfalls aus der reichen Seidenhändlerfamilie Werdmüller, verkaufte 1693 seine rechte Hälfte des «Goldenen Schwerts » plus das «Wannen »-Haus seinem Vetter Johann Lavater: «Haus und die Hofstatt oben an der Marktgasse, gen. zum guldenen Schwerth samt dem hinteren Haus genannt zur Wannen und dem dazwischenliegenden Höfli.» 60 Jahre später veräusserte auch die Familie Maag ihre Gebäudehälfte, und zwar an den Pastetenbäcker Conrad Vögeli. Lavater war Apotheker, und weil er sein Geschäft sowohl im Haus «zur Wannen» als auch im rechten Gebäudeteil des «Goldenen Schwerts» betrieb, hiess diese «vordere» und die andere «hintere Apotheke». Diethelm Lavater verkaufte beide Gebäude 1775 und eröffnete eine neue Apotheke an den Unteren Zäunen. 1812 war ein Herr Morf, von Beruf Krämer, Besitzer der beiden Liegenschaften. Sie wurden sowohl zu gewerblichen Zwecken wie auch als Wohnhäuser genutzt. Später gehörte das «Goldene Schwert» dem Buchbinder Heinrich Pfenninger.

die Fassade ein etwas vornehmeres Aussehen erhielt. Zehn Jahre später verlangte er die Bewilligung, im Schuppen hinter dem «Goldenen Schwert», der mit diesem durch ein Glasdach verbunden war, Bodenwichse produzieren zu dürfen. 1920 wollte der Mieter der Liegenschaft, Bäckermeister Rieder, im «Goldenen Schwert» eine Bäckerei, eine Küche sowie im ersten Stock einen Speisesaal einbauen. Obschon er bereits zuvor und ohne Bewilligung einen elektrischen Backofen installiert hatte und deswegen gebüsst wurde, erhielt er die Erlaubnis. Das Glasdach wurde wieder abgebrochen. Die obere Marktgasse, mit «Rothus» und «Goldenem Schwert», veränderte sich in all den Jahrhunderten wenig. Die spätmittelalterlichen Bauten blieben im Kern erhalten. Das änderte sich in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Schon 1897 war der «Elsässer », die Liegenschaft rechts der ehemaligen «vorderen Apotheke», abgebrochen und durch den Neubau «Zum Elsässerhof» ersetzt worden. Im Zuge der einsetzenden Altstadtsanierung wurden in diesem Gebiet diverse Gebäude abgetragen, vor allem entlang der links des «Goldenen Schwerts» verlaufenden Leuengasse (früher Salzgasse). Dieses und die «Apotheke» waren einfache Gebäude mit bescheidenen Läden im Erdgeschoss. In den oberen Geschossen befanden sich Wohnungen, wo, wie den damaligen Telefonbüchern zu entnehmen ist, offenbar ziemlich viele Leute logierten. 1949 begann Emil Bäggli mit dem Bau seines Hotels. Das «Goldene Schwert» und das «Haus zur Wannen» wurden abgebrochen. Auch weil der Hotelneubau aus der bisherigen Häuserflucht zurückversetzt war, erhielt die obere Marktgasse damals ein gänzlich neues Gepräge.

Ohne Bewilligung einen elektrischen Ofen installiert Anfänglich, das heisst zumindest seit dem ausgehenden Mittelalter, war das «Goldene Schwert» eine Wirtschaft. So ist in einer Urkunde aus dem Jahr 1497 von einer «Wirtin zum guldin Schwert» die Rede. Bis wann es als Gasthaus diente, ist ungewiss. Belegt ist, dass in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts Besitzer David Maag von den auf der «Meise» zünftigen Wirten eingeklagt wurde, weil er in seinem Haus Soldaten mit Speis und Trank versorgt hatte. Dies entweder weil das «Goldene Schwert» bereits damals gar keine Wirtschaft mehr war, oder weil Maag als Wirt kein warmes Essen servieren durfte. Denn das war nur jenen Gasthäusern erlaubt, die über ein Tavernenrecht verfügten. 1888 reichte Eigentümer Heinrich Volkart, der dort eine «Droguerie» betrieb, das Gesuch für die Umgestaltung des Ladenlokals ein, wodurch 60

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Vor dem «Etoile» trinkt der berühmte italienische Arte-Povera-Künstler Mario Merz aus einer ChiantiFlasche, die er nach einem Fest in der «Bodega Española» hatte mitlaufen lassen. Das war 1985. Im schönen Kinoraum logierte Ende der 1980er-Jahre ein Billigkleidergeschäft. Das leergeräumte Ladenlokal unmittelbar vor dem Umbau 2013.

Die linke Szene im « Etoile » war freilich bloss eine Episode. Anfänglich mit Krimis ins Geschäft gekommen, produzierte die Urania-Film AG des umtriebigen Zürchers Erwin C. Dietrich zunehmend Sexfilme. Mal waren es «Heisse Schwedinnen», die der «Etoile»-Kundschaft den Abend auflockerten, mal wurde sie von bösen Wärterinnen eines Frauengefängnisses erregt, mal trieben es «Die Stewardessen» auf der Leinwand. Mit dem Film «Blutjunge Verführerinnen» hatte Erwin C. Dietrich einen Hit gelandet. Der Streifen um das fröhliche Bettgehüpfe des deutschen Filmsternchens Ingrid Steeger und ihrer Kumpaninnen zeigte für die Justizbehörden indes zu viel Po und Busen. Das Bundesgericht entschied auf akute Gefährdung der allgemeinen Sittlichkeit und belangte Dietrich wegen unzüchtiger Veröffentlichung. Besonders ins Zeug legte sich ein späterer Zürcher Staatsanwalt und selbsternannter Sittenvogt namens Marcel Bertschi. Gemeinsam mit seinem damaligen Vorgesetzten stürmte Bertschi am 24. Januar 1972 das «Etoile» und erklärte den Film «Blutjunge Verführerinnen» für beschlagnahmt. Allerdings hatte er die Rechnung ohne den cleveren Erwin C. Dietrich gemacht. Dieser schnitt die von der Staatsanwaltschaft beanstandeten Passagen weg und zeigte den Film schon am nächsten Tag erneut, angekündigt mit dem Werbespruch: «Wir sind wieder da.» Unfreiwillig hatte sich der übereifrige Bertschi zu Dietrichs Marketinggehilfen gemacht. Mehr als 500 000 Besucher in der Schweiz wollten das Filmchen sehen. Der Filmproduzent besorgte sich seine Darsteller gelegentlich auf eher unorthodoxe Weise, etwa im «Stägefässli » oder sonstwo in einer Beiz. In einem Fall geriet die Sache ausser Kontrolle. Für den Film «Ich, ein Groupie» hatte Erwin C . Dietrich eine junge Dame aus dem HellsAngels-Milieu gecastet. Die Rockerbraut erhielt eine bescheidene Nebenrolle. In Dietrichs Filmen war bekanntlich stets viel nackte Haut zu sehen, in diesem Fall leider mit Cellulite. Aufgebracht verlangte die Darstellerin, dass Dietrich das Kinowerk stoppe oder zumindest die für sie unvorteilhafte Szene rausschneide. Was nicht mehr möglich war, da der Film bereits lief. Worauf die Hells Angels in Aktion traten. Zwecks Protektion ihres Groupies drohten sie, die Filmrolle notfalls mit Gewalt aus dem «Etoile» zu entfernen. Das Kino musste für einige Tage unter Schutz gestellt werden. Einem Polizisten, der sich mit den Hells Angels auskannte, gelang es dann, die Rockertruppe zu beruhigen. Die Affäre um die Cellulite-Schenkel wurde schliesslich mit einer Geldzahlung beendet.

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othus» wie « Goldenes Schwert» spielten eine bedeutende Rolle in der Geschichte von Zürichs Schwulen und Lesben. Für diese war es oft ein Problem, geeignete Örtlichkeiten zu finden, wo sie sich treffen konnten. In diesen Lokalen aber waren sie nicht bloss toleriert, sondern während vielen Jahren auch richtig willkommen. Trotz zunehmender Liberalisierung des Strafrechts nach dem Ersten Weltkrieg blieben Homosexuelle in der Schweiz weiterhin an den Rand der Gesellschaft gedrängt. 1922 wurde der gemischtgeschlechtliche Schweizer Freundschaftsbund mit einer Zürcher Sektion gegründet. Ziel war die Schwulenjagd auf Zusammenführung von «einwandfreien Damen dem Elsässerplatz und Herren », vorangetrieben von den beiden Lesben Anna Vock und Laura Thoma. Drei Jahre später wurde die Eröffnung des ersten eigenen Clublokals vermeldet: «Ein kleiner Saal im 1. Stock über einem Restaurant in der Altstadt. Besonders angenehm ist, dass ein gänzlich separater Eingang vorhanden ist ... Unsere Mitglieder von Zürich und Umgebung kommen nun wöchentlich jeden Donnerstag, abends 8 Uhr zusammen ... Zur Unterhaltung ist auch das Tanzen gestattet. Für Speise und Trank ist in aufmerksamer Weise gesorgt, und kann sich somit jeder heimelig fühlen.» Vielleicht befand sich schon damals dieses «Restaurant in der Altstadt» im «Rothus». Denn zumindest seit Anfang der 1930er-Jahre, als in dieser Gaststätte der Artistenverband «Sicher wie Jold» sein Varieté betrieb, ist belegt, dass sich dort regelmässig die Mitglieder des Schweizerischen Freundschafts-Verbandes trafen, der Nachfolgeorganisation des Freundschaftsbundes. Im Cluborgan «Freundschafts-Banner» war zu lesen, dass am 4. April 1933 im «Varieté ‹Sicher wie Jold› der Zusammenschluss unserer Damen und Herren zu einem einheitlichen Club stattfand». Doch weil «Sicher wie Jold» bereits 1934 sein Gastspiel im «Rothus» beendete, mussten die Damen und Herren sich erneut auf die Suche nach einer Vereinsbleibe machen. Inzwischen hetzten in Deutschland die Nationalsozialisten immer mehr gegen Homosexuelle, was das gesellschaftliche Umfeld auch in der Schweiz zunehmend beeinflusste. Zwischenzeitlich durften sich die Mitglieder des Freundschafts-Verbandes, der jetzt Liga für Menschenrechte hiess, im dem «Rothus» benachbarten Restaurant «Stüssihof» treffen. Später zügelte man ins «Maxim» an der Kernstrasse, vermochte dort aber bald einmal die Miete nicht mehr zu bezahlen. 1940 gelang der Homosexuellen-Organisation dann schliesslich die Rückkehr ins «Rothus», in 146

Protokoll einer Versammlung des Freundschafts-Verbands 1933 im «Rothus», damals «Sicher wie Jold». Der Vorstand war über acht Neumitglieder erfreut.


othus» wie « Goldenes Schwert» spielten eine bedeutende Rolle in der Geschichte von Zürichs Schwulen und Lesben. Für diese war es oft ein Problem, geeignete Örtlichkeiten zu finden, wo sie sich treffen konnten. In diesen Lokalen aber waren sie nicht bloss toleriert, sondern während vielen Jahren auch richtig willkommen. Trotz zunehmender Liberalisierung des Strafrechts nach dem Ersten Weltkrieg blieben Homosexuelle in der Schweiz weiterhin an den Rand der Gesellschaft gedrängt. 1922 wurde der gemischtgeschlechtliche Schweizer Freundschaftsbund mit einer Zürcher Sektion gegründet. Ziel war die Schwulenjagd auf Zusammenführung von «einwandfreien Damen dem Elsässerplatz und Herren », vorangetrieben von den beiden Lesben Anna Vock und Laura Thoma. Drei Jahre später wurde die Eröffnung des ersten eigenen Clublokals vermeldet: «Ein kleiner Saal im 1. Stock über einem Restaurant in der Altstadt. Besonders angenehm ist, dass ein gänzlich separater Eingang vorhanden ist ... Unsere Mitglieder von Zürich und Umgebung kommen nun wöchentlich jeden Donnerstag, abends 8 Uhr zusammen ... Zur Unterhaltung ist auch das Tanzen gestattet. Für Speise und Trank ist in aufmerksamer Weise gesorgt, und kann sich somit jeder heimelig fühlen.» Vielleicht befand sich schon damals dieses «Restaurant in der Altstadt» im «Rothus». Denn zumindest seit Anfang der 1930er-Jahre, als in dieser Gaststätte der Artistenverband «Sicher wie Jold» sein Varieté betrieb, ist belegt, dass sich dort regelmässig die Mitglieder des Schweizerischen Freundschafts-Verbandes trafen, der Nachfolgeorganisation des Freundschaftsbundes. Im Cluborgan «Freundschafts-Banner» war zu lesen, dass am 4. April 1933 im «Varieté ‹Sicher wie Jold› der Zusammenschluss unserer Damen und Herren zu einem einheitlichen Club stattfand». Doch weil «Sicher wie Jold» bereits 1934 sein Gastspiel im «Rothus» beendete, mussten die Damen und Herren sich erneut auf die Suche nach einer Vereinsbleibe machen. Inzwischen hetzten in Deutschland die Nationalsozialisten immer mehr gegen Homosexuelle, was das gesellschaftliche Umfeld auch in der Schweiz zunehmend beeinflusste. Zwischenzeitlich durften sich die Mitglieder des Freundschafts-Verbandes, der jetzt Liga für Menschenrechte hiess, im dem «Rothus» benachbarten Restaurant «Stüssihof» treffen. Später zügelte man ins «Maxim» an der Kernstrasse, vermochte dort aber bald einmal die Miete nicht mehr zu bezahlen. 1940 gelang der Homosexuellen-Organisation dann schliesslich die Rückkehr ins «Rothus», in 146

Protokoll einer Versammlung des Freundschafts-Verbands 1933 im «Rothus», damals «Sicher wie Jold». Der Vorstand war über acht Neumitglieder erfreut.


«Der Kreis», ein Verein von Homosexuellen, hatte prägenden Einfluss auf die Schwulenbewegung in der Schweiz und war bekannt für rauschende Feste.

«unser Lokal», wie das Cluborgan «Menschenrecht» erleichtert vermelden konnte. Das Clublokal war der Ort, wo sich Schwule privat und somit zwangslos treffen konnten. Es gab dort eine kleine Bibliothek, homoerotische Kunstwerke wurden gezeigt, Lesungen und Vorträge waren zu hören, und die Herrschaften durften miteinander das Tanzbein schwingen. Höhepunkt des Jahres war jeweils die Fasnacht. Im «Freundschafts-Banner» vom Juni 1935 konnte man dazu lesen: «Wir sollen das Jahr durch verdammt sein, ein Doppelleben zu führen, tagtäglich eine Maske aufzusetzen, um angeblich vor unserer Mitwelt als ‹normal› zu erscheinen. So spielen wir Komödie und haben immerfort Karneval. Nur einmal kommt jedes Jahr die langersehnte offizielle ‹Fastnacht›, wo wir hinter dem Mummenschanz unsere innersten Gefühle preisgeben dürfen, wo wir wirklich ‹wir selbst sind›.» Wohl wegen einem Wirtewechsel musste 1942 die Liga für Menschenrechte das «Rothus» wieder verlassen. Sie zog in einen Saal über dem «Schlauch» an der Münstergasse, bevor sie in der «Eintracht» am Neumarkt für längere Zeit ein Clublokal unterhalten durfte. Die HomosexuellenSzene fühlte sich offensichtlich wohl in der Gegend. Denn kurz nachdem Emil Bäggli das «Goldene Schwert» gekauft und umgebaut hatte, waren die Schwulen dort wieder präsent.

Schwule im «Scheinwerfer» Als «Laterne» wollte das Blatt noch den Mächtigen heimleuchten. 191 1 zum «Scheinwerfer» mutiert, ging es jetzt darum, alles vermeintlich Böse dem unbarmherzigen «gesunden Volksempfinden» vorzuführen. Kriminelle und sonstige Übeltäter wurden in den Lichtkegel des «Scheinwerfers» gezerrt, aber auch Sozialisten und vor allem « Sittenverbrecher» wie Prostituierte, Schwule und Lesben. So bekam der 1. Internationale Homosexuellen-Ball vom 10. Februar 1934 tüchtig sein Fett weg: « Es ist nur schade, dass man keine Photo-

149

graphien von den ‹Grazien› erhalten kann ... Spitzenhösli, seidene Damenstrümpfe und auch feine wollene Damenwäsche sollen an diesem ‹Maskenball› Anziehungskraft ausgeübt haben. Vom Auslande her sollen eine grosse Anzahl Gäste gekommen sein, deren Reize direkt sensationell gewirkt hätten ... Trurig, aber wahr ...» Hemmungslos wurden die Namen und Adressen von Homosexuellen veröffentlicht. Bis zum Inkrafttreten des Schweizerischen Strafgesetzbuches von 1942 war Homosexualität auch in Zürich verboten.


«Der Kreis», ein Verein von Homosexuellen, hatte prägenden Einfluss auf die Schwulenbewegung in der Schweiz und war bekannt für rauschende Feste.

«unser Lokal», wie das Cluborgan «Menschenrecht» erleichtert vermelden konnte. Das Clublokal war der Ort, wo sich Schwule privat und somit zwangslos treffen konnten. Es gab dort eine kleine Bibliothek, homoerotische Kunstwerke wurden gezeigt, Lesungen und Vorträge waren zu hören, und die Herrschaften durften miteinander das Tanzbein schwingen. Höhepunkt des Jahres war jeweils die Fasnacht. Im «Freundschafts-Banner» vom Juni 1935 konnte man dazu lesen: «Wir sollen das Jahr durch verdammt sein, ein Doppelleben zu führen, tagtäglich eine Maske aufzusetzen, um angeblich vor unserer Mitwelt als ‹normal› zu erscheinen. So spielen wir Komödie und haben immerfort Karneval. Nur einmal kommt jedes Jahr die langersehnte offizielle ‹Fastnacht›, wo wir hinter dem Mummenschanz unsere innersten Gefühle preisgeben dürfen, wo wir wirklich ‹wir selbst sind›.» Wohl wegen einem Wirtewechsel musste 1942 die Liga für Menschenrechte das «Rothus» wieder verlassen. Sie zog in einen Saal über dem «Schlauch» an der Münstergasse, bevor sie in der «Eintracht» am Neumarkt für längere Zeit ein Clublokal unterhalten durfte. Die HomosexuellenSzene fühlte sich offensichtlich wohl in der Gegend. Denn kurz nachdem Emil Bäggli das «Goldene Schwert» gekauft und umgebaut hatte, waren die Schwulen dort wieder präsent.

Schwule im «Scheinwerfer» Als «Laterne» wollte das Blatt noch den Mächtigen heimleuchten. 191 1 zum «Scheinwerfer» mutiert, ging es jetzt darum, alles vermeintlich Böse dem unbarmherzigen «gesunden Volksempfinden» vorzuführen. Kriminelle und sonstige Übeltäter wurden in den Lichtkegel des «Scheinwerfers» gezerrt, aber auch Sozialisten und vor allem « Sittenverbrecher» wie Prostituierte, Schwule und Lesben. So bekam der 1. Internationale Homosexuellen-Ball vom 10. Februar 1934 tüchtig sein Fett weg: « Es ist nur schade, dass man keine Photo-

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graphien von den ‹Grazien› erhalten kann ... Spitzenhösli, seidene Damenstrümpfe und auch feine wollene Damenwäsche sollen an diesem ‹Maskenball› Anziehungskraft ausgeübt haben. Vom Auslande her sollen eine grosse Anzahl Gäste gekommen sein, deren Reize direkt sensationell gewirkt hätten ... Trurig, aber wahr ...» Hemmungslos wurden die Namen und Adressen von Homosexuellen veröffentlicht. Bis zum Inkrafttreten des Schweizerischen Strafgesetzbuches von 1942 war Homosexualität auch in Zürich verboten.


Diesmal war der Treffpunkt die Bar «Pigalle». Der mit den Jahren zur Legende gewordene Ankerplatz der Trinkfreudigen hatte unter anderem den Vorteil, dass der Eingang, dezent mit einer farbigen Laterne versehen, in einer Nebengasse lag. Und wer da am engen Elsässergässchen aus und ein ging, war für die Passanten nicht schon auf den ersten Blick auszumachen. Dem cleveren Unternehmer Bäggli war es wohl egal, woher das Geld kam. Im Übrigen war der beleibte Wirt, wie der Zürcher Werber Max Wiener erzählt, gegenüber seiner Kundschaft, egal ob homo oder hetero, stets ein toleranter, aufgeschlossener und vielseitig interessierter Gastgeber. Eine, die sich noch bestens an die Bar erinnert, ist Ines Torelli. Die beliebte Kabarettistin, Sängerin («Gigi von Arosa») und Volksschauspielerin trat zweimal mit Chansons und schlüpfrigen Conférencen im «Pigalle» auf. Beim ersten Mal fand sie den im Elsässergässchen verborgenen Eingang nicht und stand offenbar ziemlich verloren vor dem «Goldenen Schwert». Sie weckte das Erbarmen eines, wie sie sich noch genau erinnert, «toll aussehenden jungen Mannes», der sie ansprach und auf ihre Bemerkung, sie suche den Eingang zum «Pigalle», schelmisch antwortete: «Da müssen sie hinten rein.» Die witzige Torelli gab das hinterher in der Bar natürlich gleich zum Besten.

Die Bar «Pigalle» Die «Pigalle»-Bar war von Anfang an ein Eckpfeiler in Emil Bägglis Gastrogeschäft. Im «Goldenen Schwert» untergebracht, war die Bar nur über ihren etwas versteckten Eingang in der engen Elsässergasse zugänglich, was jenen Gästen, die Diskretion suchten, offenbar sehr angenehm war. Der kleine, schummrig-intime Raum, der vorzugsweise von Schwulen frequentiert wurde, erhielt zu Beginn der 1960er-Jahre seinen schönsten Schmuck: ein fast zweieinhalb ­ Meter hohes Wandmosaik. Es war hinter der hufeisenförmigen Bartheke angebracht und – je nach Quelle – entweder von Schülern

150

der Zürcher Kunstgewerbeschule oder von einem anonym gebliebenen Tessiner Künstler gefertigt worden. Das Wandmosaik zeigt eine Strassenszene auf der Place Pigalle, Inbegriff der Pariser Sinneslust. Ein Flic regelt den Verkehr, man sieht einen gelben Deux-Chevaux, und Leuchtreklamen animieren zum Besuch des Nachtklubs «Au Néant» und des Dancings «Au Chat Noir». Die Szenerie umrahmt die wie ein Banner gespannte Aufschrift «Pigalle Bar». Das Mosaik wurde vor dem Abbruch des Hauses sorgfältig abgetragen und ist jetzt in «Edi’s Weinstube» am benachbarten Stüssihof zu besichtigen.

Die Bar «Pigalle» im «Goldenen Schwert» war ein Hotspot für Schwule aus ganz Europa. Mit Razzien setzte die Polizei zu Beginn der 1960er-Jahre dem bunten Treiben auf dem Platz vor der Bar ein jähes Ende.


Diesmal war der Treffpunkt die Bar «Pigalle». Der mit den Jahren zur Legende gewordene Ankerplatz der Trinkfreudigen hatte unter anderem den Vorteil, dass der Eingang, dezent mit einer farbigen Laterne versehen, in einer Nebengasse lag. Und wer da am engen Elsässergässchen aus und ein ging, war für die Passanten nicht schon auf den ersten Blick auszumachen. Dem cleveren Unternehmer Bäggli war es wohl egal, woher das Geld kam. Im Übrigen war der beleibte Wirt, wie der Zürcher Werber Max Wiener erzählt, gegenüber seiner Kundschaft, egal ob homo oder hetero, stets ein toleranter, aufgeschlossener und vielseitig interessierter Gastgeber. Eine, die sich noch bestens an die Bar erinnert, ist Ines Torelli. Die beliebte Kabarettistin, Sängerin («Gigi von Arosa») und Volksschauspielerin trat zweimal mit Chansons und schlüpfrigen Conférencen im «Pigalle» auf. Beim ersten Mal fand sie den im Elsässergässchen verborgenen Eingang nicht und stand offenbar ziemlich verloren vor dem «Goldenen Schwert». Sie weckte das Erbarmen eines, wie sie sich noch genau erinnert, «toll aussehenden jungen Mannes», der sie ansprach und auf ihre Bemerkung, sie suche den Eingang zum «Pigalle», schelmisch antwortete: «Da müssen sie hinten rein.» Die witzige Torelli gab das hinterher in der Bar natürlich gleich zum Besten.

Die Bar «Pigalle» Die «Pigalle»-Bar war von Anfang an ein Eckpfeiler in Emil Bägglis Gastrogeschäft. Im «Goldenen Schwert» untergebracht, war die Bar nur über ihren etwas versteckten Eingang in der engen Elsässergasse zugänglich, was jenen Gästen, die Diskretion suchten, offenbar sehr angenehm war. Der kleine, schummrig-intime Raum, der vorzugsweise von Schwulen frequentiert wurde, erhielt zu Beginn der 1960er-Jahre seinen schönsten Schmuck: ein fast zweieinhalb ­ Meter hohes Wandmosaik. Es war hinter der hufeisenförmigen Bartheke angebracht und – je nach Quelle – entweder von Schülern

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der Zürcher Kunstgewerbeschule oder von einem anonym gebliebenen Tessiner Künstler gefertigt worden. Das Wandmosaik zeigt eine Strassenszene auf der Place Pigalle, Inbegriff der Pariser Sinneslust. Ein Flic regelt den Verkehr, man sieht einen gelben Deux-Chevaux, und Leuchtreklamen animieren zum Besuch des Nachtklubs «Au Néant» und des Dancings «Au Chat Noir». Die Szenerie umrahmt die wie ein Banner gespannte Aufschrift «Pigalle Bar». Das Mosaik wurde vor dem Abbruch des Hauses sorgfältig abgetragen und ist jetzt in «Edi’s Weinstube» am benachbarten Stüssihof zu besichtigen.

Die Bar «Pigalle» im «Goldenen Schwert» war ein Hotspot für Schwule aus ganz Europa. Mit Razzien setzte die Polizei zu Beginn der 1960er-Jahre dem bunten Treiben auf dem Platz vor der Bar ein jähes Ende.


er Schweizer Unternehmer und Kunstsammler Beat Curti ist der Eigentümer der Liegenschaften « Rothus », « Goldenes Schwert » und « Wilder Mann» am sogenannten Elsässerplatz im Zürcher Niederdorf. Im Interview spricht er über seine Motivation für die grossen Investitionen in der Altstadt, seinen Bezug zu dieser speziellen Ecke und über das neue Leben in den alten Gassen. «Rothus», «Goldenes Schwert», «Wilder Mann» – Herr Curti, wieso investieren Sie so viel Geld im Niederdorf? Ich liebe das alte Zürich, seit je. Für mich ist «Das ungezwungene, dieses Engagement eine Art Rückkehr, ein Nachfröhliche, andere hausekommen. Bereits während dem Studium Zürich» und nachher als junger Journalist wohnte ich in der Altstadt. Anfänglich beim Lindenhof, später hatte ich eine Wohnung an der Römergasse, hernach an der Brunngasse über «Lucy’s Bar». An der Schoffelgasse besass ich eine Liegenschaft. Ich war oft im Niederdorf, in den Restaurants, Bars, Nachtclubs, ich mochte diese Atmosphäre des ungezwungenen, fröhlichen, anderen Zürich. Im einstigen «Goldenen Schwert» bewohnen Sie ein Appartement. Sind Sie oft dort? So oft es geht. Damit konnte ich den Umbau des «Rothus’» zum neuen «Marktgasse Hotel» aus nächster Nähe verfolgen. Vor allem aber bin ich verliebt in den Elsässerplatz, wo Markt- und Münstergasse ineinanderübergehen: ein Ort voller Geschichte und Geschichten. Es ist herrlich hier, ich geniesse dieses Altstadtambiente – Geräusche, Gerüche, die vielen Leute. Ich fühle mich dort aufgehoben wie in einer grossen Familie. Kaum bin ich aus dem Haus, treffe ich bestimmt jemanden, mit dem ich plaudern kann. Selbst der Lärm gefällt mir, es ist kein lauter, unpersönlicher Verkehrslärm, sondern ein sanfter, gemütlicher, der einer harmonischen Betriebsamkeit. Sie waren früher oft in der Altstadt «auf der Gasse». Kannten Sie den legendären Emil Bäggli und seine Gastrobetriebe im «Rothus» und im «Goldenem Schwert»? Herrn Bäggli hatte ich leider nie getroffen; ich kam erst zu Beginn der 1970er-Jahre nach Zürich, da war er bereits gestorben. Aber die «Pigalle»Bar, das «Red House», das «Stägefässli» und wie die Lokalitäten hiessen, die kannte ich alle. Ich war dort mit Freunden und Bekannten. Vor allem 172

das «Red House» hatte Flair, war faszinierend. Da gab es Cabaret auf höchstem Niveau wie im «Crazy Horse» in Paris. Auch mit Geschäftspartnern ging ich da hin, und wir haben dort Transaktionen unkompliziert abgeschlossen. Das «Red House» lag für mich ja um die Ecke. Bloss ein paar Schritte entfernt befand sich die Berichtshaus AG, die Herausgeberin des «Tagblatts der Stadt Zürich». Die Firma gehörte dem Verlag Jean Frey, dessen Geschäftsführer ich war. Im Niederdorf gab es damals eine höchst lebendige Unterhaltungsszene. Hatten Sie mit diesen Leuten zu tun? Ja, gewiss. Meine erste feste Anstellung war die eines Redaktionsvolontärs bei der «Zürcher Woche». Ich assistierte Chefredaktor Werner Wollenberger, Jürg Ramspeck und anderen Mitgliedern der Redaktion. Sie waren der Kern der Züri-Kultur. In diesem Ambiente machte ich die Bekanntschaft von Persönlichkeiten wie Ines Torelli, Hans Gmür, Edi Baur und Walo Lüönd. Mit Ruedi Walter traf ich mich zum Jassen, mit Christiane Hörbiger, Helmuth Lohner und Emil Steinberger spielte ich Theater. In der «Bodega», in der «Olga Bar», im «Kindli» und in der «Kronenhalle» zechten wir oft bis weit über die Polizeistunde hinaus. Später, als ich den «Züri Leu», die Nachfolgezeitung der «Zürcher Woche», lancierte, stiessen Hildegard Schwaninger und der ehemalige Stadtpräsident Sigi Widmer, der für uns Kolumnen schrieb, dazu. Wir waren konstant auf Achse, wir lebten die Niederdorf-Oper. Die Altstadt zu lieben ist das eine, hier viel Geld zu investieren das andere. Winkt da eine hohe Rendite? Sie wäre sicher höher, wenn meine Häuser aus Einzimmerwohnungen bestehen würden. Aber darum geht es mir nicht. Ich möchte modernes, junges Leben in die alten Gassen bringen. Früher gab es im Niederdorf eine vitale Mischung aus erschwinglichen Wohnungen, guten Beizen und kleinen Geschäften, die Waren für den täglichen Bedarf verkauften. Das hat sich gewandelt, und sicher kann man die Vergangenheit nicht zurückholen. Aber wenigstens versuche ich, einen Beitrag zu leisten, um das Dörfli wieder attraktiver zu machen. Dazu gehört in erster Linie das «Marktgasse Hotel» mit Restaurants, Bar, Hotellobby und Bibliothek. Solche kulturgeschichtlich tief verankerte Hotels sind oft ein Ort der Verzauberung und können die Menschen in ihrer Seele berühren. Weiter war wichtig, dass mit Changemaker im «Wilden Mann» und COS im «Goldenen Schwert» Geschäfte einziehen, die alle dieselbe trendige, qualitätsbewusste und stilsichere Kundschaft anziehen. Es war allerdings schwierig, das Management von COS-Besitzer H&M zu überzeugen, mitten in der Altstadt einen Laden zu eröffnen. Und nun ist er mit 750 173


er Schweizer Unternehmer und Kunstsammler Beat Curti ist der Eigentümer der Liegenschaften « Rothus », « Goldenes Schwert » und « Wilder Mann» am sogenannten Elsässerplatz im Zürcher Niederdorf. Im Interview spricht er über seine Motivation für die grossen Investitionen in der Altstadt, seinen Bezug zu dieser speziellen Ecke und über das neue Leben in den alten Gassen. «Rothus», «Goldenes Schwert», «Wilder Mann» – Herr Curti, wieso investieren Sie so viel Geld im Niederdorf? Ich liebe das alte Zürich, seit je. Für mich ist «Das ungezwungene, dieses Engagement eine Art Rückkehr, ein Nachfröhliche, andere hausekommen. Bereits während dem Studium Zürich» und nachher als junger Journalist wohnte ich in der Altstadt. Anfänglich beim Lindenhof, später hatte ich eine Wohnung an der Römergasse, hernach an der Brunngasse über «Lucy’s Bar». An der Schoffelgasse besass ich eine Liegenschaft. Ich war oft im Niederdorf, in den Restaurants, Bars, Nachtclubs, ich mochte diese Atmosphäre des ungezwungenen, fröhlichen, anderen Zürich. Im einstigen «Goldenen Schwert» bewohnen Sie ein Appartement. Sind Sie oft dort? So oft es geht. Damit konnte ich den Umbau des «Rothus’» zum neuen «Marktgasse Hotel» aus nächster Nähe verfolgen. Vor allem aber bin ich verliebt in den Elsässerplatz, wo Markt- und Münstergasse ineinanderübergehen: ein Ort voller Geschichte und Geschichten. Es ist herrlich hier, ich geniesse dieses Altstadtambiente – Geräusche, Gerüche, die vielen Leute. Ich fühle mich dort aufgehoben wie in einer grossen Familie. Kaum bin ich aus dem Haus, treffe ich bestimmt jemanden, mit dem ich plaudern kann. Selbst der Lärm gefällt mir, es ist kein lauter, unpersönlicher Verkehrslärm, sondern ein sanfter, gemütlicher, der einer harmonischen Betriebsamkeit. Sie waren früher oft in der Altstadt «auf der Gasse». Kannten Sie den legendären Emil Bäggli und seine Gastrobetriebe im «Rothus» und im «Goldenem Schwert»? Herrn Bäggli hatte ich leider nie getroffen; ich kam erst zu Beginn der 1970er-Jahre nach Zürich, da war er bereits gestorben. Aber die «Pigalle»Bar, das «Red House», das «Stägefässli» und wie die Lokalitäten hiessen, die kannte ich alle. Ich war dort mit Freunden und Bekannten. Vor allem 172

das «Red House» hatte Flair, war faszinierend. Da gab es Cabaret auf höchstem Niveau wie im «Crazy Horse» in Paris. Auch mit Geschäftspartnern ging ich da hin, und wir haben dort Transaktionen unkompliziert abgeschlossen. Das «Red House» lag für mich ja um die Ecke. Bloss ein paar Schritte entfernt befand sich die Berichtshaus AG, die Herausgeberin des «Tagblatts der Stadt Zürich». Die Firma gehörte dem Verlag Jean Frey, dessen Geschäftsführer ich war. Im Niederdorf gab es damals eine höchst lebendige Unterhaltungsszene. Hatten Sie mit diesen Leuten zu tun? Ja, gewiss. Meine erste feste Anstellung war die eines Redaktionsvolontärs bei der «Zürcher Woche». Ich assistierte Chefredaktor Werner Wollenberger, Jürg Ramspeck und anderen Mitgliedern der Redaktion. Sie waren der Kern der Züri-Kultur. In diesem Ambiente machte ich die Bekanntschaft von Persönlichkeiten wie Ines Torelli, Hans Gmür, Edi Baur und Walo Lüönd. Mit Ruedi Walter traf ich mich zum Jassen, mit Christiane Hörbiger, Helmuth Lohner und Emil Steinberger spielte ich Theater. In der «Bodega», in der «Olga Bar», im «Kindli» und in der «Kronenhalle» zechten wir oft bis weit über die Polizeistunde hinaus. Später, als ich den «Züri Leu», die Nachfolgezeitung der «Zürcher Woche», lancierte, stiessen Hildegard Schwaninger und der ehemalige Stadtpräsident Sigi Widmer, der für uns Kolumnen schrieb, dazu. Wir waren konstant auf Achse, wir lebten die Niederdorf-Oper. Die Altstadt zu lieben ist das eine, hier viel Geld zu investieren das andere. Winkt da eine hohe Rendite? Sie wäre sicher höher, wenn meine Häuser aus Einzimmerwohnungen bestehen würden. Aber darum geht es mir nicht. Ich möchte modernes, junges Leben in die alten Gassen bringen. Früher gab es im Niederdorf eine vitale Mischung aus erschwinglichen Wohnungen, guten Beizen und kleinen Geschäften, die Waren für den täglichen Bedarf verkauften. Das hat sich gewandelt, und sicher kann man die Vergangenheit nicht zurückholen. Aber wenigstens versuche ich, einen Beitrag zu leisten, um das Dörfli wieder attraktiver zu machen. Dazu gehört in erster Linie das «Marktgasse Hotel» mit Restaurants, Bar, Hotellobby und Bibliothek. Solche kulturgeschichtlich tief verankerte Hotels sind oft ein Ort der Verzauberung und können die Menschen in ihrer Seele berühren. Weiter war wichtig, dass mit Changemaker im «Wilden Mann» und COS im «Goldenen Schwert» Geschäfte einziehen, die alle dieselbe trendige, qualitätsbewusste und stilsichere Kundschaft anziehen. Es war allerdings schwierig, das Management von COS-Besitzer H&M zu überzeugen, mitten in der Altstadt einen Laden zu eröffnen. Und nun ist er mit 750 173


Beat Curti auf seinem geliebten Elsässerplatz vor dem «Marktgasse Hotel».


Beat Curti auf seinem geliebten Elsässerplatz vor dem «Marktgasse Hotel».


Quadratmetern Fläche sogar einer der grössten COS weltweit. Inzwischen wurden die Budgeterwartungen weit übertroffen. Im übrigen haben wir darauf geachtet, dass die Wohnungen von Leuten gemietet werden, die auch tatsächlich dort wohnen und die Altstadt beleben. Und schliesslich haben wir jetzt auch eine wirtschaftlich vernünftige Kombination: ein Drittel Wohnungen, ein Drittel Geschäfte, ein Drittel Hotel und Gastronomie. Das Engagement in der Zürcher Altstadt hat noch einen weiteren Aspekt. Ich bin zwar in Luzern geboren, aber in Rapperswil heimatberechtigt, wo sich die Familie 1664 niedergelassen hatte. Meinen Verwandten gehören dort nach wie vor die zwei besonderen, denkmalgeschützten Curti-Liegenschaften. Im Sinne einer fortschreitenden Tradition bin ich stolz darauf, dass die Familie jetzt auch am anderen Ende des Zürichsees mit historischen Häusern präsent ist. Sie sind Besitzer der «Krone» in La Punt-Chamues-ch im Engadin. Damit kennen Sie sich im Hotelgeschäft aus und wissen, dass der Bau eines Hotels eine risikoreiche Sache sein kann. Das «Rothus» war während Jahrhunderten eines der edelsten Gasthäuser Zürichs. Insofern war das Anknüpfen an diese grosse Tradition Verpflichtung und Risiko. Anderseits war ich als Lebensmittelhändler ein führender Lieferant der Gastrobranche, kenne also das Geschäft. Zudem bin ich in Luzern aufgewachsen, wo einige der ältesten und erfolgreichsten Hotels gegründet worden sind. Vielleicht kommt es auch von daher, dass ich das Hotelleben mag und meine Ferien am liebsten in Hotels verbringe. Gab es beim Umbau von «Goldenem Schwert» und «Rothus» Schwierigkeiten, mit denen Sie nicht gerechnet hatten? Beim Umbau von alten Häusern rechnet man stets mit Problemen. Die wichtigste Herausforderung war, neue Mieter zu finden, die unserem Zielpublikum entsprechen. Vor dem Umbau mussten wir die früheren Mieter überzeugen, auf den Zeitpunkt des geplanten Umbaus die Liegenschaften zu verlassen. Diskussionen gab es vor allem im «Goldenen Schwert » mit den Betreibern der Lokale «T&M» und «G-Colors House». Ich bin froh, dass mir der frühere Besitzer Hans Jecklin in dieser Phase partnerschaftlich geholfen hat. Hans Jecklin, der einstige Spielautomaten- und Casinobetreiber, war anfänglich Ihr Partner? Ja, für mich ein Glücksfall, ich konnte von seiner Erfahrung profitieren. Jecklin erwarb sich seinerzeit um «Rothus» und «Goldenes Schwert» 176

grosse Verdienste; ohne sein damaliges Engagement gäbe es diese Häuser wohl nicht mehr. Doch dann stieg Jecklin aus dem gemeinsamen Unternehmen aus. Das war eine Überraschung. Wir hatten für diese Situation eine klare Regelung. Hans Jecklin war korrekt und hielt sich an sein Wort. Die Schwierigkeit bestand darin, dass ich auf der einen Seite keine Mietzinseinnahmen mehr hatte, und auf der anderen ihm seinen Anteil abkaufen sowie das ganze Projekt mit mehreren Dutzend Millionen Franken Aufwand unerwartet allein schultern musste. Ich bin als Unternehmer zwar oft grosse Risiken eingegangen, aber da hatte ich doch schlaflose Nächte. Denn ich wollte die Liegenschaften unbedingt behalten und mein Vorhaben realisieren. Inzwischen ist, Gott sei Dank, alles gut herausgekommen. Sie sind zwar Eigentümer des total renovierten «Rothus’», das jetzt «Marktgasse Hotel» heisst, doch den Betrieb überlassen Sie der Migros. Ist das der passende Partner für ein Hotel, das Ihre Handschrift tragen soll? Ohne Zweifel. Ich hatte seinerzeit mit dem früheren Jelmoli-Besitzer Georg von Opel beziehungsweise dessen Restaurantkette Molino einen Pachtvertrag abgeschlossen. Von Opel wollte ein zweites Standbein: moderne Stadthotels. Doch dann verkaufte er Molino an die Migros Zürich. Das schon zu Beginn von kompetenten Leuten aufgegleiste Projekt entwickelte die Migros dann weiter – grossartig, wie sie die Sache durchgezogen hat. Ich zweifelte allerdings nie daran. Denn schon als Lebensmittelhändler hatte ich mit der Migros nur beste Erfahrungen gemacht. Ich hatte seinerzeit gegen hundert Pick-Pay-Geschäfte mit und neben der Migros eröffnet. Ich konnte darauf zählen, dass beim «Marktgasse Hotel» alles professionell durchgezogen wird. Was geschieht mit Ihren Häusern im Niederdorf, wenn Sie einmal nicht mehr da sind? Die Zukunft ist geregelt. All die Liegenschaften rund um den Elsässerplatz – «Marktgasse Hotel», «Goldenes Schwert», «Zum Wilden Mann» und, nicht zu vergessen, der kleine Kiosk – gehören der Firma Alt-Züri Immobilien AG. Diese wird in eine Stiftung eingebracht. Laut Stiftungszweck wollen meine Frau Regula und ich «historische Gebäude an wichtigen Orten renovieren und vor Spekulation bewahren». Damit ist sichergestellt, dass der wunderbare Elsässerplatz auch in Zukunft seinen unverwechselbaren Charakter bewahren wird. 177


Quadratmetern Fläche sogar einer der grössten COS weltweit. Inzwischen wurden die Budgeterwartungen weit übertroffen. Im übrigen haben wir darauf geachtet, dass die Wohnungen von Leuten gemietet werden, die auch tatsächlich dort wohnen und die Altstadt beleben. Und schliesslich haben wir jetzt auch eine wirtschaftlich vernünftige Kombination: ein Drittel Wohnungen, ein Drittel Geschäfte, ein Drittel Hotel und Gastronomie. Das Engagement in der Zürcher Altstadt hat noch einen weiteren Aspekt. Ich bin zwar in Luzern geboren, aber in Rapperswil heimatberechtigt, wo sich die Familie 1664 niedergelassen hatte. Meinen Verwandten gehören dort nach wie vor die zwei besonderen, denkmalgeschützten Curti-Liegenschaften. Im Sinne einer fortschreitenden Tradition bin ich stolz darauf, dass die Familie jetzt auch am anderen Ende des Zürichsees mit historischen Häusern präsent ist. Sie sind Besitzer der «Krone» in La Punt-Chamues-ch im Engadin. Damit kennen Sie sich im Hotelgeschäft aus und wissen, dass der Bau eines Hotels eine risikoreiche Sache sein kann. Das «Rothus» war während Jahrhunderten eines der edelsten Gasthäuser Zürichs. Insofern war das Anknüpfen an diese grosse Tradition Verpflichtung und Risiko. Anderseits war ich als Lebensmittelhändler ein führender Lieferant der Gastrobranche, kenne also das Geschäft. Zudem bin ich in Luzern aufgewachsen, wo einige der ältesten und erfolgreichsten Hotels gegründet worden sind. Vielleicht kommt es auch von daher, dass ich das Hotelleben mag und meine Ferien am liebsten in Hotels verbringe. Gab es beim Umbau von «Goldenem Schwert» und «Rothus» Schwierigkeiten, mit denen Sie nicht gerechnet hatten? Beim Umbau von alten Häusern rechnet man stets mit Problemen. Die wichtigste Herausforderung war, neue Mieter zu finden, die unserem Zielpublikum entsprechen. Vor dem Umbau mussten wir die früheren Mieter überzeugen, auf den Zeitpunkt des geplanten Umbaus die Liegenschaften zu verlassen. Diskussionen gab es vor allem im «Goldenen Schwert » mit den Betreibern der Lokale «T&M» und «G-Colors House». Ich bin froh, dass mir der frühere Besitzer Hans Jecklin in dieser Phase partnerschaftlich geholfen hat. Hans Jecklin, der einstige Spielautomaten- und Casinobetreiber, war anfänglich Ihr Partner? Ja, für mich ein Glücksfall, ich konnte von seiner Erfahrung profitieren. Jecklin erwarb sich seinerzeit um «Rothus» und «Goldenes Schwert» 176

grosse Verdienste; ohne sein damaliges Engagement gäbe es diese Häuser wohl nicht mehr. Doch dann stieg Jecklin aus dem gemeinsamen Unternehmen aus. Das war eine Überraschung. Wir hatten für diese Situation eine klare Regelung. Hans Jecklin war korrekt und hielt sich an sein Wort. Die Schwierigkeit bestand darin, dass ich auf der einen Seite keine Mietzinseinnahmen mehr hatte, und auf der anderen ihm seinen Anteil abkaufen sowie das ganze Projekt mit mehreren Dutzend Millionen Franken Aufwand unerwartet allein schultern musste. Ich bin als Unternehmer zwar oft grosse Risiken eingegangen, aber da hatte ich doch schlaflose Nächte. Denn ich wollte die Liegenschaften unbedingt behalten und mein Vorhaben realisieren. Inzwischen ist, Gott sei Dank, alles gut herausgekommen. Sie sind zwar Eigentümer des total renovierten «Rothus’», das jetzt «Marktgasse Hotel» heisst, doch den Betrieb überlassen Sie der Migros. Ist das der passende Partner für ein Hotel, das Ihre Handschrift tragen soll? Ohne Zweifel. Ich hatte seinerzeit mit dem früheren Jelmoli-Besitzer Georg von Opel beziehungsweise dessen Restaurantkette Molino einen Pachtvertrag abgeschlossen. Von Opel wollte ein zweites Standbein: moderne Stadthotels. Doch dann verkaufte er Molino an die Migros Zürich. Das schon zu Beginn von kompetenten Leuten aufgegleiste Projekt entwickelte die Migros dann weiter – grossartig, wie sie die Sache durchgezogen hat. Ich zweifelte allerdings nie daran. Denn schon als Lebensmittelhändler hatte ich mit der Migros nur beste Erfahrungen gemacht. Ich hatte seinerzeit gegen hundert Pick-Pay-Geschäfte mit und neben der Migros eröffnet. Ich konnte darauf zählen, dass beim «Marktgasse Hotel» alles professionell durchgezogen wird. Was geschieht mit Ihren Häusern im Niederdorf, wenn Sie einmal nicht mehr da sind? Die Zukunft ist geregelt. All die Liegenschaften rund um den Elsässerplatz – «Marktgasse Hotel», «Goldenes Schwert», «Zum Wilden Mann» und, nicht zu vergessen, der kleine Kiosk – gehören der Firma Alt-Züri Immobilien AG. Diese wird in eine Stiftung eingebracht. Laut Stiftungszweck wollen meine Frau Regula und ich «historische Gebäude an wichtigen Orten renovieren und vor Spekulation bewahren». Damit ist sichergestellt, dass der wunderbare Elsässerplatz auch in Zukunft seinen unverwechselbaren Charakter bewahren wird. 177


Die Autoren danken …

Impressum

allen Personen, die sich freundlicherweise für Gespräche zur Verfügung gestellt und grosszügig mit Unterlagen und Auskünften geholfen haben;

Diese Publikation erscheint auf Initiative von Beat Curti anlässlich der umfassenden Renovationen der historischen Liegenschaften am Elsässerplatz im Zürcher Niederdorf, wo Markt- und Münstergasse ineinander übergehen.

den hilfsbereiten und kompetenten Mitarbeitern des Baugeschichtlichen Archivs Zürich, des Staatsarchivs Zürich, des Stadtarchivs Zürich, des Sozialarchivs Zürich, der Archäologie und Denkmalpflege der Stadt Zürich sowie den Abteilungen Karten und Panoramen bzw. Graphische Sammlung und Fotoarchiv der Zentralbibliothek Zürich; Maya Repele für die umsichtige Produktion dieses Buches, dem Zürcher Büro Prill Vieceli Cremers für dessen kreative Gestaltung, Niklaus Stauss für die fotografische Begleitung, Hanspeter Eggenberger für das exakte Korrektorat und der Firma Gisler in Altdorf für den Druck; Hans-Peter Thür und dem Team von NZZ Libro für die Aufnahme der Publikation in das Verlagsprogramm; und vor allem Beat Curti, der es mit seiner Begeisterung für historische Bauwerke möglich gemacht hat, dass das Buch über die «Fluchgasse» geschrieben werden konnte.

Projektleitung: Maya Repele, Zürich Autoren: Barbara Franzen, Niederweningen; Andreas Z’Graggen, Buonas Fotografie: Niklaus Stauss, Zürich; Adriana Tripa, Loox Fotostudio, Zürich Lektorat: Hanspeter Eggenberger, Zürich Gestaltung: Prill Vieceli Cremers, Zürich, in Zusammenarbeit mit Emanuel Heim Druck: Gisler Druck AG, Altdorf Lithografie: Prill Vieceli Cremers, Zürich Bindung: Buchbinderei Grollimund, Reinach © 2015 Alt Züri AG, Zürich und Verlag Neue Zürcher Zeitung, Zürich Dieses Werk ist urheberrechtlich geschützt. Die dadurch begründeten Rechte, insbesondere die der Übersetzung, des Nachdrucks, der Vortrags, der Entnahme von Abbildungen und Tabellen, der Funksendung, der Mikroverfilmung oder der Vervielfältigung auf anderen Wegen und der Speicherung in Datenverarbeitungsanlagen, bleiben, auch bei der nur auszugsweiser Verwertung, vorbehalten. Eine Vervielfältigung dieses Werkes oder von Teilen dieses Werkes ist auch im Einzelfall nur in den Grenzen der gesetzlichen Bestimmungen des Urheberrechtsgesetzes in der jeweils geltenden Fassung zulässig. Sie ist grundsätzlich vergütungspflichtig. Zuwiderhandlungen unterliegen den Strafbestimmungen des Urheberrechts. ISBN 978-3-03810-134-5 www.nzz-libro.ch NZZ Libro ist ein Imprint der Neuen Zürcher Zeitung

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