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Prolog an der Höllenpforte

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Vorwort

Vorwort

Die Zeiger standen auf halb acht, als die «Enotria» am Morgen des 23. Juni 1970 im Hafen von Haifa anlegte. Unter den Passagieren, die vom Deck des italienischen Dampfschiffs in Richtung Zollstation schlenderten, liess sich ein gut aussehender junger Mann mit kurzen dunklen Haaren und kastanienbraunen Augen ausmachen. Adrett gekleidet, eine Super-8-Videokamera japanischen Fabrikats um den Hals und einen Reisekoffer im Schlepptau gab er einen passablen Touristen ab.1 Dennoch ruhten die Augen des Zöllners lange auf seinem Schweizer Reisepass. Das Dokument schien die Aufmerksamkeit des Beamten geweckt zu haben. Er tätigte einen ersten Anruf, dann untersuchte er sorgfältig Koffer und Videokamera. Unterbrochen wurde er bei dieser Tätigkeit nur von zwei weiteren Telefonaten. Offenbar fragte man ihn am anderen Ende der Leitung nach verschiedenen Passangaben. Während der Zöllner den scheinbaren Urlauber in ein etwas förmliches Gespräch über die Super 8 verwickelte, näherten sich zwei Polizisten in Zivilkleidung.

Die beiden Beamten baten den Schweizer in einen Nebenraum, wo sie sich an die erneute, diesmal akribische Durchsuchung des Koffers machten. Um den Inhalt einer Dose Rasierseife zu überprüfen, schufen sie mit sichtlicher Freude und Bewunderung einen kleinen weissen Berg Rasierschaum auf dem Tisch. Aber da war nichts Verdächtiges. Dasselbe galt für die Videokamera. Erstaunt studierten die zwei Polizisten noch einmal den Reisepass. Schliesslich machte sich einer der beiden an eine Leibesvisitation.

Wenige Augenblicke später sah der vermeintliche Tourist die Läufe mehrerer Uzi-Maschinengewehre auf sich gerichtet. Denn die Gegenstände, die man auf dem jungen Mann fand, gehören nicht gerade zu den Utensilien, die man traditionell auf eine Urlaubsreise am Mittelmeer mitführt. Ein weisser Stoffgürtel, der eng um seine Brust gebunden war, enthielt zehn Päckchen, jedes von ihnen mit 200 Gramm einsatzbereitem sowjetischem Sprengstoff gefüllt. In den Taschen seines Vestons steckte eine hermetisch verschlossene Zigarettenpackung der Marke Marlboro, in der allerdings bloss noch die Filter aufgereiht waren. Der dadurch ent-

standene Hohlraum war gefüllt mit einem elektrischen Zünder, einer japanischen Batterie mit dem sinnigen Namen «flying bomb» und zwei Kontrolllämpchen. Weiter kam eine Schweizer Armbanduhr der Marke Rexo zum Vorschein, die zu einer Präzisionszündvorrichtung umgebaut worden war. Schliesslich fand man in seinem Besitz noch sechs kleine Metallplatten mit der Aufschrift «PFLP». Das Kürzel steht für die Volksfront zur Befreiung Palästinas, eine bewaffnete Palästinenserorganisation, die damals quer durch Europa spektakuläre Anschläge verübte und dabei solche Medaillons zurückzulassen pflegte.2

Der Mann, der dieses kleine Arsenal auf sich trug, war ein 20-jähriger Tessiner Gymnasiast namens Bruno Breguet. Nach Israel war er gereist, um im Auftrag der Volksfront zur Befreiung Palästinas (PFLP) einen Bombenanschlag auf den Shalom Tower in Tel Aviv zu verüben. Der 34-stöckige Wolkenkratzer im Herzen der israelischen Hauptstadt war damals, seit seiner Eröffnung im Jahr 1965, das höchste Gebäude im Nahen Osten, ein Wahrzeichen Tel Avivs und Symbol des modernen Israels. Stattdessen klickten für Breguet nun die Handschellen. Als ihm einige Minuten zuvor bewusst geworden war, dass es für ihn aus dieser Situation kein Entrinnen geben würde, hatte er für einen Augenblick mit dem Gedanken gespielt, den Sprengstoff auf seinem Körper zur Explosion zu bringen. Es hätte aber zu viel Zeit gebraucht, das Zündsystem vorzubereiten, erklärte er einige Jahre später.3 Hätte er die Bombe hochgehen lassen, wäre Breguet der erste Schweizer Selbstmordattentäter geworden – und diese Geschichte, seine Geschichte, um manches Kapitel, manches Rätsel und manche unerwartete Wendung kürzer.

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