5 minute read
Der Weg nach Haifa
from Adrian Hänni: Terrorist und CIA-Agent. Die unglaubliche Geschichte des Schweizers Bruno Breguet
by NZZ Libro
Unter dem Eindruck, dass es sich beim Winterthurer Prozess um eine Justizfarce handelte, radikalisierte sich Bruno Breguet.1 Die propalästinensische Propagandakampagne des Jahres 1969 übte einen starken Einfluss auf ihn aus. Ihre beiden dominanten Narrative – dass Rachamim gegenüber den Attentätern der PFLP von der Schweizer Justiz bevorzugt behandelt werde und dass es sich beim in Zürich-Kloten angegriffenen El-Al-Flug um einen Waffentransport für das israelische Militär gehandelt habe – bohrten sich tief in sein Denken. Obsessiv trug er die sehr detaillierten, bisweilen obskuren und mitunter falschen Informationen zusammen, mit denen die verschiedenen Akteure des PFLP-Unterstützungsnetzwerks ihre Erzählungen geschmückt und ihre Behauptungen begründet hatten.
«Als in Winterthur die ersten Akte der Justizfarce aufgeführt wurden», erinnerte sich Breguet später, «entstand und bekräftigte sich in mir der starke Gedanke, dass ich etwas tun musste.»2 Seine äusserste Sensibilität für politische Entwicklungen, die er als ungerecht empfand, machte Bruno besonders empfänglich für die emotionalisierten und eindeutigen Zuschreibungen von Gerechtigkeit und Ungerechtigkeit, Recht und Unrecht, auf denen die Verteidigung der El-Al-Attentäter und ihre kommunikativen Begleitaktionen aufgebaut waren. So verhedderte er sich im Netz der palästinensischen Propaganda.
Am Ende der Winterthurer Verhandlung wurde der Beamte des israelischen Inlandsgeheimdiensts, wie Breguet und viele zeitgenössische Beobachter empfanden, «gegen jedes juristische Prinzip»3 freigesprochen, die drei palästinensischen Angeklagten dagegen zu langen Haftstrafen verurteilt. Als der Prozess «mit jenem absurden und provokativen Urteil zu Ende ging»,4 war er bereit, etwas zur Befreiung der drei PFLP-Kämpfer zu unternehmen.
Bereits am 27. Juli 1969 meldete sich Breguet telefonisch beim Büro der Arabischen Liga in Genf und bekundete sein Interesse, sich einer bewaffneten Palästinenserorganisation anzuschliessen: «Ich rufe Sie an,
um Sie um eine Information zu bitten. Wir würden gerne wissen, ob es möglich ist, in eine palästinensische Front eingegliedert zu werden.» – Simone Koueter (Sekretärin): «Sie sind welcher Nationalität?» – «Schweizer.» – «Können Sie mir ihren Namen nennen?» – «Breguet, Bruno. […] Ich habe auch einen Freund, der so ist wie ich. Wir hätten schon eine Antwort von OSPAAAL erhalten sollen, aber wir haben sie noch nicht erhalten. Wir haben geschrieben, darauf haben sie uns geschrieben und nun warten wir auf eine ausführlichere Antwort.» – «Gut, ich kann Ihnen bis am 25. August antworten. Ich werde Ihnen telefonieren, ich werde dann den Verantwortlichen gesehen haben.»5
Wie sich Breguets Kontaktaufnahme mit der PFLP in der Folge genau abspielte, ist unklar. In den folgenden Monaten reiste er jedenfalls häufig nach Mailand, wo er sich mit Linksextremisten im Umkreis des Mailänder Verlegers Giangiacomo Feltrinelli traf. Der Kontakt ergab sich durch die OSPAAAL-Zeitschrift Tricontinental. Um die italienischsprachige Ausgabe, die sich Breguet nach Minusio liefern liess, versammelte sich eine Gruppe von ideologisch Gleichgesinnten, die den Ideen der Kubanischen Revolution und Che Guevaras anhingen. Ernesto Breguet bestätigt, dass sich Bruno und Feltrinelli 1969 kennengelernt hatten: «Ja, sicher, mein Bruder Bruno und Feltrinelli kannte und trafen sich. Feltrinelli war einer seiner wichtigsten Bezugspunkte.»6 Der schwerreiche Feltrinelli, der mit der PFLP und ihrem Anführer George Habasch in Verbindung stand, verfocht in jener Zeit zunehmend die Idee einer italienischen Guerilla im Dienst der Arbeiterklasse. 1970 gründete er die paramilitärischen Gruppi d’Azione Partigiana (GAP) und ging in den Untergrund. Im März 1972 starb Feltrinelli unter mysteriösen Umständen bei einem Anschlag der GAP auf einen Strommast im Mailänder Vorort Segrate.7
Breguet selbst gab sich in Bezug auf seine damaligen Mailänder Kontakte zugeknüpft. In seinem Buch Scuola dell’Odio schreibt er: «Es ist nicht nötig zu erklären, wer sie waren und zu welcher Gruppe sie gehörten. Die Verflechtungen wären kompliziert. Es genügt zu sagen, dass es sich um politisch engagierte Genossen handelte, die durch das feste Band des antiimperialistischen Engagements vereint waren.»8 Möglicherweise unterhielt Breguet zu jener Zeit neben seinem Kontakt zur Gruppe um Feltrinelli auch bereits Verbindungen zu einer PFLP-Zelle in Mailand.9
Wegen seiner häufigen Reisen in die lombardische Metropole begann Bruno im Herbst 1969 häufig in der Schule zu fehlen. Gepaart mit einem
unüblichen Desinteresse für den Schulstoff führten die zahlreichen Absenzen dazu, dass er zusammen mit seinen Eltern zu einer Aussprache mit der Direktion ins Liceo geladen wurde. Gemäss Rektor Adriano Soldini habe sich Breguets Grundproblem bei jener Gelegenheit deutlich gezeigt. Sein Zögling, so Soldini, «war überzeugt, und nichts konnte ihn bei diesem Thema erschüttern, dass im schmerzhaften Konflikt des Nahen Ostens die Sache der Araber gerecht war und alle Menschen betraf, selbst diejenigen, die nicht direkt am Konflikt selbst beteiligt oder von ihm betroffen waren. Seine Überzeugung war so sehr festgewachsen, dass sie die Grundlage seines ganzen Denkens geworden war».10
In diesem Denken widerspiegelte sich Martin Luther Kings Ausspruch, dass «Ungerechtigkeit irgendwo überall eine Bedrohung für die Gerechtigkeit darstellt». Denn gemäss King sind wir «gefangen in einem unentrinnbaren Netzwerk der Wechselseitigkeit, zusammengebunden in einem einzigen Schicksalsgewand».11 Mochte Breguet so weit mit dem Anführer der amerikanischen Bürgerrechtsbewegung übereinstimmen, Kings Pazifismus lehnte er entschieden ab. Die Regierenden und Mächtigen auf der Gegenseite liessen eine gewaltfreie Strategie nicht zu, was die Erfolgsaussichten eines pazifistischen Vorgehens im revolutionären Kampf eintrübten. Diese Skepsis gegenüber dem Pazifismus kam im Italienischunterricht zum Vorschein, als der Lehrer die Klasse Martin Luther Kings Buch Strength to Love (1963) lesen liess. Die dort gesammelten Predigten hielt Bruno für zu versöhnlich, die von King im Kampf gegen die Rassentrennung in den USA eingeforderte Gewaltlosigkeit hielt er für nicht praktikabel.12
Die Haltung Breguets gegenüber politischer Gewalt, die in der intellektuellen Auseinandersetzung mit dem herausragenden Bürgerrechtler, der 1968 selbst einem Gewaltverbrechen zum Opfer gefallen war, durchschien, stand scheinbar in diametralem Gegensatz zu seiner Persönlichkeit. Alle, die ihn als Jugendlichen kannten, beschreiben Bruno als liebenswürdig, sensibel, stets korrekt und konfliktscheu; als jemanden, der Konfrontationen lieber aus dem Weg ging. Mit Sicherheit besass er kein von Natur aus gewalttätiges Wesen. Dennoch entschied er sich in den kommenden Monaten dazu, für die PFLP einen Terroranschlag in Israel zu verüben.
Was bewegt einen Schweizer Jugendlichen dazu, den Weg der politischen Gewalt einzuschlagen? Bruno Breguet reist 1970 als 19-Jähriger in ein militärisches Ausbildungslager der Volksfront zur Befreiung Palästinas im Libanon und bietet an, sich an einem Anschlag in Israel zu beteiligen. Die Mission ist der Beginn einer dramatischen Lebensgeschichte, die den Tessiner in israelische Gefängnisse, in den Mittelpunkt internationaler Geheimdiplomatie und an die Seite des legendären Terroristen «Carlos der Schakal» führen wird. Der Autor Adrian Hänni, der zur Schattenwelt der Geheimdienste und Terrororganisationen forscht, erschloss lange unzugängliche Quellen und führte Gespräche mit bisher verschwiegenen Weggefährten von Bruno Breguet. Er enthüllt erstmals dessen Tätigkeit als CIA-Agent, bietet unbekannte Perspektiven auf die Carlos-Gruppe und verfolgt neue Spuren zu Breguets mysteriösem Verschwinden.
978-3-907291-87-0