Christoph Hauser: Ordnung ohne Ort. Institutionen und Regionalökonomie im digitalen Zeitalter.

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Prof. Dr. Andreas Brandenberg Leiter Interdisziplinärer Schwerpunkt Datenwelten der Hochschule Luzern

Christoph Hauser (* 1971), Prof. Dr. rer. pol., studierte Ökonomie in Freiburg i. Ue. und Barcelona. Er betreibt angewandte Forschung, Beratung und Lehre zu Standort- und Innovationspolitik sowie Instit­u­tionen- und Regionalökonomie an der Hochschule Luzern.

« Diese äusserst gelungene und umfassende Gesamtschau führt zu drei fundamentalen gesellschaftspolitischen Postulaten für das digitale Zeitalter: Transparenz, Kompetenz und Legitimierung. Das Buch ist allen empfohlen, die sich mit der längerfristigen Zukunft der digitalen Gesellschaft auseinandersetzen. » André Golliez Präsident Opendata.ch

« Das Buch zeigt auch für Nichtökonomen gut nachvollziehbar auf, wie tief greifend der Wandel mit der Digitalisierung sein wird, auch für regionale Wirtschaften. Und es unterstreicht, dass die Debatte über neue Spielregeln im digitalen Zeitalter dringend nötig ist. »

Christoph Hauser

« Christoph Hausers Ordnung ohne Ort geht der spannenden Frage nach, was eigentlich folgt, wenn im Zuge der Digitalisierung der geogra­ fische Ort, die räumliche Nähe und die soziale Kontrolle an Ordnungskraft verlieren. »

ORDNUNG OHNE ORT

Christoph Hauser

ORDNUNG

Institutionen und Regionalökonomie im digitalen Zeitalter

OHNE ORT

Die Diskussionen rund um die Digitalisierung pendeln zwischen riesigen Erwartungen und einer gewissen Ratlosigkeit. Wir erleben eine Zeit, in der sich unsere Ordnung im Sinne geschriebener und ungeschriebener Gesetze zunehmend aus geografischen Orten löst und in den Cyberspace verschiebt. Güter haben neue Eigenschaften, Arbeitsteilung wird neu organisiert, das Vertrauen in Verträge und Beziehungen erhält eine neue Bedeutung. Sukzessive verändert die Digitalisierung das Spiel und die Spielregeln. So auch bei der Führung von Unternehmen, bei Entscheiden von Konsumierenden oder in der Politik. Christoph Hauser zeigt die grundlegenden Verbindungen zwischen Digitalisierung, Regionalökonomie und institutioneller Ordnung auf und hilft, die laufend gewonnenen Erkenntnisse über das Potenzial und die Folgen der Digitalisierung in einen grösseren Kontext einzuordnen.

Dr. Christoph Koellreuter Vizepräsident und Programmleiter der Fondation CH2048

ISBN 978-3-03810-235-9 ISBN 978-3-03810-235-9

9 783038 102359

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Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

© 2017 NZZ Libro, Neue Zürcher Zeitung AG, Zürich

Lektorat: Rainer Vollath, München Umschlag: icona basel, Basel Gestaltung, Satz: Gaby Michel, Hamburg Druck, Einband: Druckhaus Nomos, Sinzheim Dieses Werk ist urheberrechtlich geschützt. Die dadurch begründeten Rechte, insbesondere die der Übersetzung, des Nachdrucks, des Vortrags, der Entnahme von Abbildungen und Tabellen, der Funksendung, der Mikroverfilmung oder der Vervielfältigung auf anderen Wegen und der Speicherung in Datenverarbeitungsanlagen, bleiben, auch bei nur auszugsweiser Verwertung, vorbehalten. Eine ­Vervielfältigung dieses Werks oder von Teilen dieses Werks ist auch im Einzelfall nur in den Grenzen der gesetzlichen Bestimmungen des Urheberrechtsgesetzes in der jeweils geltenden Fassung zulässig. Sie ist grundsätzlich vergütungspflichtig. Zuwiderhandlungen unterliegen den Strafbestimmungen des Urheberrechts. ISBN 978–3–03810–235–9

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Inhaltsverzeichnis

1

Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .   11 1.1 1.2

1.3

1.4 1.5

Perspektiven dieses Buchs . . . . . . . . . . . . . . . .   11 Die Begriffe «Digitalisierung», «Regionen» und «Institutionen» . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .   14 Gemeinsamkeiten der Regionen, der Institutionen und der Digitalisierung . . . . . . . . . . . . . . . . . .   15 Wissensflüsse aufnehmen können . . . . . . . . . . . .   16 Transaktionskosten im Griff haben . . . . . . . . . . .   20

Teil I Digitalisierung, Regionen und Institutionen . . . . . . . . . . .   23 2

Digitalisierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .   25 2.1 2.2 2.3 2.4 2.5 2.6 2.7 2.8 2.9

3

Digitalisierung, Revolution durch Symbole . . . . . . .   25 Digitalisierung, nicht verpassen! . . . . . . . . . . . .   31 Die drei E . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .   33 Selbstbeschleunigend . . . . . . . . . . . . . . . . . .   37 Transaktionskosten und Geschäftsmodelle . . . . . . .   38 Digitale Inhalte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .   45 Materielle Welt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .   47 Nutzen statt Wertschöpfung . . . . . . . . . . . . . . .   52 Cyberspace als Institutionenraum . . . . . . . . . . . .   56

Regionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  60 3.1 3.2 3.3 3.4 3.5 3.6

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Die Region ist, wo wir sind . . . . . . . . . . . . . . .  60 Standortfaktoren, überlebenswichtig! . . . . . . . . . .   62 Regionalmanagement . . . . . . . . . . . . . . . . . .  66 Regionale Wertschöpfung . . . . . . . . . . . . . . . .   68 Wertschöpfung am Beispiel eines Busunternehmens  .  .    71 Nutzen, mehr als Wertschöpfung . . . . . . . . . . . .   74

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3.7

Finanzielle Zu- und Abflüsse . . . . . . . . . . . . . . .  77 3.8 Strategien zur Förderung regionalen Wohlstands .  .  .  .   80 3.9 Regionale Innovationssysteme . . . . . . . . . . . . . .  85 4

Institutionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  89 4.1

Die Summe aller Regeln . . . . . . . . . . . . . . . . .  90 4.2 Es sind die Institutionen, du Dummkopf! .  .  .  .  .  .  .  .   94 4.3 Wirkung über Anreize . . . . . . . . . . . . . . . . . .  97 4.4 Ersparnisse bei Transaktionskosten . . . . . . . . . . . 100 4.5 Institutionenrankings . . . . . . . . . . . . . . . . . .  102 4.6 Institutionen sind nicht messbar . . . . . . . . . . . . .  105 4.7 Der Markt als zentrale Institution . . . . . . . . . . . . 108 4.8 Effizienz und Gerechtigkeit . . . . . . . . . . . . . . .  110 4.9 Zur Entstehung von Institutionen . . . . . . . . . . . .  114 4.10 Kosten und Nutzen, mehr als Geld .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .   119 4.11 Institutionen, ubiquitär . . . . . . . . . . . . . . . . . .  121

Teil II Wo Regionen, Institutionen und Digitalisierung zusammenkommen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  123 5

Güter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  125 5.1 5.2 5.3 5.4 5.5 5.6 5.7 5.8 5.9

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Ausschlussprinzip . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  126 Konsumrivalität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  130 Private und öffentliche Güter . . . . . . . . . . . . . . .  131 Welche Menge? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  135 Tragik der Allmende . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  137 Mautgüter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  139 Einschlussprinzip . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  144 Konsumallianz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  147 Diversität der Güter verstehen . . . . . . . . . . . . . . 149

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6.1 6.2 6.3 6.4 6.5 6.6 6.7 6.8 7

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 155 Die arbeitsteilige Volkswirtschaft . . . . . . . . . . . . 155 «Quo vadis, Arbeit?» . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 157 Arbeitsteilung bis zum Mausklick . . . . . . . . . . . . 161 Digitale Welt, ein Wilder Westen? . . . . . . . . . . . . 163 Oder verschwindest du, Arbeit? . . . . . . . . . . . . . 168 Was arbeiten wir morgen? . . . . . . . . . . . . . . . . 171 Mensch und Maschine, nicht oder . . . . . . . . . . . . 173 Arbeitsteilung der Regionen . . . . . . . . . . . . . . . 177

Arbeitsteilung

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 182 Verträge in der institutionellen Ordnung .  .  .  .  .  .  .  .  183 7.2 Unvollständige Verträge . . . . . . . . . . . . . . . . . 184 7.3 Explizite Verträge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 185 7.4 Implizite Absicherung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 188 7.5 Vertrauensintermediäre . . . . . . . . . . . . . . . . . 190 7.6 Mit wem binde ich mich? . . . . . . . . . . . . . . . . . 192 7.7 Screening und Signalling . . . . . . . . . . . . . . . . 193 7.8 Unser digitales Erscheinungsbild . . . . . . . . . . . . 194 7.9 Moral Hazard . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 198 7.10 Smart Contracting . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 203 7.11 Blockchain und der Eiermann . . . . . . . . . . . . . . 205 7.12 Blockchain braucht … Institutionen . . . . . . . . . . . 210 Verträge 7.1

8

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . 215 Warum gibt es noch Unternehmungen? .  .  .  .  .  .  .  .  .  215 Hierarchie und Markt im Gleichgewicht . . . . . . . . . 217 Wer senkt Transaktionskosten besser? .  .  .  .  .  .  .  .  .  220 Unternehmen ohne Führung? . . . . . . . . . . . . . . 221 Wo sind diese Unternehmen nun eigentlich? .  .  .  .  .  .  .  224 Systeme oder Führung? . . . . . . . . . . . . . . . . . 225 Weites Unternehmensnetzwerk – nach aussen eine Einheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 226

Unternehmensnetzwerke 8.1 8.2 8.3 8.4 8.5 8.6 8.7

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Präferenzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 229 9.1 9.2 9.3 9.4 9.5

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Wem vertrauen wir unsere Präferenzen an? .  .  .  .  .  .  .  229 Sichtbar, also diskriminierbar . . . . . . . . . . . . . .  232 Wollen wollen, die Metapräferenzen . . . . . . . . . . . 236 Filterblasen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 239 Digitaler Kunstrasen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 241

Selbstbindung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 244 10.1

Örtliche Nähe als Restriktion als Institution .  .  .  .  .  .  .  245 10.2 Sorry, I don’t skype . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 247 10.3 Politik in einer Gebietskörperschaft . . . . . . . . . . . 249 10.4 Warum denn überhaupt eine Politik? . . . . . . . . . . . 250 10.5 Herausforderung Verteilung . . . . . . . . . . . . . . . 254 10.6 Die Sicherheit und der Leviathan . . . . . . . . . . . . 257 10.7 Widerspruch oder Abwanderung . . . . . . . . . . . . 258 10.8 Bitnation: Abwanderung ohne Wanderung . . . . . . . 259 11

Perspektiven . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 263 11.1 Digitalisierung

als Wirtschaftsraum gestalten  . . . . . 263 Transparenz bestehen! . . . . . . . . . . . . . . . 266 11.3 Regionen als Lebensraum gestalten . . . . . . . . . . . 268 11.4 Auf Kompetenzen bestehen! . . . . . . . . . . . . . . .  271 11.5 Institutionen für die Zukunft gestalten . . . . . . . . . . 272 11.6 Auf Legitimierung bestehen! . . . . . . . . . . . . . . . 273 11.7 Debatte jetzt, nicht später führen . . . . . . . . . . . . . 274 11.2 Auf

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Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 277

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Vorwort und Dank

Dieses Buch wurde durch seine Entstehungsgeschichte mitgeprägt. Der Hauptteil dieses Textes entstand während eines Sabbaticals, das ich im Frühling 2016 nehmen konnte. Sabbaticals sind für Fachhochschulprofessoren, die normalerweise von Unterricht, Terminen und Projekten getrieben sind, eine wunderbare Möglichkeit, um tiefer in ein Thema einzutauchen. Die sechs Monate Freiheit von Büropräsenz, Unterrichtsverpflichtung und Tagesgeschäft habe ich genutzt, um mit meinem Computer unter dem Arm einige Tage lang an unterschiedlichen Orten zu arbeiten. Mit Vorliebe waren das Orte, an denen ich auf unterschiedliche Unternehmerinnen und Unternehmer treffen konnte. Es waren zum Beispiel der Technopark Luzern, der Co-Working-Space in einem stillgelegten Hallenbad oder in einer Marketingagentur sowie viele andere Orte und Büros. So ganz nebenbei ergaben sich dabei immer wieder Gespräche zu den Thesen in diesem Buch. Ich werde diese Erkenntnisse und Beispiele hin und wieder erwähnen. Es ist nämlich sehr aufschlussreich, arbeitende Menschen zu fragen, was für sie Orte, Regeln und Technologien in ihrer täglichen Arbeit bedeuten. Es fliessen indirekt auch Ideen von Studierenden sowie von Kolleginnen und Kollegen der Hochschule Luzern in den Text ein, mit denen ich in den vergangenen Jahren in Projekten der anwendungsorientierten Forschung und Entwicklung zusammengearbeitet habe. Prägend für das Buch ist jedoch vor allem das halbe Jahr, das ich als digitalisierter Arbeitsnomade verbracht habe. Das war nicht nur, aber doch auch vorwiegend in der Zentralschweiz. Ich lasse, passend zu dem Buch, diese regionale Tendenz hin und wieder durchscheinen. Alleine und ohne geeignete Rahmenbedingungen hätte ich dieses Buch nicht schreiben können. Ein grosser Dank geht an die Hochschule Luzern, die mir ein halbes Jahr lang den Rücken freigehalten und so dieses Buch überhaupt erst ermöglicht hat. Wertvoll waren für mich zahlreiche Kontakte mit Gesprächspartnern und Türöffnern. Stellvertretend und besonders erwähnen möchte ich Hansruedi Lingg vom 9

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Technopark Luzern und Charles Coe von der North Carolina State University. Wichtigen Input zu diesem Text erhielt ich von Ursula Sury, Juris­tin am Departement für Informatik der Hochschule Luzern, von Willy Küchler, Innovationsberater und Regionalentwickler, und von Ökonomen unserer Hochschule, darunter der Regionalökonom Ste­ phan Käppeli sowie Andreas Brandenberg. Letzterer ist zugleich Leiter des interdisziplinären Schwerpunkts Datenwelten der Hochschule Luzern. Hier kommen die verschiedensten Disziplinen der ganzen Hochschule, von der Architektur bis hin zur Musik und von der sozialen Arbeit bis hin zum Design zusammen. Der interdisziplinäre Schwerpunkt Datenwelten erforscht die Wertschöpfung durch Big Data. Aus diesem Umfeld habe ich viele wichtige Impulse erhalten. Im digitalen Zeitalter ist meine Familie für mich der schönste und wichtigste Rückhalt. Darum widme ich dieses Buch meiner wunder­ baren Frau Judith sowie meinen drei Söhnen Jonathan, Lionel und ­Ramon. Den Kindern gehört die Zukunft. Ich hoffe, dieses Buch kann etwas Positives für unsere Zukunft beitragen. Christoph Hauser, November 2016

Möchten Sie zu diesem Buch einen Kommentar schreiben? Haben Sie ein Thema, das Sie diskutieren möchten? Dann besuchen Sie meinen Blog zu diesem Buch: http://blog.hslu.ch/ordnungohneort/

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1 Einführung

Wir leben in einer sehr spannenden Zeit. Die Digitalisierung der Arbeits- und Lebenswelt ist weit fortgeschritten, doch längst nicht abgeschlossen. Vielmehr entwickelt sie sich in grossem Tempo weiter. Es ist selbst für Fachpersonen der Informatik nicht einfach, den Überblick über die neuesten Entwicklungen zu bewahren. Das Stichwort «vierte industrielle Revolution» wird in den Medien und in manchen Sitzungszimmern zunehmend unüberhörbar. «Revolution» ist ein grosses Wort. Es wird erwartet, dass viele Geschäftsmodelle in zehn Jahren völlig anders funktionieren werden als noch in dem Jahr, in dem diese Zeilen geschrieben wurden. Grosse wirtschaftliche Umwälzungen haben in der Vergangenheit die Wirtschaftsgeografie dynamisch beeinflusst. Die Digitalisierung dürfte auch in den regionalen Wirtschaften ihre Spuren hinterlassen.

1.1  Perspektiven dieses Buchs

Blickt man vom Jahr 2017 elf Jahre zurück, dann zeigt sich in Ihrer (Hosen-)Tasche, wie schnell sich die Digitalisierung entwickelt hat. Das Smartphone gab es 2006 noch nicht, und kaum jemand hat sich im Jahr 2006 vorgestellt, dass hierzulande dereinst praktisch alle Menschen mit so einem Gerät in der Tasche herumlaufen würden, das mindestens so rechenstark und vielseitig ist wie ein damaliger PC (Mazzucato, 2015, S. 89). Hardware und Software entwickeln sich derweil weiter. Dieses Buch geht den Auswirkungen auf die Wirtschaft nach, speziell auch in räumlichen Dimensionen. Damit diese Verknüpfung gelingt, basieren die Überlegungen auf praktischen Theorien, und zwar vorwiegend aus jenem Bereich der Ökonomie, der sein Auge auf die Rolle der Spielregeln und der Transaktionskosten wirft. Die Anwendung dieser sogenannten neuen Institutionenökonomie wird uns die Wechselwirkungen zwischen den geografischen und den virtuellen Räumen aufzeigen. Wir werden sehen, wie die Regionen und die Digitalisierung in einer 11

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Hinsicht in Ergänzung, in anderer Hinsicht aber auch in Konkurrenz zueinander stehen, da beide das wirtschaftliche und gesellschaftliche Zusammenleben ordnen und so massgeblich beeinflussen. In letzter Konsequenz bedeutet Digitalisierung, dass sich die Institutionen und damit die Ordnung insgesamt langsam, aber sicher aus ihren örtlichen Verankerungen lösen und sich in den sogenannten Cyberspace verlagern. Ordnung ohne Ort. Diese Verschiebung ist in der Geschichte der Menschheit neu. Voraussagen in die Zukunft sind immer ein heikles und umfangreiches Unterfangen. Das ist im Fall der Digitalisierung nicht anders. Einerseits ist mit simplen Hochrechnungen Vorsicht geboten, andererseits muss klar sein, auf welchen Grundlagen man eine Prognose wagt. So werden in diesem Buch drei Perspektiven miteinander verknüpft. Erstens die erwähnte Digitalisierung; zweitens die Perspektive der Institutionen im Sinne der geschriebenen und ungeschriebenen Spiel­ regeln, so wie sie auf den verschiedensten Ebenen des menschlichen Zusammenlebens existieren. Die dritte Perspektive ist die des geografischen Orts im Sinne einer Region. All dies soll mit mehrheitlich ökonomischen Ansätzen betrachtet werden. Das bedeutet auch, dass ökonomische Modelle zum Einsatz kommen. Modelle vereinfachen die Welt in vielen Punkten und vermögen dadurch, gewisse Zusammenhänge sichtbar zu machen, die man sonst nicht erkennen könnte. Diese Werkzeuge der Erkenntnis sind sicher nützlich, wenn man drei solch umfassende Themen wie die Digitalisierung, die Institutionen und die Regionen in einen Kontext bringen möchte. Aber keine Angst, es gibt weder mathematische Kurvendiskussionen noch algebraische Umformungen. Es wird stets der praktische Kern einer Theorie gebraucht. Mit der Gegenüberstellung von regionalen Orten und der Digitalisierung öffnet sich die spannende Fragestellung, ob die räumliche Distanz für das wirtschaftliche und soziale Zusammenleben in Zukunft eine andere Bedeutung haben wird als heute. Unter Fachleuten ist es derzeit umstritten, ob die Wichtigkeit, wo man wohnt und arbeitet, in Zukunft abnehmen oder sogar noch zunehmen wird. Beide Seiten haben gute Argumente, und vielleicht haben auch beide im Sinne des sogenannten Globalisierungsparadoxons recht. Dieses lautet: «Die Dis12

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tanz mag zwar tot sein, das Bedürfnis nach räumlicher Nähe aber nicht» (Cernavin et al., 2005, S. 23). Konkret könnte das bedeuten, dass im beruflichen Leben die Distanz keine Rolle mehr spielt, während im Privaten menschliche Nähe umso wichtiger wird. Das Buch gliedert sich in zwei Hauptteile. Der erste führt in das Thema mit je einem eigenen Kapitel zur Digitalisierung, zu den Regionen und zu den Institutionen ein. Als Klammerbegriffe für diese drei einführenden Kapitel spielen die Stichwörter «Netzwerke», «Wertschöp­ fung», «Transaktionskosten» und «Wissensflüsse» eine wichtige Rolle. Im zweiten Teil werden die Verbindungen zwischen den Regionen, den Institutionen und der Digitalisierung anhand verschiedener Themen vertieft. Güter, Arbeitsteilung, Verträge und Unternehmensnetzwerke sind die Stichwörter, mit denen sich wichtige Querbezüge zwischen der Digitalisierung, den Institutionen und den Regionen herstellen lassen. Die Präferenzen und Selbstbindungen von Menschen sind in weiteren Kapiteln abgehandelt, um zum Schluss einige zusammenfassende und weiterführende Perspektiven darzulegen. Bereits im ersten Hauptteil werden immer wieder Modelle mit Beispielen verknüpft, die hauptsächlich aus der Ökonomie stammen, und hier hauptsächlich aus der neuen Institutionenökonomie, aus der neuen politischen Ökonomie, aus der Regionalökonomie sowie aus der Verhaltensökonomie. Die Modelle sollen nicht Selbstzweck sein, sondern Werkzeuge, mit denen das ökonomische Denken nachvollzogen werden kann. Daher wird jedes Modell nur so weit erklärt, wie es gebraucht wird. Zudem ist die Erklärung jeweils kurz gehalten. Für weiterführen­ ­de, technische Erklärungen von Modellen und Theorien an sich ist dieses Buch nicht gedacht. Entsprechende Litera­tur ist zitiert, so sieht man, aus welcher Richtung die jeweiligen Überlegungen kommen (und dass es noch andere gibt, die das Argument schon verwendet haben).

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1.2  Die Begriffe «Digitalisierung», «Regionen» und ­«Institutionen»

Eigentlich wünschte ich mir, die nächsten drei Kapitel könnten parallel gelesen werden, da die These hier ist, dass sie alle miteinander verknüpft sind. Doch ein Buch verläuft – im Gegensatz zu der Lektüre von Web­ sites oder Gratiszeitungen – linear. Daher diese kurze Einführung zu den drei Begriffen «Digitalisierung», «Regionen» und «Institutionen». Es gibt vielfältige neue digitale Technologien. Im Verhältnis zur Geschichte der Menschheit sind diese Technologien noch sehr jung und entwickeln sich überaus rasch. Bei der Digitalisierung sind diese Technologien mit gemeint. Die Auswirkungen dieser digitalen Technologien auf unseren individuellen Alltag und auf unser Zusammenleben sind aber zentral. Die Auswirkungen auf unsere Wirtschaft und Politik sowie auf unsere Wahrnehmung und Kommunikation sind tief greifend genug, um den starken Begriff des «digitalen Zeitalters» zu verwenden. In diesem Buch wird die Digitalisierung speziell auch unter Berücksichtigung des geografischen Orts betrachtet. Ort, verstanden als geografischer Raum, innerhalb dessen sich unser Alltag abspielt. Also wo wir zur Arbeit gehen, einkaufen, unsere Freunde treffen und wo wir poli­tische Entscheidungen fällen. Diese funktional relevanten Orte nennen wir auch Region. Regionen machen an politischen Grenzen nur bedingt halt, sie entstehen vielmehr durch das tatsächliche Leben. Der Begriff «Institution» wird in diesem Buch als handlungsanleitende Spielregel verstanden. Ob eine Spielregel als Gesetz oder als Haus­ordnung schriftlich vorliegt oder ob sie als Gewohnheit oder als so­ziale Norm das Handeln von Menschen beeinflusst, ist dabei nicht entscheidend. Institutionen können für uns Menschen einschränkend sein, weil sie gewisse Dinge verbieten und andere gebieten: Schuhe gehören nicht auf das Polster! Einkommen ist zu versteuern! Wir haben daher manchmal ein ambivalentes Verhältnis zu den Institutionen. Im Einzelnen stören sie uns, wir empfinden uns in unserer Freiheit eingeschränkt. Im Ganzen aber sind Institutionen die Voraussetzung für ein friedliches, produktives und gerechtes Zusammenleben. Die Summe all dieser Institutionen ist die Ordnung. 14

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1.3  Gemeinsamkeiten der Regionen, der Institutionen und der Digitalisierung

Im zweiten, dritten und vierten Kapitel werden die Digitalisierung, die Regionen und die Institutionen noch detaillierter eingeführt. Die Begriffe sind in der wissenschaftlichen Literatur ein grosses Thema und füllen ganze Bücherregale. Sie werden leider nicht allzu oft zusammen verwendet, vor allem nicht alle drei gemeinsam. Hier soll das vorliegende Buch eine Lücke füllen. Nein, mehr noch: Es soll eine Chance für ergiebige Erkenntnisse aufzeigen. Bevor man Unterschiedliches miteinander verbindet, soll klar sein, was mit dem Einzelnen gemeint ist. Dies ist die Absicht der nächsten drei Kapitel. Es wird aber nicht nur bei der Definition bleiben, sondern es wird auch beschrieben werden, warum es sich bei der Digitalisierung, bei den Regionen und bei den Institutionen jeweils um etwas Wichtiges handelt. Auch wenn die drei Perspektiven in den nächsten drei Kapiteln zunächst nacheinander abgehandelt werden, so wird dabei zunehmend deutlich, dass in Bezug auf die jeweiligen Funktionen Parallelen bestehen, die die Regionen, die Institutionen und die Digitalisierung für das Zusammenarbeiten erfüllen. Auf folgende drei Verbindungslinien können Sie bei der Lektüre der folgenden drei Kapitel achten: Erstens haben sowohl die Regionen, die Institutionen als auch die Digitalisierung sehr viel mit Netzwerken und Investitionen in Ressourcen wie Zeit, Geld und Aufmerksamkeit in diese Netzwerke zu tun. In diesen Netzwerken gibt es unterschiedliche Anreizmuster und mehr oder weniger starke Gründe, damit sich die Akteure in den Netzwerken gegenseitig Vertrauen schenken, entweder über den Markt oder über bestimmte Verträge. Das durch Netzwerke legitimierte Vertrauen wird im gesamten Buch Thema bleiben. Jeder, der sich intensiver mit der Regionalökonomie, der neuen Institutionenökonomie oder auch der Digitalisierung auseinandersetzt, wird eine entscheidende Bedeutung der Netzwerke im jeweils angepassten Sinne beschreiben können. Ein Vergleich drängt sich hier fast auf. Zweitens werden die drei Begriffe «Region», «Institution» und «Digitalisierung» sehr häufig in Zusammenhang mit der Wertschöpfung 15

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im engeren ökonomischen Sinne gebraucht. Sowohl der Digitalisierung, den Institutionen als auch den Regionen wird etwas grundlegend Ursächliches für die Wertschöpfung zugeschrieben. Immer kommt dabei aber auch die Frage auf, wo ein allgemeinerer Nutzenbegriff über die Wertschöpfung hinausgehen müsste. Ein Nutzenzuwachs jenseits der Wertschöpfung erklärt, warum das offizielle Wirtschaftswachstum im digitalen Zeitalter moderat bleibt. Drittens: Sie können sich als Person weder den Regionen noch den Institutionen noch der Digitalisierung entziehen. Sie befinden sich immer an irgendeinem Ort. Es gibt immer Regeln. Die Digitalisierung kann man nicht ausschalten. Man müsste schon eine Existenz wie Robinson Crusoe im Nirgendwo fristen, wenn man sich all dem total verschliessen wollte. Für die ständige Begleitung gibt es ein schönes Fremdwort: Ort, Regeln und Cyberspace sind ubiquitär. Das erinnert an den jungen Fisch, der seine Mutter im Ozean schwimmend fragt: «Mama, wo ist eigentlich das Meer?» Dieses Buch will die drei Meere namens Regionen, Institutionen und Digitalisierung deutlicher sichtbar machen und aufzeigen, wie sie zu einem Weltmeer verbunden sind. Das sind ja schon einige, vielleicht sogar überraschend viele Gemeinsamkeiten zwischen den Regionen, den Institutionen und der Digitalisierung. Eine der Folgerungen daraus wird sein, dass das eine das andere in seiner Funktion ergänzt oder ablöst. Wo und wie stark, das ist eine der spannenden Zukunftsfragen: Werden die Regionen im Zuge der Digitalisierung bedeutungsloser? Ruft die Digitalisierung nach neuen Institutionen? Erkennt man die Bedeutung von Institutionen für regionales Wirtschaftswachstum jetzt erst richtig, wo man dazu Big-­ Data-Analysen machen kann? Kann die Balance unserer Ordnung mit dem rasenden Tempo der Digitalisierung Schritt halten?

1.4  Wissensflüsse aufnehmen können

Es gibt bei der Analyse der Regionen, der Institutionen und der Digi­ talisierung noch eine andere Variante für einen gemeinsamen Nenner: Wissen als immaterieller Wert. Wissen macht Netzwerke aus, Wissen ist vielleicht die entscheidende Voraussetzung für Wertschöpfung, und: 16

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Wissen ist irgendwie doch immer da und nicht einzugrenzen, so wie das Meer für den kleinen Fisch. Auch wenn es nicht immer so explizit gemacht wird: Es geht in diesem Buch stets um Wissen und um die Übertragung von Wissen, also um Wissensflüsse. Wissensflüsse sind ein wesentliches Geschehen, sowohl durch und in den Regionen, durch und in den Institutionen sowie durch und in der digitalisierten, virtuellen Welt. Überall wird die Weitergabe von Wissen erleichtert oder kanalisiert, überall gilt das Teilen und Erkennen von Wissen als fundamental, entscheidend für Erfolg und Nichterfolg. Dazu je drei kurze Beispiele: Zu den Regionen: Ein bekanntes regionalökonomisches Muster ist die örtliche Konzentration von bestimmten Branchen. Diese Cluster können viele Unternehmen enthalten, die gemeinsam eine Weltelite bilden. Das Erfolgsrezept des berühmtesten Beispiels dazu, des Silicon Valley, ist in einem Satz erklärt: das dort angesammelte und gern geteilte Wissen über das Unternehmertum und über Hard- und Software. Diese Brutstätte vieler IT-Unternehmen nahe San Francisco beruht vor allem auf Wissen und Wissensflüssen. Zu den Institutionen: Institutionen sind Spielregeln im weiteren Sinne. Hätte jeder Mensch auf Erden ohne Weiteres jedes Wissen sofort und absolut zuverlässig verfügbar, dann wären gewisse Institutionen gar nicht nötig. Ein Register der eingetragenen Aktiengesellschaften wird zum Beispiel nach bestimmten Regeln geführt, um allen einen zuverlässigen und berechenbaren Zugang zu diesen Daten zu gewährleisten. Eine friktionslose Welt, in der jede und jeder ohne Weiteres alles über alle Aktiengesellschaften wissen würde, bräuchte kein solches Register. Zur Digitalisierung: Es liegt auf der Hand, dass die Digitalisierung mit Wissen und Wissensflüssen in Verbindung steht, und zwar so sehr, dass sich die Umstände der Wissensspeicherung, -verarbeitung und -übertragung im Zuge der fortschreitenden Digitalisierung unserer Welt deutlich verändern. Was uns hierbei noch bevorsteht, ist ein spannendes Thema. Wie sich dies auf regionale Phänomene wie Branchencluster auswirkt oder was dies für Institutionen wie ein Register von Aktiengesellschaften heisst, das ist mindestens ebenso bedenkenswert. 17

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Der Begriff «Wissen» wird in Verbindung mit sehr vielem und sehr gerne gebraucht. Der Begriff hat dabei eine schillernde, zuweilen (ironischerweise) unklare Bedeutung. Ohne zu sehr abschweifen zu wollen, lohnt es sich hier, die Begriffe «Wissen», «Information» und «Daten» zu unterscheiden. Nehmen Sie an, Sie sitzen mit Ihrem Partner am Frühstückstisch, beide mit einem Teil der heutigen Zeitung in der Hand. Ihr Partner sagt: «Gestern war es in Caracas 31 Grad warm.» Dies ist nett zu wissen, und es ist nett von Ihrem Partner, dass er mit Ihnen das Gespräch sucht. Aber: Hätte es auf Ihr Verhalten einen Unterschied gemacht, wenn es in Caracas 34 Grad Celsius warm gewesen wäre? Falls dem nicht so ist – und dies ist der wahrscheinliche Fall –, dann ist 31 Grad in Caracas für Sie keine Information, sondern nur ein Datum. Die Temperaturangabe ist zwar korrekt mitgeteilt worden, aber nicht handlungsrelevant und daher nur Teil Ihrer nun verfügbaren Daten, aber keine Information (Luhmann, 1987, S. 102 ff.). Anders liegt der Fall, wenn Sie mit Ihrem Partner eine Reise nach Südamerika planen. Gutes Wetter ist für die Wahl Ihres genauen Reiseziels ein nicht unwichtiger Faktor. Damit werden die Wetterdaten von Caracas zu einer Information, denn Sie stützen eine Handlung oder einen Entscheid zumindest teilweise darauf ab. Damit dies funktioniert, müssen Sie das Datum «31 Grad» auch richtig verstehen, also richtig einordnen können. Das gelingt bei einer Lufttemperaturangabe den meisten Menschen. Schon weniger selbstverständlich ist die Einordnung von «31 Grad und 97 Prozent Luftfeuchtigkeit». Die 31 Grad sind nämlich sehr viel besser zu ertragen, wenn die relative Luftfeuchtigkeit nur bei 50 Prozent liegt. Wenn Sie diesen Unterschied einmal bewusst erlebt haben, besitzen Sie das notwendige Kontextwissen, um mit dem Wetterdatum «97  Prozent Luftfeuchtigkeit» etwas anzufangen. Kontext­ wissen ist auch für Ihre Partnerschaft wichtig. Sie müssen wissen, ob Ihr Partner warmes Wetter mag oder nicht, damit Sie gemeinsam eine tolle Südamerikareise planen können (Watzlawick, 1990). Wenn gesammelte Informationen einen Sinn ergeben, entsteht neues Wissen. Wissen ist also mehr als die Summe von Informationen. Wissen benötigt auch die Fähigkeit, verschiedene Informationen rich18

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tig zu kombinieren. Sie können sogar Wissen haben und die entsprechenden Informationen gar nicht mehr so genau im Einzelnen kennen. Die gleiche Information kann für verschiedene Empfänger etwas Unterschiedliches bedeuten. Man spricht auch von der Fähigkeit, Information zu absorbieren. Der Zukunftsforscher Ray Kurzweil hat einmal gesagt, dass ein Kind in Afrika mit einem Smartphone und einem Internetanschluss heute zu mehr Informationen Zugang habe als der Präsident der Vereinigten Staaten im ausgehenden 20. Jahrhundert. Eigentlich müsste Kurzweil jedoch von Daten, nicht von Informationen sprechen, da wahrscheinlich nur ein Bruchteil der zugänglichen Daten für ein afrikanisches Durchschnittskind handlungs- oder entscheidungsrelevant ist. Und wenn diesem Kind das Kontextwissen und die Fähigkeit zur sinnvollen Verknüpfung fehlen, dann schöpft dieses Kind aus dieser Datenflut auch kaum Wissen. Das Kind ist mit dieser Herausforderung nicht allein. Die Herausforderung, wie man aus Unmengen von Daten zu neuem, sinnvollem Wissen kommt, wird im Laufe der Zeit immer grös­ ser. Ein Stichwort dazu ist «Big-Data-Analytics». Man darf diesen Punkt nicht vergessen, wenn man über die Verbreitung von neuen Ideen, neuen Technologien und dergleichen in regionalen Wirtschaften diskutiert. In den Regionalwissenschaften wird die Verbreitung von Daten überschätzt und die regionale Fähigkeit, Informationen sinnvoll aufzunehmen, unterschätzt (Crevoisier, 2016). Heute können Daten an und für sich mühelos an praktisch jedem Ort der Erde abgezapft werden. Entscheidend ist, was man daraus macht. Die geschriebenen und ungeschriebenen Spielregeln einer Region spielen für solche Prozesse eine wichtige Rolle. Sie erkennen erneut die zentrale These dieses Buchs: Die Regionen, die Institutionen und die Digitalisierung gehören zusammen. Ihr Zusammenspiel verändert sich im Zuge der technologischen Entwicklung und im Zuge der Adaption der neuen Technologien durch die Menschen.

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1.5  Transaktionskosten im Griff haben

«Transaktionskosten» ist ein weiterer Begriff, der in den folgenden drei Kapiteln verwendet wird. Transaktionskosten entstehen durch Tauschgeschäfte im weiteren Sinne; beispielsweise bei der Vorbereitung, Durch­ führung und Durchsetzung von Geschäftsabschlüssen. Man könnte hier vielleicht eine Nebensächlichkeit vermuten, doch nehmen Sie zur Veranschaulichung einmal das Beispiel eines Unternehmens, das einen Lieferanten für ein bestimmtes neues Bauteil braucht. In einem realistischen Szenario gibt es in diesem Unternehmen eine für den Einkauf verantwortliche Person, die sich zuerst einen Überblick über die Spezifikation des erforderlichen Bauteils einerseits und über potenzielle Lieferanten andererseits verschaffen muss. Sie wird dann mit einigen möglichen Lieferanten das Gespräch suchen und in Vertragsverhandlungen übergehen. In diesem Vertrag werden Modalitäten über die Eigenschaften des Bauteils, über die Lieferung, über die Bezahlung und über anderes mehr zu suchen und festzuhalten sein. Mit der Vertragsunterzeichnung ist es aber noch nicht fertig; es folgt die Phase der Vertragsumsetzung, in der vielleicht auch etwas Ungeplantes eintritt. Man wird sehen müssen, was das für die weitere Erfüllung des Vertrags bedeutet. Das Unternehmen und der Lieferant beobachten ihr Verhalten gegenseitig. Aufgrund ihrer Erfahrungen entscheidet sich, ob sich die Geschäftsbeziehung ausweitet oder auflöst und ob die Partner gegenüber Dritten Positives oder Negatives voneinander berichten usw. Es ist an dieser Stelle weder nötig noch möglich, das Anbahnen, das Fixieren und das Umsetzen einer Geschäftsbeziehung auf ein paar Zeilen allgemeingültig und der realen Komplexität entsprechend zu beschreiben. Der Punkt hier ist: Rund um die Transaktion des Bauteils vom Lieferanten an das Unternehmen entstehen vielfältige Kosten. Es sind dies alles Beispiele für Transaktionskosten, wie sie auf dem Markt entstehen. Es gibt auch bei ganz anderen Geschäftsfällen erhebliche Transaktionskosten, so zum Beispiel bei der Gründung eines neuen Unternehmens, bei der Suche und Anstellung von Mitarbeitenden, bei der Kommunikation mit Kreditgebern, beim politischen Lobbying und bei vielen anderen Geschäftstätigkeiten. Transaktionskosten sind die Kosten, die nicht mit der Produktion des Teils und der dazu notwendi20

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gen Logistik im engeren Sinne einhergehen. Sie sind in der Summe die Verwaltungskosten oder der Overhead der Volkswirtschaft. In einer Welt, in der alle alles wüssten und in der sich alle an alle Abmachungen halten würden, gäbe es kaum Transaktionskosten. Die Digitalisierung, die Nähe zu den Regionen sowie die Institutionen bieten Lösungsansätze, um Transaktionskosten so weit zu senken, dass Geschäftsabschlüsse überhaupt erst möglich werden. Dass Wissensflüsse erleichtert werden, ist dabei nur ein Teil. Es geht auch um Vertrauen und dessen Absicherung. Es ist in unserem Zusammenhang sehr bedeutsam festzuhalten, dass die Digitalisierung auch bei Letzterem eine immer wichtigere Rolle spielt.

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7 Verträge

Das letzte Kapitel hat die Bedeutung der Arbeitsteilung für die Wirtschaft unterstrichen. Aus Sicht eines individuellen Akteurs werden Arbeitsteilung und Spezialisierung erreicht, indem er Verträge mit an­ deren Akteuren eingeht. Verträge sind für die Ökonomie daher ein elementares Instrument. Sie werden nicht nur auf den Märkten angewandt, auf denen die Produzenten ihre Produkte an die Konsumenten verkaufen, sondern entlang der ganzen arbeitsteiligen Wertschöpfungsketten. Es ist aus dieser Sicht umso erstaunlicher, dass die neoklassische Ökonomie die Verträge als kostenlose Selbstverständlich­keit aus ihrer Theorie ausgeblendet hat (North, 1990). Wir wissen aus Alltag und Geschäftsleben, dass Verträge und deren Entstehung alles andere als trivial sind und dass Verträge entsprechende Transak­tions­kosten auslösen. Wo Transaktionskosten sind, da ist auch die Frage, mit welchen Institutionen diese abzufedern sind. Und in vorliegendem Buch ist sodann die Frage, wie diese Institutionen örtlich verankert sind und durch neue digitale Technologien beeinflusst werden. Gegen Ende dieses Kapitels wird eine dieser Technologien, die Blockchain, etwas n ­ äher betrachtet. Um diese gibt es zurzeit verheissungsvolle Erwartungen. Die Blockchain soll nichts weniger als eine Revolution der Vertragsgestaltung mit sich bringen. Deren Vorteile liegen letztlich auf der Ebene der Trans­ aktionskosten. Daher kann man die Blockchain auch als eine neue, technologiegetriebene Institution durch die Brille der Transaktionskostenökonomie gut betrachten. Um die Grenzen der Blockchain ebenfalls zu verstehen, ist es wichtig vorauszuschicken, was ein Vertrag ist und was im Sinne der absoluten Verfügungsrechte dar­über hinausgeht. Es folgen nun einige, anfänglich vielleicht noch etwas theoretisch anmutende Überlegungen, die aber ein wichtiges Ziel verfolgen. Man kann die Implikationen von digitalen Errungenschaften wie der Blockchain, des Big-Data-Scoring oder des Peer-Ratings nur dann richtig einschätzen, wenn man sich der Bedeutung von Vertrauen für Verträge und damit für die Wirtschaft insgesamt im Klaren ist. 182

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7.1  Verträge in der institutionellen Ordnung

Ein Vertrag begründet eine Obligation zwischen zwei Akteuren. Wenn ich einen Kaufvertrag über eine Kuh unterschreibe, dann kann ich sagen: «Du schuldest mir deine Kuh!» Es ist eine bestimmte Person, die mir aufgrund unseres Vertrags diese Kuh hergeben muss. Will ich aber mein Eigentum an der Kuh im Allgemeinen ausdrücken, so sage ich: «Das ist meine Kuh!» Dies ist eine Aussage nicht nur gegenüber einer bestimmten anderen Person, sondern gegenüber der Allgemeinheit. Verfügungsrechte an Kühen und an anderem mehr können eingeschränkt sein. Beispielsweise wird mir gesagt: «Du musst diese Kuh ­artgerecht halten!» Der Staat, dessen Mitglied ich bin, ist durch seine politischen Institutionen zu dem Schluss gekommen, dass mein Verfügungsrecht über die Kuh in diesem Punkt einzuschränken ist. So kann auch die Freiheit zweier Akteure, irgendeinen Vertrag einzugehen, beschränkt sein. Die meisten Staaten lassen Verträge über den Verkauf von menschlichen Organen nicht zu. Ich werde also nicht sagen können: «Du schuldest mir deine Niere!» Wir sprechen erneut von Institutionen im Sinne der Spielregeln einer Gesellschaft. Das sind einfache Beispiele, aber wichtige Unterscheidungen, die weiter unten erneut verwendet werden. Die Einfachheit der Beispiele darf dabei nicht darüber hinwegtäuschen, dass in der Realität die Entscheidung über die korrekte Anwendung der Institutionen komplex und im Zweifel nicht eindeutig sein kann. Zur Ordnung braucht es auch neutrale Akteure, die dazu legitimiert sind, die Spielregeln zu deuten und zur Anwendung zu bringen. Ein Richter bestätigt mir im Zweifelsfall: «Ja, das ist tatsächlich Ihre Kuh.» Es ist ein politischer Streitpunkt, wie weit Einschränkungen zu den Verfügungsrechten, wie weit die Begrenzungen zu den Vertragsfreiheiten und wie weit die Entscheidungskompetenzen des Staats gehen sollen. Die Linken wollen mehr von diesem, die Rechten wollen weniger von jenem. Die Anarchisten wollen nichts davon. Hier soll der Punkt unterstrichen werden, dass Verträge in einem mit Institutionen gefüllten Raum geschlossen und davon beeinflusst werden. Institutionenräume einer Region, einer Gebietskörperschaft bzw. Institutionenräume des Cyberspace beeinflussen die für die Ökonomie wichtige Vertragsgestaltung. 183

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7.11  Blockchain und der Eiermann

Komplizierte Dinge soll man mit Geschichten erklären. Also führe ich die Blockchaintechnologie mit einem einfachen Beispiel ein, das auf ­Papier beginnt und mit der Blockchain endet. Stellen Sie sich ein Mehrfamilienhaus mit vier Haushalten vor. Alle mögen Eier, die von einem Eiermann aus der Umgebung angeliefert werden. Der Eiermann hat im Treppenhaus eine Liste aufgehängt. Darauf wird jede Bestellung, jede Lieferung und jede Bezahlung jeweils in einer eigenen Zeile eingetragen. Eier und Geldzahlungen werden in eine Art Briefkasten geworfen (die Eier sind gut gepolstert). Jede Partei hat für sich einen Briefkasten mit Schlüssel und einer Art Schlitzeinwurf für Geld oder Eier. Herausnehmen kann man beides nur, wenn man dazu den privaten Schlüssel hat. Niemandem kommt es in den Sinn, in der Liste etwas zu seinen Gunsten zu verändern, denn alle können diese Liste ständig einsehen. Eine Veränderung würde sofort auffallen, weil man eine einzelne Zeile nicht ausradieren kann, denn die Handschrift der einen Zeile ragt jeweils auf die darüber und darunter. Dadurch werden die Einträge von benachbarten Zeilen fälschungssicher «zusammengehängt». Mit der Zeit kommen die Bewohner des Hauses auf die Idee, dass sie auch untereinander Eier, Geld und andere Dinge gegenseitig ausleihen könnten. Jede Transaktion wird in die öffentlich einsehbare Liste eingetragen. Alle Bewohner haben sozusagen den ständigen Konsens über die Liste. Man hat dank dieses Konsenses ein berechtigtes Vertrauen in die Liste. Der Eiermann hat die Liste sogar selbst auch einmal benutzt, um einen kleinen Kredit zu bekommen. Und immer wieder wird über alles in der Liste im Treppenhaus öffentlich Buch geführt. Das bewährt sich so sehr, dass andere Dorfbewohner mitmachen möchten. Warum nicht, sagen sie sich, wir müssen nun die Liste einfach am Dorfplatz aufhängen, wo sowieso alle immer wieder mal sind. Es kontrollieren nun nicht mehr alle immer alle Einträge, aber es gibt genug Kontroll­ blicke der Dorfbewohner, sodass eine Manipulation sicher bemerkt würde. Die Dorfbewohner kontrollieren sogar, ob sie auch gegenseitig kontrollieren. Und weiterhin wäre eine Veränderung nur einer einzelnen Zeile kaum möglich, weil sich die Handschrift über die Zeilen hinweg stets überlappt. 206

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Dann finden die Dorfbewohner (der Eiermann ist inzwischen bloss einer von vielen Benutzern der Liste geworden), dass die Liste am Dorfplatz etwas lang wird. Ausserdem ist das Nachrechnen und Nachschauen auf Papier etwas mühsam. Sie haben die geniale Idee, die Liste zu digitalisieren. Also entwickeln sie nun eine digitale Liste, auf der nach wie vor jede Transaktion eingetragen wird. Aus dieser Liste können nach wie vor die Saldi für jeden Briefkasten korrekt hergeleitet werden, nun aber automatisch. Weiter kontrollieren hinreichend viele Benutzer die Liste regelmässig, sodass niemand die Liste unbemerkt zu seinen Gunsten manipulieren kann. Die identische Liste ist auf meh­ reren Computern gespeichert, und diese werden immer wieder verglichen. Es ist unmöglich, nur eine Zeile (bzw. einen Block) der nun digita­ len Liste zu verändern, weil benachbarte Zeilen (Blöcke) kryptografisch miteinander verknüpft sind. Man kann der Liste vertrauen, und so benötigt man weniger gegenseitiges Vertrauen. Jetzt hören auch Bewohner vom Rest der Welt von dieser Liste und möchten sich da ebenfalls einklinken. Weil die Liste nun digitalisiert ist, ist das ohne Weiteres möglich. Ordnung ohne Ort! Es gibt zwar zahlreichere Einträge zu überwachen, aber diese Aufgabe kann jetzt auch auf mehr Leute verteilt werden. Benachbarte Zeilen sind kryptografisch so verknüpft, dass eine einseitige Manipulation der Liste auszuschliessen ist. Der kryptografische Code verläuft wie eine Kette quer über alle Einträge und macht sie so fälschungssicher. Es spielt keine Rolle mehr, wie viele Briefkästen an dieser Liste angehängt sind. Jetzt werden auch die Briefkästen virtuell. Man kann zwar nun keine Eier mehr in diese virtuellen Briefkästen legen, aber digitale Informationen jeder Art. Und zwar fälschungs- und einbruchssicher. Sowohl die Adres­­­se dieses digitalen Briefkastens als auch sein Schlüssel bestehen nur noch aus Codes. Den Code für den Briefkasten kann man anderen mitteilen, um zum Beispiel eine Geldzahlung zu erhalten. Den Code für den Schlüssel behält man für sich. Auf der ganzen Welt gibt es Menschen, die sich einen virtuellen Briefkasten mit einem virtuellen Schlüssel für diese Liste zulegen. Sie tun dies auch darum, weil das Ganze als Open Source programmiert ist und man mit genug technischem Knowhow die Funktionsweise der verketteten, gegenseitigen Kontrolle nach207

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vollziehen kann. So können sich sonst unbekannte Personen über diese Liste Guthaben von einem virtuellen Briefkasten in einen anderen gutschreiben lassen. Mit der Anonymisierung der Briefkästen gibt es nun aber das Pro­ blem, dass dort nur Guthaben und keine Nettoschulden enthalten sein sollen. Einen netto verschuldeten Briefkasten könnte man ja einfach unendlich lange geschlossen halten. Niemand hat Lust, sein Geld für das System vorzuschiessen, also hat man die weitere Idee, dass man das Geld selbst erschaffen könnte. Natürlich muss die frisch erfundene Währung knapp sein, sonst hätte man – wie bei den herkömmlichen Währungen – eine Inflation, wie wenn die Notenbanken die Notenpresse zu schnell laufen lassen würden. Der Wert einer nicht knappen Währung würde zerfallen. Es profitiert jedes Mal jemand, wenn neues und doch knappes Geld «gedruckt» bzw. – im virtuellen Bereich eben treffender – wenn neues Geld «gewürfelt» wird. Das System läuft so, dass die Kontrolleure des Systems dieses frische Geld als Entschädigung für ihren Beitrag an das System erhalten. Je höher der Beitrag an das System ist, umso höher ist die Chance, von der Geldschöpfung zu profitieren und einen Teil des «frischen» Gelds zugesprochen zu bekommen. Der Beginn dieser Geschichte ist frei erfunden, aber je länger die Geschichte dauert, desto realer ist sie. Derartig neu erfundene Währungen gibt es tatsächlich, sie heissen Bitcoin, Ether, Ripple, Steem oder Litecoin. Sie haben insgesamt eine Kapitalisierung von über 10 Milliarden US-Dollar erreicht, ein Wert, der es mit den Währungen von kleineren Volkswirtschaften aufnehmen kann. Das allein zeigt an sich schon, dass Informationen in der Blockchain Beweiskraft haben. Was in der Eiermanngeschichte ein handschriftlicher Zeileneintrag war, ist in der Blockchain ein Datenblock. Blockchain übersetzt man daher am besten mit «aneinandergekettete Datenblöcke». Durch die Verkettung wird sichergestellt, dass der nächste Datenblock (die neue Zeile) am jüngsten Datenblock angehängt werden muss. Die entsprechenden Verschlüsselungen nutzen mathematische Tricks, damit diese Verknüpfungen der Kette nicht zu knacken sind. Und selbst wenn auf irgend­ einem im System beteiligten Computer ein Manipulationsversuch er208

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folgen würde, dann korrigiert die Mehrheit der im System beteiligten Computer diese Manipulation umgehend. Um eine Blockchain zu knacken, müsste man daher Hunderte von leistungsfähigen Servern auf der Welt gleichzeitig knacken. Das ist mehr als 100 Mal schwieriger, als das System einer einzelnen Bank zu knacken. Bitcoin war nur die erste Anwendung der Blockchaintechnologie. Weitere Anwendungen existieren schon oder werden folgen. So können Eigentumsrechte an Wertpapieren wie Aktien oder an Immaterialgütern transaktionskostengünstig und sicher verbrieft werden, aber auch Finanzverträge lassen sich ebenso über eine Blockchain abwickeln, beispielsweise die Verbriefung von Grundstücken oder von Leasingverträgen. Das Handling von Transaktionen über eine Blockchain ist so schnell, wie eine E-Mail von einem Kontinent zum anderen geht, das heisst ein paar Sekunden, und das ohne dass ein Intermediär in der Mitte stehen muss. Die Blockchain erlaubt es, alles kontrolliert auszutauschen, was digitalisierbar ist. Man kann in einen solchen Briefkasten zwar keine frischen Eier legen, aber dafür zum Beispiel eine Bedingung. Die Verträge könnten dadurch «intelligent» werden. Seit ich von der Blockchain gehört habe, muss ich Folgendes zugeben: Die Verträge werden dereinst vollständiger sein, als ich es meinen Studierenden bisher weisgemacht habe. Smart Contracting macht es möglich. (Sorry, liebe Alumni, an solche zeitmaschinenartige Verträge hatte ich nicht gedacht.) Ich hatte früher meinen Studierenden stets gesagt, dass es viele interessante Geschäftsmodelle gebe, die auf der Idee der smarten Vertrauensintermediäre aufbauen würden. Doch auch hier muss ich meine Vorlesung an die Blockchaintechnologie anpassen, denn diese erlaubt smarte Verträge ohne treuhänderische Intermediäre. Und dieser Punkt allein dürfte Folgen haben. Revolutionäre Technologien führen in der Regel auch zu Umbrüchen und zu Verlierern (Schumpeter, 1926). Die schumpetersche Zerstörung, wonach dem Neuen auch Altes weichen muss, zeigt sich bei Innovationen immer wieder, vor allem wenn es sich um wirklich Bahnbrechendes, um disruptive Innovationen, handelt. Wenn die Blockchain das Neue ist, dann sind die Vertrauensintermediäre das Alte. Die Blockchain ist eine Technologie, die neuartige Institutionen erlaubt. Sie 209

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kann bisherige Institutionen, die noch auf Vertrauensintermediäre angewiesen sind, wesentlich transaktionskostengünstiger ersetzen. Die Vertrauensintermediäre sind in unserer Wirtschaft die Notenbanken, Geschäftsbanken, Börsen, Anwaltskanzleien, Notariate, Grundbuch­ ämter, Einwohnerkontrollämter, Handelsregister usw. Ihnen droht die schumpetersche Zerstörung. Am ehesten ist man sich dieser Entwicklung in der Finanzbrache bewusst, dort «… herrscht derzeit eine Mischung aus Aufbruchsstimmung, Angst und Panik. Denn eines ist klar: Wie auch immer die Strukturen am Ende aussehen mögen, die Blockchaintechnologie wird sehr vieles ersatzlos überflüssig machen. Die Margen werden schrumpfen, neue Anbieter auftauchen; voraussichtlich wird kein Stein auf dem anderen bleiben.» Das sagt nun kein Geringerer als Konrad Hummler, der ehemalige Teilhaber der Privatbank Wegelin (Hummler, 2016). Hätten Sie bei der Eiermanngeschichte gedacht, dass sich der Eiermann mit der Liste langsam ein Finanzimperium aufbauen wird? Dass seine Rolle immer wichtiger wird? Es braucht einen Eiermann, um eine Blockchain anzustossen, aber die Rolle wird zunehmend irrelevant. Die Blockchain ist eine Institution der Zusammenarbeit, nicht der Zentralisierung. Aber der Eiermann wurde nicht wichtiger, ganz im Gegenteil, er wurde, wie jeder andere auch, zum Teilnehmer der Blockchain. Keinen Intermediär zu brauchen, ist eine entscheidende Eigenschaft der Blockchain, die auch darum aus Sicht der Transaktionskosten einen enormen Einfluss haben wird.

7.12  Blockchain braucht … Institutionen

Nach dieser angekündigten Revolution muss einiges klargestellt werden. Oft wird über die Blockchain geschrieben, man würde mit dem System eine Einigung erzielen. Mich hat das, ehrlich gesagt, zuerst in die Irre geführt. Ich dachte an Verhandlungssituationen mit vielen Beteiligten oder an politische Prozesse, in denen man eine Einigung fin­ den könnte. Das ist es aber nicht. Das System bringt nur eine Einigung in Bezug auf einen bereits gefundenen Konsens oder auf bereits begründete Eigentumsverhältnisse. Zwar kann dieser Konsens beliebige Be210

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dingungen enthalten, und er mag weniger oder kein Vertrauen benötigen. Dies kann vielleicht die Verhandlungen im Sinne des «rawlsschen Schleiers der Unwissenheit» erleichtern, und es mag den Wettbewerb erhöhen. Trotzdem handelt es sich bei der Blockchain nicht um einen Verhandlungsautomaten (obschon das auch praktisch wäre und mithilfe von künstlicher Intelligenz auch angestrebt wird). Die Blockchain ist das bessere Vertragspapier. Das ist viel, aber auch nicht alles. Eine Einigung zwischen zwei Vertragspartnern muss dennoch gefunden werden. Es braucht also – im weiteren Sinne eines Verhandlungsresultats – nach wie vor eine Einigung. Die Blockchain schafft im Sinne der drei E die Ergebnissicherung, nicht aber die Erkenntnis oder die Entscheidung. Und das ist eben auch nicht zu unterschätzen, denn darin liegt ein wichtiger Grund, weshalb Verträge auf Papier unvollständig bleiben. Man hat einfach nicht genug Vorstellungskraft und Zeit, um alle möglichen Zukunftsszenarien in einen Vertrag zu packen. Diese Herausforderung bleibt, wenn Verträge auf die Blockchain geschrieben werden, auch wenn diese Verträge dann selbstausführende ­Algorithmen enthalten können. Promotoren der Blockchain sind in diesem Punkt manchmal etwas zu euphorisch. Eine zweite Klarstellung, die der Blockchaincommunity selbst noch mehr bewusst werden sollte: Verträge in der Blockchain mögen für ­ihren smarten Teil keinen Intermediär benötigen. Die Blockchain ermöglicht es sehr wohl, dass selbst Währungen ohne Staat funktionieren können. Es können Eigentumsrechte direkt von einem Akteur zu einem anderen verschoben werden. Das heisst aber nicht, dass Verträge in einer Blockchain deswegen in einem institutionslosen Raum festgelegt und zur totalen Privatsache werden. Sie dürfen das auch nicht werden. Ich darf meine Niere nicht verkaufen, auch wenn ich dies in einem Smart Contract auf der Blockchain so vereinbart habe – Punkt. Ich muss meine Kuh nach dem Tierschutzgesetz halten, auch wenn mein Besitz an dieser Kuh in einem Blockchainregister eingetragen ist – Punkt. Es gibt neben der Würde von Mensch und Tier zahlreiche weitere öffentliche Güter, die ein legitimes Schutzinteresse und entsprechende Institutionen verdienen, die selbstverständlich auch für alle Vereinbarungen der Blockchain gelten. Wenn die Blockchain nur dazu 211

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benutzt wird, Eigentumsrechte festzuhalten, kann es ebenfalls zu Zweifelsfällen kommen. Bei Grundbucheinträgen etwa entsteht immer wieder der Zweifel, ob eine Änderung gültig sein darf oder nicht. Kann zum Beispiel jemand sein Haus an seine minderjährige Tochter verschenken? Eltern und Tochter mögen sich hier einig sein, doch wer nun nicht gerade zur Anarchie neigt, wird Gründe erkennen, diesen Grundbucheintrag abzulehnen. Nicht umsonst arbeiten auf den Grundbuchämtern Juristinnen und Juristen und nicht blosse Schreiberlinge, denn es gilt bei solchen Registern auch, Entscheidungen im Sinne des öffentlichen Rechts zu fällen. Die Blockchain ist keine Technologie, die derartige ­Urteile per se unnötig macht – auch wenn sich dies viele Promotoren der Blockchain wünschen würden. Und schliesslich müssen kriminelle oder terroristische Absichten konsequent unterbunden werden, egal ob eine Blockchain verwendet wird oder nicht. Hier wird es noch einige Diskussionen über die Spielregeln in und um die Blockchain geben und geben müssen (Hummler, 2016). Und diese Diskussionen und Insti­tu­ tio­nen bleiben an örtlich umrissenen Gebietskörperschaften festgemacht. Insbesondere dann, wenn die Blockchaincommunity diesbezüg­ lich nicht selbstkritischer wird. Die Blockchaintechnologie verspricht, Verträge festlegen zu können, ohne dass zwischen den Vertragspartnern Vertrauen benötigt wird. Paradoxerweise wird das aber erst funktionieren, wenn die beteiligten Vertragspartner Vertrauen in die Blockchain als Institution haben. Heute haben vor allem wenig technikaffine Personen noch ihre Mühe, Geld oder einen Vertrag dieser Technologie anzuvertrauen, aber das kann sich natürlich ändern. Die altmodischen regionalen Netzwerke könnten für die Blockchain eine entscheidende Starthilfe sein. Wenn mich mein Freund in der Bar fragt: «Hey, hast du auch schon Bitcoins?» Und wenn ich dann noch von der Kellnerin gefragt werde, ob ich lieber in bar (mit Papier), per Kreditkarte (also mit einem Vertrauensintermediär im Hintergrund) oder mit Bitcoins (also via Blockchain) bezahlen möchte, dann werde ich es mit der Zeit ausprobieren wollen und ein Bitcoinkonto eröffnen. Es wird damit regional unterschiedlich sein, wo sich das Vertrauen in all die Anwendungen der Blockchain durchsetzen wird. 212

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Tatsächlich sind Bitcoins derzeit regional unterschiedlich stark verbreitet. Besonders in der Region von Buenos Aires sowie in ganz Argentinien sind Bitcoins sehr beliebt. Das liegt vor allem daran, dass sich die Alternative mit einem zentralen Vertrauensintermediär in der argentinischen Vergangenheit als wenig vertrauenswürdig gezeigt hat. In der Geschichte Argentiniens wurde das Vertrauen in die eigene Währung mehrfach untergraben. In der letzten Krise, Anfang 2002, sackte der argentinische Peso im Verhältnis zum US-Dollar auf einen Viertel seines Werts ab. Viele argentinische Sparer schauten dabei in die Röhre und wurden von ihrem Staat enttäuscht. Das Bedürfnis nach einer siche­ren Währung neben dem offiziellen Peso ist daher gross. Mit seiner inzwischen recht starken Verbreitung erweist sich Bitcoin inzwischen als eine sehr praktische, legale und sichere Alternative, die auch als Zahlungsmittel im Alltag immer mehr eingesetzt wird. Als Peer-­­toPeer-Technologie lässt sich Bitcoin von der argentinischen Regierung kaum reglementieren. Die Bevölkerung profitiert damit von einem Wettbewerb der Institutionen. Die staatliche Währung und Bitcoin, beides sind Institutionen, die auf gewissen Spielregeln aufbauen und deren Funktionieren auch vom Vertrauen der Menschen abhängig ist. In Argentinien hat dabei Bitcoin die Nase vorn (Koenig, 2015). Für die regionale Verbreitung von disruptiven Innovationen wie der Blockchain spielt es eine wichtige Rolle, ob die formellen Institutionen diese eher behindern oder unterstützen. Eine wichtige Vordenkerin der Blockchain, Melanie Swan, gibt denn auch zu bedenken, dass viele mögliche Anwendungsfelder der Blockchain besser funktionieren würden, wenn sie von effektiven Gesetzen flankiert würden. Die Blockchain muss mit dem Rechtssystem kompatibel sein, damit keine Un­ sicherheiten entstehen (Swan, 2015). Nicht alles wird sich durch intelligente Kontrakte völlig vertrauenslos umsetzen lassen, aber die Grenzen verschieben sich. Diese Kontrakte werden unter anderem auch Transkationen möglich machen, an die wir heute noch gar nicht denken. Vor wenigen Jahren hätte ich auch noch nicht gedacht, dass ich einmal einen Editierauftrag für 5 Dollar nach Übersee vergeben würde. Am Schluss des Kapitels zur Arbeit wurde festgestellt, dass es im Schachspiel nicht um die entscheidende 213

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Frage geht, ob der Mensch oder die Maschine mehr leisten kann. Das unschlagbare Schachteam ist der Mensch mit der Maschine, wenn die Schnittstelle zwischen den beiden optimal funktioniert. Ich möchte dieses Kapitel mit einer ähnlichen Feststellung abschliessen: Ob Verträge als Grundbaustein der arbeitsteiligen und spezialisierten Tauschwirtschaft effizient funktionieren können, ist nicht eine Frage von In­ stitutionen oder Technologien. Die unschlagbare Kombination sind die Institutionen mit den Technologien, wenn die Schnittstelle zwischen den beiden optimal funktioniert. Hier liegt die Chance der Stunde für Regionalentwickler. Disruptive Innovationen werden jene Regionen prosperieren lassen, die Institutionen und Technologien zu kombinieren wissen. Die Blockchain ist ein einschlägiges Beispiel dafür, wie Ordnung ohne Ort funktioniert. Trotzdem dürfte es örtlich unterschiedlich bleiben, wie ortsungebundene Institutionen von den Menschen aufgenommen werden. Ähnlich wie auch an sich global überall verfügbare Informationen nicht in jeder Region gleich gut absorbiert werden können, werden auch digitale Institutionen aufgrund der regionalen Eigenschaften in unterschiedlicher Weise wirksam. Ordnung ohne Ort: ja, aber mit regional unterschiedlichen Geschwindigkeiten.

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Prof. Dr. Andreas Brandenberg Leiter Interdisziplinärer Schwerpunkt Datenwelten der Hochschule Luzern

Christoph Hauser (* 1971), Prof. Dr. rer. pol., studierte Ökonomie in Freiburg i. Ue. und Barcelona. Er betreibt angewandte Forschung, Beratung und Lehre zu Standort- und Innovationspolitik sowie Instit­u­tionen- und Regionalökonomie an der Hochschule Luzern.

« Diese äusserst gelungene und umfassende Gesamtschau führt zu drei fundamentalen gesellschaftspolitischen Postulaten für das digitale Zeitalter: Transparenz, Kompetenz und Legitimierung. Das Buch ist allen empfohlen, die sich mit der längerfristigen Zukunft der digitalen Gesellschaft auseinandersetzen. » André Golliez Präsident Opendata.ch

« Das Buch zeigt auch für Nichtökonomen gut nachvollziehbar auf, wie tief greifend der Wandel mit der Digitalisierung sein wird, auch für regionale Wirtschaften. Und es unterstreicht, dass die Debatte über neue Spielregeln im digitalen Zeitalter dringend nötig ist. »

Christoph Hauser

« Christoph Hausers Ordnung ohne Ort geht der spannenden Frage nach, was eigentlich folgt, wenn im Zuge der Digitalisierung der geogra­ fische Ort, die räumliche Nähe und die soziale Kontrolle an Ordnungskraft verlieren. »

ORDNUNG OHNE ORT

Christoph Hauser

ORDNUNG

Institutionen und Regionalökonomie im digitalen Zeitalter

OHNE ORT

Die Diskussionen rund um die Digitalisierung pendeln zwischen riesigen Erwartungen und einer gewissen Ratlosigkeit. Wir erleben eine Zeit, in der sich unsere Ordnung im Sinne geschriebener und ungeschriebener Gesetze zunehmend aus geografischen Orten löst und in den Cyberspace verschiebt. Güter haben neue Eigenschaften, Arbeitsteilung wird neu organisiert, das Vertrauen in Verträge und Beziehungen erhält eine neue Bedeutung. Sukzessive verändert die Digitalisierung das Spiel und die Spielregeln. So auch bei der Führung von Unternehmen, bei Entscheiden von Konsumierenden oder in der Politik. Christoph Hauser zeigt die grundlegenden Verbindungen zwischen Digitalisierung, Regionalökonomie und institutioneller Ordnung auf und hilft, die laufend gewonnenen Erkenntnisse über das Potenzial und die Folgen der Digitalisierung in einen grösseren Kontext einzuordnen.

Dr. Christoph Koellreuter Vizepräsident und Programmleiter der Fondation CH2048

ISBN 978-3-03810-235-9 ISBN 978-3-03810-235-9

9 783038 102359

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