Konkordanz in der Krise. Ideen für eine Revitalisierung

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Konkordanz in der Krise Ideen f端r eine Revitalisierung Michael Hermann

Verlag Neue Z端rcher Zeitung


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© 2011 Verlag Neue Zürcher Zeitung, Zürich

Michael Hermann, www.sotomo.ch Herausgeber Avenir Suisse, www.avenir-suisse.ch Planung, Koordination Claudia Cuche-Curti, www.avenir-suisse.ch Gestalterische Leitung Arnold. Inhalt und Form AG, www.a-if.ch Nico Ammann, www.nicoammann.com Gestaltung Charis Arnold, www.charisarnold.ch Korrektorat und Druckvorstufe Linkgroup, www.linkgroup.ch Druck Kösel GmbH & Co. KG, www.koeselbuch.de Autor

Dieses Werk ist urheberrechtlich geschützt. Die dadurch begründeten Rechte, insbesondere die der Übersetzung, des Nachdrucks, des Vortrags, der Entnahme von Abbildungen und Tabellen, der Funksendung, der Mikroverfilmung oder der Vervielfältigung auf andern Wegen und der Speicherung in Datenverarbeitungsanlagen, bleiben – auch bei nur auszugsweiser Verwertung – vorbehalten. Da Avenir Suisse an der Verbreitung der hier präsentierten Ideen interessiert ist, ist die Verwertung der Erkenntnisse, Daten und Grafiken dieses Werkes durch Dritte hingegen ausdrücklich erwünscht, sofern die Quelle exakt und gut sichtbar angegeben wird und die gesetzlichen Urheberrechtsbestimmungen eingehalten werden. Zuwiderhandlungen unterliegen den Strafbestimmungen des Urheberrechts. ISBN 978-3-03823-732-7 www.nzz-libro.ch NZZ Libro ist ein Imprint der Neuen Zürcher Zeitung


Zu diesem Buch

Die Qualität des Wirtschaftsstandorts Schweiz hat ganz wesentlich mit den politischen Institutionen der Schweiz zu tun. Kaum etwas unterscheidet die Schweiz so sehr von den anderen Staaten, von ihren Mitbewerbern, wie die direkte Demokratie, wie Föderalismus, Gemeindeautonomie und Steuerwettbewerb und wie das auf Konsens angelegte Zusammenspiel der Parteien in den beiden Kammern der Legislative, also im National- und im Ständerat, sowie vor allem in der Exekutive, im Bundesrat. Was sich als USP, als Unique Selling Proposition, über Jahrzehnte bewährt hat und von Ausländern oft bewundernd oder neidisch gelobt wird, ist jedoch gleichzeitig innenpolitisch oft heftig umstritten. Den einen sind die helvetischen Institutionen schlicht zu eigenständig und eigenwillig, zu wenig den internationalen Gepflogenheiten angepasst. Den anderen sind sie zu wenig dynamisch, zu wenig effizient, zu wenig führungsstark. Vor allem zwischen 2008 und 2010 stand der Bundesrat fast ohne Unterlass unter Beschuss: sei es bei den Angriffen auf das Bankgeheimnis, den Auseinandersetzungen mit den USA in Sachen UBS, der Affäre um den Chef der Armee, dem Konflikt mit Libyen oder dem Streit um die Tinner-Akten. Vor diesem Hintergrund lancierte Avenir-Suisse-Direktor Thomas Held im Frühsommer 2010 ein Buchprojekt zum Thema «Regierung stärken» und gewann den aus den Medien bekannten Politikbeobachter und Sozialgeografen Michael Hermann (sotomo) als Autor. Betreut wurde das Projekt bis zu ihrem Weggang von Avenir Suisse durch Katja Gentinetta, danach von mir selbst. Mit der Zeit verlagerte sich auch der thematische Schwerpunkt der Untersuchung etwas vom Bundesrat im Speziellen zur Konkordanz im Allgemeinen. Nun liegt das Ergebnis

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der Arbeit hier vor. Hermanns Diagnose lautet, dass die Konkordanz per Saldo grosse Vorteile bringt, dass sie die allen Staaten immanente Tendenz zu mehr Intervention, zu mehr Regulierung, zu höheren Steuern, zu hektischem Aktivismus, kurz: zu mehr Staat, bremst, dass sie zu Stabilität und Verlässlichkeit beiträgt. Deshalb sollte aus seiner Sicht an der Konkordanz festgehalten werden. Doch gerade, was im Grundsatz erhaltenswert ist, was sich als Stärke erweist, muss in seiner konkreten Ausgestaltung ständig auf seine aktuelle Gültigkeit, auf seine Angemessenheit in einem sich verändernden Umfeld abgeklopft und allenfalls mit sanften Reformen zeitgemäss gestaltet werden. Solche Reformen, die dazu dienen, Bewährtes zukunftstauglich zu machen, gehören zum Auftrag von Avenir Suisse. Hermann macht drei konkrete Vorschläge, die dazu dienen sollen, die Konkordanzdemokratie zu sichern: – das Vertrauensvotum zugunsten amtierender Bundesräte, – eine milde Form eines Bundesratspräsidiums bei gleichzeitiger Erweiterung des Gremiums auf acht Mitglieder und – eine neue, zusätzliche Form der Differenzbereinigung zwischen National- und Ständerat durch ein Referendum. Diese Vorschläge sind nicht revolutionär. Sie sind inspiriert von früheren Debatten in der Schweiz, von Ideen zum Teil aus den Anfängen des Bundesstaats sowie von institutionellen Lösungen, die in den Kantonen und Gemeinden geläufig sind.Sie sind damit sehr schweizerisch und entsprechen ganz jener Mentalität des Kompromisses und der Anknüpfung an das Bestehende, die die Konkordanz geprägt hat und sich gleichzeitig auch aus ihr nährt. Trotzdem wird der Einwand, die Vorschläge seien viel zu weitgehend und politisch nicht machbar, wohl kaum ausbleiben. Wir bei Avenir Suisse sind aber überzeugt, dass die Anregungen dieses Buchs in jedem Fall wertvoll sind, ob sie nun genau so oder anders verwirklicht werden oder ob sie eine Diskussion auslösen, die zu noch viel besseren, bisher unbekannten Lösungen führt.

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Unser Dank gilt natürlich vor allem dem Autor, der stets offen war für die Anregungen von Seiten von Avenir Suisse,aber selbstverständlich die letzte Verantwortung für den Text trägt. Bedeutende Impulse für dieses Buch lieferten im Rahmen eines Workshops bei Avenir Suisse aber auch Benedikt Wechsler (Kabinettschef im EDA), Peter Grünenfelder (Leiter Staatskanzlei Kanton Aargau) und Ulrich Fässler (alt Regierungsrat Kanton Luzern). Ein wichtiger Gesprächspartner war Peter Siegenthaler (ehem. Direktor der Finanzverwaltung EFD). Hermann Bürgi (Ständerat Kanton Thurgau) nahm eine kritische Durchsicht des Manuskripts aus parlamentarischer Perspektive vor. Alt Bundeskanzlerin Annemarie Huber-Hotz hat als Gesprächspartnerin und sorgfältige Gegenleserin mit vielen konstruktiven Ideen und kritischen Gedanken zu diesem Buch beigetragen. Monika Hess (sotomo) steuerte wichtige Rechercheund Grundlagenarbeiten zum Buch bei. Nicola Forster vom aussenpolitischen Think-Tank «foraus» schrieb eine Rohfassung des aussenpolitischen Kapitels, und Evren Somer (Zentrum für Demokratie Aarau) kommentierte und ergänzte die Kapitel zur Konkordanz. Das Buch von Michael Hermann soll einen Anstoss geben, die Konkordanzdemokratie durch Anpassung einzelner Aspekte an die Herausforderungen der Gegenwart zu sichern. Das Ziel dahinter ist ein doppeltes: Die Konkordanzdemokratie soll mit ihrer Stabilität und Berechenbarkeit auch in Zukunft zu den spezifischen, unverwechselbaren Stärken der Schweiz zählen. Und diese Konkordanzdemokratie soll auch in Zukunft jene wirtschafts- und finanzpolitische Zurückhaltung und Mässigung «produzieren», die den Standort Schweiz im internationalen Vergleich weniger schlecht dastehen lässt als die meisten anderen Wirtschaftsstandorte.

Gerhard Schwarz Direktor von Avenir Suisse

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Inhalt

01 _ Einleitung 02 _

Veränderte Rahmenbedingungen, neue Herausforderungen Die Wurzeln der Konkordanz Blüte und Krise Folgen des erodierten Konsenses Aussenpolitische Herausforderungen für das Regierungssystem

03 _ Warum das Konkurrenzsystem keine Alternative ist Der Einfluss des Regierungssystems Schleichend zum Konkurrenzsystem? «Institutionalisierte Konkordanzzwänge» Ein Konkurrenzsystem ohne seine Stärken

_11 _17 18 24 38 44

_ 57 59 66 74 82

04 _ Wege zu einer revitalisierten Konkordanz

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Kriterien für eine Regierungsbeteiligung Der Faktor Persönlichkeit Die Volkswahl: Erfahrungen und Eigenheiten Vor- und Nachteile einer Bundesratsvolkswahl Reformidee 1: Das Vertrauensvotum

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05 _ Regierungsorganisation auf dem Prüfstein Regierung ohne Hierarchie Die Führungsfrage Strategiefähigkeit und Kollegialität Stärken und Schwächen bestehender Reformansätze Reformidee 2: Präsidialdepartement

06 _ Neue Dynamik im Zweikammersystem National- und Ständerat: Ein Verhältnis im Wandel Reformidee 3: Geteilte Beschlussfassung ermöglichen

_147 149 156 162 172 182

_199 201 216

07 _ Schluss

_ 223

Literatur

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01 Einleitung

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Die Zufriedenheit mit dem politischen System und das Vertrauen in die Regierung sind in wenigen Ländern Europas grösser als in der Schweiz, und doch wird kaum an einem anderen Ort intensiver über die Unzulänglichkeiten des Regierungssystems und über mögliche Reformen debattiert. Krisensymptome Der Krisendiskurs hat dabei sehr wohl eine reale Basis.

Der Aufstieg der SVP und der anhaltende Niedergang der bürgerlichen Traditionsparteien FDP und CVP haben der alten Zauberformel die Magie genommen. Zentrifugale Kräfte lassen die Basis der Konkordanzdemokratie erodieren. Es ist jedoch nicht nur das Regieren unter Einschluss des gesamten politischen Spektrums, das an seine Grenzen stösst. Es ist auch die Regierung selber, die im Kreuzfeuer der Kritik steht. Der aus einem Kollegium von sieben Gleichgestellten bestehende Bundesrat erweckt in Krisensituationen und unter öffentlichem Druck den Anschein, schwach und kopflos zu sein. Insbesondere die zunehmenden aussenpolitischen Ansprüche und Herausforderungen bringen dieses Gremium, das ohne Regierungschef auskommt, an seine Belastungsgrenze. Ist das eigentümliche Regierungsmodell der Schweiz noch zukunftstauglich? Oder ist es nicht vielmehr an der Zeit, den von Raimund Germann in den 1970er Jahren erstmals angedachten Übergang zur Konkurrenzdemokratie einzuleiten? Einen Übergang zu einem Zustand, in dem sich die an der Regierung beteiligten Parteien auf einen verbindlichen Koalitionsvertrag einigen müssen und sich keinem Doppelspiel von Regierungsbeteiligung und Opposition hingeben können. Wo es den Stimmbürgern ermöglicht wird, die Regierungsparteien an ihren Versprechungen zu messen und sie bei mangelnder Leistung in die Opposition zu verbannen. Ist es nicht an der Zeit, den Bundespräsidenten zum Regierungschef aufzuwerten und ihn mit Richtlinienkompetenz auszustatten, so dass bei der nächsten internationalen Krise die Verantwortlichkeiten klar sind und die linke Hand in der Regierung weiss, was die rechte tut?

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So überzeugend die Argumente für einen Systemwechsel klingen mögen, so fahrlässig wäre es, ihnen nachzugeben. Wie wir aufzeigen werden, könnte ein im schweizerischen Kontext umgesetztes Konkurrenzmodell seine Stärken nicht ausspielen. Die institutionellen Rahmenbedingungen und die politische Kultur eines Landes lassen sich nicht beliebig umformen. Ein Schweizer Konkurrenzmodell wäre bloss ein Zwischending, das statt der Stärken die Schwächen beider Systeme auf sich vereinte. Die Konkordanz – ein Erfolgsmodell Trotz allen Krisensymptomen ist die

Konkordanz ein Erfolgsmodell. Dafür spricht die eingangs erwähnte positive Grundhaltung der Bevölkerung gegenüber Regierung und Regierungssystem, es sprechen dafür aber auch harte wirtschaftliche Fakten. Nachdem die Schweiz in den 1990er Jahren aus dem Tritt gekommen war, hat sie sich in den letzten Jahren eindrücklich zurückgemeldet und sich in der grossen, internationalen Finanz-, Wirtschafts-, Währungsund Schuldenkrise als besonders gut gerüstet und robust erwiesen. Fast geräuschlos hat das Land 2003 eine Schuldenbremse eingeführt, mit der seither erfolgreich Schuldenabbau betrieben wird, während ringsum die Staatshaushalte in Schieflage geraten sind. Die Schuldenbremse, im institutionellen Rahmen einer Konkordanzdemokratie geschaffen, wird heute weltweit von in der Schuldenfalle steckenden Konkurrenzdemokratien zum Vorbild genommen.

Die durch das System erzwungene Entschleunigung politischer Entscheidungsprozesse, über die schon manch forscher Reformer den Stab gebrochen hat, hilft, (kostspielige) Fehlentwicklungen zu vermeiden.

Die der Konkordanz zugrunde liegende Kultur der Machtbeschränkung und Machtteilung trägt zum Masshalten und zu einer hohen Zuverlässigkeit bei. Damit lassen sich zwar keine spektakulären Würfe realisieren, die Prinzipien haben aber ein leistungsfähiges, bürgernahes Staatswesen begründet, das erst noch als besonders wetterfest gelten kann.

Einleitung

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Die durch das System erzwungene Entschleunigung politischer Entscheidungsprozesse, über die schon manch forscher Reformer den Stab gebrochen hat, hilft, (kostspielige) Fehlentwicklungen zu vermeiden. Weil unser Regierungssystem ohne eigentliche Opposition auskommt, übertrumpfen sich die Parteien vor den Wahlen nicht mit Versprechungen, die sie im Fall eines Wahlsiegs ohnehin nicht einhalten können – mit denen jedoch mittelfristig das Vertrauen der Bürger in die Politik und in die Staatsführung untergraben wird. Gedankliche Erstarrung Die Konkordanz ist ein positiver Standortfaktor –

wir sollten deshalb alles daransetzen, sie zu bewahren. Bewahren heisst aber nicht konservieren. Der Erfolg des Schweizer Politikmodells beruht in einer unaufgeregten Behäbigkeit und in einer gesunden Skepsis gegenüber grossen Würfen, er liegt aber ebenso sehr in einer Offenheit gegenüber pragmatischen, innovativen Antworten auf veränderte Rahmenbedingungen. Die vor ein paar Jahren eingeführte Schuldenbremse ist das beste Beispiel für diese Erneuerungskraft. Wenn es um die Organisation der Regierung und das politische System geht, leiden wir allerdings an einer gedanklichen Erstarrung. Die 1996 in der Volksabstimmung gescheiterte Regierungsreform hat im Bundeshaus zur Überzeugung geführt, grössere Reformen seien in diesem Feld ohnehin nicht mehrheitsfähig. Stattdessen wird das Heil nun in inkrementellen Änderungen wie einem auf zwei Jahre verlängerten Bundespräsidium gesucht, mit dem der bewährte Ein-Jahr-Turnus aufgegeben wird, ohne eine bessere Alternative dafür zu schaffen. Die Herausforderungen und Rahmenbedingungen für das Lenken dieses Staates haben sich in den vergangenen Jahren und Jahrzehnten grundlegend verändert. Es ist angezeigt, das System neu zu interpretieren. Ideen für eine Revitalisierung In diesem Buch geht es um Konkordanz im

Speziellen, aber auch um das Schweizer Regierungsmodell im weiteren Sinn. Die drei vorgestellten Reformideen setzen an unterschiedlichen Ebenen dieses Systems an. Die erste Reformidee betrifft die Wahl und

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Konstitution des Bundesrats, die zweite die Regierungsorganisation und die dritte schliesslich die Regeln des Zusammenwirkens der beiden Kammern des Parlaments. Die Ideen greifen vergessene Traditionen wie die im 19. Jahrhundert übliche Komplimentswahl der amtierenden Bundesräte wieder auf. Sie orientieren sich an Modellen aus anderen föderalen Ebenen, namentlich dem Präsidialdepartement grösserer Schweizer Städte. Und sie nutzen schliesslich Schweizer Eigenheiten wie das Gesetzesreferendum, um die Arbeitsweise des Zweikammersystems auf eine neue Basis zu stellen. Ziel aller Vorschläge ist es, die Arbeitsweise und die demokratische Verankerung der Staatsleitung unter gewandelten Rahmenbedingungen zu verbessern. Die Leitlinien, die den drei Reformideen dabei zugrunde liegen, sind die für das politische System der Schweiz zentralen Prinzipien der Machtbeschränkung und Machtteilung sowie die in den hiesigen Institutionen eingelagerte Logik der Verhandlungsdemokratie. Dieses Buch ist jedoch nicht bloss und vielleicht nicht einmal in erster Linie ein Reformbuch. Es ist vor allem ein Versuch, die Wurzeln, das Wesen und die Eigenarten eines politischen Erfolgsmodells zu ergründen und in die Zukunft weiterzudenken.

Einleitung

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Warum das Konkurrenzsystem keine Alternative ist

_ Der Einfluss des Regierungssystems Zwischen parlamentarischem und präsidentiellem System Macht der Parlamente – nomen non est omen Fehlendes Plebiszit über die Regierung Führungsfrage im Hintergrund

_ Schleichend zum Konkurrenzsystem?

_ 59 59 61 63 65

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Lehren aus dem Oppositionsjahr der SVP Bedürfnis, die SVP einzubinden Hürden zur Bildung einer bürgerlichen Koalition Blockadepotenzial einer Links-Opposition

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_ «Institutionalisierte Konkordanzzwänge»

_ 74

Erstes Hemmnis: Direktdemokratie Zweites Hemmnis: Zweikammersystem Drittes Hemmnis: Wahl und Organisation des Bundesrats Listenwahl als Basis für eine Koalitionsregierung

_ Ein Konkurrenzsystem ohne seine Stärken Gegenteil des Westminster-Systems Kein Regieren nach Programm Die Frage der Teamfähigkeit Exzellenz statt Mittelmass? Zwischending statt Konkurrenzsystem Bedeutung der politischen Kultur Stärken der Konsensdemokratie

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_ 82 82 84 86 87 89 90 91

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Das auf Stabilität ausgelegte Regierungssystem der Schweiz ist mit der Polarisierung der politischen Landschaft und dem Niedergang der traditionellen Regierungsparteien unter Druck geraten. Das zunehmende Konkurrenzdenken unter den Parteien und die Verpolitisierung der Exekutive führen zur berechtigten Frage, ob ein Wechsel zu einem Konkurrenzsystem mit Regierung und Opposition nicht die ehrlichere Lösung wäre als die Fortführung einer womöglich nur noch dem Namen nach bestehenden Konkordanz. Im «Jekami» der Konkordanz gibt es keine klaren Verantwortlichkeiten. Die Parteien beteiligen sich zwar an der Regierung, machen aber zugleich Oppositionspolitik, wann immer ihnen ein Regierungsentscheid nicht passt. Ganz anderes sind die Verhältnisse in einer klassischen Konkurrenzdemokratie, wo sich die Parteien dem Wettbewerb um die Regierungsverantwortung stellen müssen.Hier stehen die Regierungsparteien unter permanentem Druck, das Beste zu geben, weil ihnen ansonsten die Verbannung in die Opposition droht. Die Stimmbürger ihrerseits können Leistung durch Wiederwahl belohnen und Versagen durch Abwahl sanktionieren. Während im Schweizer System auch mässig erfolgreiche Regierungsvertreter in der Regel mit einer garantierten Wiederwahl rechnen können. Es gibt ausgezeichnete Gründe für den Wechsel zu einem Konkurrenzsystem

(Rentsch et al. 2004).

Das Kernproblem liegt jedoch darin, dass

ein in der Schweiz umgesetztes Konkurrenzmodell seine Stärken nicht ausspielen könnte. Die institutionellen Rahmenbedingungen und die politische Kultur eines Landes lassen sich nicht beliebig austauschen. Statt eines idealtypischen Konkurrenzsystems wie dem britischen hätten wir am Schluss einen Zwitter zwischen Konkordanz und Konkurrenz, der statt der Stärken die Schwächen der beiden Systeme auf sich vereinte. Warum dies so ist, werden wir in diesem Kapitel erläutern. Um das Ganze auf ein solides Fundament zu stellen, folgen jedoch zunächst einige grundsätzliche Gedanken zum Charakter des schweizerischen

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Regierungssystems im Vergleich zu den klassischen Formen der präsidentiellen und der parlamentarischen Demokratie.

Der Einfluss des Regierungssystems In der aktuellen Reformdebatte werden in der Regel das Konkordanzund das Konkurrenzsystem gegenübergestellt. Fundamentaler noch als diese Gliederung ist der Gegensatz zwischen präsidentieller und parlamentarischer Demokratie. Während die meisten anderen Demokratien einem dieser beiden Grundtypen angehören, spiegeln sich im Schweizer Regierungssystem Elemente beider Typen. Ein Wechsel zu einem Konkurrenzsystem würde die Schweiz jedoch in die Nähe einer parlamentarischen Demokratie bringen. Umgekehrt würde die Schweiz mit der Einführung einer Volkswahl des Bundesrats, von der auf Seiten 114 ff. die Rede sein wird, in die Nähe einer präsidentiellen Demokratie rücken.

Zwischen parlamentarischem und präsidentiellem System Der zentrale Unterschied zwischen der parlamentarischen und der präsidentiellen Demokratie ist das Verhältnis von Regierung und Parlament. In einer parlamentarischen Demokratie wird die Regierung durch das Parlament gewählt, in der präsidentiellen direkt durch das Volk. Wobei in der Regel nur der Präsident vom Volk gewählt wird und dieser seine von ihm abhängige Regierungsmannschaft selber zusammenstellt. Der Präsident ist dabei Regierungs- und Staatschef in einem, während in parlamentarischen Demokratien neben dem Regierungschef ein Staatsoberhaupt mit symbolischer Macht besteht. Der Urtyp des Präsidialsystems sind die USA. Nach US-amerikanischem Vorbild hat sich dieses System später vor allem in Lateinamerika, Zentralafrika und Zentralasien verbreitet. Das typische Regierungssystem Europas ist das parlamentarische, das sich vor allem in ehemaligen konstitutionellen Monarchien entwickelt hat. In Europa gibt es mit Aus-

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nahme der Republik Zypern und Weissrussland keine Staaten mit einem Präsidialsystem.|10 Elemente beider Systeme Das Schweizer Regierungssystem entspricht

auf den ersten Blick dem parlamentarischen Typ. Zum einen, weil bei uns die Exekutive durch die Legislative gewählt wird, und zum anderen, weil die Macht in der Regierung nicht auf eine einzelne präsidiale Figur konzentriert ist. Auf den zweiten Blick existieren jedoch ebenso viele Übereinstimmungen mit dem Präsidialsystem. So gibt es hierzulande keine Aufteilung zwischen Regierungschef und Staatsoberhaupt – der Bundesrat ist als Kollegium beides zugleich. Ausserdem fehlt das für das parlamentarische System charakteristische Misstrauensvotum, mit dem das Parlament die Regierung jederzeit abberufen kann. Unabhängige Gewalten Während im parlamentarischen System Regie-

rung und Parlament durch das Wahlsystem verschränkt sind, agieren sie im Präsidialsystem weitgehend unabhängig voneinander (Linder 1999: 219). Auch wenn in der Schweiz das Parlament die Regierung wählt, gleicht das Verhältnis der beiden Gewalten in der Praxis eher dem Präsidialsystem als dem parlamentarischen. Der erste Grund ist der Abwahlschutz der Regierungsmitglieder, die nicht durch ein Misstrauensvotum gestürzt werden können und auch bei den Gesamterneuerungswahlen nur in Ausnahmefällen mit einer Nichtwiederwahl rechnen müssen,was ihnen zu einer grossen Unabhängigkeit gegenüber dem Parlament verhilft. Zugleich ist das Parlament weit weniger von der Regierung abhängig als in einer parlamentarischen Demokratie, wo jedes Mal eine Regierungskrise droht, wenn das Parlament nicht der Regierung folgt.

10 Eine Sonderform bildet das semipräsidentielle System Frankreichs. Der vom Volk gewählte Präsident agiert nur dann als Regierungschef, wenn seine Partei eine Parlamentsmehrheit hat und die Regierung stellt. Ist sie in der Opposition, übernimmt der vom Parlament gewählte Premierminister die Rolle des Regierungschefs. Das französische System pendelt somit zwischen präsidentieller und parlamentarischer Demokratie.

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Der zweite Grund für die Unabhängigkeit der Gewalten sind die parteipolitisch breitabgestützte Regierungsallianz und das Fehlen einer Opposition in der Schweiz. Eine Disziplinierung des Parlaments ist unter diesen Umständen weder nötig noch möglich. Im parlamentarischen System erfordern die in der Regel knappen Mehrheiten dagegen einen hohen Koordinationsgrad zwischen der Regierung und dem Parlament.

Macht der Parlamente – nomen non est omen In einer parlamentarischen Demokratie kommt dem Parlament formell eine Schlüsselstellung zu: Es bestimmt die Regierung, die ihm zu Rechenschaft verpflichtet ist und von ihm durch ein Misstrauensvotum gestürzt werden kann. Trotz der formellen Vorrangstellung der Legislative ist es in der Praxis die Exekutive, die dominiert. Diese paradoxe Konstellation ist eine Folge der Verschränkung der beiden Gewalten. Nur ein diszipliniertes Parlament garantiert den Bestand der Regierung. Die in der Regierung vertretenen Parteispitzen üben deshalb Druck auf ihre Parlamentsfraktionen aus. Einen Druck, dem die Parlamentarier in der Regel nachgeben, da sie einen Sturz ihrer Regierung verhindern wollen. Kanzlerwahlverein Statt, wie de jure vorgesehen, die Regierung zu kon-

trollieren, ist es de facto die Regierung, welche das Parlament im Zaume hält und häufig auch den Gesetzgebungsprozess dirigiert (Linder 1999: 219; Brühl-Moser 2007: 33).

Genau dies kommt zum Ausdruck, wenn in Deutsch-

land sarkastisch vom Bundestag als Kanzlerwahlverein gesprochen wird. Ein parlamentarisches System impliziert also kein starkes Parlament. Ebenso steht ein präsidentielles System nicht per se für eine starke Exekutive. Entscheidendes Merkmal des präsidentiellen Systems ist, dass die beiden Gewalten unabhängig voneinander direkt durch das Volk legitimiert sind. Diese Unabhängigkeit hat zur Folge, dass sich das Parlament weniger gut disziplinieren lässt und mehr eigene Initiative entfalten kann – zumindest wenn es gegenüber dem Präsidenten mit genügend legislativen Kompetenzen ausgestattet ist.

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Die Macht des amerikanischen Kongresses Idealtypisch zeigt sich die Hand-

lungsmacht des Parlaments im Präsidialsystem der Vereinigten Staaten. Der vom Volk gewählte amerikanische Präsident besitzt zwar eine einzigartige symbolische Macht und ist innerhalb der Regierung der absolute Primus. Sein Einfluss auf die Gesetzgebung ist jedoch vergleichsweise gering. Selbst wenn seine eigene Partei in den beiden Häusern des Kongresses die Mehrheit stellt, muss er für seine Projekte harte Überzeugungsarbeit leisten. Weil das politische Überleben des Präsidenten nicht vom Kongress abhängig ist, kann sich das Parlament leisten, eigenmächtig zu handeln, ohne dass die Opposition die Macht übernimmt. Der amerikanische Kongress besitzt deshalb im Vergleich mit europäischen Parlamenten eine ausgesprochen grosse, autonome Handlungsmacht (Oldopp 2005: 47, 64–65). So wurde beispielsweise Obamas Gesundheitsreform

nicht durch den Gesundheitsminister und nicht durch die Exekutive, sondern durch Senats-Schwergewichte wie Harry Reid und Max Baucus gestaltet. Die unterschätzte Bundesversammlung Das gängige Vorurteil, die schwei-

zerische Bundesversammlung sei aufgrund der Direktdemokratie ein schwaches Parlament, lässt sich nicht halten. Zwar beschneiden das fakultative Gesetzesreferendum und die anderen direktdemokratischen Mitspracherechte die Kompetenzen der Legislative, diese ist jedoch in anderer Hinsicht wesentlich handlungsmächtiger als die gezähmten Parlamente unserer Nachbarländer. Aufgrund der geringen Verschränkung der Gewalten kann die Bundesversammlung ähnlich wie der amerikanische Kongress eigenmächtig in den Gesetzgebungsprozess eingreifen. Die geringe Ressourcenausstattung verhindert allerdings in der Praxis eine Gesetzgebung in Eigenregie. In über 90 Prozent der Fälle wird hierzulande die gesetzgebende Basisarbeit von der Exekutive bzw. von der Verwaltung durchgeführt

(Lüthi 2002: 139).

Im Gegensatz zum amerikani-

schen System kennt unseres kein präsidiales Veto bei Gesetzesänderungen, das nur mit einer Zweidrittelmehrheit überwunden werden kann.

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Einzigartig ist die Handlungsmacht der Bundesversammlung bei der Bestellung der Regierung. Zwar wählt in jeder parlamentarischen Demokratie das Parlament die Regierung – von Wählen im Wortsinn kann jedoch nicht die Rede sein. Im Moment der Wahl stehen Spitzenkandidaten und Koalition längst fest. Den Parlamentariern der Regierungsparteien bleibt de facto nichts anderes übrig, als eine längst bestimmte Regierung abzusegnen. Bundesratswahlen in der Schweiz ermöglichen den Bundesparlamentariern dagegen eine echte politische Einflussnahme und eine Wahl mit offenem Ausgang. Deshalb gehören Bundesratswahlen zu den spannendsten Ereignissen der Schweizer Politik.

Fehlendes Plebiszit über die Regierung In einer Hinsicht gleichen sich die präsidentielle

Zwar wählt in jeder parlamentarischen Demokratie das Parlament die Regierung – von Wählen im Wortsinn kann jedoch nicht die Rede sein.

und die parlamentarische Demokratie. In beiden Systemen kommt der Bevölkerung eine entscheidende Rolle bei der Besetzung der Regierungsspitze zu. Evident ist dies im Präsidialsystem, wo der Präsident direkt (oder via Wahlmänner) vom Volk gewählt wird. Aber auch in einer parlamentarischen Demokratie wird der Regierungschef de facto vom Volk gewählt. Das Stimmvolk wählt zwar das Parlament, bestimmt damit jedoch indirekt, welche Partei mit welchem Spitzenkandidaten die Regierung stellen wird. Bei Wahlen in parlamentarischen Demokratien stehen denn auch die Spitzenkandidaten für das Amt des Regierungschefs im Zentrum der Aufmerksamkeit. Nicht der Erfolg der lokalen Parlamentskandidaten X oder Y bewegt die Gemüter, sondern die Frage, wer die Regierung stellen wird: «Merkel oder Steinmeier», «Brown oder Cameron». Geringer Einfluss auf die Regierungsbildung in der Schweiz In allen funktio-

nierenden Demokratien wählt das Volk seine Regierung – wenn nicht direkt, dann zumindest indirekt mittels verschränkter Parlaments- und

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Regierungswahlen. Ausgerechnet in der Schweiz, wo der Stimmbevölkerung ansonsten ein hohes Mass an Mitsprache zugestanden wird, hat sie kaum Einfluss auf die Bestellung der Regierung. Schweizer Parlamentswahlen sind kein Plebiszit über die aktuelle Regierung, und sie geben keine Auskunft darüber, wer das Land in der nachfolgenden Legislaturperiode regiert. Zwar kann mit der Wahl einer Partei deren Anspruch auf Regierungssitze erhöht

Ausgerechnet in der Schweiz, wo der Stimmbevölkerung ansonsten ein hohes Mass an Mitsprache zugestanden wird, hat sie kaum Einfluss auf die Bestellung der Regierung.

werden; auf die personelle Zusammensetzung der Regierung können die Stimmbürger aber keinen Einfluss nehmen. Die Regierungskandidaten der Parteien sind bei den nationalen Wahlen meist gar nicht bekannt. Ausserdem wählt das Parlament ohnehin nach eigenem Gusto. «SVP wählen, Blocher stärken» Nur einmal wurde

in der Schweiz ein direkter Zusammenhang zwischen Parlaments- und Regierungswahlen hergestellt, nämlich 2007, als die SVP mit dem Slogan «SVP wählen, Blocher stärken» in den Wahlkampf

gezogen ist. Am Ende nahm jedoch das Parlament seine unabhängige Handlungsmacht wahr und führte den SVP-Slogan ad absurdum, indem es den «Gewinner» der Parlamentswahl bei den Gesamterneuerungswahlen des Bundesrats nicht bestätigte. In der Hochblüte der Konkordanz bis zum Ende des Kalten Kriegs war die fehlende Möglichkeit der Bevölkerung, sich ihre eigene Regierung zu geben, unproblematisch, denn das konsensuale Regierungssystem wurde von breiten Kreisen der Gesellschaft getragen und in den Parlamentswahlen Mal für Mal in Form von stabilen Wähleranteilen bestätigt. Die Destabilisierung der Wähleranteile, die zunehmende Konkurrenzkultur und die Verpolitisierung der Exekutive haben das Fehlen einer unmittelbaren Mitsprache der Stimmbevölkerung jedoch zu einem Demokratiedefizit werden lassen. Die Legitimität der Regierung

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und das Vertrauen in sie sind nicht mehr selbstverständlich gegeben, sondern müssten eigentlich, wie in allen anderen Demokratien, durch ein Plebiszit begründet werden.

Führungsfrage im Hintergrund Die nationalen Wahlen sind in der Schweiz weder ein direktes noch ein indirektes Plebiszit über die Regierung. Dies schmälert nicht nur die demokratische Legitimierung der Staatsführung, es prägt auch den Wahlkampf und die Deutung der Wahlergebnisse. In den europäischen Nachbarländern, wo es bei Parlamentswahlen in erster Linie um die Bestellung der Regierung geht, nimmt die Führungsfrage im Wahlkampf einen zentralen Platz ein. Für die Wählenden ist nicht bloss das politische Profil der Parteien von Bedeutung, sondern auch das persönliche Profil der Kandidierenden für das Amt des Regierungschefs. Wem wird zugetraut, das Land gegen aussen zu vertreten und gegen innen umsichtig zu führen? Wettbewerb der Problembenennung In der Schweiz, wo es keinen Wett-

bewerb zwischen potenziellen Regierungsmannschaften gibt, rücken andere Faktoren ins Zentrum. Es gewinnt nicht, wer Figuren mit Regierungsformat ins Rennen schickt, sondern, wem es gelingt, die Probleme und Sorgen der Bevölkerung anzusprechen und populäre Lösungen dafür zu versprechen. Es herrscht ein Wettbewerb der Problembenennung statt der Lösungskompetenz. Stimmungen aufspüren, auffallen, polarisieren und Emotionen ansprechen sind die gefragten Kernkompetenzen im nationalen Wahlkampf der Schweiz. Weil es nicht um die personelle Zusammensetzung der Regierung geht, entscheiden sich die Wählenden vor allem für politische Positionen. Im Vorteil sind dabei Parteien, die sich mit einem klaren Profil am politischen Tauziehen um die politische Grundausrichtung des Landes beteiligen. Wie die Forderungen in eine kohärente Regierungspolitik übersetzt werden sollen, interessiert im Wahlkampf

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kaum jemanden. Die Regierung steht ohnehin nicht zur Debatte, und die Parteien brauchen das Nachher nicht zu fürchten, da sie dank der Konkordanz nicht «Gefahr» laufen, sichtbar Regierungsverantwortung zu übernehmen. Mit der entfesselten Parteienkonkurrenz hat sich die politische Kultur der Schweiz vom Sonderfall wegbewegt und sich dem europäischen Normalfall angeglichen. Die politischen Institutionen sind jedoch dieselben geblieben. Es stellt sich die Frage, ob das eigentümliche System der Schweiz den heutigen Anforderungen noch gewachsen ist. Müsste es nicht reformiert werden, damit die Regierung auch unter Konkurrenzbedingungen demokratisch legitimiert bleibt und damit neben dem Wettbewerb der Problembenennung auch der Wettbewerb der Lösungskompetenz seinen Platz erhält?

Schleichend zum Konkurrenzsystem? Seit mit Ruth Metzler 2003 zum ersten Mal in der modernen Schweiz ein Regierungsmitglied aufgrund von veränderten Wähleranteilen abgewählt wurde und damit die Konkordanz ihre Unschuld verloren hat, steht die Frage im Raum, ob sich unser System nicht ohnehin schleichend auf dem Weg zu einem Konkurrenzsystem mit wechselnden Regierungen befindet. Ist es womöglich bloss eine Frage der Zeit, bis sich in der Schweiz kleinere Regierungskoalitionen herausbilden, die nicht mehr das gesamte politische Spektrum abdecken? Es spricht einiges dafür, dass sich das integrierende Regierungssystem der Schweiz nicht selber abschafft. Auch wenn sich Politiker aller Couleur seit einigen Jahren vermehrt für einen Systemwechsel aussprechen und der Konkordanz verschiedentlich die Tragfähigkeit abgesprochen wird, spricht die Interessenlage der entscheidenden Kräfte gegen die Bildung von wie auch immer ausgerichteten Koalitionsregierungen. Aufschlussreich sind dabei vor allem die Erfahrungen des Jahrs 2008, als sich die SVP zur Oppositionspartei erklärte.

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Lehren aus dem Oppositionsjahr der SVP Bundesrat Blochers überraschende Abwahl aus der Regierung löste Ende 2007 in Bundesbern ein mittleres Erdbeben aus. Seine geschockte SVP erklärte sich sogleich zur Oppositionspartei. Zwar war die Volkspartei noch immer nominell mit zwei Mitgliedern im Bundesrat vertreten, sie erkannte diese jedoch nicht an. Der länger schon als «halber Bundesrat» verschmähte Samuel Schmid, den die Bundesversammlung einst gegen den Willen der SVP in die Regierung gewählt hatte,wurde aus der Fraktion ausgeschlossen. Die neugewählte Bundesrätin Widmer-Schlumpf, die mit der Annahme der Wahl die Abwahl des informellen Parteiführers besiegelte, galt ohnehin als Verräterin. Erst im darauffolgenden Jahr wurde der Bruch auch auf Parteiebene vollzogen, als die beiden ausgestossenen Bundesräte eine eigene Partei, die BDP, gründeten. Zumindest kurzzeitig sah es aus, als ob das Ende der Konkordanz besiegelt sei. Als sich jedoch der vom beständigen Trommelfeuer gegen seine Person zermürbte Samuel Schmid im Herbst 2008 zum Rücktritt entschloss, drängte die selbsterklärte Oppositionspartei SVP zurück in die Regierung.Statt in der Logik des Konkurrenzsystems auf Regierungsverantwortung zu verzichten, um sich im Hinblick auf die Wahlen 2011 als klare Alternative zur aktuellen Regierung zu positionieren, gab sich die Rechtspartei mit einer Politik der kleinen Schritte zufrieden und war bereit,vorerst mit nur einem Vertreter in die Regierung zurückzukehren. Opposition auch in der Regierung möglich Die kurze Oppositionsphase der

SVP ist aufschlussreich für die Grenzen des Konzepts «Opposition» im schweizerischen Kontext. Die von Parteipräsident Ueli Maurer Ende 2007 angekündigte Oppositionspolitik erreichte nicht die gewünschte öffentliche Wirkung. Da sich die SVP auch als Regierungspartei bei Bedarf gegen die Haltung der Gesamtregierung stellte, konnte sie ihr rechtskonservatives Profil als Oppositionspartei nicht zusätzlich schärfen. Im Konkordanzsystem ist das Beibehalten eines klaren politischen Profils auch ohne Gang in die Opposition und den damit verbundenen

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Literatur

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Konkordanz in der Krise


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Konkordanz in der Krise


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