Item: Davos - zwischen Bergzauber und Zauberberg

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Franco Item

Davos – zwischen Bergzauber und Zauberberg Kurort, Sportort, Kongress- und Forschungsplatz, 1865 – 2015

Mit Beiträgen von Fabrizio D’Aloisio, Maria von Ballmoos, Adrian Dinkelmann, Jann Gadmer, Thomas Gadmer, Anja C. Gredig, Urs Gredig, Gaston Haas, Tanja Heublein, Franz Kronthaler, Christof Kübler, Hans Peter Michel, Timothy Nelson, Manfred Papst, Andri Perl, Vladimir Pilman, Thorsten Sadowsky, Yvonne Schmid, Klaus Schwab, Christoph Soltmannowski, Jules Spinatsch sowie Vorworten von Bundesrat Ueli Maurer, Landammann Tarzisius Caviezel und Reto Branschi.

Verlag Neue Zürcher Zeitung


Impressum Diese Publikation erscheint im Auftrag des Vereins Wissensstadt Davos. Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet unter http://dnb.d-nb.de abrufbar. © 2015 Wissensstadt Davos, Herausgeber Franco Item (Edition Zauberberg) und Verlag Neue Zürcher Zeitung, Zürich Konzept, Text- und Bildredaktion, Initiator und Herausgeber: Franco Item, Davos/Zürich Autoren

A bis Z, siehe Seite 330

Projektleitung

Adrian Dinkelmann im Auftrag

Lektorat

Rosanna Carbone, Uster

des Vereins Wissensstadt Davos Anja C. Gredig, Zürich Franco Item, Davos/Zürich Christoph Soltmannowski, Zürich Gestaltung

Sarah Jakob, divis, Solothurn

Druck

Karl Schwegler AG, Zürich-Oerlikon

Einband

Buchbinderei Burkhardt AG, Mönchaltorf

Dieses Werk ist urheberrechtlich geschützt. Die dadurch begründeten Rechte, insbesondere die der Übersetzung, des Nachdrucks, des Vortrags, der Entnahme von Abbildungen und Tabellen, der Funksendung, der Mikroverfilmung oder der Vervielfältigung auf anderen Wegen und der Speicherung in Datenverarbeitungsanlagen, bleiben, auch bei nur auszugsweiser Verwertung, vorbehalten. Eine Vervielfältigung dieses Werks oder von Teilen dieses Werks ist auch im Einzelfall nur in den Grenzen der gesetzlichen Bestimmungen des Urheberrechtsgesetzes in der jeweils geltenden Fassung zulässig. Sie ist grundsätzlich vergütungspflichtig. Zuwiderhandlungen unterliegen den Strafbestimmungen des Urheberrechts. ISBN 978-3-03810-036-2 www.nzz-libro.ch NZZ Libro ist ein Imprint der Neuen Zürcher Zeitung


Pioneers’ Night: Am 7. und 8. Februar 2015 feierte Davos die Ankunft der ersten Wintergäste 1865.


Dieses Buch wurde unterstützt durch die folgenden Institutionen, denen an dieser Stelle ein grosses Dankeschön gebührt: Gemeinde Davos und die Davos Destinations-Organisation, Stiftung Forum Davos, Kulturkommission der Gemeinde Davos, SWISSLOS/Kulturförderung des Kantons Graubünden, Beitragsfonds der Graubündner Kantonalbank. Weiter wurde dieses multimediale Buchprojekt durch die Eidg. Stiftung Schweizerische Text Akademie unterstützt und durch deren Fachstelle für Schreiben und Publizieren an der HWZ, Hochschule für Wirtschaft Zürich. Der Autor und Herausgeber, Franco Item, dankt ganz besonders Tarzisius Caviezel, Landammann von Davos und Präsident des Vereins Wissensstadt Davos. Er hat dieses Buch zusammen mit dem Kleinen Landrat der Gemeinde Davos letztlich erst ermöglicht. Weiter Ivo Hajnal, Stiftungsratspräsident der Stiftung Forum Davos, die das Kulturprojekt Edition Zauberberg 2010 ins Leben rief, welche die thematische Grundlage für dieses Buch bildet. Dieses Buch hätte nicht entstehen können ohne die Mithilfe zahlreicher Personen. Der Autor und Herausgeber, Franco Item, der Projektleiter, Adrian Dinkelmann, die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter und der Verlag danken den folgenden Persönlichkeiten und Institutionen für Auskünfte, Hinweise, Bilder, Dokumente, Objekte und andere Materialien und Dienste – wie auch allen Interviewpartnern, die im Textteil sowie in den Fussnoten zitiert sind. Dabei sind wir uns bewusst, dass eine solche Auflistung leider nie ganz komplett ist.


Grosses Dankeschön an

Annina Pfiffner-Furter, Furter Foto, Davos

Christian Schmid, Historiker und langjähriger

Walter Reiss, Dokumentationsbibliothek Davos

Chefredaktor der Davoser Revue († 1. Juli 2015)

Elsbeth Rehm, Bergbaumuseum Davos

Stefanie Ambühl, Davos Destinations-Organisation

Jann Rehm, Bergbaumuseum Davos

Markus Daeppen, Inhaber, divis, Solothurn

Christine Schmutz, ehem. Kuratorin,

Barbara Dieterich, Stv. Leiterin Graphische Samm-

Heimatmuseum Davos

lung und Fotoarchiv Zentralbibliothek, Zürich

Achim Schneider, Davos Destinations-Organisation

Valérie Favre Accola, Davos

Celine Schnider, Keystone

Hitsch Flury, Swiss-Ski Langlauf, Davos

Thomas Spielmann, Davos

Peter Flury, Medizinmuseum Davos

Sonja Weber, Inhaberin, divis, Solothurn

Karin Franke, Kultursekretariat Davos

Alexander Wilhelm, Architekt, Davos

Valeria Fürst, Keystone

Gabriele Wohlgemuth, Handschriftenabteilung

Hans Furter, Furter Foto, Davos

Zentralbibliothek, Zürich

Christian Gadmer, Bergbauer, Dischma Davos

Jörg Zinsli, Kurator, Heimatmuseum Davos

Barbara Gassler, Davos Andreas Gredig, Hotelier, Davos

Und ein allerletztes Dankeschön für die

Remo Gross, Hockey Club Davos

moralische Unterstützung und das Verständnis:

Andrea Guler, Wintersportmuseum Davos

Germaine Hiltbrunner und Nevio Gian Franco.

Fortunat Guler, Bergbauer, Clavadelerstrasse, Davos Nora Haider, Zürich Ivo Hajnal, Zürich und Innsbruck Klaus Haller, Internationaler Schlittelclub Davos Otto Hirzel, Bergbaumuseum, Davos Corina Issler Baetschi, Gemeinde Davos Heinz Kessler, Hotel Kulm, Davos Wolfgang Nino Kessler, Hotel Kulm, Davos Wolfgang Luzi Kindschi, Schreiner, Sertigtal Davos Ralph Kohler, Chur Georg Krähenbühl, Architekt, Davos Nuot Lietha, Davos Destinations-Organisation Reto Meerkämper, Meerkämper Augenoptik, Davos Urs Meerkämper, Meerkämper Kontaktlinsen, Davos Toni Morosani, Hotelier, Morosani Hotels, Davos Timothy Nelson, Dokumentationsbibliothek Davos Fredi Pargätzi, Spengler Cup Davos


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Vorwort von Bundesrat Ueli Maurer

143 Ernst Ludwig Kirchner in Davos

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Davos braucht Pioniere

144 Kirchner: Avantgarde und Alpenzauber

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Davos ist nicht gleich Davos

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Davoser Uhren und Flachdächer –

161 Hintercontinental Blackbox

oder die Kunst, das Neue zu wagen

193 «Neugier und Fortschritt brauchen den Blick hinter die Bühne»

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Die Geschichte von Davos am Beispiel des Hotels Flüela

195 Davos und die Architektur

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Erste Epoche: Das Alte Davos

196 Rudolf Gaberel: Architektur als Kur

18

Auswanderer: Mit Kuh und Karren auf ins Glück

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Liebesgrüsse aus St. Petersburg

221 Davos und die Literatur

37

Wolf & Béranger schneller als Zar Nikolai

222 «Erinnerungen am

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Zweite Epoche: Der Kurort

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Kurortskrimi: Spengler hatte doch recht – das Davoser Klima heilt tatsächlich

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Wintersport gegen Vitamin-D-Mangel

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Ein Kurort mit zwei Patienten

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Dritte Epoche: Der Sportort

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Nach dem grossen Krieg kamen die Skikanonen

117 Vierte Epoche: Der Kongressort 118 Wirtschaftswunder und wilde Wintergäste 129 Der Spion, der aus dem Hotel Flüela kam 133 Das Hotel Flüela: Seine Gäste und seine Mitarbeiter 134 Den Traumjob und den Traumpartner gefunden 136 Den persönlichen Touch braucht’s mehr denn je 138 44 Jahre der gute Geist im Hotel Flüela

Liegestuhlbein angebunden» 224 John Addington Symonds: Sexforscher auf der Schlittelbahn 230 Robert Louis Stevenson: Blutspucken im Schnee 233 Arthur Conan Doyle: Sherlock Holmes’ Vater auf Skitour 236 Beatrice Harraden: Künstlerin und kühne Kämpferin 238 Elisabeth Franke: Das grosse stille Leuchten als Trost 240 Edith Södergran: Fotografierende Lyrikerin 244 Der Zauberberg: Genial gehustet, gelitten und gestorben 254 Klabund: Kreativer Kranker

139 Davos und die Engländer 140 Als Briten durchs Englisch Viertel flanierten

255 1930er-Jahre und Zweiter Weltkrieg 256 Davos in schwierigen Zeiten: Der Fall Gustloff 260 Moses Silberroths einsamer Kampf gegen Hitler 261 Ironie bis in den Tod: Bels Belskis Zauber-Zwerg


263 Hollywood-Jetset in Klosters und Sommerfrischler in Davos 264 Klosters: Hollywoodstars und Geheimagenten 269 Jüdische Bergwanderer auf den Spuren Moses

327 Anhang 328 Davoser Chronisten: Ihre Texte und Bilder erhalten die Vergangenheit am Leben 330 Autoren und Lektoren 332 Register

271 Davos – the Pioneer of Winter Sports

334 Bildlegenden Kapitelseiten

272 Skikanonen, Hockeyhelden, Sportpioniere

334 Bildnachweis

273 Schlitteln – der Sport der Einheimischen

335 Literaturverzeichnis

275 Eislaufen als Sonne für die Seele 280 Ski und Langlauf: Passion auf zwei Brettern 281 Skistars und Skisäuglinge am Bolgenlift 283 Gold, Gold, Gold für Cologna 284 Ernst Reiss: «Putzfrauen sind Helden» 285 Dank Daniela: Erstes Davoser Olympiagold 286 HC Davos: Die Tradition, sich neu zu erfinden 291 Die Geologie von Davos 292 Davos: Wo Afrika einst auf Europa traf 299 Die Besiedelung von Davos 300 Als der weisse Hirsch die Walser führte 307 Hartes Korn auf stotzigen Äckern

Website zum Buch Zu diesem Buch gibt es ab 2016 eine Website mit ergänzenden Texten, Bildern und Videos: www.edition-zauberberg.ch | | Die drei Icons – sowie die Weblinks in den Fusszeilen – erleichtern Ihnen das Suchen nach spezifischen Zusatzinformationen. Alle Weblinks wurden letztmals Mitte Oktober 2015 – vor der Drucklegung des Buches – aktualisiert. Weblinks, die am Tag der Drucklegung nicht mehr auffindbar waren, sind mit ihrem ursprünglichen Aufrufdatum versehen.

309 Bildung und Forschung – und die Zukunft von Davos 310 Forschungsplatz: Wissen auf hohem Niveau

Edition Zauberberg: Geschichte und Geschichten aus Davos Edition Zauberberg ist ein multimediales Kulturprojekt, das 2010 von der Stiftung Forum Davos unter der Leitung von Ivo Hajnal gegründet

315 Forschung basiert auf erstklassiger Bildung

und von Franco Item initiiert wurde. Das Ziel der Edition Zauberberg:

316 Zu Gast im globalen Dorf

die Geschichte von Davos modern aufzubereiten durch die Kombination

320 Zukunftsperspektiven einer Alpenstadt

von Text, Foto und Film und anderen modernen Medien. Um letztlich die Geschichte von Davos auch für ein junges Publikum spannend und informativ zu erzählen – auf der Basis einer multimedialen Wissensplattform. Die Edition Zauberberg wurde finanziell unterstützt durch die Stiftung Forum Davos, die Gemeinde Davos, den Verein Wissensstadt Davos und die Stiftung Schweizerische Text Akademie.



Vergangenheit, Gegenwart, Zukunft

Bundesrat Ueli Maurer, Chef Eidgenössisches Departement für Verteidigung, Bevölke-

HC Davos und an seinem in die Landschaft passenden Heimstadion mit dem schönsten Holzdach aller Schweizer Sportarenen.

rungsschutz und Sport (VBS)

«Es git halt nüt Schöners, juhe, juhe, als Sunneschy, Bärge und Schnee.» Der Refrain des Liedes von Max Ammann und Oskar Adler geht mir oft durch den Kopf, wenn ich auf einer Loipe unterwegs bin. Keine Sonne aber und keinen Schnee geniesse ich mehr als die Sonne und den Schnee von Davos. Beim Langlaufen wie beim Radfahren kommen die Gedanken, meist gute Gedanken. Auf den Brettern habe ich oft darüber nachgedacht, was denn Davos seine Unverwechselbarkeit gibt. Zunächst sind es Weite und Härte, an die man denkt, die für schweizerische Verhältnisse ungewohnte Weite des Raumes und die Härte der Existenz der Bauern, der Holzfäller, der Bärenjäger, der Bergleute, an die der Schmuck der grossen Stube auf dem Davoser Rathaus so eindrücklich erinnert. Gesundheit und Vitalität bezeichnen die modernen Dimensionen des 150-jährigen Kurorts. Auf der Suche nach Gesundheit kam Ernst Ludwig Kirchner; auf dem Waldfriedhof Davos liegt mehr als ein grosser Mann. Vielen von ihnen hat Davos Jahre des Lebens geschenkt. Zu einer Zeit, zu der ich von Kirchner noch nichts wusste und Davos noch nie gesehen hatte, war mir der «Davoser», mein Schlitten, besonders lieb. Später lernte ich die Abfahrtspisten schätzen und freute mich – freue mich immer noch – am Rekordmeister

Dass Davos eine Visitenkarte der Schweiz ist, welcher auch wir Nicht-Davoser Sorge tragen müssen, ist mir seit vielen Jahren in Fleisch und Blut übergegangen. Die Wintersportbilder, die in die Welt hinausgegangen sind und an den entferntesten Orten – als Wandschmuck eines Blockhauses in Kanada etwa – präsent sind, hätten bereits genügt, mich zu überzeugen. Doch Davos wurde noch mehr, es wurde – und wird – mit dem WEF so sehr identifiziert, dass der Philosoph Samuel Phillips Huntington (Clash of Civilizations) den Ausdruck «Davos Man» für den Typus des von Hindernissen unbeeindruckten Globalisierers prägte. Den «Davos Man» habe ich lange und kritisch von aussen betrachtet. Und plötzlich war ich Bundespräsident und eröffnete, 2013, das WEF mit einer Mahnung, die, wie ich meine, die Wiederholung erträgt: «Wenn der Wettbewerb der Systeme und der Standorte fehlt, werden die Staaten träger und träger – bis jeder Reformwille erlahmt.» Nun, dem sei, wie ihm wolle: Der Dialog, den das WEF bietet, war noch nie wichtiger als heute, und Anstrengung ist für Unternehmer und Staatsleute so sehr angesagt wie für Sportsleute, wie für uns alle. Wer im alten Davos nicht zuzupacken verstand, war fehl am Platz. Im Grunde gilt das ja auch im neuen Davos, und im erweiterten neuen Davos, der Schweiz, ja im erweiterten erweiterten neuen Davos, der Welt. Der Wilde Mann, die symbolhafte Davoser Brunnenfigur, erinnert nicht umsonst daran. Er hat die Hommage reichlich verdient, welche dieses wohl gelungene Buch darstellt! Ueli Maurer Bundesrat

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Davos braucht Pioniere 12 Tarzisius Caviezel, Firmengründer, Unternehmensführer, Davoser Landammann.

Liebe Freunde von Davos Ohne Pioniere wäre Davos niemals zu dem geworden, was es heute ist. Nämlich zu einem Ort mit grosser Ausstrahlung, mit grosser Anziehungskraft. Zu einem Ort, der einst Tausende von Kranken magisch anzog, dann für Wintersportler zur Hochburg wurde und heute nicht zuletzt für Politiker und Wirtschaftsführer aus der ganzen Welt ein Ort des Dialogs auf diesem Globus ist. Dabei war Davos vor nicht allzu langer Zeit ein fast menschenleeres Hochtal mit kargen Seitentälern. Dass Davos vor 150 Jahren wie aus dem Nichts innert weniger Jahrzehnte zu einem mondänen Ort wurde, hat viel mit Pioniertaten zu tun. Zu diesen Pionieren gehörte der Kurortsgründer, Alexander Spengler, genauso wie Willem Jan Holsboer, der uns die Eisenbahn und somit den Anschluss an die Welt brachte. Warum aber wurden der Kurort Davos oder die Eisenbahn von Landquart nach Davos von «Fremden» initiiert? Ist es ein Zufall, dass diese damals gigantischen Pioniertaten nicht von Einheimischen kamen? Wir wissen es nicht genau, aber etwas ist klar: Pioniere – und Erfinder-Persönlichkeiten generell – sind oft Aussenseiter. Oder eben Fremde. Denn nur sie sind nicht direkt an hiesige Traditionen gebunden. Quasi «befreit» von althergebrachten Denkmustern, Verhaltensweisen und Sachzwängen.

Unsere Gesellschaft braucht solche «freien» Menschen. Wir bezeichnen sie heute weniger als Pioniere, sondern vielmehr als innovative Persönlichkeiten. In Davos waren und sind dies Menschen wie Alexander Spengler und Willem Jan Holsboer. Aber auch Menschen wie Andreas Gredig III. als Mitglied des Initiativkomitees beim Bau der Parsennbahn oder WEF-Gründer Klaus Schwab. Einer, der den Pioniergeist verinnerlicht hatte, war auch Bruno Gerber. Er, übrigens ebenfalls ein Zuwanderer, förderte als Direktor des Davoser Kurvereins nicht nur den Tourismus, sondern vollbrachte auch wahre Pionierleistungen. So gründete er 1987 das Davos Festival, war massgeblich an der Eröffnung des Kirchner Museums 1992 beteiligt und kämpfte über zehn Jahre für ein Davoser Sportgymnasium, das 1997 schliesslich seinen Betrieb aufnahm. Mit Erfolg, wie wir wissen! Um auf der Landkarte auch in Zukunft herauszustechen, braucht Davos neue Pioniere. Und jeder von uns kann ein solcher sein – im Grossen und im Kleinen. Vor allem aber sollten wir die Pioniere nicht an ihren Taten, an ihren Ideen und Träumen hindern. Sondern wir sollten sie machen lassen, sie unterstützen, so wie die alten Davoser es taten. Tarzisius Caviezel Landammann Davos


Davos ist nicht gleich Davos

Reto Branschi, CEO DDO, lebt seit 20 Jahren für die Destination Davos.

Liebe Leserinnen, liebe Leser Jubiläen sind da, um zurückzublicken. Wenn wir Davoser die Geschichte unserer 150 Jahre Wintertourismus betrachten, bewundern wir den Pioniergeist des ausgehenden 19. Jahrhunderts und die Risikobereitschaft der damaligen Hoteliers und Financiers. Nicht selten kamen sie von ausserhalb und fanden Partner im Ort, mit denen sie ihre Visionen umsetzen konnten. So schufen sie die Basis dafür, dass heute rund 360 000 Gäste in Davos die schönsten Tage ihres Jahres verbringen können. Die Gäste – vor allem die Wintergäste – haben unseren Ort zu dem gemacht, was er heute ist. Sie sind die wirtschaftliche und auch die multikulturelle Basis unseres Wohlergehens und unserer Arbeitsplätze und sie ermöglichen uns, genügend Mittel zu erarbeiten, um unsere Infrastruktur zu erhalten, zu pflegen und immer wieder durch Neuheiten zu ergänzen. Die Einführung des Wintertourismus war eine eigentliche Revolution: Vor 1865 war Davos bloss seit wenigen Jahren eine sehr bescheidene Sommerdestination gewesen. Nie waren Gäste im Winter in die Davoser Berge gekommen. Seither haben Davos und der Wintertourismus zwar manche weitere Revolution gesehen, wie etwa den ersten Bügelskilift der Welt am Bolgenhang 1934, die Davoser Erfolgsgeschichte baute und baut aber vor allem auf Evolution. Also auf stetige Entwicklung des Bestehenden.

Unsere Hoteliers und Gastronomen, die Bergbahnen und das Gewerbe, die vielen Veranstalter und die Sportschulen schafften es von Jahr zu Jahr, das Bekannte mit Neuem zu ergänzen. Dabei paart sich einheimische Erfahrung seit je auch immer mit Ideen von aussen. Davos ist eben nicht gleich Davos – Davos erfindet sich jede Saison neu: kombiniert Bekanntes mit Premieren, Braves mit Verrücktem, Luxuriöses mit Einfachem, den rasenden Puls der grossen weiten Welt mit der Langsamkeit unseres Bergtals. Davos braucht den Willen, die Fähigkeit und die Risikobereitschaft, den Ort, seine Unternehmen, seine Gastfreundschaft und auch seine innere Einstellung Jahr für Jahr so weiterzuentwickeln, dass sich Stammgäste in «ihrem Davos» zu Hause fühlen – und sich dennoch jedes Jahr von Neuem überraschen zu lassen. Dieser Wille, diese Fähigkeit und diese Risikobereitschaft haben den Erfolg der letzten 150 Jahre erst möglich gemacht. Sie dürfen uns nicht abhanden kommen. Denn Davos ist nicht gleich Davos – Davos muss sich jede Saison neu erfinden. Auch in Zukunft. Reto Branschi CEO Davos Destinations-Organisation

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Das Alte Davos · Franco Item

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Blick nach Süden: Davos Platz vor Mitte des 19. Jahrhunderts. Auffallend ist der schlanke (Wohn-)Turm links unten. Wann und warum der Turm gebaut wurde, ist ein Rätsel. Und er wurde nie abgerissen. Er steht noch heute als Teil des Hauses Casa Ghidoni an der Kreuzung Mattastrasse/Talstrasse.


Das Alte Davos 路 Franco Item

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Blick nach Norden: Davos Anfang der 1860er-Jahre. Es ist eines der 盲ltesten Fotos von Davos Platz.


Das Alte Davos · Franco Item

50 Kuriositäten

Kuriositäten

Die Blüemlisalp, die Totalp – und das Sennentuntschi

Die Totalp-Sage von Davos

Die damals von der grossen Kälte betroffenen Bergbauern konnten

In Davos gibt es eine Alp, die Totalp heisst, oben auf Parsenn,

sich nicht erklären, warum die Gletscher wuchsen und ihre Weiden

hinten am Weissfluhjoch. Und die Sage dazu kennt in Davos je-

und Höfe zerstörten.

des Kind: «Das karge Gebiet der heutigen Totalp war vor Zeiten mit fruchtbaren Weideflächen bedeckt und von würzigem Kräu-

Die Bergbauern waren überzeugt, dass Gott sie strafen wolle, weil sie

terduft durchzogen. Kein Wunder, dass sich dort im Hochsommer

sich – oder ihre Mitmenschen – versündigt hatten. Von solch sünd-

die Herden prächtig nährten und fröhliches Schellengebimmel zu

haftem Treiben berichten im ganzen Alpenraum drei Arten von Sagen:

vernehmen war.

Die Blüemlisalp-Sagen erzählen von sündhaften – verschwenderisch

In diesen vergangenen, ergiebigen Zeiten versah einst eine zierli-

lebenden – Sennen und deren Frauen, die von Gott bestraft wurden,

che, aber tüchtige und zuverlässige Sennerin die Alp. Die Schöne

indem er ihre Alpen vergletschern liess. Und so Haus und Hof zerstörte.

hatte es zwei Burschen aus dem nahen Klosters angetan. Sie gefiel ihnen ausgezeichnet. Die jungen Bauern hätten sie beide gern zum

Die Sennentuntschi-/Sennpoppa-Sagen erzählen von einsamen Sennen,

Traualtar geführt und auf ihren begüterten Höfen willkommen ge-

die sich eine Puppe erschufen, mit denen sie ins Bett stiegen. Zur Strafe

heissen. Da es aber noch nicht ausgemacht war, welcher von den

liess Gott ihre Alpweiden vergletschern.

zwei Bewerbern die Sennerin bekommen sollte, hatten beide ein Auge auf sie. Jeder versuchte, sich von der besten Seite zu zeigen.

Die Totalp-Sagen erzählen ebenfalls von sündigen Sennen und Sen-

An Sonntagen suchten sie die Umworbene im besten Kleid auf,

nerinnen. Am Schluss der Sage verflucht die Sennerin die Alp. Dabei

grüssten höflich und schätzten sich glücklich, wenn sie mit ihr ins

kann die Sennerin eine fleissige, gute Frau sein – aber auch eine, die

Gespräch kamen. Einer versuchte, den andern zu übertreffen, auch

gerne zum Tanz geht und das Melken vernachlässigt.

wenn es darum ging, die Sennerin mit Geschenken wohlgesinnt zu stimmen. Diese reagierte zwar nicht gerade abweisend, aber doch eher zurückhaltend, vielleicht schon deshalb, weil sich ihr Herz nicht so schnell für den einen oder andern entscheiden konnte. Obwohl sie hoffnungsvoll in dieses hineinhorchte, verfolgte sie den Lauf

Fakten auf einen Blick Serpentinit auf der Totalp Der eigentliche Grund, warum auf der Davoser Totalp kaum Gras wächst, ist Serpentinit (Gestein) und nicht eine Vergletscherung. Doch früher konnten sich die Bauern den kargen Wuchs nicht erklären, so-

der Dinge mit gemischten Gefühlen. Die zwei Ledigen aber wurden mit der Zeit ungeduldig und drängten auf eine Entscheidung. Sie benahmen sich immer ungehaltener, neckten die Begehrte stets dreister, wurden zudringlich und frech, bis es der Sennerin nicht mehr behagte.

dass die Totalp-Sage als mögliche Erklärung diente. (Siehe Seite 291 «Die Geologie von Davos».)

Sie erzürnte und verliess schliesslich die Alp, tat gar noch einen geheimen Spruch – und seither will nichts mehr auf jenem Alpboden gedeihen. Die schönen Weideflächen bildeten sich zurück und verkümmerten. Die würzigen Kräuter verloren ihren Saft und gingen ein. Daher kommt der Name Totalp.»60

60

Vgl. Albert Hauser, Was für ein Leben, Schweizer Alltag vom 15. bis 18. Jahrhundert, Verlag NZZ, 3. Auflage 1990, Seite 91.


Zweite Epoche: Der Kurort 51


Der Kurort · Franco Item

Kurortskrimi: Spengler hatte doch recht – das Davoser Klima heilt tatsächlich 52

Totgesagte leben länger. Das gilt neuerdings auch für den Arzt Alexander Spengler. Genauer gesagt für seine Heilmethoden zur Behandlung der Tuberkulose. Denn 2006 gelang dem amerikanischen Immunologen Michael A. Zasloff 61 eine bahnbrechende Entdeckung: nämlich der Nachweis eines körpereigenen Mechanismus, der mittels Sonnenlicht eine bakterien-abtötende Wirkung auf die Tuberkulose62 hat. Muss die Kurortsgeschichte von Davos neu geschrieben werden? Sicher ist: Was Spengler vor 150 Jahren schon propagierte, ist nun erstmals wissenschaftlich untermauert: Das Davoser Klima heilt tatsächlich. Um berühmte Menschen ranken sich Legenden. So auch um den Arzt Alexander Spengler. Ihn verschlug es 1853 als junger Arzt nach Davos. Damals war Davos ein verarmtes Hochtal: Nach Jahrzehnten des Hungers und der Hoffnungslosigkeit blieb für die meisten Davoser nur die Auswanderung. Und auch der junge Arzt Spengler wäre am liebsten gleich weitergezogen, so trostlos empfand er sein Dasein inmitten der Davoser Berge.

Zur Kur in den Kuhstall Noch im Jahre 1858 schickte Alexander Spengler seinen tuberkulosekranken Freund Christian Gottlieb Forchhammer – Pfarrer der beiden Gemeinden Frauenkirch und Glaris – zuerst in den Kuhstall zur Kur. Und als diese Ammoniak-geschwängerte Güllenluft63 im Stall nicht half, da schickte Spengler den stark schwindsüchtigen Forchhammer kurzerhand ins Unterland.64 Weg von Davos. Weg vom Höhenklima, das Spengler damals noch für schädlich hielt. Es ist eine Tatsache, dass Spengler auch nach fünf Jahren als Landschaftsarzt in Davos noch nicht auf das Höhenklima setzte. Stattdessen vertraute Spengler auf die in der Volksmedizin vermutete Heilwirkung ammoniakalischen (Güllen-)Gase65 im Kuhstall, wie unter anderem Prof. Dr. med. Beat

Kuriositäten Kuhstall-Kuren: In der sauerstoffarmen Luft lag das Geheimnis Was war der Grund, dass die Volksmedizin die Kuhstall-Kuren als besonders heilsam bei Tuberkulose betrachtete? War es tatsäch-

Doch dann wurde Spengler zum Pionier des Kurortes Davos. Einem Ort, der Tuberkulose alleine durch sein Höhenklima heilen konnte. Wie war das möglich? Wie konnte das verarmte Hochtal innert weniger Jahre zum weltberühmten Kurort werden? Sicher ist: Diese Geschichte ist kompliziert, fast geheimnisvoll – und in jedem Fall spannend wie ein Krimi. Das fängt damit an, dass selbst Alexander Spengler einen solchen Aufstieg vom einsamen Hochtal zum weltberühmten Kurort nicht für möglich gehalten hatte. Ja, nicht einmal daran dachte, wie die Quellen aus den 1850er-Jahren beweisen.

lich – nur – die ammoniakhaltige Luft? Ein 200-jähriges Dokument der Schweizerischen Naturforschenden Gesellschaft aus dem Jahre 1819 gibt Auskunft: Darin begründet ein Johann Heinrich Oberteuffer aus «Wattweil» die Wirkungen der Kuhstallkur bei der Behandlung der Lungenschwindsucht wie folgt: «Die Heilkräfte der Kuhstall-Atmosphäre glaubt der Verfasser in dem sehr verminderten Gehalt von Sauerstoff der ausgeathmeten Luft der Kühe, und den derselben beigemischten balsamischen Theilen zu finden.»66 Dies ist insofern ein interessanter Hinweis, als das Höhenklima ebenfalls weniger Sauerstoff enthält und in der modernen Medizin als gesundheitsfördernd gilt. Siehe dazu den Artikel «Dünne Luft als Medizin»67 in der Österreichischen Ärztezeitung.


Der Kurort · Franco Item

Rüttimann in seinem Artikel in der Davoser Revue zum 100. Todestag von Alexander Spengler schreibt. Auch ist die Kuhstall-Episode durch den damals noch jungen – und später sehr bekannten – Geistlichen Elias Schrenk68 in einem Brief schriftlich bezeugt: «Forchhammer war schwer lungenkrank, und ich musste eine Zeitlang mit ihm zur Kur im Kuhstall schlafen, war aber sehr froh, als diese Atmosphäre mit der Zimmerluft vertauscht wurde.» Der junge Geistliche Schrenk eilte damals dem tuberkulosekranken Forchhammer zu Hilfe: Von Basel bis nach Davos Glaris. Die letzte Reise-Etappe war ein Fussmarsch von Chur durch den hohen Schnee nach Davos.69 Oder um diese Episode in den Worten des späteren Davoser Pfarrers Hauri in den 1870er-Jahren zu schildern: «Dr. Spengler stand anfänglich durchaus im Banne des Vorurteils, dass Schwindsüchtige nur in einem milden Klima ihr Leben fristen können. So riet er zum Beispiel einem schwindsüchtigen Geistlichen, sich eine andere Stellung in milderem Klima zu suchen.»

61 62

Student in Heidelberg – Freunde aus den Bündner Bergen Zuerst wollte Spengler nicht Arzt werden. Stattdessen studierte er ab 1846 in Heidelberg an der juristischen Fakultät der damals schon bekannten Universität. Dort wurden drei Studenten, die aus dem fernen Graubünden stammten, seine Freunde: Caspar Latour aus Brigels, Gaudenz von Salis-Seewis und der Aroser Hans Hold. Diese drei Freunde sollten für Spengler eine entscheidende Rolle spielen. Doch zuerst kam die Revolution in seinem Heimatland, dem Grossherzogtum Baden.

Ein junger Revolutionär, der alles verlor Ab diesem Moment liest sich das Leben des jungen Alexander Spengler wie das Drehbuch eines spannenden Spielfilms: Am Anfang sieht man den erst 22-jährigen Spengler im Juni 1849 in der Schlacht bei Waghäusel, wie er als junger Leutnant in der Armee der Revolutionäre gegen die deutsch-preussische Invasionsarmee kämpft – und verliert. Im letzten Moment gelingt Spengler die Flucht. Zusammen mit rund 10 000 flüchtigen Revolutionären aus

http://en.wikipedia.org/wiki/Michael_Zasloff Vgl. http://www.medizinmuseum-davos.ch/aktuelles/Leitfaden.pdf, «Wege und Irrwege im Kampf gegen die Tuberkulose», Gesponsert von der Zürcher Höhenklinik Davos, Seite 7.

63

Vgl. Davoser Revue, 76. Jahrgang Nr. 1, März 2001, Professor Dr. Beat Rüttimann, Dr. Alexander Spengler als Kurarzt, Seite 29 f.

64

Jules Ferdmann, Der Aufstieg von Davos, Verlag Genossenschaft Davoser Revue, 2. Auflage 1990, Seite 34.

65

Davoser Revue, 76. Jahrgang Nr. 1, März 2001, Professor Dr. Beat Rüttimann, Dr. Alexander Spengler als Kurarzt, Seite 30.

66

Verhandlungen der Schweizerischen Naturforschenden Gesellschaft, Bände 7 – 12, Seite 29 ff.

67

Österreichische Ärztezeitung, Dünne Luft als Medizin, http://www.hypoxia.at/IHT/start.html

68

http://de.wikipedia.org/wiki/Elias_Schrenk

69

Jules Ferdmann, Der Aufstieg von Davos, Verlag Genossenschaft Davoser Revue, 2. Auflage 1990, Seite 34.

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Der Kurort · Franco Item

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Süddeutschland rettet sich Spengler am 11. Juli in die Schweiz. Ende Juli 1849 ist die badische Revolution endgültig gescheitert. Für Spengler beginnt in der Schweiz ein neuer Lebensabschnitt: Er fängt ein dreijähriges Medizinstudium in Zürich an. Und gleichzeitig beginnt sein Kampf gegen die drohende Ausweisung ans Badische Grossherzogtum. Dort wurde er als Deserteur zu einer mehrjährigen Haftstrafe verurteilt. Und wie steht es mit dem Todesurteil, das angeblich über Alexander Spengler in Baden verhängt worden war? Christian Schmid, langjähriger Chefredaktor der Davoser Revue, vermutet dahinter bloss eine heroisierende Legende.70 Denn Schmid konnte trotz akribischer Recherche kein einziges Dokument finden, das auf ein Todesurteil hinweist.

Asylant und «Sans Papier» Gesichert ist aber die drohende Zwangsausweisung und die Schikanierung des Asylanten Spengler, der keine Papiere hatte – ein «Sans Papier» war: Anfang 1851 wurde Spengler vom Bundesrat in Bern ultimativ aufgefordert, die Schweiz zu verlassen und nach Amerika auszuwandern.71 In höchster Not reiste Spengler nach Chur zu seinen Bündner Studenten-Freunden – Latour, Salis-Seewis und Hold – aus der Heidelberger Zeit. Spengler bat mithilfe seiner Freunde bei der Bündner Regierung um Asyl. Dies wurde ihm am 13. Mai 1851 gewährt.

Der Arzt ohne Doktortitel Nach monatelangen Drohungen und Schikanen aus Bern und Zürich konnte Spengler sein angefangenes Medizinstudium in Zürich weiterführen – und nach sechs Semestern beenden. Allerdings ohne Abschluss und ohne akademische Würden. Denn nicht die Universität führte die Abschlussprüfungen durch, sondern die Kantone prüften die Kandidaten der Medizin. Und nur sie entschieden, wer Arzt werden durfte. Und eine Dissertation – also eine Doktorarbeit – kam für einen heimat- und schriftenlosen Asylanten ohne Geld wie Spengler nicht infrage!72 Dass Alexander Spengler irgendwann mit «Dr. Spengler» angesprochen wurde, hat nur mit der Umgangssprache der Einheimischen zu tun, die statt Arzt halt einfach «Doktor» sagten. Dann hatten wieder Spenglers alte Studienfreunde im Hintergrund gewirkt: Sie überzeugten Spengler, die in Davos seit fünf Jahren unbesetzte Stelle als Landschaftsarzt zu übernehmen. Unbesetzt darum, weil die Davoser Obrigkeit seit Jahren keinen Mediziner finden konnte, der freiwillig ins abgelegene Hochtal ziehen wollte. Abgelegen nur schon deshalb, weil es schlicht keine Strasse gab! So kam den Davosern der Asylant Spengler gerade recht. Ja, Spengler wurde in einem Aktenstück sogar «als schätzenswerte Acquisition für hiesigen Kanton»73 bezeichnet.

70

Vgl. Davoser Revue, 76. Jahrgang Nr. 1, März 2001, Christian Schmid, Der junge Alexander Spengler, Seite 20.

71

Vgl. Jules Ferdmann, Der Aufstieg von Davos, Verlag Genossenschaft Davoser Revue, 2. Auflage 1990, Seite 13.

72

Davoser Revue, 76. Jahrgang Nr. 1, März 2001, Professor Dr. Beat Rüttimann, Dr. Alexander Spengler als Kurarzt, Seite 29.

73

Davoser Revue, 76. Jahrgang Nr. 1, März 2001, Christian Schmid, Der junge Alexander Spengler, Seite 26.


Alexander Spengler, 1827 – 1901, Arzt und Pionier des Kurorts Davos. Er kam als Asylant 1853 nach Davos und glaubte anfangs nicht, dass das HÜhenklima die Tuberkulose (TB) heilen kann. 1865 kamen die ersten TB-Patienten und wurden geheilt.

55


Der Kurort · Franco Item

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Harte Arbeit in kalten Wintern: Die «Eisernte» auf dem Davosersee. Ende des 19. Jahrhunderts wurden pro Winter bis zu 1000 Zugswagen mit Eisklötzen aus dem Davosersee ins Unterland verfrachtet. Manchmal bis nach Frankreich in die grossen Städte. Das Eis wurde zur Kühlung genutzt – damals, als es noch keine Kühlschränke gab.


Dritte Epoche: Der Sportort 95


Der Sportort · Franco Item

Nach dem grossen Krieg kamen die Skikanonen 96

Der Grosse Krieg war vorbei. Seit 1918 schwiegen die Waffen. Doch die Welt war nicht mehr die gleiche wie vor dem Grossen Kriege, der später Erster Weltkrieg hiess. Im Sanatorium Schatzalp gab’s weiterhin das sogenannte Kaiserzimmer für den Deutschen Kaiser Wilhelm II. Er wurde nach dem Krieg abgesetzt – ins Exil geschickt – und hatte die Schatzalp nie gesehen. Dafür kamen immer mehr Skifahrer nach Davos – auch dank der Parsennbahn. Und auf der Eisbahn wurde der HC Davos berühmt. Wer glaubte, in Davos würde das Kurleben erneut aufblühen, wie vor dem Ersten Weltkrieg, der wurde enttäuscht. Die Mehrzahl der Kurgäste kam einst aus Deutschland, doch die meisten Deutschen hatten nach dem verlorenen Krieg andere Sorgen, als das Kuren im mondänen Davos. Die einst grösste Kolonie in Davos erholte sich nur langsam – so langsam, wie das gesamte Deutschland, das wenige Jahre zuvor so siegessicher und mit allergrösster Begeisterung in den Krieg gezogen war. Nun war alles weg: der Kaiser, der Stolz, der Reichtum. Und Hunderttausende junge deutsche Männer blieben auf den Schlachtfeldern zurück: erschossen, verstümmelt, vergast. Wer wollte da noch von Tuberkulose reden? Im Jahre 1912 lebten in Davos 11 151152 Deutsche. Drei Jahre nach dem Ersten Weltkrieg, 1921, waren es 1945 – also beinahe sechs Mal weniger als vor dem Krieg. Und

152

im nächsten und übernächsten Jahr nahmen die Gästezahlen aus Deutschland weiter ab. Wegen der Hyperinflation. Aber nicht nur die Deutschen fehlten nach dem Ersten Weltkrieg in Davos, sondern auch die Russen: Die Russen waren mit 3422153 in Davos wohnhaften Kurgästen und deren Familienmitgliedern die zweitgrösste Kolonie vor dem Krieg – das war 1912. Nach der Oktoberrevolution 1917 kamen die Kurgäste aus Russland nie mehr nach Davos zurück. 1921 lebten in Davos nur noch 279154 Russinnen und Russen – das waren zwölf Mal weniger als vor dem Krieg und vor der russischen Revolution 1917. Die Russen waren mit ihrem üppigen Kulturleben in Davos besonders beliebt. Und fast unglaublich mutet die Tatsache an, dass viele alte Davoser Bäuerinnen und Bauern fliessend russisch sprachen. Denn viele alte Davoser lebten einst als Zuckerbäcker im Zarenreich. So ist es durchaus denkbar, dass auch die Frau des Kurortsgründers Alexander Spengler etwas Russisch sprach. War sie doch die Tochter des berühmten Zuckerbäckers Andreas Ambühl, der noch in den 1830er-Jahren in St. Petersburg gelebt hatte. Überhaupt scheint es enge Kontakte zwischen Davosern und Russen gegeben zu haben. Es ist gut vorstellbar, dass Davoser Kinder bei russischen Familien in Davos ein und aus gingen, mit deren Kindern spielten.

Urs Gredig, Gastfeindschaft. Der Kurort Davos zwischen nationalsozialistischer Bedrohung und lokalem Widerstand 1933 – 1948. Zürich, 2002, Seite 21.

153

Petra Bischof, Russen in Davos – Die russische Kolonie von 1900 – 1918, Davos Profil eines Phänomens 1997, Seite 47.

154

Yvonne Schmid, Davos, ein Geschichte für sich, Verlag Desertina 2012, Seite 140.

155

Vgl. http://de.wikipedia.org/wiki/Goldene_Zwanziger


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Und am Sonntag mit ihren russischen Freunden deren Gottesdienst besuchten. Bei denen die Davoser Kinder von den uralten russisch-orthodoxen Kirchengesängen und den weissbärtigen Priestern beeindruckt waren, wie eine alte Davoserin Anfang der 1990er-Jahre im Café Schneider erzählte.

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Wann würde das ehemals blühende Davoser Kurleben und die stolze Hotellerie wieder zu altem Glanz zurückfinden? Gleich nach dem Ersten Weltkrieg? Oder erst zehn Jahre später? Eines war gewiss: Die Lage war nach dem Ersten Weltkrieg unüberblickbar geworden. Die alte Ordnung hatte sich für immer aufgelöst. Alles wurde unberechenbarer.

Hyperinflation in Deutschland Als Andreas Gredig III. 1923 das «Flüela» als Hotelier übernahm und es als Direktor leitete, trat er ein schweres Erbe an: Die letzten guten Zeiten hatte das Hotel vor ziemlich genau zehn Jahren erlebt. Dann kam der Krieg und die Krise.

Bereits ums Jahr 1895 warb Davos mit einem SkifahrerPlakat. Das war zu einer Zeit, als das Skifahren noch lange kein Volkssport war. Dieses Plakat ist vielleicht das aller-

Ob Andreas Gredig damals ahnte, dass auf ihn sehr harte Jahre als Hotelier warteten? Was Andreas Gredig III. ganz sicher nicht übersehen konnte, war die Hyperinflation in Deutschland. 1914 bekam man für 1 Dollar noch 4,20 Mark.155 Anschliessend verlor die deutsche Währung im Ersten Weltkrieg Jahr für Jahr an Wert. Doch im Herbst 1922 kam die Währungs-Katastrophe: Die Mark verlor plötzlich sprunghaft an Wert. Tag für Tag. Im Frühling 1923 kostete 1 Dollar 4,2 Billionen Mark. Der Spuk hatte im Herbst 1923 ein Ende – dank der Einführung der Rentenmark. Das bedeutete für die Hotels in Davos nur Eines: Viele deutsche Gäste blieben weg. Sie konnten sich das Reisen und einen Aufenthalt in einem Hotel nicht

erste, das in der Schweiz mit einem Skifahrer als Sujet warb.

mehr leisten. Die Anzahl deutscher Hotelgäste fiel in Davos wieder auf einen Tiefststand – fast so, wie während des Ersten Weltkrieges.

Die Goldenen Zwanziger: Tanzen und Skifahren auf Pump Kaum war die Hyperinflation in Deutschland im November 1923 dank der Rentenmark besiegt, ging es mit Deutschland wieder aufwärts. Wenn auch nur für kurze Zeit. Dieses kurze und sehr intensive Aufblühen der Wirtschaft, der Kultur aber auch des


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Sports wurde später als die Goldenen Zwanzigerjahre bezeichnet. Würde die Davoser Wirtschaft davon auch profitieren? Die Goldenen Zwanzigerjahre – auch Goldene Zwanziger oder «Roaring Twenties» – meint eine Zeit, die unmittelbar an die Weltwirtschaftskrise der 1930er-Jahre grenzt. Wenn man heute von den Goldenen Zwanzigerjahren spricht, erinnern alte Fotos, Filme und Schallplatten an Frauen mit Kurzhaarfrisur und langen dünnen Zigaretten und an eine Zeit, in der wie wild Charleston getanzt wurde. Die Goldenen Zwanziger waren eine glückliche Zeit. In Amerika und Westeuropa gönnten sich die Menschen nach Jahren der Entbehrung neue Kleider, Kinobesuche – sogar wieder Ferien. Auch die Deutschen fuhren wieder zum Skifahren nach Davos. Bloss: Der ganze wirtschaftliche Aufschwung hatte einen gigantischen Schönheitsfehler: Immer mehr Menschen lebten auf Kredit – waren hoch veschuldet: das Tanzen, die Theaterbesuche, die Skiferien – alles auf Pump. Überspitzt gesagt: Die Goldenden Zwanzigerjahre in Europa wurden durch kurzfristige Kredite finanziert. Und genau aus diesem Grund müssen alle Davoser Gäste- und Übernachtungs-Statistiken aus den 1920er- Jahren mit grosser Vorsicht interpretiert werden. Auch wenn Davos Mitte der 1920er-Jahre markant mehr Gäste- und auch Übernachtungszahlen hatte als direkt nach dem Ersten Weltkrieg, konnte dieser wirtschaftliche Aufschwung nicht nachhaltig sein.

Deutschland war beispielsweise durch die Schulden aus dem Ersten Weltkrieg – und die Reparationszahlungen – auf Kredite aus den USA angewiesen.156 In den USA wiederum hatten sich die privaten Haushalte im Jahre 1919 mit insgesamt 100 Millionen Dollar verschuldet, um damit Konsumgüter zu kaufen. Zehn Jahre später – 1929 – war dieser Betrag auf 7 Milliarden Dollar gestiegen.157 Eine ganze Nation war hoch verschuldet.

Milchmädchen-Hausse Ein Vorbote, dass dieser vergnügliche Tanz auf Pump nicht ewig dauern würde, war die schier unglaubliche Tatsache, dass immer mehr Menschen Barkredite aufnahmen, um Aktien zu kaufen. Alle in der festen Überzeugung, dass die dramatischen Kursgewinne an der Börse auf alle Ewigkeit anhalten würden. Und diese Börsengewinne letztlich alle Kreditschulden tilgen würden. Am Schluss erfasste das Börsenfieber sämtliche Gesellschaftsschichten, was Historiker später als Milchmädchen-Hausse bezeichneten und heute ein Fachbegriff in der Börsensprache geworden ist. Ein Fachbegriff, der die allerletzte Phase eines langjährigen Börsenhochs bezeichnet, bevor die Kurse zusammenbrechen.158 Die Goldenen Zwanzigerjahre erscheinen im Nachhinein betrachtet wie ein kurzes Aufblühen zwischen den beiden grössten Kriegen, welche die Welt je gesehen hatte. Eine Verschnaufpause sozusagen.

156

Vgl. http://de.wikipedia.org/wiki/Deutsche_Reparationen_nach_dem_Ersten_Weltkrieg

157

Vgl. http://de.wikipedia.org/wiki/Weltwirtschaftskrise

158

Vgl. http://www.boersen-lexikon.com/index.php?aid=210


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Der Hockey Club Davos war bereits zehn Jahre nach seiner Gründung weltberühmt. Nicht zuletzt wegen des Spengler Cups, an dem schon damals die besten Clubmannschaften Europas und aus Übersee teilnahmen. Der legendäre «Ni-Sturm» in seiner Glanzzeit – ausgerechnet während der politischen und wirtschaftlichen Krisenzeiten von 1936 bis 1946. Von links: Bibi Torriani, Hans Cattini und Pic Cattini.


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Ein vergnügliches Innehalten vor der nächsten Katastrophe. Und die nächste Katastrophe stand 1925 unmittelbar bevor. Sie stand quasi schon vor dem Hoteleingang. Damals, als sich die Davoser Hoteliers erstmals seit zwölf Jahren über eine grosse Gästezahl freuen durften.

Spengler Cup: Sport zur Völkerverständigung Als der Spengler Cup im Jahre 1923 erstmals ausgetragen wurde, hatte dies indirekt mit dem Ersten Weltkrieg zu tun: Das Turnier sollte der Völkerverständigung dienen. Vor allem zwischen den ehemaligen Kriegsfeinden wie den Deutschen und den Franzosen, die nun wieder in Davos zur Kur kamen. Der Initiator des Spengler Cups war der Davoser Zahnarzt Dr. Paul Müller (siehe Seite 286 «HC Davos: Die Tradition, sich neu zu erfinden»). Bei der ersten Austragung des Spengler Cups war der internationale Eissport in Davos seit 30 Jahren eine grosse Attraktion. Während der HC Davos 1921 gegründet wurde – ebenfalls von Dr. Paul Müller.

Die Davoser Hochschulkurse und Albert Einstein Was hat Albert Einstein mit Davos zu tun? Wie die Gründung des Spengler Cups hat auch Albert Einstein mit dem Geist der Völkerverständigung zu tun, der damals durch Davos wehte und zu grossen Visionen anregte. Eine solche Vision war die Gründung einer internationalen Universität im Hochgebirge von Davos, für Studenten, die an Tuberkulose litten.

Zur Gründung einer ganzen Universität kam es in Davos nicht. Aber 1928 wurden die Davoser Hochschulkurse ins Leben gerufen: Rund 50 Dozenten hielten während vier Wochen in Davos Vorlesungen für über 800 Studenten und Gasthörer. Der Eröffnungsredner war der Nobelpreisträger Albert Einstein (siehe Seite 109 «Davoser Hochschulkurse: Das Ende eines Traums»).

Das Parsenn Derby – das erste grosse Skirennen der Schweiz Als sich 1924 eine Gruppe von Skiverrückten auf der Parsenn-Furka traf, um am ersten Abfahrtsrennen von Parsenn nach Küblis teilzunehmen, war dies ein neuer Höhepunkt des damals noch jungen Skisports. Beim ersten Parsenn Derby lag der Anfang des Skisports in Davos schon mehrere Jahrzehnte zurück (siehe Seite 139 «Davos und die Engländer»). So warb Davos bereits vor der Jahrhundertwende erstmals mit einem Skifahrer auf einem Plakat. Einem Skifahrer mit einem Superman-ähnlichen Umhang. So ein Outfit verlieh den Skifahrern einen abenteuerlichen Anstrich. Der Skifahrer als moderner Held und Abenteurer. Ähnlich, wie sich heute die Freerider präsentieren (siehe Seite 97). Das Parsenn-Skigebiet wurde ab 1900 immer mehr zum Mekka des neuen Sports – und mit dem Parsenn Derby wurde das Skigebiet Parsenn noch bekannter. Lange Zeit galt das Parsenn Derby als eines der grössten Skirennen der Welt. Die Derby-Sieger waren bis in die 1960er-Jahre vergleichbar mit den Siegern des Lauberhorn-Rennens oder des Abfahrtsrennens in Kitzbühel.


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Auch wenn 1924 das Parsenn Derby als grosses internationales Abfahrtsrennen ins Leben gerufen wurde, war das Skifahren noch immer kein Volkssport. Die meisten Davoser besassen keine eigenen Skis. Was viele Davoser gut kannten, war das Schlitteln. So hatten die Bergbauern schon immer grosse Hornschlitten, um damit das Heu von abgelegenen Alpställen ins Tal zu befÜrdern oder um geschlagenes Holz aus dem Wald zum Hof zu transportieren.


Davos – the Pioneer of Winter Sports

Skikanonen, Hockeyhelden, Sportpioniere 272 Franco Item schreibt und filmt. Früher war er Zuckerbäcker und Skilehrer.

Wer an Davos denkt, denkt an Sport. An Del Curto und Cologna. Was heute oft vergessen wird: In Davos lebten schon immer weltberühmte Sportpioniere, wie Snowboarderin Daniela Meuli. Wie einst Bergsteiger Ernst Reiss. Und: Davos gilt nach 150 Jahren Schlitteln, Eislauf , Ski und Hockey zu Recht als Pionier des Wintersports. Haben Sie sich auch schon gefragt, woher der Spengler Cup seinen Namen hat? Richtig: Da gab’s doch einst den Gründer des modernen Davos, den Arzt Alexander Spengler. Den Kurortsgründer, um genau zu sein. Und genau diesem Spengler könnte man auch den Anfang von Davos als Wintersportort zuschreiben. Nicht etwa, weil Alexander Spengler ein Hockeyspieler gewesen wäre, sondern weil ausgerechnet Spengler die ersten Ski in Davos besass. Dies war im Jahre 1873.281 Viele Jahre später – ziemlich genau ein halbes Jahrhundert war vergangen – half Alexander Spenglers Sohn, Carl Spengler, den Spengler Cup ins Leben zu rufen. Als Hockeyturnier im Dienste der Völkerverständigung. Denn damals im Jahre 1922 steckte ganz Europa noch immer im Trauma des Ersten Weltkriegs, der 1918 geendet hatte, aber eine grosse Wirtschaftskrise in Deutschland nach sich zog (siehe Seite 107).

1934: Werbeplakat für den Bolgenskilift und die Skischule.

Wer die Geschichte von Davos als Sportort erzählen will, muss Heldengeschichten erzählen. Denn genau das ist die Faszination des Sports: das Schicksal ungewöhnlicher Menschen, die für ihren Sport Kopf und Kragen riskieren. Und letztlich alles gewinnen. Oder alles verlieren. Das ist auch das Schicksal der Pioniere. So wusste Lieni Fopp 1934 nicht, ob sein Bolgenlift Erfolg haben würde. Einheimische nannten den ersten Bügellift der Welt spöttisch: Leichenschleppzug …!

281

Max Triet, Davos als Zentrum des Sports, Davos Profil eines Phänomens, zweite Auflage 1997, Seite 64.

282

Jules Ferdmann, Der Aufstieg von Davos, Verlag Genossenschaft Davoser Revue, 2. Auflage 1990, Seite 16.


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Schlitteln – der Sport der Einheimischen Schon bevor die ersten Kurgäste Davos im Winter besuchten, kannten die Einheimischen das Schlitteln – das «Göglen», wie sie sagten. Doch erst die englischen Gäste entwickelten das Schlitteln in Davos weiter zum Wettkampfsport, und so wurde Davos letztlich zur Urheimat des Bobsports.

273 Fakten auf einen Blick Schlitten und Bob: verschiedene Konstruktionen 1870

In den 1870er-Jahren baute der Davoser Tobias Branger einen Schlitten aus einem Eschenholzgestell mit Eisenbeschlägen zur Stabilisation. Die Kufen waren angeschraubte

Schon Anfang der 1870er-Jahre wurde wacker geschlittelt in Davos, wie die Fliegenden Blätter 1873 schreiben. Damals begannen die ersten Engländer damit, Davos für sich zu entdecken. 1879 legte der Kurverein die erste Schlittelbahn an – zur Freude der immer zahlreicher werdenden Wintergäste.

Stahlschienen. Branger liess ihn als «Brangers Davoser Sportschlitten» patentieren. 1888

Bisher waren die Wettkämpfer auf einem Swiss-Schlitten gefahren, der wie der Schlitten von Tobias Branger aussah – oder der gleiche war. Nun kam der Amerikaner L.P. Child mit einem Schlitten, der in den USA Clipper Sled genannt wurde. Die Davoser sagten diesem Modell einfach «Amerikaner». Der Amerikaner-Schlitten hatte hölzerne Seiten

Im Winter 1881/82 veranstaltete der Engländer W. Hornblower das erste Schlittelrennen in der Schweiz. Es führte auf der Poststrasse von Davos nach Klosters. Die Idee fand grossen Anklang. Und ein Jahr später fand auf der gleichen Strecke das erste internationale Schlittelrennen statt.282 Organisiert wurde das Rennen vom Davos Tobbogan Club, dem Schlittelclub, der von Briten in Davos gegründet wurde. Der erste Präsident war John Addington Symonds. Er war auch Chef des Organisationskomitees, und er hatte sich damit sehr viel Arbeit aufgeladen, wie folgende Zeilen von Symonds zeigen: «Ich bin froh, wenn dieses Rennen und alles, was dazu gehört, vorbei ist. Donnerstag kam ich nicht nach Hause bis sieben Uhr, nachdem ich morgens um 9 Uhr weggegangen war und all die Zeit über nicht aufgehört hatte zu reden; dann hatte ich bis Mitternacht die Leute zu unterhalten. Solch ein Tag! Als Präsident des Clubs (…) fällt alles mir zur Last, und ich bin verantwortlich für alles, was schief geht.» Was Symonds sichtlich eine Last war, wurde für Harald Freeman zum Vergnügen: Freeman wurde 1889 Nachfolge von Symonds als Präsident des Davos Tobbogan Clubs. Und wie Jules Ferdmann in seinem

und gefederte Kufen. Später entwickelte sich aus dem Amerikaner der Skeleton. Die hölzernen Seitenteile wurden durch Stahlgestänge ersetzt, was dem Schlitten das Aussehen eines Skeletts, engl. Skeleton, gab. 1890

begannen sich die Entwicklungen im Schlitteln zwischen Davos und St. Moritz zu trennen: In St. Moritz stand der angehende Spitzensport im Vordergrund, in Davos sollte das Schlitteln auch zukünftig als Freizeitbeschäftigung einen hohen Stellenwert behalten.

1905

Erstes Skeleton-Rennen von der Schatzalp nach Davos

1932

wurde der Skeleton- und Bobsport in Davos aufgegeben.

Buch Der Aufstieg von Davos im Jahre 1947 suffisant bemerkte, hatte Freeman «sich schliesslich mit 30 bis 40 Sportereignissen in der Saison zu befassen, statt des einen, mit dem sich J. A. Symonds plagte.» Kein Zweifel: Freeman muss ein Organisationstalent gewesen sein, dem auch mehr Zeit zur Verfügung stand als dem vielbeschäftigten Bücherschreiber Symonds. Der erste Bob fuhr in Davos. Sein Erfinder: Stephen Whitney, ein Davoser Kurgast aus New York, koppelte zwei niedrige Schlitten – wie Amerikanerschlitten –


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Plakat zur Weltmeisterschaft im Eislaufen: Eiskunstlauf und Eisschnelllauf, 1908.

Eislaufvergnügen auf der Natureisbahn Davos.


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1966 fand die letzte Weltmeisterschaft im Eiskunstlaufen in Davos statt. Damals gewann die Amerikanerin Peggy Fleming die Goldmedaille und wurde zum Weltstar. Knapp 20 Jahre später wurde die Davoserin Sandra Cariboni 1983 Schweizermeisterin im Eiskunstlauf. 1984 nahm sie an den Olympischen Spielen in Sarajewo teil und gehörte zu den zehn besten Eiskunstläuferinnen der Welt. Im gleichen Jahr gewann Sandra an der Europameisterschaft in Budapest die Silbermedaille in der Pflicht und belegte den sechsten Schlussrang. Während ihre Schwester Claudia insgesamt siebenmal Schweizermeisterin in der Pflicht wurde. Spätestens mit Sandra und Claudia Cariboni erreichte Davos den Höhepunkt als Zentrum des Eiskunstlaufs: Bis heute – also 30 Jahre später – hat nie mehr eine Eiskunstläuferin aus Davos Weltklasseniveau erreicht und an Olympischen Spielen teilgenommen.

Doch dann kam ein Eisschnellläufer nach Davos, der unzählige Weltrekorde aufstellte, alle bisherigen Stars in den Schatten stellte. Sein Name: Oscar Mathisen. Auch er ein Norweger. War Mathisen gar der beste Eischnellläufer aller Zeiten? In jedem Fall waren Mathisens Zeiten wie aus einer anderen Epoche. So lief er 1914 in Davos den Weltrekord über 1500 Meter in einer Fabelzeit von 2 Minuten 17 Sekunden – dieser Weltrekord hatte 23 Jahre Bestand! Erst 1937 wurde er von Michael Starksrud knapp unterboten; ebenfalls in Davos. Und erst 1971 gelang es, die 2 Minuten-Schallmauer zu durchbrechen. Es war Superstar Ard Schenk. Auch er kam nach Davos für diesen Weltrekord.

277

Kuriositäten «Das Weltrekord-Massaker in Medeo» So lautete der Titel eines Artikels des Magazins Der Spiegel aus dem Jahre 1955,290 der eine geheimnisvolle Eisschnelllaufbahn der Sowjetunion anprangerte. Der Hintergrund: In 1700 Metern Höhe eröffnete die Sowjetunion 1951 ihre Medeo-Piste bei Alma Ata in Kasachstan.

Das schnelle Davoser Eis Wann wurde das Eisschnelllaufen in Davos international bekannt? Spätestens im Jahre 1900: mit dem Weltrekord über 10 000 Meter von Peder Ostlund aus Norwegen. Seine Zeit: 17 Min 50 Sek. Dieser Rekord ist noch heute bemerkenswert, denn er wurde die nächsten 12 Jahre nicht mehr verbessert. Rührt daher der Mythos vom schnellen Davoser Eis?

290 291

Der in der Höhe verminderte Luftwiderstand begünstigte die Läufer ähnlich wie in Davos. Zudem vermochte der Wind nur durch eine einzige Gebirgsschlucht einzufallen: Er beflügelte die Eisschnellläufer stets als Rückenwind! Das gab’s sonst nirgends auf Welt. Auf der Medeo-Bahn wurden ab 1951 in den nächsten knapp 20 Jahren über 40 Weltrekorde aufgestellt.291 Und dies ausschliesslich von Läufern aus der Sowjetunion, wie Boris Schilkov, der den 5000-Meter-Weltrekord gleich um 21 Sekunden unterbot!292 Eisschnellläufer aus der restlichen Welt waren unerwünscht. Die Sowjetunion wollte alle Weltrekorde für sich.

Der Spiegel 6/1955, «Weltrekord-Massaker». Vgl. http://www.spiegel.de/spiegel/print/d-31969115.html Auf der Eisschnelllaufbahn Medeo wurden 64 Weltrekorde zwischen 1951 und 1951 aufgestellt; und nach dem Neubau zur Kunsteisbahn waren es 126 Weltrekorde bis ins Jahr 1987. Der letzte grosse Wettkampf fand 1987 statt. Vgl. http://de.wikipedia.org/wiki/Medeo

292

Der Spiegel 52/1973, «Welches Wasser». Vgl. http://www.spiegel.de/spiegel/print/d-41810570.htm


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War das Davoser Eis wirklich schneller als anderswo? Ja, und dies lässt sich einfach erklären: Davos liegt auf 1500 Meter Höhe. Dies garantierte den Weltklasse-Läufern einen immensen Vorteil durch den verringerten Luftwiderstand gegenüber Eisstadien, die zum Beispiel knapp über Meereshöhe liegen wie in Holland. Anfang der 1950er-Jahre gab es immer mehr Weltrekorde: Kaum ein Rekord, der nicht nach zwei bis drei Jahren pulverisiert wurde. Und auffallend viele dieser Rekorde wurden ab 1951 auf einer komplett neuen, geheimnisvollen Bahn in der Sowjetunion gelaufen. Die Bahn hiess Medeo …

Eric Heiden und Silvia Brunner Ab den 1950er-Jahren liest man den Namen Davos immer weniger in den Weltrekord-Statistiken. Der letzte Weltrekord bei den Frauen wurde 1976 von Sheila Young über 500 Meter gelaufen. Bei den Herren war es Eric Heiden am 19. Januar 1980 in einem 1500 Meter Rennen,293 dies nachdem Heiden eine Woche zuvor in Davos die Weltrekorde über 500 und 1000 Meter verbessert hatte. Anschliessend fuhr Heiden an die Olympischen Spielen in Lake Placid, wo er alle fünf Goldmedaillen gewann. 1978 lief die damals genau 20-jährige Davoserin Silvia Brunner in zwei Tagen drei Junioren-Weltrekorde in Davos. Zweimal über 500 Meter und in der Sprint Kombination. Silvia Brunner wurde 1977 und 1978 zweimal Vizeweltmeisterin über 500 Meter und war 1980 Olympia-Teilnehmerin in Lake Placid.294

Martin Hänggi: Vom Hockeyprofi zur Eis-Rakete Spengler Cup, Ende Dezember 1989: Der HC Davos spielte gegen die Tschechoslowakei. Getümmel vor dem tschechoslowakischen Torhüter. Tor! Der 20-jährige Martin Hänggi riss die Arme hoch.

Januar 1980: Eric Heiden bei seinen Weltrekord-Rennen in Davos.

In seinem ersten Spiel am Spengler Cup schoss er sein erstes Tor. Und das vor laufender Fernsehkamera! Trotz des Spengler-Cup-Tors kam Martins Hockey-Karriere nie richtig in Fahrt. Als Martin Hänggi mit 30 seine Eishockeyausrüstung für immer auszog, dachte man wohl an einen Witz, als er sich in einen Eisschnelllaufanzug quetschte. Doch Martin entpuppte sich als hochtalentierte Eis-Rakete. Oder was soll man über einen Spätzünder schreiben, der in 18 Jahren schon fast 60 (!) Schweizermeistertitel gewann und bald 50 ist?

293

http://dic.academic.ru/dic.nsf/eng_rus/726744/salt

294

Vgl. http://en.wikipedia.org/wiki/Sylvia_Brunner


279

Sandra Cariboni – die Davoser Weltklasse-Eiskunstläuferin.


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Ski und Langlauf: Passion auf zwei Brettern 280

Welcher Sport hat Davos am stärksten geprägt? Das Skifahren. Ganz nach dem Schlager: «Alles fährt Schi!» Dabei mussten die Davoser Skipioniere, Tobias und Johannes Branger, um 1889 noch heimlich üben. Aus Angst, ausgelacht zu werden. Mitte März 1895: Abenddämmerung hoch oben irgendwo auf Parsenn – zwischen Bergspitzen und Schneewechten beim Casannapass. Zwei Engländer, Mr. Steele und Mr. Danday, erreichten halb erfroren eine zugeschneite Alphütte und überdauerten darin die Nacht. Eigentlich waren sie auf dem Weg nach Arosa. Ohne Karte und Kompass – und verirrten sich. Endlich: Am nächsten Tag erblickten Steele und Danday nach vielen Stürzen ganz weit unten ihr Arosa! Aber: «Seit wann hat Arosa eine Eisenbahn?», werden sie sich gefragt haben, als sie hoch oben ins Prättigau runterblickten. Unten im vermeintlichen Arosa angekommen, löste sich das Rätsel: Mr. Steele und Danday waren in Küblis. Sie hatten die Parsennabfahrt entdeckt, die zum Mythos werden sollte. Die Parsennabfahrt bot damals ideale Voraussetzung für ein grosses Skirennen. Ein Rennen von zuoberst auf der Parsenn direkt hinunter nach Küblis. 1924 war es so weit: Das Parsenn Derby war geboren. Das Parsenn Derby zählte jahrzehntelang zu den grössten Skirennen der Welt. Ja, Weltklasse-Skirennfahrer mussten einmal im Leben das Parsenn Derby gewonnen haben, wie die Lauberhorn-Abfahrt im Berner Oberland oder das gefährlichste Abfahrtsrennen der Welt: die Streif in Kitzbühel. Solche Weltklasse-Fahrer waren der Davoser Walter Vesti und der Klosterser Jos Minsch: Beide siegten am Parsenn

295

Walter Vesti, ein grosser Skistar der 1970er-Jahre: Er gewann als bisher einziger Davoser eine Weltcup-Abfahrt.

Derby. Und: Während Vesti 1978 auf der Streif Zweiter wurde, gelang Minsch dieses Kunststück bereits 1966 am Lauberhorn (Minschkante). Zudem: Hinter Minsch fuhr der Davoser Söre Sprecher am Parsenn Derby auf den 2. Platz – in Kitzbühel und am Lauberhorn wurde Sprecher Dritter. Bereits 1907 wurde in Davos das «3. grosse Skirennen der Schweiz» durchgeführt. Damals war ein Skirennen eine Mischung aus Langlauf und Skitour. Zuvor, 1903, wurde der Skiclub Davos gegründet, der 1905/1906 die Parsennhütte baute und 1908/09 die Bolgenschanze einweihte.295

100 Jahre Ski Club Davos, 1903 – 2003, Verlag Karl Erb, Seite 20 ff.


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Skistars und Skisäuglinge am Bolgenlift Wer war der beste Davoser Skifahrer? Pauli Accola, Gewinner des Gesamtweltcups 1992. Walter Vesti jedoch ist der Einzige, der je eine Weltcup-Abfahrt gewann. Und wer waren die Skisäuglinge?

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Wussten Sie, dass es einst einen Davoser Skiweltmeister gab? Er hiess Walter Prager und gewann den Abfahrtsweltmeistertitel 1931 – und 1933. Ein Jahr später baute Lieni Fopp den ersten Bügelskilift der Welt – den Bolgenlift.296 Und fortan trainierten alle Skirennfahrer wie Vesti und Accola mit diesem Lift, der sie an den Start der vereisten Trainingspiste brachte. Vesti musste in den 1970er-Jahren jedes Winterwochenende gegen den Österreicher Klammer antreten. Franz Klammer gilt mit seinen 25 Abfahrtssiegen noch heute als der beste Abfahrer aller Zeiten. Anders gesagt: Um seine Weltcupabfahrt 1975 in Megève zu gewinnen – und drei Jahre später auf den zweiten Platz der Hahnenkammabfahrt, der Streif, in Kitzbühel zu rasen – musste Vesti jeweils Franz Klammer schlagen.

Pauli Accola an der WM 2001 in St. Anton: Er gewann wieder eine Bronzemedaille in der Kombination.

Besonders frappant war Klammers Überlegenheit 1974/75. Damals standen neun Weltcupabfahrten auf dem Programm. Klammer gewann alle – ausser einer einzigen. Die gewann Walter Vesti … Pauli Accola wuchs auf einem Bauernhof neben dem Bolgenlift auf. Pauli hatte viel Talent. Schon in seinem ersten Weltcuprennen fuhr er auf den 8. Platz im Slalom von Bad Kleinkirchheim. Damit qualifizierte er sich für die Olympischen Spiele in Calgary 1988. Dort schlug Pauli wieder zu: mit einer Bronze-Medaille in der Kombination. 2005, nach 18 Jahren im Skiweltcup, hatte Pauli 1992 den Gesamtweltcup und sieben Weltcupsiege errungen – und fünf Olympische Spiele sowie 359 Weltcuprennen auf dem Buckel. Neben der Bronze-Medaille

von Calgary 1988 gewann er weitere drei WM-Medaillen: einmal Silber, zweimal Bronze – alle in der Kombination. Was für ein Palmarès! Doch Pauli nimmt’s gelassen: «Bringt nix, schadet nix», kommentierte er seine Bronzemedaille an der WM 2001. Übrigens: Warum gewann Pauli nie eine Weltcupabfahrt? Weil er halt nicht geradeaus fahren könne, wie er verschmitzt zum Besten gab. Und was sind Skisäuglinge? So nannte man die Anfänger – auch wenn sie 50-jährig waren. Sie alle waren auch auf dem Bolgen unterwegs – mit der Skischule.

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Der Bolgenlift wurde 1934 in Betrieb genommen und gilt als erster Bügelskilift der Welt. Vgl. http://goo.gl/qacHDb


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Dario Cologna – dreifacher Olympiasieger.


Davos – the Pioneer of Winter Sports · Franco Item

Gold, Gold, Gold für Cologna Kann ein Langlaufrennen spannender sein als die Lauberhorn-Abfahrt? Ja, seit es Dario Cologna gibt. Wenn Dario im letzten Aufstieg attackiert und alle Norweger, Russen und Schweden in Grund und Boden spurtet, dann bebt die Schweiz. Wie einst in den 70er-Jahren: Als Russi, Collombin – und Vesti – die Schweizer Skination zum kollektiven Wahnsinn trieben. Jetzt ist es wieder so weit. Danke Dario! 11. März 2007: Der Engadin Skimarathon geht in die Schlussphase. In der Spitzengruppe ein junger Langläufer. Niemand kennt ihn. Niemand zählt ihn zu den Favoriten. Er sich selber schon. An diesem Tag hat er Geburtstag. Er will ein Geschenk: den Sieg. Dann der Finish: Der unbekannte Junge sucht den Windschatten des italienischen Champions, Olympiasiegers und Weltmeisters Pietro Piller Cottrer. «Ich wusste, dass er im Sprint nicht der Schnellste ist», erzählt der Junge nach dem Rennen den verdutzten Journalisten, «wenn wir das Stadion gemeinsam erreichen, werde ich siegen.» Doch die Flucht misslingt. Champion Cottrer kommt nicht weg. Und nun zeigt der junge Unbekannte, dass auch er ein Champion ist: Er attackiert gleich selber.

Fakten auf einen Blick Dario Cologna: dreifacher Olympiasieger 1986

11. März Geburt in Santa Maria Val Müstair.

2007/08

Sieger Engadin Skimarathon; 3 x Gold Junioren-WM.

2008/09

Sieger Tour de Ski und Gesamtweltcup.

2010

Olympia-Gold 15 Kilometer in Vancouver.

2010/11

Sieger Tour de Ski und Gesamtweltcup.

2011/12

Sieger Tour de Ski und Gesamtweltcup.

2012/13

WM-Gold im Skiathlon, Silber 50 Km.

2014

2 x Olympia-Gold, Skiathlon (30 Km) und 15 Km.

2014/15

WM-Silber Skiathlon (30 Km).

283 Kuriositäten Sertiger Sportstars Wussten Sie, dass Andres Ambühl, Hockeystar aus dem Sertigtal, drei Verwandte hat, die in den 80er-Jahren Weltklasse-Langläufer waren? Gaudenz und Joos Ambühl und deren Cousin Hans Luzi Kindschi.

Attackiert immer wieder, kontert die letzten Gegner nieder. Und gewinnt. Holt sich seinen ersten grossen Sieg. Sein Geschenk zum 21. Geburtstag; wie geplant. Sein Name: Dario Cologna. Die Fachwelt staunt. Wer ist dieser Dario? Die Antwort kommt eine Woche später. An der Junioren-Weltmeisterschaft. Dario gewinnt zweimal Gold. Er kehrt als Doppelweltmeister zurück in sein Val Müstair. Dort ist alles auf den Beinen, auch die Dorfmusik, um ihrem Dario einen grandiosen Empfang zu bereiten. Es sollte noch besser werden: Für Dario waren der Engadiner und die Junioren-WMTitel erst der Anfang. Drei Goldmedaillen an Olympischen Spielen sind der Beweis. Seit ein paar Jahren lebt und trainiert Dario Cologna in Davos; vor allem wegen den idealen Trainingsbedingungen und dem Weltcuprennen, das jeden Dezember stattfindet. Denn Davos ist eine feste Adresse im Skilanglauf-Weltcup. Schade, dass dies im Alpinen Skiweltcup nicht der Fall ist. Der Anfang von Davos Nordic geht aufs Jahr 1972 zurück. Damals baute Davos sein Loipennetz aus. Dazu gehörte auch die Flüela-Loipe als zukünftige Rennstrecke. Der Schweizer Langlaufverband führte im folgenden Jahr eine Trainingswoche für die Schweizer Nationalmannschaft in Davos durch. Daraus entwickelte sich ein internationales Einladungsrennen, das 1980 zum Weltcuprennen wurde.


Davoser Chronisten · Christof Soltmannowski

Davoser Chronisten: Ihre Texte und Bilder erhalten die Vergangenheit am Leben 328

In jeder Epoche der Geschichte von Davos hat es Menschen gegeben, die sich als Chronisten einsetzten. Sie haben das Geschehen mitverfolgt, Zusammenhänge und Besonderes erkannt und in Ort und Bild festgehalten. Ohne sie wäre ein Buch wie dieses nicht möglich. Stellvertretend für viele andere, die sich auf diese Weise um Davos verdient gemacht haben, erwähnen und danken wir hier Jules Ferdmann, Emil Meerkämper, Otto Furter und Christian Schmid.

Jules Ferdmann, 1889 – 1962, wurde als Sohn eines Ziegelfa-

Emil Meerkämper, 1877 – 1948, wurde in Mühlheim geboren

brikanten im russischen Samara geboren. In jungen Jahren

und wuchs im Ruhrgebiet auf, wo er eine Lehre als Ingenieur

war er Redaktor beim Blatt Prostor (Weite) und wurde wegen

absolvierte.

Propaganda für die Demokratisierung Russlands nach Sibirien verbannt. 1911 gelang ihm die Flucht nach Deutschland,

1900 kam er als Lungenkranker für einen Kuraufenthalt nach

wo er in Mittweida, Sachsen, als Elektroingenieur tätig war,

Davos und engagierte sich im Strassen- und Brückenbau. Zu-

später auch bei Brown Boveri & Cie. in Baden.

sammen mit Friedrich Wagner eröffnete er 1910 sein erstes Fotogeschäft. Sein Partner verliess das Geschäft nach kurzer

Mit Lungentuberkulose kam er 1920 nach Davos, wo er als

Zeit, sodass er es alleine weiterführte. Es entstanden Filialen

Privatlehrer arbeitete und ab 1925 die Davoser Revue her-

in Sils-Maria und im Tessin. Meerkämper etablierte sich als

ausgab und bis zu seinem Tod im Jahre 1962 auch redigierte.

beliebter und erfolgreicher Landschaftsfotograf, seine Post-

Mit dieser Zeitschrift und Werken wie Die Anfänge des Kur-

karten versandten die Kurgäste in alle Welt. Zudem entstan-

ortes Davos bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts, 1938, Der

den Fotografien für Kalender, Prospekte und Reportagen. In

Aufstieg von Davos, 1947, und Höhenluft, 1954, leistete er

den 1930er-Jahren verschlechterte sich sein Gesundheitszu-

einen wichtigen Beitrag zur geistigen und kulturellen Identi-

stand rapide, sodass ihm das Fotografieren zunehmend Mühe

tätsfindung von Davos.

bereitete. Noch bis an sein Lebensende hielt er Bildvorträge in der ganzen Schweiz.


Davoser Chronisten · Christof Soltmannowski

329

Otto Furter, 1905 – 1998, wurde als Sohn eines Stickereizeich-

Christian Schmid, 1923 – 2015, entstammt einer alteingeses-

ners in St. Gallen geboren. Dort absolvierte er eine kaufmän-

senen Davoser Familie, wuchs aber in Chur auf, wo er das

nische Lehre. Nach diversen Stellen im Tessin, in Genf und

Gymnasium und anschliessend das Lehrerseminar besuchte.

Paris kam er als Buchhalter zum Fotogeschäft Meerkämper in

Anschliessend studierte er Geschichte in Zürich und später

Davos. Dort entdeckte er seine Begabung für die Fotografie.

auch in den USA, an der Lawrence University in Kansas und in

1943 gründete er sein eigenes Fotogeschäft und einen Verlag

Harvard. Zurück in der Schweiz, war er als Mittelschullehrer an

für Ansichtskarten. Mit Landschaftsaufnahmen von Davos,

der städtischen Töchterschule in Zürich und während langen

aber auch aus ganz Graubünden, vom Wallis, Appenzell und

Jahren am Seminar in Küsnacht tätig. Hier verfasste er seine

weiteren Orten wurde er zu einem der bedeutendsten Foto-

Dissertation unter dem Titel Die alte Welt, die 1967 auch als

grafen Graubündens. Viele seiner Schwarz-Weiss-Aufnahmen

Buch publiziert wurde. Unter anderem schrieb er auch für das

erschienen in Zeitschriften und Bildbänden. Fotogeschäft und

Magazin Geschichte. Erst im Pensionsalter – und dann während

Verlag werden heute von seinem Sohn Hans und Enkelin

mehr als zwei Jahrzehnten, von 1990 bis 2013 – war Christian

Annina Pfiffner weitergeführt.

Schmid als Redaktor für die Davoser Revue tätig.

Kuriositäten Nüwe Zytung ab Dafos von 1586: die erste Davoser Zeitung? Ein ganz besonderer Davoser Chronist – einer der ersten überhaupt – ist der Zürcher Johann Jacob Wick, 1522 – 1588. Er war Pfarrer an der Predigerkirche in Zürich und danach Chorherr am Grossmünster. Von 1559 bis 1588 trug Wick aktuelle Unglücksfälle zusammen, die er als Einblattdrucke – ähnlich einer Comiczeichnung – unters Volk brachte. Solche Blätter nannte man damals Zeitung, die im Gegensatz zu heutigen Zeitungen nicht regelmässig gedruckt wurden, sondern nur bei ausserordentlichen Ereignissen. Aber immerhin: Es handelt sich im weitesten Sinne um einen ersten Vorläufer der heutigen Davoser Zeitung. Entdeckt wurde sie vom Herausgeber dieses Buches, Franco Item, in der Zentralbibliothek Zürich (siehe Bild auf Seite 335). Die Comiczeichnung darf als eine der ältesten Darstellungen von Davos genannt werden, die bis zur Entdeckung durch Franco Item unbekannt war. Sie berichtet von Säumern, die 1586 in einer Lawine starben – also vor 430 Jahren. Wobei der Zürcher Chronist den Scalettapass mit dem Septimer verwechselte. Wick war wohl nie in Davos, hatte aber vom Lawinenunglück gehört. Übrigens: Was war der Grund für Wicks Sammelwut von Unglücksfällen? Pfarrer Wick wollte die Menschen vor dem Jüngsten Tag warnen, von dem Wick glaubte, er würde sich durch häufige Unglücksfälle ankünden …


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