Viele Bürgerinnen und Bürger haben genug : vom ausufernden Staat, seinen Steuern, seinen Regeln, von der Bürokratie. Wutbürger treten auf. Die Schraubstellen dieser Macht sind aber klar benennbar : Die Parteizentralen bestimmen heute in Westeuropa die Regierungen, sie beherrschen die Parlamente, deren Minister setzen die EU-Regeln und führen sie, zurück im Land, als unausweichlich durch. Die Gewaltenteilung kam abhanden. Die Notenbanken stützen die Schuldenwirtschaft der Staaten durch Geldschöpfung, sie dispensieren die Politiker vom Sparen. Schritt für Schritt bauten sich Regulierungen im Alltag auf, die bereits an die Endzeit gescheiterter Imperien erinnern. Die Freiheit ging in der Geschichte oft verloren. Diesmal aber gibt es Lösungen zum Rückbau, die in einigen Staaten schon erprobt wurden. Beat Kappeler zeigt in diesem Buch konkreter als übliche Klagende oder Populisten links und rechts, wie wir die Freiheit zurückgewinnen können.
Beat Kappeler Der Superstaat
Der Superstaat
Beat Kappeler Der Superstaat Von Bürokratie und Parteizentralen und wie man den schlanken Staat zurückgewinnt
ISBN 978-3-907291-10-8
www.nzz-libro.ch
NZZ LIBRO
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© 2020 NZZ Libro, Schwabe Verlagsgruppe AG, Basel Lektorat: Christoph Meyer, Basel Umschlag: Icona, Basel Gestaltung, Satz: Marianne Otte, Konstanz Druck, Einband: CPI Books GmbH, Leck Dieses Werk ist urheberrechtlich geschützt. Die dadurch begründeten Rechte, insbesondere die der Übersetzung, des Nachdrucks, des Vortrags, der Entnahme von Abbildungen und Tabellen, der Funksendung, der Mikroverfilmung oder der Vervielfältigung auf anderen Wegen und der Speicherung in Datenverarbeitungsanlagen, bleiben, auch bei nur auszugsweiser Verwertung, vorbehalten. Eine Vervielfältigung dieses Werks oder von Teilen dieses Werks ist auch im Einzelfall nur in den Grenzen der gesetzlichen Bestimmungen des Urheberrechtsgesetzes in der jeweils geltenden Fassung zulässig. Sie ist grundsätzlich vergütungspflichtig. Zuwiderhandlungen unterliegen den Strafbestimmungen des Urheberrechts. ISBN 978-3-907291-10-8 ISBN E-Book 978-3-907291-11-5 www.nzz-libro.ch NZZ Libro ist ein Imprint der Schwabe Verlagsgruppe AG.
Inhaltsverzeichnis 11 Einleitung 11 Das Ärgernis – und das Vorgehen dieses Buchs
11 Werft die Staatskundebücher weg, es ist alles anders Dieses Buch geht von drei Thesen aus
17 Erster Teil: Die Analyse – so ging die Freiheit verloren Kapitel 1 Fesseln der Freiheit im Nationalstaat 19 Die Gewaltenteilung ist abgeschafft
21 Wenn die Gewaltenteilung lebt – USA, Schweiz
23 Berufsparlamentarier – abhängig von Parteizentrale
24 Wenn die Parteizentralen die Kandidaten der Legislative auswählen 27 Die Parteizentrale ernennt Minister 30 Innerparteiliche Demokratie?
31 Staatsmacht ohne den Segen der Völker – auch in der Geschichte
35 Kapitel 2 Die Fesseln in der Europäischen Union:
Macht von oben
6 Inhaltsverzeichnis
35 Minister regieren im Rat die EU – Parlamente zu Hause müssen nicken 36 Die EU-Kommission
39 Das «Spiel über die Bande»
40 Das Duopol der Macht: Frankreich und Deutschland
41 Binnenmarkt als Rasenmäher oder als Wettbewerb der Lösungen?
42 Der Europäische Gerichtshof (EuGH): ein Gleichrichter von oben – ohne Volk, Parlamente, Regierungen
44 Der Euro als unwiderruf liche Fessel durch Macht
47 Die Währungsunion – geboren aus Tricks und Kniffen
50 Die Europäische Zentralbank (EZB) sprengt ihre eigenen Fesseln 52 «Unwiderruf lich», «alternativlos» – der Euro und seine Krisen
53 Kapitel 3 Staatsbudget und Notenbanken zentralisieren den Superstaat überall 53 J. M. Keynes baute den Superstaat auf – Defizite als Machtzuwachs 54 «Kapital» ist nicht Kapital, Österreichische Schule gegen Keynes
56 Monetisierte Fiskalpolitik – Notenbanken ersetzen Regierungen und Parlamente
59 Die Notenbanken ermächtigten sich selbst zum Superstaat 60 Das kann uns passieren – monetäre Implosion 62 Die USA, dank Clearing ein Imperium 64 Superstaat ist Steuerstaat
64 Die Medien – Komplizen, Claqueure, Profiteure des Superstaats
69 Kapitel 4 Die Fesseln des internationalen Superstaats und sein «mission creep» 69 Der Weltwährungsfonds IWF 70 Die OECD
Inhaltsverzeichnis 7
70 Die Weltbank, die Welthandelsorganisation, das Internationale Arbeitsamt
72 Die Europäische Menschenrechtskonvention 72 Die Sakralisierung des Internationalen
73 Die praktische Seite des Internationalen
75 Die korrosive Frage an den internationalen Superstaat
79 Kapitel 5 Der Vollzug schnürt die Fesseln – die Bürokratie 79 Das «zweiseitige Monopol»: Parlament und Verwaltung 83 Heere der Bürokratie
84 Die barocken Wucherungen der Bürokratie 86 Das Büro
87 Die Sitzung
87 Die Bürokratie multipliziert sich bei den Adressaten
93 Kapitel 6 Rückblick und Ausblick auf ein «Augusteisches Zeitalter» als Horrorshow 96 Die Abstrakte Lehre von der Macht und ihrem Scheitern 97 Die Freiheit scheiterte oft in der Geschichte
100 Schachmatt: Die Verluderung öffentlicher Finanzen bringt den Untergang
102 Die krummen Touren der Geschichte – gegen die Freiheit DIKTATUREN…?
104 Die neuen Netze – Techno-Superstaat oder neue Freiheiten?
8 Inhaltsverzeichnis
109 Zweiter Teil: Wege zur Freiheit Kapitel 7 Die Macht dem Bürger – als Wähler 112 Ein erstes Mittel – die Wähler bestimmen die Listen
115 Zweites Mittel: Vertrauen ist gut, aber die Regierung soll gehorchen 117 Drittes Mittel: Volksabstimmungen
119 Viertel Mittel: hybride Entscheidmechanismen 119 Das Los werfen
119 Einstimmigkeit
120 Das Proporzsystem
121 Zynismus – einfach so laufen lassen?
125 Kapitel 8 Die Macht dem Bürger – gegen die Bürokratie Ziviler Ungehorsam 125 Ziviler Ungehorsam
126 Veto des Parlaments gegen Verordnungen 126 Alle Gebühren verbieten
126 Einspracherechte knapphalten
? Verwaltung soll weniger haften
128 Gewaltenteilung gilt auch für die Gerichte 129 Mehr Ermessen
130 Unschuldsprinzip statt Umkehr der Beweislast 131 Bürokratischen Alltag ausnüchtern
Inhaltsverzeichnis 9
133 Kapitel 9 Den Superstaat rückbauen 134 Selbstbindung der Parlamente mit Verfahrensregeln
137 Das «roll-back» überbordender Leistungen und Kreuzkompromisse 138 Die Wahrung des Gesichts aller 139 Empfängergruppen spalten
139 Nur künftige Leistungen kürzen 140 Verschleiern – obfuscation
140 Bisher Begünstigte auskaufen
140 Aufgaben auf untere Ebenen schieben 141 Gewinnerkoalitionen bilden
141 Das Ende monetärer Frivolität
144 Die Wende beginnt in den Köpfen – und kommt nach der Krise: die intellektuelle Lufthoheit gewinnen
147 Anhang Anmerkungen
Einleitung Das Ärgernis – und das Vorgehen dieses Buchs
Die parlamentarischen Demokratien Europas sind vermachtet, sie kennen die Gewaltenteilung nicht mehr und scheffeln die Macht den Parteizentralen, den Regierungen und EU-Gremien, den Funktionären internationaler Organe, der Bürokratie und den Notenbanken zu. Die Macht wird von oben nach unten durchgedrückt, anstatt von unten nach oben übertragen. Die Wähler sind empört, die Politik verliert ihr Ansehen, Protestparteien steigen auf, die Nationen werden unregierbar. Der Staat vor 50, vor 70 Jahren war schmaler, regelte wenig, nahm und gab wenig. Zwar sind die Ansprüche an Technik, Infrastrukturen heute gestiegen, doch können Bürger, Private, Firmen diese dank der Netze, dank der Informationstechnik auch viel eher selbst steuern. Und heute sind alle (alle!) Bürger doppelt so reich wie damals. Es könnte also anders sein als heute. Denn: Werft die Staatskundebücher weg,
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es ist alles anders. Nämlich so:
Kanzlerin Merkel lässt 2015 in alleiniger Regie die Zuwanderung von Hunderttausenden zu. Präsident Macron verkündet im Alleingang am Fernsehen im Dezember 2018 mit niemandem abgesprochene Milliardengeschenke ans rebellierende Volk – und das Parlament muss sie dringend, ohne Diskussion vor Ende 2018 billigen. Die italienische Regierung der zwei populistischen Parteien einigt sich nach langem Gezerre kurz vor Jahresende 2018 mit der EU über das Budget, und das Parlament muss es vor Jahresende ohne Diskussion genehmigen. Das britische Parlament bekommt Ende 2018 unbefriedigende Vorschläge zum Austritt aus der EU (Brexit) und muss entweder die Regierung stürzen, sich damit selbst auf lösen, oder die Regierung macht
12 Einleitung
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damit weiter. Die Regierungschefin rief eine Vertrauensabstimmung aus, und die Rebellen ihrer eigenen Partei mussten kuschen. Der folgende Premierminister Boris Johnson verlor eine Abstimmung und schloss umgehend 21 Rebellen aus seiner Partei aus, nahm ihnen damit die Möglichkeit einer Kandidatur in der Partei bei der von ihm angesetzten Neuwahl. Alle, die sich nicht mit der Partei arrangierten, verloren ihren Sitz in dieser Wahl. Der Deutsche Bundestag hat seinerzeit die Milliardenhilfen an Irland, Griechenland, Zypern, an Spaniens Banken über den Hilfsfonds ESM widerwillig, aber ohne Alternative billigen müssen. In allen diesen Ländern – und den anderen – werden Parlamentarier der Regierungsseite wie der Opposition gezwungen, gemäss der Parteilinie zu stimmen. Sonst riskieren sie die Neuwahl, und zu dieser müssen sie auf einem von den Parteispitzen zugeteilten schlechten Listenplatz oder in einem Wahlkreis antreten, in dem sie chancenlos sind. Die Gewaltenteilung ist aufgehoben. Die Beschlüsse der EU-Gipfel von Europäischem Rat (Rat der Staatsund Regierungschefs) und Rat der EU (Ministerrat) können daher in den nationalen Parlamenten nicht bestritten werden, sondern werden auf nationaler Ebene mit Druck durchgewinkt. Die Macht verläuft von oben nach unten. Die Entscheide der EU-Kommission, die Entscheide des Europäischen Gerichtshofs, der EZB empören oft Mitgliedländer und das breite Publikum, aber nur einstimmige und daher unwahrscheinliche EU-Gipfelbeschlüsse könnten die Verträge in solchen Punkten ändern. Die EU ist erstarrt, nicht rückbaufähig, wenn sich die Umstände ändern. Schliesslich zeigte die Corona-Krise 2020, dass die Regierungen enorme Notstandskompetenzen haben oder sich nehmen. Das mag vor dem Unbekannten, Neuen nachvollziehbar gewesen sein. Gut daran war, dass allein in Europa ein Dutzend verschiedene Methoden angewandt wurden, nicht eine europäische, einheitliche, die ja verheerend falsch gewesen sein könnte. Die Nationen lernten so voneinander, ihre Bürger konnten vergleichen. Die ausführende Verwaltung aller Ebenen mutierte zu einer allumfassenden Bürokratie – gegen die Bürger. Tausend Regeln herrschen und werden befolgt: Der Superstaat oben setzt auf den Ameisenstaat unten.
Einleitung 13
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Internationale Organisationen praktizieren die «dynamische Fortentwicklung des Völkerrechts», also über die ursprünglichen Abmachungen ihrer Mitgliedstaaten hinaus. Damit herrschen die Funktionäre, die Expertengremien. Die souveränen Nationen stehen unter Gefolgszwang. Die Notenbanken der westlichen Welt stützen die überschuldeten Staaten nach der Finanzkrise, drücken die Zinsen, schöpfen beliebig Geld, alles ohne gesetzliche Ermächtigung und ohne Einhaltung von ursprünglichen Abmachungen.
Auf allen Ebenen steckt hinter der politischen Routine ein jeweils ausgeklügeltes Machtprogramm, wurden Schraubstellen und Fesseln ausgelegt, welche die Regierungen stärken, und diese werden von den Parteien gestellt. Die Parteiführungen regieren. Die Ohnmacht des Volks, der Legislativen bricht sich neuerdings in lauten Protesten Bahn, im Verdrängen traditioneller Parteien durch neue Parteien, in Protestwahlen. Schon sind die meisten sozialdemokratischen Parteien zu Splittergruppen geworden, schon hängen manche Regierungen von der ausdrücklichen oder stillschweigenden Duldung der Protestparteien ab. Die politischen Landschaften des Kontinents zerbröckeln, ein erstes Land tritt aus der EU aus, mehrere EU-Politiken funktionieren kaum noch – Schengen-Abkommen, Dublin-Abkommen, die früher gewohnten Geldmengen und Zinsen; die Schulden nehmen öffentlich und privat überhand. Diese Klagen sind nur skizzenhaft formuliert. Hier gehen wir den Fesseln und der Vermachtung nach, national, europäisch, international. Wir entdecken, dass Demokratie überhaupt nicht läuft, wie Montesquieu oder die Verfassungsgeber nach dem Zweiten Weltkrieg das vorsahen. Auch nicht, wie sich die Politik selbst in Medien und bei Wahlen darstellt. Tief in der politischen Mechanik sind die Räder ausgewechselt, blockiert, oder sie laufen gegen die Völker. Drei Thesen zur Sache 1
Die Gewaltenteilung ist ausgehebelt zugunsten der Zentralen in Regierung und Parteien. Doch das Parlament soll die Regierung und die Gerichte bestimmen, sie wählen, die Gesetze machen. Das Parlament soll nicht nur
14 Einleitung
allerletzter Nothebel sein, mit dem die Bürger hin und wieder in Protestwahlen die Equipen auswechseln. 2
Die westlichen Nationen sind einem zentralisierenden Superstaat verfallen – durch die Regierungsübermacht, durch die umfassende Bürokratie, durch die enormen Steuern, Eingriffe, Kontrollen. Doch ein Rückbau zur Freiheit ist möglich, mit Kniffen gegen Kniffe und Knuten. 3
Der nationale und übernationale Superstaat fügte im Wahn «Sicherheit vor Freiheit» die Fesseln schleichend zusammen, über Jahrzehnte, von Fall zu Fall. Aber deren Summe erdrückt uns, und nur durch Widerstand im System selbst können wir sie loswerden – frech, liberal, libertär, leicht anarchistisch. Dabei müssen Analyse und Gegenmassnahmen auf die Interessen im Spiel eingehen, nicht auf unverbindliche Selbstdarstellungen der Politik von «Allgemeininteresse» und Visionen, Zielen der Gesellschaft (dabei stützen wir uns auf die Public Choice Theory, die ökonomische Theorie der Politik). Freiheit nimmt keinen geschichtlich geraden Weg von wenig zu immer mehr, wie wir uns das heute einreden. Vielmehr fielen ganze Völker, Reiche zurück: die Römische Republik, die Freien der Völkerwanderung, die Bauern des Spätmittelalters in fast ganz Europa, die Zwischenkriegszeit des 20. Jahrhunderts durch Kommunismus, Korporatismus und Faschismus – und unsere Zeit durch grossflächige Zentralstaaten und ihre Bürokratisierung. Können wir die Freiheit zurückgewinnen? Manche finden, das westliche, freiheitliche System untergrabe mit der Zeit selbst seine Voraussetzungen. Es neige seinem Ende zu, zwangsläufig, oder es könne zumindest die gesellschaftlichen Voraussetzungen seines Gedeihens nicht selbst schaffen (Wilhelm Röpke, Mancur Olson, Ernst-Wolfgang Böckenförde). Andere sind optimistischer, gerade der Markt zwinge uns immer wieder, auf andere einzugehen, deren Freiheit zu respektieren (Friedrich A. Hayek). Das sind eher konservative Stimmen. Linke Theoretiker sagen seit je, die üblichen Mächtigen schnallen sich den Staat an, um zu herrschen. Beide Lager müssen folgern: also weniger Staat.
Einleitung 15
Bild 1: Panzersoldat / Gueorgui Pinkhassov / Magnum.
Ein Bild gibt Hoffnung: 1991 putschten ewiggestrige Funktionäre in Moskau gegen die neuen Freiheiten des Präsidenten Gorbatschow. Dieser Panzersoldat kannte nur das unfreie Sowjetsystem und militärische Disziplin. Er liest auf seinem Panzer an jenem Schicksalstag ein Flugblatt gegen die Putschisten – die Truppe solle ihnen nicht gehorchen. Wir wissen, was folgte: Weil diese jungen Leute und ihre Kommandeure instinktiv wussten, was Freiheit ist, und ihnen diese wichtig war, griffen sie nicht ein. Der Putsch misslang. Sogar ein diktatorisches System konnte auch nach 70 Jahren das Gefühl der Freiheit nicht aus den Herzen reissen. Mensch sein heisst, frei sein zu wollen, zu allen Zeiten. Deshalb greift dieses Buch mit Zuversicht nach der Freiheit, die wir an falsche Einrichtungen verloren haben. Allmachtsstaat wie im Kriminalfilm
Die Kriminalfilme zeigen gerne, wie bei dramatischen Wendungen des Geschehens Kolonnen von Polizeiwagen vorpreschen, sich vor dem Platz des Dramas stauen, wie schwer bewaffnete Polizisten ausschwärmen, wie der Kommissar im schwarzen Ledermantel, umgeben von jungen Männern mit Pistolenhalftern, Sonnenbrillen und Bärten, einschreitet. Einer brüllt durchs Megafon, Sirenen heulen. Die Staatsmacht schlägt zu. Die Filmemacher finden es normal, dass die Zuschauer dies normal finden.
Leider kÜnnen solche Szenen auch als Abbild des bereits allmächtigen Staats gelesen werden. Schwappen die Kriminalfilme dereinst auf die Alltagswelt ßber? Vielleicht nicht gerade so, doch der Superstaat ist da, subtiler, aber zupackender, nicht nur im Kino.
Erster Teil Die Analyse – so ging die Freiheit verloren
Kapitel 1 Fesseln der Freiheit im Nationalstaat
Die Drohung, die «Vertrauensfrage» zu stellen und bei einem Nein das Parlament aufzulösen, fesselt die Stimmen der Parlamentarier an die Regierung. Zwar soll eine Regierung durch das Parlament eingesetzt und bestätigt werden, das gehört zur Gewaltenteilung. Es ist auch richtig, wenn eine Regierung sich bei Streitigkeiten im Parlament ihrer Mehrheit versichert. Doch braucht es die Auf lösung? Eine Regierung kann Niederlagen im Parlament erleiden und soll dann neue Vorschläge bringen, neue Unterstützung suchen. Sie müsste auf Minderheiten, die öffentliche Meinung, innerparteiliche Widerstände eingehen. Sie müsste kreative Lösungen suchen. Dies würde die Rolle einer Regierung unter der Gewaltenteilung unterstreichen – sie führt aus, was das Parlament will. Sie sucht nach dem Widerspruch des Parlaments eine neue Lösung, bringt ein anders formuliertes Gesetz ein. Oder das Parlament formuliert gleich selbst eine solche Änderung – was es nicht in allen Regimen darf! Welch eine gestörte Gewaltenteilung! Die Gewaltenteilung ist abgeschafft
Doch wenn die Regierung oder der Staatspräsident nach einer Niederlage in der Vertrauensabstimmung das Parlament auf lösen kann oder muss, dann setzt man den Parlamentariern Daumenschrauben an, damit sie zustimmen. Dies gilt auch in den Oppositionsparteien, damit sie sich der Regierung widersetzen – der mögliche Sieg in einer dadurch ausgelösten Neuwahl verführt auch deren Parteileitungen zum Druck von oben auf ihre Parlamentarier. Je nach Verfassung oder Usus gehen die Nationen nach einer verlorenen Vertrauensabstimmung unterschiedlich vor. Die Regierung kann selbst eine Neuwahl ausrufen, aber meistens wird das Staatsoberhaupt dies veranlassen. Was der alle paar Monate wiederholte Sturz einer Regierung nach Vertrauensabstimmungen an Schaden anrichtet, sah man in der Wei-
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marer Republik, in der Dritten Republik Frankreichs und im Italien der Nachkriegszeit. Entweder führten diese Entscheide zu wiederholten und oft konturlosen Neubestellungen der Parlamente oder zu einem unwürdigen Postenschacher bei der Neubestellung der Ministerposten. Beides stärkte die Demokratie und das Ansehen der Politik keineswegs. In Deutschland 1949, in Spanien 1978 wurde das «konstruktive Misstrauensvotum» eingeführt. Die Regierung kann nur gestürzt werden, wenn sich das Parlament auf einen neuen Regierungschef einigt. Doch die Zwänge gegenüber den Parlamentariern bleiben die gleichen, sie werden zur Gefolgschaft in Regierungs- wie in Oppositionsparteien gepeitscht. So wurden beim Misstrauensvotum 1972 im Deutschen Bundestag Abmachungen getroffen, welche Mitglieder überhaupt und, wenn ja, wie zu stimmen hatten. Der SPD-Abgeordnete Günther Müller hielt sich nicht daran und wurde prompt aus der SPD-Fraktion ausgeschlossen. Anlässlich der Debatten im Vereinigten Königreich zum Austritt aus der EU (Brexit, Frühjahr 2019) nahm die breite Öffentlichkeit ein Parlament wahr, das gar nicht dem Bild einer souveränen Legislative entsprach. Tatsächlich liegt der Anstoss für die Gesetzgebung fast ausschliesslich bei der Regierung, sie bringt die Vorlagen ein. Nur zu Beginn jeder Session werden unter den etwa 650 Parlamentariern des Unterhauses 20 Mitglieder ausgelost, die einen Vorschlag einbringen dürfen, oder sie bekommen zehn Minuten Redezeit, um einen solchen vorzulegen. Doch wird für alle diese Vorstösse zusammen ein begrenztes Zeitfenster am Schluss anderer Debatten zugestanden, viele kommen so gar nicht zum Zug, und meist genügt der Zuruf «object» eines anderen Mitglieds für eine Verschiebung auf den Sankt-Nimmerleins-Tag. In den Debatten um die Vorschläge der Regierung für den Brexit selbst billigte die Regierung May dann ausnahmsweise die freie Stimmabgabe zu, sonst hätte deren wiederholte Ablehnung zum Regierungsrücktritt und allenfalls zur Parlamentsauf lösung geführt. Auch der Parlamentspräsident hat einen grossen Ermessensspielraum, ob er Anträge oder Wortmeldungen zulässt. Im Sommer 2019 lagen acht Varianten aus dem Unterhaus für den Brexit vor, doch der Speaker liess nur über deren vier abstimmen. Daher beschränken sich die meisten Wortmeldungen auf Fragen an Vorsitz oder Regierung. Die ganze glorreiche Parlamentsgeschichte seit der Magna Charta 1215, die schönen Rituale, die fein gedrechselten Anreden der Mitglieder täuschen nicht darüber hinweg, dass hier «top-down» herrscht.
kapitel 1 21
Ausserdem verläuft die Entscheidfindung im britischen System ausgesprochen binär – mit Entweder-oder, ohne Zwischentöne. So verhandeln die Regierungs- und die Oppositionspartei kaum je, die stärkere Partei regiert allein. Das Unterhaus stimmt der Regierung entweder zu, oder es kommt zur Neuwahl, und so kommen fast alle Vorlagen nur von der Regierung.
Bild 2: Parlament in London: Abgeordnete bringen keine Gesetze ein, Regierung diktiert.
Bild 3: Deutscher Bundestag in Berlin: Parteizentralen diktieren.
Kurz, die Vertrauensfrage mit anschliessender Parlamentsauf lösung verkehrt überall die Gewaltenteilung von einem «bottom-up» in ein «topdown». Der einzelne Parlamentarier kann nicht gemäss seinem Gewissen oder dem Wählerwillen abstimmen. Wenn die Gewaltenteilung lebt – USA, Schweiz
Das Gegenbeispiel stellen die USA und ihre «Schwesterrepublik» Schweiz dar. Die amerikanische Regierung tritt nach – durchaus vorkommenden – Abstimmungsniederlagen nicht zurück. Der Präsident könnte nur durch ein kompliziertes Absetzungsverfahren (Impeachment) aus dem Amt befördert werden. Doch auch nicht einmal dann fällt seine Regierung, und der Kongress wird auch nicht aufgelöst und neu gewählt. In den letzten Jahren verweigerte der Kongress verschiedentlich das Budget oder die Anhebung der Schuldengrenze. Präsidenten wie Clinton, Obama, Trump liessen die Staatsämter vorübergehend schliessen, da kein Budget beschlossen war. Doch mit der Zeit einigten sich Regierung und Kongress auf eine Lösung, unter Gesichtswahrung beider Seiten. Der Kongress wurde nicht aufgelöst, die Regierung blieb im Amt, Kompromisse waren produktiver. Diese hochgemute Einschätzung ist leider auch für die USA einzu-
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schränken – der Kongress hat 1977 in wichtigen Fragen abgedankt und Vollmachten an den Präsidenten übertragen. Das Gewicht der Exekutive hat massiv zugenommen: durch den International Emergency Economic Power Act (IEEPA). Der Präsident kann bei bedrohter nationaler Sicherheit Sanktionen gegen andere Länder verfügen, Vermögenswerte beschlagnahmen usw. – und der Kongress kann solche Entscheide nur mit Zweidrittelsmehrheit umstossen. Präsident Trump begann 2019 solche einseitigen, umstrittenen Massnahmen zu treffen. Ebenso verlagerte sich die Initiative für kriegerische Eingriffe im Ausland vom Kongress, zuständig für Kriegserklärungen, zum Präsidenten, der oberster Kommandant ist. Ein Transfer solcher Macht findet sich in der War Powers Resolution von 1973, anlässlich des Vietnamkriegs, und in der Authorization for Use of Military Force (AUMF) von 2001 gegen Al Kaida. Aber schon von jeher und unter fast allen Präsidenten, auch Barack Obama, fanden Auslandinterventionen auf präsidiales Geheiss statt (total 182), aber es gab nur elf formale Kriegserklärungen durch den Kongress. Aber auch in der Innenpolitik stören sich immer mehr Bürger, Staatsrechtler und neuerdings eine im Entstehen begriffene Mehrheit des Obersten Gerichtshofs daran, dass die Souveränität des Volks und der handelnden Individuen als Verfassungsgrundlage ersetzt worden sei durch die Souveränität der Regierung. Die zahlreichen Ausgliederungen von Kompetenzen des Kongresses an Agenturen (Umwelt, Gesundheit, Arbeitsamt, Notenbank) verfolgten luftige gesellschaftliche Ziele, keine Individualrechte.1 Auf solche und andere an die Exekutive abgetretene Bereiche, wie periodisch die Aussenhandelskompetenz, gründen sich auch die Executive Orders der Präsidenten. Kurz, die Gewaltenteilung zwischen Exekutive, Kongress und Gerichten ist ausgewogener als in parlamentarischen Demokratien. Sie hat zwar unter der Bequemlichkeit obrigkeitlichen Regierens dank Regeln, Sicherheit und «Wohltaten für alle» und unter der Dringlichkeit mancher Entscheide gelitten. Doch sind die Gewichte der Gewalten ohne Verfassungsänderungen nur durch Rücknahme der erwähnten Gesetze an sich auch wieder leicht auszutarieren. In der Schweiz trat die Regierung seit 1848 nie kollektiv zurück, sondern wurde immer nur nach Neuwahlen des Parlaments bestätigt, nach Rücktritten oder der Abwahl einzelner Bundesräte ergänzt. Doch häufig
Kapitel 8 Die Macht dem Bürger – gegen die Bürokratie
Kaum wagt man die einfachste Lösung anzuzeigen: ziviler Ungehorsam Einfach nicht gehorchen. «Hab’s vergessen», Regeln nicht beachten, den Autoritäten davonlaufen. Gebühren nicht bezahlen. Bussen anfechten. Dies alles sind Lösungen, gemäss literarischen Vorbildern, zwischen dem Soldaten Schwejk (J. Hasek) und dem Rosshändler Michael Kohlhaas (H. v. Kleist). Auch der Älpler Wilhelm Tell des Friedrich Schiller eignet sich, in drastischer Weise, dieser Tyrannenmörder. Befreiend auch die politischen, realen Kämpfe, als der Volkswiderstand 1989 der Partei- und Staatsbürokratie der DDR einfach den Stecker rauszog. Oder der zivile Ungehorsam Mahatma Gandhis, der Indien 1947 aus dem grössten Imperium der Weltgeschichte herauslöste. Nicht immer bieten sich allerdings solche politischen Wendezeiten an. Nicht immer möchte man einzelne Beamte anrempeln, die mit Recht sagen, sie können ja auch nichts dafür. Und solcher Ungehorsam muss massenhaft erfolgen – Hunderttausende müssen Gebührenrechnungen anfechten, zurücksenden oder eine Verwaltung mit E-Mails überschwemmen. Doch das ist schwierig, trotz der Netze. Man muss also an die Wurzeln der Bürokratie gehen. Aber nicht so, wie die meisten grossen Bürokratie-Töter auf dem Gipfel ihrer Kühnheit vorgehen, indem sie eine neue Bürokratie vorschlagen: für «Normenkontrolle», «Regulierungsfolgen-Abschätzung», wie in Deutschland und in der EU geschehen, in Italien erfolglos versucht, in Frankreich durch mehrere neue Büros zu lösen versucht. Sondern so:
Zuerst gilt es auch hier, wie im Wahlrecht und im Regierungsverfahren, die Gewaltenteilung wiederherzustellen. Das Parlament ist der alleinige Auftraggeber der Verwaltung, sagt wie erwähnt Niskanen. Also soll das Parlament die Verwaltung überwachen, wenn es seinen Willen, seine Gesetze
126 Die Macht dem Bürger – gegen die Bürokratie
durch ausufernde Verordnungen, Regulierungen ausführt. Das Parlament soll ein Vetorecht gegen alle Erlasse der Verwaltung haben. Es braucht diese Verordnungen nicht selbst zu erlassen, aber es soll sie heranziehen und ablehnen dürfen. Man stelle sich vor, dies ist heute nicht selbstverständlich, so schief ist die Gewaltenteilung geworden. Dabei soll das Parlament jede Gebühr für Leistungen der Verwaltung verbieten, bei Bewilligungen, bei Kontrollen, überall. Nur echte Leistungen, welche die Bürger und Firmen in unterschiedlicher Intensität nutzen, sollen selbstverständlich bezahlt werden (Konzessionen für Wasser, Frequenzen, Nutzung von Strassen und Infrastrukturen). Weiter: Die Verwaltung soll die Kosten selbst tragen für Regulierungen, Kontrollen der privaten Bürger, Einrichtungen, Firmen. Es wird ja öffentliches Interesse geltend gemacht. Sogar gewisse teure Installationen, welche die Verwaltung verlangt, sollen von ihr, nicht von den Kontrollierten, bezahlt werden – etwa Fahrtenschreiber, neue Vorrichtungen bei Energieanlagen etc. Dies wirkt als Schubumkehr, die Kontrollkosten werden internalisiert, der urhebenden Verwaltung übertragen. Und das Wunder wird sich sofort einstellen: Sie verlangt viel weniger solche Schikanen. Das Parlament muss die Einspracherechte knapphalten, die es in den verschiedenen Gesetzen den Bürgern, den Firmen erteilt. Wir leben nicht mehr im Frankreich Ludwigs XIV., der die Bürger willkürlich in der Bastille einsperren liess und wo Einspracherechte nötig gewesen wären. Ein Beispiel für massvolle Einsprachen bietet das Universitätsgesetz Zürichs,52 wo Prüfungsergebnisse nur wegen verletzter Verfahren und Rechte angefochten werden können, nicht jedoch die Noten. Die Gesetzgeber müssen also Einspracherechte klar umgrenzen. Die Parlamente sollen sich damit nicht nur gegen die Gewalt von Regierung und Verwaltung durchsetzen, sondern auch gegenüber der dritten Gewalt, den Richtern. Diese versuchen – dank solcher Rekurskaskaden – einen eigentlichen Richterstaat zu begründen, dessen Urteilssammlungen zu einer Schattengesetzgebung geworden sind. Doch dem Rechtsstaat ist manchmal mit einer Lücke besser gedient. Bürger unter sich, Verbände, Firmen springen in diese Lücken und regeln oft die Verfahren unter sich, in Freiheit. Der spätere Nobelpreisträger Ronald Coase fand diesen Spielraum sogar in Umweltfragen – Nutzer und Geschädigte können und sollen sich möglichst direkt, ohne Staat, ins Einvernehmen setzen. Weiter: Das Parlament soll sorgfältig eingrenzen, wer Einsprachen
Kapitel 9 Den Superstaat rückbauen
Nach den Reformen des Wahlrechts, nach dem Abbau der Bürokratie sind nun Mechanismen zu betrachten, welche die Prozesse in jedem Imperium der Geschichte zentralisierten – oft schleichend, manchmal ruckartig in der Not – bis heute in Frankreich, Deutschland, England, in den USA, in der EU insbesondere. Denn regierende Schichten, Staatenlenker, Politiker im parlamentarischen Wettbewerb halten sich mit Versprechungen an der Macht. Das war bei den römischen Kaisern so, die Geld- und Getreidespenden ausrichteten oder beim Amtsantritt Steuerschulden öffentlich verbrennen liessen (und damit den verschuldeten Bürgern, Senatoren die zerstörerische Idee eingaben, mit einem immer häufigeren Kaisermord sich Luft zu verschaffen). Auch Chinas knöcherne, meritokratische Parteiführung bringt sich angenehm bei den Bürgern in Erinnerung, wenn sie nach jeder Börsenbaisse oder Konjunkturschwäche den Geldhahn aufdreht, die massiven Steuergeschenke der Regierung Trump 2018 mit Hunderten von Milliarden an Kosten sabotieren alle künftigen Fiskalpolitiken. Solche Gunstbeweise kosten meistens laufende, über die Jahre sich kumulierende Summen. Die begünstigten Kreise haben sich organisiert, die zahlenden einzelnen Bürger kaum, und sie merken den Einzelfall nicht im Portemonnaie. Man nennt in der Politikanalyse gemäss Public Choice dieses bereits hier vorgestellte Problem eines der «collective action». Die meisten Imperien gingen wegen fiskalischer Überlastung zugrunde, sagen die Autoren von Balance53 – und diese Überlastung nahm immer zu, weil die Begünstigten die Verluste der Privilegien nicht tolerierten und ihren Widerstand gegen Reformen versteiften. Man stelle sich auch heute, im parlamentarischen Wahlwettbewerb des Westens, Kandidaten vor, welche Einsparungen, harte Massnahmen, Entlassung Hunderttausender von Staatsangestellten versprechen. Oder die im Wahlkampf sagen: Wählt mich, ich werde nichts tun. Der knappe Staat hat keine Freunde, Politiker mit Nullprogramm haben keine Wähler.
134 Den Superstaat rückbauen
Deshalb gilt es, in die politische Mechanik selbst die Schwellen gegen den Superstaat einzubauen. Insbesondere Schwellen gegen die berüchtigten Kreuzkompromisse, wo an sich minoritäre Parteien sich gegenseitig Konzessionen zulasten der Kasse zugestehen, Mehrheiten schaffen und damit durchkommen. Der grösste gemeinschaftliche Nenner regiert die Fiskalpolitik höchstentwickelter, ehemals reicher Staaten! Gegen solche abschüssige Bahnen der Vermachtung brauchte es Revolutionen oder Staatsbankrotte, denkt man. Doch es geht auch anders, durch die tatsächlich mehrmals schon Realität gewordene Einsicht der Politiker. Nicht durch Appelle kam diese, sondern weil ihnen selbst schwindlig wurde durch den Bietwettbewerb. Sie richteten in mehreren Ländern der letzten 30 Jahre daher Selbstbindungen ein. Regeln gegen alle Politik. Regeln, auf welche sie bei den Wählern bedauernd verweisen konnten – ich hätte ja so gerne mehr ausgegeben, aber die Regeln erlaubten es nicht. Selbstbindung der Parlamente mit Verfahrensregeln
In den USA billigte das Parlament dem Präsidenten Bill Clinton in den neunziger Jahren das «line-item veto» zu: Er konnte einzelne solche «Linien» im Budgetbeschluss des Parlaments mit einem Veto belegen. Der Kongress hätte dagegen eine Zweidrittelsmehrheit aufbringen müssen. Es waren jene Ausgabenposten, welche in den USA in die oft über tausend Seiten langen Gesetzesvorlagen eingebracht werden, um im Wahlkreis des einen Repräsentanten eine Brücke, in dem eines anderen eine Wohnungssubvention zu sprechen. Weil die Parlamentarier selbst der regierenden Mehrheit frei, ohne angedrohte Parlamentsauf lösung, stimmen, sind solche Gunstbeweise häufig, sie sind ein eigentlicher Stimmenkauf. Aber angesichts steigender Defizite, Steuern, Zinsen damals waren die Mitglieder ganz froh, ihren Wählern sagen zu können: «Ich wollte ja eine Sonderlösung, kam aber damit nicht durch.» Deshalb auferlegten sie sich diese Selbstbindung. Ebenfalls zu Bill Clintons Zeiten hielt der Kongress verschiedene Male fest, neue Ausgaben müssten durch Einsparungen auf dem gleichen Gebiet finanziert werden. Das Ergebnis aller solcher mehrmals eingeführten Regeln liess sich sehen: Die USA erzielten mehrere Jahre lang Budgetüberschüsse. Sie zahlten sogar alle 30-jährigen Schuldpapiere zurück, was die Lebensversicherungen beklagten. Sie hatten keine Anlagen mehr, welche ihren Verpflichtungen gleichfristig entsprachen. Ein wohlgelittenes
Viele Bürgerinnen und Bürger haben genug : vom ausufernden Staat, seinen Steuern, seinen Regeln, von der Bürokratie. Wutbürger treten auf. Die Schraubstellen dieser Macht sind aber klar benennbar : Die Parteizentralen bestimmen heute in Westeuropa die Regierungen, sie beherrschen die Parlamente, deren Minister setzen die EU-Regeln und führen sie, zurück im Land, als unausweichlich durch. Die Gewaltenteilung kam abhanden. Die Notenbanken stützen die Schuldenwirtschaft der Staaten durch Geldschöpfung, sie dispensieren die Politiker vom Sparen. Schritt für Schritt bauten sich Regulierungen im Alltag auf, die bereits an die Endzeit gescheiterter Imperien erinnern. Die Freiheit ging in der Geschichte oft verloren. Diesmal aber gibt es Lösungen zum Rückbau, die in einigen Staaten schon erprobt wurden. Beat Kappeler zeigt in diesem Buch konkreter als übliche Klagende oder Populisten links und rechts, wie wir die Freiheit zurückgewinnen können.
Beat Kappeler Der Superstaat
Der Superstaat
Beat Kappeler Der Superstaat Von Bürokratie und Parteizentralen und wie man den schlanken Staat zurückgewinnt
ISBN 978-3-907291-10-8
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