Jakob Kellenberger: Wo liegt die Schweiz?

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Inhalt

Einführung  1

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Die schweizerische Integrationspolitik im Überblick

2 Die EU in der Innenpolitik

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3 Verhandeln, verhandeln mit der EU  4 Die Assoziation

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5 Rahmenabkommen 72 6 Warum ist die Schweiz nicht Mitglied der EU  ?

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7 Die europapolitische Diskussion in der Schweiz  101 7.1 Allgemein  101 7.2 Von der Macht der Begriffe  106   7.2.1 Die Souveränität  108   7.2.2 Die Neutralität  113   7.2.3 Gute Dienste oder Vermittlung ?  117   7.2.4 Der Mittelweg  119   7.2.5 Die Kontinuität  120   7.2.6 Der Kleinstaat oder vom Verzwergungstrieb  122   7.2.7 Die Unabhängigkeit  123   7.2.8 Die fremden Richter  123   7.2.9 Gestaltende Mitwirkung, Mitbestimmung und Ähnliches  126 7.2.10 Die Willensgemeinschaft  127 7.2.11 Neuigkeiten vom EU-Superstaat  128 7.3 Grössenordnungen und schiefe Vergleiche  129

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8 Identität und die ungestillte Sonderfallsehnsucht

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9 Welche Zukunft für die EU  ?  139 9.1 Die Friedens- und Wertegemeinschaft  139 9.2 Erweiterte oder handlungsfähige EU  ?  145 9.3 Die EU als Pfeiler einer multipolaren Weltordnung ?  9.4 Gemeinsame Aussen- und Sicherheitspolitik ?  150 9.5 Die EU oder den Euro retten ?  156 9.6 Verfassung, Zierrat und Bürgernähe  163 9.7 Fragen in unbefestigter Gegenwart  167 10 Wo liegt die Schweiz, und was bedeutet diese Lage ?

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Anmerkungen  187 Anhang Die EWR-Verhandlungen  195 Die Bilateralen I  212 Die innenpolitische Begleitung  228 Glossar  233 Häufig verwendete Abkürzungen  249 Bibliografie  250

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Einführung

Die schweizerische Europadiskussion verläuft oft in Unkenntnis der geografischen Lage des Landes und deren Folgen. Das kann zu ärgerlichen Missverständnissen über die eigenen Möglichkeiten und Grenzen führen. Der Buchtitel nimmt diese Feststellung auf. Der Widerstand gegen eine offene Auseinandersetzung darüber ist verständlich, obwohl sich das Land zur Lage im heutigen Europa eigentlich nur beglückwünschen kann. Diese Auseinandersetzung ist nicht zu trennen von der Beschäftigung mit Grössenordnungen und gegenseitigen Abhängigkeiten. Das bereitet Mühe, besonders uns Schweizern: Bald schrumpfen wir uns peinlich klein, bald blasen wir uns auf, was noch fast peinlicher ist. Vor 25 Jahren herrschte eher die Schrumpf-, heute eher die Aufblasphase. Die bösen Schwankungen versperren uns emotional den Weg zum normalen Selbstwertgefühl und Selbstbewusstsein eines europäischen Landes. Störungen können durchaus harmlose Formen annehmen und treten in allen Ländern auf. Eine eher harmlose Störung liegt vor, wenn sich der Selbstwert in erster Linie am Pro-Kopf-Einkommen oder an der Wettbewerbsfähigkeit misst, die dem Land von irgendwelchen, selten uneigennützigen Publikationen zugeordnet wird. Die Schwierigkeit, die angemessene innere Temperatur zu finden, äus­­sert sich gerne in dem, was ich als ruppigen «Dreitakt» zu bezeichnen pflege: Ein zuvor fast zum Identitätsmerkmal verklärter Gegenstand gilt als unverhandelbar; drohen als Folge der Unverhandelbarkeit grosse wirt­schaftliche Nachteile, wird er verblüffend rasch verhandelbar. Die rhetorische Wiederaufrüstung nach Aufgabe des Unverhandelbaren und die Feier der Kontinuität im sich wandelnden Umfeld folgen auf dem Fuss. Von daher ist es durchaus stimmig, wenn im Parlament bald ein Sou­veränitätsgesetz behandelt werden soll, nachdem Washington die Gren­zen der Selbstbestimmung äusseren Handelns im Steuerbereich unEinführung 7

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missverständlich deutlich gemacht hat. Das Risiko hat nach den gemachten Zugeständnissen abgenommen, dass der Entscheid zwischen Lieferung von Kundendaten und möglichem Konkurs einer Grossbank so bald wieder gefällt werden muss. Das Souveränitätsgesetz kommt spät für die aus­senwirtschaftliche Anwendung, aber vielleicht nicht für interne sou­ ve­ränitätspolitische Aufrüstungsversuche. Das «integrale» ­Bankgeheimnis gehört der Vergangenheit an. Die Weissgeldstrategie ist keine Erfindung aus einer schweizerischen Leidenschaft. Eine breite abstrakte Souverä­ nitätsdiskussion kann die Erinnerung an die letzten Jahre doch in ein milderes Licht tauchen. Der Dreitakt wird nicht ungern gekrönt von poli­ tischen oder medialen Aufrufen zum Selbstbewusstsein. Die Aufrufe erfolgen in der Regel, wenn sich die gröbste Gefahr verzogen hat, weil andere die dafür notwendigen Zugeständnisse gemacht haben. Diese Stimmung und diese Gewohnheiten erschweren die richtige Einschätzung der eigenen Möglichkeiten und Grenzen. Sie erklären auch die Langeweile aus den immergleichen Wort- und Propagandakämpfen, die das Verhältnis Schweiz – EU zum Gegenstand haben. Entwicklungen im unmittelbaren Umfeld der Schweiz wecken, wenn überhaupt, beschränktes Interesse und spielen eine untergeordnete Rolle im Vergleich zum Kampf mit Begriffen und Redensarten, die als Mittel zum Verständnis tatsächlicher Verhältnisse an Bedeutung eingebüsst oder längst ausgedient haben. Das beschränkte Interesse für die europäische Wirklichkeit lädt ein, sich mit der geografischen Lage des Landes und deren Bedeutung zu befassen. Bürger und Bürgerinnen müssen tatsächlich auf gelegentliche Abstimmungen warten, um zu erfahren, dass die Schweiz gleich viele Güter in die Lombardei exportiert wie nach ganz China. Es hat ­unter anderm damit zu tun, dass die Schweiz keine Insel im südchine­ sischen Meer ist,1 obwohl der Umzug manch einem Politiker gefallen könnte, der sich in autoritäreren Räumen wohler fühlt. Das Buch handelt also auch vom Prinzip der Nähe. Entstanden ist dieses Buch in erster Linie aus dem Wunsch, Zusammenhänge in Erinnerung zu rufen oder bewusster zu machen. Es geht um aussenpolitische Zusammenhänge und solche zwischen Innen- und Aussenpolitik. Es geht um Zusammenhänge, die bald mit Absicht, bald aus Unkenntnis im Dunkeln blieben. Manche Kritik am Beschluss des Bundesrats, im Herbst 1991 den EU-Beitritt als neues Ziel zu setzen und 8

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im Mai 1992 Beitrittsgesuche zu den damals drei Europäischen Gemeinschaften (EG) einzureichen, ist nur aus Unkenntnis wichtiger Zusammenhänge erklärbar. Dazu gehören die europäischen Entwicklungen seit 1989 und der Verlauf der EWR-Verhandlungen. Wer sich für die Verknüp­ fung von Inkrafttreten und Geltungsdauer der Verträge interessiert, die unter der Bezeichnung Bilaterale I segeln, wird sich etwas Zeit für die damaligen innenpolitischen Entwicklungen in der Schweiz und die Verhandlungsgeschichte nehmen müssen. Das Buch will der Spur einer ungewöhnlichen Situation nachgehen. Ungewöhnlich ist die Situation, dass die Schweiz mit ihrer geografischen Lage und Geschichte nicht Mitglied der Europäischen Union (EU) ist. Wie konnte erreicht werden, dass sich im Bewusstsein vieler Köpfe der natürliche Weg als der ungewöhnliche, als der abenteuerliche, im Extremfall als der existenzgefährdende festsetzte ? Sich mit Geschichtsdeutungen und Begriffsturnen in diesem Zusammenhang zu befassen, ist zwingend, wie alt und teilweise überholt die Begriffe auch sind, an denen geturnt wird. Es ist keine geringe Leistung, eine weitgehend zur euro­ päischen Geschichte parallel laufende Schweizer Geschichte als grundsätzlich gegenläufig darzustellen und für die Deutung noch Abnehmer zu finden. Der Gegenläufigkeitszauber schweizerischer Geschichte im Verhältnis zur europäischen ist ein Thema. Ich finde es ungewöhnlich, dass die Schweiz nicht Mitglied der EU ist. Einem seit Jahrzehnten mit Unterbrüchen herrschenden Denk- und Deutungsmuster wird ein anderes zur Seite gestellt. Viel mehr wird nicht erwartet, als dass das zweite das erste leicht durchlüftet. Wenn Wirklichkeit Wirkungsgeschichte ist – und das ist sie auch –, dann spielen die Begriffe, mit denen wir uns mit der EU auseinandersetzen, eine wichtige Rolle. Wer über Begriffe, Redensarten und Bilder bestimmt, die im Verhältnis zur EU zur Anwendung kommen, übt einen starken Einfluss auf die Wahrnehmung europäischer Wirklichkeit aus. Souveränität innenpolitisch bezeichnet auch Macht und Fähigkeit zu bestimmen, worüber und worüber nicht geredet wird und wie geredet wird über das, worüber geredet werden darf. Das siebte Kapitel ist mir entsprechend wichtig, auch im Wissen darum, dass die Weichen in der Schweiz auf absehbare Zeit gestellt sind. Leserinnen und Leser werden spätestens im neunten Kapitel feststelEinführung 9

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len, dass ich die Schaffung der EU als das grösste politische Projekt der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts ansehe. Diese Wertung hängt damit zusammen, dass ich Frieden für wichtig und nicht für selbstverständlich halte, vor allem nicht in Europa. Die EU hat mit ihrer Erweiterungsbereitschaft zur Festigung von Demokratie und Rechtsstaat in Europa und, trotz aller Schwierigkeiten, auch zur Förderung des Wohlstands entscheidend beigetragen, namentlich mit der fünften Erweiterung. Mit «entscheidend» meine ich unvergleichlich viel mehr als jede andere euro­ päische Organisation. Die gelegentliche Leistung Guter Dienste lässt sich mit der Mitgliedschaft in einer solchen Gemeinschaft nicht vergleichen. Die Mitgliedschaft würde die Dienste überdies nicht verunmöglichen. Ohne gelegentliche Ausflüge in die Geschichte kann ich es nicht machen, wird doch oft auch historisch argumentiert, wenn Empfehlungen zum Verhältnis zwischen der Schweiz und der Europäischen Union ab­ gegeben werden. Wie gleichläufig oder wie gegenläufig verlief die Geschichte in Europa im Allgemeinen und auf dem heutigen Gebiet der Schweiz im Besonderen ? Auch Geschichte auf dem Gebiet der Schweiz kann verschieden dargestellt werden, mit verschiedenen Zwecken. Der Wille zur Wahrhaftigkeit kann wie anderswo hinter die Zwecke zurücktreten. Die Dreiteilung zwischen dem losen Staatenbund der Alten Eid­ genossenschaft, den Umwälzungen zwischen 1798 und 1848 und dem Bundesstaat scheint mir vor Missbrauchsversuchen den besten Schutz zu bieten. Emotionale Entfremdung der Schweiz von der EU darf nicht der Zweck der Geschichtsdarstellung sein. Wir handeln von der Geschichte eines europäischen Gebiets betroffen, beeinflusst und geprägt von europäischen Entwicklungen. Was missfällt mir am gegenwärtigen Zustand der EU ? Es ist die Unlust und/oder der Unwille, für die Zukunft dringende und wichtige innere Verhältnisse zu klären. Die Klärung der Beziehung zu Grossbritannien ist besonders überfällig. Wohlklingende Wortmissbräuche wie Gemeinsame Aussen- und Sicherheitspolitik (GASP) führen Bürger über den tatsächlich erreichten Integrationsstand in der EU in die Irre. Sie hätten vielmehr ein Anrecht zu wissen, dass der Wunsch nach einer GASP gerade nicht dem Wunsch aller Mitgliedstaaten entspricht. Wache Beobachter werden rührende Zeichensetzungen und gelegentliche Beschlüsse über zivile und militärische Missionen nicht mit einer GASP verwechseln. In10

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teressieren könnte sie immerhin die Frage, wo Zeichen gesetzt werden und wo nicht und weshalb wo nicht. Sie werden die so beliebten Zeichensetzungen und gelegentlichen Beschlüsse über zivile und miltärische Mis­sionen auch nicht mit einer GASP verwechseln. Der Emanzipationsbedarf der aussen- und sicherheitspolitischen Zusammenarbeit der EUMitgliedstaaten von den USA ist unübersehbar, vom Nahen Osten bis zu den Beziehungen zur Russischen Föderation. Eine Partnerschaft schliesst dies nicht aus, aber bitte auf Augenhöhe. Der Weg vom gegenwärtigen Abhängigkeitsverhältnis zu einer solchen Partnerschaft ist aber weit und voraussetzungsreich. Ich halte die Schaffung der Währungsunion für ein Projekt, das leichtfertig und zu früh in die Welt gesetzt wurde.2 Der für einen solchen Schritt notwendige Integrationsstand und der Grad des Zusammenge­ hörigkeitsgefühls waren 1992 nicht erreicht. Die mangelnde Ernsthaftigkeit in der Durchführung des Projekts kann dieses Gefühl nur bestätigen. Das Gemeinschaftsgefühl wurde durch das Projekt nach meinem Dafürhalten nicht gestärkt, eher im Gegenteil. Die Antwort auf die Frage, ob der Versuch, den Euro in der jetzigen Zusammensetzung der Eurozone zu retten, Zusammenhalt oder Zwietracht in der EU fördert, halte ich für offen. Die bisherigen sozialen und politischen Begleitschäden der sogenannten Rettung sind namhaft, auch wenn gerade die Letzteren ungern angesprochen und mit Zeichensetzungen überklebt werden. Ich denke an kaum mehr für möglich gehaltene Ausbrüche nationaler Ressentiments und sich verbreitende Zweifel an der EU als Rechtsgemeinschaft. Mir fällt auf, wie selten daran erinnert wird, dass der EU-Bin­ nenmarkt, das EU-Kernstück, schon ohne Währungsunion leidlich gut funktionierte. Das Versprechen, einen entscheidenden Beitrag zum Abbau der Arbeitslosigkeit zu leisten, lösten bisher weder der Binnenmarkt allein noch der Binnenmarkt und die Währungsunion zusammen in einigen Mitgliedstaaten ein. Das ist aber einmal mehr ein Hinweis auf die anhaltende Bedeutung nationaler Wirtschafts-, Haushalts- und Sozialpolitik. Die Diagnose «unumkehrbar» und «alternativlos» taugt für die Währungsunion so wenig wie für andere Einrichtungen. Der Einsatz solcher Worte eignet sich ohnehin eher für leicht zu verunsichernde Gemüter. Sie soll jetzt ihren Mehrwert beweisen, ihren politischen und ihren wirtschaftlichen. AusEinführung 11

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geschlossen ist ja nicht, dass eine neue Ernsthaftigkeit einkehren wird. Für bereits eingekehrt halte ich sie nicht. Die künftige Gestaltung der Beziehungen zur EU und die weitere Zukunftsvorbereitung haben meines Erachtens auf zwei Ebenen zu geschehen. Eine Alternative zum sektoriellen bilateralen Ausbau der Beziehungen zur EU ist nach der Abstimmung vom 9. Februar 2014 auf absehbare Zeit nicht erkennbar. Mit dem Post-92-Bilateralismus und der Rückkehr zum Freihandelskonzept von 1972 stehen zwei Möglichkeiten zur Auswahl. Die Vertreter des ersten Konzepts wollen den seit 20 Jahren eingeschlagenen Weg fortsetzen, die Vertreter des zweiten legen den Akzent auf eine autonome Ausländerpolitik und scheinen bereit, im Austausch dafür bescheidenere Ansprüche an die Qualität des Zugangs zum EUBinnenmarkt und die Zusammenarbeitssicherheit mit der EU zu stellen. Souveränitätspolitische Empfindlichkeiten im Zusammenhang mit dem Post-92-Bilateralismus und seinen institutionellen Voraussetzungen sind vielleicht auch als Teilkompensation für die im Verhältnis zu den USA brutal sichtbar gewordenen und akzeptierten Grenzen der Souveränität zu sehen, um einer Grossbank ein angeblich existenzgefährdendes Strafverfahren zu ersparen. Breitspurige Souveränitätsdiskurse haben seither bös an Glaubwürdigkeit verloren. Beide Wege sind mir vertraut, als Sekretär der Gemischten Ausschüsse der beiden Freihandelsabkommen in den 1970er-Jahren in Brüssel und als Koordinator und Chefunterhändler der Verhandlungen über die sogenannten Bilateralen I 1994–1998. 1972 zählte die EU sechs Mitgliedstaaten, heute zählt sie 28. Sie hat zu Staaten, die heute als Dritt­ länder einen Zugang zum EU-Binnenmarkt ähnlicher Qualität wie Mitgliedstaaten anstreben, eine andere Erwartungshaltung als zu Staaten, die 1972 Freihandelsabkommen abschlossen. Es ist ein eindrückliches Beispiel für den Diskurs in der Enge, dass heute in einem Land wie der Schweiz nicht über EU-Beitritt und NichtEU-Beitritt diskutiert wird, sondern über zwei Konzepte bilateraler Beziehungsgestaltung. Eines von ihnen stammt aus den 1970er-Jahren. Wer wagte die Aussage, es gebe nicht noch Beispiele für den Sonderfall ? Zukunftsweisender wäre die gelegentliche Auseinandersetzung mit unserer Einstellung zur EU und zu ihren Mitgliedstaaten. Wie diese Einstellung zustande gekommen ist, ist dabei mindestens so lehrreich wie 12

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das vorläufige Ergebnis. Die Wahrscheinlichkeit, dass es zu dieser Auseinandersetzung kommt, ist gering; auch deshalb, weil sie fast unvermeidlich zu einer ehrlichen Beschäftigung mit uns selbst und unserer Geschichte führte. Nicht dass wir diese neue Erfahrung zu fürchten hätten. Die Konstruktion des Sonderfalls in «Wohlfühlbegriffen» würde allerdings erschwert. Der Sinn der Zeit könnte eher dahin gehen, dass wir uns vermehrt aufgrund unserer Lebensweise und unseres Verhaltens in zwischenstaatlichen Beziehungen definieren, vor allem wenn wirtschaftliche Interessen auf dem Spiel stehen, etwa Bankenlizenzen oder Kriegsmaterialausfuhren. Es könnte schwieriger werden, Kriegsmaterialausfuhren nach Saudi-Arabien und humanitäre Tradition in einem Zug zu nennen. Der Aufwand für den Aufbau eines neuen Sonderfalls ist nicht zu unterschätzen. Aus dieser Beschäftigung mit unserer Verhaltensweise ginge ein normales erfolgreiches europäisches Land hervor, mit Errungenschaften, die nicht zur Disposition stehen. Unser tatsächliches Verhalten im Verhältnis zu den USA lehrt uns mehr über uns selbst als spitzfindige Souveränitätspredigten. Der Stellenwert, den wir einem ausgreifendem Souveränitatsverständnis zuschreiben, lässt sich am besten am wirtschaftlichen Preis ablesen, den wir für seine Durchsetzung zu bezahlen bereit sind. Gross kann er bei einer solchen Betrachtungsweise nicht sein. Die Bedeutung, die auch heute noch nationaler Souveränität beigemessen wird, ist selbstverständlich keine schweizerische Besonderheit. Unterschiedlich ist allenfalls die Bereitschaft, in verbreiteten Souveränitätsvorstellungen die Wirklichkeit, die eigenen Möglichkeiten und die Grenzen eigener Möglichkeiten zu berücksichtigen. Ein EU-Mitgliedstaat fühlt sich kein Jota weniger souverän als wir. Der Beitritt war im Gegenteil auch mit dem Wunsch begründet, den Grad tatsächlicher Souveränität zu heben. Die erwähnten Voraussetzungen für eine Diskussion über das Verhältnis Schweiz – EU, die sich nicht in Diskussionen über Untervarianten der Variante Nicht-EU-Beitritt erschöpfen, werden so rasch nicht erfüllt sein. Mehr als 70 Jahre nach der Gründung der ersten Europäischen Gemeinschaft und 20 Jahre nach den EU-Beitritten Finnlands, Österreichs und Schwedens mag es auch nicht mehr besonders eilen. Den Gegenwartsnutzen von Bekenntnissen zu einem längerfristigen EU-Beitritt halte ich für beschränkt, das hartnäckige Bestehen auf der BeantworEinführung 13

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tung von Fragen, die seit Langem einer klaren Beantwortung harren, für nützlicher. Gesetzt den unwahrscheinlichen Fall, es werde tatsächlich einmal eine offene europapolitische Diskussion stattfinden, werden die Folgen eines EU-Beitrittts – Vor- und Nachteile – zwangsläufig im Zentrum stehen. Die EU und ihre Mitgliedstaaten prägen die europäische Wirklichkeit. Diese unwahrscheinliche Diskussion könnte mit der Antwort auf ein paar Fragen vorbereitet werden: Was sind der Schweiz die bestmögliche Absicherung des Zugangs zum grössten Binnenmarkt der Welt und der Anspruch auf Zusammenarbeit mit den Mitgliedstaaten wert ? Was ist ihr die Möglichkeit wert, im EU-Rat, dem Entscheidungsorgan der Mitgliedstaaten, mit gleichgesinnten Mitgliedstaaten Allianzen zur Förderung eigener Anliegen zu bilden ? Was die gleichberechtigte Partnerschaft mit den Ländern, die ihr am nächsten liegen ? Was die Mitentscheidung in Brüssel, vor allem wenn es um die längerfristige Ausrichtung der EU geht, die sich auf uns auswirkt, unabhängig davon, ob wir Mitglied sind oder nicht ? Sind uns diese Vorteile beschränkte Anpassungen im Bereich der Volksrechte und vielleicht des Föderalismus wert, die das bestehende politische und gesellschaftliche System in keiner Weise infrage stellten ? Sind sie uns einen mutmasslichen jährlichen Nettobeitrag von 3 bis 4 Milliarden Franken an den EU-Haushalt wert ? Ins Allgemeine gewendet: Begründungspflichtig für ein Land in der Lage der Schweiz ist nicht der EU-Beitritt, sondern seine Ablehnung. Vielleicht sind die Argumente der Beitrittsgegner zustimmungsfähig, Argumente müssen es aber endlich sein, und zwar kritikfähige Argumente. Den eigenen politischen Zwecken zurechtgelegte Geschichtsdeutungen, die Übertreibung eigener Verdienste und die Geringschätzung der EULeistungen im Interesse von ganz Europa, Begriffsturnen ohne Wirklichkeitkeitsbezug sind keine Argumente. Wem an Klarheit liegt, wird auch den irreführenden Eindruck vermeiden, es sei möglich, bedarfs- und wunschgemäss gleichzeitig innerhalb und ausserhalb der EU zu sein. Man möchte sich gelegentlich einen strategischen, mit Vorstellungskraft angereicherten Blick auf die EU wünschen. Mehr in Einzelheiten eintretende Darstellungen sind in Anhängen untergebracht, um den Text leserfreundlicher zu halten. Wer Interesse am genaueren Verlauf der EWR-Verhandlungen und der Bilateralen I 14

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hat, wird die eine oder andere Information finden, welche die Einordnung der Ereignisse und des Verlaufs der Verhandlungen erleichtert. Da ich an den Bilateralen II selbst nicht mehr beteiligt war, verzichte ich auf einen Anhang dazu. Was mir daran von allgemeinerem Interesse erscheint, ist im ersten Kapitel untergebracht. Ich war Chefkoordinator/unterhändler der Bilateralen I und Stellvertreter des schweizerischen Unterhändlers in den EWR-Verhandlungen. Zur Zeit der Bilateralen II war ich bereits Präsident des IKRK. Besonders meiner Frau und den Professoren Andreas Kley und Thomas Bernauer danke ich herzlich für die Unterstützung.

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1  Die schweizerische Integrations­politik im Überblick Der Marshallplan vom 27. Juni 1947 und die Pariser Konferenz vom 12. Juli, die zur Gründung der Organisation über die europäische wirtschaftliche Zusammenarbeit (OEEC, später OECD) führen sollte, erforderten erste europapolitische Stellungnahmen des Bundesrats. Möglichkeiten und Grenzen europapolitischer Bindungsbereitschaft wurden also Jahre vor der Entstehung der ersten der drei Europäischen Gemeinschaften (EG) aufgezeigt, der EGKS. Die Botschaft war klar und lautete im Kern: Die Schweiz ist bereit, am wirtschaftlichen Wiederaufbau Europas teilzunehmen, unter der Vor­ aussetzung, dass dies keine politischen Anpassungen erfordert. Der Bundesrat sah den Beitrag der Schweiz am Wiederaufbau Europas seit 1945 im Abschluss von Handelsverträgen mit 18 Staaten und schloss auch in der Wirtschaftspolitik von vornherein Anpassungen an neue Ansätze aus, zu denen die Konferenz möglicherweise führen könnte. In der Annahme der Einladung zur Konferenz von Paris stellte er auch fest, dass die Schweiz keine Verpflichtungen eingehen werde, die mit ihrer tradi­tionellen Neutralität unvereinbar seien.3 Zwei weitere Vorbehalte kamen dazu. Die offizielle Reaktion der Schweiz auf den Schuman-Plan vom 9. Mai 1950, bestimmt in erster Linie durch die Handelsabteilung des EVD und die Wirtschaftsverbände, war defensiv und negativ.4 Eine Teilnahme an den Verhandlungen, die zur Unterzeichnung des EGKS-Vertrags am 18. April 1951 in Paris führten, wurde gar nie mit Argumenten dafür und dagegen diskutiert und erwogen. Robert Schuman schlug vor, dass Frank­reich, Deutschland und andere europäische Staaten, ausgehend von Kohle und Stahl, eine europäische Gemeinschaft mit überstaatlichen Befugnissen schafften.5 Vor dem Hintergrund von Robert Schumans Erklärung vom 9. Mai 1950 kann die Geisteshaltung zum Projekt fast nur als peinlich bezeichnet 16

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werden: «Par la mise en commun de productions de base et par l’institution d’une Haute Autorité nouvelle, dont les décisions lieront la France, l’Allemagne et les autres pays qui y adhéreront, cette proposition réalisera les premières assises concrètes d’une Fédératon européenne indispensable à la préservation de la paix.» Das Hohelied zwischenstaatlicher Zusammenarbeit und souveränitätsschonender Organisationen wie der OEEC wurde angestimmt und das EGKS-Projekt von den Meinungsmachern im EVD und der Wirtschaft mit bösen Worten bedacht: totalitärer Dirigismus, totaler Multi­ lateralismus usw. Vorstellbar war solches wirklich nur in einem kriegsverschonten, seiner unmittelbaren eigenen Vergangenheit gegenüber unkritischen Land, das auch kritische Urteile über die Handhabung der Neutralität während des Zweiten Weltkriegs durch die USA rasch vergessen hatte. Die selektive Wahrnehmungsfähigkeit teilen wir auch heute noch mit der sich nicht immer so schwesterlich aufführenden grossen Schwesterrepublik. Die Diskussion zeugt leider auch von einer sehr beschränkten Fähigkeit, sich in die Lage von Ländern zu versetzen, die vom Zweiten Weltkrieg teils ohne jede Mitverantwortung überzogen wurden und deshalb um die friedenspolitische Bedeutung einer EGKS wussten. Die gemeinsame Ausübung der Souveränität auf einigen Gebieten musste diesen als geringer Preis für Frieden und Sicherheit erscheinen. Die Möglichkeit, zwischen Teilnahme oder Nichtteilnahme wählen zu können, wurde in gewissen Wirtschaftskreisen fast hysterisch zur Wahl zwischen Ausschluss und Selbstaufgabe hochstilisiert.6 Schon in diesem Frühstadium erhielt die Auseinandersetzung mit der europäischen Integration den pathetischen Anstrich einer Schicksalsfrage, die auch in Zukunft jeden Versuch einer rationalen Auseinandersetzung mit der EU belasten, wenn nicht verhindern sollte. Das für die Aussenbeziehungen zuständige Eidgenössische Politische Departement (EPD) und sein damaliger Vorsteher Max Petitpierre hatten zum Schuman-Plan eine weit positivere Haltung (Schuman-Plan als Friedenswerk), machten diese in den Jahren 1950 und 1957 aber kaum geltend und setzten sich in der interdepartementalen Diskussion jedenfalls nicht durch. Ein vorbehaltloser Beitritt mit Verzicht auf die Neutralität erschien dem EPD als durchaus denkbar am Tag, an dem die europäische Föderation einmal leben und solide sein würde.7 Bestimmender für die Haltung Die schweizerische Integrationspolitik im Überblick 17

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gegenüber der EU war aber das vor allem von Wirtschaftsseite geprägte und gepflegte zentralistische Feind- und Zerrbild des Schuman-Plans. Gegenübergestellt wurde diesem das idealistisch überhöhte ­Gegenmodell einer föderalistischen und vermeintlich ultraliberal verfassten Schweiz.8 Dieses Denk- und Argumentationsmuster sollte Jahrzehnte grundlegender europäischer Veränderungen weitgehend unbeschadet überleben und prägt auch heutiges Empfinden in breiten Bevölkerungskreisen. Der Vorwurf «zentralistischer Grossreichbestrebungen der EU-Politiker» bleibt ein innenpolitischer Renner. Dass er von besonderer Unkenntnis der EU und ihres Aufbaus zeugt, nimmt ihm nichts von seiner Wirkung. Im Februar 1957 – fünf Wochen vor Unterzeichnung der Römer Verträge – beschlossen die 17 OEEC-Staaten einschliesslich der sechs EGKSStaaten die Aufnahme von Verhandlungen über eine grosse europäische Freihandelszone für lndustrieprodukte. Diese scheiterten im Herbst 1958 in erster Linie am französischen Widerstand. Die Schweiz musste das Verhältnis zu den inzwischen drei Europäischen Gemeinschaften (EGKS, EWG und Euratom) in einem anderen als dem OEEC-Rahmen lösen. Die Verhandlungen, die 1960 zur Gründung der Europäischen Freihandelsassoziation (EFTA) führen sollten, begannen 1959 in Stockholm. Die Botschaft des Bundesrats an die Bundesversammlung über die Beteiligung der Schweiz an der EFTA vom 5. Februar 1960 9 enthielt die erste gründlichere Auseinandersetzung mit dem EWG-Beitritt. In den EFTALändern lebten damals gegen 100 Millionen Menschen, heute sind es rund 13 Millionen. Von den acht Gründungsmitgliedern sind heute sechs Mitgliedstaaten der EU. 1961–1963, ausgelöst durch die EG-Beitrittsgesuche Grossbritanniens, Dänemarks, Norwegens und Irlands, suchte die Schweiz eine sogenannte europäische Gesamtlösung, in deren Rahmen die Beitritts- und Assoziationsverträge gleichzeitig in Kraft treten sollten. Sie reichte am 15. Dezember 1961 das Gesuch über die Aufnahme von Verhandlungen über ein Assoziationsabkommen mit der EWG ein.10 Der damalige Chef des EDA, Traugott Wahlen, begründete das schweizerische Begehren am 24. September 1962 vor dem EG-Ministerrat mit dem Wunsch, in angemessener Form am gemeinsamen europäischen Markt teilzunehmen. Die Erklärung brachte Sympathie zum Gemeinschaftsprojekt zum Ausdruck und eine im Vergleich zu früher und den 1970er-Jahren breite und offene 18

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3  Verhandeln, verhandeln mit der EU Die erste Verhandlung, die ich als Delegationsleiter führte, war die Verhandlung mit der EGK über das Transitabkommen mit der damals zwölf Mitgliedstaaten umfassenden EG von 1989 bis 1991. Als Diplomat in Brüssel und Sekretär der im Rahmen der beiden Freihandelsabkommen eingesetzten Gemischten Ausschüsse von 1976 bis 1981 hatte ich, vom letzten Jahr abgesehen (Beitritt Griechenlands), noch mit einer EG, bestehend aus neun Mitgliedstaaten, zu tun, die sich seit der Gründung erst einmal erweitert hatte. Die Schweiz zeigte sich in diesen Verhandlungen bereit, ihre Verantwortung als Transitland wahrzunehmen, aber nicht durch eine Aufgabe der 28-Tonnen-Höchstgewichtsgrenze für LKWs, aber im Rahmen eines Konzepts, das die Verlagerung des Güterverkehrs von der Strasse auf die Schiene dank grosszügiger schweizerischer Infrastrukturprojekte (NEAT) förderte. Brücken zu späteren Verhandlungen über den kommerziellen Marktzugang im Landverkehr wurden durch einen Briefwechsel im Anhang des Abkommens geschlagen. Auch eine Erklärung über die Teilnahme an der Liberalisierung des europäischen Zivilluftverkehrs verfolgte den gleichen Zweck. Sie bildete aber nicht Teil des Abkommens und hatte damit nicht den gleichen rechtlichen Stellenwert. Die letzte Verhandlung als Präsident des IKRK führte ich in Syrien, wo ich mich in Damaskus während dreier Besuche im Gespräch mit Präsident Bashar-al-Asad, Aussenminister Walid al-Muallem und anderen Ministern zwischen Juni 2011 und April 2012 für einen besseren Zugang des IKRK zu den verschiedenen Gebieten des vom Bürgerkrieg geplagten Landes und für die Möglichkeit einsetzte, Gefängnisse nach den IKRKModalitäten zu besuchen. Dazwischen liegen die Verhandlungen im Rahmen des Prozesses von Luxemburg, die EWR-Verhandlungen und die Bilateralen I. 60

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Verhandeln, verhandeln mit der EU

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Verhandlungen hatten die verschiedensten Gegenstände zum Ziel, von Luftverkehrsrechten bis in die letzte Verhandlungsnacht der Bilateralen I mit der EGK zur Anwendbarkeit des humanitären Völkerrechts im sogenannten Krieg gegen den Terrorismus mit verschiedenen Vertretern der US-Regierung bis auf die Stufe des Präsidenten. Eine Verhandlung für das IKRK ist anderer Natur als eine Verhandlung für einen Staat. Es werden keine Konzessionen ausgetauscht. Es wird die Einhaltung rechtlicher Bestimmungen gefordert und auf Vertrags­ treue und Menschlichkeit der bewaffneten Konfliktparteien gezählt. Die in allen Verhandlungen wichtige Bereitschaft zur Perspektivenübernahme des Gesprächspartners ist im IKRK-Fall umso wichtiger. Parteien, die auf ihr internationales Ansehen achten und sich die eigene Bevölkerung nicht entfremden wollen, können es als Vorteil ansehen, das IKRK nach seinen Grundsätzen wirken zu lassen und anwendbares Recht zu beachten. Dies macht einige der unten erwähnten Verhandlungsgrundsätze nur noch wichtiger. Es geht mir hier aber nicht um eine Aufzählung von Verhandlungen oder besonderen materiellen Aspekten gewisser Verhandlungen; wichtig scheint mir vielmehr Folgendes: 1.  Sich vor Einleitung von Verhandlungen über die wichtigsten verfolgten Ziele und unter keinen Umständen zu machenden Zugeständnisse im Klaren sein. Eine vorherige klare Vorstellung über denkbare Zugeständnisse und die dafür notwendigen Gegenleistungen ist ebenfalls nützlich. Das tönt selbstverständlich, ist es nach meiner Erfahrung aber nicht. Unterhändler neigen dazu, sich in ihr Produkt zu verlieben und es der blossen Tatsache wegen, dass sie sich lange mit ihm beschäftigt haben, gut zu finden. Der Unterhändler muss jederzeit die innere Freiheit behalten, sich vom Produkt zu lösen, wenn die wichtigsten Ziele ausser Reichweite geraten. Der Moment, in dem das EU-Verhandlungsmandat für den EWR bekannt wurde, war vermutlich ein solcher Moment. Diese Loslösung ist ein schwieriger Prozess. Es soll deshalb niemandem leichtfertig vor­geworfen werden, wenn er damit Mühe bekundet. Die Schwierigkeit bedeutet aber keinen Dispens. 2.  Der Unterhändler muss sich über seine Prioritäten im Klaren sein und darf nicht davon abweichen. Eine Verhandlung kann nur zum Erfolg führen, wenn sie scheitern darf. Der Unterhändler wird in der Regel Verhandeln, verhandeln mit der EU 61

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mit einem Haufen, selten nach Prioritäten geordneten Anregungen und Meinungen eingedeckt. Es fehlt auch nicht an Leuten, die eine Meinung, aber keine Überzeugung haben. Vor allem tragen sie in der Regel keine Verantwortung. Er muss die Ziele ordnen und die Ordnung den Be­ hörden erklären, die das Verhandlungsmandat erteilen. Er weiss, dass er nicht alle Ziele erreichen kann. Er weiss auch, dass die Verhandlung kein Erfolg ist, wenn er die Ziele sieben, acht und neun erreicht, das Ziel eins aber verfehlt. Eine Verhandlung, in der die wichtigsten Ziele nicht erreichbar sind, ist abzubrechen. Der Versuchung, die erzielten Ergebnisse schönzureden, ist unbedingt zu widerstehen. Ein eitler und harmoniesüchtiger Unterhändler ist kein guter Unterhändler. 3.  Der Unterhändler muss sich jederzeit bewusst sein, dass das Gegenüber ebenfalls aus seiner und seiner Auftraggeber Sicht berechtigte Ziele verfolgt. Sein Verhalten soll Respekt vor dieser Tatsache zum Ausdruck bringen. Er hat ein Interesse daran, die Perpektive des anderen so gut wie möglich zu kennen. Da sich die meisten Leute gerne selbst sprechen hören (obwohl man während dieser Zeit am wenigsten erfährt), ist es nicht allzu schwierig, aber sehr nützlich, dem Gegenüber zuerst das Wort zu geben, sorgfältig zuzuhören und zu beobachten. Die Beobachtung hört nicht auf, ergreift man einmal selbst das Wort: Hört das Gegenüber ruhig und aufmerksam zu, oder holt es sich links und rechts nervös Ratschläge ? 4.  Der Unterhändler, will er zum Ziel kommen, muss seine Möglichkeiten richtig einschätzen und auf Glaubwürdigkeit in der Dauer setzen. Es gibt wenig Dümmeres als Aufschneiderei und leichtfertige Drohungen, die wahr zu machen man nicht bereit oder nicht in der Lage ist. Das aufmerksame Gegenüber merkt das. Es antwortet auf Drohungen mit der Einladung zur Wahrmachung. Das führt zu nützlichen Klärungen. Verhandlungen mit der EU lassen sich mit Aussicht auf Erfolg nur durchführen, wenn der Unterhändler mit ihrer Arbeitsweise vertraut ist. Der Rat bestimmt das Mandat und genehmigt das Verhandlungsergebnis, in immer zahlreicheren Fällen zusammen mit dem EP, die Kommission verhandelt aufgrund eines Mandats, das bereits das Ergebnis einer Verhandlung zwischen den 28 Mitgliedstaaten ist. Eine vertrauensvolle Beziehung mit den Mitgliedstaaten, die unbedingt vor Verabschiedung des Mandats zu pflegen ist, ist entsprechend wichtig. Die Kenntnis meh62

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rerer EU-Amtssprachen ist in dieser Phase mehr als hilfreich, nicht in erster Linie aus technischen Gründen, sondern weil sie auch psychologisch den Beziehungsaufbau erleichtert. 5.  Eine harte, aber respektvolle Verhandlungsweise gefährdet eine Verhandlung nicht. Zeichen mangelnden Respekts für den anderen, Zeichen mangelnden Interesses für seine Perpektive und seine Probleme, unkontrollierte emotionale Äusserungen gefährden eine Verhandlung und haben in der Regel ihren Preis. Nachträgliches übertriebenes Entgegenkommen macht den Schaden eines arroganten Auftritts oder unbeherrschter Gefühlsausbrüche nicht mehr gut. Was immer der Kulturkreis ist: Es sind immer Menschen mit Anspruch auf Achtung, die verhandeln. Ob dieser Anspruch gerechtfertigt ist oder nicht, ist aus einer Verhandlungsperspektive zweitrangig. Was zählt, ist das Erreichen der Verhandlungsziele. Das gilt vor allem im humanitären Bereich, wo immer Leben und Würde von Menschen auf dem Spiel stehen. 6.  Die Übereinstimmung der in Verhandlungen gemachten Aussagen mit Aussagen über die Verhandlungen in der Öffentlichkeit zum gleichen Gegenstand ist für das Vertrauen entscheidend. Man kann in der Öffentlichkeit nicht alles kundtun, was man aber kundtut, hat dem Verhandlungsverlauf zu entsprechen, auch in der Gewichtung der einzelnen Punkte. Gibt man sich aus falsch verstandenem Harmoniebedürfnis oder blosser Angst vor Spannungen in Verhandlungen oder Konsultationen auf hoher Ebene besonders kompromissbereit und spielt nachher vor der nationalen Presse den harten patriotischen Interessenvertreter, sind Vertrauen und Respekt dahin. Dieser peinliche Fall ist verbreitet. Der Hinweis ist vor allem für Politiker mit besonders ausgeprägtem Harmonie­­ bedürfnis und/oder mangelndem Mut wichtig. Ich sah Leute am Werk, die einen heiklen Punkt nur scheu am Schluss unter «Verschiedenes» anzusprechen wagten, um im anschliessenden Treffen mit der einhei­ mischen Presse zu berichten, wie kräftig sie auf die Trommel geschlagen hätten. 7.  Vielleicht hätte ich diesen Punkt an die erste Stelle setzen müssen. Gelingt es nicht, in einer Verhandlung ein allgemeines Klima des Wohlwollens zu schaffen, erhöht sich das Risiko kleinlicher Rechnerei, in der Regel nicht zum Vorteil des Kleineren. Auf die Schaffung eines Klimas Verhandeln, verhandeln mit der EU 63

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von Vertrauen und Wohlwollen hat schon Karl Viktor von Bonstetten (1745–1832) bestanden. Dieses Klima ist besonders wichtig in Verhandlungen zwischen Parteien ungleicher Grösse mit entsprechend ungleicher Verhandlungsmacht. Rhetorische Grossmannssucht an innenpolitischen Veranstaltungen bei Windstille kann den Interessen eines Landes gehörig schaden. Und wenn sie nicht schadet, kann sie zu vermeidbaren demütigenden Situa­ tio­nen führen, indem als unverhandelbar gepriesene Positionen geräumt werden müssen. Die mitunter geäusserte Annahme, in zwischenstaatlichen Verhandlungen sei es möglich, Verhandlungspartner mit dem Hinweis auf Schwierigkeiten im innenpolitischen Genehmigungsverfahren zu Konzessionen zu bewegen, halte ich für falsch. Den besten Beweis für diese Auffassung lieferten die USA im Verhältnis zur Schweiz in den letzten Jahren. Sie fassen in Steuerfragen alle Länder vergleichbar an und zählen auf ihre Macht. Da wir gerne über Probleme diskutieren, die keine sind, noch dies: Die EU und ihre Mitgliedstaaten haben nicht die geringste Mühe mit der Anerkennung des politischen Systems der Schweiz. Sie haben aber selbstverständlich das Recht, ihre Interessen mit gleichem Nachdruck zu vertreten wie die Schweiz die ihren. Ein Volksentscheid bindet die politischen Organe der Schweiz, nicht die politischen Organe anderer Staaten oder überstaatlicher Organisationen. Das Volk ist frei zu entscheiden, was es will. Die anderen sind frei zu entscheiden, wie sie darauf reagieren. So viel unter der Rubrik Selbstverständlichkeiten. Verständnisvolle bis liebenswürdige Worte einzelner Mitgliedstaaten in bilateralen Treffen dürfen nie darüber hinwegtäuschen, dass sich die Mitgliedstaaten untereinander näher sind als mit Drittstaaten. Sie sind Teil einer Gemeinschaft.

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Glossar

Alleingang

Klare Vorstellungen sind mit dem Begriff selten verbunden. Wird an die Geografie oder an Institutionen gedacht ? Sinn kann der Begriff, will auf ihn nicht verzichtet werden, nur mit Bezug auf die politisch-institutionellen Verhältnisse machen. Die Geografie und die damit verbundenen Abhängigkeiten schliessen Alleingänge aus. Bezeichnet der Alleingang ein institutionell-politisches Verhältnis zur EU, das stark abweicht vom Verhältnis anderer vergleichbarer europäischer Länder, dann ist der Begriff verwendungsfähig. Ein Land in der Lage der Schweiz, das nicht Mitglied der EU ist, befindet sich aus europäischer Perspektive im Alleingangmodus. Die Schweiz befindet sich aus der Sicht der wirtschaftlichen und sozialen Verflechtung mit der EU und ihren Mitgliedstaaten aber alles andere als im Alleingang. Die Teilnahme am EWRA ist aus europäischer Sicht ein Alleingang. Drei Länder mit einer Bevölkerung von fünf Millionen Personen assoziieren sich an den EUBinnenmarkt, in dem über 500 Millionen Menschen leben. Sie übernehmen das anwendbare EU-Recht ohne Mitentscheidungsmöglichkeit, was angesichts der Grös­ senverhältnisse durchaus normal ist. Phantasievolle EWR-Präsentationen können die tatsächlichen Verhältnisse nicht aus der Welt schaffen. Für Liebhaber intellektueller Unbeschwertheit sei aber doch an dieser Stelle aus einem mit Der Alleingang betitelten, von Avenir Suisse herausgegebenen, 2002 im Orell Füssli Verlag erschienenen Buch zitiert: «Zehn Jahre nach der Weichenstellung für den Alleingang stellt sich die Frage, wie die Schweiz heute im Vergleich mit den Mitgliedstaaten des EWR (der die Mitgliedstaaten der EU einschliesst) dasteht.» Der EWR schliesst die EU-Mitgliedstaaten nicht ein. Der EWR dehnt den EU-Binnenmarkt auf drei EFTA-Staaten aus. Im EU-Binnenmarkt leben über 500 Millionen Menschen, in den EFTA-Ländern rund 5 Millionen. Die Erklärung des Alleingangs durch den Bundesrat im Integrationsbericht 1999 (S. 308) überzeugt nicht. Sie leidet unter der Hemmung, EU-Beitritt und Teilnahme am EWRA mit der wünschbaren Deutlichkeit zu unterscheiden. Das EWRA gehört aus politisch-institutioneller Sicht auf die Seite des Alleingangs. Aus Sicht der wirtschaftlichen und sozialen Beziehungssubstanz ist die bilaterale Beziehung zur Schweiz für die EU wichtiger als das EWRA. Der Begriff Alleingang wird in innenpolitischen Diskussionen nicht ungern als Angstargument eingesetzt, um das Stimmverhalten von Wählern und Wählerinnen zu beeinflussen. Glossar 233

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Alternativlosigkeit

Entgegen aller geschichtlichen Erfahrung neigen vor allem Politiker dazu, Vorstellungen, die sie durchsetzen wollen, als alternativlos zu bezeichnen, obwohl in der Geschichte alles Alternativlose Alternativen gefunden hat. Einen Vorschlag als alternativlos zu bezeichnen, bedeutet in der Regel Angst vor einer Auseinandersetzung mit Argumenten. Projekte, die durchgesetzt werden sollen, müssen nicht zwingend als alternativlos dargestellt werden. Gefühle der Alternativlosigkeit können auch erzeugt werden, indem ohne nähere Prüfung oder wider besseres Wissen andere Wege als nicht oder nicht länger begehbar dargestellt werden. Hochkonjunktur der Alternativlosigkeit herrscht derzeit in EU-Währungsfragen. Ausserkraftsetzung

Siehe Guillotineklausel für die bilateralen sektoriellen Verträge I. Im EWRA werden die durch die neuen Vorschriften berührten Teile vorläufig ausser Kraft gesetzt, wenn sich der Gemischte EWR-Ausschuss nicht auf die Änderung eines Anhangs, das heisst die Übernahme des weiterentwickelten EU-Rechts, einigen kann (Artikel 102 EWRA). Die Lösungsbemühungen im Gemeinsamen EWR-Ausschuss, wo sich die drei EFTA-Staaten zuvor auf eine gemeinsame Haltung einigen müssen, werden derweilen fortgesetzt. Die im Mai 2014 begonnenen Verhandlungen über ein bilaterales institutionelles Abkommen zwischen der Schweiz und der EU streben eine ähnliche Lösung an. Der entscheidende Unterschied liegt darin, dass die Schweiz ihre Interessen mit eigener Stimme vertreten kann, auch auf der Suche nach Lösungen. Assoziierungsabkommen

Die EU kann mit Ländern oder internationalen Organisationen Abkommen schlies­ sen, «die eine Assoziierung mit gegenseitigen Rechten und Pflichten, gemeinsamem Vorgehen und besonderen Verfahren herstellen» (VAEU, Artikel 217). Der Artikel hatte schon den gleichen Wortlaut in der durch den Vertrag von Maastricht geänderten Version des EWGV, der bei dieser Gelegenheit in Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft (EGV) umbenannt wurde (Artikel 238 EGV). Artikel 217 sieht die Möglichkeit verschiedener Assoziationen vor. Immer bezeichnen sie die Herstellung eines Nahverhältnisses zur EU, die die selbsttätige (autonome) Weiterentwicklung der EU nicht behindern darf. Das Nahverhältnis kommt auch in den Verfahren zum Abschluss der Abkommen zum Ausdruck. Assoziations­ abkommen müssen vom Rat einstimmig angenommen werden (Artikel 218 [8] VAEU). Das Europäische Parlament muss zustimmen (Artikel 218 [6] a). Das EWRA ist ein Assoziationsabkommen. Es begründete eine neue Assoziationsart: die Asso234

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Anhang

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ziation an den EU-Binnenmarkt durch die Übernahme des EU-Binnenmarktrechts. Früher wurde vor allem zwischen Beitritts-, Entwicklungs- und Freihandelsassoziation unterschieden. Artikel 217 verdient aufmerksame Lektüre: Die Rede ist nicht von gleichen, sondern von gegenseitigen Rechten und Pflichten. Austritt

Der Vertrag der Europäischen Union (VEU) von 2009 sieht erstmals die Möglichkeit für Mitgliedstaaten vor, aus der EU auszutreten (Artikel 50). Der Austritt aus der Währungsunion, die Rückkehr zur nationalen Währung, ist nicht ausdrücklich vorgesehen. Wenn ein EU-Austritt im Grundgesetz ausdrücklich vorgesehen ist, müssten sich aber Wege aus der heute 18 Mitgliedstaaten umfassenden Eurozone finden und dürften sich finden lassen. Bankenunion

Die Bankenunion, ein von der EGK 2012 gebildeter Begriff, versteht sich als wichtiger Teil der EU-Antwort auf die 2007 ausgebrochene Finanzkrise. Eine von der EZB nach gemeinsamen Kriterien durchgeführte Aufsicht der grössten Banken in der EU wurde zuerst geschaffen. Im Sommer 2014 fiel der EU-Beschluss, wie mit nicht mehr lebensfähigen Banken künftig zu verfahren ist. Der Begriff der Haftungskaskade, mit dem Ziel, die Steuerzahler bestmöglich zu schützen, wurde in diesem Zusammenhang geschaffen. Noch nicht gebilligt ist der dritte Teil: gemeinsame EU-Vorgaben für die weiterhin national organisierten Einlageversicherungen. Die Bankenunion hat sich erst noch zu bewähren. Decision Shaping

Das Informations- und Konsultationsverfahren zwischen EU-Kommission und EFTA-Ländern während der Entstehungsphase des EU-Rechts, das zur Übernahme im EWRA bestimmt ist, wird in der Schweiz missverständlich gerne als «decision shaping» bezeichnet. Missverständlich deshalb, weil es sich nicht um ein infor­ melles Mitentscheidungsverfahren handelt. Die EU ist nicht verpflichtet, die Stellungnahmen der EFTA-Länder zu berücksichtigen. Die EFTA-Länder können die Übernahme verweigern, riskieren aber die Aussetzung der durch den nicht übernommenen Rechtsakt betroffenen Abkommensteile. Sie haben den Schritt bisher nicht gewagt. Nicht eingerichtet wurde auch ein vorgesehenes Schiedsgericht, das über Verhältnismässigkeit und Dauer der Suspendierungen entscheiden müsste. Der Begriff der gestaltenden Mitwirkung kann auch als Verlustanzeige bezeichnet werden. Der bezeichnete Verlust ist das Recht auf Mitentscheidung.

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