Lampugnani: Radikal normal. Positionen zur Architektur der Stadt.

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Vittorio  Magnago  Lampugnani

radikal normal Positionen  zur    Architektur  der  Stadt

Verlag Neue Zürcher Zeitung


Vittorio  Magnago  Lampugnani

radikal normal Positionen  zur    Architektur  der  Stadt

Verlag Neue Zürcher Zeitung


Giambattista Nolli, Nuova Pianta di Roma (Pianta Grande), 1748, 113,61 Ă— 94,18 cm


Giambattista Nolli, Nuova Pianta di Roma (Pianta Grande), 1748, 113,61 Ă— 94,18 cm


9

Z eitgemässer S tädtebau

Vorwort

E ine

unaufger egte

M oder ne

188

F ü r ei n e Neugrü n du ng der D iszi pli n S tä dt ebau

196

M u tm assu ngen ü ber S u bu r bi a

205

S ta dt u n d A u tomobi l

16

D i e n eu e E i n fach h ei t

211

D er v i el sei t ige S ta dt block

26

Das G espenst der M onoton i e

222

D i e S ta dt a l s L ou nge ?

31

D i e M oder n e u n d di e A rch i t ek t u r

228

Das I n di v i du um , di e G esell sch a ft u n d di e A rch i t ek t u r

39

Was blei bt vom P roj ek t der M oder n e ?

50

D i e W elt der T ech n i k ist n ich t di e W elt der M ensch en

235

Vor sch läge fü r das Bau en i n u nsich er en Z ei t en

56

U n du rchsich t ige Tr a nspa r enzen

243

G est en oh n e S i n ngeh a lt

63

G ebau t e Fa r bigk ei t en

250

F ü r ei n e S ta dt der v i elen G esich t er

69

W er h at S eh nsuch t nach der S ta dt der Z u k u n ft ?

256

F ü n f per sön lich e G ebr auchsa n w eisu ngen fü r di e

77

D er A rch i t ek t, der T ech n i k er u n d der K ü nst ler

84

F ü r ei n e nach den k lich e Ava n tga r de

97

D i e n eu e E i n fach h ei t, v i er zeh n Ja h r e spät er

E r innerung

und N achh altigkeit

108

A rch i t ek t u r u n d S tä dt ebau i n der E poch e der Um w elt k r ise

125

K r i t isch er R egiona lismus

129

E i n P roj ek t der E r i n n eru ng

140

Z u r E r h a lt u ng der S ta dt des 20. Ja h r h u n derts

152

A rch i t ek t u r u nm i tt elba r a nsch au en

159

Das h istor isch e Z en t rum a l s G ebr auchsgegensta n d ,

K u lt u rgu t, L eh r st ück

169

Ü ber legu ngen zu ei n em nach h a lt igen S tä dt ebau

176

D i e A rch i t ek t u r der stä dt isch en D ich t e

268

der S ta dt

zei tgenössisch e S ta dt pla n u ng

F ei n fü h lige U topi en


9

Z eitgemässer S tädtebau

Vorwort

E ine

unaufger egte

M oder ne

188

F ü r ei n e Neugrü n du ng der D iszi pli n S tä dt ebau

196

M u tm assu ngen ü ber S u bu r bi a

205

S ta dt u n d A u tomobi l

16

D i e n eu e E i n fach h ei t

211

D er v i el sei t ige S ta dt block

26

Das G espenst der M onoton i e

222

D i e S ta dt a l s L ou nge ?

31

D i e M oder n e u n d di e A rch i t ek t u r

228

Das I n di v i du um , di e G esell sch a ft u n d di e A rch i t ek t u r

39

Was blei bt vom P roj ek t der M oder n e ?

50

D i e W elt der T ech n i k ist n ich t di e W elt der M ensch en

235

Vor sch läge fü r das Bau en i n u nsich er en Z ei t en

56

U n du rchsich t ige Tr a nspa r enzen

243

G est en oh n e S i n ngeh a lt

63

G ebau t e Fa r bigk ei t en

250

F ü r ei n e S ta dt der v i elen G esich t er

69

W er h at S eh nsuch t nach der S ta dt der Z u k u n ft ?

256

F ü n f per sön lich e G ebr auchsa n w eisu ngen fü r di e

77

D er A rch i t ek t, der T ech n i k er u n d der K ü nst ler

84

F ü r ei n e nach den k lich e Ava n tga r de

97

D i e n eu e E i n fach h ei t, v i er zeh n Ja h r e spät er

E r innerung

und N achh altigkeit

108

A rch i t ek t u r u n d S tä dt ebau i n der E poch e der Um w elt k r ise

125

K r i t isch er R egiona lismus

129

E i n P roj ek t der E r i n n eru ng

140

Z u r E r h a lt u ng der S ta dt des 20. Ja h r h u n derts

152

A rch i t ek t u r u nm i tt elba r a nsch au en

159

Das h istor isch e Z en t rum a l s G ebr auchsgegensta n d ,

K u lt u rgu t, L eh r st ück

169

Ü ber legu ngen zu ei n em nach h a lt igen S tä dt ebau

176

D i e A rch i t ek t u r der stä dt isch en D ich t e

268

der S ta dt

zei tgenössisch e S ta dt pla n u ng

F ei n fü h lige U topi en


Vorwort Unsere Gesellschaft ist eine Konsumgesellschaft. Dies ist kaum die Ver­ kündigung einer Neuigkeit. Der amerikanische Soziologe Thorstein Veblen hat bereits 1899 in seiner Theory of the Leisure Class ein Verbraucher­ verhalten festgestellt, das über die Erfüllung von Primärbedürfnissen hinaus die Steigerung des Sozialprestiges anstrebt. Dieser »demonstrative Konsum« breitete sich seit den zwanziger Jahren des 20. Jahrhunderts im prosperierenden Mittelstand aus. Von den Vereinigten Staaten von Ame­ rika griff das Phänomen auf das Europa der Wirtschaftswunder über und fasste in den sechziger und siebziger Jahren in sämtlichen kapitalisti­ schen industrialisierten Ländern Fuß. Inzwischen ist der Konsumismus eine fast weltweit verbreitete und allumfassende Erscheinung. So allumfassend, dass er auch die Architektur und die Stadt verein­ nahmt hat. Das ist eher eine Überraschung: Zumal Stadt und Architektur keine Verbrauchsartikel sind (oder nicht sein sollten), und zumal sie tat­ sächlich erst sehr viel später in den Strudel des Konsumismus hineinge­ raten sind. Zwar führte das »Futuristische Manifest« von 1914 bereits die Vorstellung von Städten ein, die sich jede neue Generation bauen sollte, der Stadtbaurat Martin Wagner nahm Ende der zwanziger Jahre bei Groß­ stadtplätzen wie dem Berliner Alexanderplatz mit einer kommerziellen Architektur vorlieb, die nur ein paar Jahrzehnte zu halten hätte, und der britische Architekt Peter Cook sprach 1963 im dritten Heft von Archigram von Wegwerfarchitektur und ermunterte seine Leser, sie als »heilsames, ganz und gar positives Zeichen« zu deuten: 1 Aber immer noch ging es um Architekturen, die als solche gebraucht wurden, nur eben für eine bestimmte Zeit, nach welcher sie ersetzt werden müssten. Erst in den achtziger Jahren begannen Bauten zu Prestigeobjekten zu werden, die nicht um ihrer selbst, sondern um der Aura willen errichtet wurden, die sie tatsächlich oder vermeintlich ausstrahlten.

9


Vorwort Unsere Gesellschaft ist eine Konsumgesellschaft. Dies ist kaum die Ver­ kündigung einer Neuigkeit. Der amerikanische Soziologe Thorstein Veblen hat bereits 1899 in seiner Theory of the Leisure Class ein Verbraucher­ verhalten festgestellt, das über die Erfüllung von Primärbedürfnissen hinaus die Steigerung des Sozialprestiges anstrebt. Dieser »demonstrative Konsum« breitete sich seit den zwanziger Jahren des 20. Jahrhunderts im prosperierenden Mittelstand aus. Von den Vereinigten Staaten von Ame­ rika griff das Phänomen auf das Europa der Wirtschaftswunder über und fasste in den sechziger und siebziger Jahren in sämtlichen kapitalisti­ schen industrialisierten Ländern Fuß. Inzwischen ist der Konsumismus eine fast weltweit verbreitete und allumfassende Erscheinung. So allumfassend, dass er auch die Architektur und die Stadt verein­ nahmt hat. Das ist eher eine Überraschung: Zumal Stadt und Architektur keine Verbrauchsartikel sind (oder nicht sein sollten), und zumal sie tat­ sächlich erst sehr viel später in den Strudel des Konsumismus hineinge­ raten sind. Zwar führte das »Futuristische Manifest« von 1914 bereits die Vorstellung von Städten ein, die sich jede neue Generation bauen sollte, der Stadtbaurat Martin Wagner nahm Ende der zwanziger Jahre bei Groß­ stadtplätzen wie dem Berliner Alexanderplatz mit einer kommerziellen Architektur vorlieb, die nur ein paar Jahrzehnte zu halten hätte, und der britische Architekt Peter Cook sprach 1963 im dritten Heft von Archigram von Wegwerfarchitektur und ermunterte seine Leser, sie als »heilsames, ganz und gar positives Zeichen« zu deuten: 1 Aber immer noch ging es um Architekturen, die als solche gebraucht wurden, nur eben für eine bestimmte Zeit, nach welcher sie ersetzt werden müssten. Erst in den achtziger Jahren begannen Bauten zu Prestigeobjekten zu werden, die nicht um ihrer selbst, sondern um der Aura willen errichtet wurden, die sie tatsächlich oder vermeintlich ausstrahlten.

9


Die Kritik am Konsumismus der Gebrauchsgegenstände setzte früh ein.

sind, sondern über Suggestivmechanismen als solche deklariert werden,

Bereits Veblens Befund war alles andere als wertfrei und wohlwollend,

ist ebenso unverantwortlich wie die Schaffung von Produkten, für die es

und Ende der zwanziger Jahre zeigten die Soziologen Robert Staughton

keinen anderen Bedarf gibt als jenen, den die Werbung einflüstert. Die

Lynd und Helen M. Lynd in ihren Studien zu »Middletown« auf, wie das

persönliche Wahlfreiheit wird dabei mit perfider Hintergründigkeit ero­

Streben nach immer neueren Waren in den kleineren amerikanischen

diert, denn im Universum der unendlichen Waren sind Entscheidungen

Stadtgemeinschaften deren gesellschaftliche Normen und traditionelle

ohne Belang – einschließlich jener, sie nicht zu treffen, um sich die Wahl

Werte erodierte. Die Frankfurter Schule entlarvte die Erzeugung falscher

offen zu halten. Nicht minder verhängnisvoll ist die Auflösung der per­

Bedürfnisse durch die kapitalistische Kulturindustrie als Angriff auf das

sönlichen Identität, welcher der Rahmen, in dem sie sich entwickeln

Klassenbewusstsein der Arbeiter, die abgelenkt, beschwichtigt und inte­

kann – also das vertraute Umfeld –, entzogen wird. In einer Welt, die als

griert werden sollten. Jean Baudrillard sah im massenmedial produzier­

Wegwerfwelt begriffen wird und in der den Dingen keinerlei Respekt

ten Schein einen bedrohlichen Anschlag auf die Wirklichkeit. Pier Paolo

ent­gegen­gebracht wird, ist es darüber hinaus kaum zu vermeiden, dass

Pasolini erklärte in seinen Scritti corsari von 1975 den Konsumismus zur

die gleiche Respektlosigkeit auf die Mitmenschen übertragen wird.

neuen Form des Totalitarismus, welche die Vielfalt sozialer Lebensformen

Besonders fatal ist die Übertragung des Konsumismus auf die Archi­

vernichte und die spezifischen traditionellen Kulturen zu einer globalen

tektur und die Stadt. Bis vor nicht allzu langer Zeit waren sie Orte des

Massenkultur einebne.

Widerstands gegen den Verbrauchswahn: Sie waren dauerhaft, stellten

Die Kritik an der Architektur des Konsumismus setzte später und

also langfristige und solide Werte dar sowie eine Umwelt, in der Vertraut­

auch zögerlicher ein. Zwar mokierten sich die italienischen Avantgarde­

heit, Verantwortung und Identifikation möglich waren. Dann wurde

gruppen Archizoom Associati und Superstudio schon Mitte der sechziger

auch das Bauen von den Gesetzen der spätkapitalistischen Verwertung

Jahre über die »architettura del superconsumo«, aber noch innerhalb

ergriffen und mit vorprogrammiertem Verfallsdatum konzipiert, sodass

einer allgemeinen marxistischen Systemkritik, die das Bauen gleichsam

jedes Haus, einmal abgeschrieben, unverzüglich durch ein neues, noch

nebenbei miteinbezog. Erst in den neunziger Jahren setzten sich Archi­

effizienteres und noch lukrativeres ersetzt werden konnte. In der Nach­

tekturkritiker und Historiker wie Kenneth Frampton und William C ­ urtis

kriegszeit wurde der Prozess beschleunigt, indem der architektonische

mit ebenso scharfer wie argumentierter Kritik gegen die neue Rolle der

Stil zu einer Mode mutierte, deren Gültigkeit oder Obsoleszenz von der

Architektur als Mode und ihre anmaßenden urbanen Übervorteilungen

Gesellschaft (genauer: von den Medien, die im Dienst eines Teils dieser

zur Wehr.

Gesellschaft standen) dekretiert wurde. Die solideste aller Waren wurde

2

Der Konsumismus ist ein durch und durch negatives Phänomen. Der

ebenso fragil und ephemer wie alle anderen auch. Bald griff der Erosions­

Kreislauf zwischen Warenproduktion und Warenverbrauch, der über

prozess auch auf die Stadt über, für die Charles Baudelaires Wort, sie

Marketing und Werbung künstlich beschleunigt wird, führt zu einer

würde sich schneller wandeln als das Herz eines Sterblichen – ursprüng­

Verschwendung, die weder ökonomisch noch ökologisch hinnehmbar ist.

lich auf die Umwälzungen des Paris der Mitte des 19. Jahrhunderts ge­

Die mutwillige Zerstörung von Artefakten, die nicht tatsächlich obsolet

münzt –, nun in seiner ganzen Härte zutraf.

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Die Kritik am Konsumismus der Gebrauchsgegenstände setzte früh ein.

sind, sondern über Suggestivmechanismen als solche deklariert werden,

Bereits Veblens Befund war alles andere als wertfrei und wohlwollend,

ist ebenso unverantwortlich wie die Schaffung von Produkten, für die es

und Ende der zwanziger Jahre zeigten die Soziologen Robert Staughton

keinen anderen Bedarf gibt als jenen, den die Werbung einflüstert. Die

Lynd und Helen M. Lynd in ihren Studien zu »Middletown« auf, wie das

persönliche Wahlfreiheit wird dabei mit perfider Hintergründigkeit ero­

Streben nach immer neueren Waren in den kleineren amerikanischen

diert, denn im Universum der unendlichen Waren sind Entscheidungen

Stadtgemeinschaften deren gesellschaftliche Normen und traditionelle

ohne Belang – einschließlich jener, sie nicht zu treffen, um sich die Wahl

Werte erodierte. Die Frankfurter Schule entlarvte die Erzeugung falscher

offen zu halten. Nicht minder verhängnisvoll ist die Auflösung der per­

Bedürfnisse durch die kapitalistische Kulturindustrie als Angriff auf das

sönlichen Identität, welcher der Rahmen, in dem sie sich entwickeln

Klassenbewusstsein der Arbeiter, die abgelenkt, beschwichtigt und inte­

kann – also das vertraute Umfeld –, entzogen wird. In einer Welt, die als

griert werden sollten. Jean Baudrillard sah im massenmedial produzier­

Wegwerfwelt begriffen wird und in der den Dingen keinerlei Respekt

ten Schein einen bedrohlichen Anschlag auf die Wirklichkeit. Pier Paolo

ent­gegen­gebracht wird, ist es darüber hinaus kaum zu vermeiden, dass

Pasolini erklärte in seinen Scritti corsari von 1975 den Konsumismus zur

die gleiche Respektlosigkeit auf die Mitmenschen übertragen wird.

neuen Form des Totalitarismus, welche die Vielfalt sozialer Lebensformen

Besonders fatal ist die Übertragung des Konsumismus auf die Archi­

vernichte und die spezifischen traditionellen Kulturen zu einer globalen

tektur und die Stadt. Bis vor nicht allzu langer Zeit waren sie Orte des

Massenkultur einebne.

Widerstands gegen den Verbrauchswahn: Sie waren dauerhaft, stellten

Die Kritik an der Architektur des Konsumismus setzte später und

also langfristige und solide Werte dar sowie eine Umwelt, in der Vertraut­

auch zögerlicher ein. Zwar mokierten sich die italienischen Avantgarde­

heit, Verantwortung und Identifikation möglich waren. Dann wurde

gruppen Archizoom Associati und Superstudio schon Mitte der sechziger

auch das Bauen von den Gesetzen der spätkapitalistischen Verwertung

Jahre über die »architettura del superconsumo«, aber noch innerhalb

ergriffen und mit vorprogrammiertem Verfallsdatum konzipiert, sodass

einer allgemeinen marxistischen Systemkritik, die das Bauen gleichsam

jedes Haus, einmal abgeschrieben, unverzüglich durch ein neues, noch

nebenbei miteinbezog. Erst in den neunziger Jahren setzten sich Archi­

effizienteres und noch lukrativeres ersetzt werden konnte. In der Nach­

tekturkritiker und Historiker wie Kenneth Frampton und William C ­ urtis

kriegszeit wurde der Prozess beschleunigt, indem der architektonische

mit ebenso scharfer wie argumentierter Kritik gegen die neue Rolle der

Stil zu einer Mode mutierte, deren Gültigkeit oder Obsoleszenz von der

Architektur als Mode und ihre anmaßenden urbanen Übervorteilungen

Gesellschaft (genauer: von den Medien, die im Dienst eines Teils dieser

zur Wehr.

Gesellschaft standen) dekretiert wurde. Die solideste aller Waren wurde

2

Der Konsumismus ist ein durch und durch negatives Phänomen. Der

ebenso fragil und ephemer wie alle anderen auch. Bald griff der Erosions­

Kreislauf zwischen Warenproduktion und Warenverbrauch, der über

prozess auch auf die Stadt über, für die Charles Baudelaires Wort, sie

Marketing und Werbung künstlich beschleunigt wird, führt zu einer

würde sich schneller wandeln als das Herz eines Sterblichen – ursprüng­

Verschwendung, die weder ökonomisch noch ökologisch hinnehmbar ist.

lich auf die Umwälzungen des Paris der Mitte des 19. Jahrhunderts ge­

Die mutwillige Zerstörung von Artefakten, die nicht tatsächlich obsolet

münzt –, nun in seiner ganzen Härte zutraf.

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Die Aufsätze, aus denen dieses Buch zusammengefügt ist, sind überwie­ gend aus dem Bedürfnis heraus entstanden, die Stimme gegen etwas zu erheben, was mir falsch erschien und immer noch erscheint; teilweise auch aus Entsetzen und Zorn. Die Emotionen haben kaum wissenschaft­ lich stringente Texte erzeugt. Aber das sollen diese Texte, das soll dieses Buch auch nicht sein: Nicht die abwägenden, ausgewogenen Urteile eines besonnenen Architekturhistorikers und Architekturkritikers werden präsentiert, sondern die Urteile eines Architekten (und eines Stadtbürgers und Stadtliebhabers), der Stellung bezieht – nicht ganz unreflektiert, aber durchaus ungeschützt. Es geht um die – subjektive, voreingenom­ mene, ja auch tendenziöse – Darstellung einer persönlichen Haltung. Eben: meiner Position zur Architektur der Stadt. Die Texte sind, von zwei Ausnahmen abgesehen, zwischen der Mitte der neunziger Jahre und heute entstanden; also in einem Zeitraum, in dem die modische Verwandlung – in meinen Augen: die mutwillige und skrupellose Zerstörung – der europäischen Städte einen Paroxysmus er­ reichte. Da sie alle um das gleiche Thema kreisen, welches sie aus verschie­ denen Anlässen und unter unterschiedlichen Gesichtspunkten heraus­ zuarbeiten versuchen, schien es mir weder unangemessen noch nutzlos, sie zusammenzustellen und zu überarbeiten. Das Ergebnis ist keine Auf­ satzsammlung, sondern ein aus Aufsätzen bestehendes kleines Buch. Denjenigen, die mir geholfen haben, es zu realisieren, möchte ich meinen Dank aussprechen: allen voran Rainer Schützeichel, der nicht nur die wissenschaftliche Redaktion des Textes übernommen hat, sondern als ebenso kritischer wie geistesverwandter Gesprächspartner dessen Kon­ zeption begleitet und beeinflusst hat. 1

eter Cook, Leitartikel aus Archigram 3, zit. nach: Warren Chalk u. a. (Hrsg.), Archi­ P gram, Basel / Berlin / Boston: Birkhäuser, 1991, S. 16.

2

rchizoom Associati und Superstudio, Plakat zur Ausstellung Superarchitettura in der A Galleria Jolly 2, Pistoia 1966, zit. nach: Gianni Pettena (Hrsg.): Radicals. architettura e design 1960/75, Florenz: Il Ventilabro, 1996, S. 41.

Vittorio Magnago Lampugnani Zürich, im Mai 2015

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Die Aufsätze, aus denen dieses Buch zusammengefügt ist, sind überwie­ gend aus dem Bedürfnis heraus entstanden, die Stimme gegen etwas zu erheben, was mir falsch erschien und immer noch erscheint; teilweise auch aus Entsetzen und Zorn. Die Emotionen haben kaum wissenschaft­ lich stringente Texte erzeugt. Aber das sollen diese Texte, das soll dieses Buch auch nicht sein: Nicht die abwägenden, ausgewogenen Urteile eines besonnenen Architekturhistorikers und Architekturkritikers werden präsentiert, sondern die Urteile eines Architekten (und eines Stadtbürgers und Stadtliebhabers), der Stellung bezieht – nicht ganz unreflektiert, aber durchaus ungeschützt. Es geht um die – subjektive, voreingenom­ mene, ja auch tendenziöse – Darstellung einer persönlichen Haltung. Eben: meiner Position zur Architektur der Stadt. Die Texte sind, von zwei Ausnahmen abgesehen, zwischen der Mitte der neunziger Jahre und heute entstanden; also in einem Zeitraum, in dem die modische Verwandlung – in meinen Augen: die mutwillige und skrupellose Zerstörung – der europäischen Städte einen Paroxysmus er­ reichte. Da sie alle um das gleiche Thema kreisen, welches sie aus verschie­ denen Anlässen und unter unterschiedlichen Gesichtspunkten heraus­ zuarbeiten versuchen, schien es mir weder unangemessen noch nutzlos, sie zusammenzustellen und zu überarbeiten. Das Ergebnis ist keine Auf­ satzsammlung, sondern ein aus Aufsätzen bestehendes kleines Buch. Denjenigen, die mir geholfen haben, es zu realisieren, möchte ich meinen Dank aussprechen: allen voran Rainer Schützeichel, der nicht nur die wissenschaftliche Redaktion des Textes übernommen hat, sondern als ebenso kritischer wie geistesverwandter Gesprächspartner dessen Kon­ zeption begleitet und beeinflusst hat. 1

eter Cook, Leitartikel aus Archigram 3, zit. nach: Warren Chalk u. a. (Hrsg.), Archi­ P gram, Basel / Berlin / Boston: Birkhäuser, 1991, S. 16.

2

rchizoom Associati und Superstudio, Plakat zur Ausstellung Superarchitettura in der A Galleria Jolly 2, Pistoia 1966, zit. nach: Gianni Pettena (Hrsg.): Radicals. architettura e design 1960/75, Florenz: Il Ventilabro, 1996, S. 41.

Vittorio Magnago Lampugnani Zürich, im Mai 2015

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Z eitgemässer S tädtebau

Le Corbusier, Ville contemporaine, 1922, 29 × 18,86 cm


Z eitgemässer S tädtebau

Le Corbusier, Ville contemporaine, 1922, 29 × 18,86 cm


Fü r

ei n e N eugrü n du ng der

D i sz i pl i n S tä d t ebau

ischen Städte unterzogen wurden, wurde die Etablierung einer Disziplin notwendig, die diese Verwandlungen zu steuern vermochte. 1867 erschie­

Seit es sie gibt, also seit etwa 10.000 Jahren, wurden die Städte unserer

nen die beiden monumentalen Bände von Ildefons Cerdàs Teoría general

Welt geplant und die Prinzipien der jeweiligen Planungen reflektiert. Der

de la urbanización y aplicación de sus principios y doctrinas a la reforma y ensanche

griechische Staatstheoretiker und Baumeister Hippodamos von Milet

de Barcelona, in welchen der katalanische Stadtingenieur in eine, wie er

entwickelte im 5. Jahrhundert v. Chr. eine gleichermaßen rigorose wie

selbst betont, neue Wissenschaft einführt, der er folgerichtig einen eben­

geschmeidige Stadtanlage mit eigens ausformulierten Typenhäusern,

falls neuen Namen verleiht. 1876 veröffentlichte der Ingenieur Reinhard

die unter seinem Namen in die Geschichte einging. Der römische Militär­

Baumeister das Buch Stadt-Erweiterungen in technischer, baupolizeilicher und

ingenieur, Architekt und Architekturtheoretiker Vitruv widmete größe­

wirthschaftlicher Beziehung, in dessen 22 Kapiteln das damalige Stadtbau­

re Teile des ersten, fünften und sechsten seiner Zehn Bücher über Architektur

wissen systematisiert wird. 1889 konterte der Wiener Architekt Camillo

urbanistischen Themen, und ähnlich verfuhren diejenigen, die sich in

Sitte mit seinem schmalen Bestseller Der Städte-Bau nach seinen künstleri­

der Renaissance auf ihn beriefen, allen voran Leon Battista Alberti und

schen Grundsätzen; 15 Jahre später gründete er zusammen mit dem deut­

Andrea Palladio. Die Neugestaltung Roms, die der Ingenieur, Architekt,

schen Architekten, Baubeamten und Denkmalpfleger Theodor Goecke

Maler und Bildhauer Domenico Fontana nach den Vorgaben von Papst

die Zeitschrift Der Städtebau, eine Monatszeitschrift für die künstlerische Aus­

Sixtus V. unternahm, war eine groß und komplex angelegte Stadtpla­

gestaltung der Städte nach ihren wirtschaftlichen, gesundheitlichen und sozialen

nungsmaßnahme, die ihr Autor in dem Band Della trasportatione dell’obe­

Grundsätzen, die ein Jahrzehnt lang das wichtigste Forum der jungen

lisco vaticano et delle fabriche di nostro signore papa Sisto V (1590) dokumentier­

Disziplin bilden sollte. 1920 publizierte der Kunsthistoriker Albert Erich

te. Ebenso der Wiederaufbau des Stadtzentrums von Lissabon nach dem

Brinckmann unter dem Titel Stadtbaukunst. Geschichtliche Querschnitte und

Erdbeben von 1755, der nach dem Willen von Sebastião José de Carvalho

neuzeitliche Ziele die erste umfassende und zugleich operative Geschichte

e Mello, dem späteren Marquis von Pombal, von den Festungsingenieuren

der Stadtbaukunst. Damit war der moderne wissenschaftliche Städtebau

und Architekten Manuel da Maia, Eugénio dos Santos und Carlos Mardel

geboren.

orchestriert wurde. Wenige Jahre später, 1769, widmete der französische

An dieser Geburt waren neben Ingenieuren wie Cerdà und Baumeister

Architekt und Theoretiker Pierre Patte große Teile seines Werks Mémoire

auch Architekten wie Sitte, Hendrik Petrus Berlage oder Daniel Hudson

sur les objets le plus importans de l’architecture der Stadtmodernisierungsthe­

Burnham, Ökonomen wie Rudolf Eberstadt oder Werner Hegemann, So­

orie des Embellissements. Überwiegend wurde allerdings Städtebau von

ziologen wie Max Weber, Philosophen wie Georg Simmel, Naturwissen­

Landvermessern und Festungsbaumeistern betrieben, und das Wissen

schaftler wie Patrick Geddes, Historiker wie Marcel Poëte, Kunsthistori­

über die Planung von Städten wurde nur kursorisch gesammelt und sys­

ker wie Brinckmann und Kunstkritiker wie Karl Scheffler beteiligt. Die

tematisiert.

Zusammenarbeit von Experten verschiedener Disziplinen führte zur

Das änderte sich im ausgehenden 19. Jahrhundert. Unter dem Druck

Konstituierung einer neuen Wissenschaft als multidisziplinäres Projekt,

der weitreichenden Verwandlungen, denen vor allem die großen europä­

das der Komplexität seines Gegenstands gerecht wurde, ohne die eigene

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Fü r

ei n e N eugrü n du ng der

D i sz i pl i n S tä d t ebau

ischen Städte unterzogen wurden, wurde die Etablierung einer Disziplin notwendig, die diese Verwandlungen zu steuern vermochte. 1867 erschie­

Seit es sie gibt, also seit etwa 10.000 Jahren, wurden die Städte unserer

nen die beiden monumentalen Bände von Ildefons Cerdàs Teoría general

Welt geplant und die Prinzipien der jeweiligen Planungen reflektiert. Der

de la urbanización y aplicación de sus principios y doctrinas a la reforma y ensanche

griechische Staatstheoretiker und Baumeister Hippodamos von Milet

de Barcelona, in welchen der katalanische Stadtingenieur in eine, wie er

entwickelte im 5. Jahrhundert v. Chr. eine gleichermaßen rigorose wie

selbst betont, neue Wissenschaft einführt, der er folgerichtig einen eben­

geschmeidige Stadtanlage mit eigens ausformulierten Typenhäusern,

falls neuen Namen verleiht. 1876 veröffentlichte der Ingenieur Reinhard

die unter seinem Namen in die Geschichte einging. Der römische Militär­

Baumeister das Buch Stadt-Erweiterungen in technischer, baupolizeilicher und

ingenieur, Architekt und Architekturtheoretiker Vitruv widmete größe­

wirthschaftlicher Beziehung, in dessen 22 Kapiteln das damalige Stadtbau­

re Teile des ersten, fünften und sechsten seiner Zehn Bücher über Architektur

wissen systematisiert wird. 1889 konterte der Wiener Architekt Camillo

urbanistischen Themen, und ähnlich verfuhren diejenigen, die sich in

Sitte mit seinem schmalen Bestseller Der Städte-Bau nach seinen künstleri­

der Renaissance auf ihn beriefen, allen voran Leon Battista Alberti und

schen Grundsätzen; 15 Jahre später gründete er zusammen mit dem deut­

Andrea Palladio. Die Neugestaltung Roms, die der Ingenieur, Architekt,

schen Architekten, Baubeamten und Denkmalpfleger Theodor Goecke

Maler und Bildhauer Domenico Fontana nach den Vorgaben von Papst

die Zeitschrift Der Städtebau, eine Monatszeitschrift für die künstlerische Aus­

Sixtus V. unternahm, war eine groß und komplex angelegte Stadtpla­

gestaltung der Städte nach ihren wirtschaftlichen, gesundheitlichen und sozialen

nungsmaßnahme, die ihr Autor in dem Band Della trasportatione dell’obe­

Grundsätzen, die ein Jahrzehnt lang das wichtigste Forum der jungen

lisco vaticano et delle fabriche di nostro signore papa Sisto V (1590) dokumentier­

Disziplin bilden sollte. 1920 publizierte der Kunsthistoriker Albert Erich

te. Ebenso der Wiederaufbau des Stadtzentrums von Lissabon nach dem

Brinckmann unter dem Titel Stadtbaukunst. Geschichtliche Querschnitte und

Erdbeben von 1755, der nach dem Willen von Sebastião José de Carvalho

neuzeitliche Ziele die erste umfassende und zugleich operative Geschichte

e Mello, dem späteren Marquis von Pombal, von den Festungsingenieuren

der Stadtbaukunst. Damit war der moderne wissenschaftliche Städtebau

und Architekten Manuel da Maia, Eugénio dos Santos und Carlos Mardel

geboren.

orchestriert wurde. Wenige Jahre später, 1769, widmete der französische

An dieser Geburt waren neben Ingenieuren wie Cerdà und Baumeister

Architekt und Theoretiker Pierre Patte große Teile seines Werks Mémoire

auch Architekten wie Sitte, Hendrik Petrus Berlage oder Daniel Hudson

sur les objets le plus importans de l’architecture der Stadtmodernisierungsthe­

Burnham, Ökonomen wie Rudolf Eberstadt oder Werner Hegemann, So­

orie des Embellissements. Überwiegend wurde allerdings Städtebau von

ziologen wie Max Weber, Philosophen wie Georg Simmel, Naturwissen­

Landvermessern und Festungsbaumeistern betrieben, und das Wissen

schaftler wie Patrick Geddes, Historiker wie Marcel Poëte, Kunsthistori­

über die Planung von Städten wurde nur kursorisch gesammelt und sys­

ker wie Brinckmann und Kunstkritiker wie Karl Scheffler beteiligt. Die

tematisiert.

Zusammenarbeit von Experten verschiedener Disziplinen führte zur

Das änderte sich im ausgehenden 19. Jahrhundert. Unter dem Druck

Konstituierung einer neuen Wissenschaft als multidisziplinäres Projekt,

der weitreichenden Verwandlungen, denen vor allem die großen europä­

das der Komplexität seines Gegenstands gerecht wurde, ohne die eigene

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zentrale Bestimmung aus dem Visier zu verlieren: die Deutung und De­

jektive Erhebung von umweltrelevanten Daten, ihre Vernetzung und ihre

finition der gebauten Form der Stadt.

Überführung in Handlungsstrategien, für welche die Verfügbarkeit von

Doch sollte ausgerechnet die größte Stärke dieses Projekts, die radi­

big data und die Möglichkeit ihrer elektronischen Verknüpfung und Aus­

kale Multidisziplinarität, sich als seine Achillesferse erweisen. Die betei­

wertung bislang unvorstellbare Möglichkeiten eröffnen; auf der anderen

ligten Disziplinen begannen bald, ihre eigene Urbanistik zu betreiben,

die subjektive Umsetzung dieser Strategien über kulturelle und ästheti­

etwa die Stadtsoziologie oder die Humangeografie; und der Städtebau

sche Programme in eine eindeutig definierte physische Form.

selbst verlor an der Gesellschaftswissenschaft, der Ökonomie, der Geo­

Diese Forderung, die im ursprünglichen multidisziplinären Projekt

grafie, aber auch am Ingenieurwesen, der Raumordnung, der Raumpla­

wurzelt, scheint selbstverständlich, ist es aber seit Jahrzehnten nicht

nung, der Landschaftsarchitektur und nicht zuletzt der Architektur

mehr. Die Krise, in die sich der Städtebau hineinmanövriert hat, indem

seine neu und mühsam eroberte Eigenständigkeit. Es ist kein Zufall,

er den Bezug zur dreidimensionalen Umweltgestaltung zugunsten einer

dass bis heute keine spezifische Ausbildungsinstitution für Städtebau

zunehmenden Abstraktion aufgeben und sich neu Stadtplanung nennen

existiert.

zu müssen glaubte, hat spätestens in den siebziger Jahren des 20. Jahr­

Das Paradoxon ist umso erschütternder, als inzwischen über die Hälf­

hunderts zu seiner Isolierung und stellenweise auch zu seiner Margina­

te der Bewohner unserer Welt in Städten lebt; bis 2050 werden es vermut­

lisierung geführt. In das Vakuum, das sein Rückzug hinterlassen hat, ist

lich drei Viertel sein. Die urbane Bevölkerung nimmt um 10.000 Men­

zunächst die Architektur getreten. Freilich kann der Erfolg, den diese

schen pro Stunde zu und verbraucht dafür je nach Nation zwischen etwas

Okkupation hatte, nicht über deren palliativen Charakter hinwegtäu­

mehr als einem Drittel und drei Hektar Land. Die Megalopolen, jene

schen: Allzu deutlich sind, vor allem im Rückblick, ihre Grenzen. Die

immensen Stadtregionen, denen der französische Geograf Jean Gott­

Einzelarchitekturen, die als städtebauliche Katalysatoren gemeint waren,

mann mit seinem einflussreichen Buch von 1961 den Namen gab, aber

haben uns zwar gelehrt, die Stadt und die unmittelbar angrenzende

auch die traditionelleren Groß- und Kleinstädte sind zum Schlüssel der

Landschaft neu zu lesen, haben diese aber nicht großflächig verwandelt.

politischen, ökonomischen und ökologischen Entwicklung unserer Ge­

Als Modelle, die zur Nachahmung empfohlen wurden, haben die Monu­

sellschaft geraten; und der Städtebau in eine zentrale Verantwortlichkeit.

mente der Architekten ebenso versagt wie die Diagramme der Planer; und

Um die damit zusammenhängenden Aufgaben zu bewältigen, wird

sie haben zugelassen, dass sich um sie herum die gleiche Mittelmäßigkeit

dieser neue Kompetenzen entwickeln, aber auch leichtfertig vergessene

ausbreitete, die zu überwinden sie angetreten waren.

wieder beleben müssen. Zuallererst wird der Städtebau sich aber auf sei­

Ende des 20. Jahrhunderts anerbot sich die Landschaftsarchitektur,

ne ursprüngliche Bestimmung zu besinnen haben: die menschengerech­

den immer noch in Überforderung erstarrten Städtebau zu ersetzen. Der

te, funktionelle, nachhaltige sowie ästhetisch und kulturell anspruchs­

Einzug der Natur in die Stadt, den das 19. Jahrhundert bereits eingeleitet

volle Gestaltung unserer urbanen Umwelt. Und darauf, dass er diese

hatte, wurde dadurch in neuen, vielgestaltigen und einnehmenden Vari­

Bestimmung nicht wird erfüllen können, wenn nicht Planung und Ent­

ationen fortgeschrieben, die Stadt selbst allerdings geglättet, herunter­

wurf (wieder) zusammengeführt werden: auf der einen Seite also die ob­

gespielt und geschwächt. Das moderne Revival der Stadtlandschaft der

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zentrale Bestimmung aus dem Visier zu verlieren: die Deutung und De­

jektive Erhebung von umweltrelevanten Daten, ihre Vernetzung und ihre

finition der gebauten Form der Stadt.

Überführung in Handlungsstrategien, für welche die Verfügbarkeit von

Doch sollte ausgerechnet die größte Stärke dieses Projekts, die radi­

big data und die Möglichkeit ihrer elektronischen Verknüpfung und Aus­

kale Multidisziplinarität, sich als seine Achillesferse erweisen. Die betei­

wertung bislang unvorstellbare Möglichkeiten eröffnen; auf der anderen

ligten Disziplinen begannen bald, ihre eigene Urbanistik zu betreiben,

die subjektive Umsetzung dieser Strategien über kulturelle und ästheti­

etwa die Stadtsoziologie oder die Humangeografie; und der Städtebau

sche Programme in eine eindeutig definierte physische Form.

selbst verlor an der Gesellschaftswissenschaft, der Ökonomie, der Geo­

Diese Forderung, die im ursprünglichen multidisziplinären Projekt

grafie, aber auch am Ingenieurwesen, der Raumordnung, der Raumpla­

wurzelt, scheint selbstverständlich, ist es aber seit Jahrzehnten nicht

nung, der Landschaftsarchitektur und nicht zuletzt der Architektur

mehr. Die Krise, in die sich der Städtebau hineinmanövriert hat, indem

seine neu und mühsam eroberte Eigenständigkeit. Es ist kein Zufall,

er den Bezug zur dreidimensionalen Umweltgestaltung zugunsten einer

dass bis heute keine spezifische Ausbildungsinstitution für Städtebau

zunehmenden Abstraktion aufgeben und sich neu Stadtplanung nennen

existiert.

zu müssen glaubte, hat spätestens in den siebziger Jahren des 20. Jahr­

Das Paradoxon ist umso erschütternder, als inzwischen über die Hälf­

hunderts zu seiner Isolierung und stellenweise auch zu seiner Margina­

te der Bewohner unserer Welt in Städten lebt; bis 2050 werden es vermut­

lisierung geführt. In das Vakuum, das sein Rückzug hinterlassen hat, ist

lich drei Viertel sein. Die urbane Bevölkerung nimmt um 10.000 Men­

zunächst die Architektur getreten. Freilich kann der Erfolg, den diese

schen pro Stunde zu und verbraucht dafür je nach Nation zwischen etwas

Okkupation hatte, nicht über deren palliativen Charakter hinwegtäu­

mehr als einem Drittel und drei Hektar Land. Die Megalopolen, jene

schen: Allzu deutlich sind, vor allem im Rückblick, ihre Grenzen. Die

immensen Stadtregionen, denen der französische Geograf Jean Gott­

Einzelarchitekturen, die als städtebauliche Katalysatoren gemeint waren,

mann mit seinem einflussreichen Buch von 1961 den Namen gab, aber

haben uns zwar gelehrt, die Stadt und die unmittelbar angrenzende

auch die traditionelleren Groß- und Kleinstädte sind zum Schlüssel der

Landschaft neu zu lesen, haben diese aber nicht großflächig verwandelt.

politischen, ökonomischen und ökologischen Entwicklung unserer Ge­

Als Modelle, die zur Nachahmung empfohlen wurden, haben die Monu­

sellschaft geraten; und der Städtebau in eine zentrale Verantwortlichkeit.

mente der Architekten ebenso versagt wie die Diagramme der Planer; und

Um die damit zusammenhängenden Aufgaben zu bewältigen, wird

sie haben zugelassen, dass sich um sie herum die gleiche Mittelmäßigkeit

dieser neue Kompetenzen entwickeln, aber auch leichtfertig vergessene

ausbreitete, die zu überwinden sie angetreten waren.

wieder beleben müssen. Zuallererst wird der Städtebau sich aber auf sei­

Ende des 20. Jahrhunderts anerbot sich die Landschaftsarchitektur,

ne ursprüngliche Bestimmung zu besinnen haben: die menschengerech­

den immer noch in Überforderung erstarrten Städtebau zu ersetzen. Der

te, funktionelle, nachhaltige sowie ästhetisch und kulturell anspruchs­

Einzug der Natur in die Stadt, den das 19. Jahrhundert bereits eingeleitet

volle Gestaltung unserer urbanen Umwelt. Und darauf, dass er diese

hatte, wurde dadurch in neuen, vielgestaltigen und einnehmenden Vari­

Bestimmung nicht wird erfüllen können, wenn nicht Planung und Ent­

ationen fortgeschrieben, die Stadt selbst allerdings geglättet, herunter­

wurf (wieder) zusammengeführt werden: auf der einen Seite also die ob­

gespielt und geschwächt. Das moderne Revival der Stadtlandschaft der

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Nachkriegszeit bedroht ausgerechnet jene Urbanität, die mittlerweile

duktion und der Sozialisation; sie sind auch und vor allem zu erhaltende

allenthalben eingefordert wird.

Kulturgüter. Man bewahrt sie, indem man sie verändert. Aber die Verän­

Die neuen Städtebauer werden zwar, wie vor einem guten Jahrhun­ dert, eng mit den Architekten und den Landschaftsarchitekten (und mit

derung muss mit der Sorgfalt und Behutsamkeit vonstattengehen, die solche Kulturgüter verdienen.

den Ingenieuren, den Verkehrsplanern, den Soziologen, den Ökonomen)

Die Verpflichtung gegenüber der Geschichte muss aber auch metho­

zusammenarbeiten müssen, aber als eigenständige Vertreter einer eigen­

disch wirken. Gerade wenn sich Städtebau theoretisch und praktisch auf

ständigen Disziplin. Sie werden als Entwerfer und Gestalter auftreten

die epochalen Umbrüche einstellen will, die heute durch die ökologische,

müssen, zuvor aber als Forscher und Wissenschaftler. Städtebau ist we­

durch die demografische und nicht zuletzt durch die telematische Revo­

niger der geniale Wurf als das geduldige Aufbauen auf Grundlagen, die

lution Stadt und Land ergreifen, muss er seine eigene Vergangenheit nach

teilweise bestehen und teilweise geschaffen werden müssen. Nicht zufäl­

den Theorien durchsuchen, die ähnliche Umwälzungen bereits systema­

lig handelt es sich um eine Disziplin, in der die Manualistik immer schon

tisch erfasst haben; nach den stadtarchitektonischen Modellen, die er

geblüht hat: von den Traktaten der Antike bis zu jenen der Renaissance,

aufgrund dieser Theorien hervorgebracht hat und die sich im Gebrauch

von den großen Abhandlungen des Barock und des Klassizismus bis hin

bewährt haben; und nach den Planungsinstrumenten, die diese Modelle

zu den Handbüchern des 19. und frühen 20. Jahrhunderts. Ihnen allen

wirksam umgesetzt haben. Die Geschichte der Stadtarchitektur ist inso­

ging es weniger darum, einen Kanon festzuschreiben, als Wissen zu sam­

fern ein Gedächtnis von Strategien, das auf aktuelle Ansprüche hin

meln und zu systematisieren, um es verfügbar zu machen. Städtebau ist,

durchsucht werden muss. Das heißt alles andere als kopieren und ist eher

wenn auch immer und notwendigerweise kreativ, primär eine Wissen­

ein Mittel, das vor Plagiaten, auch unbeabsichtigten, bewahrt.

schaft, wenngleich eine Wissenschaft ohne Axiom, und sie verlangt neben und vor dem schöpferischen Akt eine methodische Arbeit.

Im Mittelpunkt steht dabei freilich die konkrete, gebaute, gelebte Stadt, genauer: die historische Stadt. In einer Zeit entstanden, als die urbs

Für diese Arbeit wird sich die urbanistische Disziplin der eigenen Tra­

noch Abbild ihrer civitas und mithin kein mehr oder minder strukturier­

dition erinnern müssen. Diese Rückbesinnung steht in keinem Wider­

tes Konglomerat von Funktionen war, sondern ein veritables Wesen, för­

spruch zur Innovation, welche die veränderten Verhältnisse erfordern,

derte sie (und fördert nach wie vor) eine individuelle, persönliche Bezie­

im Gegenteil: Radikal und dabei sachkundig Neues vermag nur aus ei­

hung mit eben diesem Wesen. Diese Beziehung ist eine physische,

nem langen Gedächtnis zu kommen.

intellektuelle und zugleich emotionale Auseinandersetzung, die Lernen

Die Verpflichtung gegenüber der Geschichte muss zunächst direkt

und Erinnern erlaubt und damit Identifikation jenseits aller Ungleich­

sein. Eine Planung, die sich anschickt, Stadt und Land zu ordnen, darf

heit. Das macht sie zum produktiven ideologischen Dispositiv, das die

sich nicht als Erfüllungsgehilfin eines Modernisierungsvandalismus ge­

Konstruktion und Verfeinerung einer Gemeinschaft fördert.

bärden, der im Namen eines einseitig verstandenen Fortschritts das zer­

Die Geschichte der Stadtarchitektur ist jedoch mehr als dies: Sie ist,

stört, was eben diesem Fortschritt als Grundlage zu dienen hat. Unsere

mit kritischer Vernunft gepflegt, selbst ein Instrument der konstruktiven

Städte, unsere Dörfer, unsere Landschaften sind nicht nur Orte der Pro­

Kritik. Dadurch, dass sie über die urbanen Bilder hinaus zu den urbanen

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Nachkriegszeit bedroht ausgerechnet jene Urbanität, die mittlerweile

duktion und der Sozialisation; sie sind auch und vor allem zu erhaltende

allenthalben eingefordert wird.

Kulturgüter. Man bewahrt sie, indem man sie verändert. Aber die Verän­

Die neuen Städtebauer werden zwar, wie vor einem guten Jahrhun­ dert, eng mit den Architekten und den Landschaftsarchitekten (und mit

derung muss mit der Sorgfalt und Behutsamkeit vonstattengehen, die solche Kulturgüter verdienen.

den Ingenieuren, den Verkehrsplanern, den Soziologen, den Ökonomen)

Die Verpflichtung gegenüber der Geschichte muss aber auch metho­

zusammenarbeiten müssen, aber als eigenständige Vertreter einer eigen­

disch wirken. Gerade wenn sich Städtebau theoretisch und praktisch auf

ständigen Disziplin. Sie werden als Entwerfer und Gestalter auftreten

die epochalen Umbrüche einstellen will, die heute durch die ökologische,

müssen, zuvor aber als Forscher und Wissenschaftler. Städtebau ist we­

durch die demografische und nicht zuletzt durch die telematische Revo­

niger der geniale Wurf als das geduldige Aufbauen auf Grundlagen, die

lution Stadt und Land ergreifen, muss er seine eigene Vergangenheit nach

teilweise bestehen und teilweise geschaffen werden müssen. Nicht zufäl­

den Theorien durchsuchen, die ähnliche Umwälzungen bereits systema­

lig handelt es sich um eine Disziplin, in der die Manualistik immer schon

tisch erfasst haben; nach den stadtarchitektonischen Modellen, die er

geblüht hat: von den Traktaten der Antike bis zu jenen der Renaissance,

aufgrund dieser Theorien hervorgebracht hat und die sich im Gebrauch

von den großen Abhandlungen des Barock und des Klassizismus bis hin

bewährt haben; und nach den Planungsinstrumenten, die diese Modelle

zu den Handbüchern des 19. und frühen 20. Jahrhunderts. Ihnen allen

wirksam umgesetzt haben. Die Geschichte der Stadtarchitektur ist inso­

ging es weniger darum, einen Kanon festzuschreiben, als Wissen zu sam­

fern ein Gedächtnis von Strategien, das auf aktuelle Ansprüche hin

meln und zu systematisieren, um es verfügbar zu machen. Städtebau ist,

durchsucht werden muss. Das heißt alles andere als kopieren und ist eher

wenn auch immer und notwendigerweise kreativ, primär eine Wissen­

ein Mittel, das vor Plagiaten, auch unbeabsichtigten, bewahrt.

schaft, wenngleich eine Wissenschaft ohne Axiom, und sie verlangt neben und vor dem schöpferischen Akt eine methodische Arbeit.

Im Mittelpunkt steht dabei freilich die konkrete, gebaute, gelebte Stadt, genauer: die historische Stadt. In einer Zeit entstanden, als die urbs

Für diese Arbeit wird sich die urbanistische Disziplin der eigenen Tra­

noch Abbild ihrer civitas und mithin kein mehr oder minder strukturier­

dition erinnern müssen. Diese Rückbesinnung steht in keinem Wider­

tes Konglomerat von Funktionen war, sondern ein veritables Wesen, för­

spruch zur Innovation, welche die veränderten Verhältnisse erfordern,

derte sie (und fördert nach wie vor) eine individuelle, persönliche Bezie­

im Gegenteil: Radikal und dabei sachkundig Neues vermag nur aus ei­

hung mit eben diesem Wesen. Diese Beziehung ist eine physische,

nem langen Gedächtnis zu kommen.

intellektuelle und zugleich emotionale Auseinandersetzung, die Lernen

Die Verpflichtung gegenüber der Geschichte muss zunächst direkt

und Erinnern erlaubt und damit Identifikation jenseits aller Ungleich­

sein. Eine Planung, die sich anschickt, Stadt und Land zu ordnen, darf

heit. Das macht sie zum produktiven ideologischen Dispositiv, das die

sich nicht als Erfüllungsgehilfin eines Modernisierungsvandalismus ge­

Konstruktion und Verfeinerung einer Gemeinschaft fördert.

bärden, der im Namen eines einseitig verstandenen Fortschritts das zer­

Die Geschichte der Stadtarchitektur ist jedoch mehr als dies: Sie ist,

stört, was eben diesem Fortschritt als Grundlage zu dienen hat. Unsere

mit kritischer Vernunft gepflegt, selbst ein Instrument der konstruktiven

Städte, unsere Dörfer, unsere Landschaften sind nicht nur Orte der Pro­

Kritik. Dadurch, dass sie über die urbanen Bilder hinaus zu den urbanen

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Ideen vordringt, auf welchen diese Bilder gründen, liefert sie den Schlüs­

zugehörigen Programmen abgeleitet sind, notwendigerweise modern

sel zu deren Verknüpfung. Und damit auch den Schlüssel, um zeitgenös­

sein, ohne rückwärtsgewandte Nostalgie, aber auch ohne futuristische

sische Stadtprojekte fundiert zu bewerten – die eigenen eingeschlossen.

Verbissenheit. Vor allem aber: Sie werden die Disziplin des Städtebaus er­

Mit anderen Worten: Sie ermöglicht Entwurfsentscheidungen jenseits

neut mit dem menschlichen Leben zusammenbringen, das diese zu be­

von rein subjektiven Geschmacksneigungen und ausschließlich ästheti­

hausen und zu bereichern seit jeher aufgerufen war und immer noch ist.

schen Vorlieben. So ist die bestehende (realisierte, aber auch nur erdachte und gezeich­ nete) Stadtarchitektur potenziell beides: Baumaterial und Anleitung zum kritischen Umgang mit jenem Baumaterial. Das Studium der Städte der

Veröffentlicht in: Topos (2003), Nr. 45, S. 90–97; siehe ebenso: »Erfindung, Gedächtnis und kritische Wissenschaft. Für eine Neugründung der Disziplin Städtebau«, in: Vittorio Magnago Lampugnani – Stadtarchitekturen/Urban Architectures, Luzern: Quart Verlag, 2006, S. 9–13.

Welt erschließt eine Art Thesaurus von Elementen, Straßen, Plätzen, Hö­ fen, Passagen, Parkanlagen, Flusskais und Esplanaden, die in unzähligen (und oft wunderbaren) Ausprägungen variiert nur darauf zu warten scheinen, ausgemessen, untersucht, neu erfunden und umgesetzt zu wer­ den. Zugleich gibt es dadurch, dass es diese Elemente in Beziehung setzt zu den Voraussetzungen, aus denen sie hervorgegangen sind, und zu den Folgen, die sie gezeitigt haben, die Parameter an die Hand, um deren Neuerfindungen zu bewerten. Anders ausgedrückt: um reflektierter zu entwerfen. Denn das werden die neuen Städtebauer nach wie vor und sogar mehr denn je tun müssen: Städte, Stadtteile, Stadtelemente, Stadtfragmente zeichnen. Sie sind die Einzigen, die das können. Sie sind die Einzigen, die über die Kompetenz verfügen, die zahllosen Informationen, Wünsche und Begehrlichkeiten zur Stadt in eine konkrete Form zu gießen. Mit anderen Worten: die Einzigen, die aufgrund ihres disziplinären urbanis­ tischen Wissens aus den Analysen und Datenerhebungen eine eigenstän­ dige und durchaus auch persönlich gefärbte physische städtebauliche Konfiguration zu schaffen vermögen. Die Aufgaben, die das zeitgenössische Leben stellt, sind kaum jene der Vergangenheit, genauso wenig wie die technischen Mittel, um diese Auf­ gaben zu lösen. Entsprechend werden die Resultate, wenn sie aus den

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Ideen vordringt, auf welchen diese Bilder gründen, liefert sie den Schlüs­

zugehörigen Programmen abgeleitet sind, notwendigerweise modern

sel zu deren Verknüpfung. Und damit auch den Schlüssel, um zeitgenös­

sein, ohne rückwärtsgewandte Nostalgie, aber auch ohne futuristische

sische Stadtprojekte fundiert zu bewerten – die eigenen eingeschlossen.

Verbissenheit. Vor allem aber: Sie werden die Disziplin des Städtebaus er­

Mit anderen Worten: Sie ermöglicht Entwurfsentscheidungen jenseits

neut mit dem menschlichen Leben zusammenbringen, das diese zu be­

von rein subjektiven Geschmacksneigungen und ausschließlich ästheti­

hausen und zu bereichern seit jeher aufgerufen war und immer noch ist.

schen Vorlieben. So ist die bestehende (realisierte, aber auch nur erdachte und gezeich­ nete) Stadtarchitektur potenziell beides: Baumaterial und Anleitung zum kritischen Umgang mit jenem Baumaterial. Das Studium der Städte der

Veröffentlicht in: Topos (2003), Nr. 45, S. 90–97; siehe ebenso: »Erfindung, Gedächtnis und kritische Wissenschaft. Für eine Neugründung der Disziplin Städtebau«, in: Vittorio Magnago Lampugnani – Stadtarchitekturen/Urban Architectures, Luzern: Quart Verlag, 2006, S. 9–13.

Welt erschließt eine Art Thesaurus von Elementen, Straßen, Plätzen, Hö­ fen, Passagen, Parkanlagen, Flusskais und Esplanaden, die in unzähligen (und oft wunderbaren) Ausprägungen variiert nur darauf zu warten scheinen, ausgemessen, untersucht, neu erfunden und umgesetzt zu wer­ den. Zugleich gibt es dadurch, dass es diese Elemente in Beziehung setzt zu den Voraussetzungen, aus denen sie hervorgegangen sind, und zu den Folgen, die sie gezeitigt haben, die Parameter an die Hand, um deren Neuerfindungen zu bewerten. Anders ausgedrückt: um reflektierter zu entwerfen. Denn das werden die neuen Städtebauer nach wie vor und sogar mehr denn je tun müssen: Städte, Stadtteile, Stadtelemente, Stadtfragmente zeichnen. Sie sind die Einzigen, die das können. Sie sind die Einzigen, die über die Kompetenz verfügen, die zahllosen Informationen, Wünsche und Begehrlichkeiten zur Stadt in eine konkrete Form zu gießen. Mit anderen Worten: die Einzigen, die aufgrund ihres disziplinären urbanis­ tischen Wissens aus den Analysen und Datenerhebungen eine eigenstän­ dige und durchaus auch persönlich gefärbte physische städtebauliche Konfiguration zu schaffen vermögen. Die Aufgaben, die das zeitgenössische Leben stellt, sind kaum jene der Vergangenheit, genauso wenig wie die technischen Mittel, um diese Auf­ gaben zu lösen. Entsprechend werden die Resultate, wenn sie aus den

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Giovanni Battista Piranesi, Campo Marzio, 1755–1762, 137,05 × 153,25 cm


Giovanni Battista Piranesi, Campo Marzio, 1755–1762, 137,05 × 153,25 cm


E di tor i s c h e N o t i z Die Texte, aus denen dieses Buch zusammengestellt wurde, sind aus ver­ schiedenen Anlässen entstanden: Artikel in Fachzeitschriften, Artikel in Tageszeitungen (vor allem der Neuen Zürcher Zeitung), Vorträge. Etliche wurden bereits veröffentlicht. Teilweise sind sie mehrfach überarbeitet und auch als Überarbeitung wieder publiziert worden. Davon legen die Quellennachweise Zeugnis ab. Für dieses Buch wurden die Original­texte weitgehend umgeschrieben, größtenteils gekürzt und zuweilen ergänzt. Soweit nicht anders gekennzeichnet, stammen die Übersetzungen der in den Texten wiedergegebenen Zitate vom Verfasser; »Gebaute Farbigkei­ ten« wurde für die vorliegende Publikation von ­Jeanette Mohr ins Deut­ sche übersetzt.

279


E di tor i s c h e N o t i z Die Texte, aus denen dieses Buch zusammengestellt wurde, sind aus ver­ schiedenen Anlässen entstanden: Artikel in Fachzeitschriften, Artikel in Tageszeitungen (vor allem der Neuen Zürcher Zeitung), Vorträge. Etliche wurden bereits veröffentlicht. Teilweise sind sie mehrfach überarbeitet und auch als Überarbeitung wieder publiziert worden. Davon legen die Quellennachweise Zeugnis ab. Für dieses Buch wurden die Original­texte weitgehend umgeschrieben, größtenteils gekürzt und zuweilen ergänzt. Soweit nicht anders gekennzeichnet, stammen die Übersetzungen der in den Texten wiedergegebenen Zitate vom Verfasser; »Gebaute Farbigkei­ ten« wurde für die vorliegende Publikation von ­Jeanette Mohr ins Deut­ sche übersetzt.

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Vittorio  Magnago  Lampugnani

radikal normal Positionen zur Architektur der Stadt

Wissenschaftliche Redaktion: Rainer Schützeichel Grafische Gestaltung und Satz: Agnes Krolik / Andreas Platzgummer, Hatje Cantz Schrift: Lexikon Reproduktionen: Jan Scheffler, prints professional Herstellung: Christine Stäcker, Hatje Cantz Papier: Tauro Offset, 120 g/m2 Druck: Offizin Scheufele, Stuttgart Buchbinderei: Lachenmaier GmbH, Reutlingen

© 2015 Hatje Cantz Verlag, Ostfildern, und Autor Bildnachweis Giambattista Nolli (S. 4 f.): Giovan Battista Nolli. Nuova Pianta di Roma, 1748, hrsg. von Stefano Borsi, Casa Editrice, Officina Edizioni, Rom 1994 Pierre Patte (S. 14 f.): James A. Leith, Space and Revolution: Projects for Monuments, Squares, and Public Buildings in France 1789–1799, McGill-Queen’s University Press, Montreal 1991, S. 5 Commissioner’s Plan (S. 106 f.): Eno Collection, The New York Public Library Le Corbusier (S. 186 f.): © FLC / VG Bild-Kunst, Bonn 2015 Giovanni Battista Piranesi (S. 276 f.): Ichnographia Campi Martii antiquae urbis, 1762, Niedersäch­sische Staats- und Universitätsbibliothek Göttingen, Abteilung Digitale Bibliothek Erschienen im Hatje Cantz Verlag, Zeppelinstraße 32, 73760 Ostfildern, Deutschland Tel. +49 711 4405-200, Fax +49 711 4405-220, www.hatjecantz.de Ein Unternehmen der Ganske Verlagsgruppe Lizenzausgabe für die Schweiz: Verlag Neue Zürcher Zeitung, Zürich 2015 ISBN 978-3-03810-103-1 www.nzz-libro.ch NZZ Libro ist ein Imprint der Neuen Zürcher Zeitung Printed in Germany Umschlagabbildung Giovanni Battista Piranesi: Ichnographia Campi Martii antiquae urbis (Detail von S. 276), 1762


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