Luc Hoffmann

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Luc Hoffmann Der Mitbegr端nder des WWF im Gespr辰ch mit Jil Silberstein Mit Leidenschaft f端r die Natur

Verlag Neue Z端rcher Zeitung


Titel der Originalausgabe: Luc Hoffmann: L’homme qui s’obstine à préserver la terre Entretiens avec Jil Silberstein © Libella, Paris, 2010 www.phebus-editions.com Die Übersetzung ins Deutsche wurde ermöglicht durch die freundliche Unterstützung von: MAVA , Fondation pour la Protection de la Nature, Gland

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. © 2011 Verlag Neue Zürcher Zeitung, Zürich Lektorat: Ingrid Kunz Graf, Schaffhausen Layout & Satz: Gaby Michel, Hamburg Druck, Einband: Druckhaus Nomos, Sinzheim Dieses Werk ist urheberrechtlich geschützt. Die dadurch begründeten Rechte, insbesondere die der Übersetzung, des Nachdrucks, des Vortrags, der Entnahme von Abbildungen und Tabellen, der Funksendung, der Mikroverfilmung oder der Vervielfältigung auf andern Wegen und der Speicherung in Datenverarbeitungsanlagen, bleiben, auch bei nur auszugsweiser Verwertung, vorbehalten. Eine Vervielfältigung dieses Werkes oder von Teilen dieses Werkes ist auch im Einzelfall nur in den Grenzen der gesetzlichen Bestimmungen des Urheberrechtsgesetzes in der jeweils geltenden Fassung zulässig. Sie ist grundsätzlich vergütungspflichtig. Zuwiderhandlungen unterliegen den Strafbestimmungen des Urheberrechts. ISBN 978-3-03823-701-3 www.nzz-libro.ch NZZ Libro ist ein Imprint der Neuen Zürcher Zeitung


Luc Hoffmann Der Mitbegründer des WWF im Gespräch mit Jil Silberstein Mit Leidenschaft für die Natur Aus dem Französischen von Adelheid Temnewo

Verlag Neue Zürcher Zeitung


Inhalt

Vorwort Gelebte Geschichte .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .   9 Erstes Gespräch Eine Berufung entsteht .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .   13 Zweites Gespräch Auf dem Weg zur Tour du Valat!   .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .   28 Drittes Gespräch Internationale Erweiterung .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .   43 Viertes Gespräch Rettet den Coto de Doñana … .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .   56 Fünftes Gespräch Eile mit Weile .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .   75 Sechstes Gespräch Das Aufkommen der nachhaltigen Entwicklung .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .   86 Siebtes Gespräch Die Stiftung Tour du Valat .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .   97 Achtes Gespräch Regionaler Plan für Westafrika

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Neuntes Gespräch Tour du Valat – Entwicklung an allen Fronten .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .   123 Zehntes Gespräch Zeit für die erste Bilanz .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .   148 Anmerkungen .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .   162 Liste der wichtigsten Abkürzungen .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .   164 Bibliografie von Luc Hoffmann .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .   165 Dank .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .   172 Bildnachweis .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .   173


Vorwort

Gelebte Geschichte Die Gespräche, die im Wesentlichen im Herbst 2008 durchgeführt wurden, führen einer Leserschaft, die für Umweltbelange und Fragen rund um die Bewahrung der Erde als Lebensraum sensibilisiert ist, ein ausserordentliches Werk vor Augen, das die Bezeichnung erstaunlich1 verdient. Es bezeugt das Engagement eines diskreten, entschlossenen, beharrlichen Mannes, den die Umstände, ein seltener Scharfsinn und eine visionäre Gabe veranlassten, sein Leben, seine Energie, seine Überzeugungskraft und sein beträchtliches Vermögen ohne grosse Worte in den Dienst der Rettung von Gebieten zu stellen, die für das globale Funktionieren unseres Ökosystems eine entscheidende Rolle spielen. Bei den ausgedehnten Weiten, von denen hier die Rede ist und die Jahrhunderte lang umstritten waren, weil sie als ungesund galten, handelt es sich um die sogenannten Feuchtgebiete. Inwiefern diese Gebiete dazu beitragen, die Gesundheit des Planeten und damit die Lebensfähigkeit der Pflanzen- und Tierwelt (auch der menschlichen Rasse) zu gewährleisten – das entdeckt die Leserschaft im Verlauf der Schilderungen: Unser Gesprächspartner hält Rückschau und erzählt, wie er zunächst als junger Ornithologe für die Erhaltung des ­Naturreichtums in der Camargue kämpfte und sich dann mit rastloser Entschlossenheit für eine Fülle von internationalen Aktionen zur Rettung von wesentlichen, aber oft durch die intensive Landwirtschaft bedrohten Lebensräumen einsetzte. Zuerst in Spanien, dann in Ungarn, in Österreich, in Griechenland, im Mittelmeerraum, im Nahen Osten und schliesslich an mehreren Orten im saharischen oder subsaharischen Afrika. Dabei wird den Leserinnen und Lesern vor Augen geführt, welche Etappen die Reflexionen zum sakrosankten Konzept «Naturschutz» durchlaufen haben und wie sie endlich einen Paradigmenwechsel ermög9


lichten, der die alltägliche Aktivität der örtlichen Gebietskörperschaften nicht mehr ausschliesst, sondern einbezieht und damit die nachhaltige Entwicklung überhaupt vorstellbar macht. Gleichzeitig entdeckt die Leserschaft, wie aus einem Jagdreservat im Rhonedelta die weltbekannte biologische Station Tour du Valat wurde; unter welchen Umständen die global präsente Nichtregierungsorganisation W WF (World Wildlife Fund, heute World Wild Fund for Nature) ins Leben gerufen wurde; und wie 159 der 192 Länder der Welt das – verbindliche – Ramsar-Übereinkommen über den Schutz der Feuchtgebiete, einen 1971 abgeschlossenen Völkerrechtsvertrag, unterzeichneten. Diese Durchbrüche verdanken wir weitgehend dem Kampfgeist von Luc Hoffmann, den doch all jene, die das Privileg hatten, seine Bekanntschaft zu machen, als freundlichen, geduldigen und zutiefst bescheidenen Menschen beschreiben. Prinz Philip, Herzog von Edinburgh, Mitglied der ersten Stunde und späterer Präsident des W WF, verkehrte lange Jahre mit unserem Gesprächspartner und schildert ihn wie folgt: Hinter seiner Gelassenheit und Bescheidenheit verbergen sich ein eiserner Wille und grosse Entschlusskraft. Niemand versuchte, ihn von seinen Mei­nungen abzubringen, ausser wenn er sich seiner Sache völlig sicher war. Das wahre Ausmass seines Beitrags an die Entwicklung und das Wachstum des W WF, punkto Beratung und materieller Unterstützung, lässt sich schwer einschätzen, zumal er diese Hilfe sehr diskret gewährte. Eine grosse Stärke war sein Charme und seine unfehlbare Fähigkeit, sich mit allen Menschen, die seinen Weg kreuzten, zu verstehen.2 Trotzdem: Dass ein Mann es geschafft hat, sukzessive Regierungen wie jene im frankistischen Spanien, in der Volksrepublik Ungarn und in der jungen islamischen Republik Mauretanien für seine Stand­punkte zu gewinnen; dass dieser Mann es fertiggebracht hat, die Regierenden von den Vorteilen zu überzeugen, die ein grundle10


gend neues Konzept – und damit eine neue Nutzung – der Gebiete ihren Ländern bescheren könnte, kommt einem Wunder, einem diplomatischen Hochseilakt gleich. Das vorliegende Buch schildert die Erinnerungen eines Mannes, der sein ganzes Leben in den Dienst der Erde gestellt hat. Der Blick ist völlig frei von Selbstgefälligkeit und nicht nur in die Vergangenheit gerichtet. Mit 87 Jahren steht Luc Hoffmann trotz der Gebrechen des hohen Alters mitten im Leben. Wie ich feststellen konnte, wird er gespannt und erwartungsvoll befragt: in der Schweiz, in Frankreich und in vielen andern Ländern. Er ist ein Mensch, der weiterhin viel reist – und für den die Zeit ein kostbares Geschenk bleibt. Dafür, dass er nach vierjährigem Beharren meinem Wunsch stattgegeben hat, den auf den folgenden Seiten wiedergegebenen Dialog zu führen, empfinde ich tiefe Dankbarkeit. Ich habe ihn an seinem Werk gesehen, ich konnte Nahestehenden begegnen und hinter dem rastlosen, vom Sinn für Dringlichkeit getriebenen und mit ausserordentlichem diplomatischem Geschick begabten Mann einen guten und grosszügigen Menschen entdecken. Ehrungen? Luc Hoffmann lehnte sie nicht ab (das hätte im Übrigen seinem Höflichkeitsempfinden widersprochen), mass ihnen aber keine übermässige Bedeutung bei. Kommandeur der Goldenen Arche (Niederlande), Ehrendoktorwürde der Universität Basel (Schweiz) und der Universität Thessaloniki (Griechenland), Träger des Ehrenzeichens für Wissenschaft und Kunst (Österreich) und der Ehrenlegion der islamischen Republik Mauretanien, Chevalier der Légion d’Honneur (Frankreich) und Kommandeur des Verdienstordens (Griechenland); das Edward Grey Institute of Field Ornithology der Universität Oxford benannte einen Lehrstuhl nach Luc Hoffmann, und sein Name stand ­sogar auf der Liste der Nobelpreisanwärter. Trotz aller Lobesworte ist Luc Hoffmann der Mann geblieben, den wir nun kennenlernen werden: herzlich, wortkarg, bemerkenswert genau in seinen Schilderungen einer reich erfüllten Vergangenheit, humorvoll, sich immer der akuten Notwendigkeit und Dringlichkeit bewusst – und gleichzeitig realistisch, was die Tragweite – und die Nachwelt – seines Werkes anbelangt. 11


Die Einzelheiten dieses vielseitigen Lebenswerks? Dafür konnte ich nicht auf die Mitwirkung des Gesprächspartners zählen – zu gross ist seine Zurückhaltung und Bescheidenheit, als dass er vor jemandes Augen Hintergründe enthüllen würde. Deshalb stehe ich tief in der Schuld seines Vertrauten und ehemaligen Mitarbeiters in der biologischen Forschungsstation Tour du Valat, Paul Isenmann. Die Mélanges 3, eine Kreation zum 80. Geburtstag von Luc Hoffmann, ermöglichten mir, mit seinem Segen einer Vielzahl von Spuren nachzugehen. J. S.

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Viertes Gespräch

Rettet den Coto de Doñana … Jil Silberstein: Im Sommer 1960 überbrachte Ihnen der junge spanische Ornithologe José Valverde, den Sie fünf Jahre zuvor zu Forschungen in die Tour du Valat eingeladen hatten und der anschliessend wieder in seine Heimat zurückkehrte, eine beunruhigende Nachricht. Entlang der Atlantikküste Andalusiens sollte das Westufer des Guadalquivir, das aus weitläufigen Sümpfen besteht, zwischen den Städten Huelva und Cádiz durch Entwässerungskanäle radikal dräniert werden. Die spanische Regierung unter General Franco war damals vom Ehrgeiz getrieben, die traditionellen Jagdgebiete in Agrarland und Tourismusgebiete umzuwandeln. Von diesem Paradies, das jeden Winter von Schwärmen von Vögeln aus ganz Europa bevölkert wird, wäre nur eine winzig kleine Parzelle verschont geblieben – eine vorprogrammierte Katastrophe. In seiner Verzweiflung stellte Valverde sich eine schier unlösbare Aufgabe: Er wollte den spanischen Staat von seinem Vorhaben abbringen und den Coto de Doñana in ein riesiges Naturschutzgebiet umwandeln. Erzählen Sie uns doch etwas über den Coto de Doñana, der Ihnen während eines halben Jahrzehnts ziemliches Kopfzerbrechen bereiten sollte! Luc Hoffmann: Der Coto de Doñana bildet, ausgehend von der Mündung des Guadalquivir, eine Art Dreieck. So sieht es aus: Hier haben Sie die Atlantikküste, unten die Mündung, dann vom Nordosten her den Fluss. Dazwischen sehen Sie ein Dreieck mit einer sandigen Küste, hinter dem Dünengürtel liegen die Sümpfe. Als José Valverde 1960 vom ­Projekt der Regierung erfuhr, war das Gebiet noch in drei Teile geteilt. Der erste, Coto Palacio, gehörte drei verschiedenen Besitzern. Der zweite, Las Nuevas, war Eigentum von zwei Brüdern. Der dritte Teil war Hi­ nojos.

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Erinnern Sie sich noch, wie Sie auf den Appell von José Valverde reagierten? Ich war damals Direktor des IWRB, des International Waterfowl Research Bureau. Natürlich lag uns der Coto de Doñana sehr am Herzen. Wir hatten im Übrigen mehrere Jahrestagungen in Jerez de la Frontera organisiert und immer Ausflüge in den berühmten Coto de Doñana unternommen. Ein echtes Paradies für Wasservögel! Ich hatte volles Vertrauen zu José Valverde: Er war nicht nur ein Naturschützer, sondern ein hervorragender, ich würde sogar sagen genialer Ökologe, der sich nicht damit begnügte, die Natur zu beobachten oder zu studieren und dies oder jenes zu messen. Sein Herz schlug für die Natur, er lebte mit Leib und Seele für die Natur. So gesehen ist er wohl der genialste Mensch, den ich je getroffen habe. Sie sicherten also José Valverde Ihre Unterstützung zu und riefen mehrere internationale Organisationen auf den Plan. Den Internationalen Rat für Vogelschutz, die Weltnaturschutzunion und dann noch einige NRO s. Gestärkt durch die im Entstehen begriffene internationale Bewegung, konnten Valverde und Sie die spanische Regierung von der Stichhaltigkeit Ihres Vorhabens halbwegs überzeugen. Da Sie jedoch einen Rückzieher der Regierung befürchteten – oder zu befürchten hatten –, liessen Sie sich beide auf ein noch abenteuerlicheres Unterfangen ein: Sie nahmen Verhandlungen mit den Eigentümern der Parzellen auf, um sie zu einem Verkauf zu bewegen. Für Coto Palacio verlangte die betreffende Partei einen überzogenen Preis. Sie wandten sich Las Nuevas zu – auch kein leichtes Spiel, aber nach einigem Hin und Her war das Ziel erreicht. Bei Las Nuevas sahen wir bereits alle Felle davonschwimmen … Wir hatten uns mit einem der beiden Grundstückseigentümer – zwei Brüdern, ich glaube, es war jener, der 80 Prozent des Grundstücks besass – auf einen Kaufvertrag geeinigt. Dann stellte sich heraus, dass der zweite Bruder, 57


der Besitzer der restlichen Fläche, seinen Teil heimlich an einen gewissen Biaggi, einen Italiener, verkauft hatte. Biaggi hatte das Grundstück gekauft, um dort seiner Jagdleidenschaft zu frönen. Als die Sache aufgedeckt wurde, beschloss der Mehrheits-Miteigentümer, gleich vorzugehen wie sein Bruder, um ihn nicht zu desavouieren und ein Familiendrama zu vermeiden. Glücklicherweise war dieser italienische Jäger ein vernünftiger Mann. Wir diskutierten lange mit ihm über den Naturschutz. Schliesslich einigten wir uns, in seinem Teil des Guts die Jagd in angemessener Weise, also im Einklang mit dem Naturschutz, zu betreiben. Mittlerweile hatten wir dank José Valverdes Einfluss im Consejo su­ perior de investigaciones cientificas, dem Obersten Rat für wissenschaftliche Forschung, einen gewichtigen Verbündeten gefunden. Damals gab es das spanische Umweltministerium noch nicht, die Regierung befasste sich nicht mit Umweltschutz. Der Consejo spielte eine entscheidende Rolle. Dann geschah noch etwas, das uns ermöglichte, unser Kaufprojekt für Las Nuevas voranzutreiben: die Schaffung des World Wildlife Fund WWF. Der WWF wurde am 11. September 1961 in Morges ins Leben gerufen. War es Ihre Idee, eine schweizerische Stadt als Sitz des WWF auszu­ wählen? Keineswegs! Die Entscheidung für Morges hängt damit zusammen, dass die Weltnaturschutzunion dort bereits seit einigen Jahren ihren Sitz hatte. Wie ich erfahren habe, wurde der WWF infolge einer von Julian Huxley, dem bereits erwähnten britischen Biologen, orchestrierten Pressekampagne gegründet. Julian Huxley war der erste Unesco-Generaldirektor. Ausserdem war er massgeblich an der Gründung der Weltnaturschutzunion IUCN beteiligt, deren Sitz sich wie erwähnt in Morges befindet. Julian Huxley gehörte tatsächlich zu den Gründern der IUCN. Huxley war 1960, wenn ich mich richtig erinnere, nach Ostafrika gereist, um die Unesco über den dortigen Stand des Naturschutzes zu informieren … 58


Es handelte sich meines Wissens um seine zweite Reise: Er war bereits 1930 als Wissenschaftler nach Ostafrika gereist, um sich dort für die Schaffung von Nationalparks einzusetzen. Genau. Die Wirklichkeit vor Ort versetzte ihm einen Schlag: Die grossen Wildtiere waren wegen der intensiven Bejagung kurzfristig vom Aussterben bedroht. Huxley war über das Ausmass der Verheerungen erschüttert. Zurück in Grossbritannien, verfasste Julian Huxley eine Reihe von scharfen Artikeln für die grosse britische Tageszeitung The Observer, um die öffentliche Meinung zu sensibilisieren und aufzurütteln. Zahlreiche Leser reagierten betroffen, darunter der britische Geschäftsmann Victor Stolan. Er regte an, eine internationale Organisation zu gründen, um Gelder für den Naturschutz zu sammeln und wirksam zur Erhaltung der Arten­ vielfalt beizutragen. Stolan selbst fühlte sich jedoch dieser Herausforderung nicht gewachsen. Er legte Julian Huxley nahe, an die Wissenschaftsgemeinschaft zu appellieren – stimmt das? Das stimmt. Julian Huxley wandte sich an den aktiven Ornithologen und damaligen Generaldirektor des Britain Nature Conservancy, Max Nicholson. Nicholson brachte eine Gruppe von naturbegeisterten Wissenschaftlerkollegen zusammen, die sich in dieses Abenteuer stürzten. Dazu gehörten Wissenschaftler wie die Ornithologen Guy Mountfort und Peter Scott, der Vizepräsident der IUCN. Sie selbst waren als Kenner dieser Kreise an der Gründung des WWF beteiligt und amtierten bis 1988 als dessen Vizepräsident. Ihr Name ist aber nur selten unter jenen der Mitbegründer zu sehen. Ein weiteres Beispiel für Ihre sprichwörtliche Bescheidenheit? Der Grund ist, dass der WWF in zwei Etappen entstand: Zuerst wurde die sogenannte Erklärung von Morges verabschiedet und eine Presseerklärung veröffentlicht. Damals war ich tatsächlich nicht in Morges zugegen. Etwas später, am eigentlichen Geburtstag des WWF – die Gründung ergab sich direkt aus der Erklärung von Morges –, war ich vor Ort. 59


Doch wenn man nur die Unterschriften auf der Erklärung liest, war ich eindeutig nicht dabei. Bevor wir auf den Coto de Doñana und die abenteuerlichen Verhandlungen für den Kauf des Coto Palacio eingehen, möchte ich kurz bei der Schaffung des WWF verweilen. In nur drei Jahrzehnten entwickelte sich der WWF, wie Sie sagten, zu einem internationalen Netzwerk. Der WWF ist in 96 Ländern präsent und wird von 4,7 Millionen Förderern unterstützt. 48 Prozent des Budgets von 320 Millionen Dollar gehen auf Beiträge von Einzelspendern zurück.18 Paul Isenmann beschreibt diesen Meilenstein wie folgt: Zusammen mit den britischen Ornithologen Guy Mountfort, Max Nicholson und Peter Scott sowie mehreren andern Naturfreunden gründete Luc Hoffmann 1961 den WWF. So entstand der bewaffnete finanzielle Arm der IUCN, die sonst weiterhin fromme, aber wegen Mittelknappheit aussichtslose Wünsche geäussert hätte. Hinter dem langen Schweigen und der anscheinenden Abwesenheit von Luc Hoffmann verbergen sich in Wirklichkeit bemerkenswerte Weisheit, Weitsicht und langfristiges Handeln.19 Luc Hoffmann gründete den bewaffneten finanziellen Arm der IUCN. Die Formulierung deutet darauf hin, dass Sie dem WWF beträchtliche Beträge zur Verfügung stellten – oder handelte es sich um Mittel der IUCN ? Nein, es handelte sich um einen persönlichen Beitrag. Vorhin war von unserem, das heisst José Antonio Valverdes und meinem, Engagement für die Rettung des Coto de Doñana die Rede. Um als glaubwürdige Käufer aufzutreten, mussten wir grosse Summen beschaffen. Private Spenden von Bekannten reichten niemals aus. Deshalb führten wir eine breit angelegte Spendenkampagne durch. Die künftigen Gründer des WWF, besonders Peter Scott und der eigentliche Gründer des WWF Max Nicholson, den ich gut kannte, wurden auf die Kampagnen aufmerksam. Sie sahen, wie wir uns abmühten, und sprachen uns darauf an. Nicholson sagte: «Wir möchten eine Organisation gründen, um die Forschung der IUCN in Massnahmen umzusetzen. Nun haben wir gehört, dass du Geld für den Coto de Doñana sammelst. Möchtest du nicht mitmachen? Könn60


ten wir uns nicht zusammen für die Schaffung dieser Organisation einsetzen? Der Coto de Doñana wäre dann ein erstes Ziel.» So kam ich an Bord des WWF. Der neu gegründete WWF hatte den Coto de Doñana tatsächlich zu seiner ersten grossen Aufgabe erkoren – zur ersten aufsehenerregenden Aktion und auch zu seinem ersten finanziellen Engagement. Später folgten andere. Der von Isenmann beschriebene «bewaffnete Arm» reagierte nicht nur auf Julian Huxleys Hilferufe nach seiner Ostafrikareise, sondern auch auf andere Anzeichen der globalen Umweltvernichtung. Das ist richtig, der WWF reagierte auf weitere Symptome von wachsenden Gefahren für die Artenvielfalt des Planeten. Gefahren für manche Arten, die rasant schrumpften und aus bestimmten Gebieten verschwinden würden. Dazu gehörten der Panda, der bald zum Logo der Organisation wurde, und der indische Tiger, der in den ersten Jahren des WWF im Mittelpunkt stand. In der Schweiz reagierte man mit der Schaffung des Nationalparks – 1914 glaube ich – auf die Zerstörung des Alpenraums. Die Naturräume verschwanden zusehends: Man musste dringend überall auf der Welt Naturschutzgebiete für die Erhaltung der Ökosysteme schaffen. Was konnte die Weltnaturschutzunion leisten? Abgesehen von Forschungsarbeiten recht wenig. Feststellungen, Forschungen, wieder Feststellungen – schliesslich verschwanden die Projekte in den Schubladen. Unter den Mitarbeitern machte sich Enttäuschung breit, immer mehr Stimmen forderten, die Feststellungen, Forschungen und Projekte in Aktionen umzusetzen. Dafür brauchte man eine dynamische Organisation – und Geld. Ohne Geld war nichts möglich. Die Mittelbeschaffung war das Mass aller Dinge. Für humanitäre Organisationen bedeutete Fundraising nichts Neues. Wir wandten uns aber nicht nur an wissenschaftliche Institutionen, sondern auch an die Bevölkerung. Nur Geld zu beschaffen, reichte nicht aus. Man musste alle Kräfte für den Naturschutz bündeln. Dazu wurden vier nationale Organisationen des WWF gegründet: in den Vereinigten Staaten, in den Niederlanden, in der Schweiz und in Grossbritannien. 61


Hat die Bevölkerung dieser vier Länder sich spontan für die Flagge mit dem netten Panda begeistert? Ja, weil in diesen vier Ländern bereits professionelle NRO s die Bahn geebnet hatten, besonders in Grossbritannien und in den Niederlanden. Unterhalten wir uns über die Rolle des WWF bei der Umwandlung des Coto de Doñana in einen Nationalpark. Das war doch die erste Amtshandlung des WWF : die laufenden Verhandlungen zum Coto de Doñana unterstützen? Richtig. Der WWF setzte sich damals bereits für wichtige Naturschutzprojekte ein. Er förderte die Charles-Darwin-Stiftung für die Erhaltung der Galapagos-Inseln vor der Küste Ecuadors. Die einzigartige Flora der Inselgruppe war wegen der Überfischung der Ozeane vom Aussterben bedroht. Die ecuadorianische Regierung hatte die Geschehnisse im Archipel kaum unter Kontrolle. Die Vertreter der Galapagos-Inseln scharten unterdessen in Europa und in den Vereinigten Staaten eine Gruppe von Umweltschützern um sich, die eine Stiftung für die Erhaltung der Inseln gründeten. So entstand die Charles-Darwin-Stiftung, die der WWF von Anfang an unterstützte. Natürlich half der WWF auch der IUCN sowie einigen Projekten vor Ort, besonders dem Momella-Projekt, das die Erweiterung des Ambroseli-Parks in Afrika anstrebte. Die Interventionen des WWF für den Naturschutz mussten jedoch den Formen der Diplomatie Genüge tun, nicht wahr? Wie war es faktisch möglich, in legaler Weise Bewegungen der Zivilgesellschaft zu unterstützen, ohne die betroffenen Regierungen gegen sich aufzubringen? Man musste ihnen ja verständlich machen, dass es im allgemeinen Interesse lag, Projekte wie die Schaffung oder, wie im Fall der Serengeti, die Erweiterung von Nationalparks zu fördern … Richtig. Das ist der springende Punkt. Zur Serengeti muss man wissen, dass Tansania damals noch nicht unabhängig war, genauer gesagt, es gab 62


Tansania noch nicht – die Nation entstand erst 1964 aus den beiden unabhängig gewordenen Gebieten Tanganjika und Sansibar. Damals befand sich die Region unter britischer Herrschaft. Man musste über den britischen Staat vorgehen, Kontakte mit dem britischen Staat knüpfen. In Gross­britannien erlebten Nichtregierungsorganisationen einen Aufschwung … wie im Übrigen auch in den Vereinigten Staaten und in der Schweiz. Wie verhielt es sich mit den Galapagos-Inseln, die im ecuadorianischen Hoheitsgebiet lagen? Selbstverständlich waren wir alle überzeugt, dass die Regierung verpflichtet war, die Natur zu schützen, und dass man sie an ihre Verpflichtung erinnern musste. Wir gingen aber möglichst diplomatisch vor, um nichts zu überstürzen. Auch wenn Sie freundlich, aber bestimmt abgewiesen wurden? Oder wurden Sie trotzdem empfangen – schliesslich verfügten Sie über eine wissenschaftliche Reputation und über einige Mittel – obwohl Sie als Spielverderber galten? Soweit ich mich erinnere, hat man uns nie die Tür gewiesen. Manchmal fiel es uns aber sehr schwer, die Regierungen zu überzeugen. Welche Regierungen denn? Die spanische Regierung, für den Coto de Doñana. Das war eine Herkulesaufgabe. Zum Coto de Doñana: Wir waren da stehengeblieben, wo der Kauf von Las Nuevas – eine der drei Parzellen des Coto de Doñana – eine Wende zum Besseren nahm. Mittlerweile hatte die Gründung des WWF die Lage geändert und den Erwerb des Grundstücks erleichtert. Der WWF sollte die Mittel beschaffen, doch die spanische Regierung musste zustimmen, Las Nuevas in einen Naturpark mit einer Forschungsstation umzuwandeln. 63


Das ist richtig. Mit einem Mal zeigte sich die spanische Regierung aufgeschlossen für das Engagement des World Wildlife Fund zur Rettung des Coto de Doñana und beschloss, das Grundstück Las Nuevas über das staatliche Organ namens Consejo superior de investigaciones científicas selbst zu kaufen. Damit hatte der WWF einen dicken Batzen gespart! Ihr nächster Schachzug war, möglichst bald über den Kauf der beiden andern Parzellen des Coto de Doñana zu verhandeln, also Hinojos und Coto Palacio, ganz oder teilweise. Mit dem Coto Palacio verhielt es sich so: Der Marques de Mérito, einer der drei Besitzer des Grundstücks, missbilligte den Plan der spanischen Regierung, die Sümpfe trockenzulegen, und war einverstanden, uns seine Ländereien zu verkaufen … José Antonio Valverde schreibt dazu: Im Rahmen meiner internationalen Mittelbeschaffung wandte ich mich an Luc, der sofort antwortete. Er kannte einen anonymen Schweizer, der eine halbe Million, das heisst den Gegenwert von 500 Hektar, zum Projekt beisteuern konnte. Weitere Spender stellten sich nach und nach hinter unsere Sache.20 Hiess der mysteriöse anonyme Schweizer zufälligerweise Luc Hoffmann? Ja … ja. Der Marques de Mérito gab Ihnen grünes Licht. Nun mussten Sie noch die Besitzer der beiden andern Parzellen des Coto Palacio überzeugen. Wer waren sie? Der erste, Manuel González, war der Besitzer eines renommierten Weinhauses in Xerex, das den berühmten «Tio Pepe» herstellt. Der zweite, ein Parvenü namens Salvador Noguera, hatte sich mit den beiden andern Grundstückseigentümern zusammengetan. Er war ein Profiteur der Spanischen Revolution: Während der Spanischen Revolution wurden viele königliche und adelige Besitztümer verstaatlicht und vom Staat für ein Butterbrot an Leute verscherbelt, die mit dem Adel nichts zu tun hatten. 64


1  Fritz Hoffmann-Laroche, Grossvater von Luc Hoffmann.


2  Emanuel Hoffmann mit seinem Sohn Andres.


3  Andres Hoffmann und Luc Hoffmann.

4  Andres Hoffmann.


5  Emanuel Hoffmann.

6  Andres Hoffmann und Luc Hoffmann.

7  Luc Hoffmann mit seiner Schwester Vera.


8  Links Hans Stehlin, Onkel von Luc Hoffmann.

9  Carl Hoffmann, Onkel von Luc Hoffmann.


10  Luc Hoffmann während des Militärdiensts.

11  Maja Sacher-Stehlin, Mutter von Luc Hoffmann.


12  Luc Hoffmann.


13  Paul Sacher, Stiefvater von Luc Hoffmann. Wien, 1946.


Noguera zog in seiner Jugend als Fischverkäufer mit einem kleinen Handwagen durch die Strassen von Sevilla. Er heiratete ein Mädchen aus einigermassen betuchtem Haus – nicht sehr vermögend, aber immerhin – und raffte so genügend Geld zusammen, um sich verstaatlichte Ländereien anzueignen. Er stieg ins Spekulationsgeschäft ein und häufte nach und nach ein ansehnliches Vermögen an. So wurde er mit dem Marques de Mérito und Manuel González Miteigentümer des Coto Palacio. Der Marques de Mérito legte uns wie gesagt keine Steine in den Weg, er stimmte zu, seinen Anteil zu verkaufen. Ansonsten hatten wir aber kein leichtes Spiel. Nur schon González’ Haltung! Manuel González musste seinen beiden Söhnen Rechenschaft ablegen. Der ältere Sohn Maurico, ein Naturfreund, war durchaus einverstanden, seinen Teil zu verkaufen. Doch der andere, Jaime … «Nein, das passt mir gar nicht. Ich will im Coto de Doñana jagen – das ist meine grösste Freude im Leben.» Punktum! Salvador Noguera wollte seinen Anteil zumindest zum gebotenen Preis ebenso wenig verkaufen. Ihm gehörte der unscheinbarste Teil der Coto Palacio, ein Eukalyptuswald, aber er hoffte doch auf einen höheren Verkaufswert. Nach zähen Gesprächen erwarben wir schliesslich etwa die Hälfte von González’ Besitz und Teile von Nogueras Parzelle. Ich erinnere mich genau an die dramatischen Verhandlungen in einem Hotel in Sevilla … Warum waren die Verhandlungen «dramatisch»? Auf der einen Seite sass da unsere kleine Gruppe: Dr. Fritz Vollmar, der damalige WWF-Generalsekretär, der geschickte Verhandlungsführer José Antonio Valverde, ohne den wir uns kaum hätten einigen können, und ich selbst. Uns gegenüber sass Noguera mit seinem Rechtsberater. Bis spät in die Nacht hinein wurde verhandelt und nochmals verhandelt, dann lag endlich eine akzeptable Lösung vor. Ich sagte zu Noguera: «So, das ist geschafft, das wird jetzt sofort zu Papier gebracht und unterschrieben.» Noguera machte aber keine Anstalten, zu unterschreiben. Sein Rechtsberater flüsterte mir zu: «So geht das nicht! Für einen Spanier ist die Ehre wichtiger als Geld. Bestehen Sie nicht darauf, dass der Text jetzt geschrieben wird und dass Salvador Noguera ihn unterzeichnet, sonst wird er 73


nicht kooperieren. Wir erledigen das morgen in aller Ruhe. Er hat sein Wort gegeben und wird sich daran halten.» Aber am nächsten Tag hielt er sich an überhaupt nichts! Sein Wort gab es nicht mehr! Wir mussten wieder von vorne anfangen. Letztlich haben wir es aber doch geschafft. Der Kauf von Hinojos, der Parzelle zwischen dem Coto Palacio und Las Nuevas, machte den Coto de Doñana zu einem der grössten Sumpf- und Naturschutzgebiete in Europa – mit 77 000 Hektar, stimmt das? Einen Teil von Hinojos konnten wir ohne grössere Schwierigkeiten erwerben. Damals existierte der WWF schon. Zudem wurde die nationale spanische Sektion des WWF gegründet. Der WWF Spanien kaufte das Gebiet aus internationalen Spendengeldern. Anders als beim übrigen Coto de Doñana wurde Hinojos nicht über den Consejo superior de investigaciones cientificas abgewickelt, sondern unmittelbar dem spanischen WWF übergeben. Lief denn der Rest des künftigen Naturschutzparks über den Obersten Rat für wissenschaftliche Forschung? Als Staatsorgan hatte der Consejo superior immerhin über die Hälfte des Kaufpreises der Ländereien angeboten. Sie wissen noch, wie es mit Las Nuevas lief! Es war naheliegend, dass wir, das heisst der WWF, nachdem wir die Verhandlungen geführt und ein Drittel des Preises investiert hatten, mit dem Consejo superior einen Vertrag abschlossen. Damit wurde ein Lenkungsausschuss mit Vertretern der beiden Organisationen für die Verwaltung des künftigen Naturschutzgebietes eingesetzt. Bis schliesslich der ganze Coto de Doñana über den Obersten Rat für wissenschaftliche Forschung den spanischen Behörden übergeben wurde und bis 1969, neun Jahre nachdem Valverde erstmals Alarm geschlagen hatte, General Franco offiziell die Schaffung des Nationalparks Doñana, der zum grössten Nationalpark Europas werden sollte, verkündete. Das ist richtig. 74


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