Die Buchreihe «Der Thurgau im späten Mittelalter» wird ermöglicht durch Lotteriefonds des Kantons Thurgau Ulrico Hoepli-Stiftung, Zürich
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. Projektleitung: Silvia Volkart, Winterthur Redaktion: Silvia Volkart, Winterthur, und Ramona Früh, Frauenfeld Bildrecherchen: Nina Schläfli, Kreuzlingen Lektorat: Ingrid Kunz Graf, Stein am Rhein Gestaltung: Urs Stuber, Frauenfeld Satz: Daniela Bieri-Mäder, Niederbüren Lithografie: Thomas Humm, Matzingen Druck, Einband: Kösel GmbH, Altusried-Krugzell © 2018 NZZ Libro, Neue Zürcher Zeitung AG, Zürich, und Kanton Thurgau © 2018 für die Texte Autorinnen und Autoren Dieses Werk ist urheberrechtlich geschützt. Die dadurch begründeten Rechte, insbesondere die der Übersetzung, des Nachdrucks, des Vortrags, der Entnahme von Abbildungen und Tabellen, der Funksendung, der Mikroverfilmung oder der Vervielfältigung auf anderen Wegen und der Speicherung in Datenverarbeitungsanlagen, bleiben, auch bei nur auszugsweiser V erwertung, vorbehalten. Eine Vervielfältigung dieses Werks oder von Teilen dieses Werks ist auch im Einzelfall nur in den Grenzen der gesetzlichen Bestimmungen des Urheberrechtsgesetzes in der jeweils geltenden Fassung zulässig. Sie ist grundsätzlich vergütungspflichtig. Zuwiderhandlungen unterliegen den Strafbestimmungen des Urheberrechts. ISBN 978-3-03810-312-7 www.nzz-libro.ch NZZ Libro ist ein Imprint der Neuen Zürcher Zeitung.
Inhaltsübersicht
«Der Thurgau im späten Mittelalter» –
Buchreihe zum 600-Jahr-Jubiläum des Konzils von Konstanz
11
«Ohne den Thurgau kein Konzil!»
Monika Knill
13
Eine Entdeckungsreise in eine prägende Epoche
Silvia Volkart
16
Prägende Köpfe und Chronisten
Silvia Volkart
21
Kapitel I: Als die Eidgenossen kamen – Der Kampf um den Thurgau
23
Machtwechsel und Alltag – Der Thurgau nach dem Konzil von Konstanz Doris Stöckly
31
Der Thurgau als Kriegsschauplatz – Etappen der Eroberung Doris Stöckly
45
Grenzen, Gerichte, Gerichtsherrenstand – Der Thurgau gewinnt an Konturen Doris Stöckly
55
Experimentierfeld mit Museumscharakter – Die gemeine Herrschaft Thurgau Doris Stöckly
65
Kapitel II: Der Reichstag von Konstanz 1507 – Maximilian I.,
Konstanz und die Eidgenossen
67
Begehrtes Konstanz, begehrtes Landgericht – Streitigkeiten nach 1499 Dominik Gügel
71
«König und Reich» in Konstanz – Die politische Agenda des Reichstags Dominik Gügel
Umbruch am Bodensee • Vom Konstanzer Konzil zur Reformation
77
Kapitel III: Geprägt durch politische Konflikte – Zeugen der Umbruchszeit
81
Heinrich Ehinger und Berchtold Vogt – Zwei prominente Konstanzer als Stifter des Leonhardzyklus in der Kapelle Landschlacht Peter Erni
89
Der Thurgauer Landadlige Ulrich Muntprat – Lobbyist und Diplomat Werner Warth
97
Kapitel IV: Spätmittelalterliche Frömmigkeit – Die Sakrallandschaft
101
Die Bischofs- und Pilgerstadt Konstanz – Glaubenszentrum mit Strahlkraft Dominik Gügel
114
Nah betrachtet, weit geschaut – Der Feldbacher Altar erzählt Spektakuläres aus dem Spätmittelalter Dominik Gügel
137
Schloss Arbon – Residenz von Bischof Hugo von Hohenlandenberg Silvia Volkart
143
Mit dem «Rituale» durchs Kirchenjahr – Bischöfliche Bücher gegen den religiösen Wildwuchs Silvia Volkart
153
Das Orgelspiel in Bischofszell – Wie Fridolin Sicher seiner Geburtsstadt zu hochstehender Kirchenmusik verhalf Bettina Fierz Salzmann
163
Kapitel V: Pilgern und Wallfahren – Sakrale Orte und Wege
165
Auf den Spuren der Pilger – Ein Netz von Verkehrswegen Dominik Gügel
168
Die Erlebnisse des Pilgers Hans von Waltheym – Reisebericht aus dem Jahr 1474 Dominik Gügel
179
Die Kapelle Bernrain – Thurgauer Wallfahrtsort vor den Toren der Stadt Konstanz Dominik Gügel
189
Marienverehrung im Thurgau – Die Wallfahrtsstätte Klingenzell Annkristin Schlichte
195
Kapitel VI: Fern der Welt und mitten drin – Klösterliches Leben
197
Die Klöster im Thurgau – Eine Bestandesaufnahme Anne Diekjobst und Michael Hohlstein
211
Passionsfrömmigkeit und mystisches Erleben – Spiritualität in Frauenkonventen Anne Diekjobst und Michael Hohlstein
217
Ordensideal und Realität – Die Forderung nach Reformen in Frauenklöstern Anne Diekjobst und Michael Hohlstein
221
Erinnerungskultur und Herrschaftspolitik – Kloster und Welt Anne Diekjobst und Michael Hohlstein
230
Krise und Neugründung – Das Kloster Ittingen als Sanierungsfall Felix Ackermann
239
Krise und Erfindung – Das Kloster Fischingen und die Anfänge des Idda-Kults Felix Ackermann
245
Reformierung, Rückzug, Rekatholisierung – Männerklöster zur Reformationszeit Felix Ackermann
249
Erschütterung, Neuorientierung, Widerstand – Frauenklöster zur Reformationszeit Anne Diekjobst und Michael Hohlstein
Umbruch am Bodensee • Vom Konstanzer Konzil zur Reformation
253
Kapitel VII: Himmel statt Hölle – Jenseitsvorsorge, Totenpflege, Begräbnisriten
255
Der «Himmelsschatz» der Muntprat von Spiegelberg in Lommis – Vorsorge einer Thurgauer Adelsfamilie Silvia Volkart
265
Bäuerliche Jenseitsvorsorge – Das Jahrzeitbuch der Pfarrei Dussnang Marion Baumann
272
«Wenn ain schwöster im chloster stirbt . . .» – Begräbnisriten im Kloster Münsterlingen Regine Abegg
279
Kapitel VIII: Die Kirche im Dorf – Ländliche Religiosität vor der Reformation
281
«Wir wollen und stiften . . . » – Thurgauer Gemeinden fordern eine bessere Seelsorge Doris Stöckly
293
Polygonalchöre, Netzgewölbe, Passionsbilder – Wie das «Kirchenbaufieber» die thurgauische Sakrallandschaft prägte Regine Abegg
315
Kapitel IX: Klerus und Klöster in der Kritik – Der reformatorische Aufbruch
317
Schwerfällige Erneuerung – Kirchenkritik und Reformen nach dem Konstanzer Konzil Peter Wydler
322
Zwischen Konstanz und Zürich – Zur Verbreitung reformatorischer Ideen im Thurgau vor dem Ittinger Sturm Peter Wydler
333
Der Ittinger Sturm vom 18./19. Juli 1524 – Hintergründe eines Bauernaufstands Peter Kamber
351
Kapitel X: Kanzeln statt Altäre? – Religiöses Leben in der gespaltenen Kirche
353
Konfessionelle Parität – Ein schwieriger Weg zum religiösen Frieden Peter Wydler
371
Aufgeschlossen – Das Kloster Münsterlingen und seine Nonnen zur Reformationszeit Peter Erni
379
Freikauf von Bischofszell? – Protokoll eines gescheiterten Projekts Martin Salzmann
389
Anmerkungen
413
Anhang
415
ABC der Begriffe
421
Quellen, Chroniken
423
Literatur
435
Bildnachweis
437
Autorinnen und Autoren
Umbruch am Bodensee • Vom Konstanzer Konzil zur Reformation
Monika Knill, Regierungsrätin
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«Ohne den Thurgau kein Konzil!»
Liebe Leserinnen, liebe Leser, vor Ihnen liegt der abschliessende Doppelband der Reihe «Der Thurgau im späten Mittelalter», der noch einmal in fundiert recherchierten und bildhaft erzählten Geschichten einen Blick auf den Thurgau im 15. und 16. Jahrhundert wirft. Vor genau 600 Jahren fand das Konzil von Konstanz im April 1418 seinen Abschluss. Durch die Papstwahl im November 1417 von Oddone Colonna zum neuen Papst Martin V. konnte das Kirchenschisma nach fast 40 Jahren endlich beendet werden. Doch andere Aufgaben der Kirchenver sammlung am Bodensee wurden nicht gelöst: Die innere Reform der Kirche wurde zwar diskutiert, aber nicht beschlossen. Und die Auseinandersetzung um strittige Glaubensfragen als drittes zentrales Anliegen hatte sich mit der Verurteilung und Hinrichtung von Jan Hus sogar verschärft. Diese Fakten rund um das Konstanzer Konzil und seine weitreichenden politischen und wirtschaftlichen Folgen sind in unserem ersten Band Rom am Bodensee – Die Zeit des Konstanzer Konzils ausführlich beschrieben. Der zweite Band Vom Bodensee nach Bischofszell – Alltag und Wirtschaft im 15. Jahrhundert beschreibt eine imaginäre Reise zwischen Bodensee und Thur. Vom «reichen Landstrich mit schönen Frauen» bis zum Kosmos des Städtleins Bischofszell behandelt das Buch Themenkreise wie Landwirtschaft, Textilgewerbe, Handel und Verkehr und gibt einen Einblick in den Lebensraum des 15. Jahrhunderts. Beide Bände lege ich Ihnen zur Lektüre gerne ans Herz. Der vorliegende Doppelband widmet sich der Umbruchszeit im Bodenseeraum zwischen dem Konstanzer Konzil und der Reformationszeit. Er handelt vom Eindringen der Eidgenossen in thurgauische Gebiete bis zur Eroberung im Jahr 1460. Er beleuchtet die spätmittelalterliche Religiosität und geht der Frage nach, weshalb der um 1520 anbrechende reformatorische Umsturz bei der ländlichen Bevölkerung einen guten Nährboden fand. Inhaltlich und konzeptionell wird mit den Themen in diesem Band ein Bogen zu Band 1 geschlagen. Die politischen und religiösen Ereignisse der Konzilszeit, die damals erreichten Ergebnisse und die gerade nicht gelösten Konflikte waren für den Thurgau folgenreich. Im April 1418 fanden die Vorverhandlungen zur Aussöhnung zwischen König Sigismund und Herzog Friedrich IV. in Münsterlingen statt. Der Habsburger Friedrich verlor 1415 fast sein gesamtes Herrschaftsgebiet, darunter den Thurgau und den Aargau, da er dem damaligen Papst Johannes XXIII. zur Flucht verholfen hatte. Er erhielt Teile seiner verlorenen Rechte zwar zurück, die frühere Machtfülle aber war verloren. Der Thurgau spielte auch schon vor 600 Jahren eine wichtige Rolle. «Ohne den Thurgau kein Konzil!» war im 2014 unser Leitspruch als Auftakt zu den Jubiläumsjahren, die auch im Kanton Thurgau gefeiert wurden. Die Publikationsreihe stellt die Verbindung her zwischen den verschiedenen Aktivitäten in Kultur, Tourismus und Wirtschaft und hat Bestand über die Jubiläumsjahre hinaus.
Umbruch am Bodensee • Vom Konstanzer Konzil zur Reformation
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Der Regierungsrat hat die Bedeutung des Konstanzer Konziljubiläums für die Geschichte des Kantons betont, indem er einen namhaften Beitrag aus dem Lotteriefonds für das gesamte Jubiläum und für die Publikationsreihe leistete. Auch die Ulrico Hoepli-Stiftung beteiligte sich mit einem gewichtigen finanziellen Beitrag an der Publikationsreihe. Dafür sei ihr herzlich gedankt. Ich danke auch der Projektleiterin und Herausgeberin Dr. Silvia Volkart für ihren grossen und ausdauernden Einsatz, der Redaktionskommission unter der Leitung von Martha Monstein, Leiterin Kulturamt, für die inhaltliche und administrative Begleitung der Reihe sowie NZZ Libro – Buchverlag Neue Zürcher Zeitung für die umsichtige Herausgabe der Werke. Ihnen, liebe Leserinnen, liebe Leser, danke ich für Ihr Interesse an unserem Kanton und seiner bewegten Geschichte und wünsche eine spannende Lektüre!
Medaillons auf den Covers der drei Bände zum «Thurgau im späten Mittelalter». 1 Papst Johannes XXIII. setzt dem Abt des Klosters Kreuzlingen eine Mitra auf. Holzschnitt, Richental-Chronik, Augsburg 1483. Historisches Museum Thurgau, Frauenfeld. 2 Sommerliches Treiben bei Bischofszell. Motiv aus dem Wandbehang mit der Ansicht von Bischofszell, um 1510–1525. Historisches Museum Basel, 1873.6. 3 Die heilige Katharina von Alexandrien vor einer belebten Hügellandschaft mit See. Motiv aus der Mitteltafel des Feldbacher Altars. Tafelmalerei, anonym, nach 1453. Historisches Museum Thurgau, T 117.
Silvia Volkart
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Eine Entdeckungsreise in eine prägende Epoche
Viel Neues und Überraschendes präsentiert der Doppelband 3/4 zum Thurgau zwischen dem Konstanzer Konzil und der Reformation. Der schwierige Weg von der Landgrafschaft in die Eidgenossenschaft, der Reichtum des sakralen Thurgaus und der reformatorische Aufbruch an der Schwelle zur Neuzeit sind die drei Themenkreise, die in einer Vielfalt von Beiträgen zur Darstellung kommen. Die 17 Autorinnen und Autoren zeichnen ein spannungsreiches Bild einer Region im Umbruch. Vertrautes wird dabei hinterfragt, Unbekanntes und erst jüngst Entdecktes zur Diskussion gestellt. Beispielhaft dafür ist die neue Auseinandersetzung mit dem Feldbacher Altar. Der aus dem Zisterzienserinnenkloster Feldbach stammende Flügelaltar – ein herausragendes Objekt spätmittelalterlicher Frömmigkeit im Bodenseeraum – wurde für die vorliegende Publikation fotografiert und wissenschaftlich untersucht. Verraten sei vorab dies: Die dabei gewonnenen Erkenntnisse sind spektakulär. Unerwartet weitet sich der Blick des Betrachters von einem Kreuzigungsaltar aus einem thurgauischen Frauenkloster auf epochale Ereignisse der Weltgeschichte. Eine Spurensuche in drei Bänden Die Buchreihe zum Thurgau im späten Mittelalter war für die Autorinnen und Autoren eine Entdeckungsreise. Eine Reise, die nicht nur in vergangene Zeiten führte, sondern stets auch den Zusammenhängen zwischen Geschichte und Gegenwart Aufmerksamkeit schenkte. Im Fokus des Erzählten steht deshalb stets auch die Frage, ob damalige Ereignisse – an erster Stelle das Geschehen am Konzil von Konstanz – für den Thurgau Folgen hatten, die bis heute spürbar sind. Die Antworten sind vielfältig und manifestieren sich in so unterschiedlichen Bereichen, dass sie nicht mit wenigen Worten zusammengefasst werden können. Hingewiesen sei beispielhaft auf zwei Beiträge im Doppelband 3/4, in denen diese Spurensuche besonders sichtbar wird: So beleuchtet das Kapitel über den «Kampf um den Thurgau» die Machtverschiebungen und deren Auswirkungen auf das Alltagsleben der Menschen nach dem Konzil und führt dabei weit in die Neuzeit hinein (Kapitel 1). Und die im Beitrag zum Bilderschmuck im Chor der Leonhardskapelle in Landschlacht vorgestellte These zum Ursprung der Ausmalung lässt die Konzilszeit lebendig werden (Kapitel 3). Ursprünglich als Reihe mit vier Bänden konzipiert, drängte sich im Lauf der Arbeiten am Projekt eine Konzentration auf zwei Einzelbände und einen Doppelband 3/4 auf. Die Gründe dafür liegen in der Vielschichtigkeit der turbulenten Epoche. Die machtpolitischen und kirchengeschichtlichen Veränderungen waren so eng miteinander verknüpft, dass es bei einer gesonderten Betrachtungsweise von Ereignissen zu einer Aufsplittung von zusammenhängenden Entwicklungen gekommen wäre. Markantes Beispiel dafür ist die Verknüpfung von sozialen, religiösen und politischen Konflikten, die 1524 zum Bauernsturm auf das Kloster Ittingen führten.
Umbruch am Bodensee • Vom Konstanzer Konzil zur Reformation
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4 Johannes der Täufer präsen tiert ein Medaillon mit der Darstellung des Lamms Christi vor einer spätmittelalterlichen Stadtlandschaft. Ausschnitt aus der Mitteltafel des Feldbacher Altars (Bild 62). Ehemals Zisterzienserinnenkloster Feldbach bei Steckborn. Tafelmalerei, anonym, nach 1453. Historisches Museum Thurgau, T 117.
Reich bebilderte Lesebücher Die Reihe «Der Thurgau im späten Mittelalter» richtet sich an eine kulturhistorisch interessierte Leserschaft. Die Bände führen mit einem Wechsel von thematischen Überblicksbeiträgen und Geschichten von Zeitgenossen, in deren Alltag sich historisches Geschehen widerspiegelt, durch eine prägende Epoche der Bodenseeregion. Eingestreut in die Beiträge sind «Porträts» von markanten Persönlichkeiten und Bauten. Insgesamt 41 Autorinnen und Autoren aus den Bereichen Geschichte, Kunst- und Kirchengeschichte, Germanistik, Volkskunde, Archäologie, Musik-, Natur- und Rechtswissenschaften haben für die Bücher Texte verfasst. Farbige Chronikdarstellungen, Kartenmaterial, alte Ansichten, Fotos von Baudenkmälern, Abbildungen aus Handschriften und frühen Drucken sowie Aufnahmen von Werken der bildenden Kunst illustrieren das Geschriebene. Jeder der Bände stellt zudem ein herausragendes Objekt mit thurgauischem Bezug in den Mittelpunkt: Im Band 1 steht die kostbare Mitra aus dem Kloster Kreuzlingen im Zentrum, im Band 2 wird dem Bischofszeller Teppich, einem erzählerisch-idealisierenden und zugleich wirklichkeitsnahen Wandbehang mit der Ansicht eines Sommertags in Bischofszell, Raum gegeben. Mit dem Feldbacher Altar wird im vorliegenden Doppelband 3/4 ein bisher erst ansatzweise erforschtes Kultobjekt vorgestellt.
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ABC der Begriffe Weil im Doppelband 3/4 mit der spätmittelalterlichen Frömmigkeit ein Themenkreis zur Sprache kommt, für den die Autorinnen und Autoren ein Vokabular zu verwenden hatten, das heute nicht mehr unbedingt allen Leserinnen und Lesern vertraut ist, wurde im Anhang ein ABC der Begriffe eingefügt. Die im ABC erläuterten Fachbegriffe sind in den Beiträgen jeweils mit einem * markiert und verweisen damit auf die Erklärungshilfen. Mit dem Erscheinen des Doppelbands 3/4 kommt ein mehrjähriges Publikationsprojekt zum Abschluss. An der Entstehung der Reihe haben zahlreiche Personen und Institutionen mitgewirkt, die hier nicht alle namentlich verdankt werden können. Ein grosses Dankeschön gilt an erster Stelle den Autorinnen und Autoren. Der Dank gilt weiter dem Kulturamt Thurgau und seiner Leiterin Martha Monstein, den Mitgliedern der Redaktionskommission Hansjörg Brem, Dominik Gügel, Gabriele Keck und Annkristin Schlichte sowie dem Verlagsvertreter Hansruedi Frey. Sie alle haben das Projekt mit ausdauerndem Engagement, mit inspirierenden Ideen und kritischem Blick begleitet. Ein herzliches Dankeschön geht ebenso an die Redaktionskolleginnen Ramona Früh und Nina Schläfli. Zu grossem Dank verpflichtet ist die Projektleitung überdies einer Reihe von thurgauischen Institutionen, von deren Mitarbeitern sie breite Unterstützung erfahren durfte: Namentlich erwähnt seien die Ämter für Archäologie und Denkmalpflege, das Staatsarchiv, die Kantonsbibliothek, das Historische Museum Thurgau, das Historische Museum Bischofszell und das Bürgerarchiv Frauenfeld. In den Dank für gute Zusammenarbeit eingeschlossen sei Mylène Ruoss, Sammlungskonservatorin am Schweizerischen Nationalmuseum. Ein herzlicher Dank gebührt auch Dr. Urs Hofmann, Hans-Peter Thür und dem Team des Verlags NZZ Libro für die verlegerische Betreuung der Buchreihe sowie dem Gestalter Urs Stuber für die sorgfältige Umsetzung des Manuskripts.
Umbruch am Bodensee • Vom Konstanzer Konzil zur Reformation
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Silvia Volkart
Prägende Köpfe und Chronisten
Es waren viele Akteure, die den politischen und religiösen Umbruch im Bodenseeraum im 15. und frühen 16. Jahrhundert in Gang setzten. Wer aber waren die Persönlichkeiten, die das Zeitgeschehen zwischen dem Konzil und der Reformation im Bodenseeraum in erster Linie prägten? Und wem verdanken wir unser Wissen über die Vorgänge? Steckbriefartig werden die wichtigsten Persönlichkeiten hier vorgestellt.
Prägende Köpfe zur Konzilszeit (1414 –1418) König Sigismund von Luxemburg (1368 – 1437). Initiator des Konstanzer Konzils. Der Sohn Kaiser Karls IV. erlangte zur Zeit des Konstanzer Konzils den Höhepunkt seiner Macht. Dank seiner Schiedsrichter- und Vermittlertätigkeit löste er politische Konflikte und war massgeblich beteiligt an der Beendigung des Kirchenschismas. Am 11. November 1417 wurde Martin V. zum neuen Papst gewählt. Zum Dank für die Gastfreundschaft stiftete der König in der Konstanzer Dreifaltigkeitskirche (ehem. Augustinerkirche) einen Bilderzyklus mit seinem Herrscherporträt. Papst Johannes XXIII. (um 1360 – 1419). Vertrauter des Königs, Verlierer des Konzils. In der Hoffnung, aus dem Kirchenschisma als einziger Papst hervorzugehen, berief Johannes XXIII. das Konstanzer Konzil ein. Als einziger der drei Päpste nahm er am Konzil teil, musste aber erkennen, dass er, wie die beiden anderen, zum Rücktritt gezwungen werden sollte. Am 20. März 1415 ergriff er die Flucht aus Konstanz. Wenig später aufgegriffen, wurde er an den Bodensee zurückgebracht, als Papst abgesetzt und zeitweilig im bischöflichen Schloss Gottlieben festgehalten.
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Herzog Friedrich IV. «mit den leeren Taschen» (1382 – 1439). Habsburger Regent in Tirol und den Vorlanden. Er verhalf Papst Johannes XXIII. zur Flucht aus Konstanz. König Sigismund, der mit dem Herzog zerstritten war, nutzte die Gelegenheit, den Gegenspieler für die Fluchthilfe zu bestrafen. Friedrich IV. verlor fast sein gesamtes Herrschaftsgebiet, darunter den Thurgau und den Aargau. Nach Vorverhandlungen in Meersburg und im Kloster Münsterlingen kam es am 8. Mai 1418 in Konstanz zur Aussöhnung mit dem König. Herzog Friedrich erhielt dabei manche Rechte und Gebiete zurück, die frühere Machtfülle aber war verloren. Jan Hus (um 1369 –1415). Böhmischer Theologe, der mit Predigten in tschechischer Landessprache und seiner Kirchenkritik in Ungade fiel, war das bekannteste Opfer des Konzils von Konstanz. Weil er seine Lehre anlässlich des Konzils nicht widerrief, wurde er 1415 als Ketzer in Konstanz verbrannt. Mit seinen Forderungen nach einer Reform der abendländischen Kirche und einer Rückbesinnung auf die Bibel war er ein Wegbereiter der Reformation.
Prägende Köpfe während der politischen Wirren (1460 – 1507) Die eidgenössischen Orte. 1460 eroberten Soldaten der sieben beziehungsweise der zehn eidgenössischen Orte den Thurgau. Papst Pius II. hatte 1460 Herzog Sigismund, «den Münzreichen» (Sohn von Herzog Friedrich IV.), mit dem Kirchenbann belegt. Dieser stritt mit dem Bischof von Brixen um die Herrschaft über Tirol. Die dadurch entstandene Schwächung ermög lichte den eidgenössischen Orten die Eroberung der ehemaligen Landgrafschaft Thurgau. König Maximilian I. (1459 – 1519). Sohn von Kaiser Friedrich III., Regent aus dem Haus Habsburg. Durch seine Vermählung mit Maria von Burgund 1477, der Tochter Karls des Kühnen, wurde Maximilian I. zu einem der mächtigsten Herrscher Europas. 1493 übernahm er als Nachfolger Friedrichs III. die Regentschaft. Er war massgeblich an der Neuordnung der Machtverhältnisse im Bodenseeraum nach dem Schweizer- oder Schwabenkrieg beteiligt. 1507 führte er in Konstanz einen Reichstag durch.
Umbruch am Bodensee • Vom Konstanzer Konzil zur Reformation
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Prägende Köpfe zur Reformationszeit (um 1520 – 1531) Martin Luther (1483 – 1546). Theologe und Reformator. Während seiner Zeit als Augustiner-Eremit in Erfurt beschäftigte sich Luther mit seinem Glauben und den zentralen Aussagen der Bibel. Dabei gelangte er zur Überzeugung, dass einzig die Bibel als Massstab für Kirche und Theologie zu gelten habe. Mit 95 Thesen zu Missständen in der Kirche löste er 1517 die Reformation aus. Huldrych Zwingli (1484 – 1531). Zürcher Reformator. Ursprünglich katholi scher Priester, führte Zwingli 1523 in Zürich die Reformation ein und liess aus den Kirchen alles entfernen, was nicht aus der Bibel und dem Wort Gottes abzuleiten ist. Zwingli fiel 1531 im Zweiten Kappelerkrieg. Hugo von Hohenlandenberg (1460 – 1532). Bischof von Konstanz 1496 – 1525 und 1531/32. Zu Beginn seiner Amtszeit zeichnete sich der aus einer Ostschweizer Adelsfamilie stammende Bischof als humanistisch gesinnter Reformer aus, der Missstände in der Diözese anging. Unter zunehmendem Druck wurde er zum Bewahrer alter Strukturen und ging 1522 gegen Huldrych Zwingli vor. 1526 musste er der Reformation in Konstanz weichen und verlegte seinen Sitz nach Meersburg. Ambrosius Blarer (1429 – 1564). Konstanzer Reformator. Blarer wirkte vermittelnd zwischen den Lehren Luthers und Zwinglis. Als Benediktinermönch in Alpirsbach lernte er die Schriften Luthers kennen, verliess das Kloster und führte in Konstanz 1525 die Reformation ein. Verheiratet mit einer Klosterfrau aus Münsterlingen, flüchtete er nach der Rekatholisierung von Konstanz 1548 nach Schaffhausen. Später lebte er in Winterthur, wo er vereinsamt starb.
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Hans Wirth der Ältere und Burkhart Rüttimann (Untervögte, beide gest. 1524), Hans Wirth der Jüngere (gest. 1524) und Adrian Wirth (Brüder und zwinglianisch geprägte Prediger). Die vier in Stammheim wirkenden Personen galten als Rädelsführer des Bauernsturms auf das Kloster Ittingen und wurden von der eidgenössischen Tagsatzung dafür verurteilt. Mit Ausnahme des begnadigten Adrian Wirth wurden sie am 28. September 1524 in Baden enthauptet. Nonnen des Klosters St. Katharinental. Während die meisten Frauen ihre Klöster zur Reformationszeit verliessen, blieben die Dominikanerinnen von St. Katharinental dem alten Glauben treu und retteten ihre kostbaren Skulpturen, Tafelbilder und Handschriften vor der Zerstörung durch reformatorisch gesinnte Bürger. 1529 versteckten sie die Klosterschätze im Hegau, um sie später wieder nach Diessenhofen zurückzubringen. Viele dieser Meisterwerke befinden sich heute in europäischen und nordameri kanischen Museen.
Chronisten von Richental bis Bullinger Ulrich Richental (um 1360 – 1437). Konstanzer Bürger und Konzilschronist. Dank der Aufzeichnungen des Zeitzeugen Richental ist das Konstanzer Konzil mit seinen vielen Haupt- und Nebenschauplätzen gut dokumentiert. Das von Richental verfasste Original ist verloren, es sind aber 16 teilweise reich illustrierte Abschriften der Chronik erhalten. Gebhard Dacher (um 1425 – 1471). Konstanzer Bürger und Verfasser der Konstanzer Chronik. Dachers Chronik entstand 1470 und gilt als erste Gesamtschau der Konstanzer Geschichte von der Gründung bis 1470. In Dachers Schreibstube entstanden auf der Grundlage der verlorenen Urfassung von Richentals Konzilschronik überdies zahlreiche Abschriften. Diebold Schilling der Ältere (um 1445 – um 1486). Verfasser der Grossen Burgunderchronik, der dreibändigen Amtlichen Berner Chronik und der Spiezer Chronik. Ausgebildet in der Werkstatt Diebold Laubers und auf der Kanzlei Luzern, trat er 1460 in den Dienst der Kanzlei der Stadt Bern. 1468 Mitglied des Grossen Rats. Teilnehmer an den Burgunderkriegen.
Umbruch am Bodensee • Vom Konstanzer Konzil zur Reformation
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Diebold Schilling der Jüngere (vor 1460 – 1515?). Verfasser der Luzerner Chronik und Chronist des Reichstags von Konstanz 1507. Der Neffe des Verfassers der Berner und der Spiezer Chronik, als Notar und als Priester in Luzern tätig, war in zahlreiche Händel und Raufereien verwickelt. 1487 wurde er vom Luzerner Rat in den Turm gesperrt. Politisch dem habsburgischen König Maximilian nahestehend, nahm er auf Einladung des Königs am Reichstag von Konstanz teil. Fridolin Sicher (1490 – 1546). Chronist, Musiker und Chorherr. Mit seinen Aufzeichnungen zu zeitgenössischen Ereignissen stellt die Chronik des Bischofszeller Chorherrn eine wichtige Quelle zur Lebenswelt im Bodenseeraum zur Zeit der anbrechenden Reformation dar. Johannes Stumpf (1500 – 1577/78). Theologe und Verfasser der 1547/48 erschienenen Schweizer Chronik, seinem bedeutendsten Werk. Aus Bruchsal stammend, studierte er 1519 in Heidelberg, wurde bischöflicher Notar in Speyer, ehe er 1521 in Freiburg im Breisgau dem Johanniterorden beitrat und sich 1522 in Basel zum Priester weihen liess. Später gehörte er zum Kreis um Zwingli und wurde 1548 Dekan in Stein am Rhein. Stumpf lebte zeitweilig als Pfarrherr in Stammheim. Zum Ittinger Sturm lagen ihm Akten und vermutlich auch Augenzeugenberichte vor. Heinrich Bullinger (1504 – 1575). Pfarrer, Reformator und Historiker. Der aus Bremgarten stammende Bullinger wirkte zunächst als Lehrer im Kloster Kappel und wurde 1529 Pfarrer in Bremgarten. 1531 Wahl zum Vorsteher der Zürcher Kirche als Nachfolger Huldrych Zwinglis. Neben der Lehr- und Predigttätigkeit verfasste er grundlegende theologische Schriften sowie die Reformationsgeschichte, in der er den Durchbruch der Reformation in der Schweiz schilderte und sich als Zeitzeuge auf sein gesammeltes Quellenmaterial stützte.
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Kapitel I Als die Eidgenossen kamen – Der Kampf um den Thurgau
Machtwechsel und Alltag – Der Thurgau nach dem Konzil von Konstanz
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Der Thurgau als Kriegsschauplatz – Etappen der Eroberung
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Grenzen, Gerichte, Gerichtsherrenstand – Der Thurgau gewinnt an Konturen
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Experimentierfeld mit Museumscharakter – Die gemeine Herrschaft Thurgau
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5 Fallbuch mit den zehn Wappen der eidgenössischen Orte in vorrevolutionären Farben, unten Mitte das Thurgauer Wappen, 1767. In diesem Buch hielten die Eidgenossen fest, an welchen Orten sie nach dem Tod der Bewohner die Todesfallabgaben allein beziehen durften. Staatsarchiv Thurgau StATG 0’04’4, fol. 1r.
Doris Stöckly
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Machtwechsel und Alltag – Der Thurgau nach dem Konzil von Konstanz
Die politischen Ereignisse zur Zeit des Konstanzer Konzils (1414 – 1 418) lösten im Bodenseeraum einen Machtwechsel aus. Damals wurden die ersten Weichen für die Entstehung des Kantons Thurgau gestellt. Was aber bedeutete die veränderte «Grosswetterlage» für den Alltag der Menschen im Thurgau? In der Nacht vom 20. zum 21. März 1415 schleichen dunkle Gestalten durch die unbeleuchteten Gassen von Konstanz dem Rheinufer zu: Herzog Friedrich IV. (1382 – 1 439) und Papst Johannes XXIII. (1370 – 1 419) flüchten aus Konstanz. Sie werden entdeckt, verfolgt, gefangen. Der König rea giert vehement und ruft den Reichskrieg gegen Friedrich aus, sodass dieser umgehend zurückkehrt. Johannes wird wenig später verhaftet und nach Konstanz zurückgebracht. Damit nimmt eine Kette von Ereignissen ihren Lauf, die in den kommenden 100 Jahren die Weichen für die Zukunft der Region nördlich und südlich von Bodensee und Rhein stellte und zur Herausbildung des Thurgaus in seinen heutigen Grenzen führte – wenn auch nicht in seiner heutigen Form. Im 15. Jahrhundert begann, was erst 1798/1803 sein Ende fand: die Festigung der Eidgenossenschaft und die Entstehung des Kantons Thurgau. Als das Konzil im November 1414 eröffnet wurde, hatte der habsburgische Herzog Friedrich von Österreich, Herr der Landgrafschaft Thurgau, gerade wieder Boden unter den Füssen gewonnen. Es war ihm gelungen, einigermassen unbeschadet aus dem Konflikt der Appenzeller Bauern mit dem Abt von St. Gallen um Abgaben und andere Rechte hervorzugehen. 1412 hatte er einen Friedensvertrag für 50 Jahre mit den Eidgenossen geschlossen. Eigentlich verfolgte das Konzil kirchenpolitische Ziele. König Sigismund (1368 – 1 437), der Initiant, strebte die Einigung der Kirche und die aktive Förderung der Reichsstädte an, nicht zuletzt auch zur Stärkung des Reichs und des christlichen Abendlands gegenüber den Türken. Gleichzeitig bestellte er seine Reichsfürsten ein, um hängige Gerichtsfälle und politische Konflikte zu bereinigen. Einer betraf Herzog Friedrich IV., der sich seit Längerem den Weisungen des Königs entzogen hatte und sich gegen die Politik Sigismunds in Europa stellte. 1 Herzog Friedrich IV. entmachtet Weil die Flucht des Herzogs aus Konstanz eine Konfliktlösung vereitelte, verhängte Sigismund am 30. März die Reichsacht über Friedrich und zog alle habsburgischen Reichslehen, Pfandschaften und vor allem das Landgericht, die Vogtei Frauenfeld, die Grafschaft Baden ein. Er entband die habsburgischen Untertanen vom Gehorsam und die Eidgenossen von ihrem Friedensvertrag gegenüber dem Herzog, worauf diese und zahlreiche Bodenseestädte und Fürsten militärische Aktionen gegen Friedrichs Besitzungen in Tirol, Vorarlberg, im Hegau, Aargau und Thurgau unternahmen. Die eroberten Gebiete und alle habsburgischen Reichslehen wurden als Reichs-
I • Als die Eidgenossen kamen – Der Kampf um den Thurgau
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6 Siegel des Landgerichts Winterthur aus habsburgischer Zeit. Es zeigt einen quergeteilten Spitzschild mit den Kyburger Löwen und die Umschrift «S’ IVDICIS P(RO)VI(N)CIAL(IS) TVRGOWIE», 17. Dezember 1372. Stadtarchiv Winterthur U 217 2. 7 Landgerichtssiegel aus konstanzischer Zeit. Es zeigt einen unten abgerundeten Schild mit den Kyburger Löwen über einem Konstanzer Wappen und die Umschrift «SIGILLUM IUDICII PROVINCIALIS IN TWRGOEW», 17. November 1422. Stadtarchiv Winterthur U 607. 8 Landgerichtssiegel aus eidgenössischer Zeit. Neu umgeben die Schilde der zehn am Landgericht eteiligten Orte und der Reichsadler (oben) das ursprüngliche Wappen mit den Kyburger Löwen. Umschrift b «SIGILLIUM IUDICII GENERALIS IN TURGOW», 15. Jahrhundert. Staatsarchiv Thurgau StATG C 0’1, 0/19,7.
pfänder neu ausgegeben. Dabei entstanden die ersten «gemeinen Herrschaften der Eidgenossen» in Baden und im Freiamt. Am 20. Oktober 1417 verpfändete der König das Landgericht Thurgau, die Vogtei Frauenfeld und den Wildbann für 3100 Gulden an die Stadt Konstanz mit der ausdrücklichen Weisung, nur er selber dürfe es je wieder auslösen. 2 Trotz der Aussöhnung mit Herzog Friedrich 1418 blieb das Landgericht bei Konstanz. Die Stadt liess die Gerichtsstätte für die hohe Gerichtsbarkeit und blutgerichtliche Fälle vor ihre Tore verlegen und bestimmte ein neues Landgerichtssiegel, das unter den Kyburger Löwen das Konstanzer Wappen zeigt. 3 Für die nächsten gut 80 Jahre fand das Land gericht mit einem Konstanzer Landrichter vor dem Kreuzlinger Tor, ab 1469, mit kaiserlicher Erlaubnis, sogar innerhalb der Stadtmauern, im Rathaus statt. 4 Auch wenn es der Stadt Konstanz in der Folge nicht gelang, ein eigenes Territorium in ihrem Hinterland, dem Thurgau, aufzu bauen, war sie dank ihrer traditionellen Stellung als regionales Zentrum, Handelsplatz und, als Inhaberin des Landgerichts, heimliche Hauptstadt der Landgrafschaft. Wurde nun alles anders?
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Über 100 Gerichtsherrschaften Wie es die Karte des 18. Jahrhunderts noch immer zeigt, war die Landgrafschaft Thurgau schon um 1400 ein Flickenteppich von kleinen Herrschaften oder Vogteien. Unter der weit entfernten Autorität Habsburgs – der eingesetzte Landvogt residierte in Baden – waren rund um die Burgen zahlreiche Herrschaften mit niederer Gerichtsbarkeit entstanden. 5 Es waren kleinere Territorien und Hofverbände mit meist leibeigener Bevölkerung, die von Städten, Klöstern, Kirchenfürsten oder adligen und bürgerlichen Privatpersonen von beiden Seiten des Rheins und des Bodensees regiert wurden. In über 100 solcher Herrschaften übten sie die niedere Gerichtsbarkeit und die Polizeigewalt (Zwing und Bann) aus, erliessen Gebote und Verbote bei geringen Bussen, mobilisierten Truppen und bezogen die Abgaben und Dienste ihrer Leibeigenen (Militär- und Steuerhoheit). Sie überwachten unter anderem Erbteilungen und vergaben Mühlen-, Tavernenoder Metzgereirechte. Unter den vielen Gerichtsherren gab es ein paar besonders mächtige: Zu ihnen zählten der Abt von St. Gallen und der Bischof von Konstanz, die mehrere Herrschaften besassen und über bedeutendere Rechte verfügten als andere. Der Abt des Klosters Reichenau und die Städte Konstanz und Zürich gehörten ebenfalls zu diesem Kreis. Keine dieser Gerichtsherrschaften – nicht einmal die kyburgische oder die habsburgische – erreichte aber jemals eine Machtfülle, die sie vor die anderen gestellt hätte. Die Städte der Landgrafschaft, Winterthur, Diessenhofen und Frauenfeld als regionales Verwaltungszentrum, waren eigentlich grosse Dörfer; bescheidene habsburgische
9 Gerichtsherrschaft Spiegelberg. Federzeichnung, 1819, in: Conrad Johann Vögelin, Geschichte der Ver änderungen in unserem Vaterlande. Handschrift, Embrach 1819. Zentralbibliothek Zürich, Ms W 66, Bl. 670b. 10 Gerichtsherrschaft Lommis. Federzeichnung, 1625. Zentralbibliothek Zürich, Graphische Sammlung und Fotoarchiv.
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11 Gerichtsherrschaften der Landgrafschaft Thurgau. Karte von Johannes Nötzli. Zeichnung koloriert, 1717. Staatsarchiv Thurgau StATG K/P 0934.
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Stützpunkte ohne oppositionelle Interessen. Der lokale Adel sah in den Landesherren eher eine Stärkung seiner Position, sodass die spätmittelalterliche Entwicklung weitgehend ruhig verlief. Einzige gebietsübergreifende Klammer war das Landgericht. Nach dem Verlust dieses Pfeilers der Macht gelang es den Habsburgern nicht mehr, ihre im Thurgau ohnehin schwache Herrschaft wiederherzustellen. Reger Austausch, grenzenloser Raum Über Rhein und Bodensee hinweg bestanden rege Kontakte. Die Bewohner trieben Handel, kauften Burgen und Stadtresidenzen und wechselten häufig den Wohnsitz. Viele der herrschenden Familien kamen aus dem Gebiet nördlich des Bodensees oder aus der Stadt Konstanz, wie die Muntprat auf Griesenberg oder die Ehinger in Uttwil. Thurgauer Adelsfamilien hatten meist ihre Stammsitze verlassen und bewegten sich im 15. und 16. Jahrhundert beidseits von Bodensee und Rhein in einem grenzenlosen Raum. 6 Die von Roggwil beispielsweise bürgerten sich im 14. Jahrhundert in Konstanz ein, um von dort aus wieder Besitz im Thurgau zu erwerben (1433 Wagenhausen). Mit dem Übergang des Landgerichts an Konstanz erstarkte die Position der Stadt in ihrem Hinterland, was den Austausch zwischen Stadt und Landschaft noch begünstigte. Die Stadt erwarb eigene Gerichtsherrschaften, auch mit der Idee, sich ein eigenes Territorium aufzubauen. Auch Private erwarben weiterhin Güter auf beiden Seiten. Dafür gibt es zahlreiche Beispiele: der Verkauf des Landguts Narrenberg (heute Arenenberg) von Hans Frig an seinen Schwiegersohn Heinrich von Tettikoven 1432 (beide Bürger von Konstanz) und der Übergang der Herrschaft Wagenhausen von den von Klingen an den Konstanzer Bürger Heinrich von Roggwil 1433 oder der Weiterverkauf von Untergirsberg, seit 1363 im Besitz der Konstanzer Patrizierfamilie Blarer, durch Kunigunde, Gräfin von Spiegelberg, an Heinrich und Ludwig Muntprat aus Konstanz, 1464. Schloss Thurberg am Ottenberg ging 1413 per Kauf an den bereits erwähnten Konstanzer Bürger Heinrich von Tettikoven und 1463 weiter über seine Enkelin an Hans Lanz, Bürger von Konstanz und Luzern. 7 Auch Händler, Handwerker oder Kleriker bewegten sich frei in der Region. Das häufige Hinund Herziehen von Menschen zwischen Konstanz und der Landschaft hatte zur Folge, dass für den Fall des Ablebens einer Person Regelungen zum Erbgang getroffen werden mussten. 1560 wurde vertraglich festgeschrieben: Es gelte das Testament, egal, wo der Verstorbene sich gerade aufgehalten habe, das Gut solle nach dem Recht des Bürgerorts vererbt werden. 8 Die aussergewöhnliche Betriebsamkeit rund um das Konzil und die vielen fremden und hochgestellten Besucher, die Flucht des Herzogs und seine Verhaftung dürften auch in den Dörfern Gesprächsthemen gewesen sein. Spuren davon finden sich aber vor allem in den Chroniken und
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Kirchengeschichten, während Dokumente, die Einblick geben in das Leben der Bauern im Hinterland der Konzilsstadt, sie kaum erwähnen. Rechtsalltag vor und nach dem Konzil Der Rechtsalltag der Bewohner der Landgrafschaft hatte sich durch die Ereignisse rund um das Konzil nicht geändert; zu kurz war die Zeit zwischen den Wechseln der Landesherrschaft von den Habsburgern zum König und wieder zurück. Die Bewohner der Landgrafschaft lösten ihre alltäglichen Probleme nach wie vor vor dem niederen Gericht ihrer Herrschaft, leisteten dem Gerichtsherrn Dienste, zahlten dem Leibherrn die geschuldeten Abgaben. Die Verlegung des Landgerichts nach Konstanz und die Tatsache, dass der Richter nun ein Konstanzer und nicht mehr ein Habsburger war, betraf die Untertanen erst, wenn sie Angelegenheiten regeln mussten, die das Blut anbelangten, oder an die nächsthöhere Gerichtsinstanz appellierten – also eher selten. Die Verfahren vor Landgericht blieben zudem weitgehend gleich, sodass der Wechsel des Inhabers der hohen Gerichtsgewalt die Untertanen kaum betraf. Eine wichtigere Rolle spielte dagegen die Kirche, die von den Bauern den Zehnt einzog. Der lokale Priester und das persönliche Seelenheil, die eigene Kirchgemeinde lagen näher als die Geschehnisse rund um den Papst. Im Folgenden illustrieren zwei Rechtsfälle die Gerichtspraxis in der Landschaft. Das erste Beispiel fand vor dem Konzil statt, zu einer Zeit, als die Landgrafschaft Thurgau noch unter habs burgischer Herrschaft war. Das zweite Beispiel beleuchtet ein Gerichtsverfahren im Jahr 1425, also unter veränderten politischen Verhältnissen. Der Rechtsalltag der Bewohner der Landgrafschaft war bereits vor dem Konzil klar geregelt. Zwölf Richter, Ortsbürger, die aus den Gemeinden oft auf Lebenszeit gewählt wurden, beurteilten unter dem Vorsitz eines Delegierten des Gerichtsherrn die Streitigkeiten. Nach Klage, Antwort und Zeugenaussagen sprachen sich die Richter ab und fällten einen Mehrheitsentscheid. Die Bussen, eine begehrte Einkommensquelle, gingen an den Gerichtsherrn. Januar 1413: Streit um Nutzung einer Scheune Bruder Ulrich Sigrist, Hofmeister der Klosterfrauen von Katharinental, und der Bauer Peter Werder von Schlatt treffen sich im Januar 1413 in Mettschlatt bei Diessenhofen vor Gericht. 9 Junker Hans Truchsess von Diessenhofen hat den Vorsitz an seinen Vogt delegiert. Deshalb sitzt am 15. Januar 1413 Hans Sigg, genannt Ramswag, dem Gericht vor. Es handelt sich um eine der regelmässigen Gerichtssitzungen des lokalen Gerichtsherrn für die Untertanen zur Beurteilung von niederen Gerichtsfällen. Das waren kleinere Delikte wie Holz-, Feld- oder Wildfrevel, auch Nachbarschaftskonflikte, Kreditsachen, kleinere Fälle von Wucher, Friedbruch, Nichteinhalten der Sonntagsruhe, Spielsucht, übermässiges Zechen oder Beschimpfungen, Grundstücksstreitig-
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keiten und Eigentumsfragen. Den Gerichtsakten ist Folgendes zu entnehmen: «In offen gericht» (öffentlich) klagt Ulrich Sigrist im Namen der Klosterfrauen, eine von Peter Werder beanspruchte Scheune gehöre zum Gut, das der Birkendorf von Schlatt vom Kloster zu Lehen habe. Die Scheune habe zuvor lange auf diesem Gut gestanden, sei dann aber von da weg auf des Böschen-Gut versetzt worden mit der Auflage, jährlich 2 Viertel Kernen abzugeben auf die Hofstatt, auf der die Scheune stehe. Werder entgegnet, er und sein Vater hätten die Scheune seit Jahren genutzt, er vertraue darauf, sie auch weiterhin nutzen zu können, zumal er ja jährlich den Zins zahle. Der Richter «fragt rechts um», das heisst, er fragt die Mitglieder des Gerichts um ihre Meinung und entscheidet dann, Werder solle «erzügen», beweisen, dass er und sein Vater die Scheune mit Wissen und Willen der Klosterfrauen genutzt hätten. Werder bringt zwar eine Zeugenaussage bei, die wir leider nicht kennen, sie überzeugt aber die Richter nicht. Mit Mehrheitsurteil entscheiden die Richter, die Scheune gehöre in das Lehengut des Birkendorf, wo sie ursprünglich gestanden habe. Der Inhaber des Lehens, auf dem die Scheune jetzt stehe, solle jährlich 2 Viertel Kernen dafür steuern. Werder geht leer aus. Januar 1425: ein Güterverkauf Am 7. Januar 1425 delegiert derselbe Gerichtsherr wie 1413, Hans Truchsess von Diessenhofen, den Vorsitz des niederen Gerichts an Ulrich Gretler, genannt Löw von Schlatt. 10 Vor ihm erscheinen einerseits Hans Stark von Benken und andererseits Hans Blatter von Basadingen, Hofmeister von St. Katharinental, als Vertreter des Klosters. Hans Stark verkauft den Klosterfrauen sein Gut in Oberschlatt, ab dem er ihnen seit Langem Zins zahlt, indem er «mit seiner Hand an den Stab [greift] und der Hofmeister es vom Stab empfängt und zuhanden der Klosterfrauen aufnimmt». Dann leistet er offiziell – mündlich – Verzicht, und der Kauf gilt. Das Gericht findet «an offner strass» [unter freiem Himmel] und «offen[t]lich» [öffentlich für alle zugänglich] statt, genauso wie «von gewohnhait und von recht an». Zehn Jahre nach dem Übergang des Landgerichts an die Stadt Konstanz hatte sich die Rechtsprechung in der Landschaft also nicht verändert: Gerichtsherr und somit für die niedere Gerichtsbarkeit zuständig war noch immer Hans Truchsess von Diessenhofen, ein habsburgischer Ministerialer. Das Gericht tagte nach wie vor innerhalb der Gerichtsherrschaft, an wechselnden Orten, meist unter freiem Himmel, mit demselben Personal und den gleichen Verfahrensregeln, die über lange Zeit gewachsen waren.
Doris Stöckly
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Der Thurgau als Kriegsschauplatz – Etappen der Eroberung
Während der Rechtsalltag im Thurgau in gewohnten Bahnen weiterlief, führte die Dynamik in der Kräftekonstellation rund um die Landgrafschaft zu Veränderungen. Viele thurgauische Orte wurden von kriegerischen Auseinandersetzungen in Mitleidenschaft gezogen. Und schliesslich hatte der Ausgang des Schwabenkriegs 1499 Konsequenzen für die Etablierung der eidgenössischen Herrschaft im Thurgau. Die Neuordnung des Grossraums Bodensee durch die Mächte rund um den Thurgau geschah im 15. Jahrhundert ohne Beteiligung der ansässigen Bevölkerung. Tatsächlich scheinen die politischen Veränderungen den Alltag der Thurgauer kaum betroffen zu haben. Mit den Etappen dieser Entwicklung – 1415 – 1460 – 1499 – verbinden sich aus heutiger Perspektive für uns aufsehenerregende und umwälzende kriegerische Ereignisse, die in den Quellen aus dem damaligen Alltag aber kaum erscheinen. 1415, genauer 1417, wurde der habsburgische Landesherr des Thurgaus vom König geächtet und verlor vorübergehend seinen Besitz, das Landgericht gar definitiv. 1460 marschierten die Eidgenossen in die Landgrafschaft und übernahmen die Landeshoheit, die sie endlich 1499 durch das Landgericht vervollständigen konnten. Landvogtei und Landgericht Thurgau waren erstmals seit fast einem Jahrhundert wieder in einer Hand vereint, diesmal definitiv in derjenigen der Eidgenossen. Um uns ein Bild von der Situation der Menschen in der Landgrafschaft im 15. Jahrhundert zu machen, ist der Fokus zunächst auf die politische Grosswetterlage zu lenken. Daraufhin ist zu überlegen und anschliessend zu beurteilen, welchen Einfluss sie auf das neu geordnete Leben in der Landgrafschaft hatte.11 Die damals übliche Art der Kriegsführung mit Brandschatzung, Plünderung und Erpressung hat zwar immer wieder einzelne Bevölkerungsteile, die gerade zu den Angegriffenen gehörten, stark in Mitleidenschaft gezogen – Quellen dazu müssten in den Gemeindearchiven noch zu finden sein –, aber hatte der Krieg auch dauerhaften Einfluss auf den Alltag? Massive Zerstörungen: der Alte Zürichkrieg (1436 – 1450) Rund 20 Jahre nach dem Ende des Konstanzer Konzils brach zwischen Zürich und Schwyz ein Krieg um die Nachfolge in der Grafschaft Toggenburg aus, der verschiedene Dörfer und Burgen der Landgrafschaft Thurgau in Mitleidenschaft zog: der Alte Zürichkrieg.12 Die habsburgischen Herzöge, Herren der Vorlande – Friedrich IV. und danach auch sein Sohn Sigmund –, waren bestrebt, ihre Position im Raum Ostschweiz nach dem Machtverlust von 1417 wieder zu stärken. Sie beteiligten sich phasenweise auf Zürcher Seite an den Auseinandersetzungen, was die österreichfreundlichen Herrschaften in der Landgrafschaft, Winterthur, Lommis, Aadorf, Spiegelberg oder Sonnenberg, zu spüren bekamen. Der Alte Zürichkrieg zeigt, dass das,
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Alter Zürich-Krieg
Diessenhofen Steckborn
Konstanz
Stein am Rhein
Romanshorn Frauenfeld Weinfelden
Sonnenberg
Arbon Bischofszell Winterthur
Aadorf
Wil
Schwyzer mit Bundesgenossen Zürich mit Habsburg Kriegerische Ereignisse
12 Der Alte Zürichkrieg. Die kriegerischen Vorstösse der Schwyzer mit ihren Bundesgenossen gegen Burgen und Dörfer habsburgerfreundlicher Herren im Thurgau, aber auch die zürcherischen Rachefeldzüge gegen Wil und die Dörfer der Region fügten der Bevölkerung durch Plünderungen von Feldern, Brand schatzung und Feuer grosse Schäden zu. Illustration Urs Stuber; Relief Clemens Wäger.
was wir unter «Eidgenossen» verstehen, durchaus noch keine Einheit, kein einheitlicher Bund mit geeintem Willen und Ziel war. Vielmehr handelt es sich um ein Geflecht verschiedener Bündnisse. Die Orte sahen sich nicht als ein politisches Ganzes mit gemeinsamen Interessen, sondern verfolgten wechselnd sehr verschiedene, eigene Ziele, die immer wieder andere Allianzen, einmal mit den Habsburgern, einmal ohne sie, und gegeneinander entstehen liessen. Nach dem Tod Herzog Friedrichs 1440 bekam sein minderjähriger Sohn Sigmund (1427 – 1 496) seinen Cousin, Friedrich V. von Habsburg, zum Vormund. Dieser wurde als neuer Verwalter der Landgrafschaft zum Nachbarn der Eidgenossen, die seit 1415 direkt an die Landgrafschaft Thurgau grenzten. Als er mit dem Namen Friedrich III. auch noch zum König gekrönt wurde und zürcherische Herrschaften zurückforderte, fühlten sich diese provoziert. Von Wil aus machten die Schwyzer, unterstützt von ihren Bundesgenossen ab 1439/40 Vorstösse gegen die mit Zürich oder Habsburg verbündeten thurgauischen Herrschaften Lommis, Aadorf und Tänikon, plünderten die Burgen, brandschatzten und erpressten Lösegelder. In einer weiteren Phase, nach 1443, wurden auch Spiegelberg, Griesenberg und Sonnenberg angegriffen. Felder wurden niedergebrannt, Trauben konfisziert oder Vieh weggetrieben. Frauen feld, Mettendorf, Müllheim und Pfyn wurden mit Feuer bedroht; im Gegenzug kamen Zuzwil,
Dominik Gügel
Nah betrachtet, weit geschaut – Der Feldbacher Altar erzählt Spektakuläres aus dem Spätmittelalter Der Feldbacher Altar gilt als einzigartiges Kunstwerk. Obwohl er schon mehrfach im Blick der Forschung stand, gelang es bisher nicht, seine Geheimnisse zu lüften. Vor zwei Jahren noch stellte sich die Frage, ob es der mittelalterliche Künstler überhaupt je zulassen würde, dass man ihm in die Karten schaut. Die Entdeckung eines Minaretts, eines Muezzins und eines goldenen Halbmonds hat die Sicht auf das Retabel aus dem Kloster Feldbach vor einigen Monaten völlig verändert. So ungewöhnliche Motive in einem christlichen Altar aus der Bodenseeregion? Der Blick des Betrachters weitete sich damit unerwartet auf eine ganz andere Welt. Genaues Hinschauen, unterstützt durch neuste fotografische Technologie, brachte viele weitere und überraschende Details ans Licht. So wird in der Landschaft im Hintergrund der Mitteltafel berichtet von der gefahrvollen Welt der Fernkaufleute aus Konstanz und Umgebung. Die Motive laden zu einer Entdeckungsreise in die Bilderwelt des bisher inhaltlich nur ansatzweise entschlüsselten Sakralwerks ein. Rasch sichtbar wird dabei: Der Feldbacher Altar erzählt viel mehr über das Leben um die Mitte des 15. Jahrhunderts, als man bisher ahnte. Und was er zeigt, ist spektakulär. Der Herkunftsort 1848 hatte der Grosse Rat des Kantons Thurgau beschlossen, alle Klöster auf seinem Staatsgebiet aufzuheben und die entsprechenden Liegenschaften nach Kunstwerken und Antiquitäten durchsuchen zu lassen. Der damals im Zisterzienserinnenkloster Feldbach aufgefundene Kreuzigungsaltar ging ins Eigentum des Kantons Thurgau über. Nach Zwischenstationen beim Historischen Verein und der Thurgauischen Museumsgesellschaft kam er 1958 als Leihgabe des Kantons in die Sammlung des Historischen Museums. 171 Das Kloster Feldbach westlich von Steckborn war Mitte des 13. Jahrhunderts gegründet worden. Bei den ersten Nonnen handelte es sich um Frauen, die ursprünglich der Konstanzer Schwesternvereinigung «an der Brücke» oder «an der Fahr» (Fähre) angehört hatten. 1253/54 liessen sie sich am Untersee nieder und lebten nach der Zisterzienserregel. Mit etwa 60 Nonnen 172 zählte Feldbach im späten Mittelalter zu den mittelgrossen Frauenklöstern am See. Die Feldbacher Nonnen besassen das Konstanzer Bürgerrecht 173 und waren verpflichtet, der Stadt Unterstützung zu leisten. 174 Sie entstammten meist patrizischen oder bürgerlichen Verhältnissen aus der näheren Umgebung: Dabei handelte es sich nicht nur um Töchter aus Handwerker- oder Kaufmanns familien, sondern auch um Angehörige von Gelehrten. Beispielhaft ist die Familie des Magisters Johannes Wittenwiler, der zwei Schwestern im Kloster hatte. Eine davon avancierte zur Äbtissin. 175 Johannes und seine Geschwister waren enge Verwandte von Heinrich Wittenwiler, der als Verfasser des spätmittelalterlichen Ring-Epos in die europäische Literaturgeschichte eingegan-
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61 Feldbacher Altar in geschlossenem Zustand. Flügelalter mit Darstellungen zur Passion Christi. Ehemals Zisterzienserinnenkloster Feldbach bei Steckborn. Tafelmalerei, anonym, nach 1453. Historisches Museum Thurgau, T 117.
Linke Flügelaussenseite: Darstellungen der heiligen Michael und Dionysius; Maria Magdalena und die Gottesmutter mit Jesus. Rechte Flügelaussenseite: Darstellungen der heiligen Stephanus und Barbara, Dorothea und Agnes.
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62 Feldbacher Altar in geöffnetem Zustand. Flügelalter mit Darstellungen zur Passion Christi. Ehemals Zisterzienserinnenkloster Feldbach bei Steckborn. Tafelmalerei, anonym, nach 1453. Historisches Museum Thurgau, T 117.
Mitteltafel: Kreuzigungsszene vor weiträumiger See- und Stadtlandschaft. Links dargestellt Johannes der Täufer und Maria, rechts der Evangelist Johannes und Katharina von Alexandrien. Linke Flügelinnenseite: Christus am Ölberg; Kreuztragung. Rechte Flügelinnenseite: Grablegung; Auferstehung.
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gen ist. 176 Das Kloster Feldbach war eine der «wichtigsten Versorgungsstätten für Konstanzer Bürgerstöchter» 177 und stand «in der Gunst der spätmittelalterlichen Konstanzer Stadtbevölkerung an oberster Stelle [. . .]». 178 Während der Reformation blieb der Konvent dem katholischen Glauben treu, allerdings traten ungefähr die Hälfte der Nonnen aus. Skandalträchtig – selbst für reformatorische Zeiten – ist der Fall von Agathe Mangolt, einer Angehörigen der bekannten Konstanzer Patrizierfamilie. Sie war aus dem innerstädtischen Kloster Zoffingen (Dominikanerinnen) nach Feldbach geflohen und hatte dort vom Churer Bischof Paul Ziegler ein Kind empfangen. 1525 heiratete sie den Konstanzer Reformator Johannes Wanner. Nach dessen Tod 1527 wurde Agathe Mangolt «wegen Hurerei» aus der Stadt vertrieben und ehelichte anschliessend den württembergischen Prediger. Judith, eine ihrer Töchter, kehrte in den Thurgau zurück und gründete dort eine Familie. 179 Bis 1548 prägte das Kloster ein allgemeiner Niedergang, der bis zur Entvölkerung ging. Es folgte eine zögerliche Erneuerung, die den Konvent allerdings nie mehr zur vollen Blüte führte. Bei seiner Aufhebung im Jahr 1848 umfasste das Kloster noch acht Frauen, vier Schwestern und drei Kandidatinnen, die unter Gewährung einer Pension vom Kanton entlassen wurden. Der Feldbacher Altar: ein erster Augenschein Der dreiteilige Flügelaltar stammt von einem bisher nicht bekannten Meister, der niederländisch geschult war. Gemalt wurde das Retabel in Mischtechnik auf Fichtenholz. Die Mitteltafel zeigt eine Kreuzigungsszene mit Maria und Johannes dem Täufer (links) sowie dem Evangelisten Johannes und der heiligen Katharina von Alexandrien (rechts). Auf der linken Flügelinnenseite ist die Szene mit Christus am Ölberg dargestellt sowie die 63 Die heilige Flora über der Vedute des Klosters Feldbach, Kupferradierung (?) 1664, Nikolaus Hautt dem Jüngeren zugeschrieben. Klosterarchiv Einsiedeln, Graphische Sammlung, Heiligenbildchen, Schachtel 105.
Kreuztragung Christi. Auf der rechten Flügelinnenseite die Grablegung Christi und die Auferstehung. Die Aussenseiten der Flügel zeigen links die Heiligen Michael und Dionysius sowie Maria Magdalena und die Muttergottes. Rechts stehen die Heiligen Stephanus, Barbara, Dorothea und Agnes. 180 Die ursprüngliche Aufstellung: Gedankenspiele Ob der heute als Feldbacher Altar bezeichnete Altar ursprünglich im Kloster Feldbach stand, ist eigentlich ungeklärt. Eine ausführliche Untersuchung des vorhandenen Quellenmaterials 181 erfolgte bisher nicht 182 und muss deshalb auf einen späteren Zeitpunkt verschoben werden. Sollte es sich bestätigen, dass der Altar 1848 in Feldbach stand, bedeutet dies noch nicht, dass er ursprünglich für dieses Kloster bestimmt war und dorthin gestiftet wurde. Die Tatsache, dass die Konventsgebäude 1545 nachweislich leer standen und erst vier Jahre später wieder eine Oberin genannt wird, 183 lässt Raum für Überlegungen.
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Geht man davon aus, dass sich in Feldbach ähnliche «Rettungsaktionen» wie im benachbarten Kloster St. Katharinental oder in Konstanz abgespielt haben, dann könnte auch der Feldbacher Altar damals durch die Entfernung von einem besonders gefährdeten Aufstellungsort vor dem Bildersturm in Sicherheit gebracht worden sein. Als das klösterliche Leben in Feldbach wieder erwachte, gelangte der Altar vielleicht als Schenkung ins Kloster. Wo der Altar ursprünglich stand, lässt sich also nur vermuten. Die Darstellung der heiligen Dionysius und Katharina von Alexandrien lässt eine Provenienz aus St. Katharinental bei Diessenhofen vermuten. Wie Feldbach und Münsterlingen zählte auch der Dominikanerinnenkonvent St. Katharinental zu den bei Stiftern aus Konstanz sehr beliebten Klöstern. Denkbar ist aber auch ein Aufstellungsort in einer Konstanzer Kirche. Deren Altäre wurden während der Reformation nicht alle zerstört. Zwar ordnet der Rat an, in allen öffentlichen Kirchen und den privaten Hauskapellen die Messaltäre abzubrechen. Dies habe aber zu geschehen, ohne viel Aufmerksamkeit zu erregen. Danach sollten die Götzenbilder zwischengelagert und im Stillen aus dem Depot entfernt, verbrannt oder eingemauert werden. 184 Eine Vorgehensweise, die viele Möglichkeiten offenlässt. Was erhalten blieb, kehrte nach der zwangsweisen Rekatholisierung 1548 nicht oder kaum in die Bischofsstadt zurück. Bekanntestes Beispiel ist der heutige Hochaltar des Reichenauer Münsters: Das 1498 gefertigte Kunstwerk gelangte in der Reformationszeit vom thurgauischen Berlingen aus auf die Insel Reichenau, wo es, über Jahr hunderte unbeachtet, ein «Schattendasein» in den Seitenschiffen der dortigen Klosterkirche führte. 185 Das Konstanzer Chorstift Sankt Johann hatte gute Verbindungen ins thurgauische Feldbach. Handelt es sich bei dem Feldbacher Altar vielleicht um dessen früheren Hochaltar? Dieser muss ein «hervorragendes Kunstwerk und mit reichem Schmuck versehen gewesen sein, da das Kapitel von Sankt Johann ihn allein auf 1000 fl. [Gulden], dagegen alle übrigen [sieben] Altäre zusammen auf nur 100 fl. [Gulden] bewertete». 186 Die beiden Johannes-Darstellungen auf der Kreuzigungstafel könnten auf dieses für den Bodenseeraum einflussreiche Gotteshaus hindeuten. Zwei Skulpturen der genannten Heiligen zieren noch heute die Aussenwand des Chors der ehemaligen Kirche. Die künstlerisch herausragende Qualität des Altars könnte auch eine frühere Aufstellung im Konstanzer Dom vermuten lassen. Vielleicht handelte es sich um den verlorenen Kreuzaltar im nördlichen Chor des Münsters, unweit der Grabkapelle des heiligen Konrad? 187 Ein Zusammenhang mit Konstanz erschliesst sich auf dem Altar selbst, wie die folgenden Überlegungen zeigen werden.
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1452: Revision einer Datierung Die bisherige Forschung übernimmt eine durch Marlene Zykan (Wien) in den Raum gestellte Datierung von 1452. 188 Sie befinde «sich – horizontal zu lesen – in der pseudo-hebräischen Inschrift auf dem Sarkophagdeckel der Grablegung Christi [. . .]». 189 Eine erneute Begutachtung und Translation kommt allerdings zu dem Ergebnis, dass auf den Sargdeckeln einfach nur das hebräische Alphabet notiert ist. 190 Eine zweite Beurteilung stützt die obige weitgehend und verwirft die Aussage von Marlene Zykan: Demnach handelt es sich nicht um Pseudohebräisch, sondern um eine Pseudoinschrift, die das hebräische Alphabet zeigt. Zwar können hebräische Buchstaben auch als Zahlen gebraucht werden, aber eine solche Verwendung lässt sich auf dem Sarkophagdeckel nicht erkennen. 191 Auch Margaretha Boockmann kommt in ihrem Buch über hebräische Inschriften auf spätmittelalterlichen Gemälden für den Feldbacher Altar zum gleichen Ergebnis: «Es handelt sich um eine fortlaufende Folge der Zeichen des hebräischen Alphabetes mit eingefügten Schlusszeichen. [. . .] Ein besonderer Sinn [. . .] dieser Zeichen ist nicht ersichtlich.» 192 Die von Marlene Zykan vorgenommene genaue Datierung «1452» scheint damit also nicht mehr zu halten. Bemerkenswert bleibt allerdings, dass der «Meister des Feldbacher Altars» 193 das hebräische Alphabet und dessen Bedeutung offensichtlich hervorragend kennt. Margaretha Boockmann wundert sich darüber, «dass der Maler für die Inschrift über dem Türsturz anscheinend wahllos Zeichen anordnete. [. . .] Die Zeichen sind auf beiden Tafeln sorgfältig und meist eindeutig ausgeführt, nur bei der Inschrift über dem Türsturz sind einige Zeichen mehrdeutig.» 194 Auch die Buchstaben über dem Gekreuzigten auf der Mitteltafel regen zum Nachdenken an. Auf den ersten Blick liest man das aus dem Johannesevangelium bekannte «I(ESUS) N(AZARENUS) R(EX) I(UDAEORUM)». 195 Auf den zweiten Blick fällt auf, dass die verwendeten Buchstaben nicht nur aus unterschiedlichen lateinischen Schriften stammen, sondern auch das Hebräische ver wenden. Kaum ein Zufall! Verstecken sich hinter den Buchstaben also noch weitere Informationen, die momentan nicht zu entschlüsseln sind? Der Meister kennt sich – wie gezeigt – in Schriften hervorragend aus. Aber auch die Körpersymbolik der Bibel ist ihm gut bekannt.
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Inschrift I N R I über dem Kreuz Christi. Mitteltafel des Feldbacher Altars. Ausschnitt aus Bild 62.
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Osmanische Schiffe. Mitteltafel des Feldbacher Altars. Ausschnitt aus Bild 62.
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Die Mitteltafel: nah betrachtet Die Kreuzigungsdarstellung besticht durch die Monumentalität der Heiligenfiguren, durch die filigrane Ausführung der Gesichtszüge, der Bekleidung und des Schmucks sowie vor allem durch die grandiose Hintergrundlandschaft. Ungewöhnlich ist, dass die Kalvarienbergszene des Feldbacher Altars nicht auf einem Hügel positioniert ist, sondern an einem Ufer. Der Meister beweist ungewöhnliche Naturkenntnisse, indem er einen leicht gewölbten Horizont einarbeitet, über dem ein bewegtes Wolkenspiel zu beobachten ist. Die Umrisse der Wolken und die Silhouetten der Schiffe im Bildhintergrund spiegeln sich im Wasser. Am linken Bildrand ist eine Ortschaft mit einer herrschaftlichen Burg dargestellt. Unterhalb der Festung wird gerade ein mit Leinwand beladenes Fuhrwerk überfallen. Die Szene spielt am Ufer eines Sees oder eines Meers, das sich in mehrere Arme aufteilt. Gegenüber steht eine imposante Hafenstadt. Eine Vielzahl von Schiffen bewegt sich auf dem Wasser. Die beiden grössten zeigen Flaggen mit dem Halbmond des Osmanischen Reichs. Rechts davon sind eine Galeere sowie zwei Inseln zu erkennen, wovon die eine mit einer Klosteranlage bebaut ist. Am rechten Ufer befindet sich ein Hinrichtungsplatz mit einem aufgestellten halben Rad. Weitere Details sind eine zusätzliche kleine Hafenstadt sowie Berge mit Burgen. Im Vordergrund, zwischen der heiligen Katharina und der imposanten Hafenstadt, ist ein bevölkertes Wegesystem mit reitenden Soldaten, Landwirten, Jägern und Boten dargestellt. Vor dem Eingangstor in die Stadt führt ein kleines Kind einen Mann. Er trägt einen Stock, sodass man ihn sowohl für einen Blinden wie auch für einen Pilger halten könnte. Daneben zwei Frauen, die ihre Last auf dem Kopf tragen. Die amüsante erzählerische Hintergrundwelt in dieser Kreuzigungstafel lässt an zeitgenössische Chroniken denken, beispielsweise an die Richental-Handschriften des Konstanzer Konzils oder die Reiseberichte des Konrad Grünemberg. Bisher gingen Forscher davon aus, dass es sich bei der Landschaft im Hintergrund um die Stadt Jerusalem handelt, «die Anklänge an die Bodenseegegend (Konstanz) zeigt. Auf dem Wasser, am Ufer und in der Stadt ist das Alltagsleben der Zeit um 1450 zu beobachten.» 196 Ausser Acht gelassen wurde dabei, dass Jerusalem nicht am Wasser liegt.
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Irritationen: Konstanz als Jerusalem? Dass die Stadt deutliche Bezüge zum spätmittelalterlichen Bischofssitz Konstanz aufweist, steht ausser Frage! Man erkennt die Doppelturmfassade des Münsters, davor die Mauritius- Rotunde mit dem Heiligen Grab und am Hafen das Kaufhaus mit seiner charakteristischen Dachform, darauf ein Storchennest. Das mächtige Eingangstor an der Stadtgrenze erinnert mit seinen Pechnasen an das Paradieser Tor. In ihrer Originalität erinnert die Szenerie an Stadtdarstellungen aus den Schweizer Bilderchroniken, vor allem an jene aus der Luzerner Chronik des Diebold Schilling von 1513. Ein direkter Bezug zu Konstanz «spaziert» sozusagen auf dem Weg zwischen dem Evangelisten Johannes und der heiligen Katharina in der rechten Bildhälfte: eine männliche Person in dunkler Kleidung mit einer Lanze über der Schulter. Auf der linken Brust prangt das in dieser Form seit Ende des Konzils gebräuchliche Stadtwappen mit dem 1417 verliehenen roten Blut balken (Zagel). Auch hier findet sich ein ganz ähnliches Beispiel eines Konstanzers in der oben genannten Chronik des Luzerners Diebold Schilling. Wie auf dem Feldbacher Altar trägt auch diese Person das Konstanzer Wappen auf ihrer Brust. Deutlicher kann der Fingerzeig auf Konstanz nicht ausfallen! Wer das gesamte Retabel auf weitere Indizien für die «These Konstanz» durchsucht, meint weitere Hinweise auf eine «zusammenkomponierte Ansicht» des Bodensees zu finden: Am rechten Bildrand scheint der Künstler die Klosterinsel Reichenau mit den Hegaubergen dargestellt zu haben, dann die Insel Mainau mit dem Schloss des Deutschen Ordens, den Obersee, dessen Horizont sich in der Erdkrümmung verliert, und schliesslich die Meersburg gegenüber von Konstanz. Auf den ersten Blick scheint der Meister hier also die niederländische Ars nova, die neue Kunst, anzuwenden. Er orientiert sich mit den Inhalten seines Bildes an der realen Umwelt und macht es seinen Zeitgenossen auf diese Weise leichter, die religiöse Szene einzuordnen und zu verstehen.
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anhang
abc der begriffe 415
Quellen, Chroniken 421
Literatur 423
Bildnachweis 435
Autorinnen und Autoren 437
Umbruch am Bodensee • Vom Konstanzer Konzil zur Reformation
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Autorinnen und Autoren Regine Abegg (geb. 1959) Dr. phil., Studium der Kunstgeschichte, Spani schen Literatur und Kirchengeschichte in Zürich, Madrid und Salamanca. Assistentin am Lehrstuhl für Kunstgeschichte des Mittelalters in Zürich. Autorin der K unstdenkmäler-Bände zur Zürcher Altstadt. Seit 2009 Autorin der Kunstdenkmäler-Bände des Kantons Thurgau. Forschungen und Publikationen zur mittelalterlichen Architektur und Skulptur in Spanien und in der Schweiz sowie zur Reise- und Prome nadenkultur der Belle Époque. Felix Ackermann (geb. 1962) Dr. phil., Studium der Kunstgeschichte, der All gemeinen Geschichte des Mittelalters und der Deutschen Literaturwissenschaft an der Universität Basel. Rom-Aufenthalt für die Arbeit an der Dissertation. Tätigkeit an verschiedenen Museen (u. a. Historisches Museum Basel, K unstmuseum Basel, Museum Aargau) und freiberufliche Tätigkeit (Ausstellungen, Publikationen). Seit 2008 wissenschaftlicher Mitarbeiter und Kurator am Ittinger Museum. Daneben freiberufliche Tätigkeit. Marion Baumann (geb. 1986) M. A., Studium der Allgemeinen Geschichte, Kulturanthropologie und Neueren Deutschen Literatur an den Universitäten Zürich und Basel. Zurzeit als Geschichtslehrerin an verschiedenen Gymnasien im Kanton Zürich tätig.
Anne Diekjobst (geb. 1986) M. A., Universität Konstanz; Studium der Anglistik, Germanistik und Geschichtswissen schaften an den Universitäten Bielefeld, QUT/ Brisbane und Münster; seit 2014 wissenschaftliche Mitarbeiterin am Lehrstuhl für Mittelalterliche Geschichte der Universität Konstanz mit einem Promotionsprojekt zu «Wege in die G esellschaft. Personenkonzepte und soziale Adressier ungen im monastischen Kontext des späten Mittelalters». Peter Erni (geb. 1968) Lic. phil., Studium der Allgemeinen Geschichte, Geografie und Historischen Hilfswissenschaften an der Universität Zürich. Seit 1994 Autor der «Kunstdenkmäler des Kantons Thurgau». Daneben Mitarbeiter der Rechtsquellenstiftung des Schweizerischen Juristenvereins (1998 – 2003), Redaktor der Reihe «Denkmalpflege im Thurgau» (2002 – 2008), Redaktor der Reihe «Thurgauer Beiträge zur Geschichte» (2003 – 2005) und wissenschaftlicher Mitarbeiter im Staatsarchiv des Kantons Zürich (2012 – 2014). Bettina Fierz Salzmann (geb. 1971) Querflöten-Studium an den Konservatorien Bern und Biel (Lehr- und Konzertdiplom). Heute hauptberuflich administratorisch tätig: im Kulturhaus Helferei in Zürich sowie für das Projekt «KunstKlangKirche Zürich» und das Kantorat Grossmünster. Als Cellistin spielt sie in verschiedenen Kammermusikformationen und Orchestern wie dem Sinfonie-Orchester Meilen. Daneben singt sie im Collegium Vocale Gross münster Zürich, organisiert Konzerte, schreibt Konzert-Programmtexte und beschäftigt sich mit musikwissenschaftlichen Themen und historischen Musikinstrumenten.
Anhang • Autorinnen und Autoren
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Dominik Gügel (geb. 1962) M. A., Studium der Geschichte und Politischen Wissenschaften an der Universität Konstanz sowie Arbeit im Bereich Denkmalpflege/Bauforschung/Restaurierung. Aufbaustudium der Kunstgeschichte und Archäologie des Mittelalters an der Universität Zürich. Seit 2000 Direktor des Napoleonmuseums Thurgau und Dozent für Militärgeschichte an der Offiziersschule des Heeres in Dresden. Michael Hohlstein (geb. 1969) Dr. phil., Universität Konstanz; Studium der Geschichts- und Sozialwissenschaften an der Universität Bielefeld, Promotion am Max-WeberKolleg für sozial- und kulturwissenschaftliche Studien Erfurt mit der Arbeit «Soziale Ausgrenzung im Medium der Predigt. Der franziskanische Antijudaismus im spätmittelalterlichen Italien». Seit 2013 wissenschaftlicher Mitarbeiter im Exzellenzcluster «Kulturelle Grundlagen von Integration» an der Universität Konstanz mit einem Projekt über «Hybride Räume. Das benediktinische Mönchtum am Bodensee, 1200–1550». Peter Kamber (geb. 1953) Dr. phil., Studium der Geschichte an der Universität Zürich, Doktorat an der Universität Bern. Autor von zahlreichen Essays, Biografien und historischen Romanen, zum Beispiel G eheime Agentin, ein Roman über die Spionagedrehscheibe Schweiz im Zweiten Weltkrieg, erschienen 2010. Ein Roman über die Konflikte in der Reformation liegt als Manuskript vor, im Entstehen ist ein Buch über das Ende der Hexenverfolgungen.
Marco Sacchetti (geb. 1959) Lic. iur., Studium der Jurisprudenz an der Universität Bern. Danach zwei Jahre als Redaktor beim Thurgauer Volksfreund tätig. Seit 1988 Generalsekretär des Departements für Bau und Umwelt des Kantons Thurgau. Martin Salzmann (geb. 1943) Dr. phil., Studium der Allgemeinen G eschichte, Schweizergeschichte und Geografie sowie Kunstgeschichte an der Universität Zürich. Wissenschaftlicher Mitarbeiter bei der «Rechtsquellenstiftung des Schweizerischen Juristenvereins» mit wissenschaftlicher Tätigkeit in der Schweiz (Kt. Luzern) und Deutschland (Generallandes archiv Karlsruhe). 1989 – 2007 Leiter des Instituts der Rechtsquellenstiftung, zugleich Mitglied dieser Stiftung sowie der Welti-Stiftung Bern. Als nachberufliche Aufgabe Aufarbeitung der Rechtsquellen Bischofszell und Umgebung vom Mittelalter bis 1798 (Edition in Vorbereitung). Annkristin Schlichte-Künzli (geb. 1974) Dr. phil., Studium der Geschichte, der Historischen Hilfswissenschaften/Archivkunde und Romanistik in Heidelberg, Siena und Bonn. 2004 – 2006 Ausbildung zur Archivarin in Berlin und Marburg. 2007 – 2012 Leiterin der Abteilung Bestandesbildung am Staatsarchiv des Kantons Thurgau, seit 2013 zuständig für die Bearbeitung der Alten Bestände (zurzeit Erschliessungsprojekt zur eidgenössischen Tagsatzung). Matthias Schnyder (geb. 1957) Berufslehre als Hochbauzeichner in Zürich und Weiterbildung zum Grabungstechniker. Seit 1981 Grabungstechniker im Amt für Archäologie Thurgau. Fachspezialist für Unterwasserarchäologie.
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Doris Stöckly (geb. 1960) Dr. phil., Studium der Geschichte und Romanistik in Zürich, Montpellier und Paris. Lizenziat an der Universität Zürich. Promotion an der Pariser Sorbonne über die venezianische Handelsflotte im 14./15. Jahrhundert. Archivaufenthalte und archäologische Ausgrabungen in Venedig, Dubrovnik und Zypern. 1993 – 1996 Stipendiatin bei den Monumenta Germaniae Historica München (Edition des Libellus X des Bernold von Konstanz). Seit 1996 Archivarin und Editorin der Thurgauischen Rechtsquellen im Staatsarchiv Thurgau. Daneben Mitarbeit an Publikationen und Ausstellungen zur Thurgauer Rechts geschichte und zu venezianischen Themen.
Peter Wydler (geb. 1960) VDM. Matura in Frauenfeld. Studium der evan gelischen Theologie in Zürich und Genf mit Schwerpunkten Neues Testament, Dogmatik (reformierte Theologie) und Reformations geschichte. Vikariat in den Kirchgemeinden Pfyn und Weiningen. 1987 – 2008 Pfarrer in Neunforn, 2010 – 2018 in Bivio GR. Seit Ende 2017 in Chur Kirchenratsaktuar der evangelisch-reformierten Landeskirche Graubünden.
Silvia Volkart (geb. 1955) Dr. phil., Studium der Kunstgeschichte, Fran zösischen und Deutschen Literatur an der Universität Zürich. 1977 – 1987 wissenschaftliche Mitarbeiterin im Schweizerischen Institut für Kunstwissenschaft, Zürich. Danach als frei berufliche Kunsthistorikerin und Publizistin in Winterthur tätig. Forschungsschwerpunkte: Kunst des Spätmittelalters und Malerei in der Schweiz im 19./20. Jahrhundert. Projektleiterin und Herausgeberin der Publikationsreihe «Der Thurgau im späten Mittelalter». Werner Warth (geb. 1959) Erstausbildung als kaufmännischer Angestellter. Matura und anschliessendes Studium der Wirtschafts- und Sozialgeschichte, der Historischen Hilfswissenschaften und Volkskunde an der Universität Zürich. Seit 1994 Stadtarchivar in Wil; zuständig sowohl für die Stadt Wil wie auch die Ortsgemeinde Wil. 1999 – 2007 Beauftragter für Kulturschutz der Stadt Wil, seit 2001 Leiter des Stadtmuseums Wil.
Anhang • Autorinnen und Autoren
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