Harry Wiener: Führungswelten

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© 2014 Verlag Neue Zürcher Zeitung, Zürich Umschlag: GYSIN [Konzept+Gestaltung] Chur Gestaltung & Satz: Gaby Michel, Hamburg Cartoons: Ruedi Widmer, Winterthur Druck, Einband: Kösel GmbH, Altusried-Krugzell Dieses Werk ist urheberrechtlich geschützt. Die dadurch begründeten Rechte, insbesondere die der Übersetzung, des Nachdrucks, des Vortrags, der Entnahme von Abbildungen und Tabellen, der Funksendung, der Mi­ kroverfilmung oder der Vervielfältigung auf anderen Wegen und der Speicherung in Datenverarbeitungsanlagen, bleiben, auch bei nur auszugsweiser Verwertung, vorbehalten. Eine Vervielfältigung dieses Werkes oder von Teilen dieses Werkes ist auch im Einzelfall nur in den Grenzen der gesetz­ lichen Bestimmungen des Urheberrechtsgesetzes in der jeweils geltenden Fassung zulässig. Sie ist grundsätzlich vergütungspflichtig. Zuwiderhandlungen unterliegen den Strafbestimmungen des Urheberrechts. ISBN 978-3-03823-879-9

www.nzz-libro.ch NZZ Libro ist ein Imprint der Neuen Zürcher Zeitung


Inhaltsverzeichnis Einleitung

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Prolog Von der Faszination, Menschen zu führen Der Zeitgeist prägt das Management Was Sie von diesem Buch erwarten dürfen

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Die Hohepriester der Führung Die Gründerzeit: Als Management noch ein Fremdwort war

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Der Autoritäre (1950–1980) Die Hochkonjunktur nach dem Krieg Der Autoritäre auf der Bühne: sechs Akte Auf der Couch: Wie viel Autoritäres schlummert in Ihnen ? Was zurückbleibt: ein Bad voller Glasscherben

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Der Bürokrat (1960–1990) Ölkrisen in den 1970er-Jahren machen Manager ratlos Der Bürokrat auf der Bühne: vier Akte Auf der Couch: Wie viel Bürokratentum schlummert in Ihnen ? Was zurückbleibt: ein Bad voller Beton

Inhaltsverzeichnis

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Der Fürsorgliche (1975–2000) Gesättigte Märkte in den 1980er-Jahren erfordern neue Management-Methoden Der Fürsorgliche auf der Bühne: sechs Akte Auf der Couch: Wie viel Fürsorgliches schlummert in Ihnen ? Was zurückbleibt: ein Bad voller Mürbeteig

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Der Turnschuh-Manager (1990–2012) Führung im Zeitalter der New Economy Der Turnschuh-Manager auf der Bühne: fünf Akte Auf der Couch: Wie viel New-Economy-Attitüde schlummert in Ihnen ? Was zurückbleibt: ein Whirlpool

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Die Lösung: Der Manager für ein neues Jahrtausend (2014 ff.) Die Bilanz aus sechs Jahrzehnten Management: Was nun? Der emanzipierte, authentische Manager auf der Bühne: sieben Bilder Auf der Couch: Wieviel Emanzipation schlummert in Ihnen ? Was wird: ein Olympia-Pool für alle

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Inhaltsverzeichnis


Post-heroic Management Das Plädoyer für eine emanzipierte Führung Das Einmaleins von Veränderungsprozessen: vom Bombenwurf zur lernenden Organisation Ein Ziel der lernenden Organisation: Kundennähe Von der Theorie zur Umsetzung Schlussfolgerung

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Dank

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Literaturempfehlungen

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Der Autor

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Inhaltsverzeichnis

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Einleitung Das Jahr 2013, in dem ich dieses Buch beendete, war geprägt von ge­waltigen politischen und sozialen Umbrüchen. Der arabische Frühling und der Widerstand gegen den überbordenden (Casino-)Kapitalismus, um nur zwei Beispiele zu nennen, waren beeinflusst von einem emanzipatorischen Willen von Menschen, die sich unterdrückt oder benachteiligt fühlten. Bereits vor mehr als 15 Jahren begann ich, den Begriff der Emanzipation ins Führungs- und Managementverständnis einzubetten – damals noch mit sehr mässiger Akzeptanz, denn der Begriff war noch zu sehr von der Gender-Thematik besetzt. Mir ging es dabei aber um die Emanzipation zwischen Führenden und Geführten. Denn ähnlich wie bei der Emanzipation zwischen Mann und Frau besteht im Management die Emanzipation darin, dass das vermeintliche Subjekt (Mann oder Führungskraft) und das vermeintliche Objekt (Frau oder Untergebener) sich auf Augenhöhe begegnen. Heute denken immer mehr Wirtschaftskapitäne, Politiker und Wissenschaftler darüber nach, wie durch Emanzipation verfügbare Ressourcen besser genutzt und anstehende Pro­ bleme besser gelöst werden könnten. Sie spüren auch den zunehmenden Druck von «unten», dem man nicht mehr wie früher mit Gegendruck begegnen kann. Die aktuelle Situation verlangt nach neuen Denkmustern und Verhaltensweisen. Diese sollen in diesem Buch thematisiert werden.

Einleitung

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Prolog Von der Faszination, Menschen zu führen Gibt es etwas Anspruchsvolleres, als Menschen zu führen und gemeinsam mit Mitarbeitenden Spitzenleistungen zu erbringen, auf die alle stolz sein können ? Was ist das Faszinierende daran ? Weshalb schöpfen Tausende von Managern aus der Führungsarbeit Zufriedenheit, während andere an dieser Aufgabe verzweifeln ? In meiner langen Tätigkeit als Berater vieler Unternehmen fiel mir immer wieder auf, wie selten man wirklich guten Führungspersonen begegnet. Entweder traf ich auf hervorragende Strategen, denen es an Sozialkompetenz mangelte, oder ich fand die liebenswürdigen, teamorientierten und auch beliebten Führungsmenschen, die sich schwertaten, Resultate vorzuweisen. Und dann gab es noch die kreativen, aber vielfach etwas unberechenbaren Primadonnen, die ihre Visionen oft nicht umsetzen konnten … Natürlich gibt und gab es Ausnahmepersönlichkeiten an der Spitze von Unternehmen, die im richtigen Moment das Richtige taten und zu Legenden wurden: Steve Jobs, Bill ­Gates, Nicolas Hayek, Jack Welch – um nur einige zu nennen. Ob diese aber wirklich dem Idealbild des modernen Managers entsprechen, wäre noch zu erörtern. Einer dieser Herren sagte vor noch nicht allzu langer Zeit in kleiner Runde, dass der Erfolg vermutlich ausbliebe, würde er heute seinen Konzern so wie anno dazumal führen. Von der Faszination, Menschen zu führen

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Traurig ist, dass es Millionen sehr fähiger Menschen in Millionen Unternehmen gibt, die als Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter ebenfalls brillante Ideen und Konzepte entwickeln, die aber nicht oder nicht richtig umgesetzt werden, da sie ja nur Ausführende sind und deshalb nicht wirklich ernst genommen werden. Schon oft hatten Mitarbeitende den Riecher für erfolgversprechende Geschäftsmodelle, die dann von der Geschäftsleitung für untauglich erklärt wurden. Ganz nach der Melodie: Es ist unmöglich, dass eine Idee funktioniert, die nicht vom Management stammt ! Könnte es sein, dass frustrierte Kaderleute trotz Beherzigung zahlreicher Ratschläge zu Führungsmethoden immer noch an ungelösten «Führungsproblemen» verzweifeln, weil die gut gemeinten Ratschläge in den Führungshandbüchern einfach nichts mit der eigenen Wirklichkeit zu tun haben ? Könnte es auch sein, dass ein neues Selbstverständnis der Geführten die traditionellen Rollenmuster zwischen Führungskräften und Untergebenen ins Wanken bringen ? Wirtschaftsführer, Politiker, Ärzte, Bergführer, ja selbst Beamte – von ihnen allen wird erwartet, dass sie alles wissen und können, dass man sich in allen Belangen auf sie verlassen kann, dass sie die Verantwortung übernehmen und für die Konsequenzen ihrer Entscheidungen geradestehen. Der Begriff «Führung» ist zu einem Synonym für Omnipotenz, Omnipräsenz und Unfehlbarkeit geworden. Wir wissen aber nur zu gut, dass niemand über diese Fähigkeiten verfügt. Ausserdem sind die zu lösenden Probleme zu komplex, als dass sie einer einzelnen (Führungs-)Instanz überlassen werden könnten. Und doch ist der Mythos von der allmächtigen und unfehlbaren Führungskraft noch immer allgegenwärtig. Headhunter, Berater, Finanzanalysten und die Autoren zahlreicher 12

Prolog


Bücher sprechen von Eigenschaften, Merkmalen und skills, die eine ideale Führungskraft ausmachen. Es wird versprochen, dass gute Führung Leistungssteigerungen im Team, bessere Resultate und die Schaffung von Motivation und Mehrwert zur Folge hat – nur weil die Führungskraft sich diese Fähigkeiten aneignet und/oder über gewisse Persönlichkeitsmerkmale verfügt. Das ist alles bloss Mythos ! Die omnipotente, Eier legende Wollmilchsau gibt es auch im Management nicht. Deshalb sollten wir uns von diesem Bild endlich verabschieden. Mit der Wahl eines neuen Präsidenten, CEOs oder Trainers einer Sportmannschaft sind die bisherigen Probleme noch lange nicht aus der Welt geschafft ! Zwar ist bei solchen Mutationen ein interessanter Effekt zu beobachten: Die angeschlagene Mannschaft spielt plötzlich besser und gewinnt wieder; Bürger schöpfen neue Hoffnungen oder Mitarbeitende gehen wieder motivierter zur Arbeit. Dies hat jedoch wenig mit der neuen Führungsperson zu tun. Vielmehr beflügeln Phantasien und Hoffnungen die Betroffenen. Motivation ist nicht nur abhängig von Führungspersonen, sondern hat sehr viel mehr mit den meist schlummernden Kräften, Imagina­ tionen und Wünschen der Geführten zu tun. Erst wenn es gelingt, ein Umfeld zu schaffen, in dem die unterschiedlichen Vorstellungen, Bedürfnisse und Wünsche verbalisiert, ausgetauscht und reflektiert werden, entsteht ein Umfeld, in dem vorhandene Kräfte im Unternehmen oder in der Mannschaft genutzt werden können. Der Mythos von der Führungskraft ist in letzter Zeit arg ins Wanken geraten. Wir werden in diesem Buch einen Blick in die Geschichte dieses Begriffs werfen und anschliessend an dessen Entmystifizierung arbeiten.

Von der Faszination, Menschen zu führen

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Der Zeitgeist prägt das Management Die Vorstellungen von Management und Führung hatten seit je einen engen Bezug zum Zeitgeist der jeweiligen Epoche. Jede Zeit hat ihr eigenes Führungsverständnis, und der Kontext, in dem Führung stattfindet, beeinflusst die Vorstellung von guter und adäquater Führung. So bringt jede Zeit- und Wirtschaftsepoche ihre eigenen Führungstheorien hervor. Obwohl wir nicht bei Adam und Eva oder den alten Römern beginnen wollen, werden wir ein paar Jahrzehnte zurückblättern müssen. Das Thema Führen und Geführtwerden in den jeweiligen Zeitepochen soll nicht nur theoretisch betrachtet werden. Vielmehr möchte ich Sie auf eine kleine Reise von der Vergangenheit in die Zukunft mitnehmen und Sie einladen, Ihre eigene Realität zu reflektieren und eigene Schlussfolgerungen zu ziehen. Wir haben zwar in den jeweiligen Überschriften Zeitfenster definiert. Diese dürfen keinesfalls absolut betrachtet werden. Wir alle wissen ja, dass zum Beispiel autoritäres Führungsgehabe, welches in den 1960eroder 1970er-Jahren als «normal» galt, auch heute noch öfters anzutreffen ist. Es geht nicht um Richtig oder Falsch, auch nicht um Handlungsanweisungen im Sinne von How to do, sondern vielmehr um das Begreifen der Einstellungen und Annahmen sowie des «gesunden Menschenverstands» in den jeweiligen Epochen.

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Prolog


Was Sie von diesem Buch erwarten dürfen Jede Zeit hat ihren Managementstil. Und jede Periode hat ­einen Anfang und ein Ende. So hat sich immer wieder irgendwann eine Managementmethode überlebt und am Horizont – meist mit spektakulärem Wetterleuchten – ein neuer Füh­ rungs­stil angekündigt, der den Managern in den Teppichetagen der Unternehmen den ultimativen Erfolg verspricht. Meist leiten technologische Quantensprünge oder weltpolitische Umwälzungen diese Zeitenwenden ein. Heute, zu Beginn des 21. Jahrhunderts, wo sich mit dem schleichenden Niedergang der alten Industrienationen und dem Erstarken der Emerging Markets tektonische Veränderungen anbahnen – die mit dem Stichwort Turbo-Globalisierung nur schemenhaft umschrieben sind –, stellt sich wieder einmal die Frage: Welcher Managertyp und welche Unternehmenskultur ist geeignet, diese gewaltigen Veränderungen zu bewältigen ? Wer nicht weiss, wo er herkommt, kann nicht wissen, wo er hingeht. Diese alte Weisheit hat ihre Gültigkeit nicht verloren. Auch im Management entwickelt sich das Neue stets aus den Bruchstücken des Alten, von denen manche die Zeiten über­leben. Zum Überblick lassen wir hier die Typologien der Führungskräfte vom autoritären Boss der 1950er-Jahre bis zum Turnschuh-Manager der Jahrtausendwende noch einmal Revue passieren und betten diese in den jeweiligen Zeitgeist ein. Ein realer Fall bildet das Herzstück eines jeden Kapitels, anonymisiert zwar, aber abgebildet in der Wirklichkeit meiner über 30-jährigen Beratertätigkeit. Wie in einem Theaterstück schauen wir auf die Bühne und lassen die verschiedenen Akte des Geschehens an uns vorüberziehen, damit Sie, liebe Leserin, lieber Leser, lustvoll formulierte Erkenntnisse gewinnen Was Sie von diesem Buch erwarten dürfen

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können. Aber seien Sie darauf gefasst, dass auch Sie nicht verschont werden ! Wir legen Sie auf die Couch, um mittels einiger Fragen herauszufinden, wie viele alte Management-Bruchstücke noch in Ihnen als Führungsperson schlummern. Und am Ende jedes Kapitels erhalten Sie einen Überblick über die verbliebenen Führungsvorstellungen aus der Vergangenheit. Obwohl wir uns mit der Vergangenheit befassen, wollen wir nicht im Überkommenen verharren, sondern uns fragen: Was bleibt aus sechs Jahrzehnten Management ? Vor allem aber auch: Was kommt jetzt ? Hierzu bieten wir Lösungsvorschläge für den Manager im neuen Jahrtausend an in Form einer Nahaufnahme aus sieben Bildern, die für das neue Führungsverständnis stehen: Wir nennen es «Emanzipation in der Beziehung zwischen Führenden und Geführten». Und wir fragen Sie: Wie emanzipiert sind Sie in der Beziehungsgestaltung ? Wenn Sie noch nicht weit auf diesem Weg fortgeschritten sind, dann machen Sie sich keine Sorgen, wir helfen Ihnen gerne weiter.

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Prolog


Der Turnschuh-Manager (1990–2012)



Führung im Zeitalter der New Economy Unsere Zeitreise geht in die letzten Jahre des zwanzigsten Jahrhunderts. Längst hat Japan seine Schreckwirkung auf den Westen verloren und ist selbst in eine Wirtschaftskrise geraten. Das Zeitalter des Computers ist in vollem Gang und die Dotcom-Blase beginnt sich unaufhaltsam mit heisser Luft zu füllen. Aller Augen richten sich nach Westen oder, präziser, auf ein Tal im Nordwesten Kaliforniens: auf das Silicon Valley. Und was dort geschieht, bringt die Führungstheoretiker ganz schön durcheinander.

Führung im Zeitalter der New Economy

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Der Turnschuh-Manager auf der Bühne: fünf Akte Kreativ, aber nicht durchwegs erfolgreich In diesem Theater spielen mit: Bill Gates, Microsoft-Gründer, der Sonnenkönig der Computerindustrie. Er besucht einen Schweizer Alpenkurort und macht einem jungen IT-Ingenieur mächtig Eindruck. Heinz Kaltbach, Pionier in der Computerindustrie und Firmengründer der Kaltbach Computer AG, der sowohl Angst wie auch Bewunderung auslöst. Franz Hammer, ein junger, gut ausgebildeter IT-Freak, der auszieht, um im Silicon Valley sein Glück zu machen. Wieder daheim, wendet er das Gelernte in einem Schweizer Traditionsunternehmen an und macht dabei zwiespältige Erfahrungen. Hans Bollhalder, ein altgedienter CEO kurz vor der Pensionierung, der einem jungen IT-Chef sein Vertrauen schenkt und sein blaues Wunder erlebt. Max Lienhard, ein knochentrockener und überkorrekter Finanzchef, der ein einziges Mal an einer Geschäftsleitungssitzung eine kesse Lippe riskiert. Einem jungen Kollegen rät er gönnerhaft, nicht zu ungestüm nach vorn zu drängen. Marco Gilgen, ein neuer CEO, der ausbaden darf, was ihm sein Vorgänger eingebrockt hat.

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Der Turnschuh-Manager (1990 – 2012)


1. Akt: Der Sonnenkönig im Alpenkurort oder Warum in Kalifornien die Post abgeht Bill Gates. Genau genommen William «Bill» Henry Gates III. Mit William H. Gates III. unterschreibt er auch seine Briefe. Als wären die Gates eine Dynastie von Sonnenkönigen. All das fand der junge Computerfreak Franz Hammer selbstverständlich selbst heraus, bevor er als Werkstudent und freiwilliger Helfer ans World Economic Forum (WEF) nach Davos, ans Stelldichein der Schönen und Mächtigen, reisen durfte. Ein Sonnenkönig ist Gates zweifellos, das erlebt Franz Hammer am WEF. Mit seiner ganzen Entourage fliegt der MicrosoftGründer in den Alpenkurort ein. Er selbst ist als Typ eher unscheinbar – mit Nickelbrille, Skipullover, Turnschuhen und einem Gesicht wie ein ewiger Student. Aber jeder hängt an seinen Lippen und sucht seine Nähe, auch Franz Hammer ist wie elektrisiert, als er den Star der Computerindustrie leibhaftig vor sich sieht. Das wäre ein Ding, wenn dieser Typ der Chef des jungen Computerenthusiasten Franz Hammer wäre ! Bisher ist dieser mit seiner Situation ganz zufrieden. Er lebt im deutschen Wuppertal, dort, wo Heinz Kaltbach vor Jahren als Wirtschaftswunderkind ein Pionierunternehmen der noch jungen Computerbranche unter seinem Namen aufbaute. Es sind kleinbürgerliche Verhältnisse, in denen Franz Hammer aufwuchs. Der Vater arbeitet als Lochkartenspezialist – selbstverständlich bei Kaltbach, wie viele andere in der nordrhein-westfälischen Stadt. Die Mutter ist Hausfrau und der Sohn studiert Elektrotechnik an der Universität vor Ort. In den Semesterferien jobbt er, selbstverständlich bei Kaltbach. Ein beschauliches Leben in der deutschen Provinz ist das, und manchmal sitzen Vater und Sohn beisammen und unterhalDer Turnschuh-Manager auf der Bühne

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ten sich über die Firma Kaltbach und den Firmengründer. Franz Hammer kannte den Firmengründer noch, den «alten Heinz», wie ihn alle nannten. Der Student ist beeindruckt von dieser Gründerpersönlichkeit. Und dass dieser Mann, der ein grosses Unternehmen leitet, es sich nicht nehmen lässt, zusammen mit seinem persönlichen Chauffeur als Vorschoter Segelregatten zu bestreiten, das begeistert den Segler Franz Hammer noch zusätzlich. Die ungebrochene Segel-Leidenschaft des Gründers zeigt aufs Schönste, dass Heinz Kaltbach nie abgehoben, nie den Draht zur Basis seiner Firma verloren hat. Das alles spricht für diesen Mann, findet Franz Hammer. In letzter Zeit hat Hammer öfters Auseinandersetzungen mit seinem Vater, der sein ganzes Berufsleben in der Firma des alten Heinz verbracht hat. Vielleicht sieht dieser deshalb auch die Schattenseiten des übergrossen Chefs deutlicher als ein Aussenstehender. Er erzählt dem Sohn beispielsweise davon, dass der Chef langjährige Mitarbeiter wegen irgend einer Lappalie entlassen und später durch die Hintertür wieder angestellt hat. «Solche Willkürakte sind nicht gut für das Vertrauen in die Firma», meint der Vater. «Ein unberechenbarer Despot war der alte Heinz Zeit seines Lebens. Ende der 1980er-Jahre starb er dann.» So richtig kann Franz Hammer das alles gar nicht glauben. Schliesslich konnte er in der Firma von Kaltbach viel lernen, Theorie und Praxis der IT-Branche, aber auch viel über die Arbeitsabläufe in einer grossen Firma. Und für den jobbenden Studenten verkörpert Kaltbach eben auch das, was er sich unter einem Firmenbesitzer vorstellt: eine raumfüllende Erscheinung und eine unbedingte Koryphäe auf seinem Gebiet. Seit Franz Hammer am WEF Bill Gates im Gespräch mit Klaus Schwab sah, erscheint ihm seine kleine Welt in Wupper108

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tal äusserst beengend. Der Computer-Guru und der WEFGründer diskutierten über das legendäre Silicon Valley, und Franz Hammer begriff: Dort, in der kalifornischen Sonnenstube, geht bei der Computerindustrie die Post ab. Und genau dort will er nach seinem Studium hin. Kaum hat er sein Diplom mit einem summa cum laude in der Tasche, beschafft er sich einen Job bei einem IT-Start-up in San José, besteigt ein Flugzeug der American Airlines und landet ein paar Stunden später in Kalifornien, dem Epizentrum der Revolution in der globalen Computerindustrie. Die ersten Briefe nach Hause sind euphorisch. «Es sind gute Vibes hier», schreibt der Sohn an die Eltern, «alle sind per Du.» Es gibt keine Hierarchien, keine Reglemente, nur Krea­ tivität. Eine wilde Truppe von jungen Typen werkelt hier rund um die Uhr an ihren grossflächigen Computerbildschirmen, gemeinsam geht man auf ein Bier, spinnt Ideen und bespricht Konzepte; Arbeitsleben und Privatleben gehen ineinander über. Die Eltern in Wuppertal sind Stolz auf ihren Sohn, der es geschafft hat, ganz auf sich gestellt in der neuen Welt Fuss zu fassen. Schon bald erscheint in den Briefen öfters der Name Amy, und Mutter Hammer pflegt zum Gatten zu sagen: «Ich fürchte, unser Franzl hat sich verliebt. Eine Amerikanerin als Schwiegertochter wäre sicher toll. Nur schade, dass wir kaum Englisch sprechen.» Nach Amy kommt Elisabeth, später Carol und noch später Naomi. Bei Jody wird’s dann ernst für den Franz, und Anfang der 1990er-Jahre reisen die Hammers aus Wuppertal zur Hochzeit nach San José. Eine ganz neue Welt eröffnet sich auch ihnen, und Franz, mittlerweile IT-Chef der kleinen Firma, nimmt sich natürlich ein paar Tage Zeit, um seinen Eltern zusammen mit seiner Frau die neue kalifornische Heimat zu zeigen. Der Turnschuh-Manager auf der Bühne

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2. Akt: Ein kurzer Traum in Amerika oder Warum das Thema Forschung & Entwicklung auf die Traktandenliste gehört In Kalifornien liegt Franz Hammer die Welt zu Füssen. Die Firma floriert, und er als IT-Chef sitzt inzwischen auf einem Haufen Aktien der Firma, für die er tätig ist. Da winkt ein grosser Geldsegen, so gross, dass der Franz Hammer aus Wuppertal danach nie mehr in seinem Leben wird arbeiten müssen – das denkt sich zumindest der Franz Hammer in San José. Die Führungscrew der prosperierenden IT-Firma hat nämlich beschlossen, an die Börse zu gehen. Dort, so zeigt die Erfahrung vergleichbarer Börsengänge im Silicon Valley, winkt nämlich das schnelle Geld. Alles ist gut vorbereitet. Die Alt­ aktionäre sind erwartungsfroh, die investitionswilligen Investoren ungeduldig. Und dann platzt, ganz plötzlich und un­ vermittelt, die Dotcom-Blase. Die Alt-Aktionäre sehen nun buchstäblich alt aus und sitzen auf wertlosen Papieren. Investitionswillige Investoren gibt es keine mehr, und bei Franz Hammer herrscht Katerstimmung. Er beschliesst, zusammen mit seiner Frau Kalifornien zu verlassen, wo er einen kurzen amerikanischen Traum träumte, der nun zum Albtraum geworden ist. Immerhin hat Franz Hammer dank seiner Jody Glück im Unglück. Ihr Onkel ist nämlich Leiter einer Privatbank in Genf, und dank dessen exzellenten Beziehungen erhält er einen Job als Chefinformatiker bei einem namhaften Schweizer Präzisionsinstrumenten-Hersteller. Die Tinte auf dem Arbeitsvertrag ist noch nicht trocken, als in New York zwei Passagierflugzeuge ins World Trade Center rasen und die westliche Welt in eine Depression stürzen. Leicht ist es in der Schweiz nicht für die deutsch-ameri­ kanischen Hammers. «Life in Switzerland is so boring», klagt 110

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Jody, «Swiss people call me Frau Hammer instead of Jody. They are so polite and I always have to watch out what I say.» Von ihrer Nachbarin lernt sie immerhin, wie man Rösti, ameri­ kanisch Hash Browns, nach Berner Art zubereitet. Und weil die Sprachbarriere beinahe unüberwindlich ist, nimmt die junge Amerikanerin Deutschkurse bei der Migros, während ihr Franz etwas Schwyzerdütsch zu lernen versucht. Schliesslich will er mitbekommen, was bei der Zoko AG alles gesagt wird, dem angesehenen Familienunternehmen, bei dem er nun angestellt ist. Dort steht Hans Bollhalder, ein erfahrener familienfremder CEO, der wenige Jahre vor der Pensionierung steht, an der Spitze, während die Firmenbesitzer im Verwaltungsrat sitzen. In der Geschäftsleitung gibt es neben dem CEO vier operativ verantwortliche Bereichsleiter, nämlich einen HR-, einen Finanz-, einen Produktions- und einen Vertriebschef. Franz Hammer ist als IT-Chef dem Finanzchef unterstellt, und es besteht durchaus die Aussicht, dass er in die Geschäftsleitung aufsteigen könnte – so wurde das bei seiner Anstellung zumindest angedeutet. Mit diesem Ziel vor Augen tut Franz Hammer das, was er glaubt dafür tun zu müssen. Er entwickelt Ideen, wie sich seine IT-Abteilung konziser mit dem operativen Geschäft verheiraten liesse. Wie sich überhaupt die Kreativität im Hause ankurbeln liesse und diese bis in die kleinsten Verästelungen fliessen könnte. Er geht so vor, wie er es in Kalifornien gelernt hat. Er ist ungestüm und lässt sich von Widerständen oder Hier­archien nicht übermässig bremsen. Schliesslich geht es um den Wettbewerb der Ideen und nicht um Hierarchien. Wer die besseren Ideen hat, gewinnt. Gegenüber seinem Chef, Max Lienhard, der sich in der Firma vom Controller zum Finanzchef hochgearbeitet hat, meint er: «Was ist denn das für Der Turnschuh-Manager auf der Bühne

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eine seltsame Struktur in unserer Forschung und Entwicklung: vier divisionale F&E ! Das kann doch nicht euer Ernst sein.» Das klingt in den Ohren des Vorgesetzten nach Kritik. Er sagt: «Das ist eine gewachsene Struktur, und die Produkte und Dienstleistungen der einzelnen Divisionen sind so unterschiedlich positioniert, dass sich eine Zentralisierung der F&E überhaupt nicht aufdrängt.» Fast gönnerhaft fügt er hinzu: «Sie sind halt erst zwei Jahre im Haus. Es braucht Zeit, um solche Dinge durchschauen zu können.» Das wiederum klingt in den Ohren des Untergebenen nicht wirklich plausibel. Beunruhigt ist nun aber nicht nur Franz Hammer. Auch Max Lienhard, der Chef, wird langsam, aber sicher nervös, weil ihm der Neue mit dem Thema ständig im Nacken sitzt. An einer Geschäftsleitungssitzung tut der grundloyale Lien­hard etwas, was er bisher noch nie getan hat. Er gibt seine bisherige Zurückhaltung auf und meint doch tatsächlich: «Unser junger und noch etwas unausgegorener Kollege Franz Hammer redet unermüdlich von notwendigen Veränderungen, die wir seiner Meinung nach unbedingt angehen müssen.» Alle am Tisch schauen den sonst so korrekten Finanzchef unvermittelt an, sodass Max Lienhard rot anläuft. Hans Bollhalder, der CEO, ist erfahren genug, um diese Situation nicht ins Peinliche kippen zu lassen. Als er Franz Hammer kurz nach der Sitzung zufällig trifft, erkundigt er sich, was für ein Problem er denn mit dem Finanzchef konkret habe. Franz Hammer lässt sich nicht zweimal bitten. «Schauen Sie doch einmal die vier Divisionen an», meint er, «zum Beispiel die Division mit den Sonderanfertigungen für die Armee. Meinen Sie, in diesem Klima könne ­irgend jemand etwas Gescheites entwickeln ? Oder die Hochpräzisionsgeräte der Zoko Light ? Das sind zwar alles Cashcows, 112

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aber ihre Lebenszyklen neigen sich dem Ende zu, ohne dass hinten in der Pipeline neue Produkte zu erkennen wären. Oder schauen Sie einmal, wie wir das Kundenmanagement in der grössten Division betreiben. Zugegeben, diese Division mit ihren Massenprodukten hat sehr viele Kunden, die sich aber mit den Möglichkeiten einer modernen IT viel besser betreuen liessen.» Der CEO hört stumm, aber konzentriert zu. Dann sagt er: «Das Thema F&E beschäftigt mich seit Langem. Ich möchte mit Ihnen darüber ein Gespräch führen.» Während der oberste Chef diese Worte spricht, huscht ein Lächeln über Fritz Hammers Gesicht. Er bedankt sich mit glänzenden Augen, als dieser ihm einen Termin zu einem ungestörten Gespräch verspricht. Hans Bollhalder ist schon eine ganze Weile bei der Zoko. Der diplomierte Ingenieur ETH ist ein branchenweit anerkannter Experte für Vermessungstechnik, der sich dank jahrzehntelangem, eisernem Einsatz bis zum CEO hochgearbeitet hat. Er wird von allen sehr geschätzt, da er immer um Ausgleich bemüht ist. Ihm als persönlichem Freund der Eigner­ familie sagt man zwar nach, dass er Strategien mitunter nicht nach dem Markt, sondern nach den Interessen der Shareholder ausrichte. Die Besitzerfamilie aber agiert sehr weitsichtig und denkt ganzheitlich, sodass sich die Zoko recht erfolgreich entwickelt. Hans Bollhalder ist sich aber bewusst, dass der Erfolg von heute nicht zwingend für den Erfolg von morgen garantiert. Er weiss auch um seine eigenen Schwächen im Umgang mit IT-Konzepten zur Unterstützung interner und externer Geschäftsprozesse. Er ist ein CEO aus einer analogen Welt, der sich bewusst ist, dass in der digitalen Welt ganz andere Gesetze herrschen. Deshalb begrüsste er es seinerzeit Der Turnschuh-Manager auf der Bühne

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auch, dass man den jungen Franz Hammer mit seinen Erfahrungen aus dem Silicon Valley ins Unternehmen holte. Am nächsten Tag um 14 Uhr treffen sich der CEO und sein Informatikchef zu einem weiteren Gedankenaustausch. Hans Bollhalder beginnt das Gespräch vorsichtig und sagt zu Franz Hammer: «Ich kann mir vorstellen, dass Ihnen die Zoko als altmodisches Unternehmen erscheint. Sie sind aus einer ganz anderen Welt zu uns gestossen, und ich begrüsse es, wenn Sie mir offen sagen, wo Sie bei uns Handlungsbedarf sehen.» Franz Hammer weiss ganz genau, dass er sich diese Gelegenheit nicht entgehen lassen darf. Dennoch ist ihm plötzlich etwas mulmig zumute. Er hat sich zwar auf dieses Gespräch vorbereitet, aber seine Stärke liegt mehr im intuitiven als im strukturierten Vorgehen. Seit er in der Schweiz ist, wurde ihm schon öfter gesagt, er solle zuerst denken und dann reden – nicht wie in Amerika, wo die Leute zuerst schiessen und erst dann zielen würden. Franz Hammer ist einer, der stets das anspricht, was ihn gerade beschäftigt. Er ist weder Diplomat noch Taktiker, und Bürokraten haben Mühe mit seiner direkten Art. Jüngere Kollegen hingegen schätzen seine Spontaneität. Sein Schreibtisch ist meist ein kreatives Schlachtfeld, zwinglianische Zucht und Ordnung sind ihm fremd. Aus seinem Herzen macht Hammer seinem Chef gegenüber gleich zu Beginn des Gesprächs keine Mördergrube. Er sagt zu Hans Bollhalder in seiner direkten Art: «Ich glaube nicht daran, dass wir für den immer härter werdenden Wettbewerb genügend gut aufgestellt sind. Das Arbeitsklima hier ist gut, die Qualität der Zoko-Erzeugnisse unbestritten. Aber daraus hat sich auch ein Problem ergeben, weil in der Firma eine gewisse Selbstzufriedenheit herrscht.» Hans Bollhalder schaut Hammer fragend an. Dieser fährt weiter: «Ich muss Ihnen 114

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ganz offen sagen, dass amerikanische und insbesondere asiatische Konkurrenzprodukte inzwischen preislich äusserst kompetitiv sind. Ausserdem kommen unsere Technologien und Produkte langsam in die Jahre.» Franz Hammer ist nun in seinem Element. Er sagt: «Wir erfinden manchmal überflüssigerweise das Rad neu, und das gleich mehrfach, und zwar nur, weil wir die Forschungs- und Entwicklungsabteilungen in den Divisionen belassen, wo sie ihr Eigenleben führen, statt unter zentraler Führung fokussiert zu arbeiten.» Zum Schluss sprudelt es nur noch aus ihm heraus: «Meiner Meinung nach wird auch die IT nicht optimal genutzt, ineffiziente Arbeitsprozesse und Doppelspurigkeiten kosten viel Geld. Die Divisionen sind in einen internen Konkurrenzkampf verstrickt und arbeiten mehr gegeneinander als miteinander. Bei unseren Kunden geben sich mitunter Zoko-Mitarbeiter aus den verschiedenen Abteilungen die Klinke in die Hand.» Während Franz Hammer sich selber reden hört, denkt er bei sich, dass in diesem Haus wirklich einiges schief läuft. Hans Bollhalder hört dem Redeschwall seines Mitarbeiters lange Zeit wortlos zu. Manchmal dreht er den Kopf etwas zur Seite – fast so, als würde er Zustimmung signalisieren. Dann sagt Bollhalder unvermittelt: «Und jetzt, was schlagen Sie vor ?» Als hätte er auf dieses Stichwort gewartet, legt Franz Hammer noch einen Zacken zu: «Ich schlage vor, dass wir einen neuen Zentralbereich schaffen: Forschung, Entwicklung, Anwendungstechnik, Unternehmensentwicklung und IT, alles unter einem Dach, alles aus einer Hand und einer Verantwortung. Das mag in Ihren Ohren befremdlich tönen», meint Hammer zu Bollhalder, «aber so könnten wir dem Innova­ tions­ stau und der mangelnden Kundennähe bei Zoko zu Der Turnschuh-Manager auf der Bühne

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Leibe rücken.» Der CEO reagiert professionell, will wissen, wie dies zu finanzieren wäre und wer diese Super-Abteilung führen könnte. Zu den Finanzen meint der IT-Chef nur, dass die bereits existenten Budgets der vier Entwicklungsabteilungen und der IT-Abteilung sicherlich genügen würden. «Wichtig aber ist», meint Hammer, «dass eine baulich-organisatorische Struktur geschaffen wird, damit dieser Think-Tank ausserhalb des Stammhauses aufgebaut werden kann.» «Wieso das ?», will Hans Bollhalder wissen. Aber auch auf diese Frage ist Franz Hammer vorbereitet. «Neue Ideen», sagt er, «können nur ausserhalb des Bestehenden wachsen.» Beim letzten Punkt aber, der Frage nach dem Leiter des neuen Bereichs, kneift er. Franz Hammer schafft es einfach nicht, klar und deutlich seine Meinung zu artikulieren: dass dafür im Grunde nur einer infrage käme, und zwar er selber. 3. Akt: Eine Firma in der Firma oder Wie ein junger Turnschuh-Manager zu einem Superbereich kommt Hans Bollhalder ist hin und her gerissen. Das Konzept von Franz Hammer ist bestechend einfach und überzeugend, dennoch erscheint es ihm fast zu futuristisch. Gleichzeitig weiss er auch von anderen Unternehmen, die exakt diesen Weg beschreiten. Klar ist: Eine solch weitreichende Entscheidung will Hans Bollhalder nicht allein treffen. An der nächsten Verwaltungsratssitzung – an dieser nimmt er als CEO immer teil – will er diese Angelegenheit zur Sprache bringen. Franz Hammer ist aufgekratzt an diesem Abend, als er seine Jody zur Feier des Tages ins Rössli zum Abendessen einlädt. Nach einem Gläschen Wein meint er zu seiner Frau: «Ich Trottel bin zu feige gewesen, als Bereichsleiter mich selbst vor116

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zuschlagen.» Er lacht bei diesen Worten. Jody, ganz die gute Ehefrau, beschwichtigt und sagt, der CEO könne doch gar nicht anders, als ihm das Amt zu übertragen; er, Franz Hammer, habe schliesslich die Idee für den Think-Tank geliefert. Bei diesem Stichwort sprudelt er wieder, wie es seine Art ist, und je später es an diesem Abend wird, desto blumiger malt sich der Gatte seinen neuen Job aus. Er erzählt davon, was er alles anpacken wolle und wie wunderbar das alles werde. Irgendwann wird es selbst der geduldigen Jody zu viel. «Stop it, Darling !», ruft sie aus, «wir haben doch schon heute viel zu wenig Zeit füreinander ! Wenn später ein Baby kommt, möchte ich nicht, dass dieses seinen Daddy nur von Fotos kennt !» Verwaltungsrat und Geschäftsleitung haben noch keineswegs grünes Licht für dieses Projekt gegeben. Dennoch wirbelt Franz Hammer schon durch die Firma, als wäre er der neue Bereichsleiter. Vor seinem inneren Auge begutachtet er bereits die Entwickler im Haus, überlegt sich, wer brauchbar ist und wer nicht. Aufkeimende Zweifel schiebt er zur Seite. Gewissensbisse, weil er möglicherweise langjährige Mitarbeiter, darunter Familienväter, auf die Strasse stellen müsste, bekämpft er rein rational. «Es geht um den Erfolg der Firma», sagt sich Franz Hammer, «um das Überleben des Unternehmens.» Da darf der neue Bereichsleiter nicht zimperlich sein. Wer nicht mit der Zeit gehen kann oder will, hat in seiner Truppe nichts zu suchen. Franz Hammer realisiert, dass er sich gut fühlt beim Gedanken an sein Projekt. Er überlegt, wie er mit seiner Abteilung zu einer Firma in der Firma werden könnte. Er sieht auch schon vor sich, wie aus seinem Verantwortungsbereich ganz neue Produkte und moderne Dienstleistungen auf den Markt kommen. Während bei Franz schon Hochstimmung herrscht, Der Turnschuh-Manager auf der Bühne

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trifft die gute Nachricht ein: Hammer bekommt das Go von ganz oben, sein ambitiöses Projekt zu realisieren. Er bezieht mit einer Gruppe handverlesener Mitarbeiter die Räumlichkeiten seiner neuen Abteilung: ein leerstehendes Bürogebäude mit einer kleinen Fertigungshalle, drei Kilometer vom Zoko-Stammhaus entfernt. Franz Hammer trägt nun den klingenden Titel Bereichsleiter Unternehmensplanung und Unternehmensentwicklung, so steht es auf seiner neuen Visitenkarte. Alle Abteilungen, die er sich seinerzeit im Gespräch mit dem CEO gewünscht hatte, sind nun unter einem, seinem Dach vereinigt. Am Zoko-Hauptsitz schlägt die Nachricht wie eine Bombe ein. Es gibt Mitarbeiter, die sofort auf totale Ablehnung schalten, andere äussern Zustimmung, wieder andere sind schlicht begeistert. Besonders freut Franz Hammer, dass sein direkter Vorgesetzter Max Lienhard ihm als einer der ersten gratuliert. Hans Bollhalder tut dasselbe, würdigt die Eigeninitiative des vormaligen IT-Chefs, ermahnt Hammer aber auch, bei seinen Plänen mit Fingerspitzengefühl vorzugehen. 4. Akt: Die Hammer-Abteilung oder Warum ein Spaltpilz zu wuchern beginnt Der Start ist fulminant. Entwickler, die bis anhin zufrieden mit sich und der Welt gemächlich vor sich hin entwickelten, spüren, wie plötzlich ein Ruck durch die neue Abteilung geht, wie Kreativität freigesetzt wird. Neue Begeisterung keimt auf und keiner der Auserwählten im neuen Hammer-Bereich, wie dieser nun genannt wird, hält sich lange darüber auf, dass einige ältere Mitarbeiter vorzeitig in Pension geschickt werden und mit per Saldo weniger Personal hochgesteckte Ziele erreicht werden müssen. Franz Hammer ist nun voll in seinem Element. Er führt seine Mannschaft, als wäre er noch immer 118

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im Silicon Valley: unkonventionell und direkt, immer auf Draht und mit allen per Du. Er stellt unverbrauchte junge Menschen ein, die direkt von der Universität kommen und so brandneues Wissen in seine Abteilungen einbringen. Er lanciert Forschungsprojekte zusammen mit der Technischen Hochschule, und nach kurzer Zeit ereignet sich ein kleines Wunder: Die Zoko, ein technologisch zwar respektables, aber bislang auch etwas biederes Unternehmen, ist bei hoch qua­ lifizierten Uni-Absolventen plötzlich en vogue. In den Hammer-Abteilungen kommt die Umsetzung der Grundlagenforschung währenddessen richtig in Fahrt, und die gesamte Firma profitiert davon. Selbst der technische Kundendienst, der in den Divisionen verblieb, wird vom neuen Elan beflügelt. Es wird ein Customer Relationship Management System (CRM) lanciert, das sämtlichen Geschäftsaktivitäten neuen Schub verpasst. Hans Bollhalder kann zufrieden sein mit den Auswirkungen seines Vorstosses, und mit entsprechendem Wohlwollen verfolgt er die Aktivitäten seines Schützlings Franz Hammer. Niemand scheint jedoch zu realisieren, dass quer durch das Unternehmen ein Spaltpilz zu wuchern beginnt. Im Stammhaus der Zoko werden die alten Firmenwerte gepflegt. Hingebungsvoll werden in die Jahre gekommene Produkte und Technologien gehätschelt. Der Umgangston und das Tempo sind am besten mit gemütlich umschrieben. In der Hammer-Truppe aber vibriert es rund um die Uhr. Es herrscht Unrast, Neugier und Kreativität. In derselben Firma sind nun zwei Kulturen wirksam, die auseinanderdriften. Und entsprechend tönen auch die Sprüche, die im Stammhaus und am Sitz des neuen Bereichs über die jeweils anderen fallen. «Denen da drüben müssen wir erst einmal erklären, in welchem Der Turnschuh-Manager auf der Bühne

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Geschäft wir überhaupt tätig sind», heisst es etwa im ZokoHauptsitz. «Die meinen wohl, dass sie mit ihren alten Ladenhütern auch morgen noch Erfolg haben können», tönt es drei Kilometer vom Stammhaus entfernt. Überheblichkeit herrscht auf beiden Seiten. Und Hochmut kommt bekanntlich vor dem Fall. 5. Akt: Warum der New-Economy-Style schliesslich scheitert oder Warum Silicon Valley keine gute Schule für Manager ist Entwickler sind keine Verkäufer. Und umgekehrt. Bei der Zoko jedoch beginnt dieses Axiom der Unternehmensführung langsam an Gültigkeit zu verlieren. Die Entwickler aus der Hammer-Truppe fühlen sich immer öfter als Sieger der jüngsten Entwicklung in der Firma. Mehr noch: Immer öfter stossen sie die Verkäufer vor den Kopf, welche die Sicht der Kunden durchzusetzen versuchen. Sie legen den düpierten Kundenbetreuern nahe, die Spezifikationen der Produkte den Entwicklern zu überlassen. Das aber ist der Anfang einer unheilvollen Entwicklung. Die ersten ernsthaften Konflikte zeichnen sich in der Di­ vision Sonderanfertigungen ab, dort, wo noch immer die Schweizer Armee der Hauptkunde ist. Das kommt nicht von ungefähr. Die Beschaffer von Armeematerial sind keine Freunde von temporeichen Veränderungen. Innovation ist gut, aber nur in dosierter Form. Im Fall der Zoko ist der Wandel aber schnell und unabsehbar. Die Kräfte innerhalb der Firma, welche die konservative Haltung der Armee kennen, schlachten dieses Wissen nun für ihre eigenen Zwecke aus. Die Armee, sagen die Bremser, bezahle ohnehin zu hohe Preise und wolle mit Sicherheit kein unausgegorenes Material geliefert 120

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bekommen. Die innerbetriebliche Botschaft ist klar: Die Hammer-Truppe soll ihren Drang nach Innovation um jeden Preis zügeln. Das Gift fliesst nun auch in andere Abteilungen. Produk­ tionsleute beklagen sich, sie müssten andauernd Sonderwünsche der Entwickler erfüllen, wodurch andere Aufträge zeitlich in Verzug kämen. Selbst in der Sprache werden Gräben sichtbar. Im Stammhaus wird gemächlich Schweizerdeutsch gesprochen, während die Entwickler und IT-Spezialisten mit Anglizismen um sich werfen. Es kann nicht mehr übersehen werden, dass Sand im Getriebe der Zoko ist. Mit diesem Problem muss sich nun ein neuer CEO befassen, nachdem Hans Bollhalder, der diesen unheilvollen Prozess initiiert hatte, in Ehren pensioniert wurde. Nachfolger wird Marco Gilgen, ein 44-jähriger MBA-Absolvent von Stanford, ein brillanter Stratege, der durch einen Headhunter vermittelt wurde. Dieser erkennt die Vorteile des New-EconomyStyle von Kollege Franz Hammer sofort. Er sieht aber auch den kulturellen Graben, der sich innerhalb der Firma aufgetan hat. Er sieht, dass die Kulturen wieder kompatibel gemacht werden müssen, und will dies erreichen, ohne die angeworfene Innovationsmaschine abzuwürgen. Der neue CEO stört sich nicht daran, dass im Bereich von Franz Hammer alles etwas anders läuft, dass dort Stempeluhren, Pflichtenhefte und Organigramme nicht mehr existieren. Was ihn aber in höchstem Mass beunruhigt, ist die Tatsache, dass die Forschung und Entwicklung ein Eigenleben führt und dass in dieser Abteilung nicht mehr die Kundenwünsche im Zentrum stehen. Wenn der Kunde von der Zoko nicht mehr erhält, was er braucht, ist die Existenz der Firma in Gefahr ! Marco Gilgen weiss, dass er nun handeln muss. Der Turnschuh-Manager auf der Bühne

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Der CEO sucht das Gespräch mit Franz Hammer. Statt Einsicht zu zeigen, schwärmt dieser von der Kreativität in seinen Abteilungen, vom Zusammenhalt in der Truppe und von den Entwicklungserfolgen, die im Stammhaus nicht gewürdigt werden. Franz Hammer hat ein Problem, weil er rasch emotional wird und sich immer mehr in Stellungskriegen mit anderen Bereichsleitern verheddert. Nach kurzer Zeit fühlt er sich isoliert. In Momenten, in denen Franz Hammer zu sich selbst ehrlich ist, erkennt er das Ausmass dessen, was er angerichtet hat. Weil er nie ein Kämpfer war, sieht er nur einen Ausweg aus seiner verfahrenen Situation. An einem Sonntagabend steckt er sein Kündigungsschreiben in den Briefkasten. Aufräumarbeiten sind nicht sein Ding, sagt er sich, das sollen andere besorgen. Und natürlich redet Hammer sich auch ein, dass seine Talente und sein Führungsstil bei einer anderen Firma besser ankommen würden. Ganz sicher ist er sich dessen aber nicht.

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Auf der Couch: Wie viel New-Economy-Attitüde schlummert in Ihnen ? Was ist das doch für eine Verlockung ! Da gibt es einen Chef, der kreiert ein Klima der Inspiration, zertrümmert Stempeluhren und schafft Hierarchien ab – er beseitigt all das, was dem freien Fluss der Energien im Wege stehen könnte. Und, seien wir ehrlich ! Um das geht es doch. Um den freien Fluss von kreativer Energie. Nur so entstehen die wirklich grossen Dinge, die grossen Würfe, das Bleibende. Wer wollte da nicht mit von der Partie sein ? So weit, so gut. Allerdings findet auch die Inspiration nicht im luftleeren Raum statt. Die Physik sagt: Im Vakuum ist nichts, also auch keine Kreativität. Der Umkehrschluss gilt genauso: Jede Art von Kreativität findet in einem Umfeld statt. Wenn sie das Umfeld untergräbt, in dem sie stattzufinden hat, zerstört sie sich selbst. Dennoch müssen die neuen Chefs ein Flair für Innovation und Kreativität mitbringen, wenn sie in der globalisierten Welt überleben wollen. Sind Sie eines von diesen Exemplaren, die kreatives Flair in ein Unternehmen einbringen können ? Schauen wir mal. Machen wir wieder unsere kleine Probe aufs Exempel. Sie sehen hier 15 Aussagen. Sie dürfen zustimmen oder ablehnen. Es gibt nur eine Vorgabe. Seien Sie ehrlich zu sich selbst. Und dann: Auf geht’s !

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1. Abwechslung in der Arbeit ist für mich sehr wichtig.   2. Ich liebe das Risiko.   3. Mein Motto: Jeden Tag eine neue Idee.   4. Strukturen aller Art engen mich ein.   5. Um Erfolg zu haben, muss ich mich selbst verwirklichen können.   6. Wenn ich dabei bin, wird’s bestimmt nicht langweilig.   7. Ich gehe ohne Umwege auf meine Ziele los.   8. Ich lebe gerne nach dem Lustprinzip.   9. Ich kann nur schwer stillsitzen. 10. Konflikte stören mich nicht. 11. Ich rede, wie mir der Schnabel gewachsen ist. 12. Manchmal merke ich nicht, dass ich Leute brüskiere. 13. Chaos macht mir keine Angst. 14. Meine Phantasien beflügeln mich. 15. Ich bin spontan und direkt. Nun addieren Sie die Anzahl Ja, die Sie notiert haben, und fügen die Summe hier ein E … . Wie steht es um das Spontane und Kreative, vielleicht auch um das Eigensinnige und Chao­ tische in Ihnen ? Haben Sie mehr als siebenmal Ja gesagt, so ist Ihnen diese Art von Beziehungsgestaltung nicht ganz fremd. Reflektieren Sie auch, welche Risiken Sie in Kauf nehmen. Ja, es waren die Apples, Googles, Microsofts und andere IT-Unternehmen, die, meist unter der Sonne Kaliforniens, die ersten Turnschuh-Chefs hervorbrachten. Mittlerweile gibt es sie aber auch in anderen Branchen, und das mit gutem Grund: Die Krisen und Absatzflauten der 1970er- und 1980er-Jahre in den Unternehmen förderten die Erkenntnis, dass die Lebenszyklen von Produkten, Technologien und Modeströmungen Auf der Couch: Wie viel New-Economy-Attitüde schlummert in Ihnen ? 125


immer kürzer werden. Unternehmer und Manager suchten nach Rezepten, diesen Teufelskreis zu durchbrechen. Dabei besann man sich auf eine alte Tugend, die seit je Unternehmertum ausmacht: innovatives Handeln ! Forschung und Entwicklung dienten als Keimzelle für neue Produkte und Dienstleistungen, die in neuen Märkten abgesetzt werden konnten. Gleichzeitig war die 1968er-Generation an der Macht, die gerade in jungen Branchen und Industrien mit der traditionellen Hierarchiegläubigkeit aufräumte und Platz schuf für neue Führungs- und Organisationsformen. Junge, hervorragend ausgebildete Menschen strömten in die modernen Unternehmen und veränderten Althergebrachtes in rasantem Tempo. Erinnern wir uns aber auch an die publizitätsträchtigen Erfolgs- und die weit zahlreicheren Misserfolgsstories der New Economy: Junge Führungspersonen, von Hippie-Bewegung und Flower Power geprägt, rückten in die Führungs­etagen auf. Sie kannten und beherrschten ein Handwerk, von dem die älteren Führungskräfte oft keine Ahnung hatten: Sie wussten, wie man mit einem Personal Computer umgeht, manch einer von ihnen war gar ein IT-Crack. Computer und IT-Kenntnisse bedeuteten plötzlich Herrschaftswissen, Zukunft, Macht und Einfluss im Unternehmen. Andererseits wurden die Machtat­ tribute der alten Führungsgarde – Rang in der Hierarchie oder beim Militär, Zugehörigkeit zu einem Ser­vice-Club, Dienstfahrzeug der Luxusklasse usw. – immer unwichtiger. Persönlichkeiten wie Bill Gates oder Steve Jobs ­wurden zu den Vor­ bildern einer neuen Generation von Führungsleuten. Die neuen Vorbilder hatten Auswirkungen auf die Beziehungsgestaltung, aber auch auf die Form von Führung und Organisation in den Betrieben. Dies manifestierte sich in fla126

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chen Hierarchien, viel individuellem Freiraum und unkomplizierteren Umgangsformen. Die Kultur war aber auch geprägt durch die Unverbindlichkeit, um nicht zu sagen Eindimensionalität, in den Be­ ziehungen einer Generation, die in einem gewissen Wertevakuum aufwuchs. Die antiautoritäre Erziehung durch die Elterngeneration, wie sie am Ende der 1960er-Jahren in Mode kam, hinterliess ihre Spuren bei den Nachkommen. Das Ich stand im Vordergrund; das Du war nebensächlich. Klassische Grundwerte einer traditionellen Beziehungsgestaltung wurden plötzlich infrage gesellt. Neue kollektive Werte für die ausser Kraft gesetzten alten Werte wurden nicht entwickelt – ausser dem Wert der Selbstverwirklichung als persönliches Motiv. Mit einer emanzipierten, von gegenseitiger Achtung und Respekt geprägten Haltung hatte dies nicht viel zu tun. In innovativen Branchen fand die 68er-Generation eine fast unbegrenzte Spielwiese vor. In ungesättigten Märkten, diesmal im High-Tech-Umfeld wie zum Beispiel in der Telekommunikation, aber auch in traditionellen Geschäftsfeldern, wo mit SAP -Applikationen Produktions- und Vertriebsprozesse optimiert wurden, konnte der Kundennutzen unmittelbar kommerzialisiert werden. Das brachte auch mit sich, dass IT-kompetente Führungspersonen mit Phantasie und einer gewissen Portion Egoismus in die Zentren der Führung vorrücken konnten. Im Zuge dieser Entwicklung ahmten auch etablierte, noch nach alten Mustern funktionierende Organisationen die neuen Formen von Führung nach: So wurden Think-Tanks auf der grüne Wiese eingeweiht, neuartige Führungsmethoden, Outdoor-Trainings oder Selbstverwirklichungsseminare Auf der Couch: Wie viel New-Economy-Attitüde schlummert in Ihnen ? 127


eingeführt; alles mit dem Ziel, Innovation und Kreativität zu fördern. Der wenig fokussierte Laissez-faire-Führungsstil mag bei den jüngeren Mitarbeitern gut angekommen sein. Seine in­ härenten Gefahren sind jedoch augenscheinlich: Die Möglichkeit eines Zusammenstosses zwischen den Kulturen in einem Betrieb birgt ein nicht zu unterschätzendes Potenzial an Zerstörungskraft.

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Was zur端ckbleibt: ein Whirlpool

Was zur端ckbleibt: ein Whirlpool

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Spannend und lustig ist’s im Whirlpool, angenehm temperiert ist das Wasser. Die Düsen sprudeln unkontrolliert und treffen mal den einen, mal den anderen. Es macht Spass ! Der Pool ist gross genug für die ganze Belegschaft. Das fördert das Zusammengehörigkeitsgefühl. Es herrscht 24-StundenBetrieb. Hier wird gelebt und gearbeitet. Wo alles sprudelt und dampft, geht jedoch der Blick fürs Ganze leicht verloren. Macht nichts, Hauptsache man hat Spass und kann sich ausleben ! Die eigene kleine Welt ist so rund wie der Pool, und was ausserhalb oder darüber ist: Who cares ? Locker bleiben, für den Rest sorgt schliesslich die Firma, die den Whirlpool aufgestellt hat ! Die Chefs wissen ganz genau, dass die Düsen nicht nur den Körper, sondern auch den kreativen Geist massieren. Und die Mitarbeitenden wissen es auch: Ohne Whirlpool ist keine Kreativität zu haben. So sind nun einmal die Verhältnisse. Falls es mit dem Spass nicht mehr so rund läuft, kann man einfach aus dem Pool klettern – irgendwo wird sich ein neuer finden, wo man wieder einsteigen kann. Und die Firma ? Die hat dann halt einfach Pech gehabt und einen kreativen Mitarbeitenden verloren, der am liebsten um sich selbst kreist. Zum Schluss noch dies: Auf YouTube gibt es ein drolliges Filmchen über Steve Ballmer. Hüpfend wie ein Tiger, schreiend, um nicht zu sagen hysterisch rennt er vor der MicrosoftBelegschaft hin und her. Mit sich überschlagender Stimme hämmert er den Zuhörern seine Message aus vier Worten ein: «I love this company» (www.youtube.com/watch ?v=wvsboPU jrGc). Der Whirlpool ist seine Bühne. Man erkennt die Whirlpool-Kultur bereits beim Betreten des Firmengeländes. Sass bei einer hierarchisch geprägten Firma noch ein «bissiger Hund» im Pförtnerhäuschen, so fin130

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den wir in dieser neuen Kultur eine ganz andere Atmosphäre vor: In den Morgenstunden muss man noch keinen Ansprechpartner suchen. Alle erholen sich noch von den Strapazen der letzten Nacht. Nicht selten sind die Lichter in den Büros auch um 22 Uhr noch an. Dafür gibt es nur wenige Sitzungen – und wenn, dann führt man sie am liebsten ad hoc am Kaffeeautomaten durch. Wer clever ist, geht zum richtigen Zeitpunkt Kaffee trinken. Management durch Zuruf oder «Management by Lucky Punch» sind verbreitet. Unberechenbarkeit verhindert kontinuierliche Leistung. Individuen mit dem Willen, persönliche Leistung zu erbringen, finden hier aber sicherlich genügend Freiräume. Diese Kultur trifft man bei wirklich erfolgreichen Unternehmen aber selten in reiner Form an – einzelne Elemente dieser Kultur sind aber für die Zukunft wichtig. In der Beraterpraxis ist der Whirlpool ein gutes Bild, um verstaubte, zementierte oder stark normierte Strukturen aufzubrechen. Der Weg zur Emanzipation kann streckenweise über einen Umweg durch die Whirlpool-Welt erfolgen.

Was zurückbleibt: ein Whirlpool

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Literaturempfehlungen Ich erlaube mir, Ihnen an dieser Stelle einige Bücher zu empfehlen, die sich gut als Ergänzung bzw. Vertiefung der hier behandelten Themen eignen. Die Liste ist keinesfalls vollständig. Niklas Luhmanns Theorie sozialer Systeme, Armin Nassehi und Georg Kneer, UTB 2001. Einführung in die systemische Organisationstheorie, Fritz B. ­Simon, Carl-Auer Verlag 2011. Wahrheit ist die Erfindung eines Lügners, Heinz von Foerster und Bernhard Pörksen, Carl-Auer Verlag 2013. Wie wirklich ist die Wirklichkeit ?, Paul Watzlawick, Piper 2011. Die Sache mit der Führung, Dirk Baecker, Picus 2009. Die Erfindung von Führung, Burla, Alioth, Frei und Müller, vdf 1994. Vertrauen führt, Reinhard K. Sprenger, Campus Verlag 2007. Nach der Krise, Roger de Weck, Nagel & Kimche 2009.

Literaturempfehlungen

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Der Autor Der 1950 in Luzern geborene Organi­ sationspsychologe Harry Wiener studierte in Zürich und Los Angeles Psychologie und Erziehungswissenschaften und war bis 1983 Leiter einer the­ rapeutischen Einrichtung für Kinder und Jugendliche. Seit bald 30 Jahren ist er als Unternehmensberater mit seiner eigenen Firma MBS AG tätig. Zu seinen Kunden gehören sowohl mittlere und grössere Unternehmen wie auch internationale Konzerne in der Schweiz, Deutschland und den USA. Im Fokus von Wieners Beratungstätigkeit steht der Mensch im Unternehmen. Seine Kernkompetenzen kommen bei der Implementierung von Kulturwandel und ganzheitlichem Manage­ment, aber auch bei der Neudefinition von Leadership und jeder Form von Veränderungsprozessen zum Tragen. Wiener ist sowohl von der Psychologie und Systemtheorie als auch von der Betriebswirtschaftslehre beeinflusst und praktiziert einen ganzheitlichen Beratungsansatz. Sein Credo lautet: Manage­ment ist ein Beziehungsphänomen ! Neben seiner Berater- und Lehrfunktion war er während vieler Jahre in verschiedenen Verwaltungsräten tätig und hat sich dort fundierte Praxiskenntnisse angeeignet. Der Autor ist verheiratet und lebt mit seiner Frau in der Ostschweiz. www.mbs-swiss.com 182

Der Autor


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