Richtig oderfalsch?
Johannes Wyss
Hitliste sprachlicher Zweifelsfälle Herausgegeben vom Schweizerischen Verein für die deutsche Sprache ( SVDS )
Verlag Neue Zürcher Zeitung
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© 2016 Verlag Neue Zürcher Zeitung, Zürich Umschlagabbildung : Tizian Merletti Umschlag, Gestaltung, Satz : icona basel Druck, Einband : Kösel GmbH, Altusried-Krugzell Dieses Werk ist urheberrechtlich geschützt. Die dadurch begründeten Rechte, insbesondere die der Übersetzung, des Nachdrucks, des Vortrags, der Entnahme von Abbildungen und Tabellen, der Funksendung, der Mikroverfilmung oder der Vervielfältigung auf anderen Wegen und der Speicherung in Datenverarbeitungsanlagen, bleiben, auch bei nur auszugsweiser Verwertung, vorbehalten. Eine Vervielfältigung dieses Werks oder von Teilen dieses Werks ist auch im Einzelfall nur in den Grenzen der gesetzlichen Bestimmungen des Urheberrechtsgesetzes in der jeweils geltenden Fassung zulässig. Sie ist grundsätzlich vergütungspflichtig. Zuwider handlungen unterliegen den Strafbestimmungen des Urheberrechts. ISBN 978-3-03810-136-9 www.nzz-libro.ch NZZ Libro ist ein Imprint der Neuen Zürcher Zeitung
V orwort Sprachliche Zweifelsfälle sind uns allen ein ständiger Begleiter, wenn es gilt, einen Text aufzusetzen. Die meisten Zweifelsfälle im Bereich der Rechtschreibung lassen sich mit Wörterbüchern wie dem Rechtschreibduden leicht aus dem Weg räumen. Bei grammatischen Unklarheiten ist dies meist schon etwas schwieriger, auch wenn bewährte Standardwerke wie Duden : « Richtiges und gutes Deutsch », Band 9, oder « Richtiges Deutsch » von Walter Heuer, Max Flückiger und Peter Gallmann sehr hilfreich sind. Mit sprachlichen Zweifelsfällen befasst sich auch der « Sprachspiegel », die Fachzeitschrift des Schweizerischen Vereins für die deutsche Sprache. Hier werden seit 1945 in der beliebten Rubrik « Briefkasten » Fragen aus dem Leserkreis beantwortet, und zwar mit begründeten Antworten. Betreut wurde der Briefkasten in diesen Jahren von Dr. Kurt Meyer, Dr. Eugen Teucher, Dr. Hermann Villiger, Werner Frick, Max Flückiger, Jilline Bornand und Andrea Grigoleit. Die nun vorliegende Sammlung ist das Ergebnis einer Auswahl von Fragen zu Zweifels fällen, die in den vergangenen 40 Jahren am häufigsten gestellt wurden. « Richtig oder falsch ? Hitliste sprachlicher Zweifelsfälle » gliedert sich in 21 Kapitel, wobei die Fragen zu grammatischen Unsicherheiten klar im Vordergrund stehen. Behandelt werden aber auch Fragen zu Bedeutungsunterschieden bei ähnlich klingenden Wörtern, zu Formulierungen, die Missverständnisse auslösen können, und zu sprachlichen Besonderheiten in der Schweiz. Die Herausforderung bestand darin, die Fragen mit einem Minimum an grammatischen Fachbegriffen zu beantworten und zu begründen, sodass auch Sprachinteressierte ohne Studium oder höhere Schulbildung sich beim Nachschlagen und Lesen wohlfühlen. Dazu gehörte auch die Disziplin, sich bei den Begründungen auf das Wichtige zu beschränken und sich nicht in Nebenschauplätzen zu verlieren.
Die Auseinandersetzung mit sprachlichen Zweifelsfällen ist mit viel ernsthafter Arbeit verbunden, auch wenn einem gelegentlich die eine oder andere Formulierung begegnet, die sich durch unfreiwilligen Humor auszeichnet. Der junge Zeichner Tizian Merletti hat es hervorragend verstanden, mit Ideenreichtum, Witz und gekonntem Strich in die einzelnen Kapitel einzuführen. Massgeblich unterstützt hat mich bei meiner Arbeit die SAL Höhere Fachschule für Sprachberufe in Zürich ( früher Schule für Angewandte Linguistik ). Peter Rütsche, Abteilungsleiter « Journalismus », und seine Studierenden des Lehrgangs « Lektorieren » analysierten das Manuskript mit grosser Begeisterung und steuerten v iele wertvolle Anregungen und Verbesserungsvorschläge bei. Besonders freut mich die Ankündigung, dass die Sammlung in den kommenden Studiengängen als Lehrmittel eingesetzt werden soll. Für die kompetente Durchsicht des Manuskripts danke ich Dr. Werner Scholze-Stubenrecht, langjähriger Mitarbeiter und Projektleiter der Dudenredaktion, Dr. Daniel Goldstein, Redaktor des « Sprachspiegels », und dem Vorstandskollegium des Schweizerischen Vereins für die deutsche Sprache, namentlich Jilline Bornand und Dr. Jürg Niederhauser. Dass Sie als Lesende beim einen oder anderen dieser Zweifelsfälle ins Grübeln kommen, vielleicht an der Antwort oder der Begründung ( ver-)zweifeln, ist zwar nicht gewollt, aber auch nicht auszuschliessen. Zweifelsfälle sind eben Fälle, die nicht immer eindeutig sind und zum Nachdenken veranlassen. Es gibt durchaus Fälle, in denen zwei Varianten eines Ausdrucks korrekt sind. Die Auseinander setzung mit Zweifelsfällen ist oft der Ausgangspunkt für eine eingehendere Beschäftigung mit einem bestimmten sprachlichen Phänomen. Auch aus diesem Grund bin ich für alle Anregungen, Verbesserungsvorschläge und Ergänzungen im Hinblick auf eine spätere Auflage sehr dankbar.
Johannes Wyss, Schweizerischer Verein für die deutsche Sprache
I nhaltsverzeichnis Grammatische Zweifelsfälle
Soziolinguistische Unklarheiten
A Pronomen 11 B Präpositionen 17 C Konjunktionen 25 D Starke und schwache Deklination 29 E Kasus : Nominativ, Genitiv, Dativ oder Akkusativ 35 F Konjugations- und Zeitformen 51 G Zeitenfolge 63 H Kongruenz im Satz 67 I Problematische Verkürzungen 75 J Fugenelemente 81 K Satzstellung 87 L Weitere Zweifelsfälle 91
R Helvetismen 133 S Standardsprache versus Umgangssprache 141 T Geschlechtergerechte Sprache 145 U Weitere Zweifelsfälle 149
Semantische Unsicherheiten M N O P Q
Kleinere und grössere Bedeutungsunterschiede 99 Pleonasmen und Tautologien 109 Missverständliche Formulierungen 115 Fehlkoppelungen / doppelte Verneinung 121 Weitere Zweifelsfälle 127
Anhang Glossar 152 Literaturverzeichnis 163 Sach- und Wortregister 165 Porträt des Schweizerischen Vereins für die deutsche Sprache ( SVDS ) 173 Der Autor 175 Der Illustrator 176
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E   Kasus : Nominativ, Genitiv, Dativ oder Akkusativ
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Grammatische Zweifelsfälle
E
Kasus : Nominativ, Genitiv, Dativ oder Akkusativ
Der Kasus ( der grammatische Fall ) gibt an, welche grammatische Funktion ein Nomen ( oder ein Pronomen ) in einem Satz innehat. Im Deutschen werden vier Kasus unterschieden : Nominativ, Genitiv, Dativ oder Akkusativ. Das Subjekt des Satzes steht immer im Nominativ. Die anderen Nomen oder Pronomen im Satz sind Objekte ( Genitiv, Dativ, Akkusativ ). Die Wahl des Kasus ist teilweise von anderen Wortarten abhängig. Verben, Substantive, Adjektive und Präpositionen können einen Kasus regieren. Das bedeutet, dass diese Wortarten bestimmen, welchen Kasus sie als Ergänzung brauchen. Die verschiedenen Kasus ( Fälle ) werden durch Endungen angezeigt, doch es gibt nicht für jeden Fall eine Endung. Deshalb kann man vor allem am Artikel, der ein Nomen begleitet, nicht nur das grammatische Geschlecht ( Genus ), sondern auch den Fall ( Kasus ) ablesen. Beispiel : der Baum, des Baums, dem Baum, den Baum. Besonders bei der Mehrzahl ( Plural ) kommt dem Artikel als Begleiter die Aufgabe der Kasuskennzeichnung zu. Beispiel : die Pflanzen, der Pflanzen, den Pflanzen, die Pflanzen.
E Kasus : Nominativ, Genitiv, Dativ oder Akkusativ
Kasusunsicherheiten bei Präpositionen E 1
Hergestellt auf über 1000 Meter / Metern über Meer. Welche Deklinationsform ist richtig ?
Die Präposition auf verlangt auf die Frage wo ? den Dativ, auf die Frage wohin ? den Akkusativ. Richtig ist also : Wo wird etwas hergestellt ? – auf über 1000 Metern über Meer. Hingegen : Der Nebel stieg auf über 1000 Meter über Meer. Allerdings gibt es heute bei männlichen und sächlichen Massbezeichnungen auf -er auch Formen mit und ohne Dativendung. Daher sind beide Varianten – auf über 1000 Metern und auf über 1000 Meter – möglich.
E 2
Sagt man betreffend die Forderung oder betreffend der Forderung ?
Nach der Präposition betreffend kann nur der Akkusativ verwendet werden ( wen betreffend ? ). Richtig ist somit : betreffend die Forderung. Die Formulierung erinnert allerdings an veralteten Kanzleistil. Natürlicher wäre z. B. … die die Forderung betreffen.
E 3
Wir fahren dem Rhein entlang. Stimmt es, dass das nicht richtig ist ?
Ja, es muss heissen : Wir fahren den Rhein entlang. Die Kasuswahl der Präposition entlang hängt von deren Stellung ab. Wenn die Präposition entlang vor dem Substantiv steht, verlangt sie den Genitiv ( entlang des Rheins ). Im Schweizerhochdeutschen ist auch der Dativ korrekt ( entlang dem Rhein ). ( Siehe auch « R Helvetismen ». ) Wenn die Präposition hinter dem Substantiv steht, wird der Akkusativ verlangt ( den Rhein entlang ).
37
62
Grammatische Zweifelsfälle
F 18
Wir hatten den Wagen vorbeifahren hören / gehört. Steht das Verb hier im Infinitiv oder in der Partizipform ?
Beides ist möglich. Bei bestimmten Verben, die sich mit einem Infinitiv kombinieren lassen, wird das Partizip II ( Partizip Perfekt ) in den mit « haben » gebildeten Zeitformen durch den Infinitiv ersetzt, den sogenannten Ersatz infinitiv. Bei den Modalverben « dürfen », « können », « mögen », « müssen », « sollen », « wollen » und bei « brauchen » ist der Ersatz obligatorisch, z. B. : Es hat so kommen müssen. Sie haben leider nicht kommen können. Bei den Verben « fühlen », « helfen », « hören » und « lassen » ist er fakultativ. Demnach sind beide Varianten korrekt : Wir hatten den Wagen vorbeifahren hören / gehört.
F 19
Wir werden klarer sehen, wenn Bern ja gesagt haben wird. Ist haben wird richtig ?
Falsch ist es nicht, aber schwerfällig. Das Futur ( die Zukunft ) mit « werden » drückt man im Deutschen vor allem dann aus, wenn der Sachverhalt sonst nicht klar genug ist. Der Gliedsatz kann also auch bloss im Perfekt ( vollendete Gegenwart ) stehen : Wir werden klarer sehen, wenn Bern ja gesagt hat. Ja sogar das « werden » im Hauptsatz kann wegbleiben : Wir sehen klarer, wenn Bern ja gesagt hat. ( Siehe auch « G Zeitenfolge ». )
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G Zeitenfolge
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Grammatische Zweifelsfälle
G Zeitenfolge Im Gegensatz zu anderen Sprachen kennt das Deutsche keine streng geregelte Folge der Zeiten. In längeren geschriebenen Texten herrscht zwar gewöhnlich das Präsens oder das Präteritum vor, aber es gibt keine obligatorische Zeitenabfolge in aufeinanderfolgenden Sätzen. Nur bei Nebensätzen, die von einem Hauptsatz abhängig sind, lassen sich gewisse Tendenzen beobachten, die allerdings nicht immer streng eingehalten werden. Bei der Abhängigkeit zwischen Haupt- und Nebensatz kommen drei Abhängigkeitsverhältnisse vor : Gleichzeitigkeit, Vorzeitigkeit und Nachzeitigkeit. Gleichzeitigkeit Wenn das Geschehen im Haupt- und im Nebensatz gleichzeitig abläuft, verwendet man in der Regel in beiden Sätzen das gleiche Tempus. Beispiel : Da es regnet, spielen die Kinder im Haus. Die Gleichzeitigkeit darf auch durch verschiedene Tempora ausgedrückt werden. Voraussetzung ist aber, dass nur Zeiten der Nicht-Vergangenheit oder nur Zeiten der Vergangenheit verwendet werden. Beispiel Präsens + Futur I : Wenn es regnet, werden die Kinder im Haus spielen. Beispiel Präteritum + Perfekt : Da es regnete, haben die Kinder im Haus gespielt.
G Zeitenfolge
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Vorzeitigkeit Wenn sich das Geschehen im Nebensatz vor dem Geschehen im Hauptsatz abspielt, gelten u. a. folgende Tendenzen : Steht im Hauptsatz das Präsens, steht im Nebensatz meistens das Perfekt. Beispiel : Ich verstehe das Problem besser, nachdem ich Ihren Brief gelesen habe. Steht im Hauptsatz das Präteritum, steht im Nebensatz meistens das Plusquamperfekt. Beispiel : Ich verstand das Problem besser, nachdem ich Ihren Brief gelesen hatte. Nachzeitigkeit Wenn das Geschehen im Nebensatz nach dem Geschehen im Hauptsatz abläuft, können die Tempora ähnlich wie bei der Gleichzeitigkeit oder umgekehrt wie bei der Vorzeitigkeit verwendet werden. Beispiel : Bevor sie schlafen gehen, trinken sie einen Cognac. Oder : Bevor sie schlafen gehen werden, trinken sie einen Cognac. Oder : Bevor sie schlafen gehen, werden sie einen Cognac trinken.
G1
Weil unser Vorhaben vorbesprochen worden ist / wurde / worden war, hat uns Ihre Stellungnahme überrascht. Wie ist in diesem Satz die Zeitenfolge ?
Der Hauptsatz hat uns Ihre Stellungnahme überrascht steht im Perfekt, der vorausgehende Gliedsatz ist gegenüber dem Hauptsatz vorzeitig, muss also im Plusquamperfekt stehen. Deshalb ist hier richtig : Weil unser Vorhaben vorbesprochen worden war, … ( Siehe auch « F Konjugations- und Zeitformen ». )
96
Grammatische Zweifelsfälle
L 10
Wie verhält es sich mit Wortbildungen Zusammensetzungen mit möglich sind im Grunde nur möglich, wenn der erste Teil ein steigerbares Adjektiv ist, wobei dieses die Superlativendung wie baldmöglichst, grösstmöglichst, aufzeigt : grösstmöglich. schnellmöglichst, bestmöglichst ? Da bald aber Adverb ist und erst noch unregelmässig gesteigert wird ( bald, eher, am ehesten ) müsste es eigentlich ehestmöglich heissen, was aber unüblich ist. Da nun möglich in solchen Verbindungen nicht zu steigern ist, muss ein solches Wort aufgelöst werden : so bald wie möglich. Eine doppelte Steigerung wie in bestmöglichst ist ohnehin falsch ; es kann nur bestmöglich heissen. Alle diese Verbindungen können umgekehrt formuliert werden, was aus Gründen der Verständlichkeit und Lesbarkeit klar vorzuziehen ist : möglichst bald, möglichst gross, möglichst schnell, möglichst gut.
L 11
Mitteilungen liegen nicht / keine vor. Ist hier nicht oder keine vorzuziehen ?
Grundsätzlich sind beide Wörter verwendbar, keine hebt aber die Aussage stärker hervor. Variante : Es liegen keine Mitteilungen vor.
Semantische Unsicherheiten
108
Semantische Unsicherheiten
Man nimmt eine Sache leicht oder schwer, aber nicht schwierig.
Der eine oder andere wird im Alter schwieriger, aber nicht unbedingt schwerer.
Wo das nächste Konzert stattfinden wird, ist noch offen.
In Griechenland ereignen sich immer wieder Erdbeben.
Ich verbiete Ihnen, mein Grundstück nochmals zu betreten.
Ich verbitte mir diesen Ton !
Ich versichere dich meiner Freundschaft.
Ich versichere dir, dass es so ist.
In einem Wörterbuch sind die Wörter alphabetisch aufgeführt.
Worte sind zusammenhängende Äusserungen. Du sprichst ein grosses Wort gelassen aus ( in Goethes « Iphigenie » ). Hast du Worte ? Der Worte sind genug gewechselt.
gleichzeitig : Ereignisse, die zur gleichen Zeit stattfinden Zeitgleich sagt nur etwas über die Dauer eines Ereignisses aus. Zwei haben z. B. dieselbe Zeit für eine Strecke benötigt ; sie können diese aber durchaus zeitversetzt absolviert haben. jemandem etwas zumuten : meist etwas Unangenehmes verlangen ( eine Zumutung ! )
jemandem etwas zutrauen : an seine Fähigkeit, an seine Leistung glauben
109
N   Pleonasmen und Tautologien
O) Pleonasmen und Tautologien
110
Semantische Unsicherheiten
N
Pleonasmen und Tautologien
Mit einem Pleonasmus ( deutsche Bezeichnung : Überfluss ) wird in einer Wortgruppe ein Wort oder Wortteil hinzugefügt, dessen Bedeutung / Inhalt im Gesagten oder Geschriebenen bereits enthalten ist. Beispiele : alter Greis, aktive Tätigkeit, gutes Gelingen, obligatorische Schulpflicht, freiwillige Spenden, neu renovieren ; die Pflicht, etwas tun zu müssen ; die Erlaubnis, etwas tun zu dürfen ; die Fähigkeit, etwas tun zu können. Bei einem pleonastischen Ausdruck sind oft zwei verschiedene Wortarten im Spiel ( z. B. Adjektiv und Substantiv : runde Kugel ; oder Adjektiv und Verb : nutzlos vergeuden. Pleonasmen sind nicht immer leicht zu erkennen : vorprogrammiertes Chaos, Aussenfassade, dichtes Gedränge. Pleonastische Fügungen kommen auch in Satzform vor : Gestatten Sie, dass ich mich beteiligen darf. Pleonasmen werden oft als rhetorisches Mittel eingesetzt, um Inhalte doppelt oder mehrfach mit unterschiedlichen, aber gleichbedeutenden Wörtern auszudrücken und damit das Gesagte bewusst zu verstärken. Beispiel : Ich habe es selbst gesehen, mit meinen eigenen Augen. Ähnliches gilt für : vor vollendete Tatsachen stellen, persönlich anwesend sein oder nochmals wiederholen. Pleonastische Wortschöpfungen ohne erkennbar beabsichtigten rhetorischen Hintergrund gelten als schlechter Sprachstil. Bei der Tautologie ( deutsche Bezeichnung : die gleiche Aussage ) handelt es sich um eine verwandte Form der semantischen Redundanz ( Überfluss ). Hier wiederholen sich in einer Wortgruppe sinnverwandte ( synonyme ) Wörter oder in einem Wort wortbildende Teile. Beispiele : schlussendlich, rein netto, schon bereits, Wasserfontänen, Fusspedal, Tragbahre, Grundprinzip.
N Pleonasmen und Tautologien
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Tautologien begegnen wir oft bei bewusst bedeutungsverstärkenden Wortpaaren wie ganz und gar, nie und nimmer, immer und ewig, einzig und allein, angst und bange, schlicht und einfach, aus und vorbei, still und leise, Schimpf und Schande. Tautologien als rhetorisches Stilmittel gibt es auch in der Literatur, wie der folgende Satz aus Büchners « Woyzeck » zeigt : Hauptmann zu Woyzeck : Moral, das ist, wenn man moralisch ist. Die Grenze zwischen Pleonasmen und Tautologien ist fliessend ( sicheres und gewinnendes Auftreten, amtlich bewilligter Sonderverkauf ), weshalb einige Grammatiken auf die Unterscheidung verzichten.
N 1
Ist wie zum Beispiel nicht ein Streng genommen ja : wie und zum Beispiel, die in ihrer Funktion eine Pleonasmus ( eine Sinnverdoppelung ) ? Aufzählung einleiten, lassen sich gleichbedeutend auch allein verwenden. Dennoch ist dieser Pleonasmus durchaus gebräuchlich. Wie als Vergleichswort lässt sich aber nicht durch zum Beispiel ersetzen : Er ist gleich gross wie sein Vater.
N 2
Handelt es sich beim Ausdruck die überwiegende Mehrheit nicht um einen Pleonasmus, da jede noch so kleine Mehrheit zwangsläufig überwiegt ?
Duden, Band 9, schreibt dazu : Fügungen wie die überwiegende Mehrheit und die überwiegende Mehrzahl sind vom logischen Standpunkt aus Pleonasmen, denn eine Mehrheit überwiegt immer. Es soll hier mit überwiegend aber ausgedrückt werden, dass es sich um deutlich mehr als die einfache Mehrheit und deutlich weniger als das Ganze handelt.
Um differenziert auszudrücken, wie stark eine Mehrheit zustande gekommen ist, bieten sich noch zahlreiche weitere Formulierungen an : Der Präsident wurde mit geringer, knapper, grosser oder überwältigender Mehrheit gewählt.
114
Semantische Unsicherheiten
Vergleichbare Fälle :
Jeder Vierte in unserer Stadt war bereits schon einmal arbeitslos.
Jeder Vierte in unserer Stadt war schon einmal arbeitslos.
Der Bundesrat hat seine Absicht, aus der Kernenergie aussteigen zu wollen, erneut bekräftigt.
Die Absicht … zu wollen steht auf gleicher Stufe mit dem Zwang … zu müssen, der Pflicht … zu sollen, der Erlaubnis … zu dürfen und der Möglichkeit … zu können.
Ich freue mich auf Ihre Rückantwort.
Unter Rückantwort verstehen wir die Antwort auf eine schriftliche oder telefonische Anfrage. Insofern kann hier nicht ohne Weiteres von einem überflüssigen Zusatz gesprochen werden.
Sie trafen sich zum gemeinsamen Gespräch.
Als wenn man allein ein Gespräch führen könnte, abgesehen vom Selbstgespräch ! Sie trafen sich zum Gespräch.
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O Missverst채ndliche Formulierungen
P) Missverst채ndliche Formulierungen
Soziolinguistische Unklarheiten
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Soziolinguistische Unklarheiten
R Helvetismen Als Helvetismen bezeichnen wir die schweizerischen Varianten des Hochdeutschen. Es sind Besonderheiten der deutschen Standardsprache, die sich im Laufe der Sprachgeschichte in unserem Land herausgebildet haben. Beispiele : ankünden ( für « ankündigen » ), Baumstrunk für « Baumstumpf » ), Beschrieb ( für « Beschreibung » ), Einvernahme ( für « gerichtliche oder polizeiliche Befragung » ), innerorts ( für « innerhalb der Ortschaft » ), Morgenessen ( für « Frühstück » ), Schulzimmer ( für « Klassenzimmer » ), werweissen ( für « hin und her überlegen » ). Wir unterscheiden zwischen spezifischen und unspezifischen Helvetismen. Spezi fische Helvetismen sind in ihrer Verwendung auf die Schweiz beschränkt, während unspezifische Helvetismen auch über die Schweiz hinaus gebraucht werden ( z. B. in Süddeutschland oder Österreich ), jedoch nicht im gesamten deutschen Sprachgebiet. Der 2012 erschienene Duden « Schweizerhochdeutsch », herausgegeben vom Schweizerischen Verein für die deutsche Sprache, enthält mit einem Umfang von rund 3000 Wörtern die prägnantesten standardsprachlichen Helvetismen, die in schweizerischen Texten als angemessen und korrekt gelten. Helvetismen sind nicht fehlerhafte Abweichungen von der Standardsprache, sondern gleichberechtigte, korrekte Erscheinungsformen der deutschen Sprache. Weil die Abgrenzung zwischen Schweizerhochdeutsch und Mundart fliessend verläuft, enthält dieser Duden auch Helvetismen mit eher umgangssprachlichem Charakter. Diese Wörter sind mit dem Vermerk « mundartnah » gekennzeichnet, damit der Benutzer weiss, dass er sie nur in weniger formellen Texten einsetzen sollte.
R Helvetismen
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Varianten des Schweizerhochdeutschen manifestieren sich auf allen Ebenen der Sprache : in Aussprache, Schreibung, Wortbildung, Wortschatz, Sprachverwendung und auch in der Grammatik. Auf einige dieser Besonderheiten gehen die folgenden Beispiele zu sprachlichen Zweifelsfällen ein.
Helvetismen, die nur in der Schweiz verwendet werden (spezifische Helvetismen) R 1
Schreibt man Résumé oder Resümee ?
Beides ist richtig, in der Schweiz ist jedoch die französische Schreibung Résumé vorzuziehen.
R 2
Schreibt man Menue, Menu oder Menü ?
In Deutschland schreibt man Menü, im Schweizerhochdeutschen aber auch die französische Form Menu. Die Schreibweise Menue ist falsch.
R 3
Heisst es Wissenschafter oder issenschaftler ? W
Die Form, die wir in Deutschland kennen, lautet Wissenschaftler. Die Variante ohne « l » ist ein Helvetismus, also Schweizerhochdeutsch.
R 4
Der Auftrag endet mit dem ernehmlassen des Konzepts. V Ist das so korrekt ?
Nein, denn das Verb vernehmlassen gibt es gar nicht. Es muss daher durch das Substantiv Vernehmlassung ersetzt werden, wobei allerdings zu bedenken ist, dass dieses Wort nur in der Schweiz gebräuchlich ist. In Texten, die im ganzen deutschen Sprachgebiet verstanden werden sollen, muss es durch Stellungnahme oder Verlautbarung ersetzt werden.
172
Anhang
Zeichentisch / Zeichnungstisch 138 Zeitenfolge 64 Zeitformen 51, 61, 66 zeitgleich / gleichzeitig 108 Zerfall / Verfall 102 zu / zu den / zum / zur 24 Zukunft 62 zumutbar / zuzumuten 124 zumuten / zutrauen 108 zur / als 28 zurückbuchstabieren 136 zusammengesetzte Wörter 82 Zwang … zu müssen 114 zweiteiliges Subjekt 72
173
Porträt des Schweizerischen Vereins für die deutsche Sprache ( SVDS ) Seit mehr als 110 Jahren leistet der SVDS einen Beitrag zur Förderung des kompetenten Umgangs mit der deutschen Sprache. Ein besonderes Anliegen ist dem Verein die Pflege des Schweizerhochdeutschen, der Helvetismen, die in unserer Schriftsprache als korrekt gelten. Deshalb hat er vor über 50 Jahren den schweizerischen Dudenausschuss ins Leben gerufen, der die Helvetismen sammelt, sichtet und anschliessend zur Aufnahme in die verschiedenen Wörterbücher an den Dudenverlag weiterleitet. In diesem Zusammenhang hat der SVDS im Jahr 2012 den Duden « Schweizerhochdeutsch » mit rund 3000 Helvetismen herausgegeben. Das zentrale Instrument des SVDS ist die Zweimonatsschrift « Sprachspiegel », mit der seit 1945 die Entwicklung der deutschen Sprache in der Deutschschweiz aufmerksam verfolgt und auch für Laien verständlich präsentiert wird. Der « Sprachspiegel » richtet sich an Personen, die beruflich mit der deutschen Sprache zu tun haben – Lektoren, Korrektoren, Journalisten, Texter, Juristen, Germanisten, Lehrkräfte und Studierende –, sowie an alle Leserinnen und Leser, die Freude an der Sprache haben und ihre Sprachkompetenz weiter verbessern möchten. Jede Ausgabe befasst sich thematisch mit einem Schwerpunkt, wie etwa « Sprache in der Politik », « Mundart im Wandel », « Sprache und Denken », « Wissenschaft ohne Deutsch ? » oder « Recht sprechen ». Der SVDS bietet in Zusammenarbeit mit der SAL Höhere Fachschule für Sprachberufe, Zürich, eine öffentliche, kostenlose Sprachauskunft an ( E-Mail-Adresse für Anfragen : auskunft @ sprachverein.ch ). Die Rubrik « Briefkasten » im « Sprachspiegel » beantwortet jeweils die interessantesten sprachlichen Zweifelsfälle, die sich aus dieser Sprach auskunft ergeben. Artikel aus dem « Sprachspiegel » werden immer wieder in wissenschaftlichen Publikationen z itiert. Mit einem Abonnement des « Sprachspiegels » werden Sie automatisch Mitglied des Schweizerischen Vereins für die deutsche Sprache.
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Anhang
Der SVDS gibt auch Bücher zu verschiedenen Themen der deutschen Sprache heraus. Neben dem erwähnten Duden erschienen in den letzten Jahren das Jubiläumsbuch « Deutsch in der Schweiz, Hundert Jahre Schweizerischer Verein für die deutsche Sprache ( SVDS ) » und die Publikation « Worthülsenfrüchte, 83 Sprachbetrachtungen » von Peter Heisch. Zu Fragen der Sprachpolitik äussert sich der SVDS wenn möglich im Verbund mit befreundeten Vereinen, die ähnliche Ziele verfolgen. Nähere Informa tionen zum SVDS erhalten Sie unter www.sprachverein.ch.
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D er Autor Johannes Wyss, geb. 1946, war in ganz jungen Jahren Lehrer und Werbetexter, befasste sich aber den Grossteil seines Erwerbslebens mit Aufgaben der betrieblichen Ausund Weiterbildung in einer Grossbank. Dabei war die deutsche Sprache sein ständiger Begleiter, sei dies in der Leitung von Stilistik- und Führungsseminaren oder bei redaktionellen Aufgaben. Im Auftrag der Schweizerischen Bankiervereinigung verfasste er für die Kandidaten der höheren eidg. Diplomprüfungen das Lehrbuch « Aufsatz coaching ». In den letzten Berufsjahren leitete er die Weiterbildungsberatung der Bank. Johannes Wyss war während Jahrzehnten Prüfungsexperte auf verschiedenen Stufen. Seit 20 Jahren ist er Präsident des Schweizerischen Vereins für die deutsche Sprache ( SVDS ). Auf seine Initiative hin erschien 2012 der Duden « Schweizerhochdeutsch ».
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Anhang
D er Illustrator Tizian Merletti, geb. 1990, machte seine ersten Hundeerfahrungen bereits als kleiner Junge, als ihn Grossmutters Maltesermännchen ins Gesicht biss. Später musste Tizian Merletti oft das elterliche Hundeweibchen « Leila » Gassi führen. Nach dessen Tod 1999 füllte er die neu gewonnene Freizeit unter anderem mit Zeichnen, was ihn 2011 an die Kunsthochschule in Luzern führte. 2015 schloss er sein Illustrations studium ab.