15 minute read

STORY BUSINESS

Next Article
BRANCHE

BRANCHE

Masken und Loungewear, E-Commerce- und Platt formbusiness, Flexibilität und verändertes Konsumverhalten, Lokalität und faire Partnerschaften – die Pandemie hinterlässt nach knapp einem Jahr ihre Spuren in allen Geschäftsbereichen der Mode- und Textilbranche. Wir rekapitulieren, analysieren und schauen nach vorne, denn 2021 gilt es, Neues zu wagen und Chancen beim Schopfe zu packen – und vor allem: weiterzumachen.

(Text) Christina Noli (Bilder) Imaxtree

Advertisement

«Mode als Aktivismus hat in diesem Jahr nichts an Schärfe eingebüsst» so die Aussage des jüngst veröff entlichten Trendberichts 2020 der Trendforschungsagentur Lyst. Das aussergewöhnliche Jahr brachte einige interessante Entwicklungen zutage. Masken und Loungewear als neue Umsatzbringer, Business- und Anlassmode als grosse Verlierer, ein Minus entlang der gesamten Wertschöpfungs- und Lieferkette, und mittendrin versuchen sich Handel, Vertrieb und Industrie irgendwie durch die Krise zu manövrieren. Die im Frühling aufgetretenen Liefer(ketten)probleme konnten vielerorts mittlerweile behoben werden, doch die Branche ächzt und stöhnt angesichts der zweiten Corona-Welle, die seit Oktober längst nicht nur den Schweizer Markt in ihren Krallen hält. Der omnipräsente Bedarf an höchster Flexibilität geht nach elf Monaten Planungs- und Budgetunsicherheit vielen an die Substanz. Der Wunsch nach echter Normalität wird – auch angesichts des auf die Stimmung drückenden grauen Winterhimmels – immer lauter. Doch eben dieses Schlüsselprinzip der Agiliät wird neben operativer Belastbarkeit im kommenden Jahr eine entscheidende Rolle spielen. «Flexibilität und gleichzeitig aber auch umsichtiges Planen und Handeln sind gefragter denn je, gerade jetz wo Entwicklungen nicht vorhersehbar sind», ist auch Maximilian Böck, CRO/Co-CEO Marc O’Polo, überzeugt. «Unsere frühzeitigen und langfristigen Investitionen vor allem in digitale Infrastrukturen zahlen sich aus, um die Krise erfolgreich zu meistern.»

DIE SCHWEIZ, EIN LAND DER WIRTSCHAFT

Während in den Nachbarländern aufgrund der zweiten Welle vor Weihnachten ein sogenannter «Lockdown light» oder sogar ein zweiter Lockdown das öff entliche Leben erneut zum Erliegen gebracht hat, ist jenes von uns Schweizern – ausser im Bezug auf Maskenpfl icht und Homeoffi ce – bis Redaktionsschluss am 17. Dezember bedeutend weniger eingeschränkt. Die ersten Dezemberwochenenden in den Innenstädten erinnern – abgesehen von Masken und fehlenden Weihnachtsmärkten – an andere Jahre. Doch die Bilder täuschen, denn auch wenn Hochfrequenzlagen freitags, samstags und sonntags für die aktuelle Situation eigentlich zu voll sind, sind die Frequenzen von Wochentag zu Wochentag und von Stadt zu Land sehr unterschiedlich. Unter dem Strich fehlt Ende 2020 bei allen Geld in der Kasse. Ein Minus von rund 20 bis 30 Prozent wird von vielen Branchenvertretern mittlerweile bestätigt. War der Einbruch im Frühling gross, erholte sich die Wirtschaft vielerorts durch den Sommer ausserordentlich gut, bis die zweite Welle diese Entwicklung abrupt wieder stoppte. Wie die «Handelszeitung» Anfang Dezember schreibt, hat sich die Schweizer Wirtschaft «im dritten Quartal vom Corona-Absturz im Frühling sehr gut erholt». Das Bruttoinlandsprodukt stieg in der Periode von Juli bis September 2020 im Vergleich zum Vorjahr um ganze 7,2 Prozent. Laut dem Seco haben sich die Binnennachfrage und Teile des Dienstleistungssektors ebenfalls gut regeneriert, jedoch laste die internationale Entwicklung auf den Exporten. Das schreibt auch Swiss Textiles in ihrem Konjunkturbericht: Im dritten Quartal wurde Bekleidung für 638 Millionen Franken exportiert, was einem Plus von 3,3 Prozent und retourenbereinigt 233 Millionen Franken und einem Plus von 1,8 Prozent entspricht. Im Vergleich mit anderen Industriezweigen entwickelte sich der Aufschwung in Sektor Bekleidung und Textilien dynamischer. Leider war diese Entwicklung aufgrund steigender Covid19- Infektionszahlen nicht von Dauer. Der Export von Textilien belief sich auf einen Wert von 288 Millionen Franken, was einem Minus von 2,4 Prozent entspricht. Die wichtigsten Handelsregionen für Schweizer Unternehmen sind Europa (Juli bis September, Bekleidung: ca. 605 Mio. CHF; Textilien: 207 Mio. CHF), gefolgt von Asien (Juli bis September, Bekleidung: 59 Mio. CHF; Textilien: 55 Mio. CHF) und Nordamerika (Juli bis September, Bekleidung:

ca. 17 Mio. CHF; Textilien: 15 Mio. CHF). Die Stimmung ist laut Swiss Textiles trotz der nationalen und internationalen Korrektur der Wirtschaftsentwicklung nach oben verhalten, diverse Schweizer Unternehmen rechnen mit Personal- und Auftragsabbau in den kommenden Monaten, auch wenn eine Mehrheit an eine Stabilisation der Geschäfte glaubt. Auch der November-KOFKonjunkturbarometer schwächte sich um 2,8 auf 103,5 Punkte ab. Die jüngsten Entwicklungen des Barometers der Konjunkturforschungsstelle der ETH Zürich trüben also die Aussicht der Schweizer Wirtschaft, diese sind in erster Linie auf eine Abschwächung beim verarbeitenden Gewerbe und beim privaten Konsum zurückzuführen. So erwarten Experten im ersten Halbjahr 2021 auch nur wenig Besserung. Beeinflusst werden die Entwicklungen auch von dem Thema Impfung, auf das zurzeit alle Augen gerichtet sind. «Es kann und muss besser werden. Ich hoffe, es kommt eine gewisse Normalität zurück in den Alltag, sodass die Leute wieder reisen, sich frei bewegen und das Leben geniessen können. Nach meiner Einschätzung kommt der Aufschwung aber erst im zweiten Halbjahr», so die Prognose von Romano Maspero, CEO Wholesale der Bollag-Guggenheim Fashion Group.

EIN GLOBALES PROBLEM

Gemäss einer Prognose des Beratungsunternehmens Bain muss die Luxusindustrie 2020 einen Rückgang von 23 Prozent auf 217 Milliarden hinnehmen. Das entspricht dem grössten Rückgang überhaupt und ist der erste seit 2009. Doch speziell im Luxusbereich muss stark zwischen Europa/Amerika und Asien unterschieden werden. Denn in China sind die Verkäufe seit dem Ende des Lockdowns im Frühjahr um bis zu 45 Prozent angestiegen. Federica Levato, Partnerin bei Bain, stellt gegenüber «The Business of Fashion» (BOF) fest: «Wir erleben eine Welt mit zwei Geschwindigkeiten, wobei Europa und die USA stark von der zweiten Welle betroffen sind, während China Tag für Tag unaufhaltsam an Fahrt gewinnt.» Konzerne wie LVMH oder Kering dürften sich 2021 teilweise erholen, obwohl das Beratungsunternehmen davon ausgeht, dass es bis Ende 2022 oder sogar bis 2023 dauern wird, bis das Niveau von 2019 wieder erreicht sein wird. Die Auswirkungen auf die Gesamtindustrie werden ebenfalls ungleichmässig sein. Laut der Studie «The State of Fashion 2021» von (BOF) in Zusammenarbeit mit McKinsey wird erwartet, dass Europa mit einem Umsatzrückgang von 22 bis 35 Prozent rechnen muss, gefolgt von den USA mit einem Minus von 17 bis 32 Prozent. Chinas Rückgang prognostiziert die Studie mit 7 bis 20 Prozent als am wenigsten einschneidend. Auch die Erholung schwankt je nach Kategorie und Segment. So besagt die BOFMcKinsey-Studie, dass die Discounter weniger betroffen seien als die Luxusindustrie und dass das Mainstream- und Premiumsortiment am meisten Federn wird lassen müssen. Dieser Trend zur Polarisierung zwischen den Segmenten mache sich aber auch nicht erst seit der Pandemie bemerkbar, so die Autoren.

GEWINNER UND VERLIERER

«Wir konnten vor allem im Bereich Home & Living einen starken Zuwachs verzeichnen. Aber auch in der Parfümerie, was vor allem auf den Verkauf von Masken und Desinfektionsmitteln zurückzuführen ist», so Enes Zekovic, Leiter Einkauf Loeb auf Anfrage der textilrevue. Anne Zenhäusern, Co-Geschäftsleitung Mode Bernheim, erklärt zudem: «Sehr gefragt waren bei uns bequeme und sportive Teile. Auch wer zu Hause arbeitet, mag etwas Schönes anziehen, es muss einfach bequem sein. Weniger Nachfrage herrschte bei Anzügen und festlicher Mode, da fehlten ganz klar die Gelegenheiten, diese Outfits zu tragen.» Auch das Ranking der globalen Analyseplattform Lyst zeigt diese Entwicklungen auf: Masken, Loungewear und Hauskleider sind die Kategorien, die 2020 Terrain gut machen konnten. Im Lyst-Trendbericht «Year in Fashion 2020» heisst es, dass im vergangenen Jahr nichts so war, wie erwartet, und dass die Pandemie für so gut wie alle Trends ausschlaggebend war. Praktisches, Bequemes, alles mit einer elastischen Taille war gefragt. Laut der Suchmaschinen-Analyse von Lyst gehörten Birkenstock, UGG und Nike-Sneakers neben Gesichtsmasken, Sporthosen und bequemen Kleidern für zu Hause auf die vordersten Plätze. Business- und Festivewear sind die grossen Verlierer des Jahres. Stefano Canali, CEO Canali, glaubte laut BOF bereits im Juni 2020, dass der «traditionelle Anzug definitiv in einer tiefen Krise» stecke, welche die «Pandemie überdauern werde». Die verschiedenen Analysen und Studien zum Aufwärtstrend von Sport- und Aktivkleidung sowie die fortschreitende Casualisierung scheinen ihm recht zu geben.

DIE TREIBER: DIGITAL, NACHHALTIG, LOKAL

«Digitalisierung, zu viel Retail-Fläche, verändertes Konsumverhalten – alle diese Entwicklungen zeichneten sich schon vor Covid-19 ab», erklärte Karl-Hendrik Magnus, Senior Partner bei McKinsey & Company am Modehandelskongress 2020 der «Textilwirtschaft» und des deutschen BTE Handelsverband Textil. «Wir haben ein sechsjähriges Onlinewachstum in zehn Monaten gesehen», so der Experte weiter. Digital-Experte Stefan Wenzel findet noch klarere Worte: «Alles verschiebt sich zu Mobile; Desktop-ECommerce gilt bereits als das neue Offline.» Die Bain-Studie untermauert die Aussagen der Experten, denn 2020 haben sich die Onlinekäufe von 12 Prozent im Jahr 2019 auf 23 Prozent im 2020 beinahe verdoppelt. Und die Richtung zeigt klar nach oben, ein Umkehren des Trends scheint ausgeschlossen. Und auch wenn das Plattform-Business von Zalando, Aboutyou und vielen anderen Playern im Zuge der Krise in erster Linie für Marken – aber auch für Händler – verlockend ist, um die Lagerbestände loszuwerden und Umsatz zu generieren, so gibt man laut Magnus genau das aus der Hand, was das Potenzial des stationären Handels ist: die Kenntnis der eigenen Kunden. Es gibt auch noch einen anderen Punkt, den der Handel für sich entscheidet: der Bezug zum Lokalen und Regionalen. Jelmoli-Chefin Nina Müller weiss mit rund 90 Prozent Schweizer Kunden um die Bedeutung der lokalen Klientel – und setzt vermehrt auf Marken und Produkte aus der Schweiz. Etwas, das eine anonyme Plattform wie Zalando nie wird bieten können. So lautet der Rat von vielen Experten, sich auf die eigenen Wurzeln, seine Stammkundschaft und in diesem Zusammenhang eben auch auf das Lokale zu besinnen. Anne Zenhäusern, Mode Bernheim, sagt

Die sorgenfreie Modemeute an den Fashionweeks rund um den Globus.

auf Anfrage: «Wir wünschen uns von unseren Kunden und Kundinnen, dass sie weiterhin den stationären Handel unterstützen. Wer lokal einkauft, setzt sich für das Gewerbe in der Region ein und sichert dessen langfristigen Bestand.» Laut der BOF-McKinsey-Studie werden neben dem Bereich Digital dem Thema Nachhaltigkeit die grössten Chancen zugeschrieben. Der Fokus auf Nachhaltigkeit spiegelt sich auch in der Konsumentenstimmung wider. Auf den über 60 Seiten des «The State of Fashion 2021» wird aufgezeigt, dass bei drei von fünf Endkonsumenten die Förderung der Nachhaltigkeit ein wichtiger Faktor bei ihren Kaufentscheidungen sei.

GEWÜNSCHT: FAIRNESS UND PARTNERSCHAFTLICHES GESCHÄFTEN

Die Abhängigkeiten von fernen Sourcing-Märkten, die Komplexität von Lieferketten sowie die soziale Ungleichheit innerhalb des Textilsektors förderten im Frühjahr viele Schwierigkeiten und geschäftliche Schieflagen zutage. «Jeder in der Lieferkette muss verstehen, dass all die Stornierungen und nicht bekommenes Geld auf den Schultern der Arbeiterinnen und Arbeiter lastet», zeichnete die Gründerin und Geschäftsführerin des Bangladesh Centre for Worker Solidarity, Kalpona Akter, in einem Interview mit BOF ein krasses Bild der über 40 bis 60 Millionen Betroffenen. Hier machen sich die Vorteile einer Europa-Produktion und fairer Partnerschaften – egal wo auf dem Globus – sichtbar. Maximilian Böck, CRO/Co-CEO Marc O’Polo, erklärt in diesem Zusammenhang: «Wir hatten keine Lieferschwierigkeiten. Wir pflegen einen guten Kontakt auf Augenhöhe zu unseren Lieferanten, insbesondere zu unseren langjährigen Produktionspartnern. Die enge Abstimmung und eine realistische Planung geben genug Raum, um etwaige Schwierigkeiten gemeinsam zu beheben. Unsere starke Verbundenheit mit Handel und Vertrieb hat sich gerade in diesem Jahr der Krise wieder gezeigt.» MosMosh-Gründer Kim Hyldahl erlebte die Situation seines Unternehmens ähnlich: «Unsere Lieferanten waren mehr oder weniger in der Lage, die Produktion aufrechtzuerhalten. Sie haben hart und klug gearbeitet – und uns, wenn möglich, zu neuen und früheren Terminen gedrängt. Da wir sowohl in Asien als auch in Europa produzieren, ist der Druck auf unsere Lieferanten nicht gleichzeitig erfolgt, wodurch ein Ausgleich geschaffen werden konnte.» «Die Marken Street One und Cecil haben in den Zeiten des Lockdowns ein partnerschaftliches Verhältnis nicht nur mit dem Handel, sondern auch mit ihren Lieferanten gelebt», so Michael Dorell, Head of International Sales Street One & Cecil. «Diese Vorgehensweise hat uns in die Lage versetzt, ein vertrauenswürdiger Partner für den Handel zu bleiben, durch gleichbleibende Qualität und durch pünktliche komplette Lieferungen.» Als Hersteller wünscht er sich vom Handel vor allem «motiviertes und qualifiziertes Verkaufspersonal» und spricht damit die gegenseitige Abhängigkeit von Handel, Vertrieb und Industrie an, die vielen 2020 vor Augen geführt wurde. Nach anfänglichen Machtbekundungen einiger Player steht aber mittlerweile faires Wirtschaften für viele an oberster Stelle. «Wir wünschen uns vor allem auch bei den Endlagern partnerschaftliche Unterstützung», heisst es beispielsweise seitens Enes Zekovic, Leiter Einkauf Loeb, «gegenseitiges Vertrauen und lösungsorientiertes Handeln» seitens Sabine Gygax, CEO & Inhaberin Nile Retail Schweiz. Claudia Torrequadra, Communication Offline Manager der Brunschwig Gruppe, erhofft sich von den Partnern, dass man «gemeinsam durch die Krise geht und gegenseitiges Verständnis aufbringt», und Romano Maspero von der Bollag-Guggenheim Fashion Group wünscht sich «faire Partnerschaften, Ehrlichkeit und dass verschiedene Situationen richtig eingeschätzt werden».

DIE UNGEWISSE ORDERRUNDE HERBST/WINTER 2021/22

Krisen bringen Neues. So wurden die schon länger angeprangerten und festgefahrenen Saison- und Kollektionsplanungen von diversen Branchenvertretern aller Segmente kritisiert. Prominentester Verfechter eines neuen Modekalenders ist Gucci-Chef Alessandro Michele, der ankündigte, das italienische Modehaus werde künftig statt fünf nur noch zwei Kollektionen jährlich auf den Markt bringen. Aber auch Namen wie Saint Laurent, Michael Kors oder Dries Van Noten meldeten sich vom offiziellen FashionKalender ab. Diese Schritte zeigen auf, dass sich die Mode definitiv im Umbruch befindet, Kollektionen werden gestrafft, Budgets angepasst, Liefertermine verschoben, Strategien neu gedacht. Brigitte Bolliger, Co-Geschäftsleitung Mode Bernheim, erklärt auf Anfrage der textilrevue: «Die coronabedingte Verschiebung der Lieferfristen nach hinten muss unseres Erachtens zur neuen Normalität werden, weil der Zeitpunkt mehr der Nachfrage entspricht. Dadurch würden sich auch die Ordertermine verschieben. Es ist uns zurzeit nicht möglich, ein Jahr im Voraus Bestellungen zu platzieren, wenn wir kaum erahnen können, wie die Situation im nächsten Monat aussieht.» Auch bei Grieder wird das Einkaufsbudget für die kommende Orderrunde angepasst, wie Claudia Torrequadra angibt. Romano Maspero hingegen gibt sich beim Thema Orderrunde optimistischer: «Wir haben schon mit den Pre-Fall Kollektionen 2021 angefangen, die Kunden kommen und schreiben ihre Budgets. Die meisten sind zuversichtlich für den kommenden Winter, es geht weiter. Für 2021 haben wir das Budget gegenüber 2020 leicht angehoben, die Kosten ganz genau analysiert und werden diese anpassen.» Nile-Retail-Chefin Sabine Gygax will die «Sortimente straffen und mehr in die Tiefe gehen. Es hat sich wieder gezeigt, dass man von den starken Artikeln in den guten Grössen noch viel mehr verkaufen kann, als man denkt. Durch das eher vorsichtige Einkaufen der aktuellen Herbst/Winter-Saison hatten wir auch Fehlkäufe.» Barbara Holzer, Geschäftsführerin Toni und Rosner, ist ähnlich wie die Autoren von «The State of Fashion 2021» überzeugt, dass weniger mehr ist. «Der Fokus muss sich auf das Wesentliche richten. So werden wir den Homing-Trend als zentrales Thema für unseren Kollektionsaufbau verfolgen. Doch das Wichtigste ist und bleibt der partnerschaftliche Dialog mit unseren Handelspartnern. Nur durch einen Schulterschluss schaffen wir es, Krisen zu bewältigen und den Handel wieder anzukurbeln.» Damit spricht die Geschäftsführerin wohl allen aus dem Herzen.

 «MENSCH UND PERSPEKTIVE»

MARCO LANOWY

Ich bin eigentlich guter Dinge, dass wir diese Krise meistern werden, auch wenn es im Moment schwierig ist. Aber wir müssen aufpassen, dass der Kopf vom Virus nicht kränker wird als der Körper. Die Leute dürsten nach dem Abkapseln und der Zeit in der eigenen Bubble nach Interaktion, sie wollen wieder Teil der Gesellschaft sein. Da merkt man immer mehr, dass der Handel eine wichtige Aufgabe innerhalb ebendieser Gesellschaft hat. Wir sind Interaktions- und Kommunikationsfläche, Bedürfnis- und Bedarfsbefriedigung, und wir sind Ideentreiber. Der Kunde will ja kaufen, er will konsumieren, weshalb sonst wären Städte wie Zürich in der Vorweihnachtszeit trotz allem so voll? In diesem Zusammenhang treiben mich zurzeit die zwei Schlagworte Mensch und

Marco Lanowy, Geschäftsführer des Hosenherstellers Alberto, über Handel, Krisen und die Wichtigkeit der menschlichen Interaktion – im kommenden und allen weiteren Jahren. Deutschland befindet sich zum Zeitpunkt des Gesprächs im «Lockdown light», in der Schweiz sind die Geschäfte offen, die Frequenzen sehr unterschiedlich.

Wie sehen Sie die aktuelle Situation?

Perspektive um.

Wie meinen Sie das?

Menschen brauchen auch eine Perspektive, wo es hin- und wie es weitergeht. Denn Perspektive ist das, was uns alle an- und vorantreibt. Das brauchen wir im Moment mehr denn je. Und speziell unsere Branche hat durch diese Pandemie die Möglichkeit, sich selber zu hinterfragen und etwas Neues entstehen zu lassen. Doch wir können heute das beste Gesundheitssystem und den besten Handel – online oder stationär – haben, das alles funktioniert nicht, wenn wir den Menschen dahinter nicht haben. Denn der Mensch ist einerseits für das Digitale wichtig, aber auch für die persönliche Interaktion, die menschliche Wärme und die Nähe.

Was sollte die Branche denn anders machen?

Wir sind ja ein sehr disruptiver Sektor, und ich finde, wir hatten noch nie so viele Chancen und Möglichkeiten wie jetzt. Viele sind aber zu schnell zur alten Normalität zurückgekehrt, statt einfach mal im Januar die Abverkäufe in Ruhe anzuschauen und dann im Februar mit der Order zu starten. Jeder will wieder der Erste sein. Ich glaube, es hätte uns allen etwas mehr Luft gegeben, wenn wir nicht gleich wieder auf Start gedrückt hätten. Deshalb ist unsere Haltung und die Ansage vom Frühling unverändert: Alle Termine sollen sechs Wochen nach hinten verschoben werden.

Was wünschten Sie sich von Ihren Partnern aus Handel und Vertrieb?

Aufrichtigkeit, Menschlichkeit und einen fairen Umgang miteinander. Klar, wir dürfen Kaufleute sein, aber nie den Menschen dahinter vergessen. Im Moment ist man auch Seelsorger, Bank oder Gutmensch, und ich wünsche mir ganz einfach, dass dieses faire Miteinander eine echte Bedeutung hat. Aber ich wünsche mir auch mehr Wertigkeit. Dabei spreche ich einerseits von Qualitäten, vom eigenen Stil, aber auch von Beschaffungsmärkten und den Menschen entlang der gesamten Wertschöpfungskette. Wenn jeder und jede an dieser Wertigkeit arbeitet, wird Mode für den Konsumenten auch wieder einen neuen Stellenwert bekommen, denn an grenzenlosen Konsum muss endlich ein grosses Fragezeichen geklebt werden.

Sind Ihre Kollektionen noch gleich aufgebaut wie vor einem Jahr?

Wir glauben ganz klar an die Hose und daran, dass man diese mit den Händen, den Augen und mit dem Hintern kauft. Und, dass man als Spezialist die besten Chancen hat. Mit über 2000 Händlern decken wir eine grosse Stilbandbreite ab, wir können viele Wünsche erfüllen, das ist unsere Markenhandschrift. Ich bin überzeugt, Marke wird noch mehr Bedeutung bekommen, denn sie schafft Orientierung. Dabei bauen wir auf die Innovationskraft der Händler, nicht auf Plattformen wie Zalando, wir wollen uns nicht auf Preiskämpfe einlassen. Gleichzeitig nehmen wir aber auch eine Bedarfsverschiebung wahr, der wir auch Rechnung tragen. Bike und Golf performt bei uns sehr gut, weshalb wir die Hybrid-Kollektion weiter ausbauen. Grundsätzlich lässt sich zudem sagen, dass die Lässigkeit der letzten Jahre wieder angezogener daherkommt, denn wenn man aus dem Homeoffice rauskommt, möchte man einfach gut angezogen sein. Und auch das ist doch eine schöne Perspektive für die Zukunft.

This article is from: