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Im historischen Alpinporträt: Emil Zsigmondy

Am 10. August 1885 langte beim Österreichischen Alpenklub Wien aus dem französischen Bourg d’Oisans folgendes Telegramm ein: „Bei neuem Aufstieg Südseite Meije mit Schulz und mir kletterte Emil 30 Meter über uns, Seilschlinge abgeglitten, wir hielten Seil, es riss, Emil stürzte 700 Meter auf Gletscher. Leiche schwierig 8 Stunden nach St. Christof transportiert, heute würdiges Begräbnis, Otto.“

Ikaros, Ikaros

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Ein großer Alpinist und kühner Pionier des führerlosen Bergsteigens: gerhard schirmer porträtiert Emil Zsigmondy zum 160. Geburtstag.

Diese Nachricht schlug wie eine Bombe ein. Wie konnte das passieren, was war denn da geschehen? Otto Zsigmondy, Emils Bruder, schilderte bei seiner Rückkehr nach Wien die Ereignisse wie folgt:

Emil, sein Bruder Otto und Dr. Karl Schulz, ein gemeinsamer Freund, wollten die wilden Berge der Dauphiné kennenlernen. Nach einigen schönen Touren, darunter die erste Überschreitung der gesamten Zackenkrone der Meije, wollte Emil am 6. August 1885 die damals für nicht erkletterbar gehaltene Südwand dieses Berges durchsteigen. Tatsächlich stellten sich dieser Dreierseilschaft schon bald gewaltige klettertechnische Schwierigkeiten in den Weg. Emil, der Seilschaftsführer, geriet bereits im oberen Wandteil in eine recht gefährliche Lage. Er versuchte, einen bandartigen Absatz zu erreichen, doch das Kletterseil, das ihn mit seinem Bruder verband, war zu kurz. In aller Eile wurde es durch ein Seidenseil, das Dr. Schulz gehörte, verlängert. Nun konnte Emil noch einige Meter an Höhe gewinnen, doch schon bald war ein Weiterkommen für ihn unmöglich. Er entschloss sich daher zum Rückzug. Um sich dabei zu sichern, legte er das Seil um ein flaches Felsköpfel, doch plötzlich verlor er den Halt und stürzte rücklings aus der Wand. Otto und Dr. Schulz verstemmten sich auf ihrem Standplatz so gut es ging, um den zu erwartenden mächtigen Ruck abzufangen, doch das Seidenseil riss und Emil fiel bis auf den am Wandfuß befindlichen Gletscher hinab. So tragisch dieses Unglück auch gewesen ist, der Seilriss rettete seinen beiden Gefährten das Leben, denn auch mit vereinten Kräften hätten sie einen derart kapitalen Sturz nicht halten können und sie wären ohne Zweifel mit in den Abgrund gerissen worden. Kurz vor dem Aufbruch in die Dauphiné kam es im legendären Wiener Kaffeehaus Griensteidl zwischen Eugen Guido Lammer und Emil Zsigmondy zu einem Streitgespräch, bei dem es um die Sicherheit beim Bergsteigen ging. „Im glühenden Eifer des Kampfgesprächs waren wir aufgesprungen“ schrieb Lammer später. „Aus seinen (Emils) Augen blitzte reine Jungmännlichkeit, die in der Großstadt so traurig selten ist, indes die edel geschwungenen Lippen sagten: ‚Glauben Sie, ich will mich umbringen? Im Fels bin ich sicher, da kann mir nichts geschehen!’ Da fröstelte mich am Junimittag. …

ZsigmondyGamseck, um 1910.

Zsigmondyspitze, Feldkopf, Beilage ÖAZ 1890.

Zsigmondy-Hütte mit Zwölferkogel.

Wenige Wochen später zogen wir beide hinaus, er ins Dauphiné, ich ins Berner Oberland. Auf der Berglihütte hörte ich von Burgener, dass Emil zu Tode gefallen sei. Ikaros, Ikaros!“

Emil Zsigmondy gilt als einer der hervorragendsten Vertreter des führerlosen Bergsteigens, der meist gemeinsam mit seinem Bruder Otto, aber auch mit Ludwig Purtscheller unterwegs war. Emil war aber nicht nur ein ausgezeichneter Kletterer, er zeichnete sich auch als Medizinstudent aus, indem er bereits am 16. Dezember 1884 an der Wiener Universität zum Doktor der gesamten Heilkunde promovierte. Darüber hinaus war er aber auch schriftstellerisch tätig. Außergewöhnliche Brüder Wie konditionsstark die beiden Brüder waren, beweist ihre Besteigung des Reißecks am 6. September 1876. Von Millstatt aus ging es über Gmünd und durch den Radlgraben zum Gipfel empor, danach kehrten die beiden durch den Ritter- und Gößgraben wieder nach Millstatt zurück. Bei dieser „Wanderung“ wurde eine Längendistanz von 68 Kilometern und eine Höhendifferenz von rund 2000 Metern bewältigt, der Zeitaufwand betrug etwa 26 Stunden, wobei insgesamt nur 4 Stunden gerastet wurde.

In seinem kurzen Leben hat Emil Zsigmondy unglaublich viele Bergfahrten unternommen, darunter befinden sich auch zahlreiche Erstbegehungen. Zu seinen wichtigsten Neutouren zählen: 1. Ersteigung des Feldkopfes in den Zillertaler Alpen (1879), der später „Zsigmondyspitze“ benannt wurde; Zsigmondy-Gamseck (Rax), 1883; Reichenstein-Nordostwand, 1. Ersteigung des Kleinen Buchsteins (beide Ennstaler Alpen), Bietschhorn-Südwand im Berner Oberland (alle 1884), 1. Gesamtüberschreitung der Meije (1885). Als erster führerloser Bergsteiger bestieg er auch die Kleine Zinne, an der der „Zsigmondykamin“ bis heute an dieses Ereignis erinnert.

Emil und Otto Zsigmondy gelten bis heute als Begründer des führerlosen Bergsteigens, das in seiner strengen Form immer noch ein wesentliches

Meije, Beilage zur ÖAZ 1885, bearbeitet.

Meije, Compton, Im Hochgebirge 1889.

Aufnahmekriterium für die Mitgliedschaft beim Österreichischen Alpenklub ist. „Er (Emil) hat damit den Raum erschlossen, der uns heute die persönliche Freiheit des Bergsteigens bedeutet“, schrieb 1985 der damalige ÖAK-Präsident Hans Schmoltner in der Österreichischen Alpenzeitung anlässlich des 100. Todestages dieses großen Bergsteigers. Interessante berufliche Wege: Emil Zsigmondys Vater Adolph war Zahnarzt, und für ein „Zahnschema nach Zsigmondy“ bekannt. Otto war wie der Vater Zahnarzt geworden. Der jüngere Bruder Richard war Chemiker und erhielt 1925 den Nobelpreis. Der jüngste der vier Brüder, Karl, wurde Mathematiker, und hinterlässt ein nach ihm benanntes Theorem. ❙

Zsigmondys Grab (links) auf dem Friedhof von Saint-Christophe-en-Oisans. Wikipedia Namensnennung: © Günter Seggebäing, CC BY-SA 3.0.

lebensdaten:

Dr. med. Emil Zsigmondy: geb. am 11. 8. 1861 in Wien, gest. am 6. 8. 1885 (Absturz in der Meije-Südwand, Dauphiné, Frankreich), Beruf: Arzt

werke:

Im Hochgebirge, 1889 (illustriert von E. T. Compton), Signatur 4Fa-06-80; Die Gefahren der Alpen, hsg. von W. Paulcke, 1885, Signatur 5B-03-041

literatur:

Österr. Alpenzeitung 103 (1985), S. 83 ff.; Der Bergsteiger 22 (1954/1955), S. 364 ff. Österr. Bergsteigerzeitung 48/49 (1960/1961), S. 635 ff.

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