ÖTK Magazin 6-2021

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Alpinportrait Emil Zsigmondy

A

Ikaros, Ikaros

Diese Nachricht schlug wie eine Bombe ein. Wie konnte das passieren, was war denn da geschehen? Otto Zsigmondy, Emils Bruder, schilderte bei seiner Rückkehr nach Wien die Ereignisse wie folgt: Emil, sein Bruder Otto und Dr. Karl Schulz, ein gemeinsamer Freund, wollten die wilden Berge der Dauphiné kennenlernen. Nach einigen schönen Touren, darunter die erste Überschreitung der gesamten Zackenkrone der Meije, wollte Emil am 6. August 1885 die damals für nicht erkletterbar gehaltene Südwand dieses Berges durchsteigen. Tatsächlich stellten sich dieser Dreierseilschaft schon bald gewaltige klettertechnische Schwierigkeiten in den Weg. Emil, der Seilschaftsführer, geriet bereits im oberen Wandteil in eine recht gefährliche Lage. Er versuchte, einen bandartigen Absatz zu errei-

chen, doch das Kletterseil, das ihn mit seinem Bruder verband, war zu kurz. In aller Eile wurde es durch ein Seidenseil, das Dr. Schulz gehörte, verlängert. Nun konnte Emil noch einige Meter an Höhe gewinnen, doch schon bald war ein Weiterkommen für ihn unmöglich. Er entschloss sich daher zum Rückzug. Um sich dabei zu sichern, legte er das Seil um ein flaches Felsköpfel, doch plötzlich verlor er den Halt und stürzte rücklings aus der Wand. Otto und Dr. Schulz verstemmten sich auf ihrem Standplatz so gut es ging, um den zu erwartenden mächtigen Ruck abzufangen, doch das Seidenseil riss und Emil fiel bis auf den am Wandfuß befindlichen Gletscher hinab. So tragisch dieses Unglück auch gewesen ist, der Seilriss rettete seinen beiden Gefährten das Leben, denn auch mit vereinten Kräften hätten sie einen derart kapitalen Sturz nicht halten können und sie wären ohne Zweifel mit in den Abgrund gerissen worden.

m 10. August 1885 langte beim Österreichischen Alpenklub Wien aus dem französischen Bourg d’Oisans folgendes Telegramm ein: „Bei neuem Aufstieg Südseite Meije mit Schulz und mir kletterte Emil 30 Meter über uns, Seilschlinge abgeglitten, wir hielten Seil, es riss, Emil stürzte 700 Meter auf Gletscher. Leiche schwierig 8 Stunden nach St. Christof transportiert, heute ­würdiges Begräbnis, Otto.“

Ein großer Alpinist und kühner Pionier des führerlosen Bergsteigens: Gerhard Schirmer porträtiert Emil Zsigmondy zum 160. Geburtstag. Kurz vor dem Aufbruch in die Dauphiné kam es im legendären Wiener Kaffeehaus Griensteidl zwischen Eugen Guido Lammer und Emil Zsigmondy zu einem Streitgespräch, bei dem es um die Sicherheit beim Bergsteigen ging. „Im glühenden Eifer des Kampfgesprächs waren wir aufgesprungen“ schrieb Lammer später. „Aus seinen (Emils) Augen blitzte reine Jungmännlichkeit, die in der Großstadt so traurig selten ist, indes die edel geschwungenen Lippen sagten: ‚Glauben Sie, ich will mich umbringen? Im Fels bin ich sicher, da kann mir nichts geschehen!’ Da fröstelte mich am Junimittag. … ZsigmondyGamseck, um 1910.

Zsigmondyspitze, Feldkopf, Beilage ÖAZ 1890.

Dreizinnenhütte, Kleine Zinne. 14

Magazin 6 | 2021


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