3 minute read

Tagebuch Marie Curie – die erste Nobelpreis

Next Article
Eifersucht

Eifersucht

Beste Kitty! Sonntag, 5. Juli 1942 Die Versetzungsfeier am Freitag ist nach Wunsch verlaufen, mein Zeugnis ist gar nicht so schlecht. Ich habe ein Ungenügend in Algebra, zwei Sechsen, zwei Achten und sonst alles Siebenen. Zu Hause haben sie sich gefreut. Aber meine Eltern sind in Notenangelegenheiten sowieso anders als andere Eltern. Sie haben sich nie etwas aus guten oder schlechten Zeugnissen gemacht und achten nur darauf, ob ich gesund bin, nicht zu frech und Spaß habe. Wenn diese drei Dinge in Ordnung sind, kommt alles andere von selbst. ... Liebe Kitty! Mittwoch, 8. Juli 1942 Zwischen Sonntagmorgen und jetzt scheinen Jahre zu liegen. Es ist so viel geschehen, als hätte sich plötzlich die Welt umgedreht. ... Aber Kitty, du merkst, dass ich noch lebe, und das ist die Hauptsache, sagt Vater. Ja, in der Tat, ich lebe noch, aber frage nicht, wo und wie. Ich denke, dass du mich heute überhaupt nicht verstehst, deshalb werde ich einfach anfangen, dir zu erzählen, was am Sonntag geschehen ist. Um 3 Uhr … klingelte jemand an der Tür. Ich hatte es nicht gehört, da ich faul in einem Liegestuhl auf der Veranda in der Sonne lag und las. Kurz darauf erschien Margot ganz aufgeregt an der Küchentür. „Für Vater ist ein Aufruf von der SS gekommen“, flüsterte sie. „Mutter ist schon zu Herrn van Daan gegangen.“ ...Als Margot und ich in unserem Schlafzimmer saßen, erzählte sie, dass der Aufruf nicht Vater betraf, sondern sie. Ich erschrak erneut und begann zu weinen. Margot ist sechzehn. So junge Mädchen sollten sie wegschicken? Aber zum Glück würde sie nicht gehen, Mutter hatte es selbst gesagt. Und vermutlich hatte auch Vater das gemeint, als er mit mir über Verstecken gesprochen hatte. Verstecken! Wo sollten wir uns verstecken? In der Stadt? Auf dem Land? In einem Haus, in einer Hütte? Wann? Wie? Wo? ...

Liebe Kitty! Donnerstag, 9. Juli 1942 So gingen wir dann im strömenden Regen, Vater, Mutter und ich, jeder mit einer Schul- und Einkaufstasche, bis obenhin voll gestopft mit den unterschiedlichsten Sachen. Die Arbeiter, die früh zu ihrer Arbeit gingen, schauten uns mitleidig nach. In ihren Gesichtern war deutlich das Bedauern zu lesen, dass sie uns keinerlei Fahrzeug anbieten konnten. Der auffällige gelbe Stern sprach für sich selbst. Erst als wir auf der Straße waren, erzählten Vater und Mutter mir stückchenweise den ganzen Versteckplan. Schon monatelang hatten wir so viel Hausrat und Leibwäsche wie möglich aus dem Haus geschafft, und nun waren wir gerade so weit, dass wir am 16. Juli freiwillig untertauchen wollten. Durch diesen Aufruf war der Plan um zehn Tage vorverlegt, sodass wir uns mit weniger gut geordneten Räumen zufrieden geben mussten. ... Liebe Kitty! Samstag, 30. Januar 1943 Ich dampfe vor Wut und darf es nicht zeigen. Ich würde am liebsten mit den Füßen aufstampfen, schreien, Mutter gründlich durchschütteln, weinen und was weiß ich noch alles wegen der bösen Worte, der spöttischen Blicke, der Beschuldigungen, die mich jeden Tag aufs Neue treffen wie Pfeile von einem straff gespannten Bogen und die so schwer aus meinem Körper zu ziehen sind. Ich möchte Mutter, Margot, van Daan, Dussel und auch Vater anschreien: „Lasst mich in Ruhe! Lasst mich endlich mal eine Nacht schlafen, ohne dass mein Kissen nass von Tränen ist, meine Augen brennen und Schmerzen in meinem Kopf hämmern! Lasst mich weg, weg von allem, am liebsten weg von der Welt!“ Aber ich kann es nicht. Ich kann sie keinen Blick auf die Wunden werfen lassen, die sie mir zufügen. Ich würde das Mitleid und den gutmütigen Spott nicht aushalten, auch dann noch würde ich schreien müssen!...

This article is from: