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Die Stunde des Chores

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Ekaterina Bakanova

Ekaterina Bakanova

Verehrtes Publikum, wenn in Prinzessin Turandots Reich die Sonne untergegangen ist und die Geschichte, die sich in einer einzigen Nacht zuträgt, beginnt, schlägt die Stunde des Volkes. Der Vorhang hebt sich zum ersten Bild, und schon steht da dichtgedrängt «die Menge», wie das Volk im Libretto genannt wird. Der Mandarin kündigt die Hinrichtung eines persischen Prinzen an, und die Menge fordert tausendstimmig «Muoia!», er soll sterben. Prinzessin Turandot ist zwar die unumschränkte, grausame Herrscherin in ihrem Reich, aber die Eine ist nichts ohne die Vielen, und deshalb steht im Zentrum von Giacomo Puccinis letzter Oper Turandot der Chor.

Gäbe es eine Hitliste der atemberaubendsten Choropern, Turandot würde darin einen der vordersten Plätze einnehmen, wenn nicht gar den allerersten. Der Chor ist die treibende Energie in diesem Stück. Eben noch hat die Menge zähnefletschend den Tod des persischen Prinzen gefordert, im nächsten Augenblick wird sie – «Zurück, ihr Hunde!» – von der Bühne geprügelt. Der Chor wirft sich demütig in den Staub, begehrt auf, hat Mitleid oder singt verträumt den Mond an. Und er ist nicht nur die Menge. Die Partitur sieht auch Untergruppen und Sonderaufgaben für Sängerinnen und Sänger des Chores vor: Sie sind Wachen, die Geister der Hingerichteten, Gelehrte, verführerische Frauen, Herolde und vieles mehr. Die musikalische Ausdruckspalette, die ein guter Turandot-Chor beherrschen muss, reicht vom zart mitfühlenden Ton bis zum einschüchternd gewaltbereiten Dröhnen.

Das Opernhaus Zürich ist stolz darauf, einen Chor zu haben, der das alles kann. Und es mit grosser Lust auch spielt! Denn dass das Gesungene auch lebendig dargestellt wird, ist die nächste grosse Herausforderung in dieser Oper. Sebastian Baumgarten, der Regisseur unserer Turandot-Neuproduktion, die am 18. Juni Premiere hat, findet es gerade bei diesem Stück entscheidend, ob es gelingt, den Chor aus der Statik zu lösen, die in vielen Inszenierungen der Normalfall ist.

Tolle Sängerinnen und Sänger und ein klangprächtiges Orchester braucht man natürlich auch für eine packende Turandot-Produktion. Für die Titelpartie haben wir Sondra Radvanovsky gewinnen können, die als gefeierter Sopranstar vor allem an der New Yorker Met zu Hause ist. Die zu Herzen gehende Partie der Liù übernimmt mit ihrem wunderschönen Sopran die Italienerin Rosa Feola – und an die Mörderpartie des Calaf mit dem Opern-Hit Nessun dorma wagt sich Piotr Beczała. Alle drei sind ganz grosse Namen ihres Fachs, und alle drei geben ihr szenisches Debüt in der jeweiligen Rolle. Sängerinnen und Sänger zum ersten Mal in einer Rolle zu erleben, ist ein Privileg für ein Opernhaus, das Sie, verehrtes Publikum, in dieser Produktion gleich dreifach erleben dürfen. Auch Marc Albrecht, der am Pult der Philharmonia Zürich steht, dirigiert seine erste Turandot, hat also einen frischen Blick auf einen Klassiker des Repertoires.

Es ist alles angerichtet für ein Opernspektakel zum Saisonabschluss.

Claus Spahn

MAG 103 / Juni 2023

Unser Titelbild zeigt Sondra Radvanovsky, die Turandot in unserer Neuinszenierung.

(Foto Florian Kalotay)

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