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Nichts soll verschwiegen werden

Die letzte Kolumne widme ich traditionell den Fehlern der sich zum Ende neigenden Saison. Doch es fällt mir schwer, den Einstieg zu finden. Es ist nicht so, dass nichts schief lief – natürlich nicht! –, aber am relevantesten waren Vorfälle, bei denen Mitarbeitende verletzt wurden. Wenn ich nicht darüber berichte, sieht es so aus, als wenn ich es verschweige. Auf der anderen Seite ist das humoristische Format dieser Kolumne nicht dazu geeignet, Vorfälle mit verletzten Personen aufzuarbeiten. Am liebsten würde ich mich deswegen darum drücken und über die genialen Lösungen von Lessons in Love and Violence schreiben: Das verbrannte Baby, das vor den Augen des Publikums in den Händen der trauernden Mutter zu Asche zerfällt, fügt sich leichter in diese Zeilen, als der Bericht über einen Tänzer, der in den tiefen Orchestergraben fällt und sich die Hand bricht. Die leichte Kette aus klingendem Stahl, deren grosse Kettenglieder die Schlosser aus dünnwandigen Stahlrohren gebogen und verschweisst haben, hat weniger Konfliktpotential, als eine Kolumne über einen Techniker, der einen Stromschlag erleidet, oder einen Choristen, dem der Finger eingeklemmt wurde. Ich brauche Sekunden für die Formulierung, dass unsere Bühnentechniker die sehr schnellen, komponierten Umbauten von Lessons in einer grandiosen Umbauchoreografie von der ersten Probe an geschafft haben; viel schwieriger ist es für mich, darüber zu berichten, dass sich eine Sängerin in nicht für den Hautkontakt geeigneter Lackfarbe gewälzt hat.

Doch dank Lessons in Love and Violence habe ich den Einstieg nun überwunden. Die genialen Lösungen dieser Inszenierung stehen nicht im Gegensatz zu den Vorfällen, sondern zeigen, wodurch diese verhindert worden wären: Durch frühzeitige Kommunikation zwischen den Beteiligten, genügend Zeit für Lösungen und ausreichend Proben. Wir wussten mehr als ein halbes Jahr im Voraus, wie lange die Umbauten dauern durften, und bauten ein riesiges unsichtbares Schiebetor in das für das Publikum völlig geschlossen aussehende Bühnenbild ein. Dadurch konnte die jeweilige Szene bei geschlossenem Vorhang und davor spielendem Orchester sehr schnell und leise freigeräumt und neu gefüllt werden. Der Tänzer wäre nicht in den Graben gefallen, wenn die Grabenhochfahrt rechtzeitig kommuniziert worden wäre oder der Tänzer gewusst hätte, dass der Graben nicht auf Position steht. Der Chorist unter der Bühne hätte nicht die Bodenklappe kurz vor seinem Auftritt mit seiner Hand einen Spalt offen gehalten, wenn er gewusst hätte, dass der Regieassistent bei einer Probe unerwartet über die Bühne geht und auf die Klappe tritt... Und wenn der Bühnenmeister gewusst hätte, dass die Beleuchtung noch die Leitung reparieren muss, bevor er den Stecker stecken lässt, hätte der Techniker beim Streifen der defekten Leitung keinen Schlag bekommen. Und unsere Solistin hätte sich nicht in Acrylfarbe gewälzt, wenn sie gewusst hätte, dass diese nicht für direkten Körperkontakt geeignet ist, genauso wie der Malsaal diese Farbe nicht rausgegeben hätte, wenn bekannt gewesen wäre, dass sich jemand darin wälzt. Zum Glück gingen diese Vorfälle glimpflich aus (auch Acryllack geht nach einer Stunde duschen und schrubben langsam weg), und ich habe es geschafft: Einen Text über die genialen Lösungen von Lessons in Love and Violence zu schreiben, ohne mit der Tradition der letzten Kolumne zu brechen. Apropos geniale Lösung: Kinetischer Sand ist feinster Quarzsand, der mit einem Bindemittel versehen ist. Dieser verhält sich zunächst wie Sand, lässt sich schwarz färben und in einer Form zu einem «Baby» pressen. Wenn man dieses vorsichtig aus der Form nimmt und auf der flachen Hand trägt, behält es die Form. Sobald man es nur ein klein wenig drückt oder anfasst, zerfällt das Sandbaby zu Asche.

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