Madama Butterfly

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Premiere Madama Butterfly

Madama Butterfly Giacomo Puccini

Samstag, 17. Oktober 2009, 19.00 Uhr Letzte Neuinszenierung am Opernhaus Zürich in der Spielzeit 1986/87 In italienischer Sprache mit deutscher Übertitelung

MADAMA BUTTERFLY Tragedia giapponese in drei Akten von Giacomo Puccini (1858-1924) Libretto von Giuseppe Giacosa und Luigi Illica nach dem Schauspiel «Madame Butterfly. Tragedy of Japan» (1900) von David Belasco, basierend auf der Erzählung «Madame Butterfly» (1898) von John Luther Long Uraufführung: 1. Fassung 17. Februar 1904, Teatro alla Scala, Mailand 4. Fassung 28. Dezember 1806, Opéra-Comique, Salle Favart, Paris

«Bis auf das Geräusch einiger weinender Damen war zuerst alles still» erinnert sich David Musikalische Leitung Carlo Rizzi Belasco an die Wirkung seines Schauspiels Inszenierung Grischa Asagaroff «Madame Butterfly» bei der Londoner PreBühne und Kostüme Reinhard von der Thannen miere. Weiter heisst es in seinen «Memoiren»: Lichtgestaltung Martin Gebhardt Choreinstudierung Ernst Raffelsberger «Puccini war unter den Ehrengästen und kam zu mir hinter die Bühne, um mich zu bitten, Cio-Cio-San, ich möge ihn das Stück als Opernlibretto begenannt Butterfly Xiu Wei Sun nutzen lassen. Ich sagte sofort zu, er könne Pinkerton Neil Shicoff damit machen, was er wolle und wie er wolle Suzuki Judith Schmid Sharpless Cheyne Davidson – denn wie ist es möglich, mit einem impulGoro Andreas Winkler* siven Italiener, der dir mit Tränen in den AuOnkel Bonze Pavel Daniluk* gen und mit beiden Armen am Halse hängt, Kate Pinkerton Margaret Chalker* auch nur irgendwelche geschäftlichen Dinge Fürst Yamadori Kresˇimir Strazˇanac* zu diskutieren! Ich glaube kaum, dass er das Kaiserlicher Kommissar Alejandro Lárraga*° Standesbeamter Matthew Leigh* Stück wirklich gesehen hat, er hörte nur die Cio-Cio-Sans Mutter Yoshiko Ida* Musik, die er dazu schreiben würde. Später Cio-Cio-Sans Tante Jung-Jin Kim* lernte ich ihn näher kennen und fand in ihm Onkel Yakusidé Hartmut Kriszun* den angenehmsten und treuherzigsten MitCio-Cio-Sans Kusine Francisca Montiel* Das Kind der Butterfly Maximilian von Bausznern*/ menschen, einen grossen Künstler ohne jede Juri Schaefer* übliche Angeberei!» *Rollendebüt °Mitglied des IOS

Orchester der Oper Zürich Chor der Oper Zürich Statistenverein der Oper Zürich Ein Kulturengagement der Credit Suisse Weitere Vorstellungen Mi 21. Okt. 19.30 So 25. Okt. 14.00 Fr 30. Okt. 20.00 Do 05. Nov. 19.00 So 08. Nov. 20.00 Do 12. Nov. 19.30 So 15. Nov. 20.00

Prem Abo B Freier Verkauf Freitag-Abo B Freier Verkauf Sonntagabend-Abo A Donnerstag-Abo B Misch-Abo/ Puccini Abo

Zum letzten Mal in dieser Saison Do 19. Nov. 19.00 Donnerstag-Abo A

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Belascos Einakter basiert auf der Erzählung «Madame Butterfly», die der Rechtsanwalt John Luther Long aus Philadelphia 1897 im «Magazine Century» veröffentlicht hatte. Darin schildert er eine Begebenheit, die sich Anfang der 1890er Jahre in Nagasaki zugetragen hat und die ihn wohl von Berufs wegen interessierte. Seine Schwester, damals als Ehefrau des Methodistenmissionars Irvin Vorrell in der japanischen Stadt ansässig, hatte ihm vom Schicksal eines Teehaus-Mädchens namens Cho-San berichtet, das mit einem amerikanischen Offzier liiert war. In der Annahme, ihn nach amerikanischem Recht geheiratet zu haben, gebar Cho-San ihm einen

Sohn; er jedoch nahm für sich das Recht der japanischen «Zeitehe» in Anspruch, die es erlaubte, für eine bestimmte Summe Frau und Haus zu mieten, um beide Verhältnisse nach Belieben jederzeit wieder kündigen zu können. In Longs Novelle vergnügt sich der Amerikaner Benjamin Franklin Pinkerton nicht nur nach Herzenslust mit dem Butterfly genannten Mädchen, sondern legt es auch darauf an, ihre Identität zu zerstören, indem er sie ihrer Familie und ihrem Glauben entfremdet, bevor er sie sitzen lässt. Stehen in der Erzählung Longs die rechtlichen Fragen sowie die Schilderung des imperialen Gehabes und unverfrorenen Egoismus des amerikanischen Offiziers im Mittelpunkt des Interesses, so konzentriert sich Belasco in seiner «Tragedy of Japan» auf die Situation der verlassenen, dennoch fest an die Rückkehr ihres Geliebten glaubenden Butterfly, die schliesslich keinen anderen Ausweg als den Tod sieht, als Pinkerton mit seiner amerikanischen Ehefrau zu ihr zurückkehrt, um ihr das gemeinsame Kind zu entziehen. Darüber hinaus griffen Puccinis Librettisten Giuseppe Giacosa und Luigi Illica auch auf den von André Messager 1893 vertonten Roman «Madame Chrysanthème» von Pierre Loti zurück, der mit der Schilderung japanischer Gebräuche und Gewohnheiten für Lokalkolorit im 1. Akt von Puccinis «Madama Butterfly» sorgte. Der Komponist selbt betrieb intensive Studien Japan betreffend; u.a. traf er sich 1902 in Mai-


Neil Shicoff, Xiu Wei Sun

land mit der japanischen Schauspielerin Sada Jaco, die sich mit Theaterstücken ihres Landes auf einer Tournee befand. Um sich mit dem Klang der japanischen Frauenstimme vertraut zu machen, bat er sie, in ihrer Muttersprache mit ihm zu reden. In seinem Wohnsitz in Torre del Lago liess sich Puccini von Hisako Oyama,

der Gattin des japanischen Gesandten in Rom, Volkslieder vorsingen und schreibt an Ricordi: «Sie hat mir viele interessante Dinge gesagt und mir Lieder aus ihrer Heimat vorgesungen. Sie versprach, mir Noten von der Musik ihres Heimatlandes schicken zu lassen. Ich habe ihr in Kürze das Libretto erzählt; es hat ihr gefallen, um so mehr, als sie, wie sie sagt, eine Geschichte kennt, die der Butterflys ganz ähnlich ist und die sich wirklich zugetragen hat.» Prominenteste Auswirkung seines Quellenstudiums ist die Verwendung der japanischen Kaiserhymne, die er u.a. beim Auftritt des Kaiserlichen Kommissars im 1. Akt zitiert. Am 27. Dezember 1903 schloss Puccini seine Partitur ab und sah der Uraufführung mit hohen Erwartungen entgegen; doch diese geriet zum völligen Fiasko: «Grunzen, Brüllen, La-

chen, Schreien, Hohngejohle, die üblichen dacapo-Rufe in der Absicht, die Zuschauer noch mehr zu erhitzen. Dies ist – kurz zusammengefasst – die Aufnahme, die das Publikum der Scala dem neuen Werk des Maestro Puccini zuteil werden liess. Nach diesem Höllenlärm verliess das Publikum in grösster Heiterkeit das Theater. Das Theater, das der Zuschauerraum bot, schien ebensogut inszeniert zu sein, wie das Theater auf der Bühne. Es setzte zugleich mit dem Beginn der Oper ein», berichtete der «Musica musiciste». Und Puccini selbst schreibt an Camillo Bondi: «Mit traurigem, aber unerschüttertem Gemüt teile ich Dir mit, dass ich gelyncht wurde! Diese Kannibalen hörten sich keine einzige Note an. Welch eine schreckliche hasstrunkene Orgie des Wahnsinns! Aber meine ‹Butterfly› bleibt, was sie ist: die gefühlteste ausdrucksvollste Oper, die ich je geschrieben habe.» Dennoch zog er seine Partitur sofort zurück, um sie in der Folge noch dreimal zu überarbeiten. Musikalisch am gravierendsten dabei war die Umgestaltung von Butterflys Auftritt, bei dem man eine zu grosse Nähe zu seiner Mimì konstatierte. Der als überlang kritisierte 2. Akt wurde in zwei Akte unterteilt, ausser-

dem nahezu 300 Takte gestrichen, und für Pinkerton wurde im 3. Akt die Arie «Addio, fiorito asil» eingefügt. In dieser Fassung erzielte die Oper am 28. Mai 1904 in Brescia einen sensationellen Erfolg. Bewirkte schon die eingefügte Arie Pinkertons eine Veränderung dieser Figur hin zum nicht mehr nur überheblichen, gewissenlosen, sondern auch der Einsicht und Reue fähigen Charakter, so nahm Puccini in der Folge noch weitere Eingriffe vor. Ganze Szenen (insgesamt 464 Takte) fielen dem Rotstift zum Opfer. So jene, in denen sich Pinkerton über die Sitten und Gebräuche des Gastlandes lustig macht, die Darstellung von Cio-Cio-Sans despektierlicher Verwandtschaft rund um den betrunkenen Onkel Yakusidé. Gestrichen wurde auch jene Stelle, in der Sharpless im Auftrag von Pinkerton Cio-Cio-San Geld anbietet, das sie empört zurückweist. Dies alles diente offensichtlich der dramatischen Konzentration und musikalischen Sublimierung sowie einer zusätzlichen Fokussierung auf die Titelfigur, die Puccini in reicherem Masse kompositorisch bedachte als alle ihre Vorgängerinnen.

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Neil Shicoff, Carlo Rizzi

Carlo Rizzi im Gespräch Sie dirigieren in den nächsten Wochen abwechselnd «Madama Butterfly» und «La Bohème» an unserem Haus. Wo liegen für Sie die Gemeinsamkeiten, aber auch die Unterschiede der beiden im Abstand von 8 Jahren entstandenen Werke? Beiden Werken gemeinsam ist zunächst einmal eine besondere Zuneigung des Komponisten zur jeweiligen Protagonistin. Das mag daran liegen, dass Puccini die Frauen liebte. Aber ich finde es schon unglaublich, wie es ihm gelingt, die Sinnlichkeit, aber auch die Schwachheit und die Emotionalität der Frauengestalten in Musik auszudrücken. Mimì ist eher ein sanftes Wesen; der einzige Moment, in dem sie aus sich herausgeht, ist im dritten Akt. Bei «Madama Butterfly» finde ich es sehr interessant, wie Puccini den Reifungsprozess der Titelfigur musikalisch schildert. Zu Beginn ist sie ein Mädchen, das noch keine Lebenserfahrung hat. Im zweiten Akt, der drei Jahre später spielt, hört man wirklich, auch in der Behandlung der Stimme, dass sie erwachsen geworden ist. Darin liegt meines Erachtens die Schwierigkeit bei der Interpretation dieser Rolle: im ersten Akt sind Delikatesse und Leichtigkeit unabdingbar – gar nicht so sehr, um ein Mädchen von 15 Jahren darzustellen. Nehmen wir z. B. das Duett mit Pinkerton, mit dem der erste Akt endet, in dem Cio-Cio-San

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ständig schwankt zwischen dem schüchternen Mädchen und der jungen Frau, die sich gehen lassen will. Darin liegt die Schönheit dieser Musik. Sie liefert sich ihm sozusagen schutzlos aus, etwa bei der Stelle: «Vogliatemi bene, un bene piccolino...». Oder kurz darauf, wenn er ihr die Hand küsst und sie ihm ausweicht: der folgende Dialog ist von ihr aus fast wie eine Beichte. Im zweiten Akt dagegen, nachdem Sharpless versucht hat, ihr den Brief von Pinkerton vorzulesen – wobei man nicht genau sagen kann: ist sie wirklich so naiv, dass sie den Inhalt nicht versteht, oder will sie nicht verstehen; das kann man auf unterschiedliche Weise interpretieren –, wenn sie Pinkerton dann wieder sieht und ihm das Kind zeigt, ist sie eine völlig andere Frau geworden, als ob nicht nur drei, sondern 25 Jahre Leiden dazwischen lägen. Schliesslich ist sie entschlossen genug, sich das Leben zu nehmen. Ich bereite gegenwärtig eine andere «Butterfly»-Produktion an der Welsh National Opera vor, bei der wir die 2. Fassung des Werks, die in Brescia uraufgeführt wurde, geben werden. Es ist interessant, die Unterschiede zu betrachten. Vor allem im ersten Akt sind viele Dinge gestrichen worden. Und im dritten Akt sind viele der Repliken, die jetzt Sharpless

singt, ursprünglich für Kate geschrieben worden. Es gab einen veritablen Dialog zwischen Butterfly und ihrer «Feindin» – der sie gleichzeitig zugesteht: «Sie sind nicht schuld». Spannend ist in jedem Fall die Entwicklung der weiblichen Hauptrolle in diesen beiden Puccini-Opern, vor allem aber in «Madama Butterfly». Am Beginn des 20. Jahrhunderts gab es immer wieder Versuche, Orient und Okzident zu verschmelzen, weil man sich durch exotische Melodik, Tonalität und Rhythmik eine Befruchtung der europäischen Musik erhoffte. Im Unterschied zum gern geübten Gebrauch, exotisches Kolorit gleichsam stellenweise in Anführungszeichen zu zitieren, scheint «Madama Butterfly» durchwegs von japanischem Idiom getragen, ohne dass Puccini seinen Personalstil verleugnet. Wie findet diese Verschmelzung statt? Wie wir wissen, war Puccini ein hervorragender Könner in der Orchestrierung. Und er wollte immer wieder neue Dinge, neue Klangfarbenmischungen ausprobieren. Für die Orientalismen benutzt er z. B. verschiedene Gongs. Für mich ist beides in der Oper enthalten: der für Puccini typische Ausdruck von Gefühlen und das Moment des «Orientalisierens». Bestimmte Effekte wie der Gebrauch paralleler Quinten oder auch der Pentatonik


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lassen natürlich sofort an Fernost denken. Das kommt aber z.B. auch am Anfang von «Suor Angelicas» «Senza mamma» vor. Offen gesagt glaube ich, Puccini hätte diese Techniken nicht benutzt, wenn sie ihm nicht gefallen hätten, ob sie nun für den Orient stehen oder nicht. Es ist ein grosser Reichtum an Klängen. Das Fernöstliche wird in «Madama Butterfly» häufig durch den Einsatz des Schlagzeugs erzielt. Da hört man etwas, das einen irgendwie an den Orient denken lässt, aber man weiss gar nicht genau, was es war. Aber Puccini hat sich nie zum Sklaven solcher Effekte gemacht. An anderen Stellen wieder hat die Musik etwas Deskriptives – z.B. zu Beginn des dritten Aktes, wenn Vogelstimmen imitiert werden, um die Morgendämmerung zu schildern, was sich wunderbar vermittelt. Puccini selbst hat «Butterfly» als sein modernstes Werk bezeichnet und auch als einzige seiner Opern, die er selbst mit Interesse anhören könne. Was ist das «Moderne» an «Butterfly»? Ich glaube, das Moderne an dieser Musik – das, was Puccini vielleicht gemeint hat – liegt

in der dramaturgischen Struktur. Nehmen wir den zweiten Akt, der sich nicht, wie häufig in der Oper, in einer fiktiven Zeitspanne abspielt, sondern wirklich in Realzeit. Darin liegt für mich das Moderne: die ständigen Gefühlsschwankungen der Titelfigur, die sich durch die Musik mitteilen. Dabei hat das Orchester in diesem Akt gar nicht viel zu spielen – für das Orchester gibt es im ersten und im dritten Akt mehr zu tun. Aber es ist ein ständiges Auf und Ab, zunächst von Hoffnung, dann Desillusionierung, dann wieder Hoffnung. Schliesslich mündet es in diesem phänomenalen Summchor, der leider oft falsch ausgeführt wird. Puccini hat ihn nicht einfach eingefügt, weil es eine schöne Melodie ist. Dieser Chor transportiert wirklich Emotionen. Wenn es genauso aufgeführt wird, wie es geschrieben ist (was ich zu tun vorhabe) – dann ist das von ungeheurem Reichtum. Das Moderne liegt für mich nicht so sehr in der Musik selbst, als in dem Umstand, dass hier nichts vorkommt, das einfach nur dem Genre geschuldet ist – nichts aufgesetzt Opernhaftes. Alles ist geradezu entlang der Dramaturgie des Textes gemeisselt. Deshalb sitzt der Zu-

schauer, wenn es gut gemacht ist, wie angenagelt davor – z.B. in dem Augenblick, in dem Cio-Cio-San abgeht und mit dem Kind wieder auftritt. Das ist einfach unglaublich emotional. Mit den monologisch angelegten Szenen der Protagonistin scheint sich Puccini auch formal auf Neuland zu begeben, von der Arie zu lösen? Er hatte sicher keine Angst davor, die Arie hinter sich zu lassen. Ich würde aber nicht so sehr von Monologen sprechen. In «Un bel dì» z.B. geht es nicht darum auszudrücken, ob es Butterfly gut geht oder nicht; sie will Suzuki überzeugen: Du hast Unrecht, du wirst sehen, er wird zurückkehren! Bei der Stelle «Tienti la tua paura, io con gran fede l’aspetto» geschieht im Orchester fast gar nichts: ein paar Pizzicati und die Einsätze der Hörner. Und doch ist es, als ob sie mit der Faust auf den Tisch schlagen würde. Diese ganze Passage ist keine Zustandsbeschreibung, sondern geradezu wie eine Belehrung an Suzuki gerichtet. In solchen Momenten liegt für mich die Modernität des Werkes!

Neil Shicoff, Xiu Wei Sun

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Xiu Wei Sun, Grischa Asagaroff

Cheyne Davidson, Neil Shicoff

Judith Schmid, Neil Shicoff, Andreas Winkler, Xiu Wei Sun

Andreas Winkler, Neil Shicoff

Judith Schmid

Reinhard von der Thannen


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Grischa Asagaroff nennt «Madama Butterfly» die zeitloseste, aber auch aktuellste Oper von Puccini, denkt man an das Schicksal all der Frauen, die mit falschen Versprechungen in ihr Unglück gestürzt werden. Dabei sind die Vorzeichen durch alle Zeiten immer die gleichen geblieben: die soziale Kluft, der unterschiedliche Kulturkreis, wirtschaftliche Überlegenheit, die einhergeht mit Ausbeutung und Zerstörung. All das hat Puccini durchaus kritisch unter die Lupe genommen, zumal in der Urfassung. Doch die Geschichte der Bearbeitungen zeigt, wie es dem Komponisten mehr und mehr um die Befindlichkeit und Entwicklung der Protagonistin zu tun war, die letztlich ihre Spuren zumindest bei Pinkerton und dessen amerikanischer Ehefrau Kate hinterlässt. Die Vertreter der Tradition sowohl auf japanischer wie auf amerikanischer Seite jedoch widmen sich schnell wieder dem Tagesgeschäft: Konsul Sharpless, der gerne warnt ohne je einzugreifen, der Heiratsvermittler Goro, der bald sein nächstes Opfer vermitteln wird. Als mächtigster Vertreter der japanischen Kultur fungiert der Onkel Bonze genannte Priester, der den Übertritt Butterflys zur christlichen Religion mit Verstossung bestraft, womit er ihr zugleich jegliche materielle Sicherheit entzieht. Vor diesem Hintergrund vollzieht sich Cio-CioSans Schicksal, das Puccini nach der grossangelegten Hochzeitsszene nurmehr in sehr intimen Szenen zeichnet. Für Grischa Asagaroff steht der kammerspielartige Charakter des Werkes ausser Frage, der nicht zuletzt in den musikalisch höchst subtil gestalteten Dialogen zum Ausdruck kommt. Mit Reinhard von der Thannen entschied er sich dafür, die Handlung in einer von moderner japanischer Architektur inspirierten Szenerie anzusiedeln, wobei es dem Bühnen- und Kostümbildner dabei nicht um reale Räume geht. Wichtiger ist ihm die Übersetzung der inneren Zustände, und so präsentiert sich das von Pinkerton als Liebesnest angemietete Haus zunächst gleichsam als Geschenk, hinter dessen Fassade noch niemand zu blicken

vermag. Lediglich eine aus dem Haus verbannte Buddha-Statue deutet an, dass eine fremde Kultur Einzug gehalten hat. Im Verlauf der Handlung vermehren sich diese Zeichen einerseits, andererseits ist die zunehmende Skelettierung des Hauses Hinweis auf Butterflys zunehmende Not, ein Leerraum, den sie bis zuletzt mit ihren Träumen und Illusionen zu füllen sich bemüht. Wie weit der amerikanische Einfluss gediehen ist, spiegelt sich auch in den Kostümen wieder, wobei Reinhard von der Thannen den Konflikt zwischen asiatischer und europäischer Kultur weiter gefasst sehen möchte als Kampf oder Auseinandersetzung zwischen dem Bewahren der Tradition und dem Aufbruch in die Moderne. Um dieses Element zu verdeutlichen, tauchen in der Zürcher Neuinszenierung von der Tradition des Butoh inspirierte Figuren auf. Ähnlich wie die deutschen Tänzer Valeska Gert oder Mary Wigman in der Vorkriegszeit vollzog der Butoh-Tänzer in den 1960er Jahren den Bruch mit den rationalen Prinzipien der Moderne. Er versucht stattdessen, einen anderen Begriff, ein anderes Erleben zum Ausdruck zu bringen und erklärt Butoh somit zu einem zeitgenössischen Theater des Widerstandes gegen die moderne Gesellschaft, das in den Spuren des alten Japans liest und kulturübergreifend zu wirken sucht. In Zusammenarbeit mit der Hochschule für Angewandte Wissenschaften (HAW) Hamburg, an der Reinhard von der Thannen die Professur für Kostümdesign inne hat, entstanden auf seine Initiative hin zudem drei Animationsfilme, die einen atmosphärischen Rahmen zwischen den Akten herstellen. Unter Leitung von Prof. Almut Schneider konzipierten und realisierten Studierende des Designdepartements die Videofilme mit jeweils einer aktübergreifenden Metapher: Sinnbild für das Ankommen der amerikanischen Soldaten ist ein Vogelschwarm, der sich letztlich in eine wiegende Wasseroberfläche verwandelt. Der zweite Film lässt Verlassenheit und Sehnsucht spürbar werden, der dritte dann kündet von Tod, wobei der Bambus als durchgängige Chiffre auftaucht. Der Stil der Animationen ist an traditionelle japanische Kalligraphie und Tuschezeichnungen angelehnt. yd

Urs Rohner

Grusswort des Sponsors Globalisierung mag zwar ein Begriff sein, den unsere Zeit erfunden hat. Es ist aber eigentlich nichts Neues, dass Menschen unterschiedlicher Kulturen weltweit verbunden sind und diese Kontakte die menschliche Neugier und Phantasie entsprechend beflügeln. Eine der meistgespielten Opern der Welt, in deren Zentrum unterschiedliche Kulturen stehen, wird im Jahr 2009 im Opernhaus Zürich neu inszeniert: «Madama Butterfly». Die von Giacomo Puccini komponierte Oper wurde zwar 1904 im Teatro alla Scala in Mailand uraufgeführt, sie spielt aber im japanischen Nagasaki. Neben der Exotik des Schauplatzes und dem melodischen Einfallsreichtum begeistert diese Oper auch mit einer Geschichte, in der es um starke Emotionen, um Glück, Hoffnung und Enttäuschung geht. Die Besucherinnen und Besucher dürfen gespannt sein und sich auf eine stimmungsvolle Aufführung freuen. Die Credit Suisse freut sich, diese Neuinszenierung zu unterstützen. Das Opernhaus Zürich geniesst über die Stadt und die Landesgrenzen hinaus einen ausgezeichneten Ruf. Wie bei einer Bank hängt auch der langfristige Erfolg des Opernhauses an den Menschen, die es prägen, und wir beglückwünschen das Opernhaus-Team zu seiner konstanten, grossartigen Leistung. Wir sind stolz, seit 1989 Sponsor dieses wunderbaren Musiktheaters zu sein. Wir hoffen, liebe Besucherinnen und Besucher, dass Ihnen die Neuinszenierung gefallen wird und wünschen Ihnen inspirierende Momente im Opernhaus Zürich.

Urs Rohner Vize-Präsident des Verwaltungsrates der Credit Suisse Group AG

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