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Ein Kammerspiel für vier Personen
Regisseur David Alden hält Gaetano Donizetti für einen der grössten Musikdramatiker. In Zürich bringt er mit «Roberto Devereux» Donizettis Tudor-Trilogie zum Abschluss –ein hochemotionales Meisterwerk über den Niedergang der letzten Königin des schillernden Hauses Tudor
Fotos Admill Kuyler
David, gerade macht das englische Königshaus mit Spare, dem neuen Buch Prinz Harrys, erneut Schlagzeilen. Sex, Crime und Royality – davon sind wir nach wie vor fasziniert…
Ist das nicht erstaunlich? Wie ist es nur möglich, dass diese verrückte Familie seit nunmehr fast 1’000 Jahren die Aufmerksamkeit der Welt so auf sich zieht? Wer auch immer dieses Script schreibt, er muss ein Genie sein.
The Spare heisst ja auch derjenige, der in der Thronfolge erst an zweiter Stelle kommt. Dass Elizabeth I., die als Figur das Epizentrum von Roberto Devereux darstellt, Königin werden würde, war zunächst nicht zu erwarten. Doch dann wurde sie zu einer der erfolgreichsten Monarchinnen in der Geschichte Englands.
Ja, aber nach einem traumatischen Beginn. Ihre Kindheit war schrecklich. Man hat ihr furchtbare Dinge nachgesagt, ihre Halbschwester Maria, die damalige Königin, liess die 21-Jährige im Tower einsperren. Elizabeths Schicksal war lange Zeit ungewiss, ihr Leben mehr als einmal in Gefahr. Später, als Königin, faszinierte sie die ganze Welt. Sie war eine ausserordentliche Frau, die 45 Jahre lang regierte. Die kürzlich verstorbene Elizabeth II. war zwar noch länger Queen, aber sie hatte keine politische Macht. Queen Elizabeth I. hingegen machte als einzige Frau in einer patriarchalischen Epoche in Europa Weltpolitik, sie hielt die spanische Armada auf, errichtete das britische Weltreich und prägte das Selbstbewusstsein ihrer Nation, das sich bis heute in Grossbritannien daraus speist.
Donizetti setzte sich insgesamt dreimal mit dieser Königin auseinander: zum ersten Mal in seiner frühen Oper Il castello di Kenilworth, später in Maria Stuarda und zuletzt in Roberto Devereux. Wie sieht er diese Figur?
Zunächst einmal ist es erstaunlich, dass er sich überhaupt mit Elizabeth I. beschäftigte, war sie doch im katholischen Italien lange Zeit eine Hassfigur. Während Elizabeths katholische Vorgängerin Maria I. die Protestanten rigoros verfolgte, stand Elizabeth auf der Seite der anglikanischen Kirche und trieb die Reformen voran. Was die Figur in Maria Stuarda angeht, ist Elisabetta ziemlich negativ gezeichnet. Sie erscheint kaltherzig und intrigant, auch wenn es Momente gibt, in denen man mit ihr mitfühlt. Donizettis Sympathien gelten dort eher Maria, der Katholikin und schottischen Königin, die als Märtyrerin stirbt. Zu Elisabettas Verteidigung muss man allerdings sagen, dass sie es als weibliche Machtfigur in einer männlich dominierten Welt nicht einfach hat und erst recht nicht, gleichzeitig ihre privaten Liebesbeziehungen auszuleben. Der Historiker Ernst Kantorowicz hat einmal den Begriff vom König mit den zwei Körpern geprägt: Dieser habe eine öffentliche und eine private Seite. Dieser Konflikt ist in Roberto Devereux noch links: Bühnenbildner
Gideon Davey im Gespräch mit dem Tenor Stephen Costello (Roberto Devereux) unten: Inga Kalna (Elisabetta) und Regisseur David Alden ausgeprägter und geht tiefer. Hier ist die Königin bereits älter, und wir hegen viel Sympathie für sie. Aber auch in diesem Stück hat sie zuweilen monsterhafte Züge –und ist gleichzeitig eine tragisch Liebende. Es ist schon erstaunlich, was Musik alles kann.
Was reizt dich als Regisseur besonders an dieser Oper?
Ich liebe Donizetti grundsätzlich und halte ihn für einen der grössten Musikdramatiker überhaupt. Roberto Devereux ist ein Melodram, fast 200 Jahre alt und in seiner Theatralität auch irgendwie ein Kind seiner Zeit. Andererseits ist dieses Stück von einer faszinierenden Schärfe, die Szenen sind ungemein dicht und prägnant geschrieben. Es gibt zwar auch hier noch die Cabaletta oder Cavatinen, musikalische Formen, die noch von Rossini herrühren. Aber Donizetti benutzt diese Formen mit einer neuen Freiheit und immer im Dienste des Dramas. Er schafft emotionale und eindrucksvolle Situationen. Dadurch erleben wir die Gefühle und Leidenschaften der Figuren wie unter einem Brennglas. Sich da hineinzugeben und gemeinsam mit den Sängerinnen und Sängern diese Figuren zu formen, die Geschichte für ein modernes Publikum zu erarbeiten und die extreme Übertreibung, die Intensität herüberzubringen, ist eine grosse Herausforderung und gleichzeitig ein wunderbares Geschenk für einen Regisseur. Man arbeitet dabei wie ein Filmregisseur mit Grossaufnahmen: Im Grunde ist die Oper ein Kammerspiel mit vier Figuren, die allesamt sehr komplex sind und in komplizierten Beziehungen zueinander stehen. Den Chor könnte man strenggenommen sogar weglassen: Er ist eine Farbe und agiert sehr passiv. Im Vergleich zu Anna Bolena und Maria Stuarda hat er hier am wenigsten zu tun.
Die Oper erzählt in erster Linie von Elisabettas Liebe zum gut dreissig Jahre jüngeren Roberto Devereux.
Roberto Devereux ist vergleichbar mit Leicester in Maria Stuarda – ebenfalls ein junger Mann, mit dem die Königin politisch und emotional verstrickt ist. Elisabetta zerstört Maria Stuarda nicht aus politischen, sondern aus persönlichen Gründen –sie möchte diesen jungen Mann für sich selbst haben. So auch in Roberto Devereux. Roberto muss schliesslich sterben, weil Elisabetta herausfindet, dass er eine andere liebt. Es ist also in erster Linie Liebesverrat, der Roberto in der Oper zum Verhängnis wird. Der historische Roberto Devereux betrog Elizabeth I. politisch, indem er einen Pakt mit dem irischen Gegner unterzeichnete. Später zettelte er sogar eine Revolte gegen Elizabeth an, die allerdings kläglich scheiterte. Man kann es nicht anders sagen, aber dieser Typ war wirklich verrückt. Und dennoch unterhielt Elizabeth jahrelang eine Beziehung mit ihm, auch wenn sie wusste, dass er nicht der Richtige für sie war. Offenbar sprach er sie auf vielen Ebenen an. Er war brillant, gutaussehend, ein Poet, ein Kriegsherr, ein Abenteurer. Gleichzeitig spielte er mit ihr, war zuweilen sehr brutal zu ihr, verliess den Hof urplötzlich und verschwand für Wochen in sein Schloss. Immer war sie diejenige, die ihn bitten musste, wieder zurückzukommen.
Der historische Devereux war auch der Patensohn des vorherigen Favoriten Elizabeths, Robert Dudley. Verrückt, nicht wahr?
Wie ist Devereux in Donizettis Oper gezeichnet?
Donizettis Devereux ist ein merkwürdiger Charakter. Die Oper heisst zwar Roberto Devereux – aber was tut er denn eigentlich? Wenn wir ihn zum ersten Mal sehen, hat er bereits all seine Karten ausgespielt. Er ist bereits ein Verdammter, ein «dead man walking», wie man so schön sagt. Devereux ist nicht wirklich ein Held, auch wenn er das vielleicht von sich selbst denkt. Donizetti verleiht ihm fast depressive Züge und seine Musik ist meistens sehr weich. Das ist noch kein Verdi-Tenor.
Seine heimliche Geliebte ist Sara, die ebenfalls eine wichtige Spielfigur in diesem Stück ist.
Sie ist eine verlorene Seele, und wir leiden mit ihr. Ihr Ehemann Nottingham hat eine sehr schwierige Persönlichkeit, und wie wir gesehen haben ebenso ihr Liebhaber Rober to. Als Frau in einer solchen Welt hat Sara keine Macht, keinerlei Karten, die sie ausspielen kann. Und dennoch ist es interessant zu sehen, welche Stärke sie trotz allem ausstrahlt, wie sie für sich kämpft und für sich einsteht.
Ihr Mann Notthingham wiederum ist derjenige, der in dieser Geschichte wie ein Katalysator wirkt und die Tragödie besiegelt. Das ist natürlich von einer tragischen Ironie, denn er liebt seinen Freund Roberto und ist der Einzige unter den Höflingen, der Robertos Leben retten möchte. Das komplette Gegenteil tritt ein, wenn er erfährt, dass Roberto eine Affäre mit Sara hatte und womöglich noch immer hat. Seine Fallhöhe ist extrem.
Die letzte Viertelstunde gehört zu den beeindruckendsten Momenten dieser Oper. In was für einem Zustand ist die Königin? Auch sie erlebt im Laufe der Oper einen beispiellosen, traurigen Niedergang. Anfangs sehen wir sie als jemanden, der die Welt regiert und die Zügel noch fest in der Hand hat – zumindest glaubt sie das. Sie liebt Roberto noch immer und hat diese lächerliche Vorstellung, sie könne Robertos Leben retten und weiter machen wie zuvor. Am Ende wandert sie fast wahnsinnig geworden durch den Palast. Sie hat alles verloren. Ich glaube aber, dass sie letztlich nicht nur am Verlust Robertos zugrunde geht, sondern in diesem Moment auch ihre ganze dunkle Familiengeschichte über sie hereinbricht, die sie so lange erfolgreich unter Kontrolle halten konnte: Ihr Vater Henry VIII. brachte ihre Mutter Anne Boleyn um, und während hunderten von Jahren hat diese Familie durch Gewalt, Krieg, Unterdrückung und Unterjochung geherrscht. Ein schreckliches Familienerbe.
Mit Roberto Devereux beschliesst du deine Tudor-Trilogie am Opernhaus Zürich. Inwiefern spiegelt sich das im Bühnenbild?
Die Klammer für alle drei Werke ist ein riesiger, leerer Marmorraum. Darin haben wir für jede Oper – wie in ein modernes Museum – eine Art Installation gestellt. In Maria Stuarda war das ein skulpturhaftes, grosses Pferd, in Anna Bolena haben wir mit viel Holz die dunkle und gefängnishafte Welt Henry VIII. nachempfunden In Roberto Devereux spielen wir mit einem kreisförmigen, architektonischen Gebilde, das es uns ermöglicht, offene und geschlossene, private und öffentliche Räume zu zeigen, um dadurch Donizettis rasante Dramaturgie der Schauplätze zu realisieren.
Wenn ich dich so auf den Proben erlebe, habe ich das Gefühl, dass du ein unglaublich leidenschaftlicher Melomane bist. Woher kommt das?
Ich habe keine Ahnung. Als ich jung war, ging ich dreimal die Woche in die New York City Opera. Dort habe ich auch Beverly Sills erlebt. Sie war eine berühmte Elisabetta, und ich glaube, dass es ihr zu verdanken ist, dass man Donizettis TudorOper n als Triptychon aufführt. Ich muss sagen, dass ich sehr glücklich bin über unsere Zürcher Besetzung. Inga ist wahnsinnig kreativ und hat viele eigene Ideen, sie fasziniert mich wirklich. Das ist eine sehr schwer zu besetzende Rolle – in Zürich ganz besonders: Den Geist von Edita Gruberova spürt man natürlich noch immer, es war eine ihrer grössten und letzten Rollen. Aber Inga macht das auf ihre eigene, wunderbare Art.
Das Gespräch führte Kathrin Brunner