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Jewgeni Onegin
Die Bratschistin Natalia Mosca über eine besondere Stelle in Pjotr Tschaikowskis Oper
Die musikalische Schlüsselstelle in der berühmten Briefszene von Tschaikowskis Oper Jewgeni Onegin ist ein Motiv in den ersten Geigen und den Bratschen. Takt für Takt verdichtet es sich und wird immer schneller («stringendo») – für mich stellt es Tatjanas Herzklopfen dar. Die anfangs so schüchterne und verschlossene Tatjana spürt hier zum ersten Mal die Möglichkeiten des Lebens, Hoffnungen und Glücksgefühle. Es sind diese wenigen Takte, in denen sie sich entscheidet, einen Brief an Onegin zu verfassen und ihm ihre Liebe zu gestehen («Sollte ich auch sterben…»). Es ist der Moment, der aus Tatjana einen neuen Menschen machen wird – eine überschwänglich und hingebungsvoll liebende junge Frau. Die Musik wechselt in dieser Szene ständig zwischen Dur und Moll, zwischen Andante und Allegro und ist Ausdruck ihrer inneren Aufgewühltheit. Tatjana öffnet sich und macht sich damit sehr verletzlich. Umso mehr wird sie die schmerzhafte Abweisung durch Onegin treffen und einen enormen Einfluss auf ihr weiteres Leben haben: Mit Gremin wird sie später einen sehr viel älteren Mann heiraten. Als Onegin einige Zeit danach dann doch noch um die verheiratete Tatjana wirbt, weist sie ihn brüsk ab. Damit stellt sie die Treue zu ihrem Ehemann über die Treue zu sich selbst und über ihr eigenes Glück. Durch die ganze Oper zieht sich eine melancholische Farbe; der Bratschenklang, der sehr nah an der menschlichen Stimme ist, trägt einen wichtigen Teil zu diesem Klang bei. Seit meiner Kindheit berührt mich dieses Werk. Bei meinen drei Töchtern im Alter von 8, 11 und 14 Jahren würde ich mit einem Besuch der Oper allerdings noch warten, auch wenn ich weiss, dass sie als selbstbewusste, lebensfrohe junge Menschen aufwachsen und – anders als Tatjana in der Oper – auch mit Enttäuschungen und Kränkungen umzugehen lernen. Ihr Lebensglück wird nicht von einem Mann abhängig sein – wie gut, dass wir heute in anderen Zeiten leben!
Natalia Mosca