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Sie gibt ihm Chance um Chance
Die lettische Sopranistin Inga Kalna übernimmt in Donizettis «Roberto Devereux» die herausfordernde Partie der Elisabetta. Die alternde Königin ist in einen ausweglosen Liebeskonflikt mit ihrem jungen Günstling Roberto Devereux verstrickt
Inga, du hast letztes Jahr hier in Zürich Mme Lidoine in Poulencs Dialogues des Carmélites gesungen und verkörperst nun mit Elisabetta in Roberto Devereux ebenfalls eine historische Figur. Verändert es deine Herangehensweise, wenn die Figur ein historisches Vorbild hat?
Nein. Aber es macht natürlich Spass, sich in historische Dokumente, in Biografien und Memoiren zu vertiefen. Königin Elizabeth I. war eine faszinierende Persönlichkeit, eine «femme for midable» wie Katharina die Grosse, wie Königin Victoria, Margaret Thatcher oder Angela Merkel, die allesamt mit viel Hingabe und Pflichtbewusstsein regiert haben. Eine Machtfigur, die wahnsinnig viel für ihr Volk geschaffen hat, die dem Land Stabilität gegeben hat und viel für die Gesellschaft getan hat, dabei aber auch viel opfern musste. In der Oper wird aber nicht die historische Figur, die Politikerin dargestellt, sondern in erster Linie die private Elizabeth und ihr persönliches Schicksal.
Eine Frau im Spätherbst ihres Lebens… Sie ist zu diesem Zeitpunkt 67 Jahre alt, hat bereits viel erlebt und geschaffen, und verliebt sich Hals über Kopf in Roberto Devereux, diesen gut 30 Jahre jüngeren Mann. Ihm gesteht sie Dinge zu, die sie keinem anderen durchgehen liess. Der historische Devereux war überaus eloquent und gebildet, aber auch recht aufbrausender Natur und hatte ein wildes Temperament. Er neigte zu einer Art paradoxaler Denkweise, und das muss sie als wahnsinnig erfrischend empfunden haben. Nachdem er hingerichtet wurde, lebte die Königin nur noch zwei Jahre.
Wie schätzt du diese Beziehung ein?
Elisabetta hat wohl bemerkt, dass der Zahn der Zeit an ihr nagt. Und trotzdem scheint sie diese Tatsache durch ihre Inszenierung einer fast göttlichen, ewigjugendlichen Erscheinung komplett ausser Acht gelassen oder kompensier t zu haben. Vielleicht gerade weil sie kinderlos geblieben ist, hatte sie in diesem Lebensabschnitt diese Neigung zu jüngeren Männern. Diese verehrten sie natürlich, denn sie war eine hoch zu achtende Person, die mächtigste Frau im Land! Doch Roberto konnte Elisabettas Avancen nur zu einem gewissen Teil erwidern und sicher nicht so, wie sie sich das vorgestellt hatte. Das muss in ihr einen unermesslichen Schmerz erzeugt haben, den sie nie stillen konnte.
In Donizettis Oper sind Elisabettas Unsicherheit und Verletzbarkeit in Bezug auf Devereux von Anfang an spürbar. Empfindest du das auch so? Sie wirkt tatsächlich bereits in der ersten Szene ziemlich atemlos, wenn sie über Devereux spricht. Sie hält nur noch an der Vergangenheit fest und schmiedet keine Pläne mehr, sondern geht auf ihr Ende zu. Nur wenn sie die Eifersucht bei sich entdeckt und eine Rivalin vermutet, scheint sie zum Handeln bereit zu sein. Und doch kokettiert sie bis zum letzten Moment mit Devereux, gibt ihm Chance um
Chance, damit er ihre und seine Ehre bewahren kann. Wenn sich das Parlament aus politischen Gründen für das Todesurteil von Devereux ausspricht und sie es nur noch unterschreiben müsste, schlägt es eine Minute vor Mitternacht – aber sie zögert.
Eine deiner Paraderollen war lange Georg Friedrich Händels Alcina, die Zauberin, die Männer auf ihre Insel lockt, um sie anschliessend in Steine oder Tiere zu verwandeln. Da gibt es ja durchaus Parallelen zu Elisabetta… Gut, dass du das ansprichst. Gerade wenn man Alcinas Arie «Ombre pallide» mit der Wahnsinnsszene von Elisabetta vergleicht, gibt es frappante Ähnlichkeiten. In «Ombre pallide» hört man diese merkwürdig mäandernden chromatischen Terzgänge, die wie Würmer sind und Alcina innerlich zerfressen. Alcina, der bewusst geworden ist, dass sie Ruggero auf ihrer Insel nicht halten kann, verliert in diesem Moment ihre Zauberkräfte, ihre Macht und ihr Reich, ihre Weiblichkeit und ihr Eros. Die Zauberkräfte waren für sie wie ein Lebenselixir. Nun ist es versiegt – sie wird während dieser Arie alt. Ganz ähnlich Elisabetta in ihrer Wahnsinnsszene: Als das Todesurteil vollstreckt wird, altert sie innerhalb einer Viertelstunde vor unseren Augen. Alles, was diese Persönlichkeit ausgemacht hat, stürzt in sich zusammen. «Non vivo, non regno» – sie lebt und regiert nicht mehr. Elisabetta hat ihre Karten ausgespielt und alles so lange hinausgezögert, dass sie nicht gemerkt hat, wie sie sämtliche Trümpfe verloren hat. So bemitleidenswert diese Figur am Ende ist, hat sie doch auch etwas Groteskes.
Donizetti schrieb die Rolle der Elisabetta für Giuseppina Ronzi de Begnis, eine seiner Lieblingssängerinnen und Primadonna assoluta am Teatro San Carlo in Neapel. Sie sang auch die Uraufführung von Maria Stuarda und war eine berühmte Anna Bolena. Welche Fähigkeiten muss sie gehabt haben? Sie hatte ausgeprägte Höhen, genauso aber auch kräftige Tiefen, eine grosse Beweglichkeit in der Stimme, und sie muss gleichzeitig zu einer konzentrierten Dramatik fähig gewesen sein. Insofern ist diese Partie fast mit Verdis Lady Macbeth vergleichbar, wie ja diese ganze Oper den frühen Verdi gleichsam vorwegnimmt. Generell muss man sagen, dass Donizetti damals die besten Sängerinnen und Sänger ihrer Zeit zur Verfügung standen. Nicht umsonst werden diese Partien –dazu gehört zum Beispiel auch Leicester in Maria Stuarda – als verhängnisvoll angesehen. Die Elisabetta in Roberto Devereux ist eine der gefährlichsten Partien in diesem Repertoire überhaupt. Als ich mit meiner Professorin diese Partie durchgegangen bin – ich arbeite seit 25 Jahren mit ihr zusammen –, hat sie am Ende die Noten zugeklappt und gesagt: «Mädchen, bleib bitte gesund.»
Der virtuose Stil, wie ihn Donizetti noch bei der zwei Jahre zuvor entstandenen Lucia di Lammermoor schrieb, verwandelt sich bei Roberto Devereux eher in eine Bravour des Expressiven…
Koloraturen sind ja grundsätzlich immer nur ein Mittel zum Zweck, selbst bei Händel und Rossini. Bei Roberto Devereux gibt es durchaus noch brillante Koloraturen, und wir machen das in unserer Produktion recht puristisch. Die grosse Leyla Gencer hat diese Par tie fast wie Verdi gesungen, Montserrat Caballé hat einen ganz eigenen Weg gefunden, während Beverly Sills in den 1960er-Jahren ihre Partie fast überornamentiert hat. Das war aber auch typisch für ihre Zeit. Edita Gruberova wiederum interpretierte Elisabetta fast wie eine veristische Rolle. Die Ästhetik, die wir in unserer Produktion pflegen, geht zurück zu den Quellen. Das bedeutet: keine Fer maten auf den hohen Tönen, und wenn doch, dann nur, wenn es tatsächlich in den Takt passt, und nicht allzu viele Verzierungen. Ich empfinde das wie ein Bild von Piet Mondrian – mit klaren Linien, Primärfarben und Rauten –, und nicht wie einen verspielten Klimt mit viel Gold.
Hilft dir deine langjährige Erfahrung mit Mozart und Händel für eine Partie wie der Elisabetta?
Vor allem Mozart. Händel ist Balsam für die Stimme, denn er hat die Stimme sehr gut gekannt, und seine Partien liegen immer angenehm. Mozart hingegen behandelt die Stimme wie ein Instr ument. Das diszipliniert enorm. Ein Fehltritt bei Mozart, und du bist draussen. Das ist wie beim Biathlon: Einmal verschossen, und du verlierst sofort deinen Platz, weil du diese Extra-Runde laufen musst. So ist es auch bei einer Partie wie der Elisabetta. Puccini verzeiht einem zum Beispiel viel mehr, denn man kann alles als Farbe, als Ausdruck verkaufen. Bei Donizetti geht das nicht. Ich weiss genau, in welche Fussstapfen ich hier trete, und ich verneige mich vor jeder Sängerin, die diese Rolle gesungen hat oder sie aktuell singt. Diese Partie ist ein Ritterschlag. Persönlich gibt mir die Elisabetta die Möglichkeit, mich zum ersten Mal mit Altersfragen auseinanderzusetzen. «Ageism» ist ein Thema, das sehr lange tabuisiert war. Ich spreche da aus eigener Erfahrung. Bereits vor zehn Jahren musste ich mir anhören, dass meine Stimme zwar jung klinge, ich selber aber nicht jung sei. Ein Sopran altert schliesslich nicht! Diese Problematik stellt sich für Mezzosopranistinnen weniger: Hier gibt es wesentlich mehr Partien für Frauen, die in die Jahre gekommen sind. Ich finde es interessant, mich mit diesem Thema durch diese Geschichte, durch das Sujet einer alternden Frau auseinanderzusetzen, einen Bezug zum eigenen Alter zu finden, ein eigenes Bild vor Augen zu haben –und nicht wie in der Oper, sich auf einen Dreissigjährigen einzulassen…
Das Gespräch führte Kathrin Brunner
Roberto Devereux Oper von Gaetano Donizetti
Musikalische Leitung
Enrique Mazzola Inszenierung
David Alden
Bühnenbild und Kostüme
Gideon Davey
Lichtgestaltung
Elfried Roller
Choreografische Mitarbeit
Arturo Gama
Choreinstudierung
Janko Kastelic
Dramaturgie
Kathrin Brunner
Elisabetta I.
Inga Kalna
Duca di Nottingham
Konstantin Shushakov
Sara
Anna Goryachova
Roberto Devereux
Stephen Costello
Lord Cecil
Andrew Owens
Sir Gualtiero Raleigh
Brent Michael Smith
Page
Aksel Daveyan
Vertrauter Nottinghams
Gregory Feldmann
Philharmonia Zürich
Chor der Oper Zürich
Statistenverein am Opernhaus Zürich
Premiere 5 Feb 2023
Weitere Vorstellungen
9, 12, 17, 22, 26 Feb; 4, 7, 17 März 2023
Partner Opernhaus Zürich a b