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MYSTERIÖSER ENGEL DES UNTERGANGS

Aus Antony Hegarty wurde die Transgender-Ikone Anohni

Die musikalische Karriere von New Yorks glamouröser Künstlerin Anohni beginnt als dunkler Engel Antony Hegarty und liest sich wie ein Märchen aus ferner Zeit. Als er gerade mal ein Album in seiner Diskografie aufweisen kann, schwärmt Laurie Anderson bereits in den höchsten Tönen von ihm. Und nicht nur das. Als Hegarty kurz darauf mit Lou Reed um die Welt tourt, brodelt die Gerüchteküche. Beiden jedenfalls kommt das Verdienst zu, einem der aussergewöhnlichsten Sänger gewaltigen Anschub für seine schillernde Karriere gegeben zu haben.

Zur Welt kommt Hegarty in Grossbritannien 1971, wächst jedoch in Kalifornien auf, bevor es ihn 1990 nach New York zieht. Dort fühlt er sich in der Schwulenszene des East Village zu Hause und macht sich mit zerbrechlichexzentrischen Kabarett­Auftritten im Pyramid Club einen Namen. Hegarty vereinigt in seinen Performances den Soul eines Otis Redding, den Glamour von Klaus Nomi, die Inbrunst eines Marc Almond und die dunkle Welt­Entsagung von Nick Cave und steigt aus dieser Asche als eine Art mysteriöser Engel des Untergangs auf.

Kein Wunder, dass er mit derart apokalyptischen Untertönen bei Current 93­Sänger David Tibet auf offene Ohren stösst. Der entschliesst sich, dem jungen Talent 1998 auf seinem Label Durtro eine Chance zu geben und verlegt das selbstbetitelte Debüt. Zu jener Zeit lässt Hegarty seine Auftritte mit Piano, Streicher und Gitarre begleiten. Seine Band The Johnsons ist geboren.

Laurie Anderson erliegt der eigenwilligen Stimme und stellt den Kontakt zu ihrem Mann Lou Reed her. Der zeigt sich von Hegartys Gesangskunst ebenfalls beeindruckt und nimmt ihn 2003 mit auf eine Tournee.

2005 entsteht in einem New Yorker Studio das zweite Album I Am A Bird Now, auf dem sich auch seine Freunde Rufus Wainwright, Devendra Banhart, Lou Reed und Boy George die Ehre geben. Es ist sein Durchbruch: in Grossbritannien gewinnt er damit den Mercury Prize.

Seine Kontakte ins schwule New York tragen 2008 weitere Früchte: Für das gefeierte Post­Disco­Projekt Hercules And Love Affair leistet er bei einem erheblichen Teil der Tracks Gesangsbeiträge. Auch auf Björks Volta ist Hegarty mit seiner Stimme vertreten. Es ist die zunächst produktivste Phase in Hegartys Schaffen. 2009 und 2010 folgen Thee Crying Light und Swanlights

Die zweite Platte erscheint zugleich als Buchfassung mit Zeichnungen und Collagen, denn Hegarty betätigt sich zunehmend als bildender Künstler. 2012 produziert das Museum of Modern Art seine gefeierte Performance zu Swanlights in der New Yorker Radio City Music Hall als Zusammenarbeit mit dem Laser­Künstler Chris Levine und dem Set­Designer Carl Robert Shaw. 2013/14 entscheidet sich Antony Hegarty für eine Transgender­Identität und nennt sich fortan Anohni. Nachdem Antony schon auf dem symphonischen, in Zusammenarbeit mit dem Nationalen Dänischen Kammerorchester entstandenen Album Cut The World von 2012 mehr feminin orientierte Einflussnahme in Politik und Gesellschaft einforderte und das patriarchalische System als Auslöser für das ökologische Desaster auf dem Planeten verantwortlich machte, ist die Wiedergeburt als weibliche Künstlerin für Anohni nur folgerichtig. 2016 erscheint ihr Debütalbum Hopelessness, auf der sie radikale Texte in elektronische Songs bettet.

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