2 minute read

DER VERGÄNGLICHKEIT TROTZEN

Next Article
Das

Das

Crystal Pite über ihr Stück «Angels’ Atlas»

Der Anstoss für diese Kreation kam von meinem Partner und Bühnenbildner Jay Gower Taylor. In unseren jüngsten Arbeiten hat Jay ein System zur Beeinflussung reflektierten Lichts entwickelt. Gemeinsam mit dem Lichtdesigner Tom Visser erkundete er die unterschiedlichsten Möglichkeiten, eine Oberfläche auf diese Weise zu beleuchten. Obwohl die analoge Projektionsfläche aus einfachsten Materialien besteht, bringt sie komplexe, malerische Bilder hervor, ein kontrolliertes Chaos, das eine Illusion von Tiefe und von Natürlichkeit erzeugt. Das Licht tanzt auf dieser schwenkbaren, reflektierenden Oberfläche und bringt so Unerwartetes hervor. Für uns ist diese Wand des sich fliessend ausbreitenden Lichts gleichermassen Grenze, Portal und Abbildung des Unbekannten. Als ich klein war, erzählten mir mein Onkel und mein Vater oft vom Universum. Dabei überkam mich immer wieder eine Art schwindelerregender Schauer, so als würde ich in die unermesslichen Weiten des Kosmos hineingesogen. Die beiden inspirierten mich zur Auseinandersetzung mit all jenen grossen Themen, die ausserhalb meiner Vorstellungskraft liegen, und regten mich dazu an, den grossen Fragen dieser Welt mit Fantasie und Kreativität zu begegnen. Die Arbeit mit Licht erinnert mich an dieses Gefühl des Staunens und an meine Sehnsucht, mich dem hinzugeben, was sich unserer Erkenntnis entzieht. Licht ist genial und überwältigend und bewirkt in seinem Chaos und seiner Schönheit, dass ich mich auf eine kribbelnde Weise klein fühle. Klein angesichts all jener unbeantwortbaren Fragen, die Liebe, Tod und Unendlichkeit betreffen.

Wie die Choreografie ist auch die Bewegung des Lichtes quecksilbrig und flüchtig. Das erinnert mich daran, was der Schriftsteller und Kritiker Max Wyman über den Tanz gesagt hat. Er sei «eine Kunstform, die die Vergänglichkeit der

Existenz definiert und ihr gleichzeitig trotzt. Wir haben nichts als den Körper, und bald werden wir nicht einmal mehr diesen haben. Aber es ist genau diese Körperlichkeit, die so eloquent von unserer Sterblichkeit spricht und gleichzeitig unseren Widerstand zum Ausdruck bringt. Keine andere Kunstform bringt so direkt die Fragilität und Endlichkeit des Lebens zum Ausdruck oder das Verlangen des Menschen, diese Fesseln überwinden zu wollen und auf einen perfekten Moment der Selbstverwirklichung hinzuarbeiten.» Ich stelle mir den Körper gerne als einen Ort vor, an dem das Sein angehalten und geformt wird. Auf diese Weise gibt der Tanz dem Unbekannten eine Form. Im tanzenden Körper erscheint das Unbekannte als etwas sowohl Vertrautes als auch Aussergewöhnliches, und wir erhaschen vielleicht einen Blick auf etwas ewig Gültiges. Tanz und Tänzer sind ihrer Endlichkeit vereint, aber gerade dadurch bekommt ihre Schönheit eine Bedeutung. Das empfinde ich als sehr stark. Ich arbeite gerne in einer Form, die ständig in einem Zustand des Verschwindens begriffen ist. Unser Tanz, wie auch unser Leben, stehen immer in einer Beziehung zur Zeit und damit zu unserer eigenen Sterblichkeit. Ich versuche, etwas zu schaffen, das von unserer Vergänglichkeit spricht und «unseren Trotz zum Ausdruck bringt», wie Wyman sagt. Etwas, das einen leidenschaftlichen Puls des Lebens hervorruft. Der vergängliche Teil wird sich von selbst erledigen.

This article is from: