COSÌ FAN TUTTE
WOLFGANG AMADEUS MOZART
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COSÌ FAN TUTTE WOLFGANG AMADEUS MOZART (1756-1791)
Andrei Bondarenko, Mentor Bajrami, Anna Goryachova, Francesco Guglielmino, Ruzan Mantashyan Spielzeit 2018 / 19
HANDLUNG Erster Akt Beim Gespräch unter Männern geraten Ferrando und Guglielmo mit ihrem Freund Alfonso in Streit. Während Alfonso aus eigener Erfahrung nicht mehr daran glaubt, dass Frauen treu sein können, sehen die jungen Männer die Sache ganz anders: Ihre Verlobten Fiordiligi und Dorabella seien ihnen absolut treu, davon sind sie fest überzeugt. Alfonso schlägt eine Wette vor, auf die sich Fer rando und Guglielmo im Eifer des Gefechts auch einlassen: Alfonso will ihnen beweisen, dass Fiordiligi und Dorabella ebenso untreu sind wie alle anderen Frauen auch. Die beiden Schwestern schwärmen die Bilder ihrer Verlobten an. Sie können es kaum erwarten, Ferrando und Guglielmo endlich wiederzusehen. Doch statt der beiden jungen Männer wartet Alfonso auf sie und eröffnet den Frauen, dass Ferrando und Guglielmo einberufen worden sind und sofort abreisen müssen. Verzweifelt nehmen die Frauen Abschied. Das Spiel hat begonnen. Fiordiligi und Dorabella geben sich ihrem Schmerz hin. Auch Despina kann die beiden nicht trösten – sie hält den Frauen einen Vortrag darüber, dass Männer Treue gar nicht verdienen. Alfonso besticht Despina. Sie soll ihm dabei helfen, zwei fremden, exotisch aussehenden Männern Zugang zum Haus der Schwestern zu verschaffen. Kaum sind die Männer da, überschlagen sich die Ereignisse: Dorabella und Fiordiligi werden mit Liebesschwüren bedrängt. Doch Fiordiligi weist die Fremden mit einer Ansprache über weibliche Standhaftigkeit zurück. Ferrando und Guglielmo glauben ihre Wette schon gewonnen. Doch Alfonso weiss: Das Spiel ist noch nicht zu Ende. In einer gross inszenierten Selbstmordszene spielen die Fremden den bei den Schwestern vor, sie wollten sich aus Liebe zu ihnen umbringen. In den Herzen der Frauen beginnt sich Mitleid für die Fremden zu regen. Nachdem Despina, als Arzt verkleidet, die vermeintlich Sterbenden ins Leben zurückge holt hat, bestürmen sie die Frauen erneut.
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Zweiter Akt Despina provoziert Fiordiligi und Dorabella mit ihren Ansichten darüber, wie selbstbewusst Frauen mit Männern umgehen sollen. Die Schwestern beginnen, in Gedanken mit dem Feuer zu spielen; dabei stellt sich heraus, dass beide ihre Wahl in Bezug auf die beiden Unbekannten längst getroffen haben. Dorabella gibt sich dem fremden Mann nach kurzer Unsicherheit hin. Fiordiligi dagegen kämpft gegen ihre heimlichen Wünsche an und wehrt den Fremden zunächst ab. Ferrando muss sich trotz seinem Schmerz und seiner Wut über Dorabellas Untreue eingestehen, dass er Fiordiligi noch immer liebt. Despina lobt Dorabella, die aus Despinas Sicht das Richtige getan hat. Fiordiligi ist vollkommen verstört von ihren eigenen Emotionen. Doch auch sie kann schliesslich der Versuchung nicht mehr widerstehen und gibt sich dem Fremden hin. Nun ist auch Guglielmo, der Fiordiligi beobachtet hat, wütend und verzweifelt. Alfonso legt den beiden verwirrten und verletzten Liebhabern eine realis tische Sicht auf das Leben und die Liebe nahe. Die Frauen könnten nun mal nicht anders. Così fan tutte! Dann wird alles für die Doppelhochzeit vorbereitet. Despina, nun als No tar, lässt die Frauen den Hochzeitsvertrag unterschreiben, als plötzlich Militär musik erklingt. Fiordiligi und Dorabella sind über die Rückkehr ihrer Verlobten zu Tode erschrocken. Ferrando, Guglielmo und Alfonso decken das Spiel auf. Alfonso fordert die Paare auf, sich zu versöhnen und einander zu vergeben. Die beiden Paare sehen einer ungewissen Zukunft entgegen.
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Anna Goryachova, Rebeca Olvera,Ruzan Mantashyan Spielzeit 2018 / 19
EIN GRAUSAMES EXPERIMENT Der Regisseur Kirill Serebrennikov über seinen Blick auf Mozarts «Così fan tutte»
Kirill Serebrennikov, Sie befinden sich nun seit über einem Jahr in Moskau in Hausarrest. Wie geht es Ihnen in dieser Situation? Womit verbringen Sie Ihre Zeit? Ich arbeite an Mozarts Così fan tutte! Wie es mir mit dieser Situation geht, darüber werde ich dann sprechen können, wenn sie hoffentlich bald vorbei ist. In jedem Fall ist es eine sehr wichtige Erfahrung für mich. Obwohl Sie unter Hausarrest stehen, laufen hier am Opernhaus Zürich seit 21. September die Proben zu Ihrer Inszenierung von Mozarts Così fan tutte ... Es ist sehr schmerzhaft, eine Oper sozusagen über meinen Anwalt inszenieren zu müssen. Aber man darf sich den Kräften des Bösen nicht beugen. Heut zutage in Russland – aber auch in vielen anderen Ländern der Welt – Künstler zu sein, bedeutet, ein grosses Risiko einzugehen – als Künstler riskieren wir nicht nur unsere Gesundheit, sondern auch unsere Freiheit. Das Theater ist in Russland zu einer Risikozone geworden, denn es ist gefährlich für die Dogmatiker, wie alles, was den Menschen zum freien Denken und zu einem freien Bewusstsein verhilft. Sie haben die Inszenierung von Così fan tutte im Detail vorbereitet und gemeinsam mit Evgeny Kulagin ein detailliertes Regiebuch erarbeitet – die Inszenierung ist also in Ihrem Kopf theoretisch so gut wie fertig. Haben Sie eine Möglichkeit, zu überprüfen, wie diese theoretische Inszenierung in der Praxis funktioniert?
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Ja, diese Möglichkeit gibt es zum Glück, dank der Technik des 21. Jahrhun derts und dank meinem Freund und Co-Regisseur Evgeny Kulagin, der mit dem Regiebuch, das wir gemeinsam erarbeitet haben, nach Zürich gereist ist und mit den Sängerinnen und Sängern nun dort probt. Über meinen Anwalt, der mich hier in Moskau im Hausarrest besuchen darf, bekomme ich Videomitschnitte von den Proben und kann den Sängerinnen und Sängern – wiederum über meinen Anwalt – anschliessend Feedback geben über das, was ich gesehen habe, oder sogar Szenen ändern. Sie haben bisher – neben vielen Inszenierungen im Schauspiel und einigen sehr erfolgreichen Filmen, zuletzt Leto (Sommer), der auch am Zurich Filmfestival gezeigt wurde – den Goldenen Hahn am Moskauer Bolschoj Theater, Salome an der Stuttgarter Staatsoper und Il barbiere di Siviglia an der Komischen Oper Berlin inszeniert. Così fan tutte ist Ihre erste Begegnung mit dem Musiktheater Mozarts. Was reizt Sie an diesem Stück? Mich reizt vor allem die Musik von Mozart! Er ist ein Weiser und ein Zauberer. Die Musik ist fantastisch, sie evoziert eine ganz eigene Welt. Dazu kommt diese unglaublich moderne, aufregende Geschichte. Gerade jetzt im Moment verwendet unsere Gesellschaft sehr viel Energie auf die Klärung der Geschlechterbeziehungen, sowohl auf sexueller als auch auf sozialer Ebene. Und darüber mit der Musik Mozarts nachzudenken, ist sehr aufregend. Oberflächlich gesehen ist Così fan tutte zunächst vor allem eine leicht frivole Verwechslungskomödie; bei genauerer Betrachtung ist es jedoch ein ziemlich grausames Experiment mit den Gefühlen von vier jungen Leuten, das Don Alfonso veranstaltet. Ja, es ist in der Tat ein grausames Experiment. Ein Experiment zudem, in dem ausschliesslich die Männer die Regeln diktieren. Insofern erzählt es auch ganz allgemein etwas über eine männlich dominierte Welt, die unser Leben in vielen Bereichen nach wie vor bestimmt. Neben aller Grausamkeit ist diesem dramma giocoso jedoch auch die Komödie eingeschrieben. Inwiefern interessiert Sie diese Komödie?
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Ich bin grundsätzlich der Meinung, dass man Menschen ohne Humor meiden sollte! Und umgekehrt versuche ich gerade in den ernsten, sogar in den wirklich schrecklichen Momenten, das Lustige zu entdecken. Ich arbeite gern mit schwarzem Humor. Warum veranstaltet Don Alfonso überhaupt ein solches Experiment? Und warum lassen sich Ferrando und Guglielmo darauf ein? Bei Alfonso könnte eine sehr schmerzhafte Erfahrung mit einer Frau der Grund dafür sein, dass er zum Zyniker geworden ist und nicht mehr daran glaubt, dass überhaupt irgendeine Frau ihrem Mann treu sein könnte. Ferrando und Guglielmo lassen sich darauf ein, weil sie Alfonso gegenüber nicht feige wirken wollen. Aber mich interessiert nicht nur die persönliche Geschichte dieser Figuren, mich interessiert ganz grundsätzlich die Bezie hung zwischen dem männlichen und dem weiblichen Ursprung. Es ist nicht einfach die private Geschichte zweier Paare, um die es hier geht. Mozart selbst verwendet das Wort «tutte» – also «alle Frauen» –, darin steckt schon die Verallgemeinerung.
Das komplette Programmbuch können Sie auf www.opernhaus.ch/shop oder am im Foyer Behält AlfonsoVorstellungsabend die Kontrolle über das, was er angefangen hat? Das werden Sie sehen! des Opernhauses erwerben Behält irgendeiner oder irgendeine der Beteiligten die Kontrolle über seine Gefühle? In unserer Inszenierung wird das Experiment, das mit diesen jungen Menschen durchgeführt wird, sogar noch stärker zugespitzt als in der Oper. Die Beziehungen der Menschen interessieren mich über die Grenzen des Lebens hinaus. Unsere Verliebten finden sich auf verschiedenen Seiten der Realität wieder, wie in dem Film Ghost von Jerry Zucker. Sie müssen den Abschied durch den Tod aushalten.
Die Männer ziehen also in Ihrer Inszenierung nicht nur zum Schein in den Krieg, sondern kommen – zumindest in der Vorstellung der beiden Frauen – tatsächlich im Krieg ums Leben. Die Frauen verlieben sich
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schon bald nach dem Tod ihrer Männer wieder neu. Wie ist das in dem emotionalen Zustand, in dem wir uns die Frauen vorstellen müssen, überhaupt möglich? Zunächst muss man sagen, dass bei Mozart das Ganze in nur einem Tag abläuft; wir gehen in unserer Version davon aus, dass etwas mehr Zeit vergeht, bis die Frauen sich den anderen Männern hingeben. Dennoch ist Così fan tutte für mich auch eine Geschichte über das Vergessen, darüber, was mit der Erinnerung an einen geliebten Menschen passiert, wenn er nicht mehr da ist – und wie schnell diese Erinnerung verblasst. Denken Sie an Shakespeares Hamlet: Seine Mutter kommt gerade von der Beerdigung und sitzt schon kurz danach an der Tafel ihrer eigenen Hochzeitsfeier. Die beiden Frauen sind ja bei Mozart sehr unterschiedlich gezeichnet: Während Dorabella relativ schnell dazu bereit ist, sich ein bisschen zu amüsieren, widersetzt sich Fiordiligi viel länger der Verführung. Fiordiligi kämpft bis zuletzt dagegen an, sich diesem neuen Mann hinzu geben. Gegen die Männer, die mit allen Mitteln kämpfen, haben die Frauen allerdings kaum eine Chance. Es sind sehr aggressive Methoden, die die Männer hier anwenden, es ist, wenn man so will, eine brutale Attacke männlicher Liebe. Das halten die Frauen nicht aus. Diesen Männern ist jedes Mittel recht, um sich die Frauen zu unterwerfen und damit ihre Wette zu gewinnen. Umso grausamer ist es dann, wenn es im Finale heisst: «così fan tutte» – so machen es alle Frauen! Bei Mozart ziehen die Männer zum Schein in den Krieg und kommen verkleidet zurück, um die Treue ihrer Verlobten auf die Probe zu stellen. Dass ihre Frauen sie bloss wegen eines angeklebten Schnurrbarts nicht erkennen, ist nicht sehr glaubwürdig; jede Inszenierung muss für dieses Problem eine Lösung finden. Wie gehen Sie damit um? In unserer Inszenierung schicken die Männer anstelle ihrer selbst sogenannte Avatare, Figuren, die wir «Tiere» nennen, zu ihren Frauen – sie sind für uns die Verkörperung des dunklen, niederträchtigen Teils im Mann, vor dem die Frau vollkommen hilflos ist...
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Diese Avatare werden von Doubles verkörpert; Sie spalten die Figuren Ferrando und Guglielmo also in je einen Sänger und einen Schauspieler auf, um das Glaubwürdigkeitsproblem zu lösen. Wie muss man sich die Szenen konkret vorstellen? Alle Darsteller, Schauspieler ebenso wie Sänger, sind auf der Bühne. Die Männer sind tatsächlich aufgespalten in ihren Körper (die Tiere) und ihren Geist (die Sänger – also die Stimme). Die Sänger beobachten, was mit ihren Frauen passiert, wir sehen ihre Reaktionen, können ihnen sozusagen in den Kopf schauen – viel mehr, als wir das ohne die Doubles könnten. Und mit den Doubles gehen wir in der szenischen Aktion viel weiter, als es mit den Sängern möglich wäre. Dadurch haben wir uns einerseits unsere Aufgabe doppelt schwer gemacht. Andererseits haben wir eine Lösung für das Problem gefunden, das Sie angesprochen haben und das mich immer schon irritiert hat.
Das komplette Programmbuch können Sie auf Am Schluss des Stückes, gerade in dem Moment, in dem die Eheverträge mit den neuen Partnern unterschrieben werden sollen, kehren Ferranwww.opernhaus.ch/shop do und Guglielmo plötzlich aus dem Krieg zurück, der Schwindel fliegt auf – und alle sind extrem verwirrt und verletzt. Nach einer kurzen oder amfindenVorstellungsabend imIstFoyer Irritation sich die ursprünglichen Paare wieder zusammen. das überhaupt möglich, nach allem, was diese vier jungen Menschen erlebt unddes über sichOpernhauses selbst erfahren haben? erwerben Bei Mozart gibt es kein wirkliches Happy End – das macht ihn gross. Er lügt nicht. Das Ende des Stückes ist mit einer grossen Trauer verbunden. Für mich erzählt die Musik im Finale von grosser Angst und starker Unruhe, und meiner Meinung nach entsteht dadurch der Eindruck, dass die Dinge nie mehr so sein werden, wie sie einmal waren. Sie haben sich entschieden, im Finale des zweiten Aktes einen grossen Strich zu machen und den Beginn der Don Giovanni-Ouvertüre zu spielen. Woher kam diese Idee? Unsere Männer kommen für die Frauen ähnlich unerwartet aus der Welt der Toten zurück wie der Komtur im Don Giovanni, und auch das Thema der Rache ist in beiden Momenten vorhanden. Bei uns wird es sogar zwei
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Komture geben, die aus der anderen Welt zurückkehren und die Frauen über ihren Sündenfall zur Rede stellen. Ein anderes Werk desselben Autors zu zitieren, ist im dramatischen Theater sehr verbreitet, aber in der Oper ist es immer noch ein Schock. Gibt es irgendeine Verbindung zwischen Ihrem Leben im Hausarrest und dieser Oper? Oder ist Così fan tutte eine völlig andere Welt, in die Sie innerlich entfliehen können? Mein geistig-seelisches Leben im Moment – das ist Mozart. Der Fieberwahn, dem ich in der physischen Welt ausgesetzt bin, illustriert nur die Tatsache, dass es unmöglich ist, heutzutage in Russland Künstler zu sein und keine Probleme zu haben. Die Fragen haben wir Kirill Serebrennikov 2018 durch seinen Anwalt übermittelt, der uns auch die Antworten zustellte. Übersetzung aus dem Russischen: Beate Breidenbach
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Ferrando und Guglielmo reisen ab, beweint von ihren Bräuten, als wäre die Barke, die sie besteigen, das Totenschiff, auf dem Charon die Abgeschiedenen ins Schattenreich übersetzt. Tatsächlich hat Don Alfon so Fiordiligi und Dorabella die Das komplette Programmbuch Botschaftkönnen von der Sie bevorste auf henden Abreise der Freunde mit so viel www.opernhaus.ch/shop simulierter Erschütterung überbracht, oder amdie Vorstellungsabend im Foyer dass beiden Damen ernsthaft mit dem Tod der Geliebten rechnen. des Opernhauses erwerben Dieter Borchmeyer
Michael Nagy Spielzeit 2018 / 19
MÄNNERBLICK Wolfgang Hildesheimer
In Wirklichkeit sind die Frauen Opfer einer elenden Intrige, die nur deshalb gut ausgeht, weil die Männer ungerechterweise in die Position gesetzt werden, den Frauen verzeihen zu dürfen, während es eigentlich umgekehrt sein müsste. Guglielmo und Ferrando, diese beiden sauberen Herren Offiziere, deren Seele mehr oder weniger in ihren Degen steckt, sind nicht etwa virile Triebnaturen wie Don Giovanni, sie halten sich auf ihre Ehre etwas zugute, obgleich sie kaum wissen, was Ehre bedeutet. Sie sind Musterbeispiele männlicher Niedertracht, mehr noch als ihr zynisch durchtriebener Anstifter Don Alfonso, der «alte Phi losoph». Ihm würde man gern den Denkfehler ankreiden, dass er sich, was die Vorstellungsbereitschaft seiner beiden jungen Freunde betrifft, täusche – denn, so würde man meinen, es kann ja nicht in ihrem Interesse liegen, ihre Rollen konsequent durchzuspielen –, wenn er nicht, auf Kosten jeglicher Wahrschein lichkeit, Recht behielte. Die beiden jungen Herren spielen ihre Rolle so perfekt und perfide, als wollten sie selbst die Untreue ihrer beiden Damen beweisen und ausnützen, was sie, ohne Frage, auch bald nach der Hochzeit tun werden. Das, so könnte man sagen, übersteigt schon als solches alles Menschenmögliche und Zumutbare.
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Anna Goryachova Spielzeit 2018 / 19
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GESCHLECHTERKRIEG Eva Illouz
Anita Hill, eine afroamerikanische Juraprofessorin, sagte 1991 als Zeugin gegen Clarence Thomas aus, den damaligen Kandidaten für einen Richterposten am Obersten Gerichtshof. Sie beschuldigte ihn der sexuellen Belästigung sowie der wiederholten Verwendung herabsetzender Sprache. Fast dreissig Jahre später bezichtigte nun die Psychologin Christine Blasey Ford den Kandidaten für den Obersten Gerichtshof Brett Kavanaugh der versuchten Vergewaltigung während ihrer gemeinsamen Highschool-Zeit. Diese Geschichten haben unangenehme Gemeinsamkeiten. In beiden Fällen wurde die Zeugenaussage der Frau nicht ernst genommen und der Mann zum Richter ernannt. Und doch liegt ein Ab grund zwischen ihnen, und dieser Abgrund heisst #MeToo: die soziale Bewe gung, die sich im Oktober 2017 bildete, nachdem der Vorwurf der Vergewalti gung und Tätlichkeit gegen den Filmmogul Harvey Weinstein an die Öffentlichkeit gelangt war. #MeToo ist die erste westliche Bewegung, die auf sozialen Medien beruht: Hier schildern Frauen ihre Erlebnisse unmittelbar, ohne dass eine lange Kette von Experten (Psychologen, Juristen, Journalisten) ihre Rede abschwächte oder verfälschte. Schon im November 2017, nur einen Monat nachdem die Bewegung ins Leben gerufen worden war, wurde #MeToo in 85 Ländern 2,3 Millionen Mal getwittert. Nach einem Jahr können wir vorerst resümieren: Zwar sind Männer, die Frauen belästigt und vergewaltigt haben, bisher relativ straflos ge blieben, doch können die Organisationen, in denen sie arbeiten, Sexismus nicht mehr unter den Teppich kehren. Die sozialen Medien haben Frauen ein Instru ment zur Verfügung gestellt, mit dem sie Männer, die sie herabgewürdigt haben, direkt blossstellen und kompromittieren können. Dadurch, dass sie einfachen Frauen ein einfaches Sprachrohr und damit eine Stimme gab, offenbarte und entlarvte die #MeToo-Bewegung, was Feministin nen schon kannten: eine flächendeckende männliche Kultur sexuellen Anspruchs denkens und Raubtierverhaltens. Über Nacht erfuhr die Öffentlichkeit von einer
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Parallelwelt, in der Männer Frauen dauernd an den Hintern fassen, sie gegen ihren Willen küssen, anzügliche und unerwünschte Kommentare abgeben, sie sexuell erpressen und ihr Einkommen oder ihre berufliche Stellung bedrohen. Auch wenn die meisten Männer keine Straftäter oder Belästiger sind, sonnen sie sich doch in einer Kultur, die den männlichen Status durch die Fähigkeit des Mannes definiert, eine Frau sexuell zu besitzen und zu benutzen. Einer Schätzung zufolge werden 35 Prozent aller Frauen Opfer sexueller Gewalt und ein noch grösserer Prozentsatz Opfer sexueller Nötigungen. Trotzdem führen in einem Land wie Frankreich 93 Prozent aller Anzeigen wegen sexueller Belästigung nicht zu strafrechtlicher Verfolgung. In diesem Kontext muss man #MeToo verstehen. Angesichts der Gleichgültigkeit oder Komplizenschaft der meisten Institutionen ist sie eine Bewegung für Strafverfolgung und Gerechtigkeit. Wie alle wichtigen Ereignisse ist aber auch #MeToo nicht ohne Widersprü che und Spannungen. Ein Einwand gegen #MeToo ist soziologischer Natur. Ausgelöst wurde die Bewegung durch den Umstand, dass sich glamouröse Frauen zu Wort meldeten und die lange zurückliegenden Straftaten Weinsteins (oder anderer mächtiger Medienfiguren) anprangerten. Mächtige und unterge ordnete Frauen sprachen nun mit einer Stimme: Das erklärt den Erfolg und die Stärke der Bewegung. Doch viele Beobachterinnen, darunter altgediente Femi nistinnen, sahen sich deshalb auch zu bitteren Fragen veranlasst: Wie konnten eine Gwyneth Paltrow, Salma Hayek oder Rose McGowan in die Lage hilfloser Opfer geraten? Was hatte sie daran gehindert, sich den Sexualtätern zu ent ziehen? Und ist es nicht obszön, ihre Erfahrungen mit denen von Frauen in einen Topf zu schmeissen, für die Armut und Rassismus den alltäglichen Hinter grund sexueller Gewalt bilden? Konservative Kritikerinnen (wie Élizabeth Lévy in Frankreich) sprachen #MeToo sogar jegliche Legitimität ab: Frauen seien Männern ebenbürtig geworden und könnten sich nicht mehr in der Opferrolle gefallen. Für solche Kommentatoren ist #MeToo von Ressentiments getrieben. Dagegen lassen sich leicht drei Tatsachen anführen: Frauen werden in allen Klassen unterdrückt, auch wenn sie unterschiedlich anfällig sind. Mit Ausnahme der Suffragettenbewegung am Ende des 19. Jahrhunderts, in der britische Frauen aus allen Klassen unter Führung von Frauen aus der Ober- und Mittel schicht das Wahlrecht forderten, hat es keine Bewegung gegeben, die Frauen
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so eindeutig geeint hat wie #MeToo. Denn es gibt eine Conditio femina, die alle Grenzen von Klasse und Rasse übersteigt. Zweitens sind Frauen zwar auf dem Arbeitsmarkt vorangekommen – dank der Kämpfe, die Feministinnen ausgefochten haben. Sie haben sich aber vor allem als Pflegeproletariat auf den unteren bis mittleren Sprossen der kapitalisti schen Leiter etabliert. Die Mehrheit des Reichtums, der politischen Macht, der Medien, der Wissenschaft, der Technologie und des Militärs auf der Welt wird in überwältigendem und skandalösem Ausmass von Männern kontrolliert. Wohl haben sich die Frauen auf dem Schachbrett der Gesellschaft bewegt, allerdings zumeist seitwärts. Die Regeln und die Struktur des Schachbretts sind im We sentlichen deprimierend unverändert geblieben, da eine sehr kleine Gruppe von Männern die Infrastruktur der Gesellschaft kontrolliert. Die sexuelle Macht der Männer leitet sich von ihrer sozialen und ökonomischen Macht ab. Die dritte Tatsache, die Kritiker von #MeToo gern übersehen, besteht da rin, dass die meisten Institutionen die Anzeigen von Frauen in der Regel zurück gewiesen oder ignoriert haben. In Frankreich werden in 40 Prozent der Fälle von Beschwerden wegen sexueller Nötigung die Opfer gemassregelt, nicht die Täter. Erst jüngst verspottete Donald Trump während einer Wahlkampfveran staltung Christine Blasey Ford, nur wenige Tage bevor der amerikanische Senat Brett Kavanaugh als Richter am Obersten Gericht bestätigte. Die Anhörungen von Kavanaugh und Blasey haben das amerikanische Volk gefesselt, weil sie die Nation in einem Moment erwischten, in dem Männer und Frauen – vielleicht zum ersten Mal – direkt miteinander im Krieg liegen. Dieser Krieg wurde von Trump selbst erklärt. In der gesamten amerikanischen Ge schichte hat es noch nie einen so offen sexistischen Wahlkampf gegeben wie seinen. Mit #MeToo haben Frauen darauf reagiert und gezeigt, dass sie der selbstgefällig siegesorientierten Machowelt à la Trump und Kavanaugh nicht mehr als Zielscheibe dienen wollen. Diese Männer sind nun zum Gegenangriff übergegangen und verteidigen ihre Privilegien. Die Frage ist, welche Wut sich durchsetzen wird, die der gekränkten Männer oder die der Frauen, die in Kava naughs Ernennung einen weiteren Beweis dafür sehen, dass die Schändung des weiblichen Körpers nicht zählt und ein männliches Vorrecht ist. Die Frauenfrage steht jetzt im Mittelpunkt der Politik. Hoffen wir, dass sie genau da bleibt.
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Ruzan Mantashyan Spielzeit 2018 / 19
Francesco Guglielmino, Mentor Bajrami, Ruzan Mantashyan, Anna Goryachova Spielzeit 2018 / 19
Es gibt eine Form der männlichen Spiele, der männlichen Aura – in Vorstandsetagen zum Beispiel. Frauen sind in solchen homosozial männlichen Gruppen faktisch meist aussen vor, spielen aber eine wichtige Rolle als Abwesende: Sie sind Symbole der Zurschau stellung, Symbole der Macht und übernehmen die Funktion von, wie Virginia Woolf sagen würde, «schmeichelnden Spiegeln». Sexismus ist auch ein Instrument des Wettbewerbs unter Männern. Rolf Pohl, Soziologe
Andrei Bondarenko, Michael Nagy, Frédéric Antoun Spielzeit 2018 / 19
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DIE ANARCHIE DES EROTISCHEN von Attila Csampai
Das Problem ist doch, dass Mozarts Musik sich so merkwürdig unentschieden verhält zu den Intrigen, Verstellungen und Täuschungen der Handlung, dass sie die vorsätzliche Lüge und evidente Vortäuschung von Gefühl, also das ob jektiv «Falsche» genauso durchdringend echt vertont wie das wirkliche Gefühl. Warum weigert sich Mozart, musikalisch eindeutig Stellung zu beziehen, ja, warum versucht er, die im Text klar definierte Trennung zwischen Wahrheit und Lüge in der Musik zu verwischen? Es wäre abwegig anzunehmen, Mozart habe die sozialkritischen Intentionen des Textes missverstanden, oder er hätte gar absichtlich daran vorbeikomponiert. Mozart ist wie Shakespeare ein Mystiker, er weigert sich einfach, die oberflächlich sozialkritische, gnadenlos «bittere» Ironie des Librettos durch musikalische Karikatur zuzuspitzen. Daher nimmt er auch nicht – wie immer wieder voreilig behauptet wurde – musikalisch die zynische Position des Menschenverächters und Rationalisten Don Alfonso ein, sondern er konterkariert in der Musik die Strategie des Zynismus durch «tragi sche Ironie», die er den vier armseligen Durchschnittstypen im Verlauf der Handlung immer wieder zuteil werden lässt, so dass sie schliesslich nicht nur individuelle Kontur, sondern beinahe tragische Leidensgrösse gewinnen. Welche andere opera buffa enthält so viel tragische Musik? Diese erotischen Gegenkräfte in der Musik, diese freie, unkontrollierbare Bewegung der Gefühle, die keiner gesellschaftlichen Konvention folgen, sondern nur dem anarchischen Prinzip der Erotik, gibt es bei Mozart schon seit der Ent führung aus dem Serail, und sie bestimmen von da an das musikalisch-dramatur gische Spannungsfeld sämtlicher Wiener Opern; und es wird von Mal zu Mal deutlicher, dass der Mechanismus der Wirklichkeit nicht dem erotischen Prinzip folgt, ja dass die sich anbahnende neue bürgerliche Gesellschaft die letzten Reste des erotischen Zeitalters beseitigt. In Così fan tutte werden die an sich
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erfreulichen Konsequenzen des freien Spiels der erotischen Kräfte fünf Minuten nach zwölf gewaltsam rückgängig gemacht, da vor allem die beiden Liebhaber nicht den Mut aufbringen, sich zu ihren wahren Gefühlen zu bekennen. Die ausgesprochenen Gefühle aber lassen sich nicht einfach ungeschehen machen, selbst wenn man sie, um die Tragödie abzuwenden, der Lächerlichkeit preisgibt und sie nachträglich in Anführungszeichen zu setzen versucht. Mozart wusste um die prinzipielle Wahrhaftigkeit jedes Gefühls und eben auch jener Empfindungen, die infolge von Lüge und vorsätzlicher Täuschung in den be troffenen Versuchsobjekten ausgelöst werden: Die schmerzlichen inneren Kon flikte der beiden jungen Frauen sind nicht weniger echt und intensiv, nur weil die Männer sich verstellen, und wie uns Mozarts stets wahrhaftige Musik verrät, werden auch sie allmählich von jenem erotischen Feuer entzündet, das sie, um der puren Menschenquälerei willen, in den ahnungslosen Frauen zu entfachen versuchen. Deshalb triumphiert am Ende nicht der zeitgemässe Rationalismus in Gestalt des abgehalfterten Don Alfonso und der frivolen Despina, also die mechanistische Vorstellung, der Mensch sei auch in seiner Innenwelt, seinem Gefühls- und Triebleben vollkommen steuerbar, messbar, beherrschbar, sondern das durch Mozarts Musik ins Spiel gebrachte erotische Prinzip obsiegt und durchkreuzt sämtliche von der selbstherrlichen Männerfraktion ersonnenen Strategien: Amor führt auch hier wieder – wie schon in Figaro und Don Gio vanni – die falschen Paare zusammen und gibt den liaisons dangereuses den Vorzug. Doch auch hier erweist sich die jugendlich und zukunftsorientiert sich gebende Gesellschaft als ausserstande, diese im Grunde gar nicht so gefährliche, da nicht klassenübergreifende Wendung der Ereignisse zuzulassen: denn damit würden zu viele Tabus der männerrechtlichen Ordnung, also des patriarchali schen Ehrenkodex, mit in Frage gestellt. So führen Mozart und Da Ponte zum Schluss – nicht aus Zynismus, son dern der gesellschaftlichen Realität ihren Tribut zollend – das verwirrte Quar tett fast gewaltsam zurück in die gesellschaftlich sanktionierte Ausgangsposition: Nur sind es jetzt die emotional nicht harmonierenden Paare, die miteinander weiterleben müssen. Für die vier Beteiligten bleibt nur die bittere Erkenntnis zurück, ihre Naivität verloren zu haben, aber um den erhofften Preis betrogen worden zu sein.
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Frédéric Antoun, Andrei Bondarenko Spielzeit 2018 / 19
WELCHEN WERT HAT TREUE HEUTE NOCH? Antworten des Psychotherapeuten Wolfgang Krüger Treue ist keine modische Erscheinung, sie entspringt einem menschlichen Be dürfnis. Und ich glaube, dass sie die Voraussetzung für eine lebendige Beziehung ist. Wir leben in einer Umbruchszeit. Vieles in unserem Leben ist unsicher: der Arbeitsplatz, das Geld, das Klima. Da will man zumindest in der Partnerschaft das Gefühl haben, sich aufeinander voll verlassen zu können. Wir schätzen da her die Treue hoch ein – und glauben dennoch nicht daran, dass sie möglich ist. Das eigentliche Grundübel besteht darin, dass wir uns nach einer erfüllten Partnerschaft sehnen, die Verständnis und Anerkennung, aber auch Erotik und Sexualität beinhaltet, und gleichzeitig den Wunsch nach Beständigkeit verspüren. Es sind immer soziale und emotionale Gründe, die zur Untreue führen. Insofern müssen wir dafür die Verantwortung übernehmen. Häufig liegt die Ursache in der Beziehung. Man ist so ausgehungert nach Verständnis, Lebendigkeit und Sexualität, dass man einer Versuchung erliegt. Manche suchen auch nach Aner kennung. Oder sie haben Angst vor Nähe und beweisen sich durch einen Seiten sprung, dass sie unabhängig vom Partner sind. Gehen Männer häufiger fremd als Frauen? Diese Meinung stammt aus ei ner Zeit, in der Frauen noch nicht wagten, sich zu ihrer Sexualität zu bekennen, weil sie um ihr Image fürchteten. Heute wissen wir, dass Frauen und Männer zu gleichen Teilen fremdgehen.
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Liebe ist keine eindeutige Sache, sondern ein Bündel aus unter schiedlichen Elementen, die sich zu grosser Festigkeit verbinden, aber auch überraschend zerfallen können. Das müssen jeden Tag Tausende erleben, deren Welt zusammenbricht, weil sie im Mobiltelefon Spuren einer Liebe ihrer Partnerin oder ihres Partners finden, die nicht sie betrifft, son dern Fremde. In ihrer materiellen Realität hat sich nichts verändert, in ihrer emotionalen alles. Wolfgang Schmidbauer
Frédéric Antoun, Ruzan Mantashyan Spielzeit 2018 / 19
Anna Goryachova Spielzeit 2018 / 19
SCHEIN UND SEIN Silke Leopold
Das Changieren zwischen Wahrhaftigkeit und Täuschung prägt zahlreiche Nummern dieser Oper. Auf einer eher vordergründigen Ebene griff Mozart Da Pontes Idee der Seria-Parodie auf; wenn etwa Don Alfonso die vermeintliche Schreckensnachricht von der Einberufung der beiden Offiziere mit einer Arie überbringt, die in schöner Übertreibung alle musikalischen Anzeichen eines tragischen Ausbruchs trägt – die Tempovorzeichnung Allegro agitato die To destonart f-Moll, die gehetzten Begleitfiguren in den Streichern, die chroma tischen Linien sowie die Seufzerpausen in der Singstimme. Auch Despinas Ver kleidungen, musikalisch untermalt durch scheinbar wissenschaftliches Kauderwelsch sowohl des Arztes als auch des Notars, gehört zu den beliebtes ten Traditionen der opera buffa. Um ein Vielfaches durchtriebener ist da schon das Spiel, das Mozart musikalisch mit der falschen Hochzeitsfeier treibt: Nach einem eher konventionellen, weitgehend homophonen Ensemble stossen die neuen Paare mit ihren Gläsern an und geloben sich, die Vergangenheit zu ver gessen. Lediglich Guglielmo beteiligt sich nicht an dem Trinkspruch, sondern zerknirscht ob dieser Treulosigkeit einen heimlichen Fluch zwischen den Zäh nen. Mozart vertonte diesen Trinkspruch in der satztechnisch strengsten Form, die ihm zur Verfügung stand – in einem Kanon, der zweierlei bewirkte: Zum einen sind die Stimmen ohne Möglichkeit des Ausscherens aneinander gekettet, zum anderen aber singen sie alle dasselbe, durch die polyphone Versetzung aber niemals gleichzeitig; ihr gemeinsames Singen verschmilzt buchstäblich nicht zu einem Gleichklang. Deutlicher lässt sich Verstrickung musikalisch wohl kaum zum Ausdruck bringen. Dazu spricht auch die Tonart Bände, denn das As-Dur dieses Kanons entfernt sich ebenso weit von C-Dur, der Rahmentonart der Oper, wie das abrupt folgende, über die gleichsam doppelzüngige enharmoni sche Verwechslung von As zu Gis eingeführte E-Dur, mit dem Don Alfonso den falschen Hochzeitskontrakt ankündigt. Allein die Tonartenwahl macht die Störung der Ordnung hörbar. Aber auch dort, wo Da Pontes Text eindeutig
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mehr auf die Lachmuskeln als auf die Tränendrüsen zielte, behielt Mozart es sich vor, der Szene den von ihm gewallten Charakter zu verleihen. Selbst in dem grotesken Finale des I. Aktes, in dem die scheinbar vergifteten Albaner von dem «Arzt» kuriert werden, bleibt dem Zuhörer bisweilen in Momenten des Mit gefühls mit den genasführten Schwestern, etwa in dem Ensemble kurz vor Auftritt des «Arztes», das Lachen im Halse stecken. Besonders deutlich wird Mozarts Regie durch die Musik in der Abschiedsszene im I. Akt: Don Alfonsos beiseite gesprochener abfälliger Kommentar «Io crepo se non rido» (Ich kre piere, wenn ich nicht lachen kann) wird ganz in die schluchzenden Abschieds worte der Liebenden eingebunden, die musikalisch viel ehrlicher sind, als der Text und die Situation erwarten liesse. Und in dem folgenden Terzettino «Soave sia il vento» liess Mozart keine Ironie zu – selbst Don Alfonso hatte sich der fast gebetsartigen Stimmung dieses herrlichen Naturbildes mit murmelnden sordinierten Violinen und arkadischen Bläserstimmen so sehr anzupassen, dass er seine eigene Ergriffenheit gleich danach mit einem zynischen Rezitativ ab schütteln musste. Neben der Täuschung der jeweils anderen galt Mozarts kompositorisches Interesse aber vor allem der Selbsttäuschung der Protagonisten. Von ihr handelt ein Grossteil der Arien – angefangen von Dorabellas «Smanie implacabili», das mit denselben musikalischen Mitteln wie Alfonsos f-Moll-Arie gestaltet und ein wenig zu exaltiert ist, um zu wahrhaft tragischer Verzweiflung zu taugen. Nicht minder übersteigert gebärdet sich Fiordiligis Versicherung, wie ein Fels in der Brandung standhaft zu bleiben: Ihre Melodiesprünge sind ebenso wie die vir tuosen Koloraturen allzu ausladend, um als blosse Information ernst genommen werden zu können; vielmehr hat es den Anschein, als wolle Fiordiligi sich mit diesem musikalischen Kraftakt selbst den Rucken stärken. Tatsächlich treibt erst die Verzweiflung über Dorabellas Untreue Ferrando dazu, seinem Werben um Fiordiligi echten Nachdruck zu verleihen – in einer Situation, in der Fiordiligi vor ihm und vor sich selbst zu fliehen versucht. Dieses Duett «Fra gli amplessi in pochi istanti», eines der schönsten aus Mozarts Feder überhaupt, ist das absolute Meisterstück jener Doppelbödigkeit, die die gesamte Oper prägt. Fer rando will Fiordiligi nicht, und Fiordiligi wehrt sich gegen die Gefühle, die Ferrando in ihr geweckt hat: Die Situation könnte lachhafter nicht sein, und
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dennoch spricht die Musik von der vielleicht innigsten Zuneigung, die sich in dieser Oper insgesamt artikuliert. Die Tonart, in der Fiordiligi mit kriegerischer Gebärde auftritt, ist dieselbe, in der Ferrando im I. Akt sein zärtliches, an Do rabella gerichtetes «Un’aura amorosa» gesungen hatte. Als Ferrando erscheint, wechselt sie nach C-Dur, der Rahmentonart der Oper, gleichsam der Tonart der Vernunft. Was es aber mit dem A-Dur auf sich hat, wird nach diesem erreg ten Mittelteil deutlich, in dem Fiordiligi sich ein letztes Mal zu entziehen ver sucht: Denn nun fleht Ferrando in A-Dur mit derselben Zärtlichkeit um Fior diligi – und mit einem Erfolg, dem sich selbst der Zuhörer nicht entziehen kann. Unvermittelt ist das Spiel mit den Gefühlen in den Ernst einer tiefen Liebesbe ziehung umgeschlagen; nach diesem Duett ist die Versöhnung der «richtigen» Paare weit weniger glaubwürdig geworden als nach allen Tändeleien zwischen Dorabella und Guglielmo.
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Andrei Bondarenko, Ruzan Mantashyan, Francesco Guglielmino Spielzeit 2018 / 19
Rebeca Olvera Spielzeit 2018 / 19
COSÌ FAN TUTTE WOLFGANG AMADEUS MOZART (1756-1791) Dramma giocoso in zwei Akten Libretto von Lorenzo da Ponte Uraufführung: 26. Januar 1790, Burgtheater, Wien Fassung Opernhaus Zürich 2018
Personen
Fiordiligi Sopran Dorabella Sopran Guglielmo, Offizier, Liebhaber Fiordiligis Bariton Ferrando, Offizier, Liebhaber Dorabellas Tenor Despina, Kammermädchen der Damen Sopran Don Alfonso, ein alter Philosoph Bass Chor
Soldaten, Diener, Schiffsleute, Hochzeitsgäste, Volk Die Handlung spielt in Neapel
ATTO PRIMO
ERSTER AKT
SCENA PRIMA
ERSTE SZENE
Ferrando, Guglielmo e Don Alfonso.
Ferrando, Guglielmo und Don Alfonso.
N. 1 TERZETTO
FERRANDO
La mia Dorabella Capace non è: Fedel quanto bella Il cielo la fé. GUGLIELMO
La mia Fiordiligi Tradirmi non sa: Uguale in lei credo Costanza e beltà. DON ALFONSO
Ho i crini già grigi, Ex cathedra parlo; Ma tali litigi Finiscano qua. FERRANDO E GUGLIELMO
No, detto ci avete Che infide esser ponno; Provar ce’l dovete, Se avete onestà. DON ALFONSO
Tai prove lasciamo… FERRANDO E GUGLIELMO
NR. 1 TERZETT
FERRANDO
Meine Dorabella ist dazu nicht fähig; so treu wie schön schuf sie der Himmel. GUGLIELMO
Meine Fiordiligi kann mich nicht betrügen; ich glaube, dass bei ihr die Beständigkeit der Schönheit gleicht. DON ALFONSO
Ich habe schon graue Haare, ich spreche ex cathedra, aber diese Streitigkeiten mögen hier enden. FERRANDO, GUGLIELMO
Nein, Ihr habt uns gesagt, dass sie untreu sein könnten; Ihr müsst es uns beweisen, wenn Ihr Ehrbarkeit besitzt. DON ALFONSO
Lassen wir solche Beweise… FERRANDO, GUGLIELMO
No, no, le vogliamo: O, fuori la spada, Rompiam l’amistà.
Nein, nein, wir fordern sie: Oder, den Degen gezogen, brechen wir die Freundschaft.
Metton mano alla spada
greifen zum Degen
DON ALFONSO fra sé
O pazzo desire, Cercar di scoprire Quel mal che, trovato, Meschini ci fa. FERRANDO E GUGLIELMO fra sé
Sul vivo mi tocca chi lascia di bocca sortire un accento che torto le fa.
DON ALFONSO beiseite
O närrisches Verlangen, das Übel enthüllen zu wollen, welches uns, einmal aufgedeckt, eine klägliche Rolle spielen lässt. FERRANDO, GUGLIELMO beiseite
Der trifft meinen Lebensnerv, der seinem Mund ein Wort entweichen lässt, das ihr Unrecht zufügt.
GUGLIELMO
Fuor la spada! Scegliete Qual di noi più vi piace. DON ALFONSO placido
Io son uomo di pace, E duelli non fo, se non a mensa. FERRANDO
O battervi, o dir subito Perché d’infedeltà le nostre amanti Sospettate capaci! DON ALFONSO
Cara semplicità, quanto mi piaci! FERRANDO
Cessate di scherzar, o giuro al cielo!…
GUGLIELMO
Heraus mit dem Degen: Wählt, welchen von uns Ihr bevorzugt. DON ALFONSO gelassen
Ich bin ein Mann des Friedens und duelliere mich nicht, es sei denn bei Tische. FERRANDO
Entweder Ihr schlagt Euch oder Ihr sagt sofort, warum Ihr unsere Geliebten der Untreue fähig verdächtigt. DON ALFONSO
Heilige Einfalt, wie du mir gefällst! FERRANDO
Hört auf zu scherzen, oder ich schwöre beim Himmel…
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Ed io, giuro alla terra, Non scherzo, amici miei; Solo saper vorrei Che razza di animali Son queste belle, Se han come tutti noi carne, ossa e pelle, Se mangian come noi, se veston gonne, Alfin, se Dee, se donne son… FERRANDO E GUGLIELMO
Son donne, Ma… son tali, son tali… DON ALFONSO
E in donne pretendete Di trovar fedeltà? Quanto mi piaci mai, semplicità!
N. 2 TERZETTO
DON ALFONSO scherzando
E’ la fede delle femmine Come l’araba fenice: Che vi sia, ciascun lo dice; Dove sia, nessun lo sa. FERRANDO con fuoco
La fenice è Dorabella! GUGLIELMO con fuoco
La fenice è Fiordiligi!
DON ALFONSO
Und ich, ich schwöre bei der Erde, ich scherze nicht, meine Freunde; ich möchte nur wissen, welcher Art von Lebewesen Eure Schönen angehören: Ob sie, wie alle, aus Fleisch, Knochen und Haut sind, ob sie essen wie wir, ob sie Kleider tragen wie wir, kurz, ob sie Göttinnen sind oder Frauen… FERRANDO, GUGLIELMO
Frauen sind sie, aber… sie sind solche, solche… DON ALFONSO
Und bei Frauen bildet Ihr Euch ein, Treue zu finden? Immer besser gefällst du mir, Einfalt!
NR. 2 TERZETT
DON ALFONSO scherzhaft
Die Treue der Frauen ist wie der arabische Phönix, dass es ihn gibt, sagt jeder, wo er ist, weiss keiner. FERRANDO feurig
Der Phönix ist Dorabella. GUGLIELMO feurig
Der Phönix ist Fiordiligi.
Programmheft COSÌ FAN TUTTE
Das komplette Programmbuch können Sie auf www.opernhaus.ch/shop oder am Vorstellungsabend im Foyer des Opernhauses erwerben Dramma giocoso in zwei Akten von Wolfgang Amadeus Mozart Premiere am 4. November 2018, Spielzeit 2018/19
Wiederaufnahme am 28. Januar 2024, Spielzeit 2023/24 Herausgeber
Intendant
Zusammenstellung, Redaktion Layout, Grafische Gestaltung
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Textnachweise: Die Fragen an Kirill Serebrennikov stellte Beate Breiden bach. – Zitat von Dieter Borchmeyer in: Programmheft der Bayerischen Staatsoper zu «Così fan tutte», Spielzeit 1992/ 93 – Wolfgang Hildesheimer, Männerblick, in: ders., Mo zart, Frankfurt am Main 1977. – Eva Illouz, Geschlechter krieg (gekürzt), in: DIE ZEIT Nr. 42/2018, 11. Oktober 2018 – Zitat von Rolf Pohl aus einem Interview von Ann-Kristin Tlusy, erschienen im Tages-Anzeiger am 5.10.2018 – Attila Csampai, Die Anarchie des Erotischen (gekürzt), in: Pro grammheft der Osterfestspiele Salzburg, April 2004 – Zitat von Wolfgang Schmidbauer in: Mit allen Stürmen. Was ist
Opernhaus Zürich Andreas Homoki
Beate Breidenbach Carole Bolli
Opernhaus Zürich, Marketing
Telefon 044 268 66 33, inserate@opernhaus.ch Studio Geissbühler Fineprint AG
Ihre Wahrheit über die Liebe?, ZEITmagazin Nr. 52/2013 – Silke Leopold, Schein und Sein (gekürzt), in: Programm heft der Staatsoper Unter den Linden zu «Così fan tutte», Spielzeit 2000/01. Bildnachweise: Monika Rittershaus fotografierte das Ensemble während der Klavierhauptprobe am 26. Oktober 2018. Urheber, die nicht erreicht werden konnten, werden zwecks nachträglicher Rechtsabgeltung um Nachricht gebeten.
Unsere Vorstellungen werden ermöglicht dank der Subvention des Kantons Zürich sowie den Beiträgen der Kantone Luzern, Uri, Zug und Aargau im Rahmen der interkantonalen Kulturlastenvereinbarung und den Kantonen Nidwalden, Obwalden und Schwyz. PARTNER
PRODUKTIONSSPONSOREN AMAG Atto primo
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