Lessons in Love and Violence

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LESSONS IN LOVE AND VIOLENCE

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LESSONS IN LOVE AND VIOLENCE

Unterstützt von und der René und Susanne Braginsky Stiftung

«Auf keiner Seite des Vorhangs sind wir unschuldig.»

HANDLUNG

Szene 1

Der Militärberater Mortimer kritisiert den König dafür, dass er sich ausschliesslich der Beziehung zu seinem intimen Freund Gaveston hingibt, die Regierungsgeschäfte vernachlässigt und ein verschwenderisches Leben für Musik und Poesie führt, während das Volk hungert. Der König weist die Vorwürfe zurück und unterstellt Mortimer, nach der Krone zu gieren, seinen Platz einnehmen und seine Ehefrau Isabel besitzen zu wollen. Gaveston verlangt, Mortimer zu bestrafen und ihm alles zu nehmen, was er besitzt. Der König degradiert und enteignet Mortimer und erklärt ihn zu einem Niemand.

Szene 2

Mortimer kehrt an den Königshof zurück und konfrontiert die Königin und ihre beiden Kinder mit Menschen aus dem Volk, die er «Zeugen» nennt. Sie berichten von Brandschatzungen, Mord und schreiender Ungerechtigkeit im Land und machen Gaveston dafür verantwortlich. Sie beklagen, dass eine musikalische Nacht am Hof mehr koste als ein ganzes Jahr ihrer Arbeit. Königin Isabel erklärt, es gebe keinen Zusammenhang zwischen der Arbeit des Volkes und der Musik am Hof. Sie lässt sich einen Becher mit Essig reichen und löst darin demonstrativ eine der unermesslich wertvollen Perlen auf, die sie trägt. Sie rechnet den Zeugen vor, dass sich gerade der Wert von 14 Zimmern und der ganze Wintervorrat an Holz für einen Menschen aus dem Volk in Nichts aufgelöst habe. Die Schönheit der Perle aber liege nicht in ihrem Geldwert. Sie lässt die Zeugen hinauswerfen. Isabels Kinder haben die Szene aufmerksam beobachtet. Mortimer und Isabel fassen den Entschluss, Gaveston zu töten.

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Szene 3

Im Zuschauerraum warten Gaveston und der König auf den Beginn einer Theatervorstellung. Der König bittet Gaveston, ihm die Zukunft aus der Hand zu lesen. Gaveston sieht Unheil auf den König zukommen und dass das Leben beider untrennbar verbunden ist. Isabel erscheint mit dem Publikum und bittet Gaveston, neben ihr Platz zu nehmen. Die Darbietung beginnt: Das biblische Klagelied Davids auf seinen ermordeten Freund Jonathan wird aufgeführt. Gaveston ist zu Tränen gerührt. Mortimer erscheint, um seinen Besitz zurückzufordern und Gaveston vor aller Augen abzuführen. Der König fordert vergeblich die Verhaftung Mortimers und die Verschonung Gavestons, aber keiner hört auf seinen Befehl.

Szene 4

Der König und die Königin finden keinen Schlaf. Er liest einen Brief, in dem geschildert wird, unter welch brutalen Umständen man seinen Geliebten Gaveston ermordet hat. Isabel sucht die Nähe des Königs. Sie fragt ihn, warum er einen Menschen liebe, den alle Welt hasst. Er antwortet, weil der ihn mehr geliebt habe als die ganze Welt. Der König wirft Isabel vor, sie verberge ihre Gefühle und habe sich von ihm abgewandt. Isabel betont, dass sie nie etwas vor ihm verborgen habe, nicht ihren Körper, nicht ihre Meinung, nicht ihre Liebe. Der König kündigt an, sich an Mortimer für den Tod Gavestons zu rächen, ihn zu vierteilen, jeden Mitwisser zur Strecke zu bringen und ganze Städte in Blut zu baden. Isabel beschliesst, den König zu verlassen und ihren Sohn zu Mortimer zu bringen. Nur der könne ihn schützen. Der König liest weiter in dem Brief.

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Szene 5

Mortimer und Isabel fragen den Königssohn, ob er sich einen Hund wünsche, den sie ihm kaufen könnten. Sie erklären ihm, dass der König nicht mehr in der Lage sei, sein Amt auszuüben. Der Sohn soll den Platz des Vaters einnehmen, sie würden ihn dabei beraten. Aber vorher müsse er beweisen, dass er das Volk auch beschützen kann. Ein Verrückter wird hereingebracht, der behauptet, seine Katze habe ihm gesagt, dass er der wahre König sei. Mortimer verlangt vom Königssohn, den Verrückten für diese Anmassung zu bestrafen. Der aber plädiert für Gnade, weil er sieht, dass der Mann verrückt ist. Vor den Augen des Kindes erwürgt Mortimer nun den Verrückten, während Isabel ihren Sohn zwingt, zuzusehen. Nach der Mordtat fragt der Königssohn, ob sein Vater im Gefängnis sitze. Isabel schickt ihn weg und spricht anschliessend mit Mortimer darüber, wie er dem König die Krone abnehmen will.

Szene 6

Mortimer besucht den König im Gefängnis, um ihn vor Zeugen zum Verzicht auf die Krone zu bewegen. Der König halluziniert Trommeln. Er bekennt, ein schlechter Herrscher gewesen zu sein. Er will seinen Sohn sehen. Mortimer besteht auf der Herausgabe der Krone. Der König gibt sie ihm. Mortimer und die Zeugen verlassen das Gefängnis mit der Krone.

Ein Fremder erscheint im Gefängnis. Der König ahnt, dass er gekommen ist, um ihm den Tod zu bringen. Als der Fremde ins Licht tritt, erkennt er in ihm Gaveston. Der Fremde bestreitet das und erklärt, der König wisse, wer er sei und kenne seine Mission. Der König will wissen, auf welche Weise er sterben wird. Der Fremde liest ihm aus der Hand und erklärt: «Der Faden ist gerissen. Du bist bereits tot.»

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Szene 7

Isabel ist von ihrem Sohn, der jetzt der neue König ist, zu einer Theateraufführung eingeladen worden. Die Königin will wissen, was gespielt wird. Der junge König antwortet, es gehe um eine Frau und einen Mann, die einen König ermordet und das Kind der Frau auf den Thron gesetzt hätten. Aus der Tiefe der Erde halle aber die Höllenqual des Vaters herauf. Isabel fragt angstvoll, wo Mortimer sei. Der junge König erklärt, dass ihm keine Gnade vergönnt sei. Der Name seines Verbrechens werde ihm in den Körper geritzt und, wenn er den gelesen habe, würden ihm die Augen ausgestochen. Der Vorhang hebt sich.

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RINGEN UM

LUST UND MACHT

Ein Gespräch mit dem Regisseur Evgeny Titov und dem Dirigenten Ilan Volkov über die zerstörerischen Energien obsessiver Liebe

In welchen Kosmos führt uns die Oper Lessons in Love and Violence?

Evgeny Titov: Der Stoff ist ein Königsdrama, dessen literarische Vorlage auf den englischen Shakespeare­Zeitgenossen Christopher Marlowe zurückgeht. Marlowe hat ein Schauspiel über Edward II. geschrieben, der zu Beginn des 14. Jahrhunderts über England herrschte. Ihm wurde die Liebe zu seinem Günstling Piers Gaveston zum Verhängnis. Edward II. vernachlässigte seine Regierungsgeschäfte, wurde abgesetzt und grausam ermordet. George Benjamin und sein Textautor Martin Crimp haben nun aus diesem Stoff eine Oper gemacht, die sich auf die vier Hauptfiguren konzentriert und deren innere Dramen offenlegt.

Wer sind die Hauptfiguren?

Titov: Das sind natürlich der König, der in der Oper nur als «King» vorkommt, also namenlos bleibt, und sein Geliebter Gaveston, mit dem er sich in eine Welt der Musik und der schönen Künste zurückgezogen hat, während das Volk hungert. Gegenspieler ist Mortimer, ein ehrgeiziger Politiker, der mit allen Mitteln an die Macht will, alles Schöngeistige verachtet und Gaveston und den König grausam zu Fall bringt. Und es gibt die Königin Isabel, die mit Edward II. zwei Kinder hat, die ebenfalls in der Oper auftauchen. Sie ist ihrem Gatten emotional zugetan trotz dessen Affäre, will den Nebenbuhler aber weghaben und schlägt sich auf die Seite Mortimers. Die vier Figuren sind geprägt von obsessiver Liebe, Machtgier, Triebhaftigkeit und Gewaltbereitschaft und treffen in ständig veränderten Konfliktkonstellationen aufeinander. Sie verbeissen sich regelrecht ineinander, wie Tiere.

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Der Stoff ist blutig. Gaveston wird ermordet, der König zu Tode gefoltert, am Ende ereilt auch Mortimer ein grausames Schicksal. Gleichzeitig hat der Komponist George Benjamin eine ungemein feinsinnige Art, Musik zu schreiben. Wie passt das zusammen?

Ilan Volkov: Christopher Marlowes Dramenvorlage ist ein Theaterspektakel, bei dem man sich gut vorstellen kann, welche grosse Wirkung es auf einer Bühne der Shakespeare­Zeit entfacht hat. Benjamin und Crimp aber haben alles äusserlich Spektakuläre der Vorlage eliminiert. Sie interessieren sich für die inneren Abgründe der Hauptfiguren, die wechselnden Energien von Anziehung und Abstossung, Liebe, Hass und Vernichtungswille. Die Oper besteht aus sieben Szenen, die wie fragmentarische Ausschnitte eines Ganzen erscheinen, das man als Zuschauer nicht wirklich überblickt. Es geht in der Oper nicht darum, dass eine spannende Handlung von Anfang bis Ende erzählt wird. Man hat den Eindruck, das Drama hat bereits begonnen, bevor sich der Vorhang hebt, und man wird vom ersten Moment an unmittelbar hineingeworfen in das Geschehen. Die Gewalttaten selbst stehen entweder unmittelbar bevor oder sind gerade geschehen. Es gibt Vorahnungen und Ängste über schreckliche Dinge, die sich ereignen werden, oder bohrendes Nachsinnen über Furchtbares, das passiert ist. Aber die Musik stellt die Grausamkeit des Stoffes nicht aus. George Benjamin lässt kein Blut im Orchestergraben spritzen. Das interessiert ihn nicht, obwohl es durchaus zwei, drei kolossale Orchesterausbrüche gibt, in denen die Türen des Orchesterklangs weit aufgerissen und alle Register gezogen werden.

Ist Lessons in Love and Violence eine Oper über die Zerstörung einer schwulen Liebe?

Titov: Es gibt keine schwule Liebe. Es gibt nur Liebe. Die Liebe ist eine so starke, offene, existenzielle Energie, dass es uninteressant ist, ob sie schwul, heterosexuell oder sonstwie ist.

Ich habe die Frage gestellt, weil es für die Entstehungszeit des MarloweDramas im 16. Jahrhundert sehr aussergewöhnlich ist, dass eine Liebe zwischen zwei Männern thematisiert wird.

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Titov: Ich finde, in George Benjamins Oper steht das nicht im Vordergrund. Es geht um die Macht und die Gefährlichkeit von Liebe generell. Wie weit kann sie gehen? Welche zerstörerischen Ausmasse kann sie annehmen? Die Oper blickt in die dunklen Abgründe entfesselter Liebe.

Wie tut sie das musikalisch?

Volkov: Benjamins Art zu schreiben entwickelt einen eminenten Sog, weil in der Musik alles sehr dicht miteinander verwoben ist. Aus einem motivischen Nukleus von zwei, drei Noten erwachsen ganze Szenen. Charakteristische Rhythmen sind, wenn sie sich einmal in Gang gesetzt haben, nicht mehr zu stoppen. Immerzu spinnt die Musik auf obsessive Weise Ideen fort und wendet sie um und um. Die Har monik ist superraffiniert, variantenreich und farbig, und die Singstimmen sind organisch in sie eingebunden. Alles ist präzise auf den Punkt geschrieben, und alles hängt mit allem zusammen. Zwischen den Szenen erklingen Orchesterzwischenspiele, in denen das Geschehene musikalisch nachhallt und kommentiert wird. Die Partitur ist in ihrer Konsequenz wie sinfonische Musik gebaut. Sie erinnert mich in dieser Hinsicht an Alban Bergs Wozzeck, in dem ja auch jede Szene und jeder Akt in eine sinfonische Form gekleidet ist.

Ich erkenne in der Fähigkeit, Unaussprechliches in Töne zu fassen, auch eine gewisse Nähe zu Claude Debussys Pelléas et Mélisande.

Volkov: Das nehme ich auch so wahr. Obwohl Benjamins Personalstil unverwechselbar ist, glaubt man immer wieder Referenzen zu hören, beispielsweise auch zu englischer Musik des 17. Jahrhunderts. Wie er Gesangsensembles schichtet und dabei alle Singenden in ihrer jeweils eigenen Gefühlswelt eingesponnen sind, hat wiederum etwas von Giuseppe Verdi. Er hat das eben alles sehr genau studiert und reflektiert.

Aus George Benjamins Musik spricht also ein Bekenntnis zur Tradition.

Das ist für Gegenwartskomponisten lange Zeit nicht selbstverständlich gewesen. In der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts war es in der zeitgenössischen Musik verpönt, sich auf die Tradition zu berufen.

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Da musste das Neue auch durch neues kompositorisches Material bezeugt werden.

Volkov: Benjamin macht nichts Neues im Hinblick auf Kompositionstechniken und das kompositorische Material wie etwa Helmut Lachenmann, der Geräusche in sein Komponieren integriert hat. In dieser Hinsicht schreibt er traditionell, wenn man das so bezeichnen will. Aber er findet trotzdem zu einem musikalischen Ton, wie man ihn noch nie gehört hat. Er entwickelt Modernität von innen heraus und schafft dadurch Neues. Seine Harmonik etwa arbeitet mit zwölf Tönen, verwendet also keine Mikrotonalität oder Ähnliches, und ist trotzdem abenteuerlich und voll von neuen überraschenden Verbindungen. Gerade die Harmonik trägt stark zur dramatischen Qualität in den Opern bei.

Titov: Ich finde toll an der Musik, wie sie die emotionalen Ausnahmezustände der Figuren offenlegt. Sie ist eben nicht nur feinsinnig. Sie ist auch krass, verrückt, sinnlich, voll von «love and violence». Denn die Ausnahmezustände der Figuren sind wirklich extrem. Der König etwa ist völlig vereinnahmt von seiner Liebe zu Gaveston, muss aber regieren und Entscheidungen zum Wohl seines Volkes treffen, was er nicht tut. Gleichzeitig ist diese Liebe nur ein Teil seiner inneren Disposition. Mir kommt er so übersensibel, empfindsam und verletzlich vor, dass er zu einem normalen Königsleben gar nicht fähig wäre. Er hat keine Schutzhaut gegenüber der Welt. Er gibt sich der Poesie, der Musik und der Kunst hin, lebt in der völligen Überfeinerung aller Sinne und geniesst das Schöne bis zur Übersättigung. Das alles schwingt mit in dieser Figur. Hier wird nicht die Geschichte eines Herrschers erzählt, der sich in einen Mann verliebt hat und Probleme mit seiner eifersüchtigen, vernachlässigten Ehefrau kriegt. Die Figur ist viel, viel grösser. Diese Sehnsucht des Königs nach einem Immermehr an sinnlichen Erfahrungen ist wie eine Wunde, die sich nie schliesst.

Was für ein Typ ist auf der anderen Seite Mortimer, der Gegenspieler des Königs, der nach der Macht greift?

Titov: Er ist der rationale Politiker, der Ordnung schaffen will, weil er sieht, dass die Welt im Chaos versinkt. In seinem allerersten Satz im Stück sagt

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er, dass nicht die Liebe zu einem Mann das Problem sei, sondern die Liebe an sich, sie sei das Gift. Sie stiftet das Unheil durch unkontrollierbare Gefühle. In meiner Vorstellung ist Mortimer einer, der das Dekadente radikal ausmerzen und letztlich eine neue Menschheit schaffen will. Das macht ihn so gefährlich und gewalttätig.

Die Oper spielt mit einem polemischen Gegensatz zwischen der luxuriösen Welt der Schönen Künste auf der einen Seite, in der sich die Königsfamilie bewegt, und der harten Wirklichkeit des Lebens auf der anderen Seite, in der das Volk unter der Tyrannei der Herrschenden leidet, und als deren Anwalt der Rationalist Mortimer erscheint. Sympathisieren Benjamin und Crimp mit einer der beiden Seiten?

Titov: Natürlich nicht. Das Stück urteilt nicht. Beide Konzepte scheitern. Beide sind zerstörerisch, pervertiert und führen in den Untergang.

Volkov: Die gegensätzlichen Welten, die du benennst, sind zwar musikalisch durchaus angelegt, aber die Partitur ist viel zu raffiniert für Eindeutigkeiten. In ihr durchdringen und konterkarieren sich die Ebenen und Gefühlssphären ständig. Es gibt ja beispielsweise auch die Situation des Theaters auf dem Theater im Stück wie in Shakespeares Hamlet, im Königshaus werden sogenannte «Entertainments», also Abendunterhaltungen, zur Aufführung gebracht. Das sind unheilvolle Allegorien.

Aber der Titel der Oper lautet Lessons in Love and Violence. Welche Lektionen erteilt denn die Oper?

Titov: So einfach ist das nicht mit «Lektionen». Diese Oper will niemanden belehren. Das Theater ist kein Ort, der uns Antworten auf Fragen gibt. Wir er fahren nicht, wie wir uns zu verhalten haben. Was lehrt uns das Drama von Medea, die ihre eigenen Kinder umgebracht hat? Die eigenen Kinder umbringen!? Gibt es etwas Grausameres? Und trotzdem kann es sein, dass wir auf der Seite dieser antiken Heldin stehen. Im Theater machen wir Erfahrungen. Theater lässt uns in die Abgründe des Menschen schauen. Es führt uns an die dunklen Orte der Triebe, des Irrationalen und des Unbewussten. Das spüre ich auch stark in dieser Oper. Sie hat eine antikische Wucht. Mir ist

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bei der Vorbereitung auch aufgefallen, dass sich die sieben Szenen der Oper auch auf die sieben biblischen Todsünden der Menschen beziehen lassen, auf Wollust, Neid, Völlerei, Hochmut usw. Ich weiss nicht, ob das von Crimp und Benjamin intendiert ist, aber mir steht dieser Zusammenhang ganz klar vor Augen.

Die Szenen der Oper haben in ihrer Grundkonstellation ein ums andere Mal demonstrativen Charakter. Mortimer wird vom König in der ersten Szene alles genommen, sein Rang, sein Besitz, sogar sein Name, er wird zum toten Mann erklärt. Später ist es umgekehrt: Mortimer zwingt den König dazu, ihm die Krone zu geben. In der fünften Szene wiederum wollen Mortimer und Isabel den Königssohn dazu nötigen, Macht auszuüben. Er soll einen Wahnsinnigen töten, der behauptet, er sei der König. Die Figuren sind es, die brutale Lektionen lernen müssen.

Titov: Ja, aber das Stück ist nicht ordentlich nach Lektionen aufgebaut. Opfer­Täter­Beziehungen kehren sich andauernd um. Gerade hat einer auf Knien gefleht, im nächsten Moment fletscht er die Zähne. Zärtlichkeit und Zuneigung schlagen unvermittelt um in Gewalt und Sadismus. Auch in den erotischen Beziehungen geht es ständig um das Demütigen und Gedemütigtwerden und Schmerzlust. Das ist theatralisch natürlich ein Geschenk für die Regie.

Volkov: Auch die Musik lebt davon: Welche der verschiedenen Schichten, die in der Partitur angelegt sind, dominiert? Was ist oben, was unten? Da greift ständig eins ins andere. Und die musikalischen Motivebenen bleiben im Verlauf der Szenen immer präsent. Nichts verschwindet aus dem Stück. Auch auf der Ebene der Figuren: Der zwischen der dritten und vierten Szene getötete Gaveston beispielsweise kehrt in der sechsten Szene als Todesfigur des «Strangers», des Fremden, wieder zurück.

Titov: Ich weiss nicht, ob es viele Stoffe gibt, die so dicht und dynamisch sind im plötzlichen Wechsel extremer Emotionen. Zuschlagen. Lieben. Zuschlagen. Ohne Erklärungen. Wenn es eine Lektion gibt, die wir aus dieser Oper lernen, dann ist es die, dass die Liebe die grausamste aller Energien ist, dass sie noch gewalttätiger ist als die Gewalt selbst.

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In welchem Bühnenraum spielt man dieses Stück?

Titov: Die Materie, die behandelt wird, ist tief und existenziell. Ich möchte, dass sich das auch im Raum spiegelt. Er sollte die Offenheit haben, Unerklärliches und Nichtfassbares zu beherbergen. Und er muss die richtige Temperatur haben.

Was ist die richtige Temperatur?

Titov: Glühend heiss und frostig kalt.

Es gibt bisher nur eine szenische Realisierung von Lessons in Love and Violence, das war die Uraufführung vor fünf Jahren in London durch die Regisseurin Katie Mitchell. Bei ihr spielte das Stück in einem modern eingerichteten, realistischen Bühnenbild mit Wohnzimmer, Schlafzimmer und edlen Vitrinen.

Titov: Katie Mitchell und ihre Bühnenbildnerin Vicki Mortimer haben bei der Uraufführung einen möglichen Weg aufgezeigt. Wir aber wollten hier in Zürich bei der zweiten szenischen Realisierung in eine andere Richtung gehen. Wir haben nach einer Bühne gesucht, die das Surreale der Situationen zum Ausdruck bringt, dem Wahnsinn, der dem Stück innewohnt, Raum gibt und Platz lässt für Einsamkeitsabgründe der Figuren.

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Das Gespräch führte Claus Spahn
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DER FLOW DES BEGEHRENS

Der Dramatiker Martin Crimp über die Zusammenarbeit mit dem Komponisten George Benjamin und die theatralen Ebenen in «Lessons in Love and Violence»

Martin Crimp, Sie haben bisher drei Opern gemeinsam mit George Benjamin geschaffen, vor Lessons in Love and Violence waren das Written on Skin und Into the little Hill. Ist es Zufall, dass alle Geschichten aus dem Mittelalter stammen?

Martin Crimp: Into the Little Hill entstand aufgrund von Georges Begeisterung für den Rattenfänger von Hameln. Den Stoff zu Written on Skin suchte ich, weil uns der Opernintendant Bernard Foccroulle, der das Stück für das Festival von Aix­en­Provence in Auftrag gab, vorschlug, etwas zu machen, was mit der Provence zu tun hat, und als ich frühe okzitanische Texte zu lesen begann, entdeckte ich diese Story. Es ist ein Zufall, dass auch die dritte Oper mittelalterliche Wurzeln hat. Den Zugang fand ich jedoch über einen Text aus dem elisabethanischen Zeitalter, über das Theaterstück Edward II. von Christopher Marlowe aus dem Jahr 1594, das Ereignisse aus den 1320er Jahren schildert.

König Edward II. wurde wegen Misswirtschaft abgesetzt, unter anderem aber auch, weil er einen Liebhaber hatte und dem viel Macht übertrug. Das Stück Marlowes ist in England aus eben diesen Gründen ziemlich berüchtigt, denn es geht um die Liebe zwischen Männern. George und ich fanden jedoch, dass das im 21. Jahrhundert etwas Normales ist. Die eigentliche Grenzüberschreitung in der Oper ist vielmehr die bedingungslose Liebe, verbunden mit Macht und Grausamkeit. Es geht um die Liebe in einem politischen Kontext, um Liebe, die den Herrscher von seinen Staatsgeschäften abhält. So haben wir im Mittelpunkt wie in einer klassischen Tragödie einen

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labilen Charakter. Wegen seiner Labilität stirbt er. Wir stellen diesen Tod aber nicht auf die hysterische Weise dar wie bei Marlowe. Als ich den Text schrieb, benutzte ich zahlreiche andere Quellen. Von Marlowe behielt ich nur einen einzigen Vers.

Und der wäre?

«Why should you love him whom all the world hates?», fragt die Königin, worauf der König antwortet: «Because he loved me more than all the world.» Wunderbare Zeilen, die ich ins Zentrum der Oper setzte.

Die drei gemeinsamen Opern mit George Benjamin sind sehr unterschiedlich. Bilden sie dennoch auf irgendeine Weise eine Trilogie?

Es ist nicht sehr nützlich, als Künstler auf diese Weise zu denken. Jedes Werk muss in seinen eigenen Begriffen behandelt werden. Aber natürlich kann man sagen, dass das eine auf dem anderen aufbaut. Die beiden ersten Opern haben zum Beispiel einen Chor mit einem Minimum an Sängern. Bei der dritten Oper aber fanden wir, dass wir dieses Mittel genug verwendet hatten. Es gibt hier also keinen Chor mehr. Wir gaben ihn auf, damit er nicht manieristisch wird. Aber wir entwickelten eine Art «Chor», nicht im Gesang, sondern als eine Gruppe von etwa zwanzig Statisten, die die Aussenwelt repräsentieren.

Into the Little Hill ist ungewöhnlich in der dramatischen Anlage: Zwei Frauenstimmen erzählen die Geschichte, übernehmen aber auch die unterschiedlichen Rollen. Die Geschichte wird also multiperspektivisch erzählt. Und die Perspektive kann fast mitten im Satz wechseln.

In Into the Little Hill war George sehr glücklich über die Erzähltechnik, bei der die Charaktere wie Bühnenanweisungen beschrieben werden. Wir verwendeten diese Technik nochmals in Written on Skin.

Dort sagen die Figuren manchmal, während sie sprechen, über sich selbst: «says the woman». Es ist eine irritierende und ebenso faszinierende Verfremdungstechnik. In Lessons in Love and Violence haben Sie sie nun

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weggelassen, ausser in der kurzen Szene, in der ein Theaterstück aufgeführt wird…

Das ist eine kleine Referenz an die vorausgegangenen Stücke. Aber sonst taucht diese Verfremdungstechnik hier nicht auf.

Diese Technik bedeutet ja auch, dass die Figuren gleichzeitig eine Aussenperspektive einnehmen. Die beiden Sängerinnen von Into the Little Hill stellen alles dar; die Bühne ist gleichsam in ihnen drin. In Written on Skin übernehmen die drei Engel gleichsam die Regie in dieser Liebesgeschichte. Und in Lessons gibt es dieses Theater im Theater und auch die Szene des Madman, die wie ein Spiel beginnt und dann brutale Realität wird. Sie brechen also jedes Mal die Erzählung auf und öffnen sie. Ich glaube, George ebenso wie mich interessiert es, die konventionelle Erzählweise leicht zu unterwandern. Die Mittel, die in diesem Text verwendet werden, habe ich wohl unbewusst von der elisabethanischen Tradition geerbt. Denn im englischen Theater jener Zeit dominierte das Konzept von der Welt als Bühne und den Menschen als Schauspielern, die ihre Zeit damit verbringen, ihren Part auf dieser Weltbühne zu spielen. Deshalb führte ich etwas von dieser metatheatralen Metapher in das Drama ein.

Am Schluss von Lessons sagt der junge König zu seiner Mutter: «On no side of this curtain, mummy, are we innocent.» Das ist sehr berührend, denn der Satz geht allen drei Opern auf den Grund. Ich werde als Zuschauer stark involviert, ich fühle mich nicht unschuldig. Das zeigt nochmals, wie wichtig dieses Theater im Theater in diesem Stück ist. Letztlich habe ich das der Lektüre des elisabethanischen Theaters entnommen. Im Text sprechen wir vom König als Puppenkönig, der auf die Puppenbühne der Geschichte tritt. Für mich zumindest enthält die letzte Szene der Oper eine Referenz zu Hamlet, wo der Sohn die Mutter mit der Wahrheit des getöteten Vaters in einem theatralen Kontext konfrontiert.

Solche Doppelbödigkeit ist grundlegend für Ihre Arbeit. Jeder, der sein Leben wie ich mit dem Schreiben von Theaterstücken verbracht

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hat, ist ständig aufmerksam für diese beiden Aspekte: Sie schaffen eine Illusion und beobachten gleichzeitig, dass eine Illusion geschaffen wird. Jeder, der über längere Zeit im Theater involviert ist, wird dafür sensibilisiert und verwendet es dann auch auf die eine oder andere Weise. Auf der einen Seite bewundere ich das Theater der Illusionen, auf der anderen Seite bin ich ihm gegenüber aber auch sehr misstrauisch. Der eine Teil von mir will mitten hinein, der andere Teil schreckt davor zurück.

Das verweist auf eine weitere Ambivalenz dieser Oper: Es ist ein Stoff aus dem frühen 14. Jahrhundert, aber man bekommt den Eindruck, man habe es mit einer aktuellen Geschichte zu tun.

Das hoffe ich. Ich lebe heute. Ich kann mich ins 14. Jahrhundert vertiefen und viel darüber lesen, aber ich kann nur die Charaktere und Psychologie der Kultur wiedergeben, in der ich selber lebe, denn die verstehe ich. Im Herz dieses Stücks ist nicht nur ein Liebespaar, sondern ein Liebesquartett. Da ist der König, seine Frau, die er liebt oder zumindest geliebt hat und mit der er Kinder hat; da ist sein Liebhaber, ein Mann; da ist aber noch ein weiterer Mann, der Aufmerksamkeit will, Mortimer, sein militärischer Ratgeber. So entsteht eine Art Flow des Begehrens zwischen allen vier Figuren. Und das scheint mir etwas Modernes zu sein, etwas, das im 14. Jahrhundert wohl so nicht wahrgenommen wurde.

Sie haben viele Theaterstücke geschrieben und nun drei Opernlibretti: Was ist der Unterschied bei der Arbeit?

Es gibt eine freche Antwort, aber sie ist wichtig – und pragmatisch. Ein Theaterstück, das neunzig Minuten dauert, umfasst etwa siebzig, achtzig Seiten, mit Georges Musik aber nur die Hälfte. Der Librettist muss also gewisse Entscheidungen fällen. Als Lektion habe ich dabei gelernt, skrupulös mit allen Manierismen in meinem eigenen Schreiben umzugehen, denn sie sind für die Musik unnütz. Das hat mit George, aber auch mit mir selbst zu tun.

George liebt eine sehr starke und direkte Erzählweise, deshalb ist es meine Aufgabe, das zu liefern: Sofort einzusteigen in die wichtigen Aktionen zwischen den Figuren. Es bleibt keine Zeit, auf das Drama zu warten, man muss drinnen

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sein. Unmittelbar. Das fühle ich auf jeden Fall. Natürlich ist jede Beziehung zwischen Librettist und Komponist anders. Manche Komponisten mögen solche Manierismen vielleicht oder, dass die Handlung endlos verschleppt wird, aber das ist nicht unsere Vorgehensweise.

Haben Sie den Text gemeinsam entwickelt? Zunächst den Plot und dann begannen Sie zu schreiben, oder wie war das?

Wir entschieden uns gemeinsam für den Stoff. Dann begann ich, für Written on Skin etwa, einige Passagen zu schreiben und bat George ganz einfach, rot zu unterstreichen, was ihm gefiel. So verstand ich allmählich, was er wollte: Intensives Storytelling, starke Bilder, aber auch einen Sinn für das Geheimnis und das Metaphysische. Auf dieser Basis begannen wir auch bei Lessons. Er fing erst mit dem Komponieren an, als der Text völlig fertig war. Wir lassen einander den Job machen und die aufkommenden Probleme selber lösen. Mein Problem ist es, eine Geschichte mit Worten zu dramatisieren.

George muss aufgrund dieses Textes musikalische Entscheidungen fällen und darum herum seine Imagination wachsen lassen, und die Regisseurin – Katie Mitchell bei der Uraufführung – macht die Inszenierung. In dieser Reihenfolge. In dieser Kette macht jede/r das, was er/sie am besten kann. Es würde nicht funktionieren, wenn George schon beginnen würde, bevor ich den Text fertiggestellt habe. Bei Lessons begann er übrigens mit der Arbeit in der Mitte, mit jener Szene, die für ihn technisch die schwierigste war: In der dritten Szene der Oper findet auf der Bühne ein Entertainment mit zwei Sängern statt, das ist die erste Theaterszene, gleichzeitig agieren aber auch die «realen» Figuren. Für die Musik ist das eine ebenso reizvolle wie schreckliche psychologische Aufgabe. Und die wollte George zuallererst auf die Reihe bringen. Von da aus arbeitete er in beide Richtungen weiter. Deshalb wäre es nicht gut gewesen, wenn ich ihm die erste Szene geschickt und er damit zu arbeiten begonnen hätte. Ausserdem wünschte er einen Überblick über die ganze Architektur.

Man sagt, es sei bei Texten für die Oper wichtig, dass sie Leerstellen enthalten, die Raum für Musik lassen. Denken Sie beim Schreiben daran?

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Zumindest unbewusst. In Lessons gibt es zwei solcher Leerstellen. Zum einen die zwischen den Szenen, während der die Zeit verstreicht – diese gewichtigen orchestralen Interludien, gleichsam eine psychologische Erforschung mittels Musik, sind neu bei dieser Oper. Es ist wunderbar, dort Georges Klänge ohne Gesang zu hören. Zum anderen würde ich in einem Theaterstück den psychologischen Zustand einer Figur mit Worten ausführlicher beschreiben, aber hier tut das die Musik. Deshalb liefere ich das nicht mit. Ich gebe nur einen Wink und weiss, dass die Musik es vertiefen wird.

Wichtig scheint mir auch eine gewisse Diskommunikation zwischen den Personen, das Aneinandervorbeireden, das Missverständnis …

Das

Das ist fundamental für die britische Dramatradition. Die Menschen missverstehen einander. Man könnte auch sagen, das sei die Funktion jedes Dialogs im Drama, denn wenn die Figur A genau versteht, was Figur B sagt, ist das das Ende des Dramas. Was Sie Diskommunikation nennen, ist also bloss das Leben. Aber es ist interessant, was George damit etwa in Written on Skin gemacht hat: Er überlappt die Dialogteile, wie ich es nicht genau vorschreiben kann und will, und schafft damit starke Effekte.

Musik spielt ja auch im Libretto selber eine Rolle. Königin Isabel sagt einmal: «There is no connection between our music and your labour.» Und «Don’t come here trying to put a price on music.»

In dieser Szene kommt es zu einer kleinen Auseinandersetzung über den Wert von Geld und jenen von Musik. Isabel betont klar den Wert von Musik in der Kultur.

Man könnte es aber auch als Aussage über die Stellung der Oper generell auffassen …

Es ist durchaus verständlich, wenn man so denkt, aber meine Aufgabe als Dramatiker ist es, mir vorzustellen, dass all meine Figuren recht haben.

Sonst wäre es kein Drama. Die Figur, die von der Aussenwelt kommt und sagt, deine Musik ist zu teuer, von dem Geld könnte man gut leben, hat recht, aber die Frau, die sagt, sie habe einen Wert jenseits von Cash, ebenfalls.

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In einem Drama sollten möglichst viele Figuren recht haben, damit das Drama funktioniert.

Am Ende von Into the Little Hill singen die Kinder über den Rattenfänger: «Our home is under the earth. With the angel under the earth. And the deeper we burrow the brighter his music burns.» Was ist Ihr persönliches Verhältnis zu Musik?

Das

Es gibt sie auf so vielen unterschiedlichen Ebenen. Mein Lieblingskomponist ist Bach. Heute früh versuchte ich, einige von Ferrucio Busonis wundervollen Transkriptionen der Choralpräludien zu spielen. Ich habe auch eine starke Beziehung zur Musik durch die Familie, denn meine drei Töchter spielen Streichinstrumente, meine Frau auch, so können wir zuhause Klavierquintette aufführen. Und als Schriftsteller kann ich mit Musik dem Schreiben entfliehen. Was bedeutet das nun für eine Oper, denn dort kommen Schreiben und Musik zusammen? Die einzige Möglichkeit, es zu beschreiben, ist, dass Worte in Georges Musik zum unglaublichsten Geschenk werden: Als seien sie beschützt und vertieft und gereinigt in einer Weise, die ausserhalb dieser Welt steht.

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Das Gespräch führte Thomas Meyer
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König: «Die Liebe macht uns menschlich.»

Mortimer: «Das macht die Mordlust auch.»

«Im Töten liegt eine Kunst, aber keine Freude.»

GRÖSSTE AUFMERKSAMKEIT FÜR KLEINSTE DETAILS

Der Komponist George Benjamin über kompositorische Aspekte seiner Oper «Lessons in Love and Violence»

In Ihrer Oper Lessons in Love and Violence gibt es fünf Hauptfiguren, die alle sehr ambivalent in ihrer Charakterzeichnung sind. So richtig sympathisch ist keine Figur. Warum haben Sie diese Konstellation gewählt?

Liegt darin nicht eine Nähe zum alltäglichen Leben? Tatsächlich gibt es in Lessons keine unmittelbar heroische oder liebenswerte Figur. Die Sympathie wechselt. Ich habe grosse Sympathie für den jungen König, der eine unschuldige und gute Person zu sein scheint und der seinen Vater liebt, der aber am Schluss auch grausam handeln muss. Aber er spricht von menschlicher Gerechtigkeit, und er wurde ja später auch ein guter König, der über fünfzig Jahre regierte. Er löste die Probleme, für die sein Vater verantwortlich war. Edward II. wiederum ist ein hoffnungsloser König. Er ist seiner leidenden Frau gegenüber illoyal, aber in seinen Handlungen von Liebe geleitet. Gaveston ist komplizierter: Es gibt ein starkes Band zum König. Aber er ist hinter Macht, Geld und Besitz her, in ihm steckt etwas Bösartiges. Mortimer wiederum ist zu Beginn eine korrekte konservative Person, die zum Maniac, ja zu einem Faschisten wird. Je interessanter die Charaktere und je intensiver das Drama, desto inspirierender ist es für mich.

Lessons ist Ihre dritte Oper. Sie haben erst mit über vierzig Jahren begonnen, für das Musiktheater zu schreiben, obwohl Sie schon als Kind Opern schreiben wollten. Warum haben Sie so spät begonnen?

Ich weiss selber nicht, warum das so ist. Als ich mit 21 an der Universität war, schrieb ich dort noch Musik zu Schauspielen, etwa zu T. S. Eliots Mord

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im Dom und zum Sommernachtstraum. Aber danach hörte das alles auf. Ich musste zuerst zahlreiche technische Probleme lösen, etwa beim Komponieren der Vokallinien und dem Mischen von Stimmen und Instrumenten. Die Lösungen um mich herum fand ich nicht befriedigend. Ich musste zuerst einmal tief in meine musikalische DNA hinabsteigen. Deshalb schrieb ich von Zeit zu Zeit Vokalwerke und arbeitete in den Instrumentalstücken besonders an der Melodieführung. Ausserdem wollte ich, was in der zeitgenössischen Oper lange nicht in Mode war, Geschichten erzählen – direkt und einfach, aber auf neue Weise. Ich wusste jedoch nicht wie, und ich fand auch niemanden, mit dem ich arbeiten konnte. Ich traf zwar ständig Schriftsteller, Filmregisseure, Dichter, darunter auch einige berühmte Leute, aber es ging nie über die ersten zwei, drei Sitzungen hinaus – bis ich Martin Crimp begegnete. Wenn man sich beim Schreiben so hermetisch abschliesst wie ich, ist es auch nicht leicht, sich jemandem zu öffnen. Selbst mein Verleger weiss nicht, woran ich genau arbeite. Die Auftraggeber haben meist keine Ahnung von dem Stück. Ich brauche diese Abgeschiedenheit. Gern hätte ich Martin fünfzehn Jahre zuvor getroffen und mit ihm schon mehr Opern geschaffen. Auch er wollte, nach einer Reihe von Theaterstücken, etwas Neues machen. Er kannte Oper nicht sehr gut, aber er liebt Musik und ist ein guter Pianist.

Wie man mit den Mitteln der zeitgenössischen Musik zu einer Melodik kommen kann, die auf eine verständliche, aber nicht banale Weise gestaltet ist, war offenbar auch ein Thema, mit dem Sie beim Schreiben für die menschliche Stimme lange gerungen haben.

Ich habe darüber zwanzig Jahre lang nachgedacht und viele Aspekte studiert: Sprechmuster, intervallische Gestaltung, den harmonischen Kontext, die Beziehung zwischen Gesang und Orchester, denn die beiden Ebenen ergänzen sich nicht einfach, sondern bewegen sich oft in unterschiedlichen Zeit­ und Emotionsverläufen. Ausserdem wollte ich diese akademischen Zickzackmelodien vermeiden, die häufig in zeitgenössischer Musik auftauchen.

Bei Webern und Boulez klingen sie wunderbar, aber das ist vorbei. Ich verdopple die Vokallinien nie durch ein Orchesterinstrument, sondern suche andere Möglichkeiten, aber bezüglich der Harmonik sind sie ineinander einge­

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bettet. Die Stimme greift entweder Töne aus dem Orchester auf oder sie fügt ihm neue hinzu. So verändert die Stimme die Wahrnehmung der orchestralen Harmonik. Deshalb mag ich keine Vibratostimmen, weil man die Harmonik klar erkennen soll. Das sind meine Prioritäten. Wie so viele Komponisten wusste ich zuvor nicht genug über Vokalstimmen, über offene Vokale, Kopf­ und Bauchstimme, über die Psychologie der Sänger und den Atem, über Akzente – Englisch ist eine stark akzentbetonte Sprache. In dieser Hinsicht musste ich viel lernen. Im Unterschied zu den Komponisten des 18. und 19. Jahrhunderts habe ich keine Sänger begleitet und nicht im Voraus schon zweihundert Lieder geschrieben wie Schumann, Schönberg, Berg, Ravel, Mussorgski oder Tschaikowski. Sie alle lernten die vokale Schreibweise kennen, indem sie Sänger begleiteten. An den Konservatorien heute sollte man den Komponistinnen und Komponisten unbedingt dieses Verständnis für Stimmen beibringen. Es braucht Zeit, und es ist sehr delikat, denn die Stimme, so einfach wie komplex sie ist, erscheint auf der Bühne nackt und isoliert. Nichts steht zwischen der Lunge einer Sängerin oder eines Sängers und dem Publikum. Die Stimme braucht Hilfe.

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Früher waren tatsächlich die Stimmen der Ausgangspunkt für das Komponieren; heute sind es eher die Instrumente. Hunderttausend Jahre lang war die Stimme der Ausgangspunkt. Sie ist die Essenz und das Zentrum der Musik. Bei den meisten Komponisten aber wurden die Instrumente zentral. Ein fantastischer Komponist wie György Ligeti schrieb wunderbar für Chor, aber weniger für Solostimmen. Wer jedoch in dieser Nachkriegsgeneration wirklich etwas Aussergewöhnliches für die menschliche Stimme schuf, war Pierre Boulez. Auch wenn ich ihm stilistisch nicht folge, bewundere ich das.

Im Gegensatz zu vielen anderen Gegenwartsopern versteht man bei Ihnen den Text ganz gut. Legen Sie darauf grossen Wert?

Das ist meine Absicht. In den Linien bleibt eben die Textverständlichkeit gewahrt. Wenn man immer den Text in den Übertiteln mitlesen muss, wird man vom Drama abgelenkt. Schliesslich soll man der Kommunikation des

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Dramas folgen. Ich habe diese wunderbaren Worte bekommen, die Martin für mich geschrieben hat, und deshalb bin ich dafür verantwortlich, dass man sie auch versteht. Daher spielt das Orchester eher leise, so dass sich selbst kleinere Stimmen durchsetzen können.

Manchmal führen Sie die Stimmen auch völlig unabhängig voneinander jeweils wie in einer eigenen Welt.

Zum Beispiel in der Szene 3 zwischen Isabel und dem König: Sie kommunizieren nicht miteinander. Sie versucht, gehört zu werden, aber er hört sie nicht. So bewegen sie sich jeweils auf einem anderen Planeten. Die Harmonik und die Phrasierung ihrer Linien haben keine Beziehung zueinander. Daher schieben sich die Vokallinien auch übereinander. Das Drama muss voranschreiten, es bleibt keine Zeit, dass jemand höflich wartet, bis der andere ausgesprochen hat. Das ist ja auch in der Realität so. Wenn Menschen sich ärgern, warten sie nicht, bis der andere ausgesprochen hat, sondern unterbrechen einander.

In Lessons haben Sie den Text enorm flüssig vertont, fast in einem Sprechtempo, das sich anpasst und gleichzeitig den musikalischen Fluss nicht vernachlässigt.

Man muss mit der grössten Aufmerksamkeit für das kleinste Detail arbeiten. Jede Einzelheit hat Einfluss auf die grosse Form. Ich entferne mich – metaphorisch gesprochen – beim Komponieren immer wieder vom Papier, um mir vorzustellen, wie es sich anfühlen und klingen wird, wenn es erstmals auf der Bühne zum Leben kommt. Man braucht ein dramatisches Timing und eine Ökonomie in jedem Aspekt der Partitur. Zuviel von etwas kann langweilen, jedes Element darin – die Tutti zum Beispiel oder die hohen Noten –muss einen Rhythmus und eine gewisse Vielfalt aufweisen. Nicht nur in dem, was man im Moment hört, sondern auch in der Konzeption jeder Szene, sonst besteht die Gefahr, dass man gelangweilt ist. Die Stoffe, die Martin und ich wählen, bedürfen eines dynamischen Zugangs.

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Das Orchester ist normal gross besetzt, enthält aber viel Perkussion. Darunter finden sich auch zwei Harfen, eine Celesta und ein Cymbalom. Das ist ein Hackbrett, das aus der südosteuropäischen Musik stammt. Was war der Grund für diese Wahl?

Ich liebe den Klang des Cymbaloms und besonders seine tiefen Register. Es gibt dem Stück eine weitere farbliche Dimension. Ich versuche jedes Instrument gezielt, aber auch vielfältig und mehrmals einzusetzen. Ich bewundere Mahlers Lied von der Erde, aber ich finde es schade, dass einige Musiker nur auf drei Partiturseiten eingesetzt werden und sonst herumsitzen. Man muss den Musikern genug zu spielen geben.

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Die Trommelschläge etwa, die der König in Szene 6 imaginiert, werden mithilfe von Harfen und dem in der Tiefe akzentuierenden Cymbalom umgesetzt. Warum?

Es gibt dafür drei Gründe: Der eine ist, dass diese Trommeln nur in der Vorstellung des Königs erklingen. Sie sind nicht real. Zweitens mache ich gerne etwas Fremdartiges und nicht das, was offensichtlich ist. Ähnlich kommen in Strawinskys Psalmensinfonie keine Zimbeln vor, auch wenn der Chor davon singt. Schliesslich verwende ich Trommeln und sehr viele weitere Perkussionsinstrumente für Gaveston und sein Liebesduett mit dem König, und es wäre falsch gewesen, wenn sie hier schon auftauchen würden.

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Wenn Gaveston dem König in Szene 3 aus der Hand liest – er tut es noch einmal in Szene 6, wenn er in Gestalt des Todes erscheint –erklingt eine fremdartig exotische Musik, die an karibische Klänge erinnert. Welche Idee stand hinter der Wahl dieser Instrumente? Ich wollte damit eine Welt ausserhalb der Handlung suggerieren. Die Szene hat etwas Magisches, und Gaveston, der dem Volk doch verhasst war, galt als jemand, der über magische Kräfte verfügte. Wie einer der Zeugen sagt: Er kann die Zukunft voraussagen. Diese Musik zeigt seine irrationale Macht. Ich brauchte dafür etwas musikalisch Aussergewöhnliches.

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Eine der komplexesten Stellen ist gewiss die Szene 3, in der eine Theatersituation auf dem Theater stattfindet. Sie mussten zusätzlich zu der Handlung noch eine Theaterszene in die Musik integrieren. Wie haben Sie das Problem gelöst?

Es ging darum, Polymusik zu komponieren: Einerseits die Musik der Theaterszene mit zwei aufeinander bezogenen Frauenstimmen und andererseits die anwachsende Spannung zwischen der Königin Isabel und Gaveston, seine Verhaftung und letztlich seine Ermordung. Diese zwei Schichten sind unabhängig, müssen aber doch zusammenklingen. Die beiden Stimmen der Theaterszene haben deshalb ein ganz anderes Zeitmass, andere Klangfarben, melismatische Lyrismen und eine extrem konsonante Harmonik, während die Welt des Hofs syllabisch, scheinbar rhythmisch und harmonisch unabhängig gestaltet ist.

Wichtig für die Form von Lessons sind auch die Orchesterzwischenspiele zwischen jeder Szene, die viel mehr sind als nur Übergangsmusiken. Sie haben sehr viel mit der dramatischen Spannung der Szenen zu tun. Das ist eine Lektion, die ich von Alban Bergs Wozzeck, aber auch von Pelléas et Mélisande von Claude Debussy und von Richard Wagner gelernt habe. In diesen Zwischenspielen darf das Orchester laut und massiv klingen, ohne dass es die Stimmen übertönt. Richard Strauss sagte ja einmal zum Orchester, es solle lauter spielen, er könne die Sänger noch hören. Ich finde seine Musik wunderbar, aber hier stimme ich nicht zu. Die Oper ist kein orchestrales Tongedicht, sondern ein Ort, an dem Gesang und Worte mit dem Orchester kommunizieren und das Orchester zwar eine wichtige, aber nicht die Hauptrolle spielt.

Nichts ist überinstrumentiert – ist das die Lektion, die Sie aus Pelléas et Mélisande gelernt haben?

Genau – und von Janáček: Katja Kabanova ist für mich ein vollkommenes Meisterwerk. Es gibt in der gesamten Oper nur etwa vier Tuttimomente. Alles ist unglaublich sparsam gesetzt, aber es klingt dank der grossartigen Harmonik wunderbar. Die Instrumentation ist fabelhaft und originell. Ähnlich

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wie bei Mozart. Das Problem liegt darin, dass es die Leute gewohnt sind, dass das Orchester so laut klingen muss.

Wie ändert sich Ihre Wahrnehmung der Oper, wenn Sie sie auf der Bühne sehen?

Bei Lessons sagte jemand zu mir, ich müsse mich bei der Arbeit mit diesen Figuren über Jahre hinweg sehr dunkel und bedrückt gefühlt haben. Aber es war gar nicht so: Wenn mir die Figuren Intensität und Komplexität der Gefühle bieten, wenn ich also Futter habe, um Musik zu schreiben, fühle ich mich gut damit. Aber nachdem ich die Generalprobe bei der Uraufführung gesehen hatte, war ich doch ziemlich schockiert, was für ein dunkles Stück Martin und ich da geschaffen haben.

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Das Gespräch führte Thomas Meyer
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EINE RADIKAL KOMPRIMIERTE NEUINTERPRETATION

Christopher Marlowes Drama «Edward II.» und die Verbindungen zur Oper «Lessons in Love and Violence»

Der Name «Edward» erscheint weder im Personenverzeichnis von Martin Crimps Libretto zu Lessons in Love and Violence, noch wird er an irgendeiner Stelle im Dialogtext erwähnt, und doch handelt die Geschichte von zwei Königen dieses Namens: von Edward II. und seinem Sohn Edward III.

Crimps Geschichte behandelt drei eigenständige und historisch verbriefte Ereignisse aus der Zeit der Regentschaft König Edwards II.: die Ermordung Piers Gavestons, des Liebhabers des Königs, im Jahr 1312, die Absetzung und Ermordung Edwards II. 1327 und den Staatsstreich von 1330, als der junge Edward III. seine Mutter, Königin Isabella, entmachtete und ihren Liebhaber Roger Mortimer hinrichten liess. Crimp erzählt die Geschichte in Anlehnung an Christopher Marlowes Stück The Troublesome Reign and Lamentable Death of Edward the Second, King of England, with the Tragical Fall of Proud Mortimer, das 1594, ein Jahr nachdem der elisabethanische Dramatiker selbst eines gewaltsamen Todes gestorben war, erstmals gedruckt erschien. Und genau wie Marlowe, der 23 geschichtsträchtige Jahre in «zwei Stunden Bühnenhandlung» verpackt, bietet uns Crimp eine radikal komprimierte Neuinterpretation von dessen anspruchsvoller Vorlage.

Marlowes Stück beginnt mit einem provokanten Monolog, der bis in die 1990er Jahre innerhalb der englischsprachigen Theatergeschichte beispiellos geblieben sein dürfte. In den historischen Quellen zu dieser Epoche, die Marlowe (wie Crimp) konsultierte, erscheint Gaveston als Sohn einer adligen Gascogner

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Familie, die auf eine ehrenvolle Geschichte in den Diensten der englischen Krone zurückblicken kann. In Marlowes Bearbeitung aber wird er zum Bürgerlichen, der sich vor anderen einzig durch eine starke erotische Ausstrahlung und ein verfeinertes ästhetisches Empfinden auszeichnet. Er bleibt ein Fremder aus Überzeugung, verabscheut London und die ärmeren Schichten – eben jene Zuschauer, an die er sich wendet – und ist eindeutig queer. Marlowes Gaveston verleiht seinen homoerotischen Fantasien mit einer für die englische Bühne einzigartigen Verwegenheit Ausdruck und beendet seinen Monolog mit einem imaginierten Maskenspiel, in dem Aktaion, der unglückselige junge Jäger, von seinen eigenen Hunden zerrissen wird und «zu sterben scheint». Er stellt sich also einen Scheinmord vor, der eigentlich eine Vergewaltigung ist, und nimmt so auf verstörende Weise den grausamen Mord an seinem königlichen Geliebten vorweg, der mit einem heissen Schüreisen getötet wird, das man ihm ins Rektum stösst.

Die Rollen von Gaveston und Edward II. wären höchstwahrscheinlich vom selben Schauspieler übernommen worden (ein dramaturgisches Mittel, das Crimp auch in Lessons anwendet, wo die Rollen Gavestons und des Fremdlings vom gleichen Sänger gesungen werden), aber Crimp will sich andererseits auch ausdrücklich von Marlowes Text entfernen. Während im elisabethanischen Stück die queere Identität sowohl des Königs als auch Gavestons unverkennbar sind, sind in Crimps Text die Beziehungen zwischen den Hauptfiguren fliessender: Der König, seine Königin und sein Geliebter scheinen eine unheilvolle Ménageà­trois ausgehandelt zu haben, die funktionieren könnte, würde Mortimer seine Verachtung für gleichgeschlechtliche Liebe nicht so offen zur Schau tragen. Lessons in Love and Violence beginnt mit einem Streit zwischen dem König und Mortimer, bei dem es vordergründig um den Konflikt zwischen Kunst und Politik geht. Der König selbst trifft eine scheinbar klare Unterscheidung zwischen «Poesie und Musik» einerseits und der «Mord­Maschine» («the machinery of killing») andererseits. Diese Worte geistern durch das ganze Werk. Sie wiederholen sich in der Prophezeiung, die Gaveston kurz vor seiner Ermordung gegenüber dem König ausspricht, und sie markieren den Höhepunkt des maskenspielartigen, aber in Wirklichkeit tödlichen Schauspiels, mit dem Mortimer dem Königssohn eine Lektion erteilen will. Bei der Erdrosselung des

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Verrückten, der (zusammen mit seiner Katze) vorgibt, der rechtmässige Monarch zu sein, spricht Mortimer von der «Maschine einer geregelten Welt» was wie eine finstere Umarbeitung der wunderbaren Stelle aus Marlowes LucanÜbersetzung klingt, wo «die Maschinen der beschädigten Welt» zu ihrem Ende kommen. Der Schluss der Oper jedoch legt nahe, dass die Vorstellung einer sauberen Trennung zwischen Kunst und Politik abwegig ist. Das wird deutlich, wenn der junge König, der die Lehre aus Mortimers Maskerade verstanden zu haben scheint, seine Mutter und den Hofstaat zwingt, sich ein «Entertainment» anzusehen, das einsetzt mit «einer Szene, in der ein menschliches Wesen wieder und wieder gebrochen wird durch die schlüssige Anwendung menschlicher Gerechtigkeit».

Mortimer eröffnet seinen Disput mit dem König mit der Behauptung, Liebe – nicht nur die gleichgeschlechtliche – wirke wie Gift auf den Staatskörper. Diese Haltung zeigt sich nach und nach auch in Marlowes Edward II: Während der König sein Reich und seinen Thron zu opfern bereit ist, solange es für ihn noch «einen Winkel gibt, ein Loch, wo er mit Gaveston, dem Liebsten, toll sein kann», besiegelt das einzige heterosexuelle Paar des Stücks seine tyrannischen Verschwörungspläne mit einem Kuss. Marlowe hat den beunruhigenden Zusammenhang zwischen den Liebesverstrickungen des Königs und seiner Empfänglichkeit für künstlerische Vergnügungen aber nicht erfunden; im Polychronicon, einem während der Regierungszeit Edwards II. begonnenen Werk, schrieb Ranulf Higden, dass der König nicht nur «Isabella, die Königin, missachtete und den Landesherren keine Beachtung schenkte», sondern auch der Gesellschaft von «Narren, Sängern und Schauspielern» verfallen gewesen sei. Lessons in Love and Violence treibt diese Zusammenhänge noch weiter. Crimps König schliesst zwar die erste Szene der Oper mit der Erklärung: «Lasst unsre Herrschaft voll Toleranz und Liebe sein», was eine mögliche Antwort auf die bewegende Frage sein könnte, die der König bei seiner Absetzung in Edward II. stellt: «wenn es keine Herrschaft mehr gibt, was sind Könige als vollendete Schatten an einem sonnigen Tag?», wobei «Schatten» zu Marlowes Zeiten bezeichnenderweise auch «Schauspieler» bedeutete. Doch das Opernpublikum hat bereits mit eigenen Augen gesehen, dass «Liebe» auch Gewalt bedeuten kann, selbst wenn Gaveston gegen die Schmerzen, die der König ihm zufügen will, unempfindlich

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zu sein scheint. Einer Andeutung in der Vita Edwardi Secundi zufolge, einer zu Edwards Lebzeiten verfassten Biografie, ist Crimps Gaveston zugleich ein Zauberer und ein Seher, und wenn er als Fremder wieder auftritt, erscheint er als einsames, aber auch abschreckendes Zeichen des Todes. Der Monolog, mit dem Gaveston Marlowes Stück eröffnet, wird durch das Erscheinen «dreier armer Männer» unterbrochen, für die der königliche Günstling tiefste Verachtung zeigt. Crimp hat dieses kurze Zwischenspiel geschickt in die zweite Szene der Oper übertragen (und erweitert), in der Isabel mit drei verarmten «Zeugen» konfrontiert wird. Die Bittsteller beklagen sich über erlittene Entbehrungen und stellen sie dem Reichtum des Hofes und seinen Vergnügungen gegenüber: «Eine Nacht Musik für diesen Gaveston kostet so viel wie ein ganzes Jahr unserer Arbeit». Isabel will nichts wissen von einer «Verbindung zwischen unserer Musik und eurer Arbeit» und empört sich darüber, dass die Zeugen sich herausnehmen, «die Musik mit einem Preis zu versehen». Am Höhepunkt ihrer Tirade löst sie eine Perle in einem Becher mit Essig auf und versucht, den dritten Zeugen zu zwingen, die Flüssigkeit zu trinken. Auch wenn man für den Geldwert dieser Perle ein Haus mit vierzehn Zimmern kaufen könne, sei ihr wahrer Wert, so beharrt sie, «wie das ruhige Strahlen der Musik». Plinius der Ältere schrieb Kleopatra zwar das gleiche Verhalten zu und Sueton dem Kaiser Caligula, aber zeitgenössische Quellen legen nahe, dass Königin Isabella zu besonderer Extravaganz neigte: Rechnungsbücher aus der Anfangszeit ihrer Herrschaft zeigen, dass sie astronomische Summen ausgab, um ihren Freunden Wildbret oder französischen Käse zu schicken. Das Verstörendste an der Episode ist jedoch die Art und Weise, wie Isabel und Mortimer nach dieser geschmacklosen Begegnung mit dem Mittellosen sofort auszuhecken beginnen, dass sie «Gavestons Kopf durch Musik leeren» könnten, um ihn auszuschalten. Martin Crimps Einsatz von Musik ist immer präzise und verstörend zugleich. Man denke nur an Cruel and Tender (2004), wo er Sophokles’ Chorpassagen durch Songs über sexuelle Gewalt von Billie Holiday ersetzt hat; oder an das Mädchen in The City (2008), das es nicht schafft, über den vierten Takt eines von Schuberts Moments Musicaux hinauszukommen; oder an den Fremden in Crimps erster Zusammenarbeit mit George Benjamin, Into the Little Hill, der eine unheimliche Art hat, darauf zu beharren, wie leicht er mit Musik sich «in

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die Herzen schleichen kann, so leicht wie andere durch Türen und dort den Tod bezwingen oder Ratten auf den Rand der Welt zuströmen und hinunterfallen lassen kann». Das gleiche ereignet sich in Isabels und Mortimers «Entertainment» mit tödlichem Ausgang: Wie als hämische Antwort auf die Beschuldigungen des Zeugen hinsichtlich der Kosten der «erlesenen Musik», die am Hof gespielt wird, singen zwei «erlesen gekleidete» Darsteller eine Version der alttestamentarischen Geschichte über die Liebe zwischen David und Jonathan aus dem Buch Samuel. In Marlowes Stück verhöhnen die beiden Adligen, die Gaveston verhaften, ihr homosexuelles Opfer mit einem ähnlich bizarr dargestellten Macho­Geplänkel. Die Verschwörer verspotten Gaveston mit der Geschichte einer homoerotischen, aber zum Scheitern verurteilten Beziehung und machen sich über ihn lustig, weil die musikalische Darbietung ihn zu Tränen rührt; darin ähneln sie Mortimer, der genau in dem Moment, in dem der König abdankt, über dessen Geständnis spottet, er habe «bei erlesener Musik weinen» müssen.

Während in Edward II. die physische Folter des Königs durch seine Entführer, von denen einer «ständig eine Trommel schlägt», noch verstärkt wird, deutet Mortimer in Lessons an, dass der König das Trommeln nur imaginiert. Allerdings möchte der Fremde, wenn er eintrifft, um entweder den König zu töten oder um die Gewalttätigkeit des ehemaligen Monarchen beim Liebesspiel nachzustellen oder um beides zu tun, dabei von einer Trommel und einer Holzflöte begleitet werden. Im gesamten Text dieser Oper hat die Musik also die Fähigkeit, zu täuschen und zu verstören, bis der junge König schliesslich mit Eiseskälte das Verbot jeglicher Musik verkündet.

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Das vielleicht Beunruhigendste an den Lektionen über Liebe und Gewalt ist, dass diese beiden untrennbar miteinander verbundene Pole von Kindheit an verinnerlicht werden. Die Gewalt, die sich die Erwachsenen in dieser Oper gegenseitig zufügen, spielt sich nicht nur vor den Augen der Kinder ab, wenn diese beispielsweise zu stummen Zuschauern beim Schauspiel um David und Jonathan verurteilt sind oder wenn sie miterleben müssen, wie Mortimer den Irren mit dem Springseil der Prinzessin erwürgt, nein, diese Gewalt drückt sich vor allem in der konsequenten Verkindlichung einer Figur durch eine andere aus: Gaveston stellt den König als bockiges Kleinkind mit juwelenbesetzter

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Rassel dar, das «Minister ernennt und Dörfer anzündet, von seiner bemalten Wiege aus». Isabel tut es ihm gleich: «Spiel allein König hier im Dunkeln. Wir lassen dir die Spielzeugkiste da.» Als der Darsteller des Gaveston als «Fremder» zurückkehrt, mit prophetischen Kräften ausgestattet wie der Junge aus Written on Skin, einer früheren Zusammenarbeit von Crimp und Benjamin, verspottet er diesen Mann, der jetzt nur noch dem Namen nach König ist, indem er den Jungen, der König werden wird, als böswilligen Säugling hinstellt: «Nackt in seiner Wiege, rüttelt er am hölzernen Rahmen, und die Welt, oh ja, die Welt kommt schon herbeigelaufen.» Der «Fremde» richtet den Blick in die Zukunft, sieht das Kind als «Puppenkönig» auf den Thron staksen und seinen Platz «auf der Puppenbühne der Geschichte» einnehmen. Zu Beginn von Crimps Cruel and Tender erkennt die Hauptfigur des Stücks, Amelia, in Kindern «winzigkleine Terroristen». Am Ende von Lessons in Love and Violence haben diese Kinder schliesslich die Macht übernommen, und obwohl die Oper damit beginnt, dass der König die «Mord­Maschine» als geeignetes Thema eines Unterhaltungsstücks ablehnt, scheint sie am Ende doch sehr intakt – und damit nicht genug, denn nun «spuckt die Maschine Blut».

Richard Rowland ist Senior Lecturer for English and Drama an der University of York. Er ist Herausgeber zahlreicher Renaissance-Stücke, darunter Marlowes «Edward II.»

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LESSONS IN LOVE AND VIOLENCE

GEORGE BENJAMIN (*1960)

Oper in zwei Teilen, Text von Martin Crimp (Deutsch von Corinna Brocher)

Schweizer Erstaufführung

Personen

König Bariton

Isabel, seine Frau Sopran

Gaveston, sein Berater und intimer Freund / Fremder Bariton

Mortimer, sein oberster Militärexperte Tenor

Junge – später Junger König, ein Jugendlicher, Sohn von Isabel und dem König Hoher Tenor / Haute-contre

Zeugin I / Sängerin I / Frau I Hoher (Koloratur) Sopran

Zeugin II / Sängerin II / Frau II Mezzosopran

Zeuge 3 / Verrückter Bass-Bariton

Des Weiteren (alles stumme Rollen):

Junges Mädchen, Tochter von Isabel und dem König

Weitere Zeugen / Publikum beim Stück nicht mehr als etwa zwanzig

PART ONE

SCENE 1

Palace: King’s Apartments

KING, GAVESTON, ISABEL, MORTIMER, the BOY and GIRL.

MORTIMER

It’s nothing to do with loving a man. It’s love full stop that is poison. The whole human body –

KING

Yes – we hear you – love full stop –

MORTIMER

And the money –

KING

Always the money – always the human body –

MORTIMER – the money you spend –

KING – we will spend whatever we like –

MORTIMER

The money you spend with Gaveston while people starve is unacceptable –

KING – Ah – ah – “with Gaveston” – “unacceptable” –

MORTIMER – yes when the price of bread –

KING

Don’t bore me with the price of bread. Don’t block my mind with politics.

MORTIMER

You are the king.

KING

Then treat me – Mortimer – as king. Love me. Defer to me.

Defer to my friend and advisor Gaveston. Let us spend money on poetry and music. Or would you rather we preferred

TEIL EINS

SZENE 1

Palast: Gemächer des Königs

König, Gaveston, Isabel, Mortimer, der Junge und das Mädchen

MORTIMER

Nicht die Liebe zu einem Mann. Die Liebe Punkt die ist das Gift. Der ganze menschliche Körper...

KÖNIG

Ja, schon verstanden. Liebe. Punkt.

MORTIMER

Und das Geld...

KÖNIG

Immer das Geld, immer der menschliche Körper...

MORTIMER ...das Geld, das Ihr ausgebt.

KÖNIG

Wir geben aus, was wir wollen.

MORTIMER

Das Geld, das Ihr mit Gaveston ausgebt, während Menschen verhungern, ist inakzeptabel.

KÖNIG

Ah, «mit Gaveston», «inakzeptabel».

MORTIMER

Ja, wenn der Brotpreis...

KÖNIG

Langweilt mich nicht mit dem Brotpreis. Verstopft mein Hirn nicht mit Politik.

MORTIMER

Ihr seid der König.

KÖNIG

Dann behandelt mich – Mortimer – als König. Liebt mich. Beugt Euch mir. Beugt Euch meinem Freund und Berater Gaveston. Lasst uns Geld ausgeben für Poesie und Musik. Oder wäre Euch lieber, wir bevorzugten

for our entertainment human blood and the machinery of killing?

MORTIMER

No one is talking about blood.

KING Oh? What? No one? –

MORTIMER

Nor do I fight wars for my entertainment –

KING – Who is no one? Am I no one? –

MORTIMER – I fight to protect our people –

KING – I thought I was king. Who am I, Gaveston? – tell me.

GAVESTON King – you are king.

KING King – I am king. Don’t call me no one, Mortimer. Don’t go out into the world and call love poison. Love makes us human

MORTIMER

So does the need to kill. So – forgive me – does politics.

KING

Do you want – Mortimer – to be me? – –

MORTIMER I don’t understand.

KING – want to be me – take my wife – Mortimer –– use my bed – Mortimer –– murder and kill and take my crown? Because cities will burn and wherever you touch the immaculate surface of her skin your politics will leave streaks of my blood. But maybe – tell me –does Mortimer keep a cat?

He takes the GIRL on his lap

zu unserem Vergnügen menschliches Blut und die Tötungsmaschinerie?

MORTIMER Niemand redet von Blut.

KÖNIG Oh? Was? Niemand?

MORTIMER Auch führe ich keine Kriege zu meinem Vergnügen.

KÖNIG Wer ist niemand? Bin ich niemand?

MORTIMER Ich kämpfe, um unser Volk zu schützen.

KÖNIG Ich dachte, ich sei König. Wer bin ich, Gaveston? Sagt es mir.

GAVESTON

König. Ihr seid König.

KÖNIG

König. Ich bin König. Nennt mich nicht niemand, Mortimer. Geht nicht in die Welt und nennt Liebe Gift. Liebe macht uns menschlich.

MORTIMER

Das macht die Mordlust auch. Das – verzeiht – macht auch die Politik.

KÖNIG

Möchtet Ihr – Mortimer – ich sein?

MORTIMER Ich verstehe nicht.

KÖNIG

Möchtet Ihr ich sein, meine Frau besitzen, Mortimer, mein Bett benutzen, Mortimer, morden und töten und meine Krone ergreifen?

Denn Städte werden brennen und wo immer Ihr ihre makellose Haut berührt wird Eure Politik Ströme meines Bluts hinterlassen. Aber vielleicht –sagt mir – hält Mortimer sich eine Katze? Er nimmt das Mädchen auf den Schoss.

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YOUNG KING

– but from under the earth echoes and echoes out the king his father’s agony. The child learns and offers dead man Mortimer no mercy.

ISABEL – I said to you where is Mortimer? –

An audience files on silently to sit facing the closed curtain.

YOUNG KING

The name of his crime mummy is cut with a surgical instrument into his body –

ISABEL No – stop – spare him –

YOUNG KING – and – when he has read its name –

ISABEL – no you must spare him –

YOUNG KING – we cut out his eyes. The onstage audience have settled into their seats. With a scene then of a human being broken and broken by the rational application of human justice our entertainment begins.

JUNGER KÖNIG

Aber aus der Tiefe der Erde hallt hinauf des Königs, seines Vaters, Höllenqual. Das Kind begreift und gewährt dem toten Mann Mortimer keine Gnade.

ISABEL

Ich sagte zu Dir: Wo ist Mortimer?

Publikum kommt schweigend herein und setzt sich vor den geschlossenen Vorhang.

JUNGER KÖNIG

Der Name seines Verbrechens, Mammi, wird in seinen Körper geritzt...

ISABEL Nein. Halt. Verschone ihn.

JUNGER KÖNIG

...und wenn er den Namen gelesen hat, Mammi...

ISABEL Nein. Verschone ihn.

JUNGER KÖNIG

...stechen wir seine Augen aus. Das Publikum auf der Bühne hat sich gesetzt. Mit einer Szene also, in der ein menschliches Wesen wieder und wieder gebrochen wird durch die schlüssige Anwendung menschlicher Gerechtigkeit, beginnt unser Vergnügen.

Programmheft

LESSONS IN LOVE AND VIOLENCE

Oper von George Benjamin Premiere am 21. Mai 2023, Spielzeit 2022/23

Herausgeber Opernhaus Zürich

Intendant Andreas Homoki

Zusammenstellung, Redaktion Claus Spahn

Layout, Grafische Gestaltung Carole Bolli

Das komplette Programmbuch können Sie auf www.opernhaus.ch/shop

Anzeigenverkauf Opernhaus Zürich, Marketing Telefon 044 268 66 33, inserate@opernhaus.ch Schriftkonzept und Logo Studio Geissbühler Druck Fineprint AG

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Textnachweise:

Autor der Handlung ist Claus Spahn. – Das Interview mit dem Dirigenten Ilan Volkov und dem Regisseur Evgeny Titov ist ein Originalbeitrag für dieses Programmheft. –Die Interviews von Thomas Meyer mit dem Textautor Martin Crimp und dem Komponisten George Benjamin sind im Umfeld der Uraufführung von «Lessons in Love and Violence» im Jahr 2018 für den schweizerischen Rundfunk SRF entstanden und in schriftlicher Form Erstveröffentlichungen. – Der Essay von Richard Rowland ist ein Nachdruck

aus dem Programmbuch der Londoner Uraufführung am Royal Opera House London, 2018. – Die Zitate entstammen dem Textbuch der Oper.

Bildnachweise:

Herwig Prammer fotografierte die Klavierhauptprobe am 11. Mai 2023.

Urheber, die nicht erreicht werden konnten, werden zwecks nachträglicher Rechtsabgeltung um Nachricht gebeten.

Unsere Vorstellungen werden ermöglicht dank der Subvention des Kantons Zürich sowie den Beiträgen der Kantone Luzern, Uri, Zug und Aargau im Rahmen der interkantonalen Kulturlastenvereinbarung und den Kantonen Nidwalden, Obwalden und Schwyz.

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FÖRDERINNEN UND FÖRDERER

CORAL STUDIO SA

Theodor und Constantin Davidoff Stiftung

Dr. Samuel Ehrhardt

Frankfurter Bankgesellschaft (Schweiz) AG

Garmin Switzerland

Stiftung Lyra zur Förderung hochbegabter, junger Musiker und Musikerinnen

Irith Rappaport

Richards Foundation

Luzius R. Sprüngli

Madlen und Thomas von Stockar

Henry Purcell

THE INDIAN QUEEN

Teodor Currentzis

Jeanine De Bique · Julian Prégardien · Rachel Redmond · Jarrett Ott · Andrey Nemzer u. a.

Amira Casar

Utopia Chor · Utopia Orchester

Konzertante Aufführung · MO 31. Juli und MI 2. August, 19:00 · Felsenreitschule

www.salzburgfestival.at

1987,

Stand: 21. April 2023
FESTSPIELE
Antony Gormley, Matter , black pigment, linseed oil and earth on paper, 38 × 28 cm, © the artist
SALZBURGER
· 20. JULI — 31. AUGUST 2023

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