DAS RHEINGOLD
R ICHAR D WAGNER
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DAS RHEINGOLD RICHARD WAGNER (1813-1883) Vorabend zum Bühnenfestspiel «Der Ring des Nibelungen» Dichtung vom Komponisten
Mit freundlicher Unterstützung der Freunde der Oper Zürich
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HANDLUNG Erste Szene: In der Tiefe des Rheins Der Nibelung Alberich steigt aus Nibelheims unterirdischen Klüften herauf und trifft auf die schönen und verführerischen Rheintöchter. Sie weisen sein Liebes werben zurück und verhöhnen ihn als hässlichen Zwerg. Der Abgewiesene entdeckt das in der Morgensonne aufleuchtende Rhein gold. Von den Rheintöchtern erfährt er, was es damit auf sich hat: Wer für immer der Liebe entsagt, kann den Zauberspruch finden, der das Metall zu einem Ring formt, der masslose Macht verleiht. Verbittert über seinen Misserfolg bei den Nixen verflucht er die Liebe und eignet sich das Gold an.
Zweite Szene: Auf wolkigen Höhen Die Götter warten darauf, dass sie in die neue Burg einziehen können, mit deren Bau der Göttervater Wotan die Riesen Fasolt und Fafner beauftragt hat. Seine Gattin Fricka macht ihm schwere Vorwürfe, weil er den Riesen als Lohn ihre Schwester, die Liebesgöttin Freia, versprochen hat. Wotan hofft auf den Feuergott Loge, der einen für die Riesen akzeptablen Ersatz finden soll. Doch auch der vermag keinen Ersatz für ein liebendes Weib aufzuzeigen. Überhaupt habe er die ganze Welt durchsucht und nur einen gefunden, der bereit war, auf die Liebe zu verzichten: Er berichtet, wie Alberich das Rheingold geraubt hat und wie er nun durch die Macht des neu geschmiedeten Ringes das Volk der Nibelungen zwingt, ihm einen gewaltigen Goldschatz aus der Erde zu fördern. Die Riesen erklären sich bereit, für Alberichs Gold auf Freia zu ver zichten und nehmen sie bis zur Übergabe als Pfand mit auf ihre Burg. Kaum ist Freia fort, verfallen und altern die Götter. Loge kann das erklären: Die Götter haben heute nicht von den goldenen Äpfeln gegessen, die Freia in ihrem Garten hegt. Diese Früchte halten sie jung und kräftig. Da nun Freia verpfändet ist, müssen sie dem Tod ins Auge blicken. Das erst gibt den Ausschlag. Um dem
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abzuhelfen, beschliesst Wotan, gemeinsam mit Loge nach Nibelheim zu fahren und Alberichs Gold zu entwenden.
Dritte Szene: In Nibelheim Alberich hat seinen Bruder Mime gezwungen, ihm einen Tarnhelm herzustellen, um so die Nibelungen noch besser knechten zu können. Voller Stolz präsentiert er Wotan und Loge seinen Goldschatz und erzählt ihnen, was er damit zu tun gedenkt: Er wird ihn dereinst verwenden, um ein Heer auszurüsten, mit dem er die Götter stürzen und die Herrschaft über die Welt erringen will. Mit prahle rischer Geste zeigt er auch den Tarnhelm vor, der ihn, wie er glaubt, gegen alle feindlichen Angriffe sichert. Da Loge sich ungläubig stellt, verwandelt sich der Nibelung erst in einen riesigen Drachen und dann in eine winzige Kröte. Zu spät entdeckt er die Falle: Die beiden Götter greifen die Kröte und entführen Alberich in die Oberwelt.
Vierte Szene: Auf wolkigen Höhen Wotan zwingt Alberich, seinen Schatz herbeibringen zu lassen, und entreisst ihm Tarnhelm und Ring. Der freigelassene Alberich belegt seinen Ring mit einem Fluch: Wer immer ihn besitzt, dem soll er den Tod bringen. Die Riesen kommen zurück, um Freia gegen das Gold einzulösen oder sie für immer mit zunehmen. Sie verlangen, dass das Gold so aufgehäuft wird, dass es Freia ganz verdeckt. Um eine Ritze zu verstopfen, durch die Fafner Freias Haar gesehen hat, muss Wotan auch den Tarnhelm hergeben. An einer anderen Stelle erspäht Fasolt Freias Auge, und Fafner verlangt den Ring, um auch diesen Spalt zu ver schliessen. Wotan weigert sich entschieden. Erst als die geheimnisvolle Urmutter der Welt, Erda, erscheint und ihn eindringlich vor dem Unheil warnt, das mit dem Ring verbunden ist, gibt er nach. Im Streit um die Beute erschlägt Fafner seinen Bruder. Die Götter können nun endlich die Burg in Besitz nehmen, der Wotan den Namen «Walhall» gibt. Die Klage der Rheintöchter um das verlorene Gold überhören sie geflissentlich. Mit einem sarkastischen Kommentar zieht sich Loge zurück.
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ZURÜCK ZUM URSPRUNG Regisseur Andreas Homoki im Gespräch über konzeptionelle Überlegungen und seine persönliche Beziehung zu Richard Wagners Tetralogie
Richard Wagner hat den Ring des Nibelungen zum grössten Teil in Zürich geschrieben. Hat dieser Fakt für dich eine Bedeutung, wenn du die Tetralogie nun hier inszenierst? Es ist schon ein besonderes Gefühl, an dem Ort zu sein und jeden Tag am Haus Zeltweg 11 vorbeizufahren, wo dieses gewaltige Werk entstand. In unserer Arbeit kehrt der Ring sozusagen an seinen Ursprung zurück. Und dieser Vorgang passt perfekt zum Ansatz der Inszenierung. Wie ist das zu verstehen? Wir wollen in der Inszenierung auf andere Weise zum Ursprung zurück kehren, also ausgehend von Text und Musik, wie sie Wagner geschrieben hat, die Geschichte so buntscheckig und phantastisch erzählen, wie sie ist. Damit meine ich selbstverständlich nicht, was oft als «werktreue» Inszenierung bezeichnet wird, also eine, die jede Einzelheit so bringt, wie sie der Meister angeblich gemeint hat. Wir leben heute und machen heutiges Theater, anders geht es ja gar nicht. Der entscheidende Punkt ist, dass unsere Arbeit nicht die Deutung der Vorgänge bringen will, sondern die Vorgänge selbst, so spielerisch, sinnlich, emotional, traurig, lustig, überraschend und unterhaltsam wie möglich. Um es an einem Beispiel zu erläutern: Wir zeigen nicht, was der Riesenwurm unserer Meinung nach bedeutet, sondern wir zeigen den Riesen wurm. Ich möchte dem Zuschauer keine fertige Deutung servieren, die er auf Treu und Glauben zu schlucken hat, sondern ihn einladen, seine eigene Deutung des Gesehenen zu finden.
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Auch für dich persönlich ist diese Inszenierung in gewisser Weise eine Rückkehr zum Ursprung… Ja, tatsächlich steht der Ring am Beginn meiner ernsthaften Beschäftigung mit der Gattung Oper und damit meiner Laufbahn als Regisseur. Als ich den Gedanken fasste, Opernregisseur zu werden, war ich kein grosser Kenner. Ich bin hin und wieder in die Oper gegangen und war eigentlich immer enttäuscht, was, wie ich bald herausfand, an den schlechten Inszenierungen lag, die das Potenzial der Gattung nicht ausschöpften. Mir wurde klar, dass ich mir einen eigenen Zugang zur Oper erarbeiten musste, indem ich mir die Stücke selbst lesend und analysierend vornehme. Und angefangen habe ich mit dem grössten Brocken: dem Ring. Ich habe den Text gründlich studiert und die vier Stücke hörend, mit der Partitur in der Hand, durchgearbeitet. Das war ein faszinierendes Erlebnis.
Das komplette Programmbuch können Sie auf Worin bestand diese Faszination? Es war wie Kino. Kopfkino versteht sich. Aus den Dialogtexten, den detail liertenwww.opernhaus.ch/shop Regieanweisungen und der suggestiven Musik entstand in mir ein deutliches Bild der Wunderwelt, in die Wagner uns entführt, und der Dinge, oder am Vorstellungsabend im Foyer die dort vorfallen. Dabei habe ich das Werk gar nicht in dem Sinne verstan den, dass ich seine politisch-philosophischen Konnotationen hätte benennen können. Ich kannte einige der klugen Texte, die diese Hintergründe erklären, des Opernhauses erwerben aber sie interessierten mich nicht, weil sie genau das nicht berührten, was mich so begeisterte. Meine Annäherung an den Gegenstand war also eher naiv als intellektuell. Und das ist bis heute so geblieben.
Die überaus genauen Regieanweisungen, geprägt vom Theaterverständnis und -stil des späten neunzehnten Jahrhunderts, haben dich also nicht abgeschreckt? Im Gegenteil. Gerade diese Präzision ermöglicht ja das wunderbare Kopfkino, das ich da erlebt habe. Aber natürlich muss für eine Inszenierung das, was sich bei der Lektüre im Kopf abspielt, transformiert werden. Zum Beispiel: Wie Wagner die erste Rheingold-Szene erfunden hat, dieses Geschehen unter Wasser, wo die Rheintöchter in ihrem Element sind, während Alberich ihnen
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hoffnungslos unterlegen ist – das ist beim Lesen ein wunderbares Bild und eine anmutig-komisch Szene. Aber dieses Bild lässt sich auf der Bühne nicht realisieren. Die Aufgabe ist also, für dieses Bild eine Übersetzung zu finden, die den Möglichkeiten der Bühne entspricht. Aber noch erheblich wichtiger ist es, die Beziehungen zwischen den Figuren so deutlich wie möglich zu zeigen. Denn diese sind der Kern der Sache, sie tragen das theatralische Geschehen und vermitteln seine Bedeutung. George Bernard Shaw hat eine Analyse der Tetralogie verfasst, die das Werk als allegorische Darstellung der Herausbildung des Kapitalismus deutet. Joachim Herz und Patrice Chéreau haben diesen Ansatz ihren Inszenierungen zugrundegelegt, indem sie der Erzählung das allegorische Gewand sozusagen abstreiften. Du hast einen ganz anderen Weg gewählt… Das waren mit Sicherheit zwei theatralisch sehr beeindruckende Arbeiten, die der Entwicklung unseres Wagner-Bildes wichtige Impulse gegeben haben. Ich glaube allerdings, dass es ein – sehr produktiver – Irrtum war, davon auszugehen, Wagner habe eine gewisse politische Idee vermitteln wollen, die er in ein mythisches Gewand gekleidet hat, das man einfach entfernen kann. Zwar lässt sich nicht bestreiten, dass Wagner im Ring eine kritische Be standsaufnahme seiner Gesellschaft unternimmt, aber er greift nicht auf den Mythos zurück, weil er ihm eine attraktive Staffage bietet, sondern weil die mythische Perspektive den Horizont erheblich erweitert. So geht es nicht um die Geschichte einer bestimmten Gesellschaftsformation, sondern um die der Menschheit, ja des Universums insgesamt. Die Tetralogie führt vor, wie der Mensch sich zuerst seiner selbst bewusst wird, sich dadurch von der Natur distanziert und sie beschädigt, die menschliche Gesellschaft auf die Basis des Privateigentums stellt, was zu zerreissenden Spannungen führt, und schliesslich seine eigenen Lebensgrundlagen untergräbt, was in seinen Unter gang mündet. Das ist ein ganz allgemein zivilisationskritischer Ansatz, bei dem der Kapitalismus nur die jüngste Phase der Entwicklung bildet. Aber das ist schon die Deutung der Geschichte. Worum es mir geht, ist immer die theatralisch wirkungsvolle Erzählung dessen, was zwischen den Figuren vor-
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geht. Und dafür ist das bunte Geschehen, das Wagner aufgeschrieben hat, unbedingt ergiebiger als die eher monochrome Deutung nach der Richtschnur einer materialistischen Gesellschaftsanalyse. Zeigt der Vorabend der Tetralogie also den Anfang der Welt? Ja und nein. Das Vorspiel deutet unüberhörbar auf die Entstehung der Welt und des Lebens hin. Wenn die Handlung beginnt, sind wir aber schon weiter und die Welt steht unmittelbar vor dem Sündenfall, dem Moment, wo sich die menschlichen Wesen von der Natur lossagen, und dem Moment der Entstehung des Privateigentums. Da ist dieser Goldklumpen, der keinem gehört. Er dient keinem Zweck, ist einfach nur schön und eine Freude für die Rheintöchter. Allerdings hat das Gold ein verhängnisvolles Potenzial: Wer es sich aneignet, kann daraus einen Ring formen, der ihm masslose Macht verleiht. Die Voraussetzung dafür ist allerdings, dass er sich von der Liebe lossagt. Alberich nimmt das Gold in Besitz, verflucht die Liebe und versklavt mit der Macht des Rings die Nibelungen, die nun das Gold für ihn aus der Erde graben und so seinen Besitz mehren müssen. Von diesem Moment an breitet sich das Übel unaufhaltsam über die Welt aus: Die Gier nach Besitz und Macht zersetzt alle zwischenmenschlichen Beziehungen, bis das System zusammenbricht. Das ist die Geschichte, die uns die Tetralogie erzählt.
Das komplette Programmbuch können Sie auf www.opernhaus.ch/shop oder am Vorstellungsabend im Foyer des Opernhauses erwerben Warum tut Alberich das? Weil ihm Liebe verweigert wird. Er macht den Rheintöchtern den Hof, aber diese stossen ihn so lange immer wieder vor den Kopf, bis er verzweifelt und bereit ist, die Liebe zu verfluchen, wenn er ja ohnehin keine Chance hat, seine Sehnsucht zu verwirklichen. Also tauscht er Liebe für Macht ein, um sich wenigstens Lust zu erzwingen. Und so unterjocht er die Nibelungen und bereitet sich darauf vor, die Weltherrschaft durch einen Krieg gegen die Götter zu erringen, wenn ihm seine Untertanen genug Gold angehäuft haben.
Sein Gegenspieler ist Wotan, der auf wolkigen Höhen wohnt. Was will der? Wotan ist der oberste der Götter. Er hat schon erreicht, wovon Alberich träumt: Er hat sich die Welt untertan gemacht. Allerdings nicht mit nackter
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Gewalt, sondern indem er die rechtlichen Beziehungen durch Verträge geregelt hat. Aber auch er hat dafür mit einem Frevel an sich selbst und an der Natur zahlen müssen: Im Vorspiel der Götterdämmerung erfahren wir, dass er für sein Wissen und den Speer, in dessen Schaft die Verträge ein geschrieben sind, ein Auge geopfert hat. Und dann kam er auf die Idee, sich eine Burg bauen zu lassen, womit die Irrungen und Wirrungen beginnen, die das Stück in Gang halten. Warum liess er sich diese Burg bauen? Wotans Streben nach dieser festen Burg zeigt seinen Wunsch, die Herrschaft über die Welt zu verewigen. Dem ständigen Wechsel des Lebens setzt er ein steinernes Bollwerk entgegen, das scheinbar nicht dem Verfall unterwor fen ist. Aber noch bevor er einziehen kann, macht ihm die Erdgöttin, die für das steht, was vor allen anderen Dinge da war und das alles jetzige Leben überdauern wird, klar, dass seine Existenz nicht von Dauer ist. Und Wotan wird die Erfahrung machen, dass er sein System umso mehr unterminiert, wie er es zu befestigen bestrebt ist. Walhall ist ein Irrtum von Anfang an, eine Fehlinvestition. Das Rheingold erzählt, wie es dazu gekommen ist. Und es erzählt vom Zerfall einer Familie. Ist es eine Tragödie oder eine Komödie? Unzweifelhaft trägt das Stück komödienhafte Züge und entwickelt sich in der Form eines Konversationsstücks. Es dürfte wohl die erste Oper sein, auf die man diesen Begriff anwenden kann. Die Trennung von Rezitativen und Arien ist vollkommen aufgehoben, das ganze Stück entwickelt sich als eine Folge lebendiger und oft ausgesprochen witziger Dialoge – das war damals etwas vollkommen Neues. Und die Familiengeschichte, die da erzählt wird, passt perfekt zu dieser Form: Das Familienoberhaupt gibt eine Villa in Auftrag und verspricht dem Bauunternehmer seine Schwägerin als Bezahlung. Nun dreht sich alles darum, wie der Göttervater sich und seine Familie mit Tricks und Lügen aus dieser Zwickmühle zu befreien versucht, wobei ihm seine zänkische Frau und ihre nicht eben intelligenten Brüder das Leben zusätzlich schwer machen.
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Ein Konversationsstück basiert vor allem auf schnellen, schlagfertigen Dialogen. Ist so etwas mit Wagners Musik denn möglich? Es geht nicht um das messbare Tempo des Dialogs, sondern um den Rhythmus und das Timing. Und in diesen Punkten ist Wagner als mit allen Wassern gewaschener Theaterkenner einfach unschlagbar. Und die Sprache, die er für den Ring entwickelt hat, erweist sich im Zusammenwirken mit der Musik als erstaunlich flexibel. Allerdings müssen zwei Voraussetzungen erfüllt sein, damit diese besondere Qualität der Komposition zum Tragen kommt: Zum einen müssen die Vorgänge zwischen den Figuren sehr präzise inszeniert und gespielt werden, Rede und Gegenrede müssen genau aufeinander abgestimmt und ihre jeweilige Motivation und die Untertexte in jedem Moment klar verständlich sein. Zum anderen muss die musikalische Darstellung genau dieser präzisen Formung der Dialoge folgen, was eine grosse Biegsam keit im Tempo und in der Dynamik voraussetzt, damit die Sängerinnen und Sänger in die Lage versetzt werden, ihre Partien gleichzeitig mit Freiheit und Präzision zu realisieren. Nur wenn beide Ebenen perfekt aufeinander abgestimmt sind, können sie sich gegenseitig ergänzen und stützen, und nur dann kann das Stück seine urkomische und tief berührende Kraft entfalten. Gianandrea Noseda ist dafür der ideale Partner, und ich bin sehr froh, ihn bei dieser anspruchsvollen Aufgabe an meiner Seite zu wissen.
Das komplette Programmbuch können Sie auf www.opernhaus.ch/shop oder am Vorstellungsabend im Foyer des Opernhauses erwerben Das Gespräch führte Werner Hintze
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Kinder! Macht Neues! Neues! Und abermals Neues! Hängt ihr euch ans Alte, so hat euch der Teufel der Inproduktivität, und ihr seid die traurigsten Künstler! An Franz Liszt, 8. September 1852
DAS VIRUS DER MACHT INFIZIERT JEDEN Dirigent Gianandrea Noseda im Gespräch über «Das Rheingold» Gianandrea Noseda, Sie dirigieren den Ring hier in Zürich nun zum ersten Mal überhaupt. Welche Erfahrungen haben Sie bisher in den Orchesterproben zum Rheingold gesammelt? Ich habe das Gefühl, dass dieses Projekt, ja sogar jede einzelne Note der Partitur sehr viel grösser ist als ich selbst. Mein Respekt für den Komponisten und für seine immense Schaffenskraft ist riesig. Ich bin sehr froh, dass ich den Ring hier in Zürich dirigieren kann – in einer deutschsprachigen Stadt, aber nicht in Deutschland. Dadurch fühle ich mich als Italiener, dessen Muttersprache nicht Deutsch ist, ein bisschen freier, ein bisschen weniger unter Druck. Noch dazu in der Stadt, in der ein grosser Teil des Rings komponiert wurde... Ja, ich glaube, ich bin hier in jeder Hinsicht in der richtigen Umgebung. Das Zürcher Opernhaus hat ja eine eher trockene und direkte Akustik – ganz anders als diejenige im Bayreuther Festspielhaus mit seinem verdeckten Orchestergraben und der Möglichkeit, den Klang fast aus dem Nichts entstehen zu lassen. Empfinden Sie das für den Ring hier an diesem Haus als ein Problem? Man muss bei jedem Repertoire auf die Akustik eines Theaters oder eines Konzertsaals reagieren. In diesem Opernhaus, das ich ein «Boutique-Theater» nenne, muss einfach jede Musikerin und jeder Musiker etwas disziplinierter spielen, auch ich als Dirigent muss mich zurücknehmen und die Dynamik an den akustischen Gegebenheiten ausrichten; abgesehen davon hat ein Forte in
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den Streichern nie die gleiche Bedeutung wie ein Forte in den Trompeten. Ich glaube, wir können uns problemlos der Akustik des Zürcher Opernhauses anpassen. Wie würden Sie den Klang beschreiben, den Sie mit dem Orchester anstreben? Ich möchte einen klaren, transparenten Orchesterklang erreichen, in dem alle wichtigen musikalischen Linien gut hörbar sind. Die Partitur ist so reich an Details, und diese Details müssen auch wahrnehmbar sein. Und natürlich sollen die Stimmen der Sängerinnen und Sänger mühelos über den Orchester graben kommen.
Das komplette Programmbuch Das Rheingold beginnt mit dem berühmten Vorspiel, das auf musikalische Weise die Entstehung einer Welt beschreibt... können Sie auf Sehr einfach und absolut genial! Die Grundidee ist, sich nicht vom Es-DurDreiklang wegzubewegen. Die Frage ist: Wie kann man den Rhein musikalisch www.opernhaus.ch/shop beschreiben? Das Wasser bewegt sich, es gibt kleine Wellen, aber es bleibt immer der Fluss, am Gesamtbild ändert sich nichts. Um diese Gleichmässig oder im Foyer keit, am innerhalb Vorstellungsabend der es aber doch kleine Veränderungen gibt, darzustellen, hat Wagner für die Hörner einen Kanon erfunden, der sich stetig verdichtet. Darüber liegenOpernhauses in den Streichern Arpeggio-artige erwerben Bewegungen, nach und des nach kommen weitere Instrumente dazu. Es bleibt immer Es-Dur, aber es ist nie genau das Gleiche. Immer wieder gibt es crescendi und decrescendi; es entsteht der Eindruck, dass irgendwo etwas aufschimmert und dann wieder verschwindet – je nach dem Einfallswinkel des Sonnenlichts: das Gold, das die Rheintöchter in unschuldigem Spiel bewachen. Dieses Vorspiel war zu Wagners Zeit etwas vollkommen Neues. Niemand hatte je zuvor so etwas komponiert. Und natürlich war es ziemlich mutig von Wagner, ein Vorspiel zu schreiben, in dem über 136 Takte immer die gleiche Tonart erklingt. Komponisten von Minimal Music wie Philipp Glass oder Steve Reich haben sich das von Wagner abgeschaut! Ganz zu Beginn des Vorspiels, wenn nur die Kontrabässe das Kontra Es spielen, einen über vier
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Takte gehaltenen Liegeton, entsteht so etwas wie ein Gefühl von Zeitlosigkeit oder Ewigkeit – es gibt nur diesen Moment, keine zeitliche Entwicklung, keine Vergangenheit, keine Zukunft. Erst ganz allmählich kommt zu den Liegetönen ein Rhythmus dazu – wir können der Zeit beim Entstehen zuhören. Also eine Art Paradies, auch musikalisch? Ja, ein irdisches Paradies, das von Alberich zerstört wird. Obwohl seine Inten tion ja eigentlich ist, an der Schönheit teilzuhaben. Die Schönheit verzaubert ihn; er verliebt sich in die Rheintöchter und wird von ihnen zurückge wiesen. Für mich besteht der grundlegende Antagonismus des Stückes im Gegensatz zwischen Schönheit und Macht. Wir haben zu Beginn diese Momente ekstatischer Freude, die den Ausgangspunkt bilden für die Zer störung und den Zusammenbruch, der in den nächsten Stücken folgen wird.
Das komplette Programmbuch können Sie auf Die andere grosse, berühmte Neuerung in Wagners Ring ist natürlich der Gebrauch der Leitmotive... www.opernhaus.ch/shop Leitmotive hat Wagner bereits im Lohengrin verwendet, aber im Ring erreicht das Geflecht der Leitmotive ein ganz anderes Niveau. Im Rheingold werden oder Vorstellungsabend imwirdFoyer viele am wichtige Motive eingeführt, und im Verlauf des gesamten Rings durch Ableitungen und Verarbeitung eine faszinierende Komplexität und ein dichtes Netzwerk von musikalischen und inhaltlichen Bezügen erreicht. des Opernhauses erwerben Das Rheingold hat für mich vor allem eine unglaublich hohe erzählerische Qualität – die Art und Weise, wie Wagner diese Geschichte entfaltet, ist einerseits sehr gut verständlich und andererseits absolut fesselnd.
Wie genau analysieren Sie für sich die Leitmotive und ihre Verbindungen zueinander, wenn Sie die Partitur studieren? Es gibt verschiedene Wege, sich mit den Leitmotiven auseinanderzusetzen. Entweder man schaut sich zuerst eine der vielen Leitmotiv-Tafeln an, die zum Ring existieren, oder – und das ist die Methode, die mir besser gefällt – man studiert die Musik und entdeckt selbst nach und nach die Motive und wie sie zusammenhängen. So bleibt man neugierig.
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Regisseur Andreas Homoki sieht das Rheingold als Konversationsstück – diesen Begriff würde man bei Wagner nicht unbedingt erwarten... Das stimmt, aber ich denke, Andreas hat Recht. Der Text bestimmt die Musik. Das ist übrigens für mich, der ich nicht muttersprachlich Deutsch spreche, eine besondere Herausforderung, denn um die richtigen Tempi zu finden, ist es manchmal hilfreich, sich einfach den Text laut vorzusprechen. Spätestens auf der Probe zusammen mit den Sängerinnen und Sängern finden wir sehr schnell heraus, welches das richtige Tempo für eine Szene ist. Es ist schwer, das Rheingold nur mit dem Orchester allein zu proben, der musikalische Sinn erschliesst sich immer erst zusammen mit den Sängerinnen und Sängern – und mit der Bühne. Musik, Text und Drama sind unglaublich eng miteinander verbunden. Was mich besonders fasziniert, ist, wie die Figuren musikalisch charakterisiert sind. Nehmen wir zum Beispiel die Riesen – ihre Musik ist, wie soll ich sagen, nicht sehr inspiriert. Aber sie beschreibt diese beiden zwar grossen, aber nicht besonders intelligenten Kerle sehr treffend. Auch sie lassen sich von Reichtum und Macht verführen – so wie ausnahmslos alle in diesem Stück, egal ob Gott oder Mensch, Riese oder Zwerg, intelligent oder nicht. Das Virus der Macht infiziert jeden. Sie sprachen vorhin von dem Zusammenbruch und der Zerstörung, die unweigerlich in den nächsten drei Abenden folgen und schliesslich in der Götterdämmerung zum Untergang der Götter und ihrer Welt führen; inwiefern ist davon im Rheingold schon etwas zu spüren? Der Fluch Alberichs, den er ausstösst, nachdem Wotan ihm den Ring ent rissen hat, ist ein Vorgeschmack auf das, was kommen wird: Alberich entwirft das Bild einer Welt ohne Liebe, in der Gier, Neid und Angst herrschen, und das hat – zusammen mit der Musik, in der chromatische und verminderte Harmonien dominieren und die nach einem düsteren Höhepunkt in sich zusammenstürzt – durchaus etwas Apokalyptisches. Erahnen lässt sich das, was kommen wird, auch in der Szene, in der Fafner Fasolt erschlägt – die wuch tigen Orchesterschläge weisen diesen Mord um des Rings willen als etwas aus, das nicht nur das Leben Fasolts – des gefühlvolleren der beiden, der Freia wirklich liebt – brutal enden lässt, sondern auf weit Schlimmeres vorausweist.
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Und dieses Schlimmere kann auch Gott Wotan nicht aufhalten... Der Beginn der zweiten Szene ist sehr interessant, musikalisch vielleicht weniger beeindruckend als die beiden Szenen, die ich gerade beschrieben habe – aber doch bemerkenswert, wie ich finde: Wenn wir Wotan, dem obersten Gott, zum allerersten Mal begegnen, ist er in tiefem Schlaf versunken. Da fragt man sich: Warum muss er überhaupt schlafen, wenn er ein Gott ist? Und vor allem: Warum kümmert er sich nicht um seine Geschäfte – warum überwacht er zum Beispiel nicht den Bau der Burg? Wotan ist schon zu Beginn des Rings sehr müde. Er setzt die Entscheidungen, die er trifft, nicht konsequent durch und übernimmt keine Verantwortung für seine Entscheidungen. Wenn wir diesen Göttern zuschauen, scheint es nicht sehr erstrebenswert, so zu sein wie sie. Und auch die Musik, die erklingt, wenn Wotan von seiner Gattin unsanft geweckt wird, ist keineswegs in höheren Sphären angesiedelt; ich empfinde sie im Gegenteil als sehr irdisch. Der eigentliche Clou dieser musikalischen Stelle ist aber, dass das Orchester sich von der begleitenden und illustrierenden Funktion entfernt und den sichtbaren Vorgang kommentiert: Wotan träumt von Walhall, während im Orchester das Ring-Motiv erklingt. Die Botschaft ist klar: Bei Walhall und beim Ring geht es um dasselbe, nämlich um die Macht, die Weltherrschaft. Wagners Orchester wird zum Kommen tator des Bühnengeschehens, der verborgene Zusammenhänge, verheimlichte Absichten, unbewusste Triebkräfte aufzeigt. Das war damals vollkommen neu. Aber das ist keine Neuerung um der Neuerung willen, sondern ermöglicht, dass Wagners Botschaft die Zuschauer erreicht: Die Göttinnen und Götter im Ring spiegeln uns Menschen und unser Scheitern, und das Werk spricht von den Ursachen dieses Scheiterns.
Das komplette Programmbuch können Sie auf www.opernhaus.ch/shop oder am Vorstellungsabend im Foyer des Opernhauses erwerben
Das Gespräch führte Beate Breidenbach
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EIN DRAMA VON HEUTE AUS URMYTHISCHEM QUELLE Richard Wagner und die Nibelungensage Torsten Meiwald
Richard Wagner behauptet in seinem Epilogischen Bericht zum «Ring des Nibelungen», erst sein Beispiel habe das Interesse der «Literaturdichter» für die Nibelungensage geweckt. In Wirklichkeit waren aber seit Beginn des Jahrhun derts mindestens zehn Nibelungen-Dramen erschienen, ehe Wagner im Februar 1853 seine Ring-Dichtung erstmals der Öffentlichkeit vorstellte. Doch vermut lich war er überzeugt, diese früheren Versuche durch sein Werk bald vergessen zu machen. Kurz vor der Fertigstellung des Textes schrieb er an seinen Dresde ner Freund Theodor Uhlig, das Ganze werde «das grösste was je gedichtet» – «was je gedichtet», wohlgemerkt, nicht etwa «was ich je gedichtet». Das ist ein kühnes Wort, selbst für Wagners Verhältnisse. Aber auch wenn nur wenige es buchstäblich gelten lassen werden, so hat die Nachwelt dem Autor doch in hohem Masse Recht gegeben. Der Ring hat die Welt erobert und alle anderen Nibelungen-Dramen in den Schatten gestellt (auch Hebbels 1861 ur aufgeführte Trilogie, die immerhin die Zeiten überdauert hat). Nun liesse sich dieser spektakuläre Erfolg beim Opernpublikum noch mit der Wirkung der Musik erklären (die bekanntlich so manchem unbeholfenen Text zur Unsterb lichkeit verholfen hat), nicht aber die anhaltende Faszination, die der Ring auf Männer des Wortes ausgeübt hat und immer noch ausübt – auf Männer wie Nietzsche oder Thomas Mann. George Bernard Shaw hätte dem Ring des Nibe lungen, und zwar primär dessen Text, wohl kaum ein ganzes Buch gewidmet, wenn dieser Text sich in der Klasse des Freischütz-Librettos befände. Und tat sächlich war auch schon die öffentliche Lesung des Textes durch Wagner selbst
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an vier Abenden im Februar 1853 im Zürcher Hotel Baur au lac ein grosser Erfolg, Jahrzehnte vor der Uraufführung der Musik. Natürlich ist damit noch nicht gesagt, dass die Ring-Dichtung ein guter Dramentext ist. Immerhin hat die Tetralogie ja auch vehemente Ablehnung hervorgerufen, und andererseits Beifall in den finstersten Kreisen. Unbestreitbar handelt es sich aber um einen enorm wirkmächtigen Text. Immer wieder fordert er Dichter, Literaten, Philosophen, Psychologen, Welterklärer jeder Art zur Auseinandersetzung heraus. Seit über 150 Jahren nimmt er, ewig neu, teil am Diskurs der Moderne, während selbst die Titel aller früheren Nibelungen- Dramen nur noch Spezialisten geläufig sind – wer kennt heute noch Ferdinand Wachters Brunhild oder Ernst Raupachs Nibelungen-Hort? Aber was ist es (von der Musik abgesehen), das Wagners Werk von diesen vergessenen Stücken unter scheidet?
Keine Näherbringung an das menschliche Herz Eine Besonderheit ist offensichtlich: Wagner hat nicht das mittelhochdeutsche Nibelungenlied zur Grundlage seiner Tetralogie gemacht, sondern die altnor dische Völsunga saga und die Edda. Doch auch das war keine bahnbrechende Tat. Gleich das allererste aus der Reihe der Nibelungen-Dramen beruhte eben falls auf der skandinavischen Überlieferung der Sage: Friedrich de la Motte Fouqués noch vor Wagners Geburt erschienene Trilogie Der Held des Nordens. Hier lohnt ein Vergleich, denn auf den ersten und zweiten Blick gibt es zwischen den beiden Zyklen verblüffende Ähnlichkeiten. Wie etliche Dramen der Zeit entstand Der Held des Nordens mit der er klärten Absicht, einen Beitrag zu jener «patriotischen Poesie» zu leisten, derer die Deutschen nach August Wilhelm Schlegels Meinung so dringend bedurften. Auf die Nibelungen setzten die patriotischen Poeten grosse Hoffnungen; glaub te man doch, im wiederentdeckten Nibelungenlied das ersehnte Nationalepos, die «deutsche Ilias», gefunden zu haben. Fouqués Dramenfragment Der ge hörnte Siegfried in der Schmiede (1803) war noch in Anlehnung an das Volksbuch vom gehörnten Siegfried entstanden, doch nun wandte sich der Autor den
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altnordischen Quellen zu. Das erforderte neben Enthusiasmus auch grossen Fleiss, denn Edda und Völsunga saga waren noch nicht ins Deutsche übersetzt. Fouqué lernte also Dänisch, Schwedisch und Isländisch, um die Quellen stu dieren zu können, und brachte 1808 den ersten Teil unter dem Titel Sigurd, der Schlangentöter heraus; bis 1810 folgten Sigurds Rache und Aslauga. Das Werk fand vielfach begeisterte Aufnahme, u. a. bei E.T.A. Hoffmann, Chamisso, Theodor Körner und Jean Paul. Allerdings gab es auch kritische Stimmen: Heinrich Heine spottete über Fouqués nordischen Helden, dieser habe «so viel Mut wie hundert Löwen und so viel Verstand wie zwei Esel», und Clemens Brentano nannte den Sigurd eines der «miserabelsten, elendsten Dramen», die er kenne. Die Skeptiker behielten recht – der Held des Nordens setzte sich niemals auf der Bühne durch und ist heute weitgehend vergessen. Der Grund dafür wurde von den Brüdern Grimm, die sich mit Nibelungen sage und germanischer Mythologie besser auskannten als die meisten, sofort klar erkannt. «Durchaus keine Näherbringung an das menschliche Herz», kon statierte Jacob Grimm; und sein Bruder erklärte, diese Dichtung sei «uns in unserer Zeit fremd». Fouqué hätte, so Wilhelm Grimm, seinen Stoff anders behandeln müssen, «denn wir fühlen durchaus, dass er noch gebunden und die Poesie nicht, wie sie sollte, frei geworden». Diese Kritik trifft den Nagel auf den Kopf. Fouqués Drama bringt uns die Figuren der Sage nicht näher, sie bleiben uns fremd. Dahinter steckt jedoch nicht etwa Ungeschick des Autors, dem Jacob Grimm durchaus «poetische Gewandt heit» zubilligte. Fouqué wollte die Sage gar nicht dem Verständnis seines mo dernen Publikums annähern. Vielmehr sollte dieses so krass wie möglich mit dem Ethos der heidnisch-germanischen Vorzeit konfrontiert werden – und sich daran ein Beispiel nehmen. Die «edlen Väter», die «alten Helden unsres Norder lands» in ihren «alten ehrnen Waffen» sollten ihre degenerierten Nachfahren, die sich ein «verkrüppeltes Gebild ausländ’scher Sitte» geschaffen hatten, zur biederen Tugend der «alt ehrbaren Zeit» zurückführen. So schreibt es Fouqué in seinem Widmungsgedicht zum Sigurd. Dabei ist ihm durchaus bewusst, dass die skandinavische Version der Sage, mit ihrer Verankerung in der heidnischgermanischen Mythologie, dem Leser besonders fremdartig erscheinen muss, als ein «Nordlicht, rätselhaft, hoch, deutsam, fern». Doch gerade deshalb hat er
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sich für sie entschieden und nicht für die deutsche Überlieferung im «frommen Nibelungen Lied». Seine einzige Sorge ist, der Art der «alten Sänger» untreu zu werden: «Doch hat undeutsch, flach, krankhaft, lebenslos / Sich eingeschli chen was aus neurer Zeit, / Des zürnt, und blitzt es fort mit zorn’gen Blicken». Dieses poetisch-patriotische Programm – Deutschland stand kurz vor den Befreiungskriegen – hat Fouqué mit bemerkenswerter Konsequenz umgesetzt und sich nicht nur jede Modernisierung, sondern überhaupt so gut wie jede eigene Zutat versagt. Sein Sigurd, der Schlangentöter (der hier vor allem inter essant ist, da nur dieser erste Teil der Trilogie sich bezüglich der Handlung mit dem Ring überschneidet) bietet keine eigene poetische Idee oder Auffassung der Nibelungensage. Es handelt sich vielmehr um eine so eng wie möglich am Original gehaltene Dramatisierung eines Teils der Völsunga saga, gelegentlich ergänzt durch Informationen aus der Edda. In wahrer Nibelungentreue folgt Fouqué seiner Quelle auch in ihren Fehlern und Ungeschicklichkeiten. Die Völsunga saga enthält nacheinander zwei unterschiedliche Versionen davon, wie Sigurd und Brynhild sich kennen lernen (einmal – wie bei Wagner – auf dem Berg, das zweite Mal am Hof von Brynhilds Ziehvater). Sie zeigen jeweils ganz offensichtlich eine erste Begegnung und müssten sich daher gegenseitig aus schliessen; trotzdem hat Fouqué beide übernommen. Beibehalten hat er auch die altnordischen Eigennamen wie Sigurd, Brynhildur und Gunnar. Ausserdem enthält sein überwiegend in Blankversen geschriebenes Drama etliche an den Versen den Edda orientierte, teilweise wörtlich aus ihr übersetzte Stabreim strophen und gleicht auch hierin der Völsunga saga, in deren Prosaerzählung immer wieder Eddastrophen eingelegt sind.
Eine Zeit grosser nationaler Hoffnungen Wagner kannte Fouqués Trilogie, auch wenn er im Epilogischen Bericht zur Ring-Dichtung behauptet, von keinem Nibelungen-Drama vor 1853 ausser dem Ernst Raupachs auch nur gewusst zu haben. Ein unersättlicher Leser wie Wagner, mit seinen Neigungen, musste unweigerlich auf ein solches Buch stossen.
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Zudem wurde der junge Richard durch seinen Onkel Adolph Wagner in die Welt der Literatur eingeführt; dieser war ein enger Freund Fouqués und wird das Interesse seines Neffen sicherlich auf dessen Werk gelenkt haben. Und schliesslich verrät u. a. die Nornenszene der Götterdämmerung, für die es kein direktes Vorbild in den Quellen gibt, Bekanntschaft mit dem Sigurd, der eine sehr ähnliche Szene enthält. Wagner kannte also den Sigurd, und er folgte dessen Autor in der Entschei dung für die skandinavische Tradition, denn wie Fouqué glaubte er die Sage hier in besonders urtümlicher Form zu finden; von der Edda spricht er als dem «urmythischen Quelle» der Sage. Bei Fouqué lag hinter dieser Entscheidung eine antimoderne Tendenz, und auch Wagner stand dem Rationalismus der Neuzeit mit tiefer Skepsis gegenüber. In ähnlicher Wortwahl wie Fouqué stellt er (in Kunst und Klima) den «frohen, tatenlustigen, selbstvertrauenden Helden geschlechtern» der Vorzeit die «hypochondrischen, feigen und kriechenden Staatsbürgerschaften» der Neuzeit gegenüber. Ein ausgeprägt nationales Emp finden war ihm ebenfalls zu eigen, und auch er begann sein Werk in einer Zeit grosser nationaler Hoffnungen. Vieles sprach also dafür, dass Wagners Nibelungen-Drama, gespeist aus ähnlichen Ansichten und Feindbildern, genau so eine regressive Verherrlichung der Vorzeit werden sollte wie der Held des Nordens. Tatsächlich aber bot der Ring dem Publikum das genaue Gegenteil. Denn bei Wagner war die anti moderne Tendenz nur ein Aspekt seines Denkens, mehr als aufgewogen durch eine grosse Anteilnahme an modernsten Entwicklungen und Ideen. Sein pro nonciert deutsches Denken und Empfinden fand ein Gegengewicht in einem regen Interesse an den Leistungen anderer Völker. Vor allem aber wusste Wag ner, dass es, in der Kunst wie im Leben, ein Zurück in die Vergangenheit weder geben kann noch sollte; nicht einmal in die goldene Zeit der bewunderten alten Griechen. «Nein, wir wollen nicht wieder Griechen werden», schreibt er, «denn was die Griechen nicht wussten, und weswegen sie eben zugrunde gehen muss ten, das wissen wir.» Noch weniger konnte er wollen, dass wir wieder urtümliche Germanen würden. Aus dem «entehrenden Sklavenjoche» der Gegenwart woll te Wagner nicht zurück in die Vergangenheit, sondern vorwärts zum «freien künstlerischen Menschentume mit seiner strahlenden Weltseele».
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Um auf diese strahlende Zukunft hinzuwirken, musste er das Publikum seiner Gegenwart erreichen; dieser Gedanke leitete seine künstlerischen Entscheidun gen. Wagner dachte mindestens so gross von seinem Stoff wie Fouqué, und der Ring-Text verrät überall eine staunenswerte Vertrautheit mit den Quellen, aber Wagner erstarrte nicht in Ehrfurcht vor der Überlieferung. Nach seiner Über zeugung war der mythische Kern der Sage immer wieder neu geformt worden, den Bedürfnissen der Zeiten entsprechend; und er würde dasselbe für seine Zeit tun. Auch er machte die Völsunga saga zur Grundlage seines Dramas; aber wo Fouqué die Saga brav nacherzählt und sich höchstens kleine Anleihen bei der Edda erlaubt, da bedient sich Wagner nicht nur aus dem Nibelungenlied und der Thidrekssaga, sondern auch bei den Erkenntnissen und Spekulationen der Sekundärliteratur. Wo Fouqué, wie Mime in der Höhle, das Überlieferte not dürftig zusammenlötet, da formt Wagner, wie sein Siegfried, aus den kleinsten Bestandteilen der Überlieferung sein ganz eigenes Werk. Schauen wir zum Beispiel auf das Rheingold. Hier verknüpft Wagner drei eddische Geschichten – vom Burgbau, von Iduns Äpfeln und von der Otter busse – zu einer einzigen Handlung; nur die dritte berührt sich in den Quellen mit der Sage von Sigurd und den Nibelungen. Alberichs Name, sein grimmiger Charakter sowie die Geissel stammen aus dem Nibelungenlied. Aus diesem oder aus der Thidrekssaga kommen, auf Umwegen, auch die Rheintöchter. Erda ist eine Synthese aus der eddischen Erdgöttin Jörd (=Erde) und der namenlosen Seherin, der das den Untergang der Götter prophezeiende Eddalied Völuspá in den Mund gelegt ist. Mime müsste nach der skandinavischen Tradition (dort heisst er Regin) nicht Alberichs, sondern Fafners Bruder sein und dieser wiede rum nicht seinen Bruder, sondern seinen Vater erschlagen.
Mythenklitterung? Alle diese Manipulationen (und noch viele weitere) dienen einem Zweck. Wag ner will nicht einfach Begebenheiten aneinanderreihen, sondern so deutlich wie möglich herausbringen, was er für den zeitlosen mythischen Kern der Sage hält: den ewigen Konflikt zwischen Macht und Besitz auf der einen sowie Liebe,
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Natur und Freiheit auf der anderen Seite. Darum heisst die Hüterin der Äpfel (in der Edda: Idun) im Ring «Freia»; darum verwendet Wagner überhaupt nach Möglichkeit «sprechende» Namen, die er notfalls, wie bei den Rheintöchtern, frei erfindet. Um an die Vorstellungswelt seiner Leser und Hörer anzuknüpfen, scheut er auch biblische Anklänge nicht: Für ein christlich geprägtes Publikum knüpft sich an den Gedanken des Ur-Frevels die Geschichte von Kain und Abel, also ist auch im Ring der erste Mord ein Bruder- und kein Vatermord. Die «Burg mit blinkenden Zinnen», die der Nebentext beschreibt, ist im Edda-Milieu ein Anachronismus, aber ein starkes Symbol für Wotans Machtgier. Wagner ver wendet zahllose mythologische Details, auch eddische Requisiten wie Thors Hammer und die Regenbogenbrücke; aber philologische oder archäologische Korrektheit bedeutet ihm wenig. Selbst die Verwendung des Stabreims verdankt sich nicht Wagners Verehrung für die Edda, sondern seiner Überzeugung, dass sich damit der Sinn des Gesagten besonders prägnant herausbringen lässt. Der freie Umgang mit den Quellen hat Wagner gelegentlich den Vorwurf der «Mythenklitterung» eingebracht. Denselben Vorwurf könnte man mit dem gleichen Recht gegen den Autor des Nibelungenliedes erheben, und ebenso gegen Euripides. Auch sie haben, mit grosser künstlerischer Freiheit, überliefer te Mythen und Sagen für ihre Zeit neu gestaltet. Dasselbe ist Richard Wagner gelungen, in dessen Tetralogie Siegfried und die Nibelungen heute vor allem leben. Wie Bernard Shaw treffend schreibt, ist der Ring vielleicht nicht «das grösste, was je gedichtet», aber jedenfalls eine Dichtung, die unserer Zeit noch viel zu sagen hat.
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RICHARD WAGNERS GESELLSCHAFTSANALYSE Herfried Münkler
Man kann Wagners Ring als die Erzählung von einem Zweikampf lesen, der zwischen Wotan und Alberich ausgetragen wird und in dem es keiner Seite gelingt, sich nachhaltige Vorteile zu verschaffen. Also scheitern am Schluss bei de, Wotan als einer, der sich resigniert in seine Burg zurückgezogen hat und auf das Ende wartet, und auch Alberich, der sich nach der Ermordung Siegfrieds durch Hagen gerade noch am Ziel seiner Weltherrschaft gesehen hat. Der Un tergang der Wotanswelt im Feuersturm und das Scheitern von Alberichs Welt herrschaftsträumen in den Wasserfluten des Rheins ist das dramatische Ende zweier mit unterschiedlichen Mitteln verfolgter Herrschaftsprojekte: der im weiteren Sinn bürgerlichen Ordnung Wotans, die auf der Bändigung von roher Gewalt durch ein System von Verträgen beruhte, und der magischen Herrschaft Alberichs, in der Zauber und Fluch die entscheidenden Ressourcen der Machtausübung waren. Wotans Welt, könnte man sagen, ist die modernere und aufgeklärtere, während die Alberichs stark archaische und antimoderne Züge trägt. Das Bemerkenswerte ist, dass hier, entgegen dem das 19. Jahrhundert beherrschenden Fortschrittsglauben, nicht die Moderne über die Vormoderne siegt, sondern beide scheitern und untergehen. Man kann den Ring indes auch als eine protofeministische Erzählung vom Scheitern machtgeiler Männer an ihren maskulin übersteigerten Phantasien lesen, einem Scheitern, das nicht «irgendwie», kontingent oder zwangsläufig, erfolgt, sondern aus dem zielstrebigen Eingreifen von Frauen resultiert, die dem zerstörerischen Treiben der Männer ein Ende setzen: einerseits dem Eingreifen der Rheintöchter, die den verhängnisvollen Fehler ihres törichten Geplappers mit Alberich und des erotischen Aufreizens von dessen Liebeslust am Anfang des Geschehens wiedergutmachen, indem sie Hagen in die Tiefe ziehen, ihm dabei den Ring entwenden und den magischen Machtgenerator wieder in un-
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schuldiges Edelmetall verwandeln; andererseits dem Selbstopfer Brünnhildes, die in den brennenden Scheiterhaufen, auf dem ihr verlorener Geliebter aufge bahrt ist, hineinreitet und damit die Macht von Zauber und Fluch bricht. In mehreren seiner Opern hat Wagner Frauen als Retterinnen von ins Unheil verstrickten Männern auftreten lassen, aber nur im Ring hat er das zu einer feministischen Antipolitik verdichtet – Antipolitik deswegen, weil die politischen Spiele um Macht und Herrschaft, die zuvor das Geschehen vorangebracht, aber auch immer wieder zurückgeworfen haben, durch das Eingreifen der Frauen beendet werden. Ein Feminismus, wie er radikaler nicht gedacht werden kann und der zugleich die einzige Hoffnung in einer zutiefst verkommenen Welt ist.
Das komplette Programmbuch Das Ende des Willens? können Sie auf Aber wie das bei Wagner so ist: Man kann auch die genau gegenteilige Sicht aus der Erzählung des Ring herauslesen, eine Sicht, bei der es zuletzt nicht um www.opernhaus.ch/shop Rettung, sondern nur noch um Untergang geht, weil der Wille zur Macht, der die Protagonisten des Geschehens beherrscht, sich bei jedem möglichen Neu oder am Vorstellungsabend im Foyer anfang sofort wieder zeigen und zur Wiederholung des gerade im Untergang beendeten Geschehens führen würde. Das ist dann ein durch Arthur Schopen hauer geprägtes Verständnis des Rings, wonach erwerben nicht eine wie auch immer des Opernhauses aufgeklärte Vernunft das Weltgeschehen bestimmt und auch nie wird bestimmen können, sondern dies ein von Grund auf unvernünftiger Wille tut, der nichts anderes vermag, als sich selbst und nur sich selbst zu wollen. Den Verstand benutzt er dazu, um dieses pure Wollen durchzusetzen. Das war Schopenhauers radikale Alternative zu Hegels «Scheinen der Vernünftigkeit in die Sphäre der Endlichkeit». Die Verwandlung des Verstandes in Vernunft ist danach ebenso eine Selbsttäuschung wie die vernunft-zentrierten Versprechen der Aufklärung: Am Ende ist es doch immer nur der Wille, der sich in allerhand auf Fremd- wie Selbsttäuschung angelegten Maskeraden durchsetzt. Sigmund Freud, wie Ri chard Wagner ein eifriger Leser Schopenhauers, war da etwas zuversichtlicher, als er formulierte: «Wo Es war, soll Ich werden.» Der blinde Wille, so Freud, kann sehend und verständig werden. Hält man das Ende des Ring dagegen, so
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war Richard Wagner skeptischer: Bei ihm geht es um das Ende eines jeden Willens, ganz gleich, ob er nun maskulin oder feminin ist, therapiebedürftig oder nicht. Man kann den Ring aber auch ganz anders lesen, weder unter der Anleitung Schopenhauers noch unter der feministischer Autorinnen, und auch nicht als das Drama eines Kampfes um Weltherrschaft, sondern als eine sich mit dem Fort gang des Geschehens im Rheingold immer weiter ausdifferenzierende Gesell schaftsanalyse. Es sind drei soziale Schichten, die im Ring beschrieben werden: Da sind zunächst die Götter, auch Lichtalben genannt, die sich bevorzugt in «lichten Höhen» aufhalten. Sie führen ein weithin sorgloses Leben, ernähren sich von den Äpfeln, die im Garten der Freia wachsen und einer besonderen Pflege und Aufmerksamkeit der Göttin bedürfen. Diese Äpfel haben die wunder bare Eigenschaft, nicht nur als Nahrung zu dienen, sondern zugleich auch ein überaus wirksames Verjüngungsmittel zu sein. Infolgedessen altern die Götter nicht, und arbeiten müssen sie auch nicht. Sie führen ein buchstäblich paradiesi sches Leben. «Ewige Schwelger» nennt Alberich sie einmal. Aber das sorglose Glück war Wotan, dem Anführer der Lichtalben, auf Dauer zu wenig. Er war um die Zukunft besorgt. Er wollte die Welt neu ordnen, indem er sie mit einem System von Regeln und Verträgen überzog, wobei er sich selbst als den Hüter der Verträge installierte. Vernunft und Wille fielen damit in Eins: Die Welt wurde vernünftig geregelt, und zugleich wurde Wotans Machtstreben befriedigt. Wotan wurde so etwas wie ein konstitutioneller Monarch: Ermächtigt durch die Ver fassung – und durch sie zugleich beim Ausleben seines Machtwillens beschränkt. Unterhalb der Götter stehen die Riesen, von denen es heisst, sie lebten «auf der Erde Rücken». Vor der Neuordnung der Welt durch Wotans Verträge, so wird einmal beiläufig erwähnt, waren sie die Herren der Welt, und das Mittel, dessen sie sich dabei bedienten, war ihre ungeheure Kraft. Die Riesen hatten, als es nur um physische Gewalt ging, die Herrschaft inne, konnten damit aber offenbar nicht viel anfangen, denn als Wotan das Vertragssystem entwickelte und durchsetzte, waren sie mit einem Schlag entmachtet und, wie sie nach ei niger Zeit feststellen mussten, nur noch «dumme Riesen». Seitdem hatten sie an Produktions- und Machtmitteln nichts als ihre gewaltigen Kräfte, mit denen sie Häuser und Burgen bauten. Es handelt sich bei den Riesen somit um selbst ständige Bauunternehmer, deren Betrieb freilich personell und maschinell
schlecht ausgestattet ist: Sie müssen alles selber machen. Sie schuften sich ab und haben davon schwielige Hände bekommen. Es sind ungeschlachte Kerle, diese Riesen, die unbeweibt geblieben sind, sich aber sehr nach der Zärtlichkeit einer Frau sehnen. Doch freiwillig scheint sich ihnen keine zugesellen zu wollen. Der Schweissgeruch der Arbeit, die schwieligen Hände, die grobe Art – all das wirkt nicht besonders anziehend.
Das Ende der Anarchie Und dann sind da noch die Nibelungen, Zwerge, die «in der Erde Innern» tätig sind und sich damit beschäftigen, die Gänge und Spalten unter Tage nach Erzen und Edelmetallen zu durchwühlen, um daraus Geschmeide für ihre Frauen zu fertigen. Wovon sie leben, bleibt unklar, aber offenbar findet sich im Innern der Erde genug Nahrung für sie. Sie führen zunächst ein anarchisches Leben, bei dem jeder für sich selbst und seine Familie sorgt, bei dem sie aber auch, falls erforderlich, miteinander kooperieren. Einen Oberherrn kennen sie nicht, bis es einem von ihnen, Alberich, gelingt, das auf einem Riff am Grunde des Rheins befindliche Gold in seinen Besitz zu bringen und daraus, nachdem er der Liebe entsagt hat, einen Ring zu schmieden, der ihm unbegrenzte Macht verleiht. Obendrein hat Alberich seinen Bruder Mime gezwungen, für ihn einen Helm herzustellen, der seinen Träger dazu befähigt, nach Belieben die Gestalt zu wechseln oder auch sich unsichtbar zu machen. Das ist damit gleichbedeutend, dass er überall zugegen sein kann, ohne bemerkt zu werden. So ist Alberich zum Oberherrn über die Nibelungen geworden und hat es geschafft, Seines gleichen in Sklaven zu verwandeln, die für ihn von nun an schuften müssen. Es geht dabei um das Zusammentragen eines Hortes, den der Herr der Zwerge braucht, um ein Heer zu finanzieren, durch dessen Einsatz er die Götter ent thronen und selbst die Macht übernehmen will. Das ist die strukturelle Ausgangslage des Geschehens im Ring, mit der wir im Rheingold vertraut gemacht werden. Irgendwo zwischen Göttern, Riesen und Zwergen gibt es auch noch als vierte Gruppe die Menschen, aber sie spielen im Machtkampf zunächst keine Rolle, werden im Rheingold deswegen auch
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nicht weiter erwähnt und bleiben bis zum Schluss der Tetralogie, wo sie dem grossen Brand und den anschwellenden Fluten des Rheins «ergriffen», wie die Regieanweisung lautet, zuschauen, ein Objekt des Geschehens. Im Kampf um die Weltherrschaft sind sie demgemäss kein eigenständiger Akteur. Vielmehr sind sie eine Rekrutierungsreserve in dem zwischen Göttern und Zwergen – die Riesen spielen ob ihrer Dummheit schon bald keine Rolle mehr – ausgetragenen Kampf um die Weltherrschaft, buchstäbliches Menschenmaterial, mit dem die Opponenten Wotan und Alberich hantieren. Alberich will den Hort benutzen, um ein offenkundig aus Menschen bestehendes Heer aufzustellen, mit dem er Wotan stürzen will, und Wotan wiederum hat eine Schar munterer Walküren gezeugt, die ausgewählte gefallene Helden – auch bei ihnen dürfte es sich um Menschen handeln – auf den Schlachtfeldern einsammeln und sie in Wotans Burg bringen, wo sie als Kämpfer zur Abwehr von Alberichs Heer bereitgehalten werden. Die Menschen sind bloss Mittel im Kampf um Macht. Der Untergang der Götter und der Zusammenbruch von Alberichs Herrschaft dürfte für sie eine Befreiung gewesen sein. Was sie aus der neu gewonnenen Freiheit machen, erfahren wir nicht. Die Erzählung des Ring endet davor. Wir können frei ima ginieren, wie es weitergeht: blosse Wiederkehr des gerade Abgelaufenen oder Neuanfang mit alternativem Geschehensverlauf.
Revolution aus der herrschenden Klasse Betrachtet man die drei für das weitere Geschehen relevanten Gruppen, die im Rheingold vorgestellt werden, so liegt es nahe, sie mit den sozialen Klassen des 19. Jahrhunderts in Verbindung zu bringen, und dabei zu bedenken, dass Wag ner sich zu Beginn seiner Arbeit am Ring als Revolutionär verstand und das auch noch in den ersten Jahren seines Züricher Exils tat. Wotan ist in vieler Hinsicht ein Bourgeois, einer, der die Welt mit Hilfe eines Vertragssystems unter Kontrolle bringt, sich insgeheim selbst aber immerzu von der Vertragsbindung ausgenom men sehen will und sich dabei fortgesetzt des kleinen wie grossen Betrugs be dient. Obendrein lebt er über seine Verhältnisse, denn er kann die Burg, die er
sich von den Riesen hat erbauen lassen, nicht bezahlen. Darin ist er ein Aristokrat des zu Ende gehenden Ancien Régime. Was Marx in seiner Klassenanalyse strikt auseinandergehalten hat, Aristokratie und Bourgeoisie, hat Wagner zu einem hybriden Sozialtypus zusammengefügt. Darin war er der sensiblere Gesellschafts analytiker als Marx. Aber er braucht den Bourgeois ja auch nicht als «Charakter maske» einer revolutionär fortschreitenden Geschichtstheorie. Dem Bourgeois-Aristokraten Wotan stehen zwei proletarische Gesell schaftsklassen gegenüber: zum einen die Riesen, deren Herrschafts- und Pro duktionsmittel physische Kraft an Bedeutung eingebüsst hat und die sich nun mit Gelegenheitsarbeiten durchschlagen müssen, wobei sie auch noch übers Ohr gehauen werden; und zum andern die Zwerge, die Proletarier der Montan industrie, die bemerkenswerterweise von einem Aufsteiger aus ihren eigenen Reihen unterdrückt und ausgebeutet werden. Weil es einer der Ihren ist, der sie knechtet, und eben kein Aristokrat oder Bourgeois, können sie auch keine Klassenkampfperspektive entwickeln, sondern sabotieren das System allenfalls durch Renitenz und Schlamperei. Auch das ist eine zu Marx alternative Sicht der Widerstandspotentiale unterdrückter Schichten: Die Riesen werden von Wotan (und Loge) so gegeneinander ausgespielt, dass Fafner den offenkundig etwas klügeren Fasolt erschlägt. Und die Nibelungen werden von Alberich mit der Knute bei der Stange gehalten. Das revolutionäre Potential wird von Wagner nicht bei den Armen und Unterdrückten angesiedelt, sondern bei Siegfried, einem Enkel Wotans, der das Rebellische und Widerständige seines Grossvaters geerbt hat. Es sind, so Wagners Gesellschaftsanalyse, Abkömmlinge der herrschenden Klasse, die die Revolution machen und den alt gewordenen Machtha bern irgendwann die ihre Herrschaft sichernden Waffen aus der Hand schlagen. Auch darin widerspricht Wagner seinem Zeitgenossen Marx.
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EINE MITTEILUNG AN MEINE FREUNDE Richard Wagner, 1852
Als ich die Ausführung von Siegfrieds Tod bei jedem Versuche, sie ernstlich in Angriff zu nehmen, immer wieder als zwecklos und unmöglich erkennen muss te, sobald ich dabei die bestimmte Absicht einer sofortigen Darstellung auf der Bühne festhielt, drängte mich nicht nur im Allgemeinen mein Wissen von der Unfähigkeit unserer jetzigen Opernsängerschaft zur Verwirklichung einer Auf gabe, wie ich sie in diesem Drama stellte, sondern namentlich auch die Besorg nis, meine dichterische Absicht – als solche – in allen ihren Teilen in dem von mir einzig nur noch bezweckten Gefühlsverständnisses nicht nur des heutigen, sondern irgendeines Publikums erschließen zu können. Zu allererst hatte ich diese weitumfassende Absicht in einem Entwurf des Nibelungenmythos, wie er mir zum dichterischen Eigentume geworden war, niedergelegt: Siegfrieds Tod war, wie ich jetzt erst ersehe, nur der erste Versuch gewesen, einen wichtigsten Moment dieses Mythos zur dramatischen Darstellung zu bringen; unwillkürlich hatte ich mich bemühen müssen, in diesem Drama eine Fülle große Beziehun gen anzudeuten, um den gegebenen Moment nach seinem stärksten Inhalte begreifen zu lassen. Diese Andeutungen konnten natürlich aber nur in epischer Form dem Drama eingefügt sein, und hier war der Punkt, der mich mit Miss trauen gegen die Wirkungsfähigkeit meines Dramas im richtigen Sinne einer szenischen Darstellung erfüllte. Von diesen Gefühle gepeinigt, geriet ich darauf, einen ungemein ansprechenden Teil des Mythos, der eben in Siegfrieds Tod nur erzählungsweise hatte mitgeteilt werden können, selbstständig als Drama aus zuführen. Vor allem war es aber eben der Stoff selbst wiederum, der mich so lebhaft zu seiner dramatischen Bildung anregte, dass es nur noch Liszts Auffor derung bedurfte, um mit Blitzesschnelle den Jungen Siegfried, den Gewinner des Hortes und Erwecker der Brünnhilde, in das Dasein zu rufen.
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Wiederum musste ich nun jedoch an diesem Jungen Siegfried dieselbe Erfah rung machen, wie sie ähnlich zuvor mir Siegfrieds Tod zugeführt hatte: Je reicher und vollständiger durch ihn meine Absicht mitzuteilen ich instandgesetzt worden war, desto dringender musste ich, gerade dieser wachsenden Fülle wegen, emp finden, dass auch mit diesen beiden Dramen mein Mythos noch nicht vollstän dig in die Sinnlichkeit des Dramas aufgegangen war, sondern dass Beziehungen von der entscheidensten Wichtigkeit außerhalb der wirklichen dramatischen Darstellung und unversinnlicht gelassen, und der reflektierenden Kombination des Zuschauers allein zugewiesen geblieben waren. Daß aber diese Beziehungen, dem einzigen Charakter des echten Mythos gemäß, von der Beschaffenheit waren, daß sie nur in wirklichen sinnlichen Handlungsmomenten sich ausspra chen, somit in Momenten, die allein verständlich immer nur im Drama darzustel len sind – dies hat mich endlich, da ich zu meinem Entzücken dieser Eigenschaft innen ward, die wahrhaft entsprechende vollendete Form für die Kundgebung meiner umfassenden dichterischen Absicht finden lassen. Die Herstellung dieser Form vermag ich jetzt nun meinen Freunden als den Inhalt des Vorhabens, dem ich mich fortan einzig zuwende, hiermit anzu kündigen. Ich beabsichtige, meinen Mythos in drei vollständigen Dramen* vorzufüh ren, denen ein großes Vorspiel vorauszugehen hat. Mit diesen Dramen, obgleich jedes von ihnen allerdings ein in sich abgeschlossenes Ganzes bilden soll, habe ich dennoch keine Repertoirestücke nach den modernen Theater-begriffen im Sinne, sondern für Ihre Darstellung halte ich folgenden Plan fest: An einem eigens dazu bestimmten Feste gedenke ich dereinst im Laufe dreier Tage mit einem Vorabende jene drei Dramen nebst dem Vorspiele aufzu führen: den Zweck dieser Aufführung erachte ich für vollkommen erreicht, wenn es mir und meinen künstlerischen Genossen, den wirklichen Darstellern gelang, an diesen vier Abenden den Zuschauern, die um meine Absicht kennen zu lernen sich versammelten, diese Absicht zu wirklichen Gefühls- (nicht kritischem)
* Ich schreibe keine Opern mehr: da ich keinen willkürlichen Namen für meine Arbeiten erfinden will, so nenne ich sie Dramen, weil hiermit wenigstens am deutlichsten der Standpunkt bezeichnet wird, von dem aus das, was ich biete, empfangen werden muss.
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Verständnisse künstlerisch mitzuteilen. Eine weitere Folge ist mir eben so gleich gültig, als sie mir überflüssig erscheinen muss. – Aus diesem Plane für die Darstellung vermag nun auch jeder meiner Freunde die Beschaffenheit meines Planes für die dichterische und musikalische Ausführung zu entnehmen, und jeder der ihn belegen kann, wird zunächst mit mir auch gänzlich unbekümmert darum sein, wie und wann dieser Plan sich dereinst vor der Öffentlichkeit verwirklichen solle, da er das eine wenigstens begreifen wird, dass ich bei diesem Unternehmen nichts mehr mit unserm heutigen Theater zu tun habe. Wenn meine Freunde diese Gewissheit fest in sich aufnehmen, so geraten sie dann mit mir endlich wohl auch darauf, wie und unter welchen Umständen ein Plan, wie der genannte, ausgeführt werden kön ne, und – vielleicht erwächst so mir auch ihre einzig ermöglichende Hilfe dazu. Nun denn, ich gebe euch Zeit und Musse, darüber nachzudenken: – denn nur mit meinem Werke seht ihr mich wieder!
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ICH FÜHLE MICH JETZT IN ZÜRICH WIEDER SEHR WOHL Briefe Richard Wagners aus seiner Zürcher Zeit (1849-1858)*
1849 hatte Richard Wagner sich an den Dresdner Auf ständen beteiligt; nun wurde er steckbrieflich gesucht und musste aus Deutschland fliehen, wo ihm mindestens zehn Jahre Zuchthaus, wenn nicht die Hinrichtung drohte. Von Weimar aus wanderte er zu Fuss nach Jena, dort nahm er die Postkutsche und gelangte über Rudolstadt, Saalfeld, Coburg, Lichtenfels und Nürnberg nach Lindau; dort be stieg er ein Dampfschiff nach Rorschach.
An Minna Wagner, Dresden – Rorschach, 29. Mai früh 7 1/2 Uhr Mein liebes, treues Weib! Glücklich bin ich auf dem Schweizerboden angekommen! Ich hoffte Dir schon einen Tag früher von hieraus schreiben zu können, leider ging die Reise aber sehr langsam von statten, viel Aufenthalt u. s. w. In Lindau wurde einzig der Paß verlangt u. ohne Umstände nach der Schweiz visirt. Heute früh fuhr ich von Lindau über den Bodensee hierher, u. in einer halben Stunde geht es weiter nach St. Gallen u. Zürich. Ich bin im Sichren! Leb wohl! liebstes, bestes Weib! Morgen von Zürich aus ein Weiteres! Dein RW * Die Eigentümlichkeit der Orthografie Wagners wurde beibehalten.
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An Minna Wagner, Dresden – Zürich, Dienstag, 29. Mai 1849 Ach, gute Minna, ich getraue mich Dir kaum zu sagen, wie himmlisch es hier ist: es käme mir wie bittrer Hohn auf Deine geängstigte Lage vor, wollte ich Dir von den niegedachten Schönheiten dieses herrlichen Landes sagen. Höchster Wohlstand, Freiheit und erhabener Naturreiz liegen hier plötzlich wie durch Zauber vor mir… An Franz Liszt – Zürich, 14. Oktober 1849 Wir sind hier nun so gut wie möglich häuslich niedergelassen, und nach langer qual- und unruhvoller Unterbrechung bin ich nun wieder im Stande, an die Ausführung grösserer künstlerischer Pläne für die Zukunft zu gehen. Lieber freund. Du bist jetzt der einzige, auf den ich mich noch verlassen zu können glaube. Sage mir nun! hilf, rathe mir! – bis hierher habe ich mich und meine frau durch Vorschüsse eines hiesigen freundes erhalten: mit ende dieses monates October gehen uns die letzten gülden aus – und eine weite, herrliche welt liegt vor mir, in der Ich nichts zu essen, nichts zum wärmen habe! – denke nach, was Du für mich thun kannst, Du lieber fürstlicher mensch! Liszt schickte Wagner etwas Geld; vor allem aber erhielt er schliesslich regelmässige finanzielle Unterstützung von Julie Ritter, einer Bekannten aus Dresden, die es ihm er möglichte, sich in Zürich Enge niederzulassen.
An Theodor Uhlig – Zürich, 27. Juli 1850 Ich fühle mich jetzt in Zürich wieder sehr wohl, und nach meiner wahl möchte Ich in der ganzen weiten Welt nicht anderswo leben als hier. Wir haben eine höchst angenehme wohnung am see, mit den herrlichsten aussichten, garten u. s. w. Im hausrock gehe ich herunter und bade mich im see, – ein boot ist da, auf dem wir uns selbst fahren. Dazu ein vortrefflicher schlag menschen, theil nahme, gefälligkeit, ja rührendste dienstbeflissenheit wohin wir uns nur wenden. Mehr und zuverlässigere freunde, als ich je im weiten schönen Dresden finden konnte: alles ist froh, daß ich nur da bin.
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An Ernst Benedikt Kiez – Zürich, im September 1850 Ich denke daran, den «Siegfried» wirklich noch in Musik zu setzen, nur bin ich nicht gesonnen, ihn auf’s Geratewohl vom ersten besten theater aufführen zu lassen: im Gegenteil trage Ich mich mit den allerkühnsten pliänen, zu deren verwirklichung jedoch nichts geringeres als mindestens die summe von 10.000 Thaler gehört. Dann würde ich nämlich hier, wo ich gerade bin, nach meinem plane aus bretern ein theater errichten lassen, die geeignetsten sänger dazu mir kommen und Alles nöthige für diesen einen besonderen fall mir so herstellen lassen, daß ich einer vortrefflichen Aufführung der oper gewiß sein könnte. Dann würde ich überall hin an diejenigen, die für meine werke sich interessiren, einladungen ausschreiben, für eine tüchtige besetzung der zuschauerräume sorgen und – natürlich gratis – drei Vorstellungen in einer woche hintereinander geben, worauf dann das theater abgebrochen wird und die sache ihr ende hat. Nur so etwas kann mich noch reizen. Wegen ständiger Hautausschläge und Verdauungspro blemen unterzog sich Wagner einer sechswöchigen Kalt wasserkur in Albisbrunn am Albis.
An Minna Wagner, Zürich – Albisbrunn, 17. September 1851 Guter Mutzius! (auch: «liebe Minna» genannt!) Viel kann und darf ich Dir nicht schreiben, aber ein paar herzhafte Grüße sollst Du haben! – Am ersten Abend stieg ich noch auf den Albis, und habe mir Zürich der Länge und der Breite nach besehen: es war mir doch drollig zu Muthe. – Im Uebrigen bin ich hier in Abraham’s Schooße, oder wenigstens auf Abrahams Rücken: mein Badediener nämlich heißt «Abraham», und er trägt mich alle Morgen, wenn ich wie eine Mumie in der wollenen Decke eingewickelt bin, Huckepack in das Bad hinab. Mit dem Arzt bin ich zufrieden: gestern ließ er mich trocken schwitzen, hat dieß aber heute dahin abgeändert, daß ich von unten bis an die Brust beim Schwitzen in Nasse Tücher gewickelt werde. Das ist mir heute sehr gut bekommen: bereits habe ich weidlich Schwefel herausge schwitzt. – Viel spatzieren gehe ich: sonst ist es für mich furchtbar langweilig. Ich legte mich gestern 1/2 9 Uhr schon zu Bette.
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Abraham meldet sich: er will mich vor Tisch noch einmal in seinen Schooß nehmen, d. h. mit mir eine nasse Abreibung vornehmen. Adieu! liebe Minna! Lebe wohl und schreib mir ein paar Worte. Dein Richard. Nach Abschluss der Kunstschrift «Oper und Drama» ist Wagner mit der Konzeption des «Rings» beschäftigt:
An Theodor Uhlig – Zürich, 12. November 1851 Ich schreibe Dir heute sogleich wieder, damit ich etwas mir recht wichtiges nicht vergesse. – Schon in Dresden gab ich mir alle erdenkliche Mühe, ein buch zu kaufen, das aber nirgends im Buchhandel mehr existirte. Ich fand es endlich auf der königl. bibliothek. Es heißt: «Die Wölsungasaga». hier ist es keine möglich keit, es zu bekommen. Es hilft daher nichts, bester freund. Du wirst mir wohl den gefallen thun müssen, dieß buch von der königl. bibliothek Dir zu leihen, und mir es dann auf eine ganz kurze zeit hieher zu schicken. Ueber die beabsichtigte Vollendung der großen Dramendichtung, die ich nun vorhabe, kann ich Dir jetzt nur wenig mittheilen. Mit dieser meiner neuen konzeption trete ich gänzlich aus allem bezug zu unsrem heutigen theater und publikum heraus: ich breche bestimmt und für immer mit der formellen gegenwart. An eine Aufführung kann ich erst nach der Revolution denken; erst die Revolution kann mir die künstler und die Zuhörer zuführen. Die nächste Re volution muß nothwendig unsrer ganzen theaterwirthschaft das Ende bringen: sie müssen und werden alle zusammenbrechen, dies ist unausbleiblich. Aus den trümmern rufe ich mir dann zusammen, was ich brauche: ich werde, was ich bedarf, dann finden. Am Rheine schlage ich dann ein theater auf, und lade zu einem großen dramatischen feste ein: nach einem jahre Vorbereitung führe ich dann im laufe von vier tagen mein ganzes werk auf: mit ihm gebe ich den men schen der Revolution dann die bedeutung dieser Revolution, nach ihrem edels ten sinne, zu erkennen. Dieses publikum wird mich verstehen: das jetzige kann es nicht.
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So ausschweifend dieser plan ist, so ist er doch der einzige, an den ich noch mein leben, dichten und trachten setze. Leb wohl! Dein RW An Franz Liszt – Zürich, 9. November 1852 Mit mir geht es von tag zu tag einem tieferen verfalle zu: ich lebe ein unbe schreiblich nichtswürdiges leben! Vom wirklichen Genusse des Lebens kenne ich gar nichts: für mich ist «genuß des lebens, der liebe» nur ein Gegenstand der Einbildungskraft, nicht der Erfahrung. So mußte mir das Herz in das Hirn treten, und mein leben nur noch ein künstliches werden: nur noch als «Künst ler» kann ich leben, in ihm ist mein ganzer «mensch» aufgegangen. Nun sieh die Umgebung, in der ich jetzt als «Künstler» lebe!! Kennst Du – Zürich?? Ich muss hier wahnsinnig werden, es ist nicht anders möglich! An Theodor Uhlig – Zürich, 18. November 1852 Ich arbeite jetzt am «jungen Siegfried», bald bin ich damit fertig. Dann geht’s an «Siegfried’s tod» – das wird mich länger aufhalten. Das Ganze wird dann – heraus! ich bin so unverschämt es zu sagen! das größte was je gedichtet! Ueber meine Gesundheit ein andermal: ich muß alle Ermüdung, auch durch zu starke spaziergänge meiden: nur in luxuriösem behagen kann ich künstlicher Mensch jetzt noch gedeihen. Adieu! Dein Nibelungenfürst Alberich Im Februar 1853 las Wagner den Text der Nibelungen dichtung vor geladenen Gästen im Hotel Baur au Lac. Und im Mai 1853 dirigierte er um seinen 40. Geburtstag herum eine Reihe von Konzerten mit eigenen Werken im Casino – diese wurden zu seinem grössten Triumph in Zürich.
An Franz Liszt – Zürich, 30. Mai 1853 Damm wird Dir wohl bereits von meinen Musikaufführungen berichtet haben? Alles lief recht gut ab, und Zürich ist erstaunt, daß so etwas hat passiren können.
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Alles schwelgte. Es war wirklich ein Fest für die Welt um mich herum: die Frauen sind mir alle gut geworden, und einer schönen Frau – legte ich das ganze Fest zu Füßen! Das Ganze hat an 9000 frcs. gekostet. Was sagst Du dazu, daß unsre Phi lister dieß Geld aufgebracht haben? Ich glaube, mit der Zeit kann ich hier einmal etwas ganz Unerhörtes, zu Stande bringen. An Franz Liszt – Zürich, 14. November 1853 Freund! ich bin im Wunder! Eine neue Welt legt sich mir offen. Die große Scene im Rhein ist fertig: ich sehe einen Reichthum vor mir, wie ich ihn nicht zu ahnen wagte. Ich halte mein Vermögen jetzt für unermeßlich: alles wallt und musizirt in mir. Das ist – oh, ich liebe – und ein so göttlicher Glaube beseelt mich, daß ich selbst – der Hoffnung nicht bedarf! An Franz Liszt – Zürich, 15. Januar 1854 Das Rheingold ist fertig –: aber auch ich bin fertig!!! Lieber Franz! keines meiner letzten Lebensjahre ist an mir vorüberge gangen, ohne daß ich nicht einmal darin am äußersten Ende des Entschlusses gestanden hätte, meinem Leben ein Ende zu machen. Es ist Alles darin so verfahren, so verloren! Ich kann nicht wie ein Hund leben, ich kann mich nicht auf Stroh betten und mich in Fusel erquicken: meine stark gereizte, feine, ungeheuer begehrliche, aber ungemein zarte und zärtliche Sinnlichkeit, muß irgend wie sich geschmeichelt fühlen, wenn meinem Geiste das blutig schwere Werk der Bildung einer unvor handenen Welt gelingen soll. Sieh, es handelt sich ja nur um Geld! Das sollte doch möglich sein. Nun, das Rheingold ist fertig, fertiger als ich glaubte. Mit welchem Glauben, mit welcher Freude ging ich an die Musik! Mit wahrer Verzweiflungswuth habe ich endlich fortgefahren und geendet: ach, wie auch mich die Noth des Goldes umspann! Glaub’ mir, so ist noch nie componirt worden!
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Jakob Sulzer, Stadtschreiber in Zürich und Wagners Freund und Unterstützer von den ersten Zürcher Tagen an, wird eine Art Vormund für Wagner in finanziellen Belangen.
An Jakob Sulzer – Zürich, 14. September 1854 Nach einer genauen Überrechnung finde ich, daß ich zehntausend francs bedarf, um mich schuldenfrei zu machen – wobei meine Schuld an Dich jedoch nicht mitgerechnet ist. Gegen sieben tausend francs bin ich hier noch für unbezahlte Rechnungen schuldig, deren Bezahlung ich, meistens wiederholt gedrängt, größtenteils im Laufe dieses Monats in Aussicht gestellt habe. Das Übrige schul de ich seit neulich an Karl Ritter, der das Geld mir nur unter der Bedingung des Wiedererhaltes bis Ende nächsten Oktober vorschießen konnte. Jetzt, lieber Freund, überlege Dir einmal, wie es anzufangen wäre, mir zu helfen, um die Notwendigkeit einer – namentlich im Hinblick auf meine Frau sehr üblen – Katastrophe abzuwenden. Otto Wesendonck, ein reicher deutscher Industrieller, der sich in Zürich niederlassen wird und gerade seine Villa baut – das heutige Museum Rietberg – übernimmt Wagners Schulden in der Hoffnung auf einen finanziellen Neuan fang – der freilich nie eintritt. Nichtsdestoweniger erfüllt Wesendonck Wagner seinen sehnlichsten Wunsch – einen ruhigen, komfortablen Ort zum Leben und Komponieren: Er überlässt Wagner das sogenannte Asyl, ein Sommerhaus auf seinem Grundstück neben seiner Villa.
An Otto Wesendonck – Zürich, Januar 1857 O, ihr guten, lieben Menschen! Was soll ich Euch sagen? Wie mit einem Zauber schlage ist plötzlich Alles um mich her anders! Alles Schwanken hat ein Ende: ich weiss, wo ich nun hingehöre, wo ich weben und schaffen, wo Trost und Stärkung, Erholung und Labung finden soll und kann nun getrost allen Wechsel fällen meiner künstlerischen Laufbahn, Anstrengungen und Mühen entgegen sehen, denn ich weiss, wo ich wieder Ruhe und Erfrischung finde, im wirklichs
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ten Sinne an der Seite, im Schoosse der rührendsten, treuesten Freundschaft und Liebe. O Kinder! Ihr sollt dafür mit mir zufrieden sein – gewiss, das sollt Ihr! denn für dieses Leben gehöre ich Euch, und meine Erfolge, ja meine Heiterkeit und Productivität, sollen mich freuen, ich will sie pflegen und lieben, um Euch damit Freude zu machen! O, das ist schön! Das hat über Vieles, Vieles entschieden! Könnte ich Ihnen die wunderbare, tiefe Ruhe schildern, die mich heute erfüllt! Tausend Grüsse! Ihr RW An Franz Liszt – Zürich, 1. Januar 1858 Ich will Dir noch sagen, dass ich gestern endlich mit dem ersten Akt des Tristan fertig wurde, und dass ich vor 8 Tagen meiner Nachbarin Mathilde Wesendonck zu ihrem Geburtstage mit einem ganz passablen Orchester eine Morgenmusik brachte, die sich im geräumigen Vestibül ihres Hauses recht gut ausnahm. Dazu hatte ich auch etwas componirt, wie ich denn dann und wann etwas Allotria getrieben, und gewisse hübsche Verse, die mir herübergeschickt wurden, in Musik gesetzt habe, was mir sonst nie passirt ist. Nachdem Wagner im April 1857 in sein «Asyl» gleich neben der Villa Wesendonck eingezogen war, hatte sich seine Beziehung zu Mathilde Wesendonck weiter intensiviert. Otto Wesendonck war über das Geburtstagsständchen, das Wagner Mathilde während Ottos Abwesenheit darge bracht hatte, nicht sehr erfreut. Als dann Minna Wagner einen Brief Richards an Mathilde abfing und damit zu Mathilde ging, eskalierte die Situation endgültig – Wagner musste Zürich verlassen.
An Mathilde Wesendonck – Zürich, 6. Juli 1858 So tief und schrecklich, wie in den vergangenen letzten Monaten, habe ich nie zuvor in meinem Leben empfunden. Alle früheren Eindrücke waren inhaltlos gegen diese letzten. Erschütterungen, wie ich sie bei jener Katastrophe erlitt,
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mussten mir tiefe Spuren eingraben; und konnte etwas noch den grossen Ernst meiner Stimmung steigern, so war es der Zustand meiner Frau. Während zwei Monaten sah ich jeden Tag der Möglichkeit der Nachricht von ihrem plötzlichen Tode entgegen; denn diese Möglichkeit hatte mir der Arzt andeuten müssen. Alles um mich athmete Todesduft; all mein Vorwärts- und Rückwärtsblicken traf auf Todesvorstellungen, und das Leben – als Solches – verlor für mich seinen letzten Reiz. Ich kann – kann der Welt mich nicht wieder zuwenden; in einer grossen Stadt dauernd mich niederlassen, ist mir undenkbar; und – soll ich dagegen wieder an die Gründung eines neuen Asyles, eines neuen Herdes denken, nach dem ich diesen, kaum genossen, hinter mir zertrümmern musste, den Freund schaft und edelste Liebe in diesem reizenden Paradiese mir gründeten? O nein! Von hier fortgehen, ist gleichbedeutend für mich mit – untergehen! An Mathilde Wesendonck – Zürich, 16. August 1858 Lebwohl! Lebwohl Du Liebe! Ich scheide mit Ruhe. Wo ich sei, werde ich nun ganz Dein sein. Suche mir das Asyl zu erhalten. Auf Wiedersehen! Auf Wiedersehen! Du liebe Seele meiner Seele! Leb’ wohl! – auf Wiedersehen!
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DIE UNSICHTBAREN ÄPFEL Torsten Meiwald
Warum Wagner das Motiv der verjüngenden Äpfel in die Rheingold-Fabel auf nahm, ist leicht begreiflich. Warum er es erst im letzten Moment tat, gibt schon eher Rätsel auf. War es ihm zu märchenhaft, zu vordergründig? Dass Wagner die Geschichte von Iduns Entführung zuerst nicht gekannt hätte, kann nicht der Grund gewesen sein, denn sie steht wie die Burgbaugeschichte in der Snorra Edda; Wagner lernte also beide gleichzeitig kennen. Tatsächlich verraten auch schon die Vorstufen der Dichtung Einfluss der Erzählung von Idun, spätestens im grossen Prosaentwurf, in dem die Wirkung von Freias Entfernung so be schrieben wird: «Grosse bestürzung aller. Schnell zunehmende finsterniss bricht ein: die luft füllt sich mit fahlen Nebeln. Die Götter fühlen sich wie gelähmt; eine schaurige bangigkeit überfällt alle: dumpfe schmerzen lassen sich in ihren gliedern fühlen: ihr ausehen wird bleich und ältlich.» Dieser Beschreibung (die weitgehend mit der Endfassung übereinstimmt) liegt ohne jeden Zweifel der Satz der Entführungsgeschichte zugrunde: «Die Asen litten sehr durch Iduns Entführung, sie wurden grauhaarig und alt.» Wagner kannte die Geschichte also und liess sich von ihr beeinflussen – nur von den Äpfeln hören wir hier noch nichts. Wo Fafner in der fertigen Dichtung ausführlich von den goldenen Früchten berichten wird, deren Genuss den Göt tern zu ewig nie alternder Jugend fromme, sagt er in der Prosaskizze kurz: «denn sie alle müssten altern und bleichen, wäre erst Holda ihrer mitte ent führt.» Holda selbst also erhält die Götter jung – ihre Anwesenheit, nicht ihre Äpfel. Und dabei ist es in gewisser Weise geblieben. Denn wenn das Publikum nicht seinen Ohren traut, sondern seinen Augen, so bemerkt es, dass das Altern und Erbleichen der Götter gar nichts mit den Äpfeln zu tun haben kann. Sicher, «von Freias Frucht genosset ihr heute noch nicht», sagt Loge – aber das erklärt nicht, warum mit Freias Verschwinden auf einmal alle rapide altern und mit ihrer Wiederkehr das Aussehen der Götter sofort wieder «die erste Frische»
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gewinnt – obwohl sie nach wie vor nicht das kleinste Apfelstückchen verzehrt haben. Jedenfalls sagt der Nebentext nichts davon. Er sagt ebenso wenig, dass die Riesen mit der Göttin auch die Äpfel in die Hand bekommen – was hinder te also die Götter, sich auch in Freias Abwesenheit an den Früchten zu stärken? Ganz augenscheinlich ist es also auch in der Endfassung die körperliche Anwe senheit Freias, die unmittelbar belebend und verjüngend wirkt. Denn auch die naheliegende Erklärung, dass allein schon die Angst vor dem dauerhaften Ver lust der Äpfel die Götter schwächt, ihre Beschwerden also gleichsam psychoso matisch sind, kann nicht überzeugen. Zum einen stimmt ein solcher Prozess vielleicht zum Erbleichen, aber nicht zum Ergrauen; und zum anderen ist den Geschwächten die Ursache ihrer Leiden zunächst anscheinend gar nicht be wusst. «Wehe! Wehe! Was ist geschehn?», fragt Fricka (statt auszurufen «Wehe! Die Äpfel!»), und Loge muss es erst erklären. Nun könnte man zwar wieder argumentieren, dass er nur davon anfängt, um Salz in die Wunden der anderen zu streuen, und diese der Belehrung gar nicht bedürfen – aber damit triebe man die Spitzfindigkeit wohl allzu weit. Fakt ist, dass weder Text noch Musik hier auch nur andeuten, dass Angst um die Äpfel die Götter altern liesse. Damit haben wir den im Ring bemerkenswert seltenen Fall, dass ein Um stand des Entstehungsprozesses (die späte Aufnahme des Apfel-Motivs) eine erkennbare Spur in Form einer inhaltlichen Unschärfe hinterlassen hat. Wagner lässt zwar zunächst Fafner und dann Loge ausführlich über die Äpfel und ihre vitale Wirkung referieren, doch bleiben diese beiden Stellen isoliert. Wirklich in den Text integriert ist das Motiv nicht – niemand sonst spricht von den Äp feln, nicht einmal Freia selbst und ihre Gesippen, die doch angeblich so darauf angewiesen sind. (Erst Waltraute wird, drei Abende später, wieder an die Früch te erinnern.) Mehr noch: Nimmt man den Nebentext beim Wort, so sind diese wichtigen Symbole – ganz anders als Ring und Burg, Speer und Schwert – nie mals auf der Bühne zu sehen. Niemand pflegt sie, niemand isst davon – wir lernen sie nur vom Hörensagen kennen. Es erscheint daher in diesem Fall als halbwegs gerechtfertigte Konjektur, wenn die meisten Regisseure die Äpfel in der einen oder anderen Weise doch auf die Bühne bringen, um einem Motiv zu angemessener Geltung zu verhelfen, das Wagner nicht vollständig integriert hat. Vermutlich war ihm dieses Problem bewusst, erschien ihm aber nicht gravierend
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genug, um eine durchgreifende Überarbeitung des Textes zu rechtfertigen. Da nämlich Natur und Liebe im Ring eine Einheit bilden, nimmt die Aussage des Werkes keinen Schaden, wenn in der Schwebe bleibt, ob die in den Äpfeln symbolisierte Natur oder die durch Freia verkörperte Liebe die Götter jung erhält.
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Ich sprach von den Undinen-Wesen, die sich nach einer Seele sehnen. Er geht an das Klavier, spielt das KlageThema «Rheingold, Rheingold», fügt hinzu: «Falsch und feig ist, was oben sich freut.» «Dass ich das damals so bestimmt gewusst habe!» – Wie er im Bette liegt, sagt er noch: «Ich bin ihnen gut, diesen untergeordneten Wesen der Tiefe, diesen sehnsüchtigen.» Cosima Wagner: Tagebucheintrag vom 12. Februar 1883, dem Vorabend von Richard Wagners Tod
DAS RHEINGOLD RICHARD WAGNER (1813-1883) Vorabend zum Bühnenfestspiel «Der Ring des Nibelungen» Dichtung von Richard Wagner Götter
Wotan Hoher Bass Donner Hoher Bass Froh Tenor Loge Tenor Nibelungen
Alberich Hoher Bass Mime Tenor Riesen
Fasolt Hoher Bass Fafner Tiefer Bass Göttinnen
Fricka Tiefer Sopran Freia Hoher Sopran Erda Tiefer Sopran Rheintöchter
Woglinde Hoher Sopran Wellgunde Hoher Sopran Flosshilde Tiefer Sopran Nibelungen Schauplätze der Handlung
In der Tiefe des Rheins Freie Gegend auf Bergeshöhen, am Rhein gelegen Die unterirdischen Klüfte Nibelheims
ERSTE SZENE Auf dem Grunde des Rheines. Grünliche Dämmerung, nach oben zu lichter, nach unten zu dunkler. Die Höhe ist von wogendem Gewässer erfüllt, das rastlos von rechts nach links zu strömt. Nach der Tiefe zu lösen die Fluten sich in einen immer feineren feuchten Nebel auf, so dass der Raum in Manneshöhe vom Boden auf gänzlich frei vom Wasser zu sein scheint, welches wie in Wolkenzügen über den nächtlichen Grund dahinfliesst. Überall ragen schroffe Felsenriffe aus der Tiefe auf und grenzen den Raum der Bühne ab; der ganze Boden ist in ein wildes Zackengewirr zerspalten, so dass er nirgends vollkommen eben ist und nach allen Seiten hin in dichtester Finsternis tiefere Schlüfte annehmen lässt. Um ein Riff in der Mitte der Bühne, welches mit seiner schlanken Spitze bis in die dichtere, heller dämmernde Wasserflut hinaufragt, kreist in anmutig schwimmender Bewegung eine der Rheintöchter. WOGLINDE
FLOSSHILDE taucht herab und fährt zwischen die Spielenden
Des Goldes Schlaf hütet ihr schlecht! Besser bewacht des schlummernden Bett, sonst büsst ihr beide das Spiel! Mit muntrem Gekreisch fahren die beiden auseinander. Flosshilde sucht bald die eine, bald die andere zu erhaschen; sie entschlüpfen ihr und vereinigen sich endlich, um gemeinschaftlich auf Flosshilde Jagd zu machen. So schnellen sie gleich Fischen von Riff zu Riff, scherzend und lachend. Aus einer finstern Schluft ist währenddem Alberich, an einem Riffe klimmend, dem Abgrunde entstiegen. Er hält, noch vom Dunkel umgeben, an und schaut dem Spiele der Rheintöchter mit steigendem Wohlgefallen zu. ALBERICH
Hehe! Ihr Nicker! Wie seid ihr niedlich, neidliches Volk! Aus Nibelheims Nacht naht’ ich mich gern, neigtet ihr euch zu mir!
Weia! Waga! Woge, du Welle, walle zur Wiege! Wagalaweia! Wallala, weiala weia!
Die Mädchen halten, sobald sie Alberichs Stimme hören, mit dem Spiele ein.
WELLGUNDE Stimme von oben
Hei! Wer ist dort?
Woglinde, wachst du allein? WOGLINDE
Mit Wellgunde wär’ ich zu zwei. WELLGUNDE taucht aus der Flut zum Riff herab
Lass sehn, wie du wachst!
WOGLINDE
WELLGUNDE
Es dämmert und ruft! FLOSSHILDE
Lugt, wer uns lauscht!
sie sucht Woglinde zu erhaschen
WOGLINDE UND WELLGUNDE sie tauchen tiefer herab und erkennen den Nibelung
WOGLINDE entweicht ihr schwimmend
Pfui! Der Garstige!
Sicher vor dir! Sie necken sich und suchen sich spielend zu fangen. FLOSSHILDE Stimme von oben
Heiaha weia! Wildes Geschwister! WELLGUNDE
Flosshilde, schwimm! Woglinde flieht: hilf mir die Fliessende fangen!
FLOSSHILDE schnell auftauchend
Hütet das Gold! Vater warnte vor solchem Feind. Die beiden andern folgen ihr, und alle drei versammeln sich schnell um das mittlere Riff. ALBERICH
Ihr, da oben!
DIE DREI RHEINTÖCHTER
Was willst du dort unten? ALBERICH
Stör’ ich eu’r Spiel, wenn staunend ich still hier steh’? Tauchtet ihr nieder, mit euch tollte und neckte der Niblung sich gern! WOGLINDE
Mit uns will er spielen? WELLGUNDE
Ist ihm das Spott? ALBERICH
verfluchtes Niesen! er ist in Woglindes Nähe angelangt WOGLINDE lachend
Prustend naht meines Freiers Pracht! ALBERICH
Mein Friedel sei, du fräuliches Kind! er sucht sie zu umfassen WOGLINDE sich ihm entwindend
Willst du mich frei’n, so freie mich hier! sie taucht auf einem andern Riff auf, die Schwestern lachen ALBERICH kratzt sich den Kopf
Wie scheint im Schimmer ihr hell und schön! Wie gern umschlänge der Schlanken eine mein Arm, schlüpfte hold sie herab!
O weh! Du entweichst? Komm’ doch wieder! Schwer ward mir, was so leicht du erschwingst.
FLOSSHILDE
Steig’ nur zu Grund, da greifst du mich sicher!
Das komplette Programmbuch können Sie auf www.opernhaus.ch/shop oder am Vorstellungsabend im Foyer des Opernhauses erwerben Nun lach’ ich der Furcht: der Feind ist verliebt!
WOGLINDE schwingt sich auf ein drittes Riff in grösserer Tiefe
ALBERICH hastig hinab kletternd
Sie lachen
Wohl besser da unten!
WELLGUNDE
WOGLINDE schnellt sich rasch aufwärts nach einem hohen Seitenriffe
Der lüsterne Kauz! WOGLINDE
Nun aber nach oben!
Lasst ihn uns kennen!
WELLGUNDE UND FLOSSHILDE
sie lässt sich auf die Spitze des Riffes hinab, an dessen Fusse Alberich angelangt ist
Hahahahaha!
ALBERICH
Wie fang’ ich im Sprung den spröden Fisch? Warte, du Falsche!
Die neigt sich herab. WOGLINDE
ALBERICH
er will ihr eilig nachklettern
Nun nahe dich mir!
WELLGUNDE hat sich auf ein tieferes Riff auf der anderen Seite gesenkt
Alberich klettert mit koboldartiger Behendigkeit, doch wiederholt aufgehalten, der Spitze des Riffes zu.
Heia, du Holder! Hörst du mich nicht?
ALBERICH
Rufst du nach mir?
Garstig glatter glitschiger Glimmer! Wie gleit’ ich aus! Mit Händen und Füssen nicht fasse noch halt’ ich das schlecke Geschlüpfer! Feuchtes Nass füllt mir die Nase:
ALBERICH sich umwendend
WELLGUNDE
Ich rate dir wohl: zu mir wende dich, Woglinde meide!
Programmheft DAS RHEINGOLD
Das komplette Programmbuch können Sie auf www.opernhaus.ch/shop oder am Vorstellungsabend im Foyer des Opernhauses erwerben Richard Wagner (1813-1883)
Vorabend zum Bühnenfestspiel «Der Ring des Nibelungen» Premiere am 30. April 2022, Spielzeit 2021 / 22 Herausgeber Intendant
Zusammenstellung, Redaktion
Layout, Grafische Gestaltung
Titelseite Visual
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Opernhaus Zürich
Andreas Homoki
Beate Breidenbach, Werner Hintze Carole Bolli
François Berthoud
Opernhaus Zürich, Marketing
Telefon 044 268 66 33, inserate@opernhaus.ch Schriftkonzept und Logo Druck
Textnachweise: Die Handlung schrieb Werner Hintze. – Die Gespräche mit Andreas Homoki und Gianandrea Noseda sowie die Beiträge von Torsten Meiwald und Herfried Münkler sind Originalbeiträge für dieses Programmheft. – Briefe von Richard Wagner aus seiner Zürcher Zeit (Auszüge) aus: Richard Wagner, Sämtliche Briefe, hg. im Auftrage der Richard-Wagner-Stiftung Bayreuth von Hans-Joachim Bauer und Johannes Forner, Leipzig 1991. – Richard Wagner, Mitteilung an meine Freunde (Auszug), aus: ders., Sämtliche Schriften und Dichtungen. Band 4, Leipzig: Breitkopf
Studio Geissbühler Fineprint AG
und Härtel, o. J. – Torsten Meiwald, Die unsichtbaren Äpfel, aus: ders., Randbemerkungen zu Richard Wagners «Der Ring des Nibelungen», 2015. Bildnachweise: Monika Rittershaus fotografierte die Klavierhauptprobe am 20. April 2022. Urheber, die nicht erreicht werden konnten, werden zwecks nachträglicher Rechtsabgeltung um Nachricht gebeten.
Unsere Vorstellungen werden ermöglicht dank der Subvention des Kantons Zürich sowie den Beiträgen der Kantone Luzern, Uri, Zug und Aargau im Rahmen der interkantonalen Kulturlastenvereinbarung und den Kantonen Nidwalden, Obwalden und Schwyz. PARTNER
PRODUKTIONSSPONSOREN AMAG Clariant Foundation
Freunde der Oper Zürich Zürich Versicherungs-Gesellschaft AG
PROJEKTSPONSOREN Baugarten Stiftung René und Susanne Braginsky-Stiftung Freunde des Balletts Zürich
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Ernst Göhner Stiftung
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GÖNNERINNEN UND GÖNNER Josef und Pirkko Ackermann Alfons’ Blumenmarkt Familie Thomas Bär Bergos Privatbank Margot Bodmer Elektro Compagnoni AG Stiftung Melinda Esterházy de Galantha Fitnessparks Migros Zürich Fritz Gerber Stiftung Egon-und-Ingrid-Hug-Stiftung Walter B. Kielholz Stiftung KPMG AG
Stiftung LYRA zur Förderung hochbegabter, junger Musiker und Musikerinnen Die Mobiliar Fondation Les Mûrons Mutschler Ventures AG Neue Zürcher Zeitung AG Pro Helvetia, Schweizer Kulturstiftung StockArt – Stiftung für Musik Else von Sick Stiftung Ernst von Siemens Musikstiftung Elisabeth Weber-Stiftung Hulda und Gustav Zumsteg-Stiftung
Landis & Gyr Stiftung FÖRDERINNEN UND FÖRDERER CORAL STUDIO SA Theodor und Constantin Davidoff Stiftung Frankfurter Bankgesellschaft (Schweiz) AG Garmin Switzerland
Horego AG Richards Foundation Luzius R. Sprüngli Madlen und Thomas von Stockar
RING-ZIRKEL Ein spezieller Dank gilt den Mitliedern des Ring-Zirkels, die den Entstehungsprozess der Neuproduktion «Das Rheingold» begleitet haben und grosszügig unterstützen.
Marianne und Peter Angehrn Dagny Beidler Claudia und Sebastian Beyer Michael Blank Astrid Bscher und Patrick Schwarz-Schütte Karin Colpan Marcela Flores Heusler und Dr. Andreas Heusler Evelyne und André Ginesta Dr. Susanne Gleißner Susanna und Dr. Rudolf Herold-Diener Dr. Petra Jantzer und Dr. Siegfried Borelli Agneta und Clemens Lansing Friederike Mautner von Markhof und Botschafter Magister Manfred Leo Madeleine Müller Janina und Prof. Roger Nitsch Prof. Dr. Eva Rieger Pedro Sanchez und Michael von Mentlen Elisabeth Schaller Dr. Alena Siegfried und Prof. Dr. Bernhard Kaduk Christine Spörri Bühler und Peter Bühler Suzanne und Dr. Thomas Sprecher Madlen und Thomas von Stockar Prof. em. Dr. Hans Peter Wehrli Dr. Yvonne Winkler
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Vorhang auf für Genuss Legen Sie auf dem Weg zum Konzert einen kulinarischen Stopover ein. Alle Baur’s Klassiker mit einer -Markierung sind innerhalb weniger Takte auf dem Teller. Baur’s Brasserie & Bar Talstrasse 1, 8001 Zürich, Tel +41 44 220 50 60, info@baurs-zurich.ch
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