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Die Plimaschlucht

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Foto: Frieder blickle Selvaggio e autentico: la gola del rio Plima alla fine della Val Martello.

Naturdenkmal im Nationalpark Stilfserjoch

Das Wetter meint es gut. Sonne. Frische Luft. Ich stehe 2100 Meter über dem Meer auf dem Parkplatz im Hintermartelltal und überquere links eine Brücke. Nach oben öffnet sich eine schroffe, felsige und bewaldete Schlucht. Tosendes Wasser schäumt im türkisfarbenen Fluss. Der Plimabach hat sich in die Felsen gegraben. Mittendrin Findlinge, tonnenschwer, Jahrtausende alt, jeder ein Unikat: Marteller Granit, Plima, ein Naturstein in unzähligen Farbvarianten für Böden, Terrassen, Innen- und Außenanlagen, begrenzt verfügbar, beliebt. Das Rauschen des Wassers bricht die Stille. Der Blick von der Brücke zieht mich nach unten in die gurgelnde Schlucht, in Felswände. Ich sehe von Wasser und Wetter geschundene Bäume, die sich mit ihren offenen Wurzeln an Steine krallen. Ein Eichelhäher ruft Regen. Er weiß mehr. Ich komme an einem Weiher vorbei und an einem Moor. Grasfrösche, Doppelwesen zu Wasser und zu Land. Und mir ist, als stünde ich am Eingang zu einem Zauberwald, am Aufgang einer geheimnisvollen Schlucht. Mir ist, als säße da am Vorsprung einer kleinen Höhle neben einer uralten Zirbe ein verwunschener Zwerg aus einem Märchen. Er zeigt links hinüber zur Ruine des Hotel Valmartello Paradiso del Cevedale, erinnert mich an die kurze Blütezeit dieser Absteige für betuchte Gäste in den Jahren 1933 bis 1940. Der Zweite Weltkrieg habe alles zunichte gemacht, seit 1956 stehe das Hotel leer und verfalle. Ich steige ein in den Erlebnisweg, hinauf durch die Schlucht zur Zufallhütte. In 40 Minuten ist man oben. Hören, Sehen, Staunen, Erlebnis. Machbar für Jung und Alt. Natur und Geschichte ganz nah. Mir ist, als würde mir der Zwerg sagen, er möchte über den Gebirgskrieg 1915–18 erst ganz oben erzählen. Denn da würde man hinauf auf Gletscher, Spitzen und Grate sehen. In den Stellungen da oben hätten damals die Soldaten im Winter bei bis zu –40 Grad in Eisstollen und unter 12 Meter Schnee den Maschinengewehren und Sprenggranaten des Gegners getrotzt, im Sommer bei Blitz, Hagel und Nebel. Gekämpft wurde immer im Schutz des schlechten Wetters. Der Zwerg begleitet mich durch Schlucht und Wald. Schrillgrün leuchten die Wolfsflechten an den Stämmen der Lärchen und Zirben. Er mag Doppelwesen, ob die Grasfrösche unten im Weiher oder dieses Wesen aus Algen »

Fotografie: Frieder Blickle Nur für Schwindelfreie! Panoramaaussicht inmitten der Plimaschlucht.

Foto: Frieder blickle Solo per chi non soffre di vertigini! Veduta panoramica in mezzo alla gola del rio Plima.

Pag. 18–19. Foto: Frieder blickle Esempi ben riusciti per uno sfruttamento non invasivo e ecosostenibile.

und Pilzen. Früher vergiftete man damit Wölfe und Füchse. Aus einem morschen Baumstrunk wächst ein Pilz, dessen Schirm zufällig ein Herz bildet. Am Boden liegen angeknabberte Zirbenzapfen. Der Tannenhäher hat aus ihnen Kerne herausgepickt und fliegt sie von Versteck zu Versteck. Doch dieser Vogel findet viele seiner Verstecke nicht mehr, wird so zum Förster des Zirbenwaldes. Der Schluchtenweg ist gut gemacht, sicher, breit angelegt, leicht zu gehen, „Steintreppen“ wechseln mit weichem verwurzeltem Waldboden aus orangebraunen Lärchennadeln. Viermal laden Aussichtsplattformen direkt zum und über den Rand der Schlucht ein. Aufwändig, modern und sicher konstruiert fügen sie sich in die Natur der Schlucht und ragen zugleich abenteuerlich aus ihr heraus, wetterfest sommers für Familien und Wanderer und winters für Tourengeher. Man steht auf diesen Aussichtskanzeln direkt über der Schlucht, schaut senkrecht hinunter in die Gischt, hinaus ins Martelltal und auf das Bergpanorama am Horizont rundum. Kurz vor der Zufallhütte quert der Wanderer die Plimaschlucht über eine neu errichtete Hängebrücke. Wasserfall, schnaubendes Naturschauspiel. Was auf den Infotafeln entlang des Weges stand, hat mir der verwunschene Zwerg erzählt, als hätte er eine Schuld zu begleichen, als hätte er diesen wunderschönen Weg, seinen Zauberwald und seine geheimnisvolle Schlucht zu lange vor jenen versteckt, die sie nun erleben dürfen. Er zieht sich zurück, verschwindet im Gestrüpp, wartet auf neue Gäste, wer immer ihn bemerkt. Ich erreiche die nahe Zufallhütte. In der Kapelle daneben betet man für die Gefallenen des Gebirgskrieges am Cevedale. Rundherum Ruinen, Zeugen des Grauens aus dieser Zeit. In der Gaststube kräftigt mich eine

Informazioni su: La gola del Plima pag. 19

DIE PLIMASCHLUCHT

Die Tourenbeschreibung finden Sie unter www.latsch-martell.it Informationen zum Nationalpark Stilfserjoch finden Sie unter www.stelviopark.bz.it

LA GOLA DEL RIO PLIMA

La descrizione del percorso è reperibile sul sito www.laces-martello.it Informazioni sul Parco Nazionale dello Stelvio sono reperibili sul sito www.stelviopark.bz.it

Knödelsuppe, ehe ich auf der anderen Seite den Rückweg Nr. 151/150 hinunter zum Parkplatz antrete. Die Rundwanderung schließt sich. Ich bin entspannt und voller kleiner und großer Eindrücke. Die Schönheit der Plimaschlucht und des Waldweges zur Zufallhütte mahnen mich achtsam mit der Natur umzugehen, das Kind in mir zu lieben und jenen die Ehre zu erweisen, denen oben an den Frontlinien des Cevedale in Eis, Schnee und Kampf ein trauriges Schicksal widerfahren ist. ¬

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