EGLĖ OTTO l e x m i h i a r s

Page 1

EGLÄ– OTTO lex mihi ars



EGLÄ– OTTO lex m i h i a r s


o. T., 2017 Öl auf Leinwand 160 x 190 cm

2


3


o. T., 2018 Öl auf Leinwand 190 x 160 cm

4


ICH IST EINE ANDERE Laura Storfner

Wie soll man sich den überlebensgroßen Zwitterwesen zwischen Figur und Abstraktion, Mensch, Tier und Masse nähern, die sich auf Eglė Ottos Leinwänden winden? Wie wollen die rasch umrissenen Silhouetten, die nervös auf dem Bildgrund vibrieren, angesprochen werden? Manche schmiegen sich so eng aneinander, dass sie im Farbdelirium miteinander verschmelzen. Andere treten förmlicher auf, ohne sich je ganz zu offenbaren. Sie lüften den Farbschleier für einen kurzen Augenblick, geben ihre Körper Stück für Stück preis. Hier: eine Haarsträhne. Dort: eine tastende Hand. Da, im Dickicht inmitten der Farblandschaft: eine entblößte Brust. Sobald der Blick die Einordnung getroffen hat, brechen die Formen wieder aus. Haut, die eben noch straff und faltenlos dalag, geht in ebenmäßige Flächen und Liniengeflechte über. Was gerade nude, beige und cremefarben war, kippt in schrilles Türkis, samtiges Lila, gedämpftes Orange. Ottos Gestaltfragmente dehnen sich wie in Echtzeit aus, quellen über den Rand, nur um im nächsten Moment wieder in sich zusammenzufallen. Die Komposition atmet, sie flirrt, wird porös, franst aus. Unter den Farbschichten, zwischen feiner Maserung und pastöser Großspurigkeit, verbirgt sich eine Fülle kunsthistorischer und postfeministischer Implikationen. Otto, 1976 in Litauen geboren, begibt sich tief in die westliche Kunst- und Ideengeschichte, bis das Werk der Überväter und Vormütter an der Bildoberfläche aufblitzt. Sie formuliert Gesprächsangebote an Theoretikerinnen wie Judith Butler, Nina Power und Laura Mulvey, verneigt sich augenzwinkernd vor Maria Lassnigs Körpergefühlsfarben und Albert Oehlens Macho-

5


pose. Sie zieht an Sarah Lucas’ Zigarette und flüstert Martin Kippenberger einen Witz ins Ohr. Otto bringt dabei keine kalkulierten Provokationen auf die Leinwand, sie zwingt ihr Gegenüber nicht zum oberflächlichen Voyeurismus. Ihre Gemälde sind keine angestrengten Orgien in Öl, weibliche Nacktheit ist in ihrer Bildwelt schon lange nicht mehr mit eindimensionalen Männerfantasien gleichzusetzen. Stattdessen verleiht sie einem neuen, selbstbewussten Körpergefühl Ausdruck. So erscheinen ihre Bilder immer auch als Kommentare auf das Geschlechterverständnis der Gegenwart. Im Stimmengewirr des gendergerechten Sprechens wirkt ihr Motivvokabular als Esperanto. Sie buchstabiert eine universale Bildsprache für eine Welt, in der sich das Individuum nicht auf eine einzige Geschlechterrolle oder Körperform festlegen lässt. Auch wenn Otto als Künstlerin und Mutter aus einer weiblichen Perspektive agiert, propagiert ihre Malerei kein generisches Femininum. Ihr geht es weder um die Umkehrung und Destruktion von stabilisierten Kategorien wie „Mann“ und „Frau“, noch um den Triumph des Matriarchats. Otto hat mit ihrer Malerei die eindeutigen Pronomen abgeschafft, ohne die Geschlechter zu neutralisieren. Das Weibliche, Männliche und jede Ausdrucksform des Dazwischens stehen in ihren Gemälden nicht nur Seite an Seite, sie leben in Symbiose. Als Malerin verabschiedet sie sich von der absoluten Zweigeschlechtlichkeit des Binnen-Is und schafft einen Freiraum für das souverän Uneindeutige, wo Genderstern und Gendergap lediglich eine Leerstelle lassen. So wird nicht das betont, was trennt, sondern ein Miteinan-

6


der illustriert, in dem jeder Seinszustand, jede Gefühlslage, jedes Begehren einen Platz hat. Otto sieht davon ab, Zustände als festgeschrieben hinzunehmen, stattdessen arrangiert sie Versuchsanordnungen, die so fluid sind wie die Lebenslagen, die sich in ihnen spiegeln. Sie entkoppelt das Geschlecht von der eindimensionalen Geschlechtsidentität, bis bloß noch Ich und Du bestehen. Jenseits der binären Grundordnung überlässt sie es ihren Bildsubjekten, jede erdenkliche, bisweilen abstrakte Form anzunehmen. Zur Darstellung gezwungen wird dabei nicht. Vielmehr geht es um die Möglichkeit zur Mehrdeutigkeit: Porträtiert wird ein Ich in drag, das sich selbstbestimmt Stereotype aneignet, Klischees überzeichnet, spielt, in verschiedene Rollen schlüpft und sich abwechselnd den Wikingerhelm und die Perücke aufsetzt. Otto beweist Humor, wenn sie jenes Ich – das sich zwischen Deformation und Transformation, tief empfundenem Gefühl und Erregung bewegt – der absurden Komik freigibt. Diese Ambiguität trägt ihre aktuelle Ausstellung bereits im Titel: „Lex mihi ars“, lateinisch für „Die Kunst sei mir Gesetz“, kommt als hochgestochene Phrase daher, legt im Sprechen jedoch jegliche humanistische Bildung ab. „Lex mihi ars“ wird zu „Leck mich am Arsch“, das pathetische Künstlerstatement entpuppt sich als lausbubenhafte Absage an das System. Genauso wie Ottos Malerei Kippfiguren erzeugt, die sich auflösen, sobald man meint, sie begriffen zu haben, bleibt ihr Umgang mit Sprache mehrdeutig. Diese Pluralität ist es, die ihre Kunst und das Sprechen darüber im besten Fall teilen.

7


o. T., 2019 Öl auf Leinwand 50 x 50 cm

8


o. T., 2019 Öl auf Leinwand 50 x 50 cm

9


10


11


o. T., 2016 Öl auf Leinwand 100 x 80 cm

12


S. 14/15 o. T., 2018 Öl auf Leinwand 300 x 200 cm

13




o. T., 2019 Öl auf Leinwand 35 x 30 cm

16


I IS ANOTHER Laura Storfner

How should one approach the larger-than-life hybrid beings between figure and abstraction, human, animal and mass, which writhe across Eglé Otto’s canvases? How do the hastily outlined silhouettes that vibrate nervously on the picture ground wish to be addressed? Some snuggle so closely together that they blend in a delirium of colour. Others are more formally defined, but without revealing themselves completely. They lift the colour veil for a brief moment to reveal their bodies, piece by piece. Here: A strand of hair. There: a groping hand. There, in the thicket amidst the landscape of colour: a bared breast. But just when the gaze has grasped the arrangement, the forms break up once again. Skin that only a moment ago lay there taut and unwrinkled, changes into flat areas and meshes of lines. That which, only seconds ago, was nude, beige and cream-coloured tilts into garish turquoise, velvety lilac, muted orange. Otto’s fragments expand like in real time, they swell over the edge only to collapse again in the next moment. The composition breathes, it shimmers, becomes porous, unravels. Among the layers of paint, between fine grain and pastelike pomposity, a wealth of art historical and post-feminist implications lies hidden. Born in Lithuania in 1976, Otto makes a deep exploration of the history of Western art and ideas, until the work of the forefathers and foremothers blazes across the picture surface. She formulates offers of discussion to theoreticians such as Judith Butler, Nina Power and Laura Mulvey, makes a bow – but with a wink of the eye – in front of Maria Lassnig’s body-feeling colours and Albert Oehlen’s macho poses. She takes a pull of Sarah

17


Lucas’ cigarette and whispers a joke into Martin Kippenberger’s ear. In the process Otto does not bring any calculated provocations onto the canvas, she does not force her counterparts to engage in superficial voyeurism. Her paintings are not strained orgies in oil paint, in her imagery female nudity is no longer to be equated with mono-dimensional male fantasies. Instead she gives expression to a new, self-confident feeling about the body. Consequently, her pictures always appear to be commentaries on the current understanding of gender. In the babble of gendered talk her vocabulary of motifs functions like Esperanto. She spells out a universal language of images for a world in which individuals refuse to allow themselves to be confined to a single gender role or body form. Even though Otto, as an artist and mother, works from a female perspective, her painting does not propagate a generic feminine. She is not interested in the reversal and destruction of established categories nor in the triumph of the matriarchy. With her painting Otto has abolished unambivalent pronouns, without neutralising the sexes. In her paintings the female, male and every expressive form of what lies in-between do not just stand side-by-side, they live in a symbiosis. As painter she leaves behind the absolute two gender world of the German “Binnen-I” – the “internal I” – and creates an open space for the sovereignly equivocal, where gender star and gender gap leave only a void. And so, the emphasis is not placed on that which separates, but rather a togetherness is illustrated in which every state of being, every emotional condition, every desire has a place. Otto refuses to accept conditions as fixed, instead she arranges

18


test conditions that are as fluid as the life situations they reflect. She detaches gender from the mono-dimensional gender identity until only an I and you remain. Far beyond the binary fundamental order she leaves it up to her picture subjects to adopt every imaginable – and occasionally – abstract form. There is no compulsion to present anything. The concern is far more the possibility of ambivalence: what is portrayed is an ego in drag which appropriates self-determined stereotypes, overwrites clichés, plays, assumes different roles and alternately dons a Viking helmet or a wig. Otto shows humour when she exposes the ego – which moves between deformation and transformation, deeply felt emotion and excitement – to absurdity. This ambiguity is present already in the title of her current exhibition “Lex mihi ars”, Latin for “let art be my law”. When spoken aloud what appears to be a highbrow phrase loses any semblance of a humanistic education. “Lex mihi ars” becomes “Leck mich am Arsch” (kiss my ass), the solemn artist’s statement is shown to be a mischievous rejection of the system. In the same way that Otto’s painting produces puzzling figures which dissolve just when you believe you have grasped them, her use of language also remains ambivalent. It is this plurality which, at best, her art and the discussion of it share.

19


20


o. T., 2018 Öl auf Leinwand 130 x 110 cm


22


23


o. T., 2018 Öl auf Leinwand 190 x 160 cm

24


o. T., 2018 Öl auf Leinwand 190 x 160 cm

25


Eglė Otto Eglė Otto was born 1976 in Lithuania and emigrated with her family to West Germany in 1986. She graduated with a Diploma of Fine Arts at Hochschule für bildende Künste, HfbK Hamburg in 2010. Eglė Otto was mentored by Werner Büttner, Anselm Reyle, Norbert Schwontkowski and Dirk Skreber. Eglė Otto lives and works in Hamburg, Germany. Solo Shows 2019 lex mihi ars, O&O-Depot, Berlin 2018 vom leeren ins undichte, Mirko Mayer Galerie, Köln This is not what Adorno was trying to say, Mathias Güntner Galerie, Hamburg 2014 Entgrenzte Bildräume, mon|arc, Hamburg 2013 Existenz von Wirklichkeiten, Sammlung-Budersand, Sylt Geänderte Dialektik, Kunstforum Markert, Hamburg 2012 Malerei 2.0, Kunstraum Poststraße 20, Hamburg 2011 Malerei 1.0, Kunstraum 71, Hamburg Group Shows 2018 masterpieces / personalities, Mirko Mayer Galerie, Köln The Female Gaze | On Body, Love and Sex II, Haus am Lützowplatz, Berlin The Female Gaze | On Body, Love and Sex I, Kunsthaus Erfurt 2017 Kunst gegen Rechts, Botschaft Berlin 2016 Father Figures Are Hard To Find, nGbK, Berlin 2015 Scheitern, xpon-art, Hamburg Paper Works #003, Holthoff-Mokross Galerie, Hamburg 2014 Helden, Vorbilder, Idole, Elektrohaus, Hamburg Groupshow, Galerie Richter, Lütjenburg Petersburger Salon Nr.5, Blau Raum, Hamburg 2013 Velada Remix, Garage, Art-Week Hamburg 2012 Karokabinett, Neuer Kamp 1, Hamburg Feministische Standortbestimmung, Galerie Oel-Früh, Hamburg 2011 Petersburger Salon Nr.2, Blau Raum, Hamburg 2010 Nur die Kunst ist künstlich, alles andere ist Theater, Galerie Oel-Früh, Hamburg Diplomausstellung, HFBK, Hamburg 2009 builder vor boatin, Silvershad, New York Fever, Oasis Gallery, Beijing Hunger, LeRoy Neiman Center Gallery at Columbia University, New York Paintings from German Art School, FOCI, Miami 2008 Lumen Christies, St. Katharinen, Hamburg

26


o. T., 2018 Öl auf Leinwand 60 x 60 cm

27


Ausstellung Eglė Otto lex mihi ars 25.01 – 07.03.2019 Text: Laura Storfner Übersetzung: Roderick O‘Donovan Grafische Gestaltung: Marie Hareiter Aufnahmen der Werke: N°

25

Ralph Baiker Installationsansichten: Marcus Schneider Druck:

Leibnizstrasse 60

Triggermedien, Berlin

10629 Berlin

Auflage: 300

Tel: +49 30 28 48 86-0 www.o-o-depot.com

© 2019 O&O Depot




Turn static files into dynamic content formats.

Create a flipbook
Issuu converts static files into: digital portfolios, online yearbooks, online catalogs, digital photo albums and more. Sign up and create your flipbook.