Ostvision - Mai 2015

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516 | MAI 2015

Monatszeitschrift der Christlichen Ostmission

SPEZIAL AUSGABE Es geht um die Zukunft von 250 000 Kindern – und um die Zukunft Moldawiens.


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editorial

ostvision

Ein Lied für Festbesucher, die nach Jerusalem hinaufziehen. Glücklich ist jeder, der dem Herrn gehorcht und nach seinen Weisungen lebt! Was du dir erarbeitet hast, wirst du auch geniessen können. Es geht dir gut, und das Glück ist auf deiner Seite. Deine Frau gleicht einem fruchtbaren Weinstock, der viele Reben trägt: Die Kinder um deinen Tisch sind so zahlreich wie die jungen Triebe eines Ölbaums! So segnet Gott einen Mann, der ihn achtet und ehrt. Der Herr segne dich – er, der auf dem Berg Zion wohnt! Dein Leben lang sollst du sehen, dass es Jerusalem gut geht. Mögest du so lange leben, dass du dich noch an deinen Enkeln erfreuen kannst! Frieden komme über Israel! Psalm 128

Eine glückliche Familie Liebe Leserin, lieber Leser Der Psalm 128 zeichnet ein Bild einer glück­ lichen Familie. Ein glücklicher Vater. Eine glückliche Mutter. Glückliche Kinder. So wünscht man es sich. Und so könnte es sein. Auf meinen Reisen in Osteuropa und Asien begegne ich leider oft ganz anderen Fami­ lien. Da ist wenig zu sehen von dieser Idylle. Oder das Lachen ist nur vordergründig. Dahinter verstecken sich häufig unsägliche Schicksale. Da sind Väter, die ihre Familien nicht versorgen können oder wollen. Viel­ leicht haben sie die Stelle verloren oder sie suchen Arbeit im fernen Ausland. Da sind überforderte Mütter, die es trotz gröss­ ter Anstrengung nicht schaffen, den tägli­ chen Verpflichtungen nachzukommen und ihren eigenen Anforderungen gerecht zu werden. Und da sind Kinder, die mit zu­ nehmendem Alter immer klarer begreifen, was ihnen fehlt, nämlich die Hoffnung auf eine glückliche Zukunft.

Diese Not beschäftigt uns in der Christli­ chen Ostmission tagtäglich. Wir richten un­ sere Projekte darauf aus, die Not syste­ matisch und nachhaltig zu lindern. Das ge­ schieht einerseits durch direkte und schnelle Nothilfe mit Kleidern und Lebensmitteln. An­ dererseits arbeiten wir mit Fachpersonen, um Kinder und Erwachsene zu schützen und zu betreuen. Und schliesslich dienen unsere Gewerbeförderungsprojekte dazu, Arbeitsplätze zu schaffen. Damit bekom­ men Familien die Möglichkeit, sich selbst zu versorgen und Perspektiven für eine Zukunft in Würde zu entwickeln. Ich danke Ihnen, liebe Freunde der Christli­ chen Ostmission, einmal mehr für Ihr geistli­ ches und materielles Mittragen dieser Pro­ jekte. Wir schaffen damit nicht die Not aus der Welt. Viele einzelne Kinder, Jugendliche und Erwachsene spüren die Hilfe jedoch ganz praktisch. Sie erhalten die Chance, ein glückliches Leben zu gestalten, so wie es im Psalm 128 beschrieben ist.

Solche Familiensituationen können der An­ fang eines noch schlimmeren Schicksals In Christus verbunden, sein: In dieser Hoffnungslosigkeit verfal­ len Väter dem Alkohol, tendieren Mütter zu Depressionen und geraten Kinder und Jugendliche in die Fänge von Menschen­ händlern. Mario Brühlmann Präsident

wird monatlich herausgegeben von der CHRISTLICHEN OSTMISSION (COM), Worb

Nr. 516: Mai 2015 Jahresabonnement: CHF 15.– Redaktion: Georges Dubi Adresse: Telefon: Fax: E-Mail: Internet:

Christliche Ostmission Bodengasse 14 3076 Worb BE 031 838 12 12 031 839 63 44 mail@ostmission.ch www.ostmission.ch

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30-6880-4 Spar + Leihkasse Münsingen, 16 0.264.720.06

Kontrolle der Bücher: Unico Treuhand AG, Burgdorf Spenden sind in allen Kantonen steuer­ abzugsberechtigt. Nähere Auskünfte er­teilt unser Sekretariat. Gehen für ein Projekt mehr Spenden als benötigt ein, werden diese für ähnliche Zwecke ein­gesetzt. Bildquellen: COM Wenn nicht anders vermerkt, haben die abgebildeten Personen keinen Zusammenhang mit den erwähnten Beispielen. Gestaltung: Thomas Martin Druck: Stämpfli AG, Bern Papier: Das Magazin ist auf chlorfrei gebleichtem und FSC-zertifiziertem Papier gedruckt. Geschäftsleitung: Georges Dubi, Missionsleiter Gallus Tannheimer Stephan Schär Stiftungsrat: Mario Brühlmann, Orpund, Präsident Pfr. Thomas Hurni, Leutwil, Vizepräsident Lilo Hadorn, Selzach Christian Bock, Seedorf Thomas Haller, Langenthal Pfr. Jürg Maurer, Hirschthal Beauftragter des Stiftungsrates: Günther Baumann Die Christliche Ostmission hat den Ehrenkodex unter­zeichnet. Das Gütesiegel verpflichtet die Unterzeichner zu einem verantwortungsvollen Umgang mit Ihrer Spende.

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persönlich

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Dumitru Sevastian MENSCHEN unterwegs mit uns

Anfang Jahr beauftragte mich die Leitung der Theologischen Universität hier in Chisinau, die Universität im Vorstand des neuen Vereins zu vertreten, der für die Umsetzung des Projekts «Wir Kinder von Moldawien» gegründet wurde. Als Dekan der Fakultät für Theologie und Mission bin ich verantwortlich für die Koordination des Unterrichts in diesen beiden Gebieten und halte selber Vorlesungen. Jene zum Thema «Kirche und Gesellschaft» passt bestens zum Anliegen des Projekts. Aufgewachsen bin ich in der Ukraine in einem Dorf, wo rumänisch gesprochen wird. Während meines Studiums in Chisinau lernte ich meine Frau kennen; sie stammt aus einem ukrainischsprachigen Dorf in Moldawien. Unsere drei Kinder sind bereits erwachsen.

«Gerade für Kinder möchten wir das grosszügige Herz des Vaters im Himmel erlebbar machen.» Was die Ukraine erlebt, ist auch Teil unserer jungen Geschichte als unabhängiges Land: Die einen Moldawier sehen unsere Zukunft in der Zollunion mit Russland, die anderen in der Mitgliedschaft in der EU. Diese Spannung gefährdet auch die Einheit unter uns Christen im Land, die so sorgfältig aufgebaut

wurde. Durch die Krise sind die Preise für alltägliche Dinge gestiegen. Dazu kommt, dass wegen des Assoziierungsabkommens mit der EU moldawische Gastarbeiter, die sich illegal in Russland aufhalten, ausgewiesen werden. Somit fliesst weniger Geld ins Land. Die Situation in unserem Land erachte ich generell als sehr schwierig. Man geht davon aus, dass 80% der Moldawier sofort ausreisen würden, wenn sie die Gelegenheit dazu erhielten. Speziell in den Dörfern ist die Situation katastrophal. Hunderttausende von Kindern wachsen ohne Perspektiven auf und sind höchst gefährdet, Menschenhändlern ins Netz zu geraten, alkoholsüchtig oder kriminell zu werden. Seit der Staatsgründung sind christliche Gemeinden vermehrt aktiv, um der Not zu begegnen. Unterstützt durch langjährige Partnerschaften mit Hilfsorganisationen wie der Christlichen Ostmission können wir Christen einen wesentlichen Beitrag zur Entwicklung unserer Gesellschaft leisten. Dass die COM mit ihrem neuen Projekt «Wir Kinder von Moldawien» die am meisten verwundbare Menschengruppe im Blick hat, sehe ich als Erhörung der Gebete unserer Gemeinden. Gerade für Kinder möchten wir das grosszügige Herz des Vaters im Himmel erlebbar machen. Sie sollen seine Liebe auch in ihrer schwierigen Lage erfahren und seiner Zuneigung vertrauen können.


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ES GEHT UM 250 000 MÄDCHEN UND BUBEN Georges Dubi Missionsleiter

Seit Jahren setzt sich die Christliche Ostmission für moldawische Kinder ein. Angesichts der riesigen Not im Armenhaus Europas packt sie jetzt eine viel grössere, landesweite Hilfs­ aktion an. 250 000 Kinder in Moldawien sind mehr oder weniger sich selbst überlassen. Im ärmsten Land Europas gibt es kaum bezahlte Arbeit. Zwei von fünf Erwachsenen im erwerbsfähigen Alter gehen weg, um andernorts ihr Glück zu suchen. Ihre Kinder kommen zu Verwandten, die selbst oft kaum über die Runden kommen. Oder sie bleiben im elterlichen Haus, auf sich alleine gestellt. Viele verwahrlosen, haben kaum zu essen und wenig zum Anziehen. Sie wachsen schutzlos, ohne Zuwendung und Förderung auf. Sozialwaisen nennt man sie. Moldawien ist daran, zwei Generationen zu verlieren: die Eltern, die wegziehen, und ihre Kinder, die keine Chance auf ein normales Leben haben. Damit kommt auch Moldawien selbst nicht aus der Krise.

Viele moldawische Kinder wachsen schutzlos, ohne Zuwendung und Förderung auf.

Bisherige Hilfe reicht nicht Seit vielen Jahren kümmert sich die Christliche Ostmission um moldawische Kinder. Zusammen mit lokalen Partnern suchen wir Pflegeeltern für Heimkinder, organisieren wir Ferien für Kinder aus schwierigen Verhältnissen, verteilen wir Hilfsgüter ... Manches Schicksal hat sich dadurch zum Guten gewendet. Doch es sind 250 000 Kinder betroffen!


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Nun lanciert die Christliche Ostmission ein Hilfsprogramm, das der riesigen Not entspricht. Mit der Aktion «Wir Kinder von Moldawien» wollen wir nichts weniger, als die Not von 250 000 Kindern lindern! In solchen Dimensionen haben wir bisher nie gedacht. Wären wir auf uns alleine gestellt, würden

für die Freizeit, Aufgabenhilfe ... Mit Unterstützung der Christlichen Universität Chisinau soll aus solchen punktuellen Aktionen ein Hilfsprogramm entwickelt werden, das sich multiplizieren lässt. Viel mehr Gemeinden und Organisationen sollen einbezogen werden, um viel mehr Kinder zu erreichen.

Moldawien ist daran, zwei Generationen zu verlieren: die Eltern, die wegziehen, und ihre Kinder, die keine Chance auf ein normales Leben haben. wir es auch nicht wagen. Doch wir wissen: Es gibt in Moldawien selbst viele Menschen, die bereit sind anzupacken. Und es gibt Menschen in der Schweiz, welche die Aktion mit ihren Gebeten und ihren Spenden mittragen werden. Was haben wir vor? Heute schon engagieren sich christliche Gemeinden in Moldawien für die Kinder: Sie bieten Mahlzeiten an, einen geschützten Ort

Schreiben wir Geschichte! Es ist eine riesige Aufgabe. Doch ebenso gross ist die Chance, die sich bietet. Moldawische Christen können das unsagbare Leid zahlreicher Kinder lindern und so die Zukunft ihres Landes mitprägen! Heute liest sich die Geschichte der Kinder von Moldawien wie eine Tragödie. Wenn wir gemeinsam anpacken, kann daraus eine Geschichte mit einem glücklichen Ende werden. Schreiben Sie die nächsten Kapitel mit?

Im ärmsten Land Europas sind viele Kinder sich selbst überlassen.


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MOLDAWIEN: ZAHLEN UND FAKTEN Ruth Thomann Projektleiterin Republik Moldau ist der offizielle Name, Moldawien die gängige Bezeichnung. Das Land in Südosteuropa grenzt im Westen an Rumänien und wird im Norden, Osten und Süden von der Ukraine umschlossen. Als eigenständiger Staat existiert die Republik Moldau erst seit 1991, als die Moldauische Sowjet­republik sich während der Auflösung der Sowjetunion für unabhängig erklärte. Moldawien erstreckt sich in Nord-Süd-Richtung über 350 km und west-östlich über 150 km. Mit 33 843 km² ist das Land rund 20% kleiner als die Schweiz. Im Süden grenzt Moldawien an die Donau, zum nahe gelegenen Schwarzen Meer hat es aber keinen eigenen Zugang. Ein schmaler Landesstreifen – er entspricht rund 12% der gesamten Fläche und ist Heimat für 17% der Bevölkerung – liegt östlich

des Flusses Dnister. Dieser als Transnistrien bezeichnete Teil hat sich 1992 im Zuge eines Konflikts abgespalten. Wechselvolle Geschichte Das Gebiet des heutigen Moldawiens wurde im Altertum von verschiedenen Völkern besiedelt. 1349 gründete Fürst Bogdan ein unabhängiges Fürstentum Moldau. Wichtigster Herrscher im 15. Jahrhundert war Stefan cel Mare, der in zahlreichen Schlachten gegen Invasionen des Osmanischen Reichs, Polens und der Tataren kämpfte. 1512 musste sich Moldawien den Osmanen unterwerfen und blieb für die nächsten 300 Jahre ein Vasallenstaat. Nach dem Russisch-Türkischen Krieg (1787– 1792) musste das Osmanische Reich allen Besitz östlich des Dnister an Russland abtreten. Teile der heutigen Republik Moldau wurden

Einwohnerzahl

Bevölkerungs­ dichte

Bevölkerungs­ anteil in Städten

Regierungsform

Präsident

Währung

2,9 Mio. (sinkend infolge Auswanderung)

85 Einwohner pro km²

70%

parlamentarische Republik

Nicolae Timofti

Moldauischer Leu (MDL)

Amtssprache

Ethnien

Moldauisch (identisch mit Rumänisch)

77,9% rumänische Moldauer 8,3% Ukrainer 5,9% Russen

Grösste Kirchengemeinschaften Moldauisch-Orthodoxe Kirche, Orthodoxe Kirche Bessarabiens, Ukrainische und Russische Orthodoxe Kirche (total 93,3%)

Religiöse Minderheiten Evangelische Christen (2%) Röm.-Katholische Kirche (0,69%) Juden (0,41%) Quelle: Wikipedia


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1918 von Rumänien besetzt. 1924 wurde das Gebiet zur Moldauischen Autonomen Sozialistischen Sowjetrepublik, 1940 zur Moldauischen Sozialistischen Sowjetrepublik. Nach dem Zerfall der Sowjetunion wurde aus Moldawien eine unabhängige Republik. Die Amtssprache ist Rumänisch, sie wurde 1994 zu Moldauisch umbenannt. Ungelöster Konflikt Ab 1989 kam es zu Konflikten zwischen der Zentralregierung und Gebieten, die überwiegend von ethnischen Minderheiten bewohnt waren. In Transnistrien führte der Konflikt zur De-facto-Unabhängigkeit. International wird aber Transnistrien nicht als eigener Staat anerkannt.

infolge des ungelösten Transnistrien-Konflikts hat sich die wirtschaftliche Lage drastisch verschlechtert. Es gibt keine verlässlichen Zahlen über die Arbeitslosigkeit. Sie betrifft einen Grossteil der Bevölkerung. In ländlichen Gebieten gibt es kaum Verdienstmöglichkeiten. Das hat eine riesige Auswanderungswelle ausgelöst: Rund 40% der erwerbsfähigen Erwachsenen leben im Ausland! Die Summe der Gelder, die sie in die Heimat schicken, ist höher als das Bruttoinlandprodukt. Dieses beträgt weniger als 4000 Dollar pro Kopf, womit Moldawien das wirtschaftsschwächste Land Europas ist. Durch die Migration lösen sich Familienstrukturen auf: Viele Kinder werden von den Grosseltern aufgezogen, in Heimen abgegeben oder sich selbst überlassen.

Wirtschaft im Sinkflug Moldawien war eine der wohlhabendsten Sowjetrepubliken. Seit der Unabhängigkeit und

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KEINE GEGENWART UND KEINE ZUKUNFT

Grossmutter Tamara ist alleine verantwortlich für ihre Enkel.

Georges Dubi Missionsleiter

Seit fünf Jahren arbeitet Walerja Tscheban in Russland. Ihre drei Kin­ der hat sie bei ihrer Mutter zurück­ gelassen. Diese ist mit der Situation völlig überfordert. Die Buben wach­ sen in einer Umgebung auf, die von Armut, Alkohol und Hoffnungslosig­ keit geprägt ist. Grossmutter Tamara Tschebans Haus ist äus­ serst armselig und nahe am Zerfall. Einer der beiden Räume dient zum Wohnen und Schlafen, der andere – er kann nicht beheizt werden – ist die Küche. Fünf Personen leben im kleinen Haus: Tamara Tscheban, ihre gebrechliche Mutter und ihre Enkel Alexander, Ivan und Wanja. Die drei Knaben schlafen in einem Bett, das man eher als Verschlag bezeichnen müsste, im gleichen Raum wie ihre Grossmutter und die Urgrossmutter. Die Mutter der Knaben wohnt und arbeitet seit drei Jahren als Putzfrau in Russland. In dieser Zeit hat sie ihre Kinder nur einmal besucht. Zu weit und zu teuer ist die Reise. Immerhin telefoniert sie wenn möglich einmal pro Woche.

Wanja, der Jüngste, vermisst seine Mutter sehr. Wenn man in seiner Gegenwart von ihr spricht, hat er Mühe, seine Tränen zu unterdrücken. Seinen Brüdern fehlt die Mutter auch, allerdings zeigt sich das eher in ihrem Verhalten. Die Schule abgebrochen Tamara Tscheban ist mit der Pflege ihrer Mutter und der Erziehung ihrer Enkel total überfordert. Es sieht aber nicht so aus, als ob sie dies bekümmert. Der Alkohol scheint ihr dabei zu helfen. Für die drei Knaben ist die Situation jedoch schlimm, sie sind auf bestem Weg zu verwahrlosen. Ihr Leben spielt sich ausserhalb des Einflussbereichs ihrer Grossmutter ab, andere Bezugspersonen haben sie nicht. Der dreizehnjährige Alexander hat sich von der Schule verabschiedet, er verbringt seine Zeit mit Kollegen auf der Strasse. Seine Brüder gehen zwar noch zur Schule, das aber ziemlich lustlos. Es dürfte nur eine Frage der Zeit sein, bis auch sie ihr den Rücken kehren.


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ALEKSANDRA Ein Leben voller Angst und Gewalt Die sechsjährige Aleksandra lebt mit ihren beiden Brüdern in einer Familie, in der Gewalt allgegenwärtig ist. Der Vater ist Alkoholiker und prügelt seine Familie täglich. Die Kinder sind sehr verängstigt. Im Sommer laufen sie nackt herum, Geld für Kleider gibt es keines. Das heruntergekommene Haus der Familie hat keine Küche. Essen wird im Garten auf einem selbst gebastelten Ofen zubereitet.

KATJA Auf sich alleine gestellt Um die siebenjährige Katja kümmert sich niemand. Sie lebt alleine, ganz auf sich selbst gestellt. Die Mutter ist seit vielen Jahren Alkoholikerin, sie weiss nicht, wer Katjas Vater ist. Weil sie sich nicht um ihre Tochter kümmern wollte und konnte, gab sie Katja eines Tages bei ihrer Grossmutter ab. Diese war mit der Erziehung ihrer Enkelin total überfordert, auch finanziell. Aber immerhin hatte Katja jemanden. Letzten Dezember starb die Grossmutter und seitdem ist das Mädchen allein. Hie und da taucht ihre Mutter kurz auf, etwa einmal pro Monat, manchmal auch seltener.

Alexsandra, Katja sowie die Brüder Alexander, Ivan und Wanja sind Beispiele. Ähnliche Schicksale erleben Tausende von Kindern: Die Eltern psychisch beeinträchtigt oder vom Alkohol gezeichnet, unfähig, sich um die Kinder zu kümmern. Oft ist nur die Mutter da, vom Vater fehlt jede Spur. Das Zuhause, in dem die Kinder leben, verdient diesen Namen nicht. Manchmal springen Verwandte in die Bresche, doch niemand fragt, ob sie in der Lage sind, den Kindern ein Daheim zu bieten. Viele sind überfordert, und die Kinder bleiben sich selbst überlassen. So werden sie zu Sozialwaisen, verkümmern und verwahrlosen, weil niemand da ist, der sich ihrer annimmt.

tes, allerdings sind sie oft selbst bitterarm oder der Erziehungsaufgabe nicht gewachsen. Insgesamt ist die Migration aber nicht der wichtigste Grund dafür, dass so viele Kinder verwahrlosen. Verantwortlich sind in erster Linie Arbeitslosigkeit, Perspektivenlosigkeit, Armut und der Alkohol.

Manche Kinder landen bei Grossmüttern oder Tanten, weil ihre Eltern keinen anderen Ausweg sehen, als ihr Glück im Ausland zu versuchen. Viele der Betreuenden geben ihr Bes-

Kein Auffangnetz mehr Früher kamen solche Kinder in ein Kinderheim. Seit die EU und die UNO Moldawien angewiesen haben, die Heime zu schliessen, gibt es keinen Ort mehr, wo sie unter einigermassen akzeptablen Bedingungen aufwachsen könnten. Ein funktionierendes Sozialsystem gibt es nicht mehr. Über 250 000 Kindern in Moldawien verweigert man so nicht nur die Gegenwart, nämlich eine Kindheit in Würde. Weil sie nicht gefördert werden, beraubt man sie auch ihrer Zukunft.

Das Zuhause, in dem die Kinder leben, verdient diesen Namen nicht.


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UNSERE ANTWORT AUF DIE GROSSE NOT Beat Sannwald Projektleiter

Die Situation ist alarmierend Auslöser für das Projekt «Wir Kinder von Moldawien» ist die enorme Not der moldawischen Kinder. Man stelle sich vor: Ungefähr jedes dritte moldawische Kind erlebt Verwahrlosung in der einen oder anderen Art! Die Situation hat sich in den letzten Jahren zugespitzt, weil Waisenhäuser geschlossen und Kinder in ihre Dörfer zurückgeschickt wurden, oft in untragbare Familiensituationen hinein. Der Pfarrer einer Gemeinde, die sich stark sozial engagiert, erzählte kürzlich, er kenne in seinem Quartier viele Familien, deren Kinder früher wegen der Missstände zuhause Unterschlupf in einem Heim gefunden hätten, die heute aber, nach der Schlies­ sung der Heime, wieder daheim seien.

Mittagstisch: Zeit der Gemeinschaft und Stärkung

Unsere Antwort Als Christliche Ostmission helfen wir moldawischen Kindern seit Jahren, indem wir Familien mit Nahrungsmitteln und Kleidern versorgen und Kindern die Teilnahme an Ferien­lagern christlicher Gemeinden ermöglichen. Nun wollen wir die Unterstützung noch mehr in ihren Alltag hineinbringen: An jedem Schultag sollen gefährdete Kinder an einem Mittagstisch eine warme, nahrhafte Mahlzeit erhalten. Anschliessend sollen sie Gemeinschaft und Ermutigung erleben: Lokale Christen helfen ihnen bei den Hausaufgaben, erleben mit ihnen die Freizeit und lehren sie wichtige Fertigkeiten und Kompetenzen fürs Leben. Als COM werden wir lokalen Organisatoren den Start erleichtern, indem wir die Lebensmittel für die Mahlzeiten bezahlen. Ebenfalls werden wir sie anleiten, wie sie das Nachmittagsprogramm ge-


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stalten können. Mit regelmässigen Schulungen werden wir Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern helfen, sich Herausforderungen zu stellen und Kompetenzen zu entwickeln. Der Schlüssel zur Multiplikation Damit möglichst viele solche Angebote entstehen, bauen wir auf das ehrenamtliche dia­ konische Engagement von Christen vor Ort. Zwar wissen wir, dass die grassierende Armut sie genauso trifft wie andere auch und Einkommen zu generieren eine Überlebensfrage ist. Doch wir sind überzeugt, dass sich freiwilliges Engagement auch für sie selbst lohnen wird: Nicht nur erhalten sie mit ihrem Einsatz zu Gunsten der Ärmsten und Gefährdetsten eine erfüllende Aufgabe, wir bieten ihnen auch vielfältige Möglichkeiten, ihre Begabungen zu entwickeln. Obwohl moldawische Christen den weitaus grössten Teil der Freiwilligenarbeit im Land

leisten, ist Unterstützung durch weiterbildende Abendseminare, Schulungstage oder Erfahrungsgruppen höchstens in den Städten bekannt. Deshalb sind wir sehr dankbar, dass wir mit der Theologischen Universität in Chisinau einen starken Partner haben, um unterstützende Begleitung dieser Art auszubauen. Moldawische Christen übernehmen Verantwortung Das Projekt «Wir Kinder von Moldawien» trägt dazu bei, dass moldawische Christen in ihrer Eigenverantwortung gestärkt werden. Es sind ausschliesslich Moldawier, welche die Verantwortung auf der nationalen wie auf der lokalen Ebene wahrnehmen werden. Als COM leisten wir finanzielle Anstosshilfe und bieten das Wissen und die jahrelange Erfahrung unserer moldawischen Partner an. Über sie werden wir lokale Gemeinden ausrüsten, damit sie ihren Auftrag vor Ort wahrnehmen können.

So wird das Hilfsprogramm umgesetzt. Lokale christliche Gemeinden und Organisationen bieten vernachlässigten Kindern einen geschütz­ ten Ort der Gemeinschaft und Ermutigung. Mit schulergänzenden Angeboten stärken und fördern sie die Kinder. Gemeinschaft Ermutigung | Förderung Mittags­ tisch Aufgaben­ hilfe Vernetzung | Förderung Unterstützung | Schulung

Die Christliche Ostmission fördert und vernetzt zusammen mit der Theologischen Universität in Chisinau die verschie­ denen Angebote und bietet unterstützende Schulungen.

Freizeit­ aktivitäten

Ziel: Sozial benachteiligte Kinder erhalten eine Perspektive und Hoffnung für ihre Zukunft.


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Schreiben wir miteinander Geschichte!

So schreiben Sie mit uns Geschichte: Sie helfen den Kindern Moldawiens mit einer Patenschaft. Ein Anmeldeformular finden Sie unten. Sie unterstützen unser Projekt mit einer Spende. Sie informieren sich: Auf www.ostmission.ch/moldawien finden Sie Hintergrundwissen zum Land und zum Drama der Sozialwaisen. Sie erzählen Freunden und Bekannten von der Möglichkeit, Kindern zu helfen, und geben die Zeitschrift oder den Flyer weiter. Zusätzliche Zeitschriften sowie den Flyer können Sie über die Website oder mit dem Talon unten anfordern. Herzlichen Dank für die Unterstützung.

ANMELDUNG PATENSCHAF T /  BESTELLTALON Ich möchte eine Projektpatenschaft «Wir Kinder von Moldawien» übernehmen, um Kindern in Moldawien eine Zukunft zu geben.

Bitte senden Sie mir die Patenschaftsunterlagen zu: CHF 50.– monatlich CHF 100.– monatlich Bitte senden Sie mir die Ostvision-Spezialausgabe «Wir Kinder von Moldawien» | Anzahl: Bitte senden Sie mir den Flyer zum Projekt «Wir Kinder von Moldawien» | Anzahl:

Name Vorname Strasse PLZ Ort E-Mail Bitte einsenden an Christliche Ostmission, Bodengasse 14, 3076 Worb oder online auf www.ostmission.ch

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