Eine Europaïsch Agenda fur den Sozialen Wohrnusgbau

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EUROPÄISCHE UNION

Ausschuss der Regionen

EINE EUROPÄISCHE AGENDA FÜR DEN SOZIALEN WOHNUNGSBAU

QG-30-12-443-DE-C

EINE EUROPÄISCHE AGENDA FÜR DEN SOZIALEN WOHNUNGSBAU

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Ausschuss der Regionen


Sekretariat der SPE-Fraktion EINE EUROPÄISCHE AGENDA FÜR DEN SOZIALEN WOHNUNGSBAU Luxemburg: Amt für Veröffentlichungen der Europäischen Union 2012 — 187 S. — 14,8 × 21 cm ISBN 978-92-895-0568-0 doi:10.2863/45849

Sekretariat der SPE-Fraktion Ausschuss der Regionen Rue Belliard 101, Büro JDE 7035 B-1040 Brüssel Telefon: +32 2 282 22 23 Fax: + 32 2 282 20 69 PES-Group@cor.europa.eu www.pes.cor.europa.eu Luxemburg: Amt für Veröffentlichungen der Europäischen Union, 2012 ISBN 978-92-895-0568-0 doi:10.2863/45849 © Europäische Union, 2012 Printed in Luxembourg


EINE EUROPÄISCHE AGENDA FÜR DEN SOZIALEN WOHNUNGSBAU

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Ausschuss der Regionen


INHALTSVERZEICHNIS

VORWORT .......................................................................................................................................4 EINLEITUNG ................................................................................................................................. 10 Menschenwürdiges Wohnen für alle: eine politische Priorität für die SPE-Fraktion im Ausschuss der Regionen ........................................................................................................................................................10 TEIL I .............................................................................................................................................. 13 Die Erarbeitung einer Europäischen Agenda zum sozialen Wohnungsbau .........................................13 Erschwingliches Wohnen für alle zur Förderung der wirtschaftlichen Stabilität .......................16 Bessere Regierungsführung zur Förderung des erschwinglichen Wohnens für alle ..............24 Erschwingliches Wohnen für alle zur Förderung der sozialen Integration ....................................30 Intelligentes Wachstum zur Förderung des erschwinglichen Wohnens für alle .......................44 Energieeffizientes Wohnen für alle zur Förderung der ökologischen Nachhaltigkeit............50


TEIL II ............................................................................................................................................. 59 Bestimmungen zum sozialen Wohnungsbau in der EU: Erfahrungen vor Ort ....................................59 Belgien .....................................................................................................................................................................................60 Deutschland .........................................................................................................................................................................66 Frankreich ...............................................................................................................................................................................75 Italien.........................................................................................................................................................................................84 Luxemburg ............................................................................................................................................................................90 Malta ..........................................................................................................................................................................................94 Österreich ...............................................................................................................................................................................99 Polen.......................................................................................................................................................................................103 Spanien .................................................................................................................................................................................109 Tschechische Republik ................................................................................................................................................114 Vereinigtes Königreich ................................................................................................................................................120 TEIL III .......................................................................................................................................... 127 Europa Habitabilis: Wohnungsbau durch die Linse von Loïc Delvaulx..................................................127 Brüssel....................................................................................................................................................................................130 Budapest ..............................................................................................................................................................................139 Dünkirchen .........................................................................................................................................................................155 Lissabon................................................................................................................................................................................166 Malmö ...................................................................................................................................................................................178 DANKSAGUNG........................................................................................................................... 187


EINE EUROPÄISCHE AGENDA FÜR DEN SOZIALEN WOHNUNGSBAU

VORWORT Liebe Freunde und Freundinnen, Annehmbarer und erschwinglicher Wohnraum für alle gehört zu den Schlüsselanliegen der SPE-Fraktion im Ausschuss der Regionen. Darum haben wir das Thema Wohnraum in den Mittelpunkt unserer Kampagne „Mehr als nur ein Dach über dem Kopf“ 2010-2011 gestellt. Wohnraum ist eine Voraussetzung für soziale Teilnahme, für Integration sowie für die Entwicklung einer gerechten Gesellschaft. Wir geben uns nicht allein mit einem „Dach über dem Kopf“ zufrieden, sondern engagieren uns für angemessenen Wohnraum, damit Menschen in Würde leben können. Die SPE-Fraktion im Ausschuss der Regionen vereinigt die lokal und regional gewählten Sozialisten, Sozialdemokraten und Progressiven, die tagtägliche Erfahrung mit der Bereitstellung von Wohnraum haben. Wir alle wissen zudem nur zu gut, dass die EU-Gesetzgebung anderer Politikfelder oft widersprüchlich ist und ein Hindernis für bestehende lokale und regionale Initiativen zur Förderung von annehmbarem, nachhaltigem sozialem Wohnraum darstellt. Aus diesem Grund haben wir entschieden, unseren Ruf nach einem kohärenten europäischen Rahmen und einer wahren ‚Europäischen Agenda für sozialen Wohnungsbau‘ in den Mittelpunkt unserer Kampagne zu stellen. Wir haben unsere Aktionen dadurch vervollständigt, dass wir das Thema mit der Eigeninitiativ-Stellungnahme von Alain Hutchinson, die überwältigende Unterstützung durch das AdR-Plenum erfahren hat, auf die politische Agenda der Institution gesetzt haben. Darüber hinaus bestand auch unser Beitrag zum Konvent der Sozialdemokratischen Partei Europas im November 2011 aus einer ganzen Reihe von Aktivitäten zum Thema Sozialer Wohnungsbau, mit denen wir ein deutliches Signal setzen konnten, dass dringender Handlungsbedarf auf europäischer Ebene besteht.

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VORWORT

Dies sind einige kleine, aber wichtige Schritte, um Aufmerksamkeit für die existentielle Bedeutung zu schaffen, die dieses so fundamentale Bedürfnis nach angemessenem Wohnraum bei den Bürgerinnen und Bürgern besitzt. Mit dieser Veröffentlichung wollen wir einen weiteren Baustein in diesem Projekt hinzufügen und zeigen, was andere in ihren jeweiligen Regionen und Städten getan haben. Zusammen müssen wir diese Arbeit weiterführen, um sicherzustellen, dass das europäische Haus endlich um eine Wohnraumdimension ergänzt wird! Ich wünsche Euch allen eine interessante Lektüre. Mit sozialdemokratischen Grüßen, Karl Heinz Lambertz, Vorsitzender der SPE-Fraktion im AdR

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EINE EUROPÄISCHE AGENDA FÜR DEN SOZIALEN WOHNUNGSBAU

Ein Zuhause ist weit mehr als der Ort, an dem wir leben. Es ist auch maßgeblich für das geistige und körperliche Wohlbefinden sowie die soziale Integration. Der soziale Wohnungsbau soll den Bedürftigsten der Gesellschaft die Sicherheit eines Zuhauses bieten. Auf diese Weise stärkt er den sozialen Zusammenhalt und hilft Menschen dabei, ihr Leben zu meistern.

Mercedes Bresso Präsidentin des Ausschusses der Regionen

Für Millionen von Haushalten in der EU ist die Bereitstellung von Sozialwohnungen weiterhin von essenzieller Bedeutung, und zwar vor allem für diejenigen, die von der aktuellen Krise betroffen sind. Die Verbesserung der Qualität bereits vorhandener Wohnungen und die Aufstockung der Zahl verfügbarer Wohneinheiten stellen folglich eine erhebliche Herausforderung dar. Vor dem Hintergrund anhaltender Sparmaßnahmen fällt es den lokalen und regionalen Gebietskörperschaften, die vornehmlich für solche Leistungen zuständig sind, schwer, eben diese Herausforderung zu bewältigen. Leider handelt es sich hierbei nicht nur um eine finanzielle Angelegenheit. Im Gegenteil: Es ist eine Frage des politischen Willens – oder vielmehr des Mangels an politischem Willen! An uns, den europäischen Entscheidungsträgern, liegt es, den sozialen Wohnungsbau zu einer Priorität zu machen. Die europäischen Sozialisten und Sozialdemokraten übernehmen eine führende Rolle beim Bestreben, diese wichtige Angelegenheit ganz oben auf die politische Tagesordnung Europas zu setzen. In den Städten und Regionen, in denen wir leben möchten, soll es angemessenen und erschwinglichen Wohnraum für alle geben. Und genau dafür kämpfen wir!

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VORWORT

Angesichts der Krise ist der Bedarf an angemessenen Sozialwohnungen mehr denn je offensichtlich geworden. Daher müssen dringend die für den Bau weiterer Sozialwohnungen in der gesamten EU benötigten privaten und öffentlichen Investitionen mobilisiert werden. Ebenso wichtig ist es, die Qualität der bereits vorhandenen Sozialwohnungen zu verbessern, insbesondere um Energiearmut zu senken und die Energieeffizienz der Wohnungen durch Renovierung zu steigern. So können die Lebensbedingungen der Mieter verbessert, die Umwelt geschont und gleichzeitig Millionen neuer Arbeitsplätze geschaffen werden. Des Weiteren ist es von entscheidender Bedeutung, eine weitreichende Sozialgesetzgebung zu schaffen, um die Rechte der Mieter von Sozialwohnungen zu schützen. Es muss Problemen wie sozialer Ausgrenzung und Ausbeutung, meist durch so genannte Kredithaie, vorgebeugt werden. Ein gerechteres und solidarisches Europa steht in der Verantwortung sicherzustellen, dass alle ein Zuhause haben – und dies nicht nur als Recht, sondern als Realität.

Sergei Stanishev Interimsvorsitzender der Sozialdemokratischen Partei Europas

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Wohnen ist ein grundlegendes Menschenrecht. Für alle, auch für diejenigen, die sehr wenig Geld haben. Sozialer Wohnungsbau hilft, erschwingliche Mieten für besonders Betroffene zu ermöglichen. Das ist eine wichtige Errungenschaft des 20. Jahrhunderts und in unseren Gesellschaften nicht mehr wegzudenken.

Martin Schulz Präsident des Europäischen Parlaments

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VORWORT

Fast ein Drittel der Frauen auf der Welt hat keinen Zugang zu Wohnraum oder lebt in unangemessenen Wohnverhältnissen. Zudem verfügen Frauen über weniger als 1 % des Landbesitzes weltweit, obwohl Frauenarbeit zwei Drittel aller Arbeit auf der Welt ausmacht. Auch wenn das Bild in Europa nicht ganz so düster ist, stoßen Frauen immer noch auf größere Schwierigkeiten beim Zugang zu Wohnraum, nicht zuletzt wegen des anhaltenden geschlechtsspezifischen Lohngefälles und der allzu häufigen Feminisierung der Armut. Daher sollten im Rahmen einer EU-Politik, die einen gleichberechtigten Zugang zu angemessenem und erschwinglichem Wohnraum gewährleistet, auch Probleme der Gleichstellung von Männern und Frauen berücksichtigt werden, um den zahlreichen Diskriminierungen, mit denen Frauen konfrontiert werden, effektiv entgegenwirken zu können.

Zita Gurmai MdEP (S&D-Fraktion), Vorsitzende der SPE-Frauen

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EINLEITUNG Menschenwürdiges Wohnen für alle: eine politische Priorität für die SPE-Fraktion im Ausschuss der Regionen Wohnraum als grundlegendes Menschenrecht Artikel 34 der Charta der Grundrechte lautet wie folgt: „Um die soziale Ausgrenzung und die Armut zu bekämpfen, anerkennt und achtet die Union das Recht auf eine soziale Unterstützung und eine Unterstützung für die Wohnung, die allen, die nicht über ausreichende Mittel verfügen, ein menschenwürdiges Dasein sicherstellen sollen, nach Maßgabe des Gemeinschaftsrechts und der einzelstaatlichen Rechtsvorschriften und Gepflogenheiten.“ Das Recht auf Wohnung stellt ein Grundrecht dar und wird in der Europäischen Sozialcharta und einigen Nationalverfassungen auch als solches anerkannt. Doch gibt es EU-weit noch viel zu tun, um den Zugang zu angemessenem Wohnraum für alle zu gewährleisten. Für die SPE-Fraktion im AdR ist die Wohnungsfrage langfristig von entscheidender Bedeutung für die Wirtschafts- und Sozialpolitik, und zwar über die aktuelle Krise hinaus, die in hohem Maße mit den Schwierigkeiten beim Zugang zu Wohnraum zu tun hat. In der EU, in der rund 44 Millionen Bürgerinnen und Bürger von Armut bedroht sind und in der häufig über 40 % der Haushaltsausgaben für das Wohnen aufgewendet werden müssen, sollte der Zugang zu Wohnraum nicht nur ein teleologisches Ziel, sondern auch eine Priorität der Wirtschafts- und Sozialpolitik der EU und der Mitgliedstaaten sein. Allerdings ist festzustellen, dass der Wohnungsbau und insbesondere der soziale Wohnungsbau allzu häufig ein indirektes Ziel in der Schnittfläche zahlreicher Gemeinschaftspolitiken (Wettbewerb, Binnenmarkt, Strukturfonds, soziale Eingliederung) sind – und eben keine echte Priorität. Daher hat sich die SPE-Fraktion mit dafür eingesetzt, die erforderlichen Impulse für eine europäische Agenda für den sozialen Wohnungsbau zu geben, indem der Stimme der Städte und Regionen bei der politischen Debatte auf EU-Ebene Gehör verschafft wird.

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EINLEITUNG

Das Platzen der Immobilienblase: Daten und Zahlen SPE-Mandatsträgerinnen und -Mandatsträger auf lokaler und regionaler Ebene setzen sich dafür ein, das Miteinander verschiedener sozialer Gruppen zu fördern und Immobilienspekulationen vorzubeugen. Das ist jedoch keine leichte Aufgabe: Spekulationsblasen gibt es zwar häufiger, zu einem solchen weltweiten Anstieg der Immobilienpreise wie dem infolge der Wirtschafts- und Finanzkrise war es bislang jedoch noch nie gekommen. Nicht alle europäischen Staaten waren gleichermaßen betroffen, bestehen doch enorme Unterschiede zwischen den Wohnungsmärkten in den einzelnen Ländern. Außer in einigen wenigen Staaten sind die Preise für Wohnimmobilien jedoch rasch gestiegen und machen heutzutage einen erheblichen Anteil der Ausgaben der einkommensschwächeren Haushalte in Europa aus. Die nachstehenden Fakten sind alles andere als beruhigend: — Zwischen 1995 und 2008 sind die realen Preise von Wohnimmobilien in Irland fast um das Dreifache, im Vereinigten Königreich um das 2,5-fache und in neun weiteren OECD-Ländern um das Doppelte angestiegen. — Gleichzeitig hat der Anteil des Einkommens, der für den Ankauf einer Wohnimmobilie aufgewendet werden muss, bisher ungeahnte Höhen erreicht (historischer Höchststand) und liegt in sieben Ländern über 150 (wobei 100 dem normalen Wert auf einem zugänglichen Markt entspricht). — Die durchschnittliche Verschuldung der Haushalte schließlich, die hauptsächlich auf Hypothekendarlehen zurückzuführen ist, entsprach im Jahr 1995 in etwa dem verfügbaren Jahreseinkommen eines Haushalts. 2000 belief sie sich bereits auf 120 % und 2007 auf ca. 170 % des Jahreseinkommens.

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Ausblick Angesichts des immer schwierigeren Zugangs zu erschwinglichem Wohnraum kommt die steigende Nachfrage nach Sozialwohnungen nicht von ungefähr. Dies setzt vor allem die lokalen und regionalen Gebietskörperschaften unter Druck, denen vielfach die Aufgabe zukommt, die Politik für sozialen Wohnungsbau festzulegen und umzusetzen, den Zugang zu menschenwürdigem Wohnraum zu regeln und Wohnungsstandards zu kontrollieren und aufrechtzuerhalten. Dabei tragen sie der ökologischen und sozialen Nachhaltigkeit im Wohnungswesen immer stärker Rechnung. Da sich der soziale Wohnungsbau an der Schnittstelle von Sozial-, Umwelt- und Wirtschaftsfragen befindet, wird er durch politische Konzepte der EU in diesen Bereichen beeinflusst. Daher muss dieses brisante Thema auf der EU-Ebene dringend politisch angegangen werden. Die folgenden Beiträge unterstreichen diese eindringliche Forderung.

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TEIL I Die Erarbeitung einer Europ채ischen Agenda zum sozialen Wohnungsbau


EINE EUROPÄISCHE AGENDA FÜR DEN SOZIALEN WOHNUNGSBAU

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EINLEITUNG

In einer Zeit, in der Millionen Europäerinnen und Europäer von der Krise mit voller Wucht getroffen werden und aufgrund von Zahlungsunfähigkeit ihre Wohnungen verlassen müssen, in einer Zeit, in der Hunderttausende unserer Mitbürger unter inakzeptablen prekären Bedingungen leben, in einer Zeit, in der sich die Obdachlosigkeit auf skandalöse Weise ausbreitet – da ist es dringend geboten, dass auf EU-Ebene Strategien zum sozialen Wohnungsbau erarbeitet werden! Die SPE-Fraktion im Ausschuss der Regionen hat in einer Initiativstellungnahme, die vom Plenum des Ausschusses der Regionen mit sehr großer Mehrheit verabschiedet wurde, ihren Aufruf zu einer europäischen Agenda für den sozialen Wohnungsbau bestätigt (verfügbar unter: http:// bit.ly/soz-wohnungsbau). Die Stellungnahme liefert eine Gesamtdarstellung solcher europäischer Politikbereiche, die in einer mehr oder weniger engen Beziehung zum Wohnungsbau stehen. Sie betrachtet kritisch diejenigen Beschlüsse, welche die kommunalen oder regionalen Initiativen zur Bereitstellung von Wohnraum für alle europäischen Bürgerinnen und Bürger je nach ihrer Art fördern oder bremsen können. Angemessenes und erschwingliches Wohnen für alle Männer und Frauen ist von entscheidender Bedeutung und kann erst dann erreicht werden, wenn die zuständigen europäischen Institutionen dieses wirtschaftliche und soziale Phänomen ins Auge fassen werden.

Alain Hutchinson Mitglied des Parlaments der Region Brüssel-Hauptstadt (Belgien) Mitglied der SPE-Fraktion im Ausschuss der Regionen und Berichterstatter der Initiativstellungnahme zum Thema „Für eine Europäische Agenda für den sozialen Wohnungsbau“

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Erschwingliches Wohnen für alle zur Förderung der wirtschaftlichen Stabilität

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ERSCHWINGLICHES WOHNEN FÜR ALLE ZUR FÖRDERUNG DER WIRTSCHAFTLICHEN STABILITÄT

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Es ist notwendig, das Entstehen von Immobilienblasen künftig angesichts ihrer Auswirkungen sowohl auf die soziale als auch auf die finanzielle Stabilität zu verhindern. In dieser Hinsicht müssen die neuen von der Europäischen Kommission vorgeschlagenen Regelungen für einen Binnenmarkt für Hypothekenkredite, die sich einerseits auf den Zeitraum vor der Vertragsunterzeichnung erstrecken und andererseits auf die Schaffung eines angepassten Rahmens für die an der Kreditvergabe beteiligten Marktakteure abzielen, einen besseren Verbraucherschutz ermöglichen – insbesondere im Falle einkommensschwacher Haushalte, ohne diese aber von der Möglichkeit des Zugangs zu Wohnraum auszuschließen. Für den – kontrollierten und unterstützten – Zugang zu Sozialwohnungen existieren bereits Modelle, die fester Bestandteil der Politik des sozialen Wohnungsbaus sind und durch die neue Richtlinie nicht beeinträchtigt werden dürfen.

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Die durch überzogene Wohnungspreise hervorgerufenen wirtschaftlichen Unausgewogenheiten wirken sich signifikant auf die Konsumneigung der Haushalte aus. In Europa geben einkommensschwache Haushalte durchschnittlich 40 % ihrer verfügbaren Mittel für Wohnen und Heizen aus, wobei dieser Prozentsatz stetig steigt.

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Die Mitgliedstaaten sollten daher sicherstellen, dass sich alle Bürgerinnen und Bürger eine Wohnung leisten können, indem Mieterhöhungen auf einer Objektivierung der Preise – einer Methode, die gemäßigte Erhöhungen der Immobilienpreise gewährleistet – basieren werden und indem die Steuerpolitik angepasst wird, um Spekulationen einzudämmen.

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Investitionen im sozialen Wohnungsbau sollten fortgeführt werden, und bei der Risikobewertung von Immobilieninvestitionen sollte der Eigenheit des sozialen Wohnungsbaus Rechnung getragen werden, der mit anderen Risiken als der übrige Immobiliensektor verbunden ist.

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Die Europäische Investitionsbank (EIB) muss ihre Investitionen im Sektor erheblich erhöhen, da hochwertige, energieeffiziente und erschwingliche Wohnungen eine Infrastruktur der lokalen Wirtschaftsentwicklung darstellen, insbesondere in den Mitgliedstaaten, in denen es keine öffentliche Immobilienbank gibt. Gleichzeitig soll die EIB die Bedingungen für die gewährten Darlehen verbessern, wobei es insbesondere zu berücksichtigen gilt, dass in einigen Regionen ein umfassender Mietimmobilienbestand geschaffen werden muss, um die Bedürfnisse der am stärksten benachteiligten Bevölkerungsgruppen ohne Zugang zu Eigentum abdecken zu können.

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Stephen Hughes wurde 1952 in Sunderland (Vereinigtes Königreich) geboren. Er besuchte die Leeds University und das Newcastle Polytechnic, wo er ein Diplom in Kommunalverwaltung (DMA) erwarb. Bevor er 1984 erstmalig ins Europäische Parlament gewählt wurde, war er Beamter der Gemeindeverwaltung. Er war in der Vergangenheit als Parteisekretär auf Wahlkreisebene und als Wahlbeauftragter für die Labour-Partei tätig.

Stephen Hughes MdEP Stellvertretender Vorsitzender der S&D Fraktion, verantwortlich für Wirtschaftspolitik und Sozialmodell

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Seit 1984 ist er Mitglied des Europäischen Parlaments. Er steht der Gewerkschaftsbewegung sehr nahe, und daher liegt der Schwerpunkt seiner Arbeit seit jeher auf mehr Schutz und Rechten für Arbeitnehmer. Als MdEP hat er Berichte zu einer Reihe von Themen verfasst, darunter Sicherheit und Gesundheitsschutz bei der Arbeit, junge Menschen und Schwangere am Arbeitsplatz, Arbeitszeit und physikalische Stoffe. Im Juli 2009 wurde er zum stellvertretenden Vorsitzenden der Progressiven Allianz der Sozialisten und Demokraten (S&D) im Ausschuss für Beschäftigung und soziale Angelegenheiten gewählt, wo er für Wirtschafts- und Sozialpolitik, Binnenmarkt, Chancengleichheit und Kultur zuständig ist.


ERSCHWINGLICHES WOHNEN FÜR ALLE ZUR FÖRDERUNG DER WIRTSCHAFTLICHEN STABILITÄT

Erschwingliches Wohnen für alle ist sowohl für die wirtschaftliche Stabilität als auch für das Wirtschaftswachstum von großer Bedeutung … Grant Shapps, konservativer britischer Wohnungsbauminister, erklärte im Mai 2011 gegenüber der British Home Builders Federation, dass „die Ankurbelung des Wohnungsbaus wesentlich ist, um das Wirtschaftswachstum zu beschleunigen“. Es dürfte deshalb nicht überraschen, dass mit dem Abflachen des Wirtschaftswachstums in Großbritannien eine zunehmende Wohnungsnot zu beobachten ist. In Großbritannien stieg die Zahl der Haushalte mit knappem Wohnraum von 526 000 im Jahr 2006 auf 630 000 im Jahr 2010. Es gibt 10 000 Obdachlosenhaushalte, und diese Zahl nimmt stetig zu. 50 000 Familien leben derweil in Behelfsunterkünften. Verschlimmernd kommt hinzu, dass das Wohnangebot im Zeitraum der Haushaltsüberprüfung durch die Koalition, die sich bis März 2015 erstrecken wird, erschreckend weit hinter der Nachfrage zurückbleiben dürfte. Die Regierung hat erklärt, dass sie innerhalb von vier Jahren für 170 000 neue erschwingliche Wohnungen sorgen wird. Der Obdachlosenverein Shelter schätzt, dass mindestens 97 000 erschwingliche Wohnungen jährlich geschaffen werden müssen, um mit dem steigenden Bedarf Schritt zu halten. Wir müssten also in diesen vier Jahren rund 400 000 neue erschwingliche Wohnungen bauen; wir werden aber bestenfalls auf 170 000 kommen, was das soziale Problem von Wohnraumknappheit und Obdachlosigkeit noch weiter verschärfen wird. In Wirklichkeit erscheint sogar die Zahl 170 000 zu hoch gegriffen angesichts der zugesagten Haushaltausgaben. Ich erkenne durchaus an, dass der Zusammenhang zwischen diesen Statistiken und dem Wachstum komplex und indirekt ist. Außer Frage steht aber auch, dass diese offenkundigen Missstände auf dem britischen Wohnungsmarkt wie ein Bremsklotz auf das Wirtschaftswachstum wirken werden.

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Bewohner, Familien und Alleinstehende, die unter unangemessenen Wohnraumbedingungen mit den damit verbundenen emotionalen und sozialen Belastungen leben, haben es wirklich schwer, mit der Arbeitswelt in Berührung zu bleiben. Aber auch bei jenen, die diese Hürden überwinden und Arbeit finden, führen diese Benachteiligungen in ihrem Leben unweigerlich dazu, dass sie in der Arbeitwelt weniger gut zurechtkommen. Auf der Jahreskonferenz der Europäischen Föderation der Bau- und Holzarbeiter, der Dachgewerkschaft für den Bausektor, habe ich ein Video gezeigt und dazu erklärt, dass wir allein in Großbritannien in den nächsten vier Jahren rund 400 000 nachhaltige und erschwingliche Wohnungen bauen müssten. Stellen Sie sich vor, wir würden das schaffen – wie sähen die Folgen für die Gesellschaft und die Wirtschaft aus? Nun, es gäbe 400 000 Wohnungen, in denen man gesünder und sicherer leben kann und die noch dazu eine bessere Umweltleistung aufweisen. Der Markt wäre um 400 000 Haushalte größer, die Kühlschränke, Waschmaschinen, Teppiche und Möbel kaufen – all die Dinge, die eine Familie heutzutage fürs Leben braucht –, wodurch in der gesamten Wirtschaft ein Nachfragesprung entstünde. Dadurch würden nicht nur Zehntausende Arbeitsplätze in der Baubranche geschaffen, sondern indirekt auch in vielen anderen Wirtschaftsbereichen. Und vor allem wären diese Jobs gut für die Umwelt, weil die neuen Wohnungen und die ganzen Geräte, die man in einem neuen Haushalt nötig hat, Nachhaltigkeitskriterien entsprechen müssen. Chancen für mehr grüne Arbeitsplätze bietet auch die Energiesanierung von Sozialwohnungen. Das Problem ist, dass die makroökonomische Politik der EU ganz und gar auf Schulden- und Defizitabbau, Haushaltskonsolidierung und Sparmaßnahmen ausgerichtet ist. Obwohl sinkende Wachstumsraten bereits die Alarmglocken schrillen lassen, macht man weiter wie gehabt. Diese fragwürdige Borniertheit lässt keinen Raum für die Art vernünftiger öffentlicher Investitionen, wie ich sie beschrieben habe.

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ERSCHWINGLICHES WOHNEN FÜR ALLE ZUR FÖRDERUNG DER WIRTSCHAFTLICHEN STABILITÄT

Die S&D-Fraktion im Europäischen Parlament hat unter meiner Leitung einen wohldurchdachten Alternativvorschlag vorgelegt. Darin wird ein Beschäftigungs- und Wachstumspakt gefordert, der einen Spielraum für öffentliche Investitionen angemessenen Umfangs und für die Verringerung von Schulden und Defiziten über einen vernünftigeren Zeitraum ermöglicht. Darin werden die gemeinschaftliche Verwaltung von Staatsschulden und die Ausgabe von Euroanleihen befürwortet. Darin plädieren wir für eine Finanztransaktionssteuer (FTT) und andere Maßnahmen auf der Einnahmeseite der Bilanz. Und wir unterstreichen die Notwendigkeit strengerer Finanzvorschriften. Die Bereitstellung erschwinglicher Wohnungen hat offenkundige Folgen für Wachstum und Beschäftigung, ist jedoch gleichzeitig auch wichtig für die wirtschaftliche Stabilität. Klare Beispiele für das Risiko von Instabilitäten und Funktionsstörungen sind die Immobilienblasen, die in Irland, Großbritannien, Spanien, Frankreich und Italien im Vorfeld der Finanzkrise entstanden und auf spektakuläre Weise platzten, als die Krise da war. Das Gleich- bzw. Ungleichgewicht auf den Wohnungsmärkten wird deshalb jetzt als einer der Indikatoren im neuen Frühwarn-Barometer zur Überwachung makroökonomischer Ungleichgewichte, einem wichtigen Aspekt des neuen Europäischen Semesters, berücksichtigt. Der Vorschlag der Europäischen Kommission zum Barometer war übrigens nur einer der sechs makroökonomischen Vorschläge, die wir als S&D-Fraktion bei der Abstimmung im Europäischen Parlament gänzlich unterstützen konnten und die auf der ausgezeichneten Arbeit der sozialdemokratischen Berichterstatterin, Elisa Ferreira, beruhen, der es allen Widrigkeiten zum Trotz gelungen ist, eine Reihe von realen und nominalen Indikatoren in den Text einzubringen, z. B. Armut, Beschäftigung und Arbeitslosigkeit. Kurz zusammengefasst: Erschwingliches Wohnen für alle ist sowohl für die wirtschaftliche Stabilität als auch das Wirtschaftswachstum essenziell.

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Weiterführende Literatur Internationale Mieterallianz (IUT): Der Fall Niederlande Mieter wehren sich gegen die gesenkte Einkommensgrenze für Sozialwohnungen in den Niederlanden. Im Internet unter www.ikwilookwonen.nl Die Entscheidung der Europäischen Kommission, wonach sozialer Wohnraum klar definierten Zielgruppen – also benachteiligten Bürgern oder sozial schwachen Gruppen – vorzubehalten ist, wird vom niederländischen Mieterverband Nederlandse Woonbond scharf kritisiert. Im März 2011 lancierte der Woonbond das Internetportal www.ikwilookwonen.nl für Menschen, die aufgrund der gesenkten Einkommensgrenze, die die niederländische Regierung infolge der Entscheidung der Europäischen Kommission eingeführt hatte, keine erschwinglichen Wohnungen mehr finden können. Haushalte mit einem Bruttoeinkommen zwischen 34 085 EUR (Inflationsindex Stand 2012) und 43 000 EUR haben nicht länger Zugang zum günstigen Wohnraum der niederländischen Wohnungsgenossenschaften. Der private Mietwohnungsmarkt ist zu teuer, und der Erwerb von Wohneigentum scheidet ebenfalls aus, da diese Bevölkerungsgruppe für die Aufnahme von Hypotheken nicht ausreichend kreditwürdig ist. Im Februar 2012 wurden 4 000 einschlägige Klagen niederländischer Bürger auf der Website veröffentlicht und der niederländischen Innenministerin Liesbeth Spies übergeben, in deren Ressort das soziale Wohnungswesen fällt. Die Ministerin versprach den Woonbond-Aktivisten, in Brüssel vorzusprechen und mit der Europäischen Kommission über eine höhere Einkommensgrenze für die Sozialwohnungen in den Niederlanden zu verhandeln. Rückendeckung erhält der Woonbond von den Wohngenossenschaften, dem niederländischen Gemeindeverband und den vier Großstädten Amsterdam, Den Haag, Rotterdam und Utrecht.

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ERSCHWINGLICHES WOHNEN FÜR ALLE ZUR FÖRDERUNG DER WIRTSCHAFTLICHEN STABILITÄT

Einen weiteren Wegabschnitt in dieser Angelegenheit markierte die Entschließung des Europäischen Parlaments vom November 2011 über die Reform der EU-Beihilfevorschriften über Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse. Darin dringt das Europäische Parlament darauf, dass öffentliche Dienstleistungen eine hohe Qualität haben und allen Gruppen der Bevölkerung zugänglich sein müssen; kritisiert wird die restriktive Haltung der Europäischen Kommission im Fall der Niederlande, die im Widerspruch zu den übergeordneten Zielen der sozialen Durchmischung und des allgemeinen Zugangs zu erschwinglichen Sozialwohnungen stehe. Die IUT ist eine Nichtregierungsorganisation, die 1926 in Zürich (Schweiz) gegründet wurde mit dem Ziel, die Interessen der Mieter zu schützen und die Bereitstellung erschwinglicher, gesunder Mitwohnungen in der ganzen Welt zu fördern. Die Allianz übt eine beratende Funktion beim Wirtschaftsund Sozialrat der Vereinten Nationen und beim Komitee für Wohnungswirtschaft und Raumordnung der Wirtschaftskommission für Europa (ECE) aus.

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Bessere Regierungsführung zur Förderung des erschwinglichen Wohnens für alle

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BESSERE REGIERUNGSFÜHRUNG ZUR FÖRDERUNG DES ERSCHWINGLICHEN WOHNENS FÜR ALLE

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Die Mitgliedstaaten sollten gewährleisten, dass die informellen Sitzungen der für das Wohnungswesen zuständigen Minister weiterhin als Forum für den Informationsaustausch und die Verbesserung des Verständnisses der nationalen Maßnahmen und Gegebenheiten dienen können, aber auch für die Festlegung von Positionen zu Themen, die einen maßgeblichen Einfluss auf die nationalen Wohnungspolitik – insbesondere ihre Finanzierung – ausüben.

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Eurostat sollte damit beauftragt werden, angesichts der Bedeutung des Wohnraums für das Alltagsleben der EU-Bürgerinnen und -bürger ein spezifisches Eurobarometer über Wohnbedingungen und -preise zu erstellen; außerdem sollten die wohnungsbezogenen Eurostat-Indikatoren der sozialen Integration (Preis, Qualität) regelmäßig veröffentlicht werden, um die Fortschritte auf diesem Gebiet zu bewerten und sie durch regionale und lokale Statistiken zu ergänzen.

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Soziale Innovation sollte durch die EU-Plattform zur Bekämpfung der Armut, welche Teil der Europa-2020-Strategie ist, sowie durch das neue Rahmenprogramm für Forschung und Innovation Horizon 2020 zur Erprobung neuer Formen der Steuerung von Maßnahmen unterstützt werden, mit dem Ziel, den Zugang zu Wohnraum zu verbessern und die Obdachlosigkeit zu bekämpfen.

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Die Intergruppe „Stadtentwicklung/Wohnungsbau“ des Europäischen Parlaments sollte regelmäßige Sitzungen mit dem Ausschuss der Regionen bezüglich der Wohnungsdimension der EU-Politikbereiche, insbesondere der Städtepolitik, abhalten.

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Claire Roumet Generalsekretärin von CECODHAS Housing Europe (Europäischer Verbindungsausschuss zur Koordinierung der sozialen Wohnungswirtschaft)

Claire Roumet absolvierte ihr Wirtschaftsstudium sowie ihr Postgraduiertenstudium in europäischer Politik am Institut d’études politiques (IEP) in Straßburg. Danach arbeitete sie zunächst für die Europäische Frauenlobby, ein im Gebiet der Frauenrechte tätiges EU-Netzwerk, und später als Expertin für Sozialwirtschaft und Entwicklung des europäischen dritten Sektors für die Europäische Kommission. Zurzeit ist sie Generalsekretärin des CECODHAS. Der Ausschuss, ein Netzwerk nationaler und regionaler Sozialwohnungsverbände, das 4 500 öffentliche und ehrenamtliche Wohnungsbauverbände sowie 28 000 Wohnungsbaugenossenschaften zusammenfasst, arbeitet an einem Europa, welches den Zugang zu würdigen und erschwinglichen Wohnungen für alle im Rahmen von sozial, wirtschaftlich und ökologisch nachhaltigen Gemeinschaften erstrebt und es jedem ermöglicht, sein volles Potenzial zu verwirklichen.

Die Regelungen zur Wohnungspolitik sind so mannigfaltig, wie Länder, Regionen und Wohnungsanbieter es nur sein können. All diese unterschiedlichen, von der Geschichte und örtlichen Besonderheiten geprägten Systeme zur Bereitstellung erschwinglichen Wohnraums aber werden auf verschiedene Weisen durch politische Maßnahmen der EU beeinflusst … Betrachten wir den sozialen Wohnungsbau als gutes Beispiel für die europäische Integration; er ist langsam, wird aber Jahr für Jahr weitergeführt. Interessant ist, dass er möglicherweise neue Chancen und viel günstigere Bedingungen schafft, als wir vielleicht glauben. Aber wir werden sehen, dass in diesem europäischen Projekt, um das jeden Tag erneut gerungen werden muss und in dem die gemeinsame Bereitstellung von Dienstleistungen und die gemeinsame Erarbeitung politischer Maßnahmen nicht der aktuell üblichen demokratischen Kultur entsprechen, einiges erst noch erreicht werden muss.

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BESSERE REGIERUNGSFÜHRUNG ZUR FÖRDERUNG DES ERSCHWINGLICHEN WOHNENS FÜR ALLE

Wie also wirken Wohnungspolitik und EU-Politik auf allen Steuerungsstufen zusammen: in den einzelnen Projekten, auf städtischer Ebene, auf regionaler Ebene und in den Ministerien? Dies ist keine vollständige Auflistung ihrer Schnittstellen, sondern veranschaulicht lediglich, welche politischen Entwicklungen zurzeit in Brüssel heiß diskutiert werden. In den einzelnen Projekten des sozialen Wohnungsbaus: Die EU-Bestimmungen für staatliche Beihilfen greifen, wenn ein Anbieter öffentliche Fördermittel erhält und dies sich möglicherweise auf den Wettbewerb mit anderen Beteiligten auswirkt. Seit dem Monti-Kroes-Gesetzgebungspaket 2005 zählen soziale Wohnungsbauprojekte zu den Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse; somit müssen die erhaltenen staatlichen Beihilfen nicht gemeldet werden. Die Meldung darf jedoch nur dann ausbleiben, wenn die betreffende Maßnahme des sozialen Wohnungsbaus speziell auf schwächere Bevölkerungsgruppen ausgerichtet ist. Die verschiedenen Systeme des sozialen Wohnungsbaus wurden vor Jahrzehnten gemäß den unterschiedlichen sozialstaatlichen Modellen ausgestaltet, was dazu führte, dass manche Systeme umfassend und andere nur für bestimmte Zielgruppen konzipiert sind. Daher wurden einige Systeme des sozialen Wohnungsbaus nicht als Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse anerkannt, und es kam zu den Fällen der Niederlande und Schwedens, in denen der Staat die Vergabekriterien ändern bzw. im Fall Schwedens die staatliche Förderung für den sozialen Wohnungsbau ganz einstellen musste. Auf städtischer Ebene: Die neuesten Vorschläge der EU zur Energieeffizienz (Energieeffizienz-Richtlinie) können sich stark auf die Haushaltsausgaben lokaler Gebietskörperschaften auswirken, da die Kommission in ihrem Vorschlag eine Renovierungspflicht für 3 % der Gebäude in öffentlicher Hand pro Jahr vorsieht. Wohnraum in öffentlicher Hand wäre von dieser Auflage betroffen, sodass hier beachtliche Investitionen notwendig werden könnten. Über diesen Vorschlag beraten derzeit noch das Europäische Parlament und der Rat; das Endergebnis ist noch nicht abzusehen, aber es wird sicherlich Folgen für diesen Bereich haben.

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EINE EUROPÄISCHE AGENDA FÜR DEN SOZIALEN WOHNUNGSBAU

Auf regionaler Ebene hingegen bietet sich durch die EU möglicherweise ein sehr interessanter Blickwinkel an, unter dem der Wohnungsbau als Teil der für den territorialen Zusammenhalt und ein ökologisches Wachstum benötigten Infrastruktur betrachtet wird. Vor allem stuft die Kommission in ihren Vorschlägen zur künftigen Kohäsionspolitik 2014-2020 Wohnungsbauinvestitionen als zuschussfähige Ausgaben ein, was einen kompletten Paradigmenwechsel darstellt (denn zuvor kannte der Europäische Fonds für regionale Entwicklung, EFRE, nur zwei Arten von Ausgaben, die nicht zuschussfähig waren: Ausgaben im Nuklearbereich und im Wohnungsbau). Insbesondere die Wohnungssanierung steht ganz oben auf der Tagesordnung, da mindestens 20 % der EFRE-Mittel für erneuerbare Energien und Energieeffizienz veranschlagt sind; was aber noch darüber hinausgeht: zum ersten Mal wird der Wohnungsbau als wichtiger Bestandteil der sozialen Infrastruktur betrachtet, und die Verbesserung der Lebensumstände ist ein Hauptziel der Kohäsionspolitik. Schließlich zur einzelstaatlichen Wohnungspolitik. Hier hat die Krise zu einer so nicht absehbaren Entwicklung geführt. Ungleichgewichte auf dem Wohnungsmarkt standen und stehen sicherlich im Mittelpunkt der Finanz- und Wirtschaftskrise. Die Schuldenkrise ist hier ein Aspekt, aber auch andere makroökonomische Ungleichgewichte müssen beseitigt werden, wenn wir den Weg zu einem nachhaltigen Wachstum ebnen möchten. Wohnraum ist für allzu viele europäische Haushalte unbezahlbar geworden, die Privatverschuldung hat ein unerträgliches Ausmaß erreicht, die Wohnungsmärkte sind spekulativ und erfüllen den Bedarf nicht, und zwar nicht nur am unteren Ende des Marktspektrums, sondern für einen Großteil der Bedürfnisse. Zu diesem Schluss kam auch die Kommission. Gemäß ihren Vorschlägen für eine verstärkte Wirtschaftsüberwachung wird einer der zehn Indikatoren die Preise für Wohnraum betreffen; die Mitgliedstaaten werden angeben müssen, mit welchen politischen Maßnahmen sie funktionierende Wohnungsmärkte gewährleisten, und die Kommission wird beurteilen, ob die vorgeschlagenen Lösungen angemessen und ausreichend sind. Die gute Nachricht ist, dass die Kommission offenkundig erkannt hat, dass das Angebot an Wohnraum breiter gefächert und stark vergrößert werden muss, in den meisten Ländern zusammen mit einer Reform der steuerlichen Anreize zu Wohneigentum. Endlich wird also eingesehen, dass mehr in den sozialen Wohnungsbau und in erschwinglichen Wohnraum investiert werden muss, nicht nur für die Menschen, für die wir uns schon die ganze Zeit einsetzen, sondern auch als Mittel für ein stabiles Wirtschaftswachstum.

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BESSERE REGIERUNGSFÜHRUNG ZUR FÖRDERUNG DES ERSCHWINGLICHEN WOHNENS FÜR ALLE

Wie der Ausschuss der Regionen in seinem im Oktober verabschiedeten Initiativbericht „Für eine europäische Agenda für den sozialen Wohnungsbau“ ausführte, wirken sich noch mehr politische Maßnahmen unmittelbar auf die Wohnungspolitik aus. Wir haben also noch einige politische Arbeit zu erledigen! CECODHAS Housing Europe als Verband für öffentlichen, genossenschaftlichen und sozialen Wohnungsbau ist ein Netz nationaler und regionaler Vereinigungen des sozialen Wohnungsbaus, in dem 4 500 öffentliche und durch Freiwilligenarbeit getragene Wohnungsverbände und 28 000 Wohnungsbaugenossenschaften zusammengeschlossen sind. Zusammen verwalten die 45 Mitglieder in 19 EU-Mitgliedstaaten 25 Millionen Wohnungen. Die Mitglieder von CECODHAS arbeiten zusammen für ein Europa, in dem jeder Zugang zu menschenwürdigem und erschwinglichem Wohnraum hat, dessen Gemeinden sozial, wirtschaftlich und ökologisch nachhaltig sind und in dem es allen ermöglicht wird, ihre Möglichkeiten voll auszuschöpfen.

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EINE EUROPÄISCHE AGENDA FÜR DEN SOZIALEN WOHNUNGSBAU

Erschwingliches Wohnen für alle zur Förderung der sozialen Integration

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ERSCHWINGLICHES WOHNEN FÜR ALLE ZUR FÖRDERUNG DER SOZIALEN INTEGRATION

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Das EU-Ziel der Verringerung der Armut bis 2020 verlangt von den Mitgliedstaaten und Gebietskörperschaften ehrgeizige Umsetzungsprogramme.

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Das Wohnungswesen sollte zu einer Säule dieser Programme gemacht und durch Investitionen und Maßnahmen flankiert werden, die das Angebot an erschwinglichen und angemessenen Wohnungen – sowohl in Eigentum als auch in Miete – erhöhen.

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Unangemessene Wohnbedingungen haben einen bedeutenden Einfluss auf die Gesundheit. Durch eine höhere Wohnqualität können negative Gesundheitsfolgen einer überbelegten, zu feuchten, kalten und stickigen Wohnung verhindert werden. Fehlender Wohnraum verursacht Stress und Unwohlsein, was die Lebensqualität, die Gesundheit und das Wohlergehen von Einzelnen, Familien und der Gesellschaft beeinträchtigt.

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Für das Problem der Obdachlosigkeit muss dringend eine Lösung gefunden werden, und insofern sollten alle sich auf die Obdachlosigkeit auswirkenden Maßnahmen auf koordinierte Weise umgesetzt werden.

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Es sollten differenzierte Wohnlösungen entwickelt werden, um auf die zunehmend unterschiedlichen Bedürfnissen zu reagieren und eine Option als Überbrückung zwischen Mieten und privatem Wohneigentum anzubieten, z. B. Genossenschaften, Miteigentum oder land trust communities; die Mitgliedstaaten sind dazu aufgefordert, die lokalen und regionalen Gebietskörperschaften dabei zu unterstützen, ein vielfältiges Angebot aufrechtzuerhalten und auszubauen und dabei die Mechanismen zu erwägen, die erforderlich sind, um die bestehenden Wohnungen zu renovieren, ohne den Zugang zu Eigentum zulasten des Zugangs zu anderen Wohnformen zu begünstigen.

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Es ist wichtig, die Entmischung von Wohngebieten durch stadtplanerische und sozialpolitische Maßnahmen zu verhindern und zu vermindern.

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Schließlich ist es notwendig, nicht nur die Möglichkeit der Mobilisierung der EU-Strukturfondsmittel für die Unterbringung sozialer Randgruppen im nächsten Programmzeitraum beizubehalten, da diese Maßnahme dazu dient, menschenunwürdigen Wohnraum zu beseitigen, sondern auch die EU-Strukturfonds (ESF/EFRE) besser zu integrieren, um die nachhaltige Entwicklung benachteiligter Viertel zu fördern. Die Sanierung der Viertel darf nicht immer zu einer Gentrifizierung führen, und Programme zur sozialen Durchmischung sollten umgesetzt werden, um den sozialen Zusammenhalt zu gewährleisten.

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EINE EUROPÄISCHE AGENDA FÜR DEN SOZIALEN WOHNUNGSBAU

Barbara Steenbergen studierte Politikwissenschaft an der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn und schloss 1995 mit einem Magister Artium ab. Von 1995 bis 2001 arbeitete sie in einem Regionalrat in Nordrhein-Westfalen. Von 2001 bis 2007 war sie Leiterin des Büros des Präsidenten und Koordinatorin für Energiepolitik und internationale Angelegenheiten des Deutschen Mieterbunds e. V. in Berlin. Seit 2007 ist sie Leiterin des EU-Verbindungsbüros der Internationalen Mieterallianz (IUT – International Union of Tenants) in Brüssel. Seit 2009 ist sie ebenfalls stellvertretende Vorsitzende des European Housing Forum (EHF). Barbara Steenbergen Leiterin des Brüsseler Verbindungsbüros der Internationalen Mieterallianz (IUT)

Das Recht auf angemessenen und qualitativ hochwertigen Wohnraum zu bezahlbaren Preisen ist ein Fundamentalrecht und sollte in den Verfassungen der EU-Mitgliedstaaten verankert werden und ein Grundprinzip des sozialen Europas sein. Es muss auch Teil der EU-Verfassung werden. Soziale Grundrechte sind für die Akzeptanz der Europäischen Union wichtig …

Die Wohnung ist für jeden Menschen von größter Bedeutung. Sie ist Lebensmittelpunkt und Ausgangspunkt der sozialen Kontakte der Menschen. Sie darf nicht auf ihre Funktion als Wirtschaftsgut reduziert werden. Die Wohnung ist auch immer Sozialgut. Obdachlosigkeit ist eine der krassesten Formen der sozialen Ausgrenzung. In Europa sind die Kosten für Wohnen und Energie der größte Ausgabenfaktor der privaten Haushalte. Im Durchschnitt müssen 30 % des Einkommens für Wohnkosten ausgegeben werden. In Haushalten mit einem geringen Einkommen, insbesondere bei Alleinerziehenden mit Kindern, sind es bis zu 40 %. Durch überhöhte Mieten und permanente Mietpreissteigerungen kommt es zur massiven Umverteilung von Einkommen von unten nach oben. 16 % der Bevölkerung Europas, d. h. 78 Millionen Menschen, sind von Armut bedroht.

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ERSCHWINGLICHES WOHNEN FÜR ALLE ZUR FÖRDERUNG DER SOZIALEN INTEGRATION

Eine gerechte Wohnungspolitik fördert das Wohnen im Eigentum, in Genossenschaften und zur Miete in gleicher Weise und stellt die Bedürfnisse der Bewohner in den Mittelpunkt. Wichtig ist die Freiheit, zwischen den verschiedenen Wohnformen wählen zu können. Diese Wahl ist nicht gegeben. In nahezu allen europäischen Staaten wird das Wohneigentum einseitig gefördert. Der Mieterschutz und die Verankerung eines sozialen Mietrechtes sind die zentralen Punkte, wenn es wirklich Wahlfreiheit auf den Wohnungsmärkten geben soll. In vielen Ländern, insbesondere in Mittel- und Osteuropa, ist die rechtliche Situation der Mieter sehr schwach. Hier können die west- und nordeuropäischen Länder Hilfestellung beim Rechtsrahmen geben. Die einseitige Förderung des Eigentums führt zur Verknappung im Bereich des Mietwohnungsbaus. Der Mangel an bezahlbarem Mietwohnraum, insbesondere in den europäischen Hauptstädten, den Wirtschaftszentren und den Universitäten, ist ein Problem das massiv zur Verarmung der unteren und mittleren Einkommensgruppen beiträgt. In den nordeuropäischen Staaten ist der Anteil der öffentlichen Mietwohnungen, wesentlicher höher. Die süd- und osteuropäischen Staaten sind dagegen klassische Wohneigentums-Staaten. In Spanien beträgt der Anteil der Wohneigentümer 78 %. Das „eiserne Gesetz des Wohnungsmarkts“ besagt, dass schwache Gruppen in minderwertigem, starke Gruppen dagegen in hochwertigem Wohnraum leben. Erstes Merkmal der schwachen Gruppen sind ein unregelmäßiges Einkommen und befristete, unsichere Arbeitsverträge. Insbesondere junge Menschen zählen zu den schwächsten Gruppen auf dem Wohnungsmarkt. Wir brauchen eine neue Förderung des sozialen Wohnungsbaus speziell für junge Menschen. 51 Millionen, fast die Hälfte (46 %) aller jungen Menschen in der EU lebt noch bei ihren Eltern. Die Internationale Mieterallianz (IUT) schlägt konkrete Maßnahmen zur Verbesserung der Wohnsituation von jungen Menschen vor (Lesen Sie weiter auf Seite 36).

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EINE EUROPÄISCHE AGENDA FÜR DEN SOZIALEN WOHNUNGSBAU

Gentrifizierung ist eine neue Bedrohung für Haushalte mit geringem und mittlerem Einkommen, die in den Stadtzentren wohnen. In vielen Fällen startet der Gentrifizierungsprozess mit der energetischen Sanierung. In 21 Ländern der Europäischen Union und der Beitrittskandidaten können die Kosten ganz oder teilweise auf die Mieter umgelegt werden. Energieeffizientes Wohnen darf nicht zum Privileg der Reichen werden. Öffentliche Förderung muss drei Zielen dienen: Investitionssicherheit und Verlässlichkeit für den Vermieter, Bezahlbarkeit für Mieter durch Preisbindung und Mindestgarantie der Warmmietenneutralität nach Sanierung. Entscheidendes Merkmal einer sozialen Stadt ist die Schaffung und Sicherung von bezahlbarem und angemessenem Wohnraum in lebendigen und sicheren Quartieren. Ein Ziel unserer Europapolitik ist, dass Wohnungspolitik als wesentlicher Pfeiler der Kohäsionspolitik anerkannt wird. Europäische Strukturförderung, wie im Europäischen Sozialfonds (ESF) oder im Europäischen Fonds für Regionale Entwicklung (EFRE), muss auf die Verbesserung der Lebensqualität in den Wohnquartieren zugeschnitten werden. Öffentliche Wohnungsbauunternehmen, die nicht profitorientiert, sondern bewohnerorientiert handeln, sind wesentliche Akteure der sozialen Stadtentwicklung. EU-Förderprogramme sind neu zu zentrieren – für mehr Investitionen in unsere Stadtbezirke und Viertel. Die Privatisierung und Kapitalisierung der öffentlichen Wohnungsbestände ist eine Gefahr, die europaweit zunimmt. Finanzinstrumente (z. B. Real Estate Investment Trusts), die den Handel mit großen Wohnungsbeständen vereinfachen und so der Spekulation Vorschub leisten, müssen streng reguliert werden und für den residenziellen Sektor ausgeschlossen werden.

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ERSCHWINGLICHES WOHNEN FÜR ALLE ZUR FÖRDERUNG DER SOZIALEN INTEGRATION

Wohnungspolitik ist in der alleinigen Kompetenz der EU-Mitgliedstaaten. Im Rahmen des Subsidiaritätsprinzips muss dies auch in Zukunft so bleiben. Wesentlich für einen ausgeglichenen Wohnungsmarkt ist es, dass ausreichend bezahlbarer Wohnraum zur Verfügung gestellt wird. Dies muss auch weiterhin im Rahmen der sozialen Wohnraumförderung garantiert werden. Wir treten für eine weit gefasste Definition des Begriffes „sozialer Wohnungsbau“ ein. EU-Binnenmarktregelungen müssen Besonderheiten der nationalen Systeme der Förderung des sozialen Wohnungsbaus respektieren. Sie verbleiben in nationaler Zuständigkeit. Für die EU-Kommission soll sozialer Wohnungsbau auf eine klar eingegrenzte Zielgruppe der benachteiligten Haushalte beschränkt werden. Diese Entscheidung, bezogen auf eine Klage gegen die Niederlande, verstößt gegen das Subsidiaritätsprinzip. Die IUT spricht sich massiv gegen diese Entscheidung aus. Wenn sozialer Wohnungsbau ausschließlich auf die ärmsten Haushalte konzentriert werden muss, wird der Sektor marginalisiert. Soziale und ökonomische Segregation und eine Stigmatisierung der Mieter werden die Folgen sein. Wir brauchen einen „new deal for affordable housing“. Der Wohnungs- und Bausektor ist einer der größten Sektoren in Europa. Er ist ebenfalls eine Schlüsselindustrie, wenn es um den nachhaltigen Wirtschaftsaufschwung geht. Die Förderung von Investitionen in bezahlbaren Wohnraum und lebenswerte Stadtviertel ist ein Weg aus der Krise. Soziale Stadtentwicklung muss der Verbesserung der Lebensbedingungen dienen und die Bedürfnisse der Bewohner respektieren. Soziale Stadtentwicklung ist das geeignete Instrument, um Ungleichgewicht und Instabilität, die durch Segregation entstehen, zu verhindern. Die zukünftige EU-Strukturförderung muss zielgerichtet dafür eingesetzt werden, die Ghettos zu bekämpfen und stabile Quartiere mit bezahlbarem Wohnraum zu schaffen.

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EINE EUROPÄISCHE AGENDA FÜR DEN SOZIALEN WOHNUNGSBAU

„Es muss eine europäische Richtlinie zum Wohnungsbau entwickelt werden. Diese sollte den sozialen Wohnungsbau vom marktwirtschaftlichen Bereich ausklammern und den Zugang zu angemessenem Wohnraum und Wohnbedingungen verbessern, insbesondere für Studenten, junge Arbeitnehmer und weniger begünstigte, besonders von Armut betroffene Gruppen, wie zum Beispiel benachteiligte und ältere Personen. Dem Thema Obdachlosigkeit sollte durch Betreuung, Gewährleistung von Grundkompetenzen sowie durch die Förderung von gesellschaftlicher Integration mehr Aufmerksamkeit geschenkt werden.“

Kaisa Penny Präsidentin von ECOSY, Europäische Jungsozialisten

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Weiterführende Literatur Internationale Mieterallianz (IUT) Erschwingliche Mietwohnungen für junge Menschen – jetzt ermöglichen! Politische Empfehlungen zur Stärkung der Position junger Menschen auf dem Wohnungsmarkt Empfehlung 1: Anerkennung des Rechts auf Wohnung als grundlegendes Menschenrecht Das Recht auf angemessenes Wohnen ist eine Voraussetzung für die Ausübung der meisten anderen grundlegenden Menschenrechte. Wohnen ist Grundrecht und soziales Gut; es muss daher ein Bestandteil der nationalen Verfassungen und des Vertrags von Lissabon sein. Insbesondere in den neuen Mitgliedstaaten, den mittel- und osteuropäischen Staaten und den Kandidatenländern für einen Beitritt zur EU müssen die Grundrechte von unabhängigen Einrichtungen beobachtet und überwacht werden, etwa von dem für Justiz und Grundrechte zuständigen Mitglied der Europäischen Kommission und dem Kommissar für Menschenrechte des Europarats. Obgleich in Artikel 31 der revidierten Europäischen Sozialcharta ausdrücklich das Recht auf Wohnung geschützt wird und die Staaten dazu angehalten werden, den Zugang zu Wohnraum zu fördern, ist sie derzeit nur für diejenigen verbindlich, die sie ratifiziert haben (bislang 31 Staaten). Das Recht auf Wohnen durchsetzbar zu machen reicht nicht aus, da es nicht mit der tatsächlichen Zunahme des Angebots an erschwinglichem Wohnraum einhergeht, wie dies eigentlich der Fall sein sollte. Empfehlung 2: Gewährleistung der Sozialwohnungsgesetze und Stärkung der Mieterrechte durch die Mitgliedstaaten Erste Voraussetzung für gleiche Bedingungen für Eigentümer, Nutzer und Mieter von Wohnungen und deren Gleichstellung ist die Umsetzung eines Gesetzes über Sozialwohnungen. Die Mitgliedstaaten sollten eine Sozialwohnungsgesetzgebung und Wohnsicherheit garantieren und die Mieterrechte stärken. Wohnsicherheit kann das Wirtschaftswachstum erhöhen, Ungleichheiten beseitigen und die Armut in Entwicklungsländern verringern. Darüber hinaus bietet sie Möglichkeiten für Investitionen und Vermögenserwerb. Wohnsicherheit ist mehr als nur ein wirtschaftlicher Vorteil. Sie ist auch eine Quelle von Identität, Status und politischem Einfluss und dient als Grundlage für die Geltendmachung und den Erwerb weiterer Rechte.

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Empfehlung 3: Entgegenwirken der durch Energiesanierung verursachten Gentrifizierung Die soziale Dimension einer tragfähigen nationalen und EU-weiten Finanzierungspolitik für energieeffizientes Renovieren ist für Mieter von zentraler Bedeutung. In 21 Ländern der Europäischen Union und der Beitrittsländer können Eigentümer und Vermieter alle oder einen Teil der Renovierungskosten auf die Mieter abwälzen. In vielen Fällen führen Mieterhöhungen zu einer Gentrifizierung, im Zuge derer einkommensschwache Haushalte gezwungen sind, nach der Renovierung aus ihren Wohnungen auszuziehen. Nimmt der Vermieter öffentliche Mittel (Beihilfen oder Darlehen) für Energierenovierungen in Anspruch, dürfen diese Kosten nicht auf die Mieter abgewälzt werden. Empfehlung 4: Förderung einer vom Wohnbesitzverhältnis unabhängigen Wohnungspolitik Die Wohnungspolitik der meisten EU-Mitgliedstaaten begünstigt derzeit das Wohneigentum, hauptsächlich durch steuerliche Anreize. Dies hat zu steigenden Preisen, insbesondere in boomenden Regionen, und zu einem unzureichenden Angebot an erschwinglichem Mietwohnraum geführt. In Zeiten einer Wirtschaftskrise wäre es sinnvoll, in erschwingliche Mietwohnungen zu investieren, da dies mehr Arbeitsplätze als andere Bauinvestitionen schafft. Jede nationale Wohnpolitik sollte die Wahlfreiheit der Verbraucher auf dem Markt unterstützen. Deshalb sollten Wohneigentum, genossenschaftliches Wohnen und Wohnen in Miete rechtlich gleichgestellt werden und dieselben Finanzhilfen der öffentlichen Hand erhalten – es darf nicht zu einer Marginalisierung des Mietsektors kommen. Maßnahmen zur Förderung des Wohneigentums gehen zu Lasten junger Erwachsener. Auf der Grundlage von Daten der OECD zum Marktanteil des von Eigentümern bewohnten Wohnraums in der EU-15 (OECD 2004/1) konnte ein deutlicher Zusammenhang festgestellt werden zwischen dem Anteil der Wohnungen in Privateigentum und dem Anteil junger Erwachsener, die bei ihren Eltern leben. Ein zehnprozentiger Anstieg des eigentümergenutzten Wohnraums bedeutet einen ca. vierprozentigen Anstieg der Zahl der bei den Eltern lebenden jungen Menschen. Gerade nach der Hypothekenkrise bedarf es eines diversifizierten Wohnungsangebots, um den Haushalten im mittleren und niedrigen Einkommenssegment, darunter zumeist junge Menschen, eine Wohnalternative zu bieten und eine integrative städtische Umwelt zu fördern.

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Empfehlung 5: Bau einer ausreichenden Zahl erschwinglicher Mietwohnungen in allen Gebieten und Erhöhung des Angebots insbesondere in boomenden Regionen und Universitätsstädten In Zeiten der Kredit-, Schulden- und Euro-Krise verlagert sich die Wohnungsnachfrage von teurem zu erschwinglichem Wohnraum und von eigentümergenutzen zu gemieteten Wohnungen. Die meisten Regierungen handeln jedoch entgegengesetzt: Sie spornen die Anbieter von Sozialwohnungen dazu an, ihren Wohnungsbestand zu verkaufen, und fördern eine Politik der Eigentümernutzung, was eine Ausbreitung der Finanzkrise bewirken und noch mehr Probleme auf den Wohnungsmärkten verursachen wird. Der Markt kann sich nicht selbst regulieren und hat keine soziale oder integrative Dimension, weshalb Investitionen in erschwinglichen Wohnraum als öffentliche Verantwortung, öffentliches Gut und öffentliche Dienstleistung erachtet werden sollten. Da das Wohnen in Miete für die städtischen Armen eine wichtige Option ist, wird die Begrenzung des Mietwohnraums zur vermehrten Entstehung von Armenvierteln sowie dazu führen, dass Wohnungen unangemessen bzw. überbelegt sind. Deshalb muss die Erhöhung des Angebots an erschwinglichen Wohnungen eine unabdingbare Voraussetzung sein, insbesondere in boomenden Regionen und Universitätsstädten, in denen die Konzentration junger Menschen besonders hoch ist. Empfehlung 6: Mehr Vorrang für junge Mieter in den nationalen Wohnungsvergabesystemen Das eiserne Gesetz des Wohnungsmarkts zeigt, dass junge Menschen hauptsächlich den schwachen Bevölkerungsgruppen angehören. Befristete Arbeitsplätze, plötzliche Entlassungen, unregelmäßige Einkommen und geringe Sozialleistungen kennzeichnen einen Haushalt als „schwach“. Schwächere Gruppen leben in minderwertigem Wohnraum, stärkere Gruppen dagegen in hochwertigem. Da der Ausschluss junger Menschen aus dem Wohnungsmarkt die intellektuelle Kapazität der EU, den Wohlfahrtsstaat und die Wirtschaft beeinträchtigen wird, sollten die Mitgliedstaaten nationale Wohnungspolitiken für junge Menschen einführen, um jungen Erwachsenen zu helfen, die Kaution zu zahlen und im Falle von Zahlungsverzug die Miete zu garantieren.

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Empfehlung 7: Verstärkte Förderung von Sozialwohnungen für junge Menschen und mehr hochwertige Wohnungen für Studierende Aufgrund des Vergabesystems und der Wartelisten werden junge Menschen derzeit in fast allen EU-Mitgliedstaaten aus dem Sozialwohnungssektor ausgeschlossen. Da sie aber die mobilste Gruppe der Gesellschaft bilden, ist es von entscheidender Bedeutung, diese Abläufe zu verstehen, um bessere Maßnahmen zur Unterstützung der Menschen bei ihrer ersten Wohnungssuche ergreifen zu können. Bei den lokalen und regionalen Vergabesystemen ist es wichtig, dass die Prioritäten nicht nur durch Wartelisten oder den Zeitpunkt der Antragstellung festgelegt werden, sondern dass ein erheblicher Anteil des städtischen Wohnungsbestandes für junge Mieter vorgesehen wird. Empfehlung 8: Mehr erschwingliche Mietwohnungen, die auf die Bedürfnisse junger Menschen ausgerichtet sind Bei der Nachfrage nach erschwinglichen Mietwohnungen für junge Menschen sollten Sozialwohnungen eine immer bedeutendere Rolle spielen, auch wenn dadurch ggf. Unterkünfte umgebaut (z. B. Anpassung der Größe an Einpersonenhaushalte oder kleine Haushalte) und die Vergabe von Sozialwohnungen und die Mietverträge flexibler gehandhabt werden müssen. Junge Menschen aus dem Sozialwohnungssektor auszuschließen oder die Vergabe von Sozialwohnungen auf die ärmsten Schichten zu beschränken, würde der gesellschaftlichen Vielfalt zuwiderlaufen. Empfehlung 9: Verwendung leerstehender Häuser und Umwandlung leerstehender Büroräume und Wohnungen in Unterkünfte für junge Menschen Obgleich in ganz Europa erschwingliche Unterkünfte fehlen, gibt es außerordentlich viele leerstehende Häuser und Büroräume. In Spanien beispielsweise gibt es fast 1,2 Millionen leerstehende Häuser, dennoch leben über 60 % der jungen Erwachsenen aufgrund des Mangels an erschwinglichen Unterkünften immer noch bei ihren Eltern. Eine Lösung könnte darin bestehen, die leerstehenden Häuser in Gebrauch zu nehmen und den Hausbesitzern Anreize zu bieten, damit diese die Unterkünfte zu einem sozialen Preis statt zu den Marktpreisen vermieten und sich als Gegenleistung sicher sein können, dass die Miete jeden Monat gezahlt wird. Um dem derzeitigen Mangel entgegenzuwirken, könnten außerdem leerstehende Büroräume in Sozialwohnungen für junge Menschen umgewandelt werden.

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Empfehlung 10: Stabile Finanzierung für den Wohnungsbau durch nationale Wohnungsbauprogramme für junge Menschen und einkommensabhängige Wohnzuschüsse Eine wirksame Lösung für den derzeitigen Mangel an erschwinglichen Mietwohnungen in der EU könnte der Bau von Mietwohnungen sein, gefördert durch zinsgünstige Darlehen mit staatlichen Garantien. Die Mitgliedstaaten sollten dringend in Betracht ziehen, nationale Wohnungsbauprogramme für junge Menschen ins Leben zu rufen und Anreize für Wohnungsverbände zu schaffen, damit es zu einer Vergrößerung des verfügbaren Wohnbestands kommt. Notwendig sind darüber hinaus auch einkommensabhängige Wohnzuschüsse zur Unterstützung junger Menschen beim Umzug in ihre eigenen vier Wände. Um die Wohnausgaben bedürftiger Haushalte zu senken, sollten außerdem auch Fördermittel ein fester Bestandteil des Sozialschutzes sein. Eine Eigentumswohnung kommt für junge Menschen nicht in Frage, da sie aufgrund ihrer unsicheren finanziellen Lage (Kurzzeitverträge, Niedriglöhne usw.) keine Hypothek aufnehmen können. Auch staatliche Zuschüsse oder Steuerbefreiungen könnten in Erwägung gezogen werden, da junge Menschen über keine Ersparnisse, kein gesichertes Einkommen und keine Arbeit verfügen. Empfehlung 11: Erweiterung der Wohnbauvorhaben im nächsten Programmplanungszeitraum der Kohäsionspolitik 2014-2020 und Senkung der hohen Energiekosten für Mieter und Bewohner Mit der Verordnung (EG) 397/2009 zur Änderung der EFRE-Verordnung (EG) 1080/2006 sind seit Mai 2009 4 % der aus dem EFRE zugewiesenen Finanzmittel zur Verbesserung der Energieeffizienz von Wohngebäuden vorgesehen. Insgesamt sind das für den Zeitraum 2007-2013 etwa 8 Mrd. EUR für alle Mitgliedstaaten. Der Schwerpunkt des EFRE sollte auf dem sozialen Zusammenhalt liegen, und die Mitgliedstaaten sollten bei der Definition von Wohnungsbauprojekten über einen großen Spielraum verfügen. Dieses letzte Kriterium ist für die europäische Dimension der EFRE-Fördermittel im Bereich des Wohnungsbaus von entscheidender Bedeutung. Die Zuständigkeit für die Wohnungspolitik bleibt bei den Mitgliedstaaten. EU-Ausgaben sollten auf Maßnahmen beschränkt werden, die im Einklang mit dem Subsidiaritätsprinzip, den Grundsätzen der Verhältnismäßigkeit und der Solidarität stehen und einen europäischen Mehrwert bringen. Die Finanzierung von Maßnahmen für mehr Energieeffizienz im vorhandenen Wohnungsbestand ist wirtschaftlich, ökologisch und gesellschaftlich gesehen eines der besten Beispiele für die Schaffung eines europäischen Mehrwerts.

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EINE EUROPÄISCHE AGENDA FÜR DEN SOZIALEN WOHNUNGSBAU

Der Europäische Fonds für regionale Entwicklung (EFRE) und der Europäische Sozialfonds (ESF) sollten auf den Wohnungsbau ausgedehnt werden und nationale Wohnungsbauprogramme mitfinanzieren. Die Europäische Kommission, das Europäische Parlament und der Ministerrat der EU sollten sicherstellen, dass diese Finanzierungsmöglichkeiten im nächsten Strukturfondszeitraum 2014-2020 ausgeweitet werden. Auch die Europäische Investitionsbank (EIB) sollte Zuschüsse und Darlehen für nationale Sozialwohnungsprojekte gewähren. Schließlich sollte der Europäische Sozialfonds mit etwa 20 Mrd. EUR, die unter anderem auch in die Verbesserung der sozialen Integration in Europa fließen, dafür eingesetzt werden, allen Bürgerinnen und Bürgern ein Dach über dem Kopf zu garantieren. Fazit Eines der Ziele der Strategie Europa 2020 ist, die Armut in der Europäischen Union bis 2020 um 20 % zu senken. Die hohen Wohnkosten stehen dabei in engem Zusammenhang mit Armut und sozialer Ausgrenzung. So können anhaltende Schwierigkeiten bei der Rückzahlung einer Hypothek oder der Zahlung der Miete zu Umzug oder Obdachlosigkeit führen, was eine noch größere Nachfrage nach erschwinglichen Unterkünften zur Folge hätte. Bei Unterkünften für junge Menschen gibt es drei Hauptkriterien: Qualität, Erschwinglichkeit und Verfügbarkeit der Unterkünfte. Von diesen drei Kriterien ist die Verfügbarkeit das Hauptproblem. In ganz Europa ist es für Menschen mit Niedrigeinkommen schwierig, eine gute, hochwertige Unterkunft zu finden, da die Wartelisten für Sozialwohnungen lang sind. Die EU sollte daher sicherstellen, dass im Rahmen der Wohnungspolitik der Mitgliedstaaten Anreize für Anbieter von Unterkünften geschaffen werden, damit der Sozialwohnungsbestand im eigenen Land vergrößert wird. Die Bereitstellung von Unterkünften für junge Menschen ist ausschlaggebend für eine integrative und sozialere Gesellschaft. Weiterführende Informationen zur IUT finden Sie auf Seite 23.

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ERSCHWINGLICHES WOHNEN FÜR ALLE ZUR FÖRDERUNG DER SOZIALEN INTEGRATION

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EINE EUROPÄISCHE AGENDA FÜR DEN SOZIALEN WOHNUNGSBAU

Intelligentes Wachstum zur Förderung des erschwinglichen Wohnens für alle

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INTELLIGENTES WACHSTUM ZUR FÖRDERUNG DES ERSCHWINGLICHEN WOHNENS FÜR ALLE

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Es gibt eine steigende Nachfrage nach Sozialwohnungen in allen Alters- und Bevölkerungsgruppen, und zugleich wächst die Belastung der lokalen und regionalen Gebietskörperschaften in dem Bestreben, den Bedürfnissen der unterschiedlichen sozialen Gruppen zu entsprechen. Daher ist es dringend nötig, dass entsprechende Dienste entwickelt werden, die den Erfordernissen einer alternden Bevölkerung gerecht werden und eng auf die Bedürfnisse dieser Bevölkerungsgruppe abgestimmt sind sowie technisch und wirtschaftlich leistbar sind. Da ältere Menschen in allen europäischen Ländern rasch verarmen, sollte in der neuen europäischen Innovationspartnerschaft „Aktives und gesundes Altern“, die die einschlägigen Forschungsanstrengungen koordiniert, ein gesondertes Kapitel aufgenommen werden, in dem es vor allem darum gehen sollte, erschwingliche Lösungen zu entwickeln, damit ältere Menschen so lange wie möglich in ihren Wohnungen verbleiben können. Die Verbesserung der Barrierefreiheit der bestehenden Wohnungen ist eine vernünftige und machbare Möglichkeit, um diesen Unterstützungsbedarf zu verringern und das Verbleiben der Menschen in ihren Wohnungen zu fördern und ihre Wiedereingliederung in das soziale Leben zu erleichtern, indem bessere Voraussetzungen für ihre Selbstständigkeit geschaffen werden.

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Die Bürger müssen in den Mittelpunkt von Pilotprojekten zur Entwicklung von Zukunftsstädten (smart cities) gestellt werden, wobei der Aspekt der sozialen Integration berücksichtigt, die Beteiligung der Nutzer an diesen Projekten gefördert und ihre Rolle als Protagonisten bei der Umgestaltung der Städte – die den sozialen Zusammenhalt gewährleisten müssen, um Nachhaltigkeit zu erreichen – anerkannt werden müssen.

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Es sind umfassendere Programme notwendig, um die Nutzer stärker an Passivhaustechnologien zu beteiligen. Über die technologische Forschung hinaus sollten derartige Programme mit EU-Mitteln gefördert werden, um die Nutzer bzw. Verbraucher zu sensibilisieren und ihnen Rechnung zu tragen.

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Die Fortschritte in der Informationstechnologie und der IT-basierten Pflege (Telecare) sollten die Unterstützung älterer und behinderter Menschen in ihrer Wohnung garantieren.

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EINE EUROPÄISCHE AGENDA FÜR DEN SOZIALEN WOHNUNGSBAU

Walter Blachfellner wurde 1952 in Werfen geboren. Im Zeitraum von 1970 bis 2011 arbeitete er bei der Österreichischen Post- und Telegraphenverwaltung. Seine politische Laufbahn begann er 1982 in der Gewerkschaft der Postbediensteten. 1989 wurde er oberster Postgewerkschafter des Landes. 1996 übernahm Blachfellner den Vorsitz des Österreichischen Gewerkschaftsbundes (ÖGB) Salzburg und damit die Verantwortung für 80 000 Gewerkschaftsmitglieder und mehr als 200 000 Beschäftigte im Land. Seit April 2001 gehört Walter Blachfellner der Salzburger Landesregierung an. Er ist derzeit für die Ressorts Wohnbauförderung, Raumordnung, Umweltschutz und Gewerbeangelegenheiten verantwortlich. Walter Blachfellner Landesrat der Salzburger Landesregierung, verantwortlich für Wohnbauförderung (Österreich)

Leistbarer und lebenswerter Wohnraum ist ein Grundbedürfnis jedes EU-Bürgers. Daher ist es Aufgabe der EU-Politiker, diese Verantwortung wahrzunehmen und Rahmenbedingungen zu schaffen, um dieses Ziel zu erreichen. Jedem EU-Bürger soll der Zugang zu angemessenen Lebens- und Wohnbedingungen gewährt werden, um eine umfassende gesellschaftliche Teilnahme zu ermöglichen und die Grundrechte eines jeden sicherzustellen …

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INTELLIGENTES WACHSTUM ZUR FÖRDERUNG DES ERSCHWINGLICHEN WOHNENS FÜR ALLE

Als ich 2004 das Wohnbauressort im Bundesland Salzburg übernommen habe, war es mein oberstes Ziel, den Menschen lebenswertes und leistbares Wohnen in einer gesunden Umwelt zur Verfügung zu stellen. So wurde im Jahr 2006 mit Gründung des Landeswohnbaufonds die gesamte Finanzierung umgestellt. Anstelle der Banken vergibt nun das Land sowohl den Käufern von Eigentumswohnungen wie auch dem Gemeinnützigen Wohnbauträgern im Mietwohnbereich zinsgünstige Darlehen, die alle wieder in den Fonds zurück fließen. Seit seiner Einführung im Jahr 2006 werden jährlich rund 270 Mio. EUR in den Wohnbau für Neubau und Sanierung investiert. Als Vergleich dient uns das Jahr 2004. Damals wurden 193 Mio. EUR in den geförderten Wohnbau investiert. Hätte ich die Einführung des Landeswohnbaufonds 2006 nicht zustande gebracht, würden jährlich 110 Mio. EUR weniger zur Verfügung stehen – das sind 800 Wohnungen, die pro Jahr weniger gebaut werden könnten und 2 600 Arbeitsplätze in der Baubranche. Der Salzburger Landeswohnbaufonds ist ein Finanzierungsmodell für den Wohnbau. Der Fonds ist in dieser Form in Österreich einzigartig. Der Fonds gewährt für Neubau und Sanierung hohe Förderungsdarlehen – bei einer stabilen und niedrigen Verzinsung. Keine Bank kann so niedrige Zinsen bieten wie der Landeswohnbaufonds! Rund 270 Mio. EUR werden pro Jahr in den Wohnbau investiert. Das entspricht 2 100 geförderten neuen Einheiten! Außerdem werden über den Landeswohnbaufonds jährlich rund 9 000 Arbeitsplätze in der heimischen Baubranche gesichert bzw. geschaffen. Damit ist der Landeswohnbaufonds größter Arbeitgeber im Bundesland Salzburg. Rechtliche Grundlagen Seit dem 1. Januar 2006 stellt der Salzburger Landeswohnbaufonds sämtliche Förderungen für den Wohnbau im Bundesland Salzburg bereit. Der Fonds hat eigene Rechtspersönlichkeit. Dahinter steht das Land Salzburg, es haftet für sämtliche Verbindlichkeiten. Die Geschäftsführung ist in der Wohnbauförderungsabteilung des Landes eingerichtet.

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EINE EUROPÄISCHE AGENDA FÜR DEN SOZIALEN WOHNUNGSBAU

Konzept des Landeswohnbaufonds Das Land Salzburg bekommt für den Landeswohnbaufonds am Kapitalmarkt Geld zu Bedingungen, die keine Bank gewähren kann. Die Mittel schüttet der Landeswohnbaufonds in Form von verzinslichen Förderungsdarlehen an die Förderwerber aus. Die Förderwerber zahlen ihre Schulden aus Förderungen mit einer bestimmten Laufzeit zurück. Der Landeswohnbaufonds fördert auch die frühzeitige Rückzahlung von Schulden, die vor 2006 aufgenommen wurden. Von dieser Rückzahlaktion alter Förderungen profitieren beide Seiten: Der Förderwerber zahlt seine Schulden schneller zurück und bekommt dafür bis zu 50 % seiner Schulden erlassen. Der Wohnbaufonds erhält dafür die Mittel schneller und zu einem höheren Wert als nach Ablauf der Laufzeit zurück. 2010 betrug diese Rückzahlungsrate 36 Mio. EUR oder 280 zusätzliche Wohneinheiten. Nach 25 bis 30 Jahren will der Landeswohnbaufonds seine Förderungstätigkeit ohne externe Finanzmittel aufrechterhalten. In vielen Bereichen leben wir auf Kosten der nächsten Generationen – einer der wenigen Bereiche, wo wir der nächsten Generation sagen können: „Hier haben wir Geld für Euch auch noch in 20 und 30 Jahren!“ ist der geförderte Wohnbau in Salzburg.

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INTELLIGENTES WACHSTUM ZUR FÖRDERUNG DES ERSCHWINGLICHEN WOHNENS FÜR ALLE

„Die europäischen Institutionen sind in Bezug auf den sozialen Wohnungsbau noch zu diskret. Es ist an der Zeit, dass Europa seine Absichten öffentlich kundtut und den Bürgerinnen und Bürgern deutlich macht, welche Maßnahmen zur Förderung von erschwinglichem Wohnraum ergriffen werden, sowohl in Bezug auf die Mieten als auch die Nebenkosten. Ich für meinen Teil sehe zwei Möglichkeiten, um den Maßnahmen der Europäischen Union mehr Gewicht zu verleihen. Die erste ist die Kohäsionspolitik 2014-2020 und die Bedeutung, die darin der thermischen Sanierung von Gebäuden, dem Zugang benachteiligter Bevölkerungsgruppen zu bezahlbaren Wohnungen, der Entwicklung sozialer Infrastrukturen in den Regionen und der Förderung der Sanierung von Stadtvierteln mit besonderen Problemen beigemessen wird. Die zweite ist eine wirkungsvollere Steuerung der Euro-Zone und die Bereitschaft der Kommission und des Europäischen Rates, ein Überwachungs- und Frühwarnsystem zur Vorbeugung von Immobilienblasen einzuführen, die nicht nur die Stabilität der Euro-Zone ins Wanken bringen, sondern auch den sozialen und territorialen Kohäsionszielen der EU zuwiderlaufen.

Thierry Repentin Präsident der Union Sociale pour l‘Habitat (Verband des sozialen Wohnungsbaus), Senator (PS) für Savoyen (Frankreich)

Diese Möglichkeiten können und müssen wir nutzen. Damit das Grundrecht auf ein menschenwürdiges, bezahlbares Wohnen zur Realität wird.“

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EINE EUROPÄISCHE AGENDA FÜR DEN SOZIALEN WOHNUNGSBAU

Energieeffizientes Wohnen für alle zur Förderung der ökologischen Nachhaltigkeit

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ENERGIEEFFIZIENTES WOHNEN FÜR ALLE ZUR FÖRDERUNG DER ÖKOLOGISCHEN NACHHALTIGKEIT

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Der Wohnungssektor ist für 40 % der Treibhausgasemissionen verantwortlich und stellt somit einen vorrangigen Bereich bei der Bekämpfung des Klimawandels dar. Zur Erfüllung dieser Ziele ist es grundlegend, die über 30 Jahre alten Wohnungen zu renovieren, deren Anteil in einigen Regionen bei über 70 % des Gesamtwohnungsbestands liegt. Durch die Energiesanierung von vier Wohnungen wird das Äquivalent eines Arbeitsplatzes geschaffen, und deshalb hat dieser Sektor signifikante positive strukturelle Auswirkungen auf Beschäftigung, Wirtschaftswachstum und Umwelt auf lokaler Ebene.

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Die Vorschriften über die Förderung mit EU-Strukturfondsmitteln für die Energiesanierung von Wohnungen im Rahmen des sozialen Zusammenhalts sollten beibehalten werden, was jeder Region mehr Flexibilität hinsichtlich der Höhe der hierfür vorgesehenen Mittel verleiht. Bei der Nutzung der Strukturfonds muss das Partnerschaftsprinzip voll zur Anwendung kommen, und die Mitgliedstaaten müssen ermuntert werden, mit den lokalen und regionalen Gebietskörperschaften zusammenzuarbeiten, um Prioritäten zu setzen und zu bestimmen, wie die Mittel aus den Fonds verwendet werden.

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Das Europäische Parlament und den Rat müssen sicherstellen, dass sich die Verpflichtungen zur Reduzierung des Energieverbrauchs und der Energieprekarität positiv auf benachteiligte Haushalte auswirken und dass Maßnahmen zur Sanierungsförderung insbesondere darauf ausgerichtet sind, die Energiearmut zu verringern, indem spezifische nationale oder regionale Fonds eingerichtet werden.

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Die Programme für technische Hilfe wie ELENA (Erarbeitung lokaler Energieeffizienzpläne) oder spezifische Fonds wie JESSICA (Fonds für integrierte Stadtentwicklung mit Mitteln aus den Strukturfonds) sind zwei wesentliche Instrumente zur Umsetzung des (vom Ausschuss der Regionen mitinitiierten) Bürgermeisterkonvents und sollten im nächsten Programmplanungszeitrum fortgeführt und erweitert werden.

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EINE EUROPÄISCHE AGENDA FÜR DEN SOZIALEN WOHNUNGSBAU

„Ein wichtiger Aspekt der schwedischen Wohnungspolitik besteht darin, dass jeder die Gelegenheit haben sollte, eine hochwertige und erschwingliche Wohnung zu erhalten. Deshalb gibt es keine speziellen Wohnungen für Arme in Malmö. Niemand sollte aus der Adresse schließen können, ob dort eine arme, reiche oder etwa drogenabhängige Person wohnt. Aus diesem Grund sind die Wohnungen von Armen, die von Sozialhilfe leben, quer über die Stadt und alle Stadtviertel verteilt.“

Ilmar Reepalu Mitglied der SPE-Fraktion im Ausschuss der Regionen und Bürgermeister von Malmö (Schweden)

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ENERGIEEFFIZIENTES WOHNEN FÜR ALLE ZUR FÖRDERUNG DER ÖKOLOGISCHEN NACHHALTIGKEIT

Carina Nilsson wurde 1959 in Malmö geboren. Nach Abschluss ihrer Ausbildung zur Beschäftigungstherapeutin und Pflegepädagogin arbeitete sie von 1980 bis 1992 als Beschäftigungstherapeutin für die Gemeinde und den Kreis. Von 1993 bis 2008 war sie Beauftragte für öffentliche Gesundheit im Universitätskrankenhaus Malmö (UMAS). Sie war von 1995 bis 1997 Mitglied des Kreisrats und gehört seit 1998 dem Gemeinderat an. Seit 2006 ist sie Mitglied des Stadtrats. 2008 erwarb sie einen Masterabschluss in öffentlicher Gesundheit. Im gleichen Jahr wurde sie stellvertretende Bürgermeisterin, zunächst für Kultur und Freizeit und später für Wohlfahrt und Pflege zuständig. Seit 2010 ist sie Vorsitzende des Ausschusses für Sozialressourcen. Carina Nilsson Stellvertretende Bürgermeisterin von Malmö (Schweden)

In Malmö arbeiten wir mit voller Kraft an der so genannten nachhaltigen Stadtentwicklung. Diese verfügt über die drei Dimensionen der ökologischen, wirtschaftlichen und sozialen Nachhaltigkeit … Ökologische Nachhaltigkeit Malmö ist ein weltweit führendes Beispiel für nachhaltiges Bauen. Der Stadtteil Västra Hamnen mit Raum für Wohnen, Arbeiten und Bildung ist aus der Wohnungsmesse Bo01 hervorgegangen. In diesem neu entstandenen Stadtteil geht moderne Architektur mit ökologischer Nachhaltigkeit einher. Der Stadtteil wird mit 100 % lokal gewonnener Energie aus erneuerbaren Energieträgern versorgt: Solarenergie, Wind- und Wasserkraft einschließlich der aus dem Abfall des Viertels gewonnenen Energie. Vermeidung und möglichst dauerhafte Wiederverwendung und Verwertung gehören zu den zentralen Konzepten des Projekts Bo01. Seit der Wohnmesse ist in Västra Hamnen ein Bauboom festzustellen. Mehrere Gebäude wurden mit angesehenen Architekturpreisen ausgezeichnet, nicht zuletzt das neue Wahrzeichen der Stadt und höchste Wohngebäude Schwedens, der Turning Torso.

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EINE EUROPÄISCHE AGENDA FÜR DEN SOZIALEN WOHNUNGSBAU

Soziale Nachhaltigkeit Malmö steht vor der großen Herausforderung, die Kluft in der Gesundheit von Menschen mit guten Lebensbedingungen und denen, die nicht über solche verfügen, abzubauen. Dabei liegt der Fokus auf sozialer Nachhaltigkeit. Diese Herausforderung teilt Malmö mit dem Rest der Welt. Allein in Malmö, einer Stadt mit 300 000 Einwohnern, beträgt der Unterschied in der Lebenserwartung je nach Stadtviertel bis zu acht Jahren. Deshalb ist es wichtig, die Gentrifizierung durch Stadtplanung und sozialpolitische Maßnahmen zu verhindern bzw. ihr entgegenzuwirken. Wirtschaftliche Nachhaltigkeit Aus diesen Gründen ist es von zentraler Bedeutung, dass ein neues Viertel wie Västra Hamnen für alle Einwohner Malmös gebaut wird und für alle erschwinglich ist. Die schwedische Wohnungspolitik verfolgt seit Mitte des 20. Jahrhunderts das Ziel, allen die Möglichkeit zu geben, entsprechenden, hochwertigen Wohnraum zu angemessenen Kosten zu mieten. Das bedeutet, dass sich die Aufgaben der gemeinnützigen Wohnungsunternehmen in Schweden – im Gegensatz zu vielen anderen Ländern – nicht auf den so genannten sozialen Wohnungsbau für Einkommensschwache beschränken. Deshalb gibt es in Schweden auch keine Anlagen mit ausschließlich Sozialwohnungen. Gleichzeitig ist das kommunale Wohnungsunternehmen in Malmö MKB mit seinem Bestand von 22 000 Wohnungen auch der größte Vermieter. MKB trägt deshalb natürlich besondere Verantwortung für den Wohnungsmarkt in Malmö und für eine aktive Mitwirkung an der Stadtentwicklung. Ein wichtiger Ausgangspunkt unserer Wohnungspolitik liegt darin, dass wir keine besonderen Wohnungsunternehmen oder Wohnanlagen für Einkommensschwache haben wollen. Niemand soll aufgrund der Adresse feststellen können, ob jemand arm, reich, drogenabhängig usw. ist. Vielmehr sollen alle Zugang zu Miete zu gleichen Bedingungen haben.

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ENERGIEEFFIZIENTES WOHNEN FÜR ALLE ZUR FÖRDERUNG DER ÖKOLOGISCHEN NACHHALTIGKEIT

Soziales Wohnen in Västra Hamnen Es ist für uns extrem wichtig, dass in unseren neuen Wohngebieten sowohl Mietwohnungen als auch Eigentumswohnungen gebaut werden. Es sollten aber auch andere soziale Dienste eingerichtet werden. In Västra Hamnen gibt es deshalb Einrichtungen sowohl für betreutes Wohnen als auch für Menschen mit Behinderungen. Wir verfügen ebenfalls über verschiedene Sozialwohnungen, die auf die verschiedenen Gebäude verteilt sind. Die Sozialdienste kommen so lange für die Miete auf, bis die Bewohner selbst übernehmen können. Wir werden im Herbst 2012 eine Übergangsunterkunft für obdachlose, mindestens seit sechs Monaten drogenfreie Alleinstehende und Paare eröffnen. Außerdem verfügen wir über eine Unterkunft für unbegleitete minderjährige Flüchtlinge. Mehr über weitere wohnungspolitische Maßnahmen Wir müssen natürlich auf breiter Front tätig sein, wenn wir der Gentrifizierung entgegenwirken und dafür sorgen wollen, dass alle Einwohner Malmös Zugang zu angemessenem Wohnraum haben und die Obdachlosigkeit bekämpft wird. In Malmö wurde unlängst wieder eine kommunale Wohnraumvermittlung eingeführt, der auch private Immobilienbesitzer leerstehenden Wohnraum zur Vermittlung melden können. Die Wohnraumvermittlung erfolgt nach absolut transparenten Kriterien: Wohnungssuchende mit der längsten Wartezeit und die den Anforderungen des Vermieters entsprechen, bekommen den Zuschlag für die Wohnung, für die sie sich interessieren. Malmö hat sich mit den Immobilieneigentümern auch darauf geeinigt, Sozialhilfe als Einkommen zum Zweck der Anmietung einer Wohnung zu betrachten. Dies ist besonders für Familien, die langfristig Sozialleistungen beziehen, von großem Vorteil. In Schweden kann auch ein besonderes Wohngeld (Mietzuschuss) beantragt werden, dessen Höhe von verschiedenen Faktoren abhängt: Höhe des Einkommens, Höhe der Miete, Größe der Wohnung und von der Anzahl der im Haushalt lebenden Kinder.

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EINE EUROPÄISCHE AGENDA FÜR DEN SOZIALEN WOHNUNGSBAU

Wir haben jüngst auch begonnen, mit dem „Housing First“-Ansatz zu arbeiten, der vielen von Ihnen bekannt sein dürfte. Dabei geht es um die Grundüberzeugung, dass Menschen ihr Leben erst dann ändern und drogenfrei werden können, wenn sie einen festen Bezugspunkt in Gestalt einer „eigenen“ Wohnung haben. Ein Großteil der Arbeit mit obdachlosen Suchtkranken basierte zuvor darauf, dass zuerst der Missbrauch abgestellt werden musste, bevor eine Wohnung zugewiesen werden konnte. Nun versuchen wir, den Blickwinkel zu ändern. Wir fangen damit zunächst in kleinem Umfang an und werden dieses Verfahren allmählich ausweiten, wenn es gut funktioniert. Weiterführende Literatur: Energieeffizienz im sozialen Wohnungsbau: das CASH-Projekt Das CASH-Projekt wird im Rahmen von URBACT durchgeführt, einem europäischen Austausch- und Lernprogramm zur Förderung einer nachhaltigen Stadtentwicklung. URBACT wird über den Europäischen Fonds für regionale Entwicklung (EFRE) und von den Mitgliedstaaten finanziert. Energieeffizienz im sozialen Wohnungsbau ist ein Thema mit vielen Facetten, das neben finanziellen und technischen Aspekten auch rechtliche, kulturelle und organisatorische Aspekte umfasst. Über das CASH-Projekt sollen neue Lösungen vorgeschlagen und neue Maßnahmen für eine nachhaltige Sanierung von Sozialwohnungen und erschwinglichen Wohnungen in der Europäischen Union gefördert werden. Insgesamt soll der Energieverbrauch von und in Gebäuden durch eine bessere Energieeffizienz und verantwortliches Nutzerverhalten gesenkt werden. Die meisten Sozialwohnungen kommen allmählich in die Jahre und erfüllen nur einen niedrigen Umweltstandard. Gleichzeitig fehlt es an Erfahrung und Fachwissen im Bereich der nachhaltigen Gebäudesanierung. Dieses Manko soll durch das CASH-Projekt behoben werden.

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ENERGIEEFFIZIENTES WOHNEN FÜR ALLE ZUR FÖRDERUNG DER ÖKOLOGISCHEN NACHHALTIGKEIT

CASH besteht aus einem Netzwerk mit elf Partnern (zehn Städte und eine Region) unter der Leitung und Koordination der Stadt Echirolles (Frankreich): Utrecht (Niederlande), Tatabánya (Ungarn), Sønderborg (Dänemark), Les Mureaux und Echirolles (Frankreich), die Region Rhône-Alpes (Frankreich), Brindisi (Italien), Bridgend (UK), Frankfurt am Main (Deutschland), Jambol (Bulgarien) und Ptolemaida (Griechenland). Federführender Partner des Projekts ist Echirolles. CASH lief im November 2009 an und endet im Januar 2013. Als Ergebnisse sind bislang zu nennen: das erste CASH-Minihandbuch zur technologischen Entwicklung und die Baseline Study, eine ausführliche Analyse der Themen, die im Rahmen von CASH in Europa und in allen Partnerstädten behandelt werden. Mehr über das Projekt erfahren Sie auf der CASH-Website unter folgender Adresse: http://urbact.eu/en/Projekts/low-carbon-urban-environments/cash/our-Projekt

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TEIL II Bestimmungen zum sozialen Wohnungsbau in der EU: Erfahrungen vor Ort


EINE EUROPÄISCHE AGENDA FÜR DEN SOZIALEN WOHNUNGSBAU

BELGIEN Überblick über die Strategien zum sozialen Wohnungsbau in Belgien Der soziale Wohnungsbau liegt in Belgien seit 1980 in der Zuständigkeit der Regionen. Jede der drei Regionen (Brüssel-Hauptstadt, Wallonien, Flandern) hat ihr eigenes Wohnungsgesetzbuch, in dem das Recht auf Wohnung festgelegt sowie Begriff und Umfang des sozialen Wohnungsbaus definiert werden. Der soziale Wohnungsbau macht durchschnittlich etwa 7 % des Gesamtwohnungsbestands in Belgien aus, wobei von Region zu Region Unterschiede bestehen (etwa 6 % in Flandern und in Wallonien, 8 % in Brüssel). Der soziale Wohnungsbau wird im Wesentlichen aus den Haushalten der Regionen finanziert; die Höhe der Miete ist, anders als in den meisten übrigen europäischen Ländern, abhängig vom Einkommen der Mieter. Es ist erwähnenswert, dass es sozialen Wohnungsbau in Belgien in Wallonien und Flandern sowohl zur Miete als auch zum Verkauf, in der Region Brüssel jedoch nur zur Miete gibt. Am sozialen Wohnungsbau in Belgien sind mehrere Akteure beteiligt. Jede Region hat ihre eigene öffentliche Wohnungsgesellschaft (Société du Logement de la Région de Bruxelles-Capitale, Vlaamse Maatschappij voor Sociaal Wonen und Société Wallonne du Logement in Brüssel, Flandern bzw. Wallonien), die für die Leitung und Finanzierung des sozialen Wohnungsbaus zuständig ist und als Zwischenglied zwischen der Regionalregierung und den lokalen Wohnungsbauorganisationen fungiert. Letztere arbeiten auch eng mit den Kommunen und anderen lokalen Behörden zusammen. Am sozialen Wohnungsbau beteiligt ist auch der wallonische Wohnungsfonds (Fond du Logement de la Wallonie, FLW), dessen Aufgabe hauptsächlich darin besteht, günstige Immobilienkredite für sozial schwache Haushalte bereitzustellen, Wohnobjekte in Privatbesitz, die als Sozialwohnungen vermietet werden sollen, zu kaufen bzw. zu renovieren und die Arbeit mehrerer gemeinnütziger Verbände, die als Dienstleister im Wohnungsbau tätig sind, zu koordinieren. Zudem sind „soziale Vermietungsbüros“ als Vermittler zwischen privaten Vermietern und Bewerbern um eine Sozialwohnung tätig, indem sie Wohnungen auf dem privaten Markt anmieten und Menschen, die dringend eine Unterkunft brauchen, zur Verfügung stellen.

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BESTIMMUNGEN ZUM SOZIALEN WOHNUNGSBAU IN DER EU: ERFAHRUNGEN VOR ORT

In der Stadtregion Brüssel-Hauptstadt, in der der Wohnungsmarkt sehr angespannt ist, besteht ein großer Bedarf an angemessenem Wohnraum zu erschwinglichen Preisen. Um dieser Herausforderung zu begegnen, wurden die finanziellen Mittel für den sozialen Wohnungsbau in den letzten Jahren deutlich aufgestockt und in erheblichem Maße in Bau-, Renovierungs- und Instandhaltungsmaßnahmen investiert. Ebenfalls zur Bewältigung der Wohnungsnot beigetragen haben die Mobilisierung von privaten Ressourcen und der erfolgreiche Abschluss von öffentlich-privaten Partnerschaften in der Stadterneuerung und bei Neubauprojekten. Zudem wurden soziale Aktionspläne beschlossen, die die Entwicklung von Projekten für den sozialen Zusammenhalt und die Einrichtung einer Stelle zur Unterstützung von Mietern in Sozialwohnungen umfassen.

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EINE EUROPÄISCHE AGENDA FÜR DEN SOZIALEN WOHNUNGSBAU

Ein Beispiel von einem Mitglied der SPE-Fraktion im Ausschuss der Regionen Vorstellung von RBDH RBDH/BBRoW ist ein zweisprachiger gemeinnütziger Verband (asbl) von ca. 50 Vereinen, die das Recht auf Wohnraum in Brüssel verteidigen und sich für den Zugang zu hochwertigem Wohnraum zu erschwinglichem Preis einsetzen. Es sollen zwei von Mitgliedsvereinen des RBDH initiierte Projekte vorgestellt werden, die wegen ihrer Neuartigkeit – und weil sie zu bewährten Verfahren führen können – besonders bemerkenswert sind. Alain Hutchinson Mitglied des Parlaments der Region BrüsselHauptstadt (Belgien)

Zwei von Vereinen durchgeführte Projekte für Integration durch Wohnen: 1. Projekt „L’Espoir“ Kurz zusammengefasst 14 einkommensschwache Haushalte haben sich über einen Zeitraum von fünf Jahren intensiv dafür eingesetzt, das Projekt eines Immobilienkaufs im Brüsseler Stadtteil Molenbeek erfolgreich abzuschließen.

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BESTIMMUNGEN ZUM SOZIALEN WOHNUNGSBAU IN DER EU: ERFAHRUNGEN VOR ORT

Das Projekt ist unter mehreren Gesichtspunkten innovativ: — Einkommensschwache Haushalte erhalten Zugang zu Eigentum, — die Bewohner haben sich bei der Durchführung des Projekts stark engagiert, — verschiedene Akteure aus Politik, Vereinen und privatem Bereich haben wirkungsvoll zusammengearbeitet, — die realisierten Unterkünfte entsprechen dem Passivhaus-Standard. Projektablauf Die Anfänge liegen im Jahr 2003, als die Gemeinde Molenbeek-Saint-Jean gemeinsam mit der Region Brüssel-Hauptstadt beschloss, ein ökologisch belastetes brachliegendes Grundstück für die Errichtung von Sozialwohnungen zu erwerben. Kurz darauf haben das Stadtteilzentrum Bonnevie und der „Fonds du Logement“ (1) ein Projekt vorgelegt, das den Zuschlag bekam. Der „Fonds du Logement“ hat daraufhin das Grundstück zu einem Viertel des ursprünglichen Preises erworben und übernahm als Bauträger die Leitung, Finanzierung und Überwachung des Projekts. Gleichzeitig organisierte sich eine Gruppe von Käufern und beschloss, die Form einer De-facto-Gesellschaft namens „L’Espoir“ (Hoffnung) anzunehmen. Die Gruppe war die ganze Projektlaufzeit über bei allen Schritten eng eingebunden. Außerdem bildete sie mit monatlichen Ratenzahlungen der Mitglieder von 50 EUR eine gemeinsame Rücklage, mit der verschiedene Ausgaben (für Umzug, Farbe usw.) bestritten werden konnten. Mit der Unterstützung des Stadtteilzentrums Bonnevie und des Vereins CIRE (Coordination et initiatives pour réfugiés et étrangers) konnte diese aus 14 Haushalten bestehende Gruppe die notwendigen Beihilfen ausfindig machen und erhalten. Besondere Aufmerksamkeit wurde den Baukosten zuteil, wobei Architekt und Bauunternehmen von Anfang an am Projekt beteiligt wurden. Eine weitere Innovation des Projekts besteht darin, dass sich die Bewohner für beispielhafte Wohnungen, die dem Passivhaus-Standard entsprechen, entschieden haben. (1)

Diese von der Region Brüssel-Hauptstadt kontrollierte und bezuschusste Einrichtung vergibt u. a. Hypothekendarlehen zu günstigen Konditionen und gewährt Wohngeld und regionale Darlehen für die Mietkaution.

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2. Wohnraumbarometer und Beobachtung der Wohnungspolitik Grundsätze RBDH hat Ende Frühjahr 2010 ihr aktuelles Wohnraumbarometer veröffentlicht, das eine Bewertung der wohnungspolitischen Maßnahmen der Regierung anhand der offiziell deklarierten Ziele ermöglicht. Das Barometer ist für verschiedene Akteure gedacht, wie z. B. für die Vereine, die ihren Mitgliedern die Gründe der Wohnungskrise verständlich machen; für die Politik, der eine pragmatische und regelmäßige Bestandsaufnahme an die Hand gegeben wird, und für die Medien zur Wahrnehmung ihrer Informationspflicht. Verfahren Es wurden alle im Koalitionsvertrag für die Regierungsperiode 2009-2013 enthaltenen wohnungspolitischen Maßnahme erfasst, wobei insgesamt 73 Maßnahmen aufgelistet werden. Der Stand der Entwicklung und die Umsetzung aller Maßnahmen werden regelmäßig verfolgt und in einer halbjährlichen Bewertung aufgelistet. Auf diese Weise wird die Diskrepanz zwischen den politischen Versprechungen und den tatsächlichen Ergebnissen sichtbar gemacht. Dieses Verfahren macht es auch möglich, die Prioritäten des Regierungshandelns offenzulegen. Öffentliche Teilhabe an politischen Fragen Alle Mitgliedsvereine von RBDH setzen sich dafür ein, die Teilhabe und Mitwirkung ihrer Mitglieder zu fördern, um das Verständnis der Probleme, denen sie begegnen, zu erleichtern und die Unabhängigkeit der Bürger zu fördern. Die verschiedenen Bewohnergruppen verwenden mit Unterstützung von Sozialarbeitern das Barometer, um die politischen und juristischen Fortschritte sowie die noch zu überwindenden Probleme im Wohnungsbereich zu erfassen.

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BESTIMMUNGEN ZUM SOZIALEN WOHNUNGSBAU IN DER EU: ERFAHRUNGEN VOR ORT

Im Allgemeinen sind die Bewohnergruppen und -komitees sehr aktiv: Sie treffen sich regelmäßig, beteiligen sich an Medienübertragungen und arbeiten bei verschiedenen Veranstaltungen und Aktivitäten zusammen. So nehmen sie beispielsweise regelmäßig an den Sitzungen der Ausschüsse für Wohnungswesen des Parlaments der Region Brüssel-Hauptstadt teil, haben Anfang 2010 Abgeordnete zu einem zwanglosen Frühstück eingeladen, usw. Schlussfolgerungen und Forderungen des gemeinnützigen Sektors RBDH hält im Rahmen einer von ihr geleiteten Arbeitsgruppe die Probleme fest, mit denen die angegliederten und unterstützten Vereine bei ihrem Engagement für Integration durch Wohnen konfrontiert sind. Dabei zeigt sich, dass die Arbeit der Vereine vor Ort durch verwaltungstechnische Probleme erschwert wird. Aus diesem Grunde fordert RBDH, dass die Anträge auf Anspruchsberechtigung und auf Beihilfen zügiger und einheitlicher behandelt werden. Ferner soll der Rahmen für die Anspruchsberechtigung genauer definiert werden.

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EINE EUROPÄISCHE AGENDA FÜR DEN SOZIALEN WOHNUNGSBAU

DEUTSCHLAND Überblick über die Strategien zum sozialen Wohnungsbau in Deutschland In Deutschland wird der Begriff „sozialer Wohnungsbau“ in Gesetzestexten selten verwendet, gemeinhin ist die Rede von „öffentlich gefördertem Wohnungsbau“ oder „Wohnraumförderung“ bzw. „Wohnungsbauförderung“. Wohnungen dieser Art machen etwa 5 % des deutschen Gesamtwohnungsbestandes aus. Die Wohnraumpolitik der öffentlichen Hand in Deutschland ist nicht an bestimmte Träger gebunden: Wohnungsanbieter aller Art erhalten öffentliche Zuschüsse dafür, dass sie zeitweilig Wohnraum zur sozialen Nutzung bereitstellen. Seit 2006 sind für den sozialen Wohnungsbau ausschließlich die Bundesländer zuständig, die unterschiedliche Förderprogramme und -maßnahmen durchführen. Die lokalen Gebietskörperschaften sind verpflichtet, denjenigen, die sich selbst nicht angemessen mit Wohnraum versorgen können, erschwingliche Wohnungen bereitzustellen, während der Bund weiterhin für das Wohngeld für Privathaushalte und die Festlegung der Miethöchstgrenzen zuständig ist. Die gemeinnützigen Bundeseinrichtungen wurden 1989 aufgelöst und umfangreiche, bis dahin in kommunaler Hand befindliche Vermögenswerte an marktorientierte Privateigentümer veräußert. Öffentlich geförderten Wohnraum bieten derzeit kommunale Wohnungsbaugesellschaften und -genossenschaften sowie Privatvermieter, gewerbliche Bauträger und Investoren mit einer Vielzahl von Anteilseignern an. Rechtlich betrachtet handelt es sich bei allen Wohnungsbaugesellschaften um Marktteilnehmer. Kommunale Gesellschaften richten jedoch ihre Tätigkeit nach der Politik und dem Wohnraumbedarf vor Ort aus.

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BESTIMMUNGEN ZUM SOZIALEN WOHNUNGSBAU IN DER EU: ERFAHRUNGEN VOR ORT

Die Finanzierungsarten für die soziale Wohnraumbeschaffung lassen sich schwerlich auf einen Blick darstellen, da diesbezügliche Daten nicht zentral erfasst werden und sich die Förderprogramme mit der Zeit weiterentwickeln. In der Regel dienen öffentliche Beihilfen (Zuschüsse oder Steuerermäßigungen) dazu, die Lücke zwischen der tatsächlich gezahlten Miete und der Miete gemäß Mietspiegel zu schließen. Die öffentlichen Beihilfen werden mit der Zeit immer geringer, während die Miete allmählich steigt. Nach Ablauf der Abschreibungszeit (20-40 Jahre für öffentlich geförderte Neubauwohnungen und 12-20 Jahre für renovierte Wohnungen) kann die Wohnung zu Marktpreisen vermietet oder verkauft werden. In der Praxis sieht es jedoch häufig so aus, dass Gesellschaften in kommunaler Hand die Wohneinheiten auch nach dieser Zeit noch wie Sozialwohnungen verwalten, was Miethöhe und Wohnberechtigung betrifft. Wohngeld wird auch Personen gewährt, die bestimmte Einkommensgrenzen unterschreiten, ganz gleich, ob sie Mieter oder Eigentümer sind. Laut den geltenden Rechtsvorschriften sind Haushalte, die sich nicht angemessen mit Wohnraum versorgen können und auf Unterstützung angewiesen sind, die Zielgruppe der sozialen Wohnraumförderung. Unterstützt werden insbesondere Haushalte mit geringem Einkommen sowie Familien und andere Haushalte mit Kindern, Alleinerziehende, Schwangere, ältere Menschen und Wohnungslose.

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EINE EUROPÄISCHE AGENDA FÜR DEN SOZIALEN WOHNUNGSBAU

Beispiele von Mitgliedern der SPE-Fraktion im Ausschuss der Regionen Soziale Stadtteilentwicklung im benachteiligten Gebiet von Trier-Nord: Wohnungsgenossenschaft Am Beutelweg als Motor der Stadtteilentwicklung Trier-Nord 1991

Margit Conrad Staatsministerin und Bevollmächtigte des Landes Rheinland-Pfalz beim Bund und für Europa (Deutschland)

Trier-Nord, besonders das Quartier Ambrosius im Stadtbezirk Nells Ländchen, war vor 20 Jahren ein „Sozialer Brennpunkt“ mit allen äußeren Zeichen eines solchen. Es gab u. a. einen hohen Sanierungsstau im Wohnbestand. Die Wohnungen in den ehemaligen Kasernen Am Beutelweg, die sich damals im Besitz des Bundes befanden, waren marode, nie grundsaniert worden, ohne Bäder und Zentralheizungen. Die Bewohnerinnen und Bewohner hatten sich notdürftig darin eingerichtet und versucht, mit eigenen Mitteln das Beste daraus zu machen. Der überwiegende Teil der Bewohnerschaft war abhängig von staatlichen Transfergeldern, Sozialhilfe, Arbeitslosengeld. Die Ausgangsfrage des Engagements bei Genossenschaftsgründung lautete: Wie kann die desolate Wohnungssituation mit den Bewohnerinnen und Bewohnern gemeinsam und dauerhaft verändert werden? Wie lassen sich die Lebenssituation und die Lebensperspektive der Familien und Einzelpersonen in einem sozialen Brennpunkt nachhaltig verbessern? Welche Ressourcen und Aktivierungspotenziale im sozialen Brennpunkt können genutzt werden?

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BESTIMMUNGEN ZUM SOZIALEN WOHNUNGSBAU IN DER EU: ERFAHRUNGEN VOR ORT

Bereits seit Mitte der 70er-Jahre wurde auf Initiative der Universität Trier Gemeinwesenarbeit (GWA) aufgebaut, die im engen Kontakt mit den Bewohnerinnen und Bewohnern stand und sich ihrer sozialen Probleme annahm. Doch es wurde deutlich, dass Sozialarbeit allein nicht ausreichte, um die grundlegende Lebenssituation der Menschen zu verbessern. Die Gründung einer Genossenschaft zur Übernahme und Sanierung der Wohnungen und zur Aktivierung der Selbsthilfepotenziale der Bewohnerschaft erschien als überzeugender Arbeitsansatz. Die Wohnungsgenossenschaft Am Beutelweg e. G. (WOGEBE) wurde 1991 zunächst von zehn engagierten Bürgerinnen und Bürgern gegründet und entwickelte sich in den folgenden Jahren bis heute zu einer Wohnungsgenossenschaft mit rund 700 Mitgliedern. Zunächst hat die WOGEBE die bundeseigenen ehemaligen Kasernengebäude Am Beutelweg (100 Wohneinheiten), später städtische Wohnungen (300 Wohneinheiten) und im Zusammenhang mit dem Abzug des französischen Militärs in den 90er-Jahren frei gewordene Konversionsgebäude erworben und bis auf einen Restbestand von ca. 40 Wohnungen mit Mitteln des sozialen Wohnungsbaues komplett saniert bzw. neu gebaut. Dies war kein leichter Weg, da die WOGEBE bei Genossenschaftsgründung über keinerlei Eigenkapital verfügte und viele ihrer Mitglieder in hohem Maße mit erheblichen finanziellen und sozialen Problemen zu kämpfen hatten und noch haben. Es konnte nur gelingen, weil Stadt und Land hinter der Grundidee standen und ein gemeinsamer Weg gefunden wurde, die Tätigkeit der WOGEBE dauerhaft zu sichern. 2010 belief sich der Wohnungsbestand der Genossenschaft auf rund 500 Wohneinheiten, beinahe ausschließlich im benachteiligten Gebiet von Trier-Nord. Projektträgerschaft „Soziale Stadt“ 2001 übernahm die WOGEBE die Projektträgerschaft für das Bund-Länder-Programm „Soziale Stadt“, installierte ein Quartiersmanagement und konnte mit ihrem Know-how und ihren Vor-Ort-Kenntnissen die Stadtteilentwicklung konzeptionell und praktisch weiter vorantreiben, denn es war von Anfang an klar: Die Sanierung von Wohnungen allein ist nicht ausreichend, um das Viertel grundlegend zu verändern.

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EINE EUROPÄISCHE AGENDA FÜR DEN SOZIALEN WOHNUNGSBAU

Infrastrukturelle Maßnahmen wie die Sanierung des Bürgerhauses Trier-Nord, Wohnumfeldverbesserungen, Straßensanierungen, der Bau von Spiel- und Bolzplätzen, die Durchführung von Ordnungsmaßnahmen wie der Abbruch von unbewohnbaren Gebäuden waren Bestandteil des Integrierten Handlungskonzeptes für Trier-Nord. Das Bürgerhaus Trier-Nord, das als Stadtteilzentrum eine wichtige Infrastruktureinrichtung darstellt, in dem sich viele Gruppen und Initiativen treffen und ein Kinderhort sowie eine Grund- und Hauptschule Räume nutzen, wurde grundlegend saniert und umgebaut. Der Ausbau zweier Spielplätze in diesem kinderreichsten Stadtteil Triers konnte dank der Fördermittel des Bundes und des Landes zügig realisiert werden. Auch die weiteren Maßnahmen ergänzen in sehr guter konzeptioneller Abstimmung und praktischer Umsetzung die Wohnungsbausanierung der Wohnungsgenossenschaft. Durch diese zeitlich parallel und inhaltlich aufeinander abgestimmten Entwicklungen ist es gelungen, dem Stadtteil Trier-Nord insgesamt ein anderes Gesicht zu geben und damit auch das sichtbare Stigma eines „Sozialen Brennpunktes“ verschwinden zu lassen. Dieser Prozess ist noch nicht beendet, weitere Themen (u. a. Abstellfläche Schrotthandel; Durchmischung Bevölkerungsstruktur durch Neubebauung von Brachflächen; Verkehrsberuhigung; Erwerbslosenproblematik) stehen zur Bearbeitung an.

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BESTIMMUNGEN ZUM SOZIALEN WOHNUNGSBAU IN DER EU: ERFAHRUNGEN VOR ORT

Die Berliner Wohnraumpolitik – nationale und europäische Herausforderungen Durch eine umfangreiche öffentliche Förderung des Neubaus und der Modernisierung und Instandsetzung von Wohnraum während des Jahrzehnts nach der Wiedervereinigung konnte Berlin erstmals in seiner Geschichte den Wohnungsmangel überwinden. Seit 1998 wird deshalb der Wohnungsbau und seit 2002 die Modernisierung und Instandsetzung von Wohnraum nicht mehr durch das Land gefördert. Fördermittel stehen zurzeit nur in Form der bundesweit angebotenen zinsverbilligten Darlehen der KfW-Bank für die energetische Sanierung und die altersgerechte Wohnungsanpassung zur Verfügung. Dennoch ist der Wohnungsmarkt – gesamtstädtisch betrachtet – weiterhin durch Marktentspannung gekennzeichnet: — Bei ca. 5 % Wohnungsleerstand existiert ein ausreichendes Wohnungsangebot.

Hella Dunger-Löper Staatssekretärin, Bevollmächtigte beim Bund und Europabeauftragte des Landes Berlin und Beauftragte für das Bürgerschaftliche Engagement (Deutschland)

— Die „Mieterstadt Berlin“ (ca. 87 % des Bestandes von rund 1,89 Millionen Wohnungen sind Mietwohnungen) hat mit durchschnittlich 4,89 EUR/m² mtl. (Nettokaltmiete) ein national und international günstiges Mietenniveau. — Der überwiegende Anteil des Berliner Wohnungsbestands befindet sich in einem guten bis befriedigenden Instandhaltungszustand. Beim energetischen Gebäudezustand belegt Berlin auf dem „European Green Cities Index“ gemeinsam mit Stockholm den ersten Platz.

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EINE EUROPÄISCHE AGENDA FÜR DEN SOZIALEN WOHNUNGSBAU

Die Hauptursache für das Anhalten der entspannten Wohnungsmarktsituation liegt darin, dass die Einwohnerzahl Berlins (rund 3,45 Mio. Menschen) voraussichtlich in den kommenden beiden Jahrzehnten nicht wachsen, sondern annähernd stabil bleiben wird. Zusätzliche Wohnungsnachfrage resultiert aktuell somit vor allem aus dem anhaltenden Trend zur Haushaltsverkleinerung (durchschnittliche Haushaltsgröße 1,8 Personen pro Haushalt bei rund 52 % Ein-Personen-Haushalten; durchschnittliche Wohnungsgröße 70,4 m² bzw. 38,7 m² pro Person) sowie aus der Nachfrage nach Zweitwohnungen. Mit der entspannten gesamtstädtischen Wohnungsmarktsituation hat sich dennoch das Thema „Wohnungspolitik“ für Berlin nicht erledigt. Herausforderungen bestehen vor allem in folgenden Bereichen: 1) Wohnraumversorgung einkommensschwächerer Haushalte: Bedingt vor allem durch den Niedergang der Industrieproduktion und die Auflösung der ostdeutschen Staatsregierung nach der deutschen Vereinigung weist Berlin heute immer noch die im Bundesländervergleich höchste Arbeitslosenquote sowie ein Durchschnittseinkommensniveau von ca. 85 % des durchschnittlichen deutschen Haushaltseinkommens auf. Mehr als 20 % Haushalte bestreiten ihren überwiegenden Lebensunterhalt aus staatlichen und kommunalen Transfereinkommen; damit liegt die Quote der Transfereinkommensbeziehenden ungefähr doppelt so hoch wie im deutschen Durchschnitt. Zwar ist es aufgrund der entspannten Wohnungsmarktlage zurzeit möglich, einkommensschwache Haushalte mit dringlichem Wohnungsbedarf kurzfristig mit angemessenem Wohnraum zu versorgen. Die in Deutschland von den Gemeinden zu tragenden Wohnkosten schlagen jedoch mit über 1 Mrd. EUR jährlich im Landeshaushalt zu Buche. Hier wird es vor allem darauf ankommen, die Berliner Wirtschaftskraft zu steigern, damit sich die Beschäftigungschancen und die Einkommenssituation mittelfristig bessern. Zurzeit hat Berlin unter allen deutschen Bundesländern das höchste Wachstumsniveau im gewerblich-industriellen Bereich. Dies ist ein Indiz dafür, dass unsere Aktivitäten zur Förderung sowohl des Wissenschaftsbereichs als auch zur Zusammenarbeit zwischen Wissenschaft und Unternehmen, wie sie sich z. B. am Standort des Wissenschaftsparks Adlershof auch räumlich manifestieren, zunehmend wirken.

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BESTIMMUNGEN ZUM SOZIALEN WOHNUNGSBAU IN DER EU: ERFAHRUNGEN VOR ORT

2) Energetische Sanierung des Gebäudebestandes: Obwohl der Berliner Gebäudebestand im aktuellen Vergleich recht günstige Energiekennwerte aufweist, müssen mittel- und langfristig noch erhebliche Anstrengungen unternommen werden, um die gebäudebezogenen CO2-Emissionen zu halbieren oder bis 2050 noch wesentlich weiter zu vermindern. Hierzu muss mittelfristig die aktuell unter 1 % des Wohnungsbestandes liegende Rate an energetischen Sanierungen mindestens verdoppelt werden. Technisch ist es möglich, durch bewährte Lösungen bei der Dämmung der Gebäudehülle und Modernisierung von Heizungssystemen den Energieverbrauch mindestens zu halbieren. 3) Anpassung der Wohnungsbestände an neue Anforderungen des demographischen Wandels: Bei der altersgerechten Bestandsanpassung geht es um den Anbau von Aufzügen und den möglichst schwellenarmen Umbau von Wohnungen und Gebäuden. Zudem müssen im wohnungsnahen Bereich die Angebote an Pflegestützpunkten sowie der Umbau von Wohnetagen zu Betreuungs- und Pflegeangeboten für ältere Menschen so erweitert werden, dass diese ihrem Wunsch entsprechend möglichst lange in ihrem vertrauten Quartier bleiben können, wobei die ehrenamtliche Arbeit von Freunden und Familienangehörigen die staatlichen Pflegeleistungen sowohl personell als auch finanziell entlasten können. In allen drei Aufgabenfeldern sind die sechs städtischen Wohnungsbaugesellschaften, die in Berlin rund 270 000 Wohnungen (ca. 14 % des Bestandes) besitzen, sowie die über 100 Wohnungsbaugenossenschaften (Wohnungsbestand rund 186 000 Wohnungen = knapp 10 % des Wohnungsbestandes) Vorreiter. Viele haben Zielvereinbarungen abgeschlossen, in denen sie sich zur Minderung ihres CO2-Ausstoßes verpflichten. Im Bereich des altersgerechten Wohnens arbeiten sie mit sozialen Betreuungs- und Pflegediensten zusammen. Bei der energetischen Sanierung der großen Wohnsiedlungen in Fertigteilbauweise sind erhebliche Energieeinspareffekte erzielt worden. Diese wurden auch durch die Umstellung von Fernheizsystemen auf Kraft-Wärme-Kopplung unterstützt. Durch das EU-Projekt BEEN (Baltic Energy Efficiency Network) sind die Berliner Erfahrungen bei der Plattenbausanierung in die osteuropäischen EU-Staaten und bis nach China transferiert worden.

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Viele größere Wohnungsunternehmen, wie z. B. die städtische Gesobau, die zurzeit in einem Mehrjahresprogramm rund 15 000 Wohnungen des märkischen Viertels energetisch saniert, schöpfen die nach deutschem Mietrecht mögliche Umlage von 11 % der Modernisierungskosten auf die Miete nicht voll aus. Sie orientieren die Mietumlage vielmehr an der Zahlungsfähigkeit ihrer Mieterschaft und erhöhen die Bruttowarmmieten nur moderat. Bei den Berliner Baukosten und klimatischen Bedingungen bewirkt die energetische Sanierung Wärmekosten-Einsparungen um 0,60 EUR/m² monatlich. Die volle Modernisierungsumlage würde zu Mieterhöhungen von ca. 1,40 EUR/m² führen. Probleme bereitet vor allem die Intensivierung der CO2-Minderung im Mietwohnungsbestand privater Einzeleigentümer (rund 1 Million Wohnungen). Da sie die Heizkosten voll an ihre Mieterschaft weitergeben können, haben sie zum einen keinen wirtschaftlichen Anreiz zu intensiveren energetischen Sanierungsmaßnahmen, (so genanntes Investor-Nutzer-Dilemma). Zum anderen fehlt ihnen häufig die Eigenkapitalausstattung. Hier besteht somit mittelfristig Bedarf an staatlichen Förderprogrammen, die Investitionsanreize erhöhen und die Sozialverträglichkeit der Mietpreisgestaltung sichern.

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BESTIMMUNGEN ZUM SOZIALEN WOHNUNGSBAU IN DER EU: ERFAHRUNGEN VOR ORT

FRANKREICH Überblick über die Strategien zum sozialen Wohnungsbau in Frankreich Der soziale Wohnungsbau (Habitation à Loyer Modéré – Wohnungen mit verminderter Miete) ist in Frankreich recht bedeutend und umfasst über 4 Millionen Wohnobjekte, was etwa 17 % des gesamten Wohnungsbestandes entspricht. Er umfasst den Bau, die Entwicklung, Verteilung und Verwaltung von sozialen Mietwohnungen sowie von Wohnungen für soziales Wohneigentum. Für den Bau und die Verwaltung von Sozialwohnungen sind in Frankreich HLM-Organisationen zuständig (eigens vom Staat zur Erbringung einer Leistung von allgemeinem Interesse beauftragte Akteure), in geringerem Maße auch halböffentliche Unternehmen (Sociétés d’économie mixte) und gemeinnützige Verbände. Zu den HLM-Organisationen gehören öffentliche und private Unternehmen, die nicht gewinnorientiert arbeiten und der Kontrolle des Ministeriums für Wohnungsbau und Finanzen unterstehen. Sie sind auf nationaler Ebene durch die Dachorganisation Union Sociale pour l’Habitat repräsentiert. Der soziale Wohnungsbau wird hauptsächlich durch ein System indirekter Finanzhilfen finanziert, deren wichtigstes Element das so genannte Livret A ist – ein Sparkonto mit fester Zinsrate, auf das keine Steuern erhoben werden und durch das dem Sektor traditionell die finanziellen Mittel zur Verfügung stehen, um jährlich im Durchschnitt 100 000 neue Wohnobjekte zu bauen und 70 000 Wohnobjekte zu renovieren. Nach den Beschlüssen des Umweltgipfels Grenelle de l’Environnement sind die HLM-Organisationen verpflichtet, bis 2020 800 000 Sozialwohnungen zu renovieren, um deren Energieeffizienz zu verbessern. Dieses Programm wird von der EU durch den Europäischen Fonds für regionale Entwicklung unterstützt. Der soziale Wohnungsbau unterliegt eigenen Gesetzen und Bestimmungen, unabhängig vom bürgerlichen Recht, und wird durch das Bau- und Wohnungsgesetzbuch (Code de la Construction et de l’Habitation) geregelt. Der 2007 eingeführte Rechtsanspruch auf eine Wohnung (Droit au logement opposable, DALO) legt zudem fest, dass Sozialwohnungen vorrangig an Personen vergeben werden, die unter eine der folgenden sechs Kategorien fallen: Obdachlose; Menschen, denen eine Zwangsräumung droht und die keine andere Wohnung finden können; Menschen die in provisorischen oder gesundheitsschädlichen Unterkünften leben, bzw. Haushalte mit Kindern in beengten oder gesundheitsschädlichen Unterkünften sowie behinderte Personen. Das Gesetz sieht die Möglichkeit rechtlicher Schritte gegenüber einer kommunalen Behörde vor, falls einem Antrag auf Sozialwohnung nicht stattgegeben wird.

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Beispiele von Mitgliedern der SPE-Fraktion im Ausschuss der Regionen Politik des Departements Eure (französisches Departement mit der Nummer 27, nachfolgend „D27“) Politischer Hintergrund Departement

der

Wohnungspolitik

im

Im Departement Eure sieht man die Wohnungspolitik als ein Betätigungsfeld für eine engagierte Raumplanung: Hier lassen sich Planung und bürgernahe Maßnahmen schlüssig miteinander verbinden. Jean-Louis Destans Präsident des Generalrats des Departements Eure (Frankreich)

Die politischen Ziele des Departements sind an vier Hauptachsen ausgerichtet: 1. Bekämpfung der Ausgrenzung mit Hilfe des solidarischen Wohnraumfonds: Unterstützung für den Zugang und die Erhaltung eines bedarfsgerechten und angemessenen Wohnraums für Einzelpersonen und Familien. Der Generalrat ermöglicht die Nutzung der entsprechenden Gebäude, indem er die Energie und Stromversorgung sowie die Anbindung an das Telefonnetz sicherstellt. 2. Begleitmaßnahmen für die Umstrukturierung von Sozialwohnungsvierteln: Flankierung der Maßnahmen der Nationalen Agentur für Stadterneuerung (ANRU) sowie punktuelle Maßnahmen zur Stadterneuerung außerhalb der von der Nationalen Agentur für Stadterneuerung benannten Gebiete. 3. Verbesserung des Mietangebots an Sozialwohnungen: Zuschüsse für die Sozialwohnungsträger und die Kommunen, um den Umweltstandards entsprechende Sozialwohnungen zu errichten und instand zu setzen, um so die Projekte und die nachhaltige Entwicklung im Departement Eure effizient zu fördern.

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4. Bessere Berücksichtigung der Bedürfnisse der sozial schwächsten Bevölkerungsgruppen: Anreize für den Bau von sehr günstigen Sozialmietwohnungen für Menschen in schwierigen Lebensumständen, junge Arbeitnehmerhausstände sowie Zuschüsse für einkommensschwache Eigentümer für die Renovierung ihrer Wohnungen, indirekte Unterstützung für die Menschen in der unteren Einkommensklasse durch die Finanzierung von Maßnahmenbündeln zur Wohnraumverbesserung mithilfe des Wohnraumverbesserungsprogramms OPAH (Opération Programmée d’Amélioration de l’Habitat) sowie des Programms von allgemeinem Interesse PIG (Programme d’Intérêt Général). Somit verfolgt das Departement seit Jahren eine zielstrebige Wohnungspolitik, die über seine Zuständigkeit und den staatlichen Auftrag hinausweist. Diese Politik ist von dem Bestreben getragen, allen Bürgern solidarisch und ausgewogen Wohnraum bieten zu können. Im Jahr 2010 beliefen sich die vom D27 getätigten Investitionen auf mehr als 10 Mio. EUR, wodurch eine solidarische Politik und eine wirtschaftliche Dynamik im Departement ermöglicht werden. Zur Konsolidierung dieses Engagements hat das Departement die Zuständigkeit für die Gewährung von Zuschüssen (aide à la pierre – Objekthilfe) für den Sechsjahreszeitraum 20072012 im gesamten Verwaltungsbereich Eure übernommen, mit Ausnahme der Ballungsgebiete Evreux und Seine-Eure, die entsprechende eigene Befugnisse haben. Das Departement ist nunmehr zuständig für die Zuteilung staatlicher Darlehen für die Verwendungszwecke Bau, Erwerb, Instandsetzung und Abriss sozialer Mietwohnungen, sowie für die Renovierung des privaten Wohnungsbestands, Mietkauf und Unterbringungsplätze. Durch diese Zuständigkeitsübernahme gewinnt die gestaltende Rolle des Departements in der territorialen Entwicklung des Departements Eures ein noch stärkeres Profil. Damit diese Zuteilung optimal durchgeführt werden kann, hat das D27 als erstes Departement in Frankreich auf Departementsebene in seiner Sitzung im Dezember 2007 einen Wohnraumentwicklungsplan (PDH27) verabschiedet. Schließlich verantwortet das D27 auch den Wohnraummaßnahmenplan des Departements für benachteiligte Bevölkerungsgruppen (PDALPD), der derzeit neu aufgelegt wird.

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Durch welche politischen Maßnahmen im sozialen Wohnungswesen kann die soziale Ausgrenzung bekämpft werden? Wie kann die Energiearmut im Wohnungswesen bekämpft werden? Mit dem starken Engagement des Generalrates im Wohnungswesen soll einerseits besser den Anliegen der Bürger des Departements entsprochen werden. Andererseits soll es eine durchdachte und gerechte territoriale Entwicklung im Departement gewährleisten. Dabei werden mehrere Ziele verfolgt: 1. Beitrag zur Schaffung eines ausreichenden Bestands an Sozialwohnungen, um für Menschen in der unteren und mittleren Einkommenskategorie erschwinglichen Wohnraum bereitzustellen; 2. Gewährleistung einer ausgewogenen geographischen Verteilung im gesamten Verwaltungsbereich, also auch in kleinen Dörfern und ländlichen Gebieten; 3. Gewährleistung optimaler architektonischer und ökologischer Standards; 4. Ermöglichung von Wohnraumsanierungen und Stadterneuerungen in den problematischsten Stadtvierteln zur grundlegenden Verbesserung der Lebensumstände der Einwohner. Diese Ziele bilden die Grundlage für die Maßnahmen, mit denen die soziale Ausgrenzung und die Energiearmut bekämpft werden sollen: 1. Das D27 hat die Zahl der besonders günstigen Sozialwohnungen mit dem tiefsten Mietniveau, die mit Mitteln des Departements und des Staats errichtet wurden, seit 2007 verzehnfacht. Weiterhin gibt es mittlerweile eine Politik des einklagbaren Rechts auf Wohnung. Jährlich werden etwa 100 Wohneinheiten dieses Typs gebaut. 2. Das D27 fördert vorübergehende Mietübernahmen.

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3. Seit 2008 und im Rahmen des Klimaplans des Departements hat das D27 über „Energieprämien“ für Sozialwohnungsträger Anreize zur Erstellung und Instandhaltung von Wohnraum geschaffen, bei dem die geltenden Wärmeschutzvorschriften übererfüllt werden. Seit 2011 knüpft das D27 seine Zuschüsse an die Auflage, dass Wohnraum im sozialen Wohnungsbau die Bedingungen der französischen Energiekennzeichnung „BBC“ (Bâtiment Basse Consommation – Niedrigenergiegebäude) erfüllt und bei der Instandsetzung des Sozialwohnungsbestands die Energieeffizienzklasse C erreicht wird. 4. Zusätzlich zu der Sozialwohnungsförderung wendet das Departement Eure jährlich 1,2 Mio. EUR auf, um im Rahmen seiner Maßnahmen zur Förderung der Verbesserung des privaten Wohnraumbestands mehr als 700 einkommensschwachen Besitzern bzw. Bewohnern zu helfen. 77 % dieser Zuschüsse werden für die energetische Sanierung aufgewendet. Überdies wurden bis dato 96 „Energieprämien“ in Höhe von 1 000 bis 1 250 EUR bewilligt, um eine gegenüber dem Ist-Zustand mindestens zwanzigprozentige Verbesserung der Energieeffizienz von Wohnraum zu erzielen. Seit der Anwendung des Klimaplans des Departements im Jahre 2008 konnten mehr als 1 400 Haushalte von diesen Zuschüssen profitieren. So konnten jährlich für die betreffenden Wohnungen insgesamt 3 000 Tonnen Kohlendioxidäquivalent an Treibhausgasemissionen eingespart werden. Dies entspricht dem jährlichen CO2-Ausstoß von ungefähr 900 Wohnungen (oder circa 1 200 Kraftfahrzeugen). Dabei können die Beihilfen des Departements und des Staates demnächst mit den Beihilfen der Region kumuliert werden. 5. Im Rahmen seines Schulungsprogramms hat das D27 mit der Agentur für Umwelt und Kontrolle des Energieverbrauchs (ADEME) Schulungsmaßnahmen für die sozialen Dienste vereinbart, um so einen Beitrag gegen die Energiearmut zu leisten.

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Wohnungspolitiken des Generalrats von Puy-de-Dôme

Mireille Lacombe Mitglied des Generalrats des Departements Puy-de-Dôme (Frankreich)

Wie in der Mehrzahl der entwickelten Volkswirtschaften altert auch die französische Bevölkerung, wobei die durchschnittliche Lebenserwartung von Frauen derzeit 84,5 Jahre und jene der Männer 77,8 Jahre beträgt. Gleichzeitig liegt Frankreich mit 1,9 Geburten pro Frau hinsichtlich der Geburtenrate nach wie vor im europäischen Spitzenfeld. Die Familienstrukturen sind im Wandel begriffen, was sich auch auf die individuellen Entscheidungen hinsichtlich der Wohnsituation auswirkt: Alleinstehende und späte Singles, die höhere Lebenserwartung – dies betrifft einen immer größeren Bevölkerungsanteil, Paarbeziehungen werden später eingegangen, Trennungen sind häufiger, und es gibt mehr Alleinerziehende und so genannte Patchwork-Familien. Daraus ergeben sich neue gesellschaftliche Bedürfnisse, wie z. B. ein erheblicher Anstieg der Nachfrage nach Wohnraum, der infolge der Dezentralisierungsgesetzgebung von den französischen Gebietskörperschaften bewältigt werden muss. In diesem Zusammenhang ist darauf hinzuweisen, dass sich die soziale Kluft in Frankreich immer weiter auftut und die Begleitphänomene wie mangelnde Jobsicherheit, zunehmende Prekarisierung sowie die sich vertiefenden Ungleichheiten zwischen den Generationen, aber auch zwischen den Geschlechtern sowie zwischen den Franzosen mit und ohne Migrationshintergrund die wichtigsten sozialpolitischen Herausforderungen der letzten 50 Jahre darstellen. Auch der Generalrat des Departements Puy-de-Dôme bekommt bei der Umsetzung seiner Wohnungspolitik die Auswirkungen der Wohnraumkrise zu spüren, die auf den Anstieg der Preise für Privatunterkünfte sowie die steigende Nachfrage nach Sozialwohnungen zurückzuführen ist. Vor dem Hintergrund des allgemeinen Trends hin zur Verwaltungsdezentralisierung gilt es, dem erklärten Willen des Zentralstaates entgegenzutreten, selbst Aufgaben auf die Gebietskörperschaften abzuwälzen, die in Frankreich zur Gänze in den Zuständigkeitsbereich der zentralen Ebene fallen.

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Aus diesem Grund haben sich im Wohnbereich tätige lokale Akteure mit Akteuren aus anderen Regionen (Auvergne, Champagne-Ardenne, Ile de France, Midi-Pyrénées, Rhône-Alpes) zusammengetan, um eine Expertengruppe zu bilden, die – ausgehend vom jeweiligen Standpunkt ihrer Mitglieder – im Hinblick auf eine Neuausrichtung des staatlichen und privaten Handelns im Bereich des sozialen Wohnungsbaus Gemeinsamkeiten aufzeigt und Lösungsansätze erarbeitet. Diese Expertengruppe ist zu der Ansicht gelangt, dass vorhandene Instrumente im Detail überprüft werden sollten, um der französischen Regierung und dem Parlament, aber auch den betroffenen Gebietskörperschaften ein ehrgeizigeres und realistischeres politisches Konzept vorzuschlagen, das auf folgenden, sich wechselseitig bedingenden Grundsätzen beruht: — stärkere Regulierung der Märkte, damit das Angebot an Neu- und Altbauwohnungen für alle Bevölkerungsschichten zugänglich ist; — Aufrechterhaltung öffentlicher Mittel auf einem ausreichend hohen Niveau für ein wirksames Handeln sowie Festlegung sozialer und umweltpolitischer Ziele; — Neuverteilung der Zuständigkeiten zwischen Zentralstaat und lokalen Gebietskörperschaften zur Gewährleistung der Wirksamkeit zentralstaatlicher Solidarmaßnahmen, die unter größtmöglicher Berücksichtigung der Bedürfnisse der Bevölkerung vor Ort umzusetzen sind. Ziel der Mitglieder der Expertengruppe ist es, in ihrer jeweiligen Funktion als Mandatsträger bzw. Akteure der lokalen Ebene durch eine stärkere, freiwillige Abstimmung zwischen den staatlichen, den privat- und sozialwirtschaftlichen Akteuren sowie den Bewohnern zu einer besseren demokratischen Entscheidungsfindung beizutragen, um in einer auf die Gebietskörperschaften ausgerichteten Politik des Sozialwohnungsbaus die notwendigen Fortschritte zu erreichen: Welcher wohnungspolitischer Maßnahmen bedarf es zur Beseitigung sozialer Marginalisierung? Bei der Wohnungspolitik ist generell Durchmischung anzustreben, stellt diese doch das Gegenteil von Marginalisierung dar. 1. Durchmischung bei der Flächennutzung: an einem Ort sowohl Wohnblöcke als auch Mehr- und Einfamilienhäuser errichten; 2. Durchmischung hinsichtlich des Rechtsstatus: Eigentum, Mietkauf, Sozialwohnungen;

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3. Durchmischung bei den Bauträgern: Privatwirtschaft, öffentliche Hand, Gebietskörperschaften; 4. Durchmischung hinsichtlich des Alters der Bewohner: in erster Linie junge Mietkäufer, ältere Menschen; 5. Durchmischung hinsichtlich der Lebensentwürfe der Bewohner: Großfamilien, Alleinerziehende, Singles, Studierende. Die französische Politik hat dafür zu sorgen, dass das Gesetz über das Recht auf eine Unterkunft (Loi DALO) in der Praxis umgesetzt wird und dabei möglichst keine Wartezeiten auf eine Unterkunft entstehen, durch die Familien obdachlos bleiben bzw. in Hotels oder Wohnwagen wohnen müssen. Es gilt, eine „zweite Chance auf ein Zuhause“ zu bieten: So sollte die öffentliche Hand z. B. für Menschen, die aufgrund verschiedener Umstände, die das Leben mit sich bringt, oder wegen persönlicher oder familiärer Probleme in finanzielle Schwierigkeiten geraten sind, „gleitende Mietverträge“ (bail glissant) abschließen, die es den Mietern ermöglichen, wieder im Beruf bzw. in ihrem Lebensumfeld Fuß zu fassen, bevor sie (auch finanziell) wieder in die Eigenständigkeit entlassen werden. Nach dem gleichen Prinzip sollte auch in Schwierigkeiten geratenen Mietkäufern die Möglichkeit zu einem Wechsel des Rechtsstatus (vom Eigentümer zum Mieter) geboten werden, indem ein sozialer Wohnbauträger die von ihnen weiter als Mieter bewohnte Wohnung erwirbt, wobei sie sie eventuell zu einem späteren Zeitpunkt, wenn es ihnen finanziell wieder bessergeht, zurückkaufen können. Aufgabe der Politik ist dabei, den einzelnen Akteuren die Notwendigkeit vor Augen zu führen, die Menschwürde nicht zu verletzen. Dies setzt zudem voraus, dass — die Gesetze zur schnelleren Bereitstellung von Flächen, auf denen sich nichtsesshafte Bevölkerungsgruppen niederlassen können, bzw. von geeigneten Unterkünften jeweils in Absprache mit den Betroffenen in ganz Frankreich umgesetzt werden; — mehr „erschwinglicher“ Wohnraum geschaffen wird, da die Zahl der Neubauten den sich aus den Haushaltsneugründungen ergebenden zusätzlichen Wohnraumbedarf nicht deckt und derzeit die bereits von Abbé Pierre im Jahr 1956 angeprangerten „Slums“ am Wiederentstehen sind; — die Konzepte der im sozialen Wohnungsbereich tätigen Akteure überprüft und vereinheitlicht werden, wobei sich sowohl Bauträger als auch Gebietskörperschaften und Familienbeihilfenstellen an die selben Vergabekriterien zu halten haben;

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— die Bewohner aktiv an der Instandhaltung der Wohnungen beteiligt werden, damit sie – im Hinblick auf Einsparungen und ein besseres Zusammenleben – Eigenverantwortung übernehmen, wobei die sozial schwächsten Bewohner vom Umzug bis hin zur Wohnungseinrichtung, Bezahlung der Heiz- und Stromkosten und Mülltrennung begleitet und unterstützt werden müssen; — eine laufende und auf die persönlichen (Grund-)Bedürfnisse des Einzelnen (Verlassen der Wohnung, Einkaufen, Ankleiden, Benützung öffentlicher Verkehrsmittel) zugeschnittene Begleitung und Unterstützung angeboten wird; — jene, die die tragischen Schicksale von Obdachlosen ausnutzen, indem sie ihnen oftmals menschenunwürdige Unterkünfte zu Wucherpreisen untervermieten und dafür auch noch Wohnbeihilfe kassieren, aufgespürt und bestraft werden; — neuer Wohnraum dort geschaffen wird, wo auch Dienstleistungen, Freizeitgestaltungsmöglichkeiten und ein Anschluss an öffentliche Verkehrsmittel verfügbar sind. Welcher generationenübergreifender Wohnprojekte und beschäftigungsfördernder Dienste bedarf es? In einer Reihe derzeit laufender Projekte hat sich gezeigt, wie wichtig Wohnraum für behinderte und/oder sozial benachteiligte Menschen ist. Ausgehend von Projekten in Dünkirchen (Nord-Pas-de-Calais), Althen des Paluds (Vaucluse) und Clermont-Ferrand (Puy-de-Dôme) tauschen sich Experten über diese von Gebietskörperschaften unterstützten Projekte aus. Dabei wurden die Bedürfnisse Kranker bzw. solcher Menschen evaluiert, die arbeitsunfähig wären, wenn ihnen nicht ein entsprechender Arbeitsplatz in einer ggf. im Rahmen der Wohnungspolitik zu errichtenden Betreuungseinrichtung zur Verfügung steht. Ziel war es, einen „Verhaltenskodex“ zu erarbeiten, der von den Gebietskörperschaften im Umgang mit behinderten Menschen auf freiwilliger Basis angewandt werden kann. Dabei geht es etwa um die Schaffung von Telearbeitszentren im Rahmen der Errichtung von Wohnungen für verschiedene Gruppen behinderter, aber noch eigenständiger Menschen, die durch gemeinsames Arbeiten gegen ihre Krankheit bzw. Behinderung ankämpfen oder aber der Arbeitslosigkeit entkommen wollen. Ein Beispiel: Das künftige Telearbeitszentrum von Althen des Paluds wurde von der Unesco im Mai 2010 auf einer Konferenz der Internationalen Telekommunikationsunion, einem der Arbeitsorgane der Vereinten Nationen, in Genf für das geplante Call- und Telematikzentrum in Frankreich als nachahmenswertes Vorhaben gewürdigt. Sollte es gebaut werden, könnte das Zentrum arbeitsuchenden Frauen sowie jungen Menschen, die sich in Qualifizierungsmaßnahmen befinden, Beschäftigung bieten. 83


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ITALIEN Überblick über die Strategien zum sozialen Wohnungsbau in Italien Der Begriff sozialer Wohnungsbau wurde erstmals 2008 definiert, und zwar als „permanent vermieteter Wohnraum sowie mit öffentlicher und privater Beteiligung oder unter Nutzung öffentlicher Fördermittel erbauter oder instandgesetzter Wohnraum, der für mindestens acht Jahre vermietet und zu einem erschwinglichen Preis verkauft werden und der sozialen Durchmischung zuträglich sein soll.“ Vier Prozent des Gesamtwohnungsbestands Italiens sind soziale Mietwohnungen. Es gibt drei grundlegende Formen öffentlich geförderten Wohnbaus: den umfassend geförderten (edilizia sovvenzionata), den kreditgeförderten (edilizia agevolata) und den konventionierten Wohnbau (edilizia convenzionata). Der für Haushalte mit niedrigem Einkommen vorgesehene Sozialwohnungsbestand gehört entweder den 1903 als öffentliche Einrichtungen gegründeten und nun in selbstständige öffentliche Agenturen mit unterschiedlichen Satzungen umgewandelten Istituti Autonomi per le case popolari (Selbstständige Sozialwohnungsämter), oder aber er wird von diesen verwaltet. Die Kommunen besitzen soziale Mietwohnungen, und manche verwalten diese unmittelbar. Seit 1978 bieten auch Wohnungsbaugenossenschaften und andere private Träger Sozialwohnungen an, etwa die von Bankenstiftungen mit Regionen, Kommunen und Privatinvestoren gemeinsam gegründeten Stiftungen für die Entwicklung des sozialen Wohnungsbaus. An den unterschiedlichen Wohnraumprogrammen sind verschiedene Träger beteiligt: für den umfassend geförderten Wohnungsbau sind Kommunen und öffentliche Wohnungsbaugesellschaften zuständig, beim kreditgeförderten Wohnungsbau liegt die Zuständigkeit fast zur Gänze bei Genossenschaften, während am konventionierten Wohnungsbau sämtliche privaten und öffentlichen Träger teilhaben.

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Die Finanzmittel für den sozialen Wohnungsbau stellen die Regionen zur Verfügung, während die Regionen und Kommunen Personal für den Mietwohnbereich mitfinanzieren und Grundstücke bereitstellen. Im jüngsten staatlichen Wohnungsbauprogramm wird durch die Einrichtung eines integrierten Immobilienfonds, der aus einem staatlichen Fonds und einem Netz lokaler Fonds besteht, die Grundlage für eine neue Art öffentlich-privater Partnerschaften gelegt. Darüber zu entscheiden, wer Anspruch auf eine Sozialwohnung hat und wonach sich die Miethöhe richtet, ist Sache der Regionen. Zusätzlich gibt es eine Reihe staatlicher Kriterien für den Anspruch auf eine Sozialwohnung, z. B. Einkommen, Wohnort und Staatsbürgerschaft der Antragsteller. Aufgrund von Haushaltskürzungen auf lokaler Ebene werden soziale Mietwohnungen bald wohl nicht mehr von der Gemeindesteuer befreit sein. Zugleich werden infolge der zunehmenden Verarmung der italienischen Haushalte mehr Mietwohnungen benötigt. Da die Mieten derzeit auf der Grundlage des Haushaltseinkommens berechnet werden, müssen sich öffentliche Anbieter von Mietwohnungen auf geringere Mieteinnahmen und größere Ausgaben einstellen.

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Ein Beispiel von einem Mitglied der SPE-Fraktion im Ausschuss der Regionen Projekt „Ein Modell für soziale Mischung im sozialen Wohnungsbau“ ACER Reggio Emilia ist eine besondere Einrichtung, die von der Provinzverwaltung und den Kommunen der Provinz Reggio Emilia gegründet wurde und die die fast 4 700 Sozialwohnungen der Provinz verwaltet.

Sonia Masini Präsidentin der Provinz Reggio Emilia (Italien)

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ACER kommt im Rahmen der Verwaltungstätigkeit auch die Aufgabe zu, Vorschläge zu erarbeiten und Initiativen zu verabschieden, um soziale Probleme in den verwalteten Wohnvierteln und Gebäuden zu verhüten und zu beheben. Bislang wurde die Zuteilung von Sozialwohnungen durch eine Kombination aus einer Rangliste für die Vergabe und der Verfügbarkeit von freiem Wohnraum bestimmt. Eine ausschließlich auf diesen Parametern beruhende Zuteilung, bei der keine qualitativen Kriterien (Merkmale der Bewohner, Herkunft, Haushaltstypus, Alter) herangezogen werden, kann zur Gettobildung und zur Entstehung von im Hinblick auf wirtschaftliche und soziale Fragen schwer zu bewältigenden Wohnsituationen führen, durch die die Armut der Bewohner von Sozialwohnungen noch verstärkt wird und ihnen jegliche Mittel zur sozialen Eingliederung genommen wird. Dadurch werden nicht nur einzelne Personen ausgegrenzt, sondern ganze Viertel marginalisiert, was wiederum einen Anstieg von Gewalt und Kriminalität nach sich zieht.


BESTIMMUNGEN ZUM SOZIALEN WOHNUNGSBAU IN DER EU: ERFAHRUNGEN VOR ORT

Es zeigt sich, dass die bei den Sozialwohnungen festgestellten Probleme der sozialen Benachteiligung nicht nur auf die Qualität der Haushaltszusammensetzung (Gettobildung) zurückzuführen sind, sondern zuweilen auf Verhaltensauffälligkeiten oder soziale und gesundheitliche Probleme (z. B. Suchtverhalten, psychische Erkrankungen usw.) der Bewohner, die bei geballtem Auftreten die Lebensqualität sämtlicher Wohnparteien beinträchtigen können. Um Problemen im Wohnungswesen vorzubeugen, ist ein objektives System für die Wohnraumzuteilung erforderlich, mit dem auch eine soziale Mischung sichergestellt werden kann. Unter sozialer Mischung versteht sich eine unter ethnischen, sozialen, wirtschaftlichen und demografischen Gesichtspunkten heterogene Belegung von Wohnanlagen. Da es aufgrund des Missverhältnisses zwischen Angebot und Nachfrage bei öffentlichem Wohnraum schwierig ist, einen anderen Ansatz als den der Zuteilung gemäß einem Punktesystem zu verfolgen, wird beim Ziel der sozialen Mischung der Akzent auf die Verantwortung der lokalen Gebietskörperschaften gelegt. Um die ideale soziale Mischung bei der Belegung von Sozialwohnungen zu erreichen, müssen auch die Kriterien für eine angemessene Abstimmung zwischen den Bedürfnissen der Wohnraumsuchenden und der Art des verfügbaren Wohnraums berücksichtigt werden. Dies ist erforderlich, um langfristig eine bessere Wohnqualität zu gewährleisten. Zur Bestimmung der idealen sozialen Mischung ist eine systematische Untersuchung der tatsächlichen Zusammensetzung der Wohnanlagen erforderlich. Auf dieser Grundlage lassen sich analytische Kategorien ermitteln und entsprechende Vergleiche vornehmen, um ein Modell eines idealen Mehrparteienhauses festzulegen, das dann in der Praxis für die Zuteilung von Wohnraum verwendet wird mit dem Ziel, das Modell in der Wirklichkeit zu reproduzieren. Folglich wird die Festlegung zweier Parameter vorgeschlagen, mit denen eine nicht dem Zufall überlassene territoriale Verteilung der Haushalte, die Anspruch auf Wohnraum haben, gewährleistet und gesteuert werden kann. Mit diesen Parametern wird nicht nur die Variable der sozialen Mischung, sondern auch die der durch Sozialwohnungen verursachten sozialen Belastung berücksichtigt. Damit soll ein objektives Instrument für eine neue Politik der Wohnraumzuteilung konzipiert werden, um die Wohnqualität zu verbessern und zu erhalten. Schließlich ist zu betonen, dass die Berücksichtigung der Wohnqualität als Parameter für die Wohnraumzuteilung zwangsläufig eine Umgestaltung des derzeitigen Systems zur Erstellung der Ranglisten voraussetzt.

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Diese Matrix ist ein noch nie erprobtes oder theoretisch durchdachtes innovatives Lösungsmodell. Allgemeines Ziel: Konzeption und Ermittlung einer Matrix als Modell für eine Wohnraumzuteilung und -verteilung, mit der für eine angemessene soziale Mischung in den Gebäuden und Wohnvierteln gesorgt werden kann, sowie als nützliches Instrument für die öffentliche Verwaltung bei der Armutsbekämpfung mittels Eingliederung, Integration und Aufbau von kohärenten Gemeinschaften in den Wohnvierteln. Zeitplan der Erprobungsphase: November 2010 bis November 2011 Die wichtigsten Etappen des Programms:

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Schaffung von Indikatoren zur Analyse der Bedürfnisse und der Lebensqualität in den Gebäuden und Wohnvierteln;

i

Untersuchung anhand einer hinreichend großen Stichprobe von Gebäuden, die mit Hilfe der Indikatoren ermittelt werden;

i

Auswertung der erhobenen sensiblen Daten und Bestimmung der Matrixparameter;

i

Erstellung der Matrix;

i

Erprobung der Matrix in Bezug auf ein oder mehrere Gebäude;

i

Präsentation und Verbreitung der erzielten Ergebnisse.


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Die im Zuge dieses Projekts erstellte Matrix ist ein objektives Instrument für die Verwaltung, das erstmals ermöglicht, Viertel des sozialen Wohnungsbaus im Hinblick auf Nachhaltigkeit und Ausgewogenheit umzugestalten und zu planen, ohne dabei einzig und allein auf den prozentualen Anteil der verschiedenen ethnischen Bevölkerungsgruppen zu achten. Die Matrix, die auf die verschiedenen sozialen und wirtschaftlichen Merkmale eines bestimmten Gebiets abgestimmt werden kann, wird mithin zu einem einzigartigen und bislang nie eingesetzten Instrument zur Vorbeugung von Armut durch den Aufbau nachhaltiger Gemeinschaften. Dadurch werden Ghettobildung und die Zunahme von Gewalt, sozialer und wirtschaftlicher Probleme sowie die Verschlechterung der städtischen Lebensbedingungen vermieden.

i

Für diese Untersuchung, die mit dem Ziel durchgeführt wird, ein Modell für eine territoriale soziale Mischung zu schaffen, die der Ghettobildung vorbeugen und einer nachhaltigen Gesellschaft förderlich sein kann, ist in der Literatur bislang kein Beleg zu finden. Gemeinsam mit der Schaffung der Matrix bildet sie ein Pioniermodell zur Bewältigung des Problems der Armutsbekämpfung durch vorbeugende Maßnahmen zur Planung und angemessenen Zuweisung von Sozialwohnungen für verschiedene Haushalte. Nach der Realisierung dieses Instruments kann es auch von anderen Kommunen oder territorialen Akteuren genutzt werden.

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LUXEMBURG Überblick über die Strategien zum sozialen Wohnungsbau in Luxemburg Sozialwohnungen in Luxemburg sind preiswerte Miet- und Eigentumswohnungen für Personen mit geringem Einkommen. Soziale Mietwohnungen machen 2 % des Luxemburger Gesamtwohnungsbestands aus. Angeboten werden Sozialwohnungen von öffentlichen Bauträgern, deren bedeutendster der meist als Fonds du Logement (Wohnraumfonds) bezeichnete Fonds pour le développement du logement et l’habitat ist, der die meisten sozialen Mietwohnungen in Luxemburg verwaltet. Der Fonds ist eine unabhängige Einrichtung der öffentlichen Hand, die im Zuge des 1979 erlassenen Gesetzes zur Wohnraumförderung gegründet wurde. Er untersteht dem Ministerium für Wohnungsbau, und zu seinen Zuständigkeiten gehören der Bau von Sozialwohnungen, der Erwerb und die Erschließung von Grundstücken sowie die Renovierung bestehender Gebäude. Zweitwichtigster Anbieter ist die Société Nationale des Habitations à Bon Marché (Nationale Gesellschaft für erschwingliche Wohnungen), eine 1919 gegründete Aktiengesellschaft, deren Anteilseigner der Staat sowie einige Kommunen und öffentliche Einrichtungen sind. Zu ihren Aufgaben zählen der Bau von Häusern, der Erwerb von Grundstücken, die Erstellung von Flächennutzungsplänen sowie die Planung und Umsetzung der Infrastruktur in Baugebieten. Sie bietet vor allem erschwingliche Eigentumswohnungen und -häuser an. Der dritte Träger sind die Kommunalverwaltungen der wichtigsten Städte des Landes, die Baugrundstücke und Mietwohnungen bereitstellen und den Erwerb von Wohneigentum fördern. Bei Mietwohnungen belaufen sich die staatlichen Beihilfen auf bis zu 70 % der Baukosten. Die Miete hängt vom Einkommen des Mieterhaushalts ab und wird regelmäßig angepasst. Bei günstigen Eigentumswohnungen und -häusern werden öffentliche Beihilfen (50 % der Planungs- und Infrastrukturkosten) gewährt, sofern mindestens 60 % der Käufer für staatliche Baubeihilfen infrage kommen (auf der Grundlage des Haushaltseinkommens). Ferner müssen im Interesse der sozialen Durchmischung mindestens 10 % der Wohnungen in jedem Neubaugebiet erschwingliche Mietwohnungen sein. Haushalte, die keine Wohnung besitzen, nutzen oder nutzen dürfen und deren Einkommen unter bestimmten gesetzlich festgelegten Grenzwerten liegt, haben Anspruch auf eine Sozialwohnung.

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Ein Beispiel von einem Mitglied der SPE-Fraktion im Ausschuss der Regionen Mieten im subventionierten Wohnungsbau in Luxemburg Einleitend sei erwähnt, dass die allgemeine Wohnsituation in Luxemburg, verglichen mit den Nachbarländern, einige atypische Merkmale aufweist. So leben in Luxemburg rund 75 % der Bevölkerung in Eigentumswohnungen, von den restlichen 25 % ist ein Teil aus verschiedenen, nicht finanziellen Gründen nicht am Erwerb einer Eigentumswohnung interessiert. Dennoch besteht seit Jahren ein Mangel an erschwinglichem Wohnraum. Die öffentliche Hand versucht dem entgegenzuwirken, sodass im subventionierten Wohnungsbau heute Neubauwohnungen mit Verkaufspreisen von 2 500 bis 3 000 Euro pro Quadratmeter von den öffentlichen Wohnungsbaugesellschaften angeboten werden können. Der Verkauf zu diesen Preisen, die rund 35 % unter den Marktpreisen liegen, ist natürlich an vielfältige Auflagen gebunden, die darzulegen hier zu weit führen würde.

Marc Schaefer Bürgermeister von Vianden (Luxemburg)

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Das Angebot solcher Wohnungen genügt aber bei Weitem nicht der Nachfrage, und vor allem kann ein Teil der Bevölkerung die finanziellen Mittel zum Kauf auch einer solchen Wohnung nicht aufbringen. Dieser sozial schwache Teil der Bevölkerung muss also logischerweise auf Mietwohnungen zurückgreifen. Die meisten dieser Mietwohnungen sind in privater Hand und werden teilweise zu deutlich überhöhten Mieten angeboten. Um auch den sozial schwachen Bevölkerungsschichten die Möglichkeit zu bieten, in den Genuss einer angemessenen Wohnung zu kommen, hat der Gesetzgeber in der Großherzoglichen Verordnung vom 16. November 1998 (erweitert und verbessert am 18. März 2008) die Modalitäten zur Berechnung der Mieten im subventionierten Wohnungsbau festgelegt. Dieses Modell, das so meines Wissens einmalig in der Union ist, könnte durchaus als Diskussionsbasis für andere EU-Staaten dienen. Es muss in Luxemburg bei allen Wohnungen, deren Bau oder Renovierung von der öffentlichen Hand subventioniert wurde, angewendet werden. Diese Wohnungen sind in der Regel im Besitz der Kommunen oder öffentlicher Bauträger. Wer kommt in den Genuss einer solchen Wohnung? Die Wohnungen werden auf Antrag vergeben. Erstes Vergabekriterium ist das Verhältnis zwischen der Größe der Wohnung und der Größe des Haushaltes. So ist zum Beispiel eine Wohnung mit drei Schlafzimmern einer Familie mit zwei Kindern über zwölf Jahre, oder drei Kindern unter zwölf vorbehalten. Sollten mehrere Familien für die gleiche Wohnung in Frage kommen (was in der Regel der Fall ist), wird die Wohnung an die Familie mit dem kleinsten Jahreseinkommen vergeben. Wie wird die Miete berechnet? Die Jahresmiete setzt sich aus zwei Beträgen zusammen: i

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Zu 25 % wird die Größe der Wohnung in Betracht gezogen; im Moment liegt der Quadratmeterpreis bei 47,45 EUR pro Jahr. Dieser Teil der Jahresmiete wäre also für eine Wohnung mit drei Schlafzimmern und 100 m2 Nutzfläche mit 1 186 EUR (0,25 x 47,45 EUR x 100 m2) zu veranschlagen. Auf diesen Betrag können Abschläge von jeweils 10 % gewährt werden bei Wohnungen, die vor dem Einzug des Mieters nicht renoviert wurden, keine Zentralheizung oder nur Fenster mit Einscheibenverglasung aufweisen. Zuschläge von 10 % können berechnet werden wenn das Gebäude mit einem Lift ausgestattet ist oder die Wohnung eine komplett ausgestattete Küchenzeile umfasst.


BESTIMMUNGEN ZUM SOZIALEN WOHNUNGSBAU IN DER EU: ERFAHRUNGEN VOR ORT

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Zu 75 % wird das gesamte Einkommen des Haushalts (nach Steuern) inklusive Kindergeld und aller sonstiger Zuwendungen in Betracht gezogen. Der anfallende Gesamtbetrag wird durch die so genannten Nutzereinheiten geteilt, um das Einkommen pro Nutzereinheit zu erhalten (Nutzereinheiten: Erste erwachsene Person = 1; jede weitere erwachsene Person = 0,7; erstes Kind = 0,50; jedes weitere Kind = 0,55. Eine Familie bestehend aus zwei Erwachsenen und zwei Kindern sind also 2,75 Nutzereinheiten). Das so bestimmte Jahreseinkommen pro Nutzereinheit wird mit dem gesetzlich festgelegten Mindesteinkommen verglichen. Ist das Einkommen pro Nutzereinheit geringer, werden 9 % des Gesamteinkommens als Miete in Rechnung gestellt. Liegt das Einkommen pro Nutzereinheit höher, wird die Miete für jede Stufe von 420 EUR um 1 % angehoben. Für eine Familie mit zwei Kindern und einem Jahreseinkommen von 27 900 EUR inklusive Kindergeld beträgt dieser Teil der Miete circa 1 885 EUR im Jahr.

Im vorgestellten Rechenbeispiel belegt ein Vierpersonenhaushalt mit einem Jahreseinkommen von 27 900 EUR eine 100 m2 große Wohnung und bezahlt 3 071 EUR Miete pro Jahr, also eine monatliche Miete von 256 EUR kalt. Für die gleiche Wohnung wären auf dem freien Markt in Luxemburg-Stadt 1 100 bis 1 400 EUR kalt aufzubringen. Schwächen des Systems: 1. Der Verschuldungsgrad einer Familie bleibt unberücksichtigt. So bezahlt eine Familie mit hohem Einkommen selbst dann eine hohe Miete, wenn nach dem monatlichen Abbezahlen der Schuld nicht mehr viel vom ursprünglichen Einkommen übrigbleibt. Hier müsste der Gesetzgeber meines Erachtens nachbessern. 2. Der Bestand an Wohnungen ist viel zu klein. Zusätzlicher Wohnraum müsste von den Kommunen geschaffen werden. Einige Gemeinden, vor allem im Süden des Landes, sind sich ihrer Verantwortung bewusst, andere dagegen verzichten absichtlich auf sozialen Wohnungsbau. Es sind dies vor allem Gemeinden im Umkreis der Stadt Luxemburg unter Mitte-Rechts-Führung, die um ihre Wählerschaft aus den hier angesiedelten Luxusvillen fürchten. Ein wohl typisches Beispiel sozialer Ausgrenzung. Um Abhilfe zu schaffen, müsste den Gemeinden ein Minimum kommunaler Sozialwohnungen vorgeschrieben werden.

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MALTA Überblick über die Strategien zum sozialen Wohnungsbau in Malta Auf Malta wird im Rahmen des sozialen Wohnungsbaus das private Wohneigentum nachdrücklich gefördert, wobei üblicherweise zwischen erschwinglichen Wohnungen (zum Kauf oder – in jüngster Zeit – zum Miteigentum) für Menschen mit mittlerem Einkommen und Sozialwohnungen (zur Miete) für Bedürftige unterschieden wird. Der Begriff „sozialer Wohnungsbau“ bezieht sich deshalb auf die Bereitstellung von Wohnungen oder eine entsprechende Unterstützung für stark hilfsbedürftige Haushalte (gewöhnlich auf Mietbasis). Die Sozialmietwohnungen befinden sich in staatlicher Trägerschaft und machen 6 % des Gesamtwohnungsbestands aus. Das Programm „Right to Buy“ soll Mietern den Kauf der staatlichen Wohnung, in der sie leben, erleichtern. Seit 2005 gibt es zudem ein Programm für Miteigentum. Mit der Einrichtung der Wohnungsbehörde Housing Authority wurde 1976 der Grundstein für die soziale Wohnungspolitik auf Malta gelegt. Die Behörde erließ Regelungen zur Verbesserung der Wohnbedingungen für Menschen mit sehr geringem Einkommen und zur Förderung des Wohneigentums. Die Abteilung Sozialwohnungen des Ministeriums für Familie und soziale Solidarität verwaltet einige Immobilien, die von privaten Hausbesitzern konfisziert wurden und jetzt zu regulierten Mietpreisen vermietet werden, sowie von der Housing Authority gebaute Mietwohnungen. Der Neubau von Sozialwohnungen wird unmittelbar mit öffentlichen Geldern der Housing Authority finanziert. Für die Einschreibung in Wartelisten (die von der Abteilung Sozialwohnungen verwaltet werden) gelten bestimmte Einkommensgrenzen. Vorrang erhalten dabei besondere Zielgruppen im Hinblick auf ihre Wohnbedingungen. In der Vergangenheit waren Mietwohnungen Personen vorbehalten, die auf den Wartelisten der Abteilung Sozialwohnungen standen; im Hinblick auf einen neuen Mietmix hat die Housing Authority jedoch inzwischen die Verfahren für die Zuweisung von Wohnungen geändert. So werden nun Wohnungen im Rahmen des Programms für Miteigentum verkauft, von der Abteilung Sozialwohnungen als Mietwohnungen zugewiesen oder für ältere Menschen oder Gruppen mit besonderen Bedürfnissen reserviert.

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Ein Beispiel von einem Mitglied der SPE-Fraktion im Ausschuss der Regionen Zugang schutzbedürftiger Bevölkerungsgruppen zu Wohnraum in Malta Die Wohnprobleme dieser Gruppen generell hängen vor allem zusammen mit: 1. ihrer wirtschaftlichen Lage, insbesondere Arbeitslosigkeit und Niedriglohnjobs; 2. den Wohlfahrtssystemen und der Belastbarkeit des soziales Netzes; 3. den für das Wohnungswesen maßgeblichen gesetzlichen Regelungen und zuständigen Behörden;

Michael Cohen Bürgermeister von Kalkara (Malta)

4. Gerechtigkeit als sozialem Faktor im Gegensatz zur Diskriminierung bestimmter Personen oder Gruppen. Der Wirtschaftsordnung kommt eindeutig eine Schlüsselrolle zu, wenn es um Härtefälle beim Zugang zu Wohnraum geht. Neben dem BIP und Konjunkturtrends wie der derzeitig erlebten Rezession hat die Gesamtentwicklung der Wirtschaftsordnung große Bedeutung für die Wohnungspolitik.

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Die verschiedenen wohlfahrtsstaatlichen Systeme in Europa verfolgen unterschiedliche Prioritäten bei der Unterstützung sozial schwacher Gruppen durch das soziale Netz und soziale Einrichtungen wie Altenheime, Kinderbetreuungsstätten usw. Die Ausgestaltung von Wohlfahrtssystemen wirkt sich erheblich auf die Wohnraumsituation aus, denn ein löchriges soziales Netz erhöht die Wahrscheinlichkeit von Problemen u. a. aufgrund von unangemessenem und unsichererem Wohnraum. Zwar tragen die für die Wohnungspolitik maßgeblichen gesetzlichen Regelungen und zuständigen Behörden auch viel zur schwierigen Wohnraumsituation bestimmter benachteiligter Gruppen der Bevölkerung bei, allerdings müssen ihre Auswirkungen im Kontext der geltenden Wirtschafts- und Wohlfahrtssysteme gesehen werden. In puncto Wohnungspolitik können Länder mit Wohlfahrtssystemen, die sich oft über Jahre bewährt haben und an die Bedürfnisse der Menschen angepasst wurden, nicht einfach mit armen Ländern verglichen werden, wo der Sozialbereich noch mit der Bewältigung der dringendsten Wohnungsprobleme zu kämpfen hat. Die in einem bestimmten Land geltenden Rechtsvorschriften bzw. das Fehlen solcher Vorschriften bilden immer noch eine hohe Barriere für den Zugang sozial schwacher Bevölkerungsgruppen zu angemessenem Wohnraum, und dies ungeachtet Artikel 61 der Habitat-Agenda der Vereinten Nationen, wo die Regierungen zur Bereitstellung angemessenen Wohnraums für benachteiligte Personengruppen verpflichtet werden, Artikel 8 (Recht auf die Achtung des Familienlebens) der Europäischen Konvention zum Schutz der Menschenrechte sowie Artikel 31 (Recht auf Wohnung) der überarbeiteten europäischen Sozialcharta. Eine wichtige Frage ist, welche Rolle die Institutionen spielen und wie sie durch ihre Organisation, Verwaltung und Personalentwicklung sowie den Aufbau von Kapazitäten auf die veränderten Erfordernisse reagieren. Zudem müssen immer auch andere, z. B. zivilgesellschaftliche Akteure als vollwertige Partner einbezogen werden. Dabei ist die ausreichende Aus- und Weiterbildung des Personals sehr wichtig.

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Bei den seit 2002 in Malta laufenden ACCESS-Projekten geht es darum, verschiedene Dienste der Wohlfahrtspflege, darunter auch die Wohnungsdienste, unter einem Dach zu vereinen und auf Synergien und eine enge Zusammenarbeit mit den staatlichen Anbietern sozialer Dienste hinzuwirken. In einem Bezirk mit großem Wohnungsbedarf schlossen sich im Rahmen von ACCESS die öffentliche Wohnungsverwaltung und ein Sozialwerk zusammen, um Betroffenen gemeinsam Angebote für geförderte Renovierungsmaßnahmen zu unterbreiten. Das Projekt war erfolgreich, denn die Bewohner akzeptierten die Sozialarbeiter und waren bereit, ihnen die Aushandlung der Bedingungen für die anstehenden Renovierungsarbeiten mit der Wohnungsverwaltung anzuvertrauen. Im Alleingang war die Wohnungsverwaltung mit diesem Vorhaben kläglich gescheitert. Um die Bedürftigen erreichen zu können, müssen die Dienstanbieter vor Ort vertreten sein; dafür sind Nichtregierungsorganisationen (NRO) oft besser gerüstet. Sie stellen eine wichtige, ja unverzichtbare Ressource für die Erbringer öffentlicher Dienstleistungen, die politischen Entscheidungsträger und die Nutzer dar. Trotzdem zeigt die Praxis, dass es viel zu selten zu einer wirklichen Kooperation zwischen den staatlichen Stellen und den Akteuren der Zivilgesellschaft kommt – und hierbei macht auch Malta keine Ausnahme. Von der Wohnungsverwaltung und den Ministerien für Gesundheit und Soziales werden in Malta, wenn auch in sehr begrenztem Ausmaß, Fördergelder für Unterkünfte für Obdachlose und andere Menschen in kritischen Lebenslagen, z. B. Personen mit psychischen Problemen, Migranten und junge Menschen ohne festen Wohnsitz zur Verfügung gestellt. Durch diese Art der Zusammenarbeit zwischen Behörden und NRO wurden gute Ergebnisse erzielt; zugleich sorgte die in diesem Fall eingegangene vertragliche Verpflichtung dafür, dass einerseits die NRO Unterstützung bei ihren Funktionsabläufen erhielten und andererseits die betreffenden öffentlichen Institutionen für die sozialen Folgen der von ihnen zu erbringenden Dienste sensibilisiert wurden.

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Trotz dieser Initiativen bleibt die Grundhaltung der mit der Wohnungsverwaltung befassten maltesischen Behörden von Alleingängen geprägt und wird nicht mit den NRO abgestimmt. Der kommunalen Ebene wird zu wenig Autonomie eingeräumt, was vor allem die Nutzung der Mittel, aber auch die Teilhabe an Entscheidungsprozessen, ihrer Umsetzung und der Ressourcenmobilisierung betrifft. Hinter der Idee der Dezentralisierung und der Übertragung von Befugnissen scheint an erster Stelle das Bemühen der Zentralregierung und ihrer Behörden zu stehen, sich Aufgaben zu entledigen, die sie überfordern. Der maltesische Gemeindeverband hat ein Programm vorgestellt, das vorsieht, die Mieteinkünfte von Sozialwohnungen den Gemeinderäten zukommen zu lassen, damit diese die nötigen Arbeiten zur Wartung und Instandsetzung dieser Wohnungen veranlassen können. Aus Sicht des Verbands sind die Gemeinderäte am besten in der Lage, den Wartungsbedarf dieser Immobilien abzuschätzen und ihre Instandhaltung zu überwachen. Vor allem ging es dem Verband aber darum, den Kommunen Mittel an die Hand zu geben, damit sie Verantwortung für ihre unmittelbare Umgebung übernehmen und sich in Bereichen engagieren können, die über das Wohl der Bürger entscheiden. Dahinter steht die Überzeugung, dass Kommunen aufgrund ihrer Struktur angemessener reagieren und damit auch bessere und wirksamere Dienstleistungen anbieten können, dass sich dadurch das Ungleichgewicht zwischen Verwaltung und Nutzern zugunsten letzterer verschiebt, die Dienste an Legitimität gewinnen, und die Nutzer selbstbewusster und selbstständiger werden. Bürgerbeteiligung ist die beste Form von demokratischer Bildung. Dem Gemeindeverband gelang es, eine sozialpolitische Maßnahme, bei der es rein formell nur um Gebäudeinstandhaltung geht, an die höher geordneten Ziele von Selbstbestimmung und der Demokratisierung des Gemeinwesens zu binden. Leider hat die Regierung die positiven Auswirkungen dieses Programms bislang nicht gewürdigt; dennoch wird der Gemeindeverband sich weiter für diese Entwicklung starkmachen, denn er ist überzeugt, dass das Allgemeinwohl eng mit der Möglichkeit zur Kontrolle des eigenen Lebensumfelds zusammenhängt.

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ÖSTERREICH Überblick über die Strategien zum sozialen Wohnungsbau in Österreich In Österreich ist der soziale Wohnungsbau nicht offiziell geregelt, doch es gibt unterschiedliche, über den Markt hinausreichende Formen der Bereitstellung von Wohnraum. Als Gemeindebauten werden von den Kommunen bereitgestellte Mietwohnungen bezeichnet, während beim gemeinnützigen Wohnungsbau nicht gewinnorientierte Investoren (wie im Wohnungsgemeinnützigkeitsgesetz geregelt) Miet- und Eigentumswohnungen errichten und Zugang zu öffentlichen Mitteln haben. Die Bundesländer stellen Mittel für Wohnbauförderprogramme zur Verfügung, in denen die Art des Wohnraums, die förderberechtigten Anbieter sowie Höchstmieten und die für die Bewohner geltenden Einkommensgrenzen festgelegt werden. Sozialbauten, die zu 60 % in der Hand der Kommunen und öffentlicher Bauträger sind, machen gegenwärtig ca. 23 % des gesamten österreichischen Wohnraumbestands aus. Von 2001 bis 2009 jedoch ging der Anteil der Kommunen bei den neu errichteten Sozialbauten auf 12 % zurück. Führend sind derzeit die gemeinnützigen Bauträger, zu denen Genossenschaften und Unternehmen zählen. Ein geringerer Anteil subventionierter Wohnungen wird von gewinnorientierten Anbietern bereitgestellt.

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Die Förderung der Bereitstellung von Sozialwohnungen ist in Österreich sehr strukturiert. Dabei werden langfristige öffentliche Darlehen zu günstigen Bedingungen und von den Bundesländern bemessene Zuschüsse mit Krediten bzw. Anleihen und von Bauherren und Mietern einzubringendem Eigenkapital kombiniert. Gefördert wird der soziale Wohnungsbau auch durch die kommunale Flächennutzungspolitik. Die Mietberechnung erfolgt auf der Grundlage der Kosten und der in der Subventionsregelung festgelegten Mietbegrenzung. Alle Anbieter müssen Einkommensgrenzen anwenden, die in den unterschiedlichen Förderprogrammen der Bundesländer geregelt sind. Gemeinnützige Anbieter müssen zusätzliche soziale Kriterien berücksichtigen, an denen sich die Reihenfolge der Wohnungsvergabe ausrichtet. Zudem dürfen die Bundesländer und Wohnbauunternehmen der öffentlichen Hand eine bestimmte Zahl Wohnungen beanspruchen, die sie selbst vergeben. Die öffentliche Wohnbauförderung wurde 2009 umfassend reformiert, als sich der Bund aus der Finanzierung zurückzog und die zuvor für die Wohnbauförderung vorgesehenen Mittel in den Gesamthaushalt der Bundesländer überführt wurden. Infolge der Wirtschafts- und Finanzkrise nahm die Zahl der öffentlich bezuschussten Wohneinheiten 2010 um 25 % ab. Das oben genannte System der gedeckten und steuerlich begünstigten Anleihen wurde von der Krise ebenfalls in Mitleidenschaft gezogen. Aufgrund der großen Nachfrage nach Wohnraum wird es in den kommenden Jahren eine der vordringlichen Aufgaben sein, genügend Wohnungen anzubieten, die auch bezahlbar sind.

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Ein Beispiel von einem Mitglied der SPE-Fraktion im Ausschuss der Regionen Wohnbaupolitik als Instrument im Kampf gegen Armut und soziale Ausgrenzung Wohnbaupolitik stellt eines der wichtigsten Instrumente im Kampf gegen Armut und soziale Ausgrenzung dar. Dies betrifft mehrere Aspekte: — Zugang zu erschwinglichen Wohnungen für alle Schichten der Bevölkerung — Vermeidung von „Schuldenfallen“ — Vermeidung von sozialer Segregation in Form gebauter „Sozialghettos“

Elisabeth Vitouch Gemeinderätin der Stadt Wien (Österreich)

— Integration von Zuwanderern — Integration von sozial schwachen Gruppen („vulnerable groups“) — Vermeidung von Energiearmut („fuel poverty“) — Schaffung langfristiger, nachhaltiger Strukturen und Finanzierungssysteme Die EU kann hier positiv wie auch negativ wirken: — positiv durch Kofinanzierungen (Strukturfonds), aber auch durch Know-how-Transfer und Capacity Building — negativ durch das Wettbewerbsrecht (Beispiele: Verfahren gegen die Niederlande und Schweden), wodurch auch das österreichische Förderungsrecht betroffen sein könnte

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Soziale Nachhaltigkeit im Wiener Wohnbau Seit 2009 müssen alle geförderten Wohnbauprojekte (rund 7 000 Wohnungen pro Jahr, dies entspricht etwa 90 % des gesamten Wohnungsneubaus) im Rahmen der Bauträgerjurien auch auf ihre soziale Nachhaltigkeit hin überprüft werden. Demnach soll geförderter Wohnraum unterschiedlichen Nutzungen, Gruppen von Nutzerinnen und Nutzern sowie Wohnformen durch vielfältig nutzbare Grundrisse, Erschließungs- und Gemeinschaftsflächen und Außenbereiche entsprechen. Auf Alltagstauglichkeit und Reduktion der Errichtungs- und Bewirtschaftungskosten durch geeignete Planung ist zu achten. Soziale Durchmischung, Mitbestimmungskonzepte, Hausorganisation, identitätsstiftende Maßnahmen und Vernetzung mitsozialer Infrastruktur sollen gestärkt werden. Dazu gehören insbesondere folgende Kriteriengruppen: — Alltagstauglichkeit, — Kostenreduktion durch Planung, — Wohnen in Gemeinschaft, — Wohnen für wechselnde Bedürfnisse. Es ist erwähnenswert, dass der Wiener Stadtrat im Jahr 2010 eine Arbeitsgruppe zum Sozialen Wohnungsbau mit Eurocities geleitet hat, welche allgemeine Grundlagen für sozialen Wohnbau und konkrete Forderungen an die europäische Politik diskutiert hat. (Einen weiteren Beitrag aus Österreich von Walter Blachfellner finden Sie auf Seite 46).

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POLEN Überblick über die Strategien zum sozialen Wohnungsbau in Polen Für Polen fällt eine Definition des Begriffs „soziales Wohnungswesen“ schwer, weil darunter Mietwohnungen und Sozialmietwohnungen im Besitz der Gemeinden, von gemeinnützigen Wohnungsbaugesellschaften (TBS) angebotene Wohnungen mit regulierten Mieten und von Staatsunternehmen bzw. der öffentlichen Hand für ihre Beschäftigten bereitgestellte Wohnungen fallen. Alle „geschützten Wohnungen“ gehören zum sozialen Wohnungsbau, wie auch mit staatlichen Beihilfen gebaute oder erworbene eigengenutzte Wohnungen. Sozialwohnungen in Form von Gemeindewohnungen machen noch immer einen Großteil des Wohnungsbestands aus; allerdings kam der Neubau von Gemeindewohnungen in letzter Zeit fast ganz zum Erliegen. Derzeit gibt es 393 eingetragene Gesellschaften für sozialen Wohnungsbau (TBS), die verschiedene Rechtsformen haben und sich in privatem, öffentlichem oder gemischtem Besitz befinden können. Zudem verwalten Genossenschaften noch 19,4 % aller Wohnungen in Polen, wobei sie zwei Besitzrechtsformen anbieten: das Recht auf Eigennutzung einer Genossenschaftswohnung und das Recht auf Mieten einer Genossenschaftswohnung.

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Die öffentliche Bank Gospodarstwa Krajowego (BGK) räumt den TBS und den Genossenschaften gegenwärtig Vorzugszinssätze für den Bau von Sozialwohnungen ein. Die Darlehen decken 70 % des Projektwerts. TBS-Gesellschaften decken die restlichen 30 % mit eigenen Mitteln und verlangen oft von den Mietern, die Lücke zwischen den Baukosten und dem öffentlichen Darlehen teilweise selbst zu überbrücken. Die Mieten sind kostenabhängig und haben gesetzlich festgelegte Obergrenzen. Die Gemeinden setzen hauptsächlich ihre eigenen Haushaltsmittel dazu ein, den Bestand an Gemeindewohnungen durch Neubau und Erwerb existierender Wohnungen zu vergrößern. Die Mieten in Gemeindewohnungen werden lokal festgelegt. Außerdem können die Gemeinden Zuschüsse aus einem Hilfsfonds der BGK beantragen, um Sozialmietwohnungen für Einkommensschwache zu bauen oder zu renovieren. In von den Gemeinden bereitgestellten Sozialmietwohnungen beträgt die Miete höchstens die Hälfte der Miete kommunaler Wohnungen, die Mieter haben dann jedoch keinen Anspruch auf Wohngeld. Zudem stellt der Staat Zuschüsse für Gemeinden und Nichtregierungsorganisationen bereit, die im Neu- und Umbau von Wohnungen für Obdachlose und Menschen mit besonderen Bedürfnissen tätig sind. Die Kriterien sind von Programm zu Programm unterschiedlich, doch hängt der Anspruch auf eine Sozialwohnung in erster Linie vom persönlichen Einkommen ab. Das gesetzlich zulässige Höchsteinkommen pro Person und Haushalt ist an das Durchschnittseinkommen in einer Region geknüpft oder wird von der Kommune festgelegt. Es gelten auch bestimmte Obergrenzen für die Fläche der zugewiesenen Sozialwohnung je nach den Wohnbedürfnissen des jeweiligen Haushalts.

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Ein Beispiel von einem Mitglied der SPE-Fraktion im Ausschuss der Regionen Bekämpfung der Obdachlosigkeit in ländlichen Gebieten – eine Fallstudie Auf dem boomenden polnischen Immobilienmarkt treibt die enorme Nachfrage nach privatem Wohnraum – ganz gleich, ob es sich um Baubestand oder Neubauten handelt – die Preise rasant in die Höhe. Ein Quadratmeter Wohneigentum kostet im Durchschnitt 4 020 Złoty (etwa 1 000 EUR), doch die Quadratmeterpreise, die in den Großstädten des Landes am höchsten sind, schwanken stark. In Niederschlesien kosten Eigentumswohnungen zwischen 2 710 und 6 400 Złoty (690-1 700 EUR) pro Quadratmeter. Das Durchschnittseinkommen in Polen beträgt 3 403 Złoty (865 EUR, Stand: Juli 2010), das Mindesteinkommen 1 317 Złoty (etwa 332 EUR) brutto. Ein durchschnittlicher Monatsverdienst reicht also nicht einmal aus, um einen Quadratmeter Wohnraum zu kaufen. Viele Polen, die aufgrund von Armut, Krankheit oder sozialer Ausgrenzung benachteiligt sind, können sich kein Wohneigentum leisten. Manche von ihnen sind sogar von Obdachlosigkeit bedroht.

Leszek Świętalski Bürgermeister von Stare Bogaczowice (Polen)

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In Polen sind die Gemeinden verpflichtet, die Voraussetzungen für die Deckung des örtlichen Wohnungsbedarfs zu schaffen. Gemäß den Rechtsprinzipien und in den gesetzlich vorgesehenen Fällen stellen sie Sozial- und Ersatzwohnungen zur Verfügung und berücksichtigen dabei auch die Bedürfnisse von Haushalten mit geringem Einkommen. Der Spielraum, den die meisten polnischen Kommunen haben, um den gesetzlich vorgeschriebenen Aufgaben nachzukommen, ist begrenzt, weil es an Sozialwohnungen sowie an Fördermitteln für Renovierungsarbeiten oder Neubauten mangelt. Durchschnittlich wartet man in Polen zwei Jahre auf eine Sozialwohnung, doch bei einigen der Ärmsten sind es zwischen sieben und 20 Jahren. Sozialwohnungen machen derzeit 10 % des gesamten Wohnungsmarktes aus, wobei die Tendenz fallend ist – dies ist eines der Hauptprobleme polnischer Kommunen. Die Wohnungsprobleme der Ärmsten lagen unserem Gemeinderat schon immer besonders am Herzen. In der „Strategie zur Lösung sozialer Probleme für die Jahre 2006-2013“ wird der Neubau von Sozialwohnungen als einer der fünf wichtigsten Bereiche bezeichnet (neben der Bildung, dem Gesundheitswesen, der Sozialhilfe und der Alkohol- und Drogenproblematik). Allgemeines Ziel der Strategie ist es, den am Ort Ansässigen angemessenen Wohnraum zur Verfügung zu stellen, als konkrete Ziele werden genannt: den Wohnungsbedarf vollständig zu decken, alternative Ansätze zur Deckung des Wohnungsbedarfs zu finden und bessere Wohnbedingungen für kinderreiche Familien zu schaffen. Eine Wohnraumbestandsaufnahme hat ergeben, dass die Gemeinde Stare Bogaczowice über 109 Wohnungen in 95 Gebäuden verfügt. Diese wurden zu 100 % vor 1945 errichtet, und der bauliche Zustand von 80 % dieser Wohnungen wurde als zufriedenstellend bezeichnet. Auf der Warteliste für Sozialwohnungen standen 32 Familien, darunter Waisen, alleinerziehende Mütter, Menschen mit Behinderungen und Personen, die ihre frühere Wohnung auf richterliche Anordnung hatten räumen müssen. Manche von ihnen warteten seit mehr als 13 Jahren auf angemessenen Wohnraum.

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In Gemeindebesitz war auch ein leer stehendes Schulgebäude, das eigentlich als Altenwohnheim genutzt werden sollte. Da sich kein Investor fand, entschloss sich die Gemeindeverwaltung zu einer eingehenden Prüfung ihres finanziellen Spielraums und der Möglichkeit, das Objekt für von sozialer Ausgrenzung Bedrohte zu nutzen. Anschließend wurde vorgeschlagen, es für den sozialen Wohnungsbau zu erschließen. In einem am 29. März 2007 unterzeichneten Vertrag wurde die Renovierung und Umnutzung des Gebäudes vereinbart. Nach Abschluss der Vorbereitungen im Februar 2008 wurde im März 2009 die Baugenehmigung erteilt. Gleichzeitig reichte die Gemeindeverwaltung einen Antrag auf staatliche Beihilfe zum Bau neuer Sozialwohnungen bei der Landeswirtschaftsbank ein, die die einzige Stelle ist, von der die Kommunen in diesem Bereich staatliche Fördergelder erhalten können. Dem Gemeinderat wurde ein staatlicher Zuschuss in Höhe von 220 202 Złoty (etwa 56 000 EUR) zur Verfügung gestellt, weitere 513 806,74 Złoty (etwa 130 400 EUR) für das Projekt stammten aus seinem eigenen Budget. Daraufhin wurden zehn Sozialwohnungen mit Zentralheizung, Badezimmern und Elektroherden gebaut. Der Wohnstandard dieser Neubauten liegt über dem anderer Sozialwohnungen. Die Grundfläche des Gebäudes beträgt 604 m2, die durchschnittliche Fläche der Wohnungen 46,44 m2. Das Gebäude wird seit dem 30. September 2009 genutzt, zuvor wurden bei einer Überprüfung der Warteliste für Sozialwohnungen zwölf von 32 Anträgen abgelehnt. Ein aus Vertretern der Verwaltung und dem Leiter der Sozialhilfebehörde bestehendes Team wurde mit der Wohnungsvergabe betraut.

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Nicht nur in Polen besteht bei Sozialwohnungen – insbesondere in Wohnanlagen oder Wohnblocks – die Gefahr, dass diese zum Nährboden für soziale Probleme und schließlich zu Slums werden. Um dies zu vermeiden, versuchten wir, geeignete Mieter auszusuchen und sowohl auf die Bedürftigkeit der Mieter als auch auf ihre Anpassungsfähigkeit zu achten. Wir entschieden uns, die Mieter so auszuwählen, dass sie als Bewohner von Sozialwohnungen weder gesellschaftlich stigmatisiert noch dauerhaft ausgegrenzt würden. Die Wohnungen wurden Menschen mit unterschiedlichen sozialen Hintergründen zugeteilt, die nach Meinung des Teams sowohl überaus bedürftig als auch am stärksten auf den gemeinschaftlichen Aspekt des Wohnens bedacht waren. Ausgesucht wurden u. a. eine alleinerziehende Mutter mit vier Kindern (darunter ein Kind mit einer Behinderung), drei weitere alleinerziehende Mütter, zwei behinderte Familien und ein obdachloser Alkoholkranker, der gerade einen Entzug hinter sich hatte. Durch die Schaffung eines auf gegenseitige Verantwortung abzielenden Geflechts unter den Mietern wurde möglichem Vandalismus entgegengewirkt; zudem wurde für das Gebäude ein ehemals obdachloser Alkoholkranker als Hausmeister eingesetzt. Darüber hinaus wird das Gebäude unauffällig von Sozialarbeitern überwacht, die verpflichtet sind, sämtliche Unregelmäßigkeiten zu melden. Es gab eine feierliche Schlüsselübergabe an die Mieter, bei der Mitglieder des Gemeinderats und der Gemeindeverwaltung anwesend waren. Bei diesem Anlass hatten die Mieter und ihre Familien (die aus verschiedenen Orten stammen) die Gelegenheit, einander kennenzulernen. Die Mieter erhielten die Schlüssel und die Mietverträge vom Bürgermeister, der sie zu ihren neuen Wohnungen beglückwünschte, ihnen den Hausmeister vorstellte und sie bat, auf ihr gemeinsames Haus achtzugeben. Dies ist eines der wenigen Projekte dieser Art in Polen, die in einer kleinen ländlichen Gemeinde umgesetzt wurden.

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SPANIEN Überblick über die Strategien zum sozialen Wohnungsbau in Spanien Die spanische Verfassung garantiert das Recht auf Wohnung. Sozialwohnungen unterliegen in Spanien öffentlichem Schutz (sie heißen deshalb Viviendas de Protección Pública). Im Gegensatz zu den meisten Modellen in der EU sind in Spanien fast alle Sozialwohnungen selbst genutzte Eigentumswohnungen. Nur wenige Sozialwohnungen werden zur Miete angeboten (derzeit aber mit steigender Tendenz). Wesentliches Merkmal des sozialen Wohnungswesens sind staatliche Subventionen für Bau, Renovierung und Kauf mittels zinsvergünstigter Darlehen für die Anbieter. Im Gegenzug werden Wohnungen, die eine Reihe von Größen- und Qualitätskriterien erfüllen, zu Preisen unterhalb des Marktwerts an Personen verkauft oder vermietet, deren Einkommen unter bestimmten Einkommensgrenzen liegen. Der Anteil der Eigentumswohnungen am gesamten Immobilienbestand in Spanien beträgt 85 %; hingegen ist der Anteil der Mietwohnungen, die es fast nur in einigen wenigen Großstädten wie Barcelona und Madrid gibt, mit nur 11 % der niedrigste in Europa. Der Anteil der Sozialmietwohnungen beläuft sich nur auf etwa 2 %. Die öffentliche Förderung von Sozialwohnungen hängt von der jeweiligen Immobilie ab und ist offen für die Beteiligung aller Kategorien von Anbietern. Öffentliche und gewerbliche Bauträger, gemeinnützige Organisationen und Genossenschaften sowie Privatpersonen, die allein oder mit anderen Wohnraum kaufen oder sanieren möchten, können dazu offiziell beitragen oder finanzielle Unterstützung leisten. Die Finanzmittel für Sozialwohnungen stammen in erster Linie aus dem nationalen Wohnprogramm und in zweiter Linie aus Regionalprogrammen sowie aus Darlehen privater Kreditinstitute. Der Staat schließt Verträge mit Kreditinstituten, die sich verpflichten, Darlehen zu günstigen Konditionen zu vergeben. Neben dem Zugang zu vergünstigten Darlehen gibt es für Sozialwohnungen auch direkte öffentliche Beihilfen, d. h. Zuschüsse oder subventionierte Kredite. Ausgehend von der Einkommensverteilung haben je nach Art der subventionierten Wohnungen grob geschätzt über 80 % der Haushalte theoretisch Zugang zu solchen Wohnungen. Wer eine Sozialwohnung kauft, zugewiesen erhält oder zur Selbstnutzung baut, darf keine andere Wohnung bzw. kein Dauernutzungsrecht für eine andere Wohnung besitzen sowie in den letzten zehn Jahren keine Förderung aus dem Wohnprogramm erhalten haben; zudem muss sein Einkommen unterhalb bestimmter Grenzen liegen. Behinderte und abhängige Personen haben Vorrang, wobei die Regionalregierungen weitere Kriterien festlegen können. 109


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Ein Beispiel von einem Mitglied der SPE-Fraktion im Ausschuss der Regionen Wohnungspolitik zur Förderung der sozialen Integration im Baskenland Der Zugang zu menschenwürdigem Wohnraum ist zweifellos ein entscheidender Faktor der sozialen Integration. Zu den möglichen Risikofaktoren der sozialen Ausgrenzung zählen: — unzureichende finanzielle Mittel Patxi López Álvarez Präsident des Baskenlandes (Spanien)

— Behinderung: geistig, körperlich, psychisch oder altersbedingt — Zugehörigkeit zu einem Kulturkreis, der sich von dem des Aufnahmelandes unterscheidet Mittel zur Förderung der sozialen Integration — angemessenes Niveau des sozialen Zusammenhalts — Hilfen zur Förderung der Selbstständigkeit durch die Bereitstellung kleiner Wohnungen für einen Zeitraum von fünf Jahren — Soforthilfe im Notfall und ad hoc — Wohngeld — Stadtplanung: Verpflichtung, in neu erschlossenen Gebieten Baugrund für 75 % der im Rahmen des Sozialprogramms zu bauenden Wohnungen vorzuhalten

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Einsatzbereich der Mittel Mittelfristiges Ziel: Verwirklichung eines ausreichenden Angebots an öffentlichen Sozialwohnungen für Personen, die von sozialer Ausgrenzung bedroht sind. In der Zwischenzeit muss dies durch Programme zur Vermietung leerstehender Wohnungen (Bestandswohnungen, auf dem freien Markt) ergänzt werden, wobei der Staat als Mittler zwischen Mieter und Vermieter auftritt, indem er bei der Transaktion die Bürgschaft übernimmt und die Miete begrenzt. Mietwohnungen Nur 7 % der als Hauptwohnsitz genutzten Wohnungen werden gemietet; in der EU sind es hingegen 25 %. Von denjenigen, die eine Sozialwohnung beantragen, möchten nur 29 % zur Miete wohnen. Allerdings gilt mieten als beste Option für Personen, die von sozialer Ausgrenzung bedroht sind. Die Miete von Sozialmietwohnungen richtet sich nach den finanziellen Möglichkeiten des Mieters (höchstens 30 % der Einkünfte). Eigentumswohnungen Dies entspricht grundsätzlich der Privatinitiative und richtet sich an Angehörige des intermediären Sektors, die zwar nicht von Ausgrenzung bedroht sind, sich aber nicht die Preise des freien Marktes leisten können. In diesem Fall sollen keine Verwaltungsmittel verbraucht, sondern Eigenmittel herangezogen werden. Die Förderung besteht in der Rückstellung von Baugrund zu festgelegten Höchstpreisen und im Zugang zu zinsverbilligten Darlehen, die zwischen Staat und Kreditinstituten vereinbart werden. Im Gegenzug gilt die Einstufung als Sozialwohnung für unbegrenzte Zeit. Die Wohnungspreise werden reguliert. Die von den Käufern bezahlten Preise werden auf deren finanzielle Möglichkeiten abgestimmt, um sicherzustellen, dass sie nicht mehr als ein Drittel ihres Einkommens ausmachen. Es wird ein Garantie- und Ausgleichsfonds zur Regelung der Differenzen eingerichtet.

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EINE EUROPÄISCHE AGENDA FÜR DEN SOZIALEN WOHNUNGSBAU

Gebäudesanierung Das Baskenland hat eine Bevölkerung von 2,1 Millionen Menschen und eine Ersatzrate von 0,676. Es wird eine Bevölkerungsabnahme von 1,3 % bis 2020 erwartet. Es gibt 997 000 Wohnungen, von denen 33 % älter als 50 Jahre alt sind und die meisten saniert werden müssen. 40 % sind zwischen 30 und 50 Jahre alt und stammen damit aus der Zeit vor der Einführung von Energiespargesetzen. Ein Großteil der Menschen, die in historischen Vierteln leben, sind von sozialer Ausgrenzung bedroht (Ältere, Einwanderer, Jugendliche mit niedrigem Einkommen usw.). Da Renovieren stärker dem Nachhaltigkeitsprinzip entspricht als Bauen, hat die baskische Regierung ein Subventionssystem eingerichtet, um dem städtischen Verfall entgegenzuwirken, die soziale Integration und die wirtschaftliche Erneuerung zu fördern und einen weiteren Flächenverbrauch zu vermeiden. Derzeit erarbeiten wir einen Strategieplan für die Gebäudesanierung und Stadterneuerung, in dem Prioritäten und Mechanismen zur Durchführung von Programmen festgelegt werden. 2011 wurden die Fördermittel für Maßnahmen zur Verbesserung der Energieeffizienz und der Zugänglichkeit aufgestockt. Förderung der Energieeffizienz Die für den Wohnungsbau aufzuwendende Energie hat einen Anteil von 24,58 % am Gesamtverbrauch (Heizung hat einen Anteil von 46 %, Warmwassererzeugung von 20 %). Zur Erreichung der Ziele „20-20-20“ bis 2020 muss im Bereich der Nachfrage nach Heizenergie entschlossen gehandelt werden, um diese um 45 % zu senken. Im Strategieplan werden Aktionen zur Verbesserung der Energieeffizienz definiert. Grundlage ist eine Analyse von 144 bestehenden Gebäuden in unterschiedlichen Klimazonen des Baskenlands. Ausgehend von mehreren Hypothesen werden unterschiedliche Interventionsniveaus vorgeschlagen, um existierende Heiz- und Warmwassersysteme durch leistungsfähigere zu ersetzen und Gebäudehüllen zu überarbeiten. Anhand der Ergebnisse werden die Höhe der Energieeinsparungen sowie die Kosten des Nichthandelns bestimmt. Dieses Projekt ist Teil des Open-House-Projekts zur Erarbeitung eines europäischen Nachhaltigkeitsleitfadens.

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BESTIMMUNGEN ZUM SOZIALEN WOHNUNGSBAU IN DER EU: ERFAHRUNGEN VOR ORT

Verbesserung der Zugänglichkeit Die Zugänglichkeit der meisten Bestandswohnungen ist stark eingeschränkt, z. B. gibt es in über 80 000 Gebäuden keinen Aufzug. Die Beseitigung architektonischer Barrieren erleichtert die soziale Integration einer großen Zahl von älteren Menschen oder Personen mit Mobilitätsproblemen, die aus diesem Grund derzeit gänzlich auf fremde Hilfe angewiesen sind.

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EINE EUROPÄISCHE AGENDA FÜR DEN SOZIALEN WOHNUNGSBAU

TSCHECHISCHE REPUBLIK Überblick über die Strategien zum sozialen Wohnungsbau in der Tschechischen Republik Angesichts des hohen Dezentralisierungsgrads und des fehlenden Rechtsrahmens lässt sich der Umfang des sozialen Wohnungsbaus in der Tschechischen Republik nur schwer ermessen. Es ist umstritten, ob sämtliche in kommunaler Hand befindlichen Mietwohnungen dazugehören oder nur der für Geringverdiener vorgesehene Teil dieses Bestands. Während der Übergang zur Demokratie in den meisten Ländern Mittel- und Osteuropas mit der raschen Privatisierung des öffentlichen Wohnungsbestands einherging, wurden in der Tschechischen Republik keine Rechtsvorschriften für den Erwerb der bewohnten öffentlichen Mietwohnung erlassen, sodass bis heute 17 % des Wohnungsbestands in kommunaler Hand sind. Der Staat beschloss, das Gesetz über Mieten und Mieterschutz aus der Zeit vor 1990 aufrechtzuerhalten und nur geringe und allmähliche Mietanhebungen zu erlauben. Miethöchstgrenzen gelten sowohl für kommunale als auch für private Wohnungen, neue Mietverträge sind jedoch von der Regulierung ausgenommen.

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BESTIMMUNGEN ZUM SOZIALEN WOHNUNGSBAU IN DER EU: ERFAHRUNGEN VOR ORT

Seit 2003 wurden neue Sozialbauten für Geringverdiener und Menschen mit Behinderungen errichtet, die jedoch nur 0,6 % des Gesamtwohnungsbestands des Landes ausmachen. Eine geringe Anzahl Wohneinheiten wird im Rahmen sozialer Dienste genutzt (sozial betreutes Wohnen, Not- und Asylunterkünfte). Ferner liefen 2009 zwei neue Programme an, durch die mehr Sozialwohnungen verfügbar gemacht werden sollen, und zwar indem auch privaten Trägern, die soziale Mietwohnungen für Geringverdiener anbieten wollen, Zugang zu Fördermitteln gewährt wird. Die Umsetzung dieser Programme verläuft jedoch schleppend, weshalb die Kommunen nach wie vor die einzigen Träger des sozialen Wohnungsbaus sind. Der Großteil der für den sozialen Wohnungsbau benötigten Mittel stammt aus den Kommunalhaushalten. Der staatliche Wohnungsbaufonds, der eigentlich Investitionszuschüsse im Rahmen bestimmter Programme gewähren soll, kann diese Aufgabe wegen fehlender Mittel derzeit nicht erfüllen. Ausschlaggebend für die Vergabe von Sozialwohnungen sind u. a. (je nach Kommune) das Einkommen und die Zugehörigkeit zu einer der im Rahmen bestimmter Programme festgelegten vorrangigen Zielgruppen, etwa Geringverdienende, Senioren und von sozialer Ausgrenzung Gefährdete. Im Jahr 2006 wurde ein neues Mietgesetz verabschiedet, durch das die Kluft zwischen dem regulierten und dem freien Wohnungsmarkt überbrückt werden sollte. Eigentümer regulierter Mietwohnungen haben seitdem das Recht, die Miete bis zu viermal einseitig zu erhöhen. Dies machte in ungefähr 400 000 Fällen eine gerichtliche Einigung über die künftige Miete zwischen Mietern und Vermietern nötig.

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EINE EUROPÄISCHE AGENDA FÜR DEN SOZIALEN WOHNUNGSBAU

Ein Beispiel von einem Mitglied der SPE-Fraktion im Ausschuss der Regionen Regionale Formen der sozialen Ausgrenzung und Möglichkeiten ihrer Überwindung In jedem Staat gibt es so genannte innere, innerstaatliche Randgebiete, so auch in der Tschechischen Republik, in der es mehrere Gebiete gibt, in denen Teile der Bevölkerung bei andauernd niedrigem Lebensstandard abgeschieden leben und u. a. mit Arbeitslosigkeit, unzureichendem Zugang zu Dienstleistungen, schlechter bzw. nicht vorhandener Infrastruktur, geringem Kulturangebot sowie unzureichenden sozialen Kontakten konfrontiert sind. Stanislav Eichler Präsident der Region Liberec (Tschechische Republik)

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Im Einklang mit der Lissabon-Strategie haben sich alle Mitgliedstaaten bereiterklärt, ihre Politik zur Bekämpfung von Armut und sozialer Ausgrenzung zu koordinieren, und zwar in Form der Methode der offenen Koordinierung. In der Tschechischen Republik hat jedes einzelne Ministerium einen eigenen Nationalen Aktionsplan; diese werden in der Praxis in den Regionen in einem schrittweisen Prozess verwirklicht. Die Region Liberec bildet hier keine Ausnahme und sorgt für die Umsetzung dieser Pläne unter Berücksichtigung aller regionaler Akteure (insbesondere die Gemeinden und die Akteure der Gemeinwirtschaft).


BESTIMMUNGEN ZUM SOZIALEN WOHNUNGSBAU IN DER EU: ERFAHRUNGEN VOR ORT

Wird für die soziale Ausgrenzung insgesamt keine Lösung gefunden, so drohen insbesondere: i

soziale Ausgrenzung Einzelner und ganzer sozialer Gruppen, sodass deren Teilhabe an den gesellschaftlichen, politischen und wirtschaftlichen Aktivitäten der Zivilgesellschaft erschwert bzw. nachteilig beeinflusst wird;

i

ein unsystematisches Vorgehen in Bezug auf die Fürsorge für gefährdete Kinder und eine Verschlechterung der Qualität der Arbeit mit diesen gefährdeten Kindern und ihren Familien;

i

eine Zunahme der Arbeitslosigkeit, ein schlechter Zustand der Unterkünfte sowie mehr und schwerer wiegende Armut;

i

Konflikte zwischen unterschiedlichen Nationalitäten und ethnischen Gruppen.

Bereiche, in denen soziale Ausgrenzung sichtbar wird: i

erschwerter Zugang zum Arbeitsmarkt;

i

erschwerter Zugang zu qualitativ hochwertigem Wohnraum;

i

erschwerter Zugang zur Bildung;

In der Region Liberec wollen wir bei der sozialen Eingliederung Folgendes gewährleisten: 1. Zugang zu den Ressourcen, Rechten und Dienstleistungen, die eine Teilhabe an der Gesellschaft erst ermöglichen, Verhütung sozialer Ausgrenzung und Bekämpfung sämtlicher Formen der Diskriminierung, die zu sozialer Ausgrenzung führen können (in der Region leben 13 500 Roma, 17 Gemeinden gelten als „ausgegrenzt“); 2. aktive soziale Eingliederung für alle sowohl durch Förderung der Teilhabe am Arbeitsmarkt als auch durch die Bekämpfung von Armut und sozialer Ausgrenzung (derzeit liegt die Arbeitslosenquote im Kreis Liberec bei 10 %); 3. gute Koordinierung der Maßnahmen zur sozialen Eingliederung, damit sich alle Verwaltungsebenen und relevanten Akteure engagieren, einschließlich der von Armut betroffenen Menschen;

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EINE EUROPÄISCHE AGENDA FÜR DEN SOZIALEN WOHNUNGSBAU

4. Wirksamkeit der Maßnahmen zur sozialen Eingliederung und ihre Berücksichtigung in allen einschlägigen Bereichen des staatlichen Handelns (z. B. in den Gemeindeentwicklungsplänen), einschließlich der Wirtschafts- und Haushaltspolitik, der Bildungspolitik und der Berufsbildung (Programme der Strukturfonds, vornehmlich des Europäischen Sozialfonds). In der Region Liberec setzen wir zur Bewältigung sozialer Probleme Ausschreibungen individueller Vorhaben ein. Wir schreiben regelmäßig Aufträge aus, und die Vereinigungen ohne Erwerbszweck sowie lokale Gebietskörperschaften können sich um diese bewerben. Dieses Vorgehen hat sich sowohl als zweckmäßig als auch am wirksamsten erwiesen. So können wir planen und flexibel auf die vor Ort erhobenen Forderungen im Rahmen der Bedarfsplanung in den Gemeinden unserer Region eingehen. Sehr häufig werden wir uns dabei bewusst, dass in den einzelnen Regionen ähnlich gelagerte Aufgaben angegangen werden müssen. Wir bieten unsere Erfahrungen und Mitarbeiter an, aber es fehlt an finanziellen Mitteln und manchmal auch an der Unterstützung durch die Gemeinden. Das betrifft die Drogenproblematik, Obdachlosigkeit und die soziale Ausgrenzung Einzelner. Wichtigste Vorschläge für systemische Maßnahmen Querschnittsmaßnahmen: i

insgesamt Stärkung der Kommunikation und Zusammenarbeit zwischen den verschiedenen Akteuren, die sich dem Problem der sozialen Ausgrenzung widmen;

i

Gewährleistung des Zugangs zur Sozialarbeit vor Ort für alle Bürger, die ausgegrenzt bzw. von Ausgrenzung bedroht sind.

Wohnen:

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i

Klärung der Rolle der Gemeinden bei Wohnungsfragen;

i

Klärung des Konzepts des „sozialen Wohnungsbaus“ und Beginn der Errichtung von Sozialwohnungen;

i

strikte Durchsetzung des Diskriminierungsverbots in Wohnungsangelegenheiten.


BESTIMMUNGEN ZUM SOZIALEN WOHNUNGSBAU IN DER EU: ERFAHRUNGEN VOR ORT

Beschäftigung: i

Unterbreitung von Beschäftigungsprogrammen mit differenziertem Ansatz (insbesondere für Frauen und jugendliche Arbeitssuchende mit Abschluss einer Schule des Pflichtschulbereichs);

i

Anpassungen im Hinblick auf die Möglichkeit, dass sich Abgänger von allgemeinbildenden Schulen oder Förderschulen des Pflichtschulbereichs bei den Arbeitsämtern als arbeitsuchend melden können;

i

Änderung des Verhältnisses zwischen der Höhe des Mindestlohns und der staatlichen Sozialhilfe, Modellrechnungen der Auswirkungen verschiedener Varianten dieser Anpassungen.

Ausbildung: i

Veränderung der Grenzen der Einzugsbereiche der Schulen der Pflichtschulbildung;

i

Änderung des Ablaufs der Einschreibung in die allgemeinbildenden Schulen und Förderschulen des Pflichtschulbereichs und die Vorbereitungsklassen, die bei den Förderschulen eingerichtet wurden;

i

Senkung der Mindestschülerzahl je Jahrgang für Vorbereitungsklassen in kleinen Gemeinden;

i

Anpassung der Finanzierung der Schulen unter Berücksichtigung der höheren Ausgaben für die Unterrichtung von Schülern aus sozial benachteiligten Schichten;

i

Identifizierung der Roma-Schüler zu dem Zweck, den Erfolg der einzelnen Integrationsprogramme überwachen zu können;

i

Einrichtung einer Plattform für den Erfahrungsaustausch zwischen allgemeinbildenden Schulen und Förderschulen des Pflichtschulbereichs, die Schüler aus sozial ausgegrenzten Gemeinden mit Roma-Bevölkerung besuchen.

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EINE EUROPÄISCHE AGENDA FÜR DEN SOZIALEN WOHNUNGSBAU

VEREINIGTES KÖNIGREICH Überblick über die Strategien zum sozialen Wohnungsbau im Vereinigten Königreich Im Vereinigten Königreich sind Sozialwohnungen kostengünstige Unterkünfte, die auf der Grundlage von Bedürftigkeitskriterien zugewiesen werden. Dabei kann es sich – mit Ausnahme Nordirlands, wo Sozialwohnungen nur zur Miete angeboten werden – um Miet-, erschwingliche Eigentums- oder Miteigentumswohnungen handeln. Generell werden sie von Gemeinden und gemeinnützigen Organisationen wie Wohnungsgesellschaften bereitgestellt, auch wenn es landesweit Unterschiede gibt: Sozialwohnungen machen 17,5 % des Gesamtbestands in England aus, ca. 24 % in Schottland, ca. 17 % in Nordirland und ca. 16,4 % in Wales. Der drastische Rückgang des kommunalen sozialen Wohnungsbaus hat in Verbindung mit dem Verkauf von Wohnungen an die derzeitigen Mieter und der Übertragung von über einer Million Gemeindewohnungen an Wohnungsgesellschaften zwischen 1988 und 2009 dazu geführt, dass die Wohnungsgesellschaften jetzt die wichtigsten Anbieter von erschwinglichem Wohnraum in England sind (sie verwalten gegenwärtig 54 % der Sozialwohnungen). Auch in Schottland und Wales schrumpft das öffentliche Angebot an Sozialwohnungen. Anders ist die Lage in Nordirland, da hier die Sozialwohnungen nicht in großem Stil von der öffentlichen Hand auf die Wohnungsgesellschaften übertragen wurden.

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BESTIMMUNGEN ZUM SOZIALEN WOHNUNGSBAU IN DER EU: ERFAHRUNGEN VOR ORT

Die Bereitstellung neuer Wohnungen und die damit verbundenen Grundstückskosten werden aus drei Quellen finanziert: Rückstellungen der Wohnungsgesellschaften, staatliche Subventionen und private Finanzmittel (Bankdarlehen oder Finanzierung über die Kapitalmärkte). Die Kapitalbeihilfen werden von dezentralen Verwaltungsstellen in England, Schottland, Wales und Nordirland koordiniert. In Bezug auf die Nutznießer des sozialen Wohnungsbaus sind alle Gemeinden im Vereinigten Königreich seit dem Wohnungsgesetz Housing Act von 1977 theoretisch dazu verpflichtet, Wohnungen für diejenigen bereitzustellen, die Wohnraum benötigen, soweit sie eine Reihe objektiver Kriterien erfüllen und zu den vornehmlich Anspruchsberechtigten gehören. 2003 verabschiedete das schottische Parlament den Homelessness Scotland Act – ein Gesetz, das über den Housing Act von 1977 hinausgeht. Ab 2012 können alle schottischen Bürger, die nicht über angemessenen Wohnraum verfügen, vor Gericht klagen, um von ihrer lokalen Gebietskörperschaft dauerhaft eine Unterkunft zu erhalten, wenn ihr diesbezüglicher Antrag nicht bearbeitet wurde. Der soziale Wohnungsbau erfährt auch in England wesentliche Veränderungen. Mit dem neuen Kommunalgesetz (Localism Bill), das im April 2012 in Kraft treten soll, werden viele Befugnisse von der Zentralregierung auf die Gemeinden übertragen; damit sollen die bisherigen Probleme mit Investitionen und rechtlichen Regelungen vermieden werden.

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EINE EUROPÄISCHE AGENDA FÜR DEN SOZIALEN WOHNUNGSBAU

Ein Beispiel von einem Mitglied der SPE-Fraktion im Ausschuss der Regionen Menschen im Zentrum der Stadterneuerung Raploch ist eine kleine, stolze Gemeinde mit rund 4 000 Einwohnern. Sie liegt am Fuße des historisch bedeutsamen Schlosses von Stirling in einem malerischen Teil Schottlands. Von Raploch aus sind sowohl ländliche Gebiete (Trossachs-Nationalpark) als auch – durch die gute Anbindung an das Straßenverkehrsnetz – Großstädte leicht zu erreichen. Corrie McChord Mitglied des Stadtrats von Stirling (UK)

Allerdings leidet die Gemeinde infolge des Niedergangs der örtlichen Industrie und einer veralteten Wohnungspolitik seit vielen Jahrzehnten unter großen sozialen und wirtschaftlichen Schwierigkeiten. Die altbekannten Probleme wie ein geringes Einkommens-, Bildungs-, Qualifikations- und Gesundheitsniveau, hohe Arbeitslosigkeit und Alkohol- und Drogenmissbrauch sind in dieser Region allgegenwärtig. Die Raploch Urban Regeneration Company (URC), das Unternehmen zur Stadterneuerung von Raploch, wurde 2004 gegründet, um Lösungen für diese Probleme zu finden. Die URC hat dazu einen ganzheitlichen Ansatz gewählt, der auf der Verbindung von physischer und sozialer Erneuerung beruht und bei dem die lokale Bevölkerung im Mittelpunkt aller Tätigkeiten steht. Kernelemente der physischen Erneuerung sind der Bau von 900 neuen Häusern, einem Gemeinde- und Bildungscampus sowie Straßen und Versorgungsanlagen, die Planung von Freiflächen und die Schaffung von Ausbildungsund Beschäftigungseinrichtungen.

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BESTIMMUNGEN ZUM SOZIALEN WOHNUNGSBAU IN DER EU: ERFAHRUNGEN VOR ORT

Die lokale Bevölkerung wurde in alle Phasen des Erneuerungsprozesses einbezogen. Davon zeugt die Beteiligung an der Erarbeitung des Entwicklungsplans und eines einschlägigen Ratgebers, an der Auswahl des für die Stadterneuerung zuständigen Bauunternehmens, an Kursen zur Information über die Konstruktion der Häuser und an der fortschrittlichen und innovativen Schaffung von Besucherattraktionen und Spielplätzen. 650 Häuser sind im Privatbesitz, 250 sind Sozialwohnungen. Es wurde ein Prioritätenschema für den Verkauf festgelegt, um sicherzustellen, dass die Bewohner der Gemeinde Vorrang haben. Als die Häuser im Januar 2008 zum Kauf angeboten wurden, standen die Leute über Nacht Schlange, um eines davon zu erwerben. Allerdings sind die Verkaufszahlen wegen der weltweiten Wirtschaftskrise inzwischen zurückgegangen. Die bereits gebauten Häuser haben sehr gute Umweltwerte; viele Bewohner haben erklärt, dass die Häuser ökonomisch und komfortabel sind. Der Gemeinderat von Stirling hat eine Initiative der schottischen Regierung übernommen und ein Programm zur Gebäudeisolierung aufgelegt, um die Bewohner von alten Häusern in der Region zu unterstützen. Im Anschluss an eine Fachexkursion nach Freiburg (Deutschland) entwickelt die UCR derzeit mit anderen Partnern ein gemischt genutztes emissionsarmes Gebäude, das anderen Gemeinden als Vorbild dienen soll. Dieses Gebäude wird Wohn- und Geschäftsräume für die lokale Bevölkerung umfassen. Das Bauunternehmen und andere Vertragspartner sind durch eine Klausel über das Wohl der Gemeinde bei der Auftragsvergabe rechtsverbindlich gehalten, während der Dauer der Stadterneuerung mindestens 450 Arbeits- und Ausbildungsplätze für Arbeitslose zu schaffen.

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EINE EUROPÄISCHE AGENDA FÜR DEN SOZIALEN WOHNUNGSBAU

Die URC hat ihr eigenes akkreditiertes Ausbildungszentrum, in dem arbeitslose Jugendliche und Erwachsene geschult und beschäftigt werden. Die Ausbildung hilft den Betroffenen, einen Arbeitsplatz im Bauunternehmen oder bei weiteren örtlichen Arbeitgebern zu finden. Das Zentrum führt mithilfe von Partnern auch nicht-berufsbezogene Unterstützungsmaßnahmen durch, um andere Hürden bei der Arbeitssuche zu überwinden, z. B. Gesundheits- und Konditions-, Finanz-, Wohnungs- und Drogenprobleme. Unterstützung gibt es auch hinsichtlich persönlicher Fragen, der Beschäftigungsfähigkeit und der Nachbetreuung. Dieser auf den Menschen ausgerichtete Ansatz gewährleistet die dauerhafte Überwindung der Arbeitslosigkeit und eine bessere Lebensqualität für alle, die das wollen. Im Ausbildungszentrum betreute Personen waren an einer Reihe von Infrastrukturprojekten beteiligt, z. B. am Bau von neuen Straßen und Parkanlagen, einer historischen Flusspromenade und Fahrradwegen und dazu natürlich am Bau ihrer neuen Häuser. Das verleiht den Betroffenen ein ausgeprägtes Gefühl des Stolzes und der Teilhabe an der Entwicklung ihrer Gemeinde. Die Sanierungsarbeiten der URC wurden in der Vergangenheit in großem Umfang durch EU-Mittel sowohl aus dem EFRE als auch dem ESF unterstützt. Auch wenn Raploch nicht als förderfähige Gemeinde gilt, da sie zu Stirling gehört, wird sie dennoch im Rahmen der gemeinschaftlichen Planungspartnerschaft im Rahmen der Priorität 5 des ESF freiwerdende Mittel beantragen.

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BESTIMMUNGEN ZUM SOZIALEN WOHNUNGSBAU IN DER EU: ERFAHRUNGEN VOR ORT

Die UCR gewann 2008 einen ESF-Preis für „die beste Resonanz in der Gemeinde“ und „das beste Vorzeigeprojekt“ für Frauen im Bauwesen. Die Konsultation und aktive Teilhabe der Gemeinde sind feste Bestandteile des Sanierungsprozesses. Es gibt Verfahren, um die lokale Bevölkerung zu informieren und sie in alle Phasen dieses Prozesses einzubeziehen. Zu den Tätigkeiten gehören Haustürbefragungen zu bestimmten Themen, professionelle Workshops zur Information über Aspekte des Hausbaus, Erstellung eines Entwicklungsplans, regelmäßige (monatliche) Sitzungen mit Gemeindemitgliedern, die Mitgliedschaft der Gemeinde im Direktorium der URC sowie andere unterschiedliche URC-Projekte. Wenn die URC ihren Auftrag erledigt hat, wird die Gemeinde in der Lage sein, das Ruder zu übernehmen und ihre eigenen Entscheidungen zu treffen, um ihre Nachhaltigkeit und ihr weiteres Wachstum zu sichern.

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TEIL III Europa Habitabilis: Wohnungsbau durch die Linse von Lo誰c Delvaulx


EINE EUROPÄISCHE AGENDA FÜR DEN SOZIALEN WOHNUNGSBAU

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EUROPA HABITABILIS: WOHNUNGSBAU DURCH DIE LINSE VON LOÏC DELVAULX

Tausende Bürgerinnen und Bürger in ganz Europa haben angesichts der schweren Finanz-, Wirtschafts- und Sozialkrise große Schwierigkeiten, eine geeignete Wohnung zu finden oder zu behalten. Daher ist es dringender denn je, dass Europa auf dieses Problem reagiert. Ist bezahlbarer und allgemein verfügbarer Wohnraum nur ein Wunschtraum? Wie kann die Steuerung der Wohnungspolitik verbessert werden? Auf welche Weise kann die Wohnungspolitik zur Förderung von Wachstum und Nachhaltigkeit beitragen? In einem Europa, in dem 500 Millionen Menschen leben und soziale Unsicherheit immer weiter um sich greift, ist es eine der größten Herausforderungen für zukunftsorientierte Entscheidungsträger, mit einem angemessenen Budget glaubwürdige Antworten hierauf zu finden. Der belgische Fotograf Loïc Delvaulx veranschaulicht dieses Problem in „Europa Habitabilis“, indem er unterschiedliche Wohnrealitäten in fünf europäischen Städten – Brüssel, Budapest, Dünkirchen, Lissabon und Malmö – ins Bild setzt. Hintergrund seiner nüchternen und zutiefst menschlichen Fotografien ist meist ein auffällig entmenschlichter städtischer Raum. Dabei führen uns die Bilder die Realität des sozialen Wohnungsbaus in Europa vor Augen, die allzu häufig bestürzend ist. Der Fotograf nimmt Anteil am Leben einfacher Menschen und bringt zum Vorschein, wie brüchig das „soziale Europa“ ist. Gleichwohl gelingt es ihm, blindem Pessimismus zu widerstehen und als positiven Gegenakzent einige öffentliche wie private Initiativen, bei deren Handeln soziale Inklusion und Solidarität im Mittelpunkt stehen, treffsicher abzubilden. Seit er soziale Kommunikation am IHECS in Brüssel studiert hat, beobachtet Loic Delvaulx die Welt als Fotograf, Regisseur und Kameramann. Im Rahmen seiner Foto- und Kinoarbeiten hat er sämtliche Kontinente bereist und sich dabei vornehmlich auf soziale, politische und kulturelle Themen konzentriert. Derzeit beschäftigt er sich mit der Problematik der sozialen Ausgrenzung und Wohnsituation in Europa. Er hat mit mehreren Einrichtungen und Verbänden an audiovisuellen Projekten zusammengearbeitet. Seit 2007 wird er durch die Agentur Rapho in Paris vertreten. 2007 arbeitete er als Filmassistent am Dokumentarfilm „Waking the Baby Mammoth“ (Sibirien) im Auftrag des Senders National Geographic. Als Filmassistent war er auch für die France-2-Sendung „Rendez-vous en terre inconnue“ (Mongolei) tätig. Nach 2007 arbeitete er drei Jahre lang als Kameramann für das Programm „C’est du belge“ des belgischen Sender RTBF. Gegenwärtig produziert er einen 52-minütigen Dokumentarfilm über Voodoo in Zusammenarbeit mit Gedeon Programmes, Frankreich.

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BRÜSSEL In der Region Brüssel-Hauptstadt ist der Immobilienmarkt – nicht zuletzt aufgrund des raschen Bevölkerungswachstums der letzten zehn Jahre und des damit verbundenen Anstiegs der Einwohnerzahl um 170 000 – sehr angespannt. Da die Wartelisten für Sozialwohnungen immer länger werden und schätzungsweise 2 000 Personen von verdeckter Wohnungslosigkeit betroffen sind, besteht dringender Bedarf an menschenwürdigem Wohnraum zu erschwinglichen Preisen. Loïc Delvaulx interessieren nicht nur die Obdachlosen der belgischen Hauptstadt, sondern auch Familien und junge Menschen, bei denen die aktuellen Entwicklungen den stärksten Anlass zur Sorge geben. Denn auf ihrer Gratwanderung zwischen Armut und dem Kampf ums Überleben sind es gerade Familien und junge Menschen, die die Auswirkungen der Wirtschaftskrise am härtesten spüren. Es ist erwähnenswert, dass der soziale Wohnungsbau in Belgien seit 1980 in der Zuständigkeit der Regionen liegt. (Weitere Informationen zum Sozialen Wohnungsbau in Belgien auf Seite 60).

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EUROPA HABITABILIS: WOHNUNGSBAU DURCH DIE LINSE VON LOÏC DELVAULX

Brüssel, Marollenviertel. Bibi hat sieben Kinder. Im Winter 2009 wurden er und seine Familie aus der Wohnung geworfen, weil er so verschuldet war, dass er die Miete nicht bezahlen konnte. Aus der ihm zunächst gestellten Notunterkunft wird er nun in eine Sozialwohnung ziehen und dort wieder bei null anfangen.

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Brüssel, Marollenviertel. Der 14-jährige Ken lernt im provisorischen Zimmer seiner Eltern in einer Notunterkunft. Sie achten auf die Ausbildung ihrer sieben Kinder.

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EUROPA HABITABILIS: WOHNUNGSBAU DURCH DIE LINSE VON LOÏC DELVAULX

Brüssel, Marollenviertel. Die Notunterkunft, in der Bibi, seine Frau und die sieben Kinder leben. Ihr Abendessen beschränkt sich häufig auf Brot und Schokolade.

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EINE EUROPÄISCHE AGENDA FÜR DEN SOZIALEN WOHNUNGSBAU

Brüssel, an einer Ausfahrt der Autobahn Richtung Lüttich. Der seit mehreren Jahren obdachlose Bernard hat sich ein Zelt aus Plastiktüten gebaut.

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EUROPA HABITABILIS: WOHNUNGSBAU DURCH DIE LINSE VON LOÏC DELVAULX

Brüssel, öffentliche Dusche der Freien Universität. Alain ist aufgrund persönlicher Probleme seit fünf Jahren obdachlos. Alle zehn Tage kommt er zusammen mit Elvis, seinem Kumpel von der Straße, zum Duschen hierher.

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Brüssel, verlassenes Grundstück einer Villa im Bois de la Cambre. Dieser Schuppen dient den Obdachlosen Alain und Elvis als Unterschlupf.

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EUROPA HABITABILIS: WOHNUNGSBAU DURCH DIE LINSE VON LOÏC DELVAULX

Brüssel, Nordviertel, so genanntes Brüsseler Chicago. Der 32-jährige Michel hat seine Wohnung und seine Arbeit verloren. Seine Familie wandte sich von ihm ab. Durchs soziale Netz gefallen, findet er für ein paar Nächte Zuflucht bei der Heilsarmee, bevor er wieder auf die Straße zurückkehrt.

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Brüssel, Obdachlosenhilfsdienst. Michel, im Herzen Rocker, trägt die einzigen Dinge, die ihm geblieben sind: seine Lederjacke, seine Cowboystiefel und seinen Glücksbringer, die amerikanische Flagge.

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EUROPA HABITABILIS: WOHNUNGSBAU DURCH DIE LINSE VON LOÏC DELVAULX

BUDAPEST Loïc Delvaulx streift im achten Bezirk Budapests, dem eindeutig am stärksten verwahrlosten Viertel der Stadt, umher. Hier leben ärmere Menschen, die auf der Suche nach einer besseren Zukunft vom Land in die Hauptstadt gekommen sind. Trotz eines nationalen Programms aus dem Jahre 2004, mit dem versucht wird, Ungleichheiten abzubauen und die Stadterneuerung voranzutreiben, bleibt der achte Bezirk ein Sammelbecken für die am stärksten benachteiligten Menschen, die sich nur heruntergekommene Wohnungen leisten können, und diese gibt es in diesem Stadtviertel zuhauf. In Ungarn sind Sozialwohnungen Einheiten in kommunalen Mietshäusern, die aufgrund sozialer Kriterien vergeben werden. Der Anteil an Wohnungen öffentlicher Träger ist in Ungarn in den vergangenen zwanzig Jahren von 20 % auf 3,7 % gesunken; Wohnungen dieser Art befinden sich heute vor allem in den größeren Städten. Die Privatisierung setzte zwar bereits vor 1990 ein, fand aber in großem Stil erst nach diesem Datum statt, als Wohnungen in Staatseigentum zu Schleuderpreisen (10-15 % des Marktpreises) an die jeweiligen Mieter verkauft wurden. Zugleich zog sich die Regierung aus dem Wohnungssektor zurück, und die kommunalen Verwaltungen erhielten in diesem Bereich mehr Zuständigkeiten. Infolge der Dezentralisierung fällt die soziale Wohnungsbaupolitik in die Zuständigkeit der kommunalen Verwaltungen, die frei über ihren Wohnungsbestand entscheiden können. Dies führte dazu, dass in dem Land unterschiedliche Ansätze zum Tragen kommen. Der soziale Wohnungsbau wird hauptsächlich aus dem Haushalt der Kommunen finanziert; seit 2004 gibt es keine nationalen Programme zur Unterstützung des sozialen Wohnungsbaus mehr.

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Budapest, VIII. Bezirk. Der achtjährige Magdi wacht bei Freunden seines Stiefvaters auf, da in der baufälligen Wohnung seiner Mutter kein Platz für ihn ist. Dort wird der einzige, 20 m² große Raum ohne Bad und Toilette von drei Erwachsenen und fünf Kindern bewohnt. Die Möbel und die anderen Einrichtungsgegenstände haben sie auf der Straße gefunden.

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EUROPA HABITABILIS: WOHNUNGSBAU DURCH DIE LINSE VON LOÏC DELVAULX

Budapest, VIII. Bezirk. Ein noch betrunkener Mann wacht in einem baufälligen, 15 m² großen Zimmer auf, in dem acht Personen eine ständige Bleibe haben. Der Hauptmieter vermietet sein Hinterzimmer an eine Romafamilie, in der die 60-jährige Mutter, ihre Tochter und die beiden Freundinnen des Bruders als Prostituierte arbeiten. Der Sohn der Familie kümmert sich ums Geschäft.

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EINE EUROPÄISCHE AGENDA FÜR DEN SOZIALEN WOHNUNGSBAU

Budapester Vorort Háros. Hier werden Familien angesiedelt, die aus ihren für unbewohnbar erklärten und zum Abriss freigegebenen Unterkünften gewiesen wurden. Da dieses Viertel fernab vom Zentrum und dem wirtschaftlichen und sozialen Leben der Stadt liegt, droht es, zum Ghetto zu werden.

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EUROPA HABITABILIS: WOHNUNGSBAU DURCH DIE LINSE VON LOÏC DELVAULX

Budapest, VIII. Bezirk. Ein Mann im Rollstuhl überquert mit einer frisch gekauften Matratze das Gelände des Corvin-Projekts (im Bau befindliche Kombination aus Einkaufszentrum und Luxuswohnungen). Zahlreiche Anwohner wurden aufgrund dieses Projekts enteignet und in arme Stadtteile umgesiedelt.

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Stadtrand von Budapest. Sanyi lebt mit seiner Frau zwischen den Warmwasserleitungen, durch die die Stadt versorgt wird. Sie wohnen in einem abgerissenen Hochhaus. Eine andere Wohnung können sie sich finanziell nicht leisten. Sie leben von dem, was sie im Müll finden. Sanyi hat Tuberkulose, er ist zu schwach, um sich fortzubewegen, und ist seit vier Jahren an seine Matratze gefesselt.

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EUROPA HABITABILIS: WOHNUNGSBAU DURCH DIE LINSE VON LOÏC DELVAULX

Stadtrand von Budapest. Ein obdachloses Paar hat ein verlassenes Haus besetzt.

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Budapest, VIII. Bezirk. Die seit ihrer Geburt blinde 53-jährige Annikó kann nach fünf Operationen vorübergehend sehen. Sie ließ ihren gewalttätigen Mann in der von ihr gemieteten Wohnung allein zurück. Ihr Mann wiederum verursachte ihr hohe Schulden, weil er die Rechnungen nicht bezahlte. Tief verschuldet hat sie Zuflucht in diesem baufälligen, 20 m² großen Raum gefunden, der später gewerblich genutzt werden soll.

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EUROPA HABITABILIS: WOHNUNGSBAU DURCH DIE LINSE VON LOÏC DELVAULX

Budapest. Drei Geschwister wachen bei Freunden ihres Stiefvaters auf. Der Jüngste leidet an Sprachstörungen, seit er vom ehemaligen Lebensgefährten seiner Mutter geschlagen und eingesperrt wurde. Im einzigen Zimmer dieser 20 m² großen Unterkunft schlafen drei Erwachsene und fünf Kinder.

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EINE EUROPÄISCHE AGENDA FÜR DEN SOZIALEN WOHNUNGSBAU

Budapest, VIII. Bezirk. Die an Autismus leidende Tochter einer armen, in einem baufälligen Haus wohnenden Familie.

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Budapest, Dzsumbuj. Das in einer Industriebrache liegende Viertel ist ein dem Verfall preisgegebenes Ghetto. Eine Frau geht mit ihrer Tochter nach dem Einkaufen nach Hause.

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Budapest, Dzsumbuj. Eine arbeitslose Mutter, der man wegen unbeglichener Rechnungen den Strom abgestellt hat. Ihr droht Obdachlosigkeit, weil das Hochhaus, in dem sie lebt, 2012 geräumt und später abgerissen werden soll.

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Budapester Vorort Háros. Hier werden Familien angesiedelt, die aus ihren für unbewohnbar erklärten und zum Abriss freigegebenen Unterkünften gewiesen wurden. Eine Romafamilie hat aus vorhandenen Gegenständen ihr eigenes Haus gebaut.

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Budapest, VIII. Bezirk. Treppenhaus eines Wohnhauses (aus mehreren, nach dem Fall des Kommunismus zu Tiefpreisen verkauften Wohnungen bestehendes Gemeinschaftseigentum). Da es den Bewohnern an Geld fehlt, kann das Gebäude nicht instand gehalten werden. Die Gebäude sind so verwahrlost, dass die Investoren und die Gemeinden häufig beschließen, sie abzureißen und auf dem Grundstück neu zu bauen.

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EUROPA HABITABILIS: WOHNUNGSBAU DURCH DIE LINSE VON LOÏC DELVAULX

Budapest. Lagerplatz einer Mutter und ihrer fünfjährigen Tochter, die seit fünf Monaten im Zelt leben. Ihr Mann und sie sind arbeitslos geworden. Obwohl ihr Mann schwarzarbeitet, reichen ihre Einkünfte nicht aus, um eine Wohnung zu mieten. Wenn die Polizei ihr Lager ausfindig macht, kommt die Tochter in die Obhut des Sozialamtes.

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Budapest, VIII. Bezirk. Abriss eines Wohnhauses im Rahmen des Corvin-Projekts (Bau eines mit Luxuswohnungen kombinierten Einkaufszentrums). Zahlreiche Anwohner, die in prekären Verhältnissen leben, wurden im Zuge dieses Bauvorhabens enteignet.

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EUROPA HABITABILIS: WOHNUNGSBAU DURCH DIE LINSE VON LOÏC DELVAULX

DÜNKIRCHEN Die Stadt Dünkirchen mit ihren 200 000 Einwohnern unterhält ungefähr 300 Sozialwohnungen. Loïc Delvaulx beobachtet die Menschen in zwei der ärmsten Stadtteile Dünkirchens, Jeu de Mail und Carré de la Vieille. Hier liegt die größte Herausforderung offensichtlich darin, noch einen Schritt über die bloße gesellschaftliche Vielfalt hinaus zu gehen und die wirkliche Aufhebung der sozialen Trennung, das heißt die Koexistenz von Haushalten mit unterschiedlich hohen Einkommen im selben Stadtteil, zu fördern. Dünkirchen bemüht sich darum, die beiden Stadtteile nachhaltig in sein Gesamtkonzept für soziales und wirtschaftliches Wachstum einzubinden. Ein entsprechendes Programm zur Stadterneuerung und sozialen Wiederbelebung befindet sich seit 2003 in der Umsetzungsphase. Für den Bau und die Verwaltung von Sozialwohnungen sind in Frankreich HLM-Organisationen zuständig (weitere Informationen zum Sozialen Wohnungsbau in Frankreich auf Seite 75).

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Dünkirchen, Jeu-de-Mail-Viertel. Dieses Viertel besteht ausschließlich aus Sozialwohnungen. Seit 2007 läuft ein Stadterneuerungsprojekt mit dem Ziel, die großen Wohnblöcke abzutragen und das Viertel bei der Neuerschließung so zu gestalten, dass verschiedene Wohnformen entstehen. Ein Anwohner, der umgesiedelt wird, deutet mit dem Finger auf seine zum Abriss bestimmte Wohnung.

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Dünkirchen. Zwei Bewohner einer Übergangswohnung (Maison Relais) diskutieren den ganzen Abend lang. Diese Art Wohnung ist ein Mittelding zwischen einer eigenen und einer Sozialwohnung. Gedacht ist sie für sozial schwache Menschen, die noch einer bestimmten Betreuung bedürfen.

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Dünkirchen. Marie-José erhält den garantierten Mindestlohn und lebt in einer Wohnung ohne Küche und sonstige Ausstattung. Sie wurde von ihrem Lebensgefährten geschlagen und fand in dieser Wohnung Zuflucht. Der Eigentümer verlangt von ihr 356 Euro monatlich, sodass ihr 200 Euro zum Leben bleiben.

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Dünkirchen, Jeu-de-Mail-Viertel. Francine, die seit 26 Jahren in ihrer Wohnung lebt, bereitet sich auf den Umzug vor. Das Haus wird bald abgerissen. Das früher ausschließlich aus Sozialwohnungen bestehende Viertel wird umgestaltet, um eine Vielfalt an Wohnformen zu schaffen.

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Dünkirchen, Notübernachtung (FLIU). Weil seine Mutter nicht für ihn sorgen wollte, kam der 30-jährige Sébastien mit drei Jahren ins Heim. Als er es mit 18 verließ, hatte er kein Ziel im Leben. Er ist bereits seit mehr als zehn Jahren obdachlos und leidet an Schizophrenie.

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Dünkirchen, Notübernachtung (FLIU). Zwei Bewohner rauchen im Unterstand eine Zigarette miteinander.

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Dünkirchen, Notübernachtung (FLIU). Ein junger Vater schläft gegenüber den Bildern seiner Kinder.

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Dünkirchen, Parkplatz für Fahrende. Aus Rumänien stammende Großmutter, Tochter und Enkelin in ihrem Wohnwagen. Sie haben ein Leben gewählt, in dem es nicht viel Sicherheit gibt.

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Dünkirchen, Jeu-de-Mail-Viertel. Ein Jugendlicher wird von der Polizei abgetastet. Früher war dieses Viertel in der Hand von Dealern aller Art. Im Rahmen eines derzeit laufenden Stadterneuerungsprogramms soll es dank verschiedener Wohnungsformen (Eigentums- und Sozialwohnungen, Eigentumserwerb) sozial durchmischt werden.

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Dünkirchen. Christian erhält den garantierten Mindestlohn und lebt seit mehr als 25 Jahren in diesen unsicheren Wohnverhältnissen. Da er sich mit dem Eigentümer nicht einigen kann, bezahlt er die 650 EUR Miete nicht mehr. Bis zum 27. Dezember muss er seine Wohnung räumen. Zum Heizen verwendet er einen Holzofen.

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LISSABON Loïc Delvaulx hat die schwierigen Wohnverhältnisse in einigen Elendssiedlungen am Rande von Lissabon kennengelernt. Hauptsächlich hat er in den Siedlungen Fim do Mundo und Quinta da Serra gearbeitet, die sich in unmittelbarer Nähe des Flughafens bzw. am Stadtrand befinden und deren Hütten aus Blech und Gebrauchtmaterialien bestehen. Diese Siedlungen entstanden Ende der 60er-Jahre als Folge einer massiven Landflucht. Heute leben dort nur noch wenige Portugiesen, da die meisten von ihnen inzwischen in Sozialwohnungen untergebracht wurden. Stattdessen drängen sich Einwanderer aus den ehemaligen portugiesischen Kolonien (Angola, Mosambik, Kap Verde, Guinea-Bissau) in diesen Hütten. Sozialwohnungen machen 3,3 % des nationalen Immobilienbestands aus und werden von öffentlichen Stellen, Genossenschaften sowie privaten und sozialen Einrichtungen angeboten. Es gibt eine Reihe von Programmen für verschiedene Zielgruppen, die Sozialwohnungen benötigen:

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im PER-Umsiedlungsprogramm erhalten Menschen Priorität, die in den Elendsvierteln städtischer Ballungsgebiete leben;

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PROHABITA richtet sich an Menschen, deren jährliches Einkommen niedriger als drei Jahresmindesteinkommen ist, die keine Wohnung in Portugal besitzen und die keinerlei öffentliche Wohnförderung erhalten;

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Porta 65 Jovem unterstützt junge Menschen beim Zugang zu Mietwohnungen;

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Stadtsanierungsprogramme zielen auf die Erneuerung von Miethäusern/-wohnungen ab, die von langjährig eingefrorenen Mieten betroffen waren und deren Substanz deshalb erheblich gelitten hat;

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das neue städtische Mietpreissystem NRAU sieht schließlich ein Wohngeld für einkommensschwache Haushalte vor, deren Mietverträge vor 1990 geschlossen wurden, um die Anhebung der bisher eingefrorenen Wohnungsmieten teilweise zu kompensieren.


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Lissabon, Quinta da Serra, 2012. Eine der letzten portugiesischen Familien, die noch in diesem Elendsviertel lebt.

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Lissabon, Quinta da Serra, 2012. Eine Bewohnerin trocknet ihre Wäsche in der Sonne. Die meisten Bewohner dieses Viertels sind Migrantinnen und Migranten aus den ehemaligen portugiesischen Kolonien, mit Ausnahme der Roma und Inder. Die Lebensbedingungen in dem Viertel sind bedauerlich.

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Lissabon, Quinta da Serra, 2008. Bewohner sorgen sich, nachdem ihnen berichtet wurde, dass die Polizei und der Vertreter des Rathauses gekommen sind, um mit der Evakuierung des Viertels und der sofortigen Zerstörung der Häuser fortzufahren. Die meisten von ihnen werden nicht umgesiedelt.

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Lissabon, in der Nähe des Flughafens, 2012. Es gibt nur noch wenige Einwohner, die in diesem verkommenen Brachland übrig geblieben sind. Viele von ihnen warten darauf, eine Sozialwohnung zu bekommen, auch wenn ihnen dafür noch kein konkreter Termin genannt wurde.

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Lissabon, in der Nähe des Flughafens, 2012. Eine Mutter lebt in dieser heruntergekommenen Hütte, wo sie sich ein Bett mit ihren vier Kindern teilt. Nachdem ihr Haus zwangsgeräumt und abgerissen worden war, hat sie es mit Unterstützung von Nachbarn an derselben Stelle wieder aufgebaut.

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Lissabon, Quinta da Serra, 2007. Kapverdische Bewohner bereiten ihr Abendessen zu.

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Lissabon, in der Nähe des Flughafens, 2012. Zwei junge Roma-Cousins bei sich zuhause.

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Außenbezirke von Lissabon, Fim-do-Mundo-Viertel, 2007. In den Ruinen eines Hauses hat ein junges Kind Spaß beim Papierflieger spielen.

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Außenbezirke von Lissabon, Fim-do-Mundo-Viertel, 2007. In den frühen Morgenstunden sammelt diese Bewohnerin beim Anblick der Hausruine ihres ehemaligen Nachbarn die Gedanken.

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Außenbezirke von Lissabon, Fim-do-Mundo-Viertel, 2008. Die Polizei befragt einen wütenden Bewohner nach der Zerstörung der Baracken.

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Außenbezirke von Lissabon, Fim-do-Mundo-Viertel, 2008. Zerstörung der Baracken. Für die meisten Bewohner besteht wenig Hoffnung auf eine Umsiedlung.

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MALMÖ Loïc Delvaulx besucht Malmö, die drittgrößte Stadt Schwedens mit 300 000 Einwohnern. Mit Unterstützung des World Wildlife Fund (WWF) ist es der Stadt Malmö gelungen, ein ökologisch nachhaltiges Projekt zur Erneuerung der Stadt und insbesondere des Hafenbereichs zu verwirklichen, den der Niedergang der Industrie in den neunziger Jahren schwer getroffen hatte. Der Fotograf sieht hinter die glitzernde Fassade der zwei neuen ökologischen Stadtviertel Augustenborg und Westhafen, die Platz für 3 500 Einwohner und 6 000 Angestellte bieten. Hierbei handelte es sich anfangs um ein städtisches Experiment, jetzt sind die zwei Stadtviertel ein Paradebeispiel für nachhaltige Stadterneuerung. Das sichtbare Ergebnis ist eine zweigeteilte Gesellschaft: da sind auf der einen Seite die wohlhabenderen Menschen, die sich den nach neuesten ökologischen Standards geschaffenen Wohnraum im Hafenbereich leisten können, auf der anderen Seite stehen die Menschen, die um eine Wohnung in den einfachen Siedlungen der Außenbezirke kämpfen müssen. Der unsichtbaren Grenze zwischen der westlichen und der östlichen Stadt folgend zeigt Loïc Delvaulx die Bewohner verschiedener Stadtviertel und macht sich ihre Perspektive zu eigen. In Schweden ist der Begriff „sozialer Wohnungsbau“ nicht gebräuchlich. Der entsprechende Sektor wird allmännyttig genannt, was wörtlich so viel wie „gemeinnützig“ bedeutet. Dieser Sektor umfasst Mietwohnungen in der Trägerschaft kommunaler Wohnungsbauunternehmen, die als Aktiengesellschaften organisiert sind. Diese besitzen und verwalten über 700 000 Wohneinheiten und sind auf nationaler Ebene durch den Schwedischen Verband der Sozialwohnungsunternehmen (SABO) vertreten. Kommunale Wohnungsbaugesellschaften verfolgen mit der Förderung des Wohnungsangebots in ihrer Gemeinde ein Ziel von allgemeinem Interesse, ihre Arbeit richtet sich aber an unternehmerischen Grundsätzen aus. Anders als in den meisten europäischen Ländern genießen Wohnungsbaugesellschaften in öffentlicher Trägerschaft keine besonderen Begünstigungen oder Vorteile gegenüber dem privaten Mietsektor, und Investitionen in Sozialwohnungen müssen über Mieteinkünfte finanziert werden. Um eine Stigmatisierung von Sozialwohnungen zu vermeiden, stehen diese prinzipiell allen Bürgern zur Verfügung (auch den sozial benachteiligten Schichten, aber nicht nur diesen). Das Anrecht auf eine Sozialwohnung wird nicht am Einkommen oder ähnlichen Faktoren bemessen.

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Malmö, Stadtviertel Augustenborg. In den 1970er Jahren beginnt das staatliche „Millionenprogramm“ mit dem Ziel, eine Million Wohnungen in ganz Schweden zu bauen. Dabei kommen unterschiedliche Bauweisen zum Einsatz. Die Bewohner dieses Viertels gehören mehrheitlich der Mittelklasse an. Hier herrschen angenehme Lebensbedingungen. Im Jahr 2005 wurden Gründächer, Gemüsegärten, Teiche usw. angelegt, um den Ort nachhaltig und ökologisch zu gestalten.

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Malmö, im Stadtviertel Rosengård. Hier beträgt der Ausländeranteil 95 %. Die meisten von ihnen sind Flüchtlinge aus politisch instabilen Ländern. Die Kriminalitätsrate ist hoch, und das Viertel hat einen schlechten Ruf. Es herrscht eine starke Mieterfluktuation. Um die sozialen Bindungen zu stärken und Freizeitflächen zu schaffen, wurden Spiel- und Sportplätze gebaut.

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Malmö, Stadtviertel Rosengård. In diesem Viertel mit hohem Ausländeranteil leben viele unterschiedliche Kulturen.

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Malmö, Seved. Das Stadtviertel Seved ist als sozialer Brennpunkt bekannt. Hier pflegen einige Somalier die Grünanlagen vor ihrem Wohnblock.

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Malmö, Westhafen. Die aus Dänemark stammende Maryan bewohnt diese 2001 errichtete Wohnung auf dem Wasser. Zwar zielte man bei der Gestaltung des Hafenviertels auf soziale Durchmischung ab, doch kommen solche Wohnungen meist nur für wohlhabende Familien infrage.

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Malmö, Stadtviertel Augustenborg. Zwei Jugendfreunde, die schon immer in diesem Viertel wohnen, beobachten die Umgestaltungsarbeiten. Im Jahr 2005 wurden Gründächer, Gemüsegärten, Teiche usw. angelegt, um den Ort nachhaltig und ökologisch zu gestalten.

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EUROPA HABITABILIS: WOHNUNGSBAU DURCH DIE LINSE VON LOÏC DELVAULX

Malmö, Stadtviertel Augustenborg. Im Jahr 2005 wurden Gründächer, Gemüsegärten, Teiche usw. angelegt, um den Ort nachhaltig und ökologisch zu gestalten.

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Malmö, Stadtviertel Augustenborg. Die Studentin Monika zieht nach zwei Jahren aus ihrem WG-Zimmer aus. Sie stand zwei Jahre lang auf einer Warteliste und hat soeben eine eigene 30-m²-Wohnung unmittelbar vor den Toren Malmös zugeteilt bekommen.

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DANKSAGUNG

DANKSAGUNG

Ein besonderer Dank gilt dem Verband CECODHAS Housing Europe, der sämtliche Überblicksinformationen über die Strategien zum sozialen Wohnungsbau in den verschiedenen Mitgliedstaaten zur Verfügung gestellt hat. Seite 131-186: Alle Fotografien © 2008-2012 Loïc Delvaulx, alle Rechte vorbehalten Alle Europa Habitabilis Fotografien wurden mit Unterstützung der S&D-Fraktion im Europäischen Parlament produziert.

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Sekretariat der SPE-Fraktion EINE EUROPÄISCHE AGENDA FÜR DEN SOZIALEN WOHNUNGSBAU Luxemburg: Amt für Veröffentlichungen der Europäischen Union 2012 — 187 S. — 14,8 × 21 cm ISBN 978-92-895-0568-0 doi:10.2863/45849

Sekretariat der SPE-Fraktion Ausschuss der Regionen Rue Belliard 101, Büro JDE 7035 B-1040 Brüssel Telefon: +32 2 282 22 23 Fax: + 32 2 282 20 69 PES-Group@cor.europa.eu www.pes.cor.europa.eu Luxemburg: Amt für Veröffentlichungen der Europäischen Union, 2012 ISBN 978-92-895-0568-0 doi:10.2863/45849 © Europäische Union, 2012 Printed in Luxembourg


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