pflichtlektüre Studierendenmagazin für Dortmund
012017
DORTMUNDER BUNKERWELT Zwischen U-Bahn und Kanalisation gibt es noch etwa 1300 versteckte Weltkriegsbunker unter der Stadt. Wir haben uns hineingeschlichen.
AUF DEM WEG ZUR WM? Roboter üben sich im Fußball
AUF DEM WEG IN DEN RUIN? Handwerker üben sich in Geduld
AUF DEM WEG ZUM ERFOLG? Studierende üben sich als Chef
AUS DER REDAKTION Ein beKLOPPter Autor
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ber meinem Bett hängt eine große BVB-Collage, die ich vor Jahren zusammengebastelt habe. Rechts oben in der Ecke: ein Bild von Jürgen Klopp. Auch fast zwei Jahre nach seinem Rücktritt denke ich nicht daran, es abzuhängen – zu groß ist der Respekt vor seinem Wirken in Dortmund. Als ich mitbekam, dass sich ein Forscherteam der TU Dortmund mit „Kloppo“ beschäftigt, wurde ich hellhörig. „Jürgen Klopp ist ein leuchtendes Beispiel für erfolgreiche Teamführung“, las ich auf der TU-Homepage. Das klang interessant – und ganz nebenbei ergab sich für mich die Möglichkeit, ein wenig in Erinnerungen zu schwelgen. Trotzdem musste ich natürlich journalistische Distanz zum Thema wahren. Ob mir das gelungen ist? Das könnt ihr ab Seite 34 lesen. Julian Beimdiecke
Roboterliebe
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igentlich habe ich mit Fußball nichts am Hut. Als ich dann aber erfuhr, dass im Jahr 2050 Roboter gegen Profifußballer gewinnen sollen, wurde ich stutzig – und fragte beim Institut für Roboterforschung nach. Beim Interview war ich dann sehr gerührt vom Anblick des Mini-Fußballers. Das Ding hat Babygröße und ich gebe zu: Mein Mutterinstinkt wurde geweckt. Ich wollte den Kleinen knuddeln und ihn nicht mehr aus der Hand geben. Als wir versuchten, ihm ein Leibchen überzuziehen, war es endgültig um mich geschehen. Ich stellte den Roboter dann doch lieber auf den Tisch – nicht, dass ich ihn vor Rührung noch fallen gelassen hätte. Spielen und jubeln ab 2050 nur noch Roboter im Stadion? Mehr dazu ab Seite 8. Mona Fromm
Behördenlabyrinth
A
ls ich das erste Mal auf die Bunker unter Dortmund aufmerksam wurde, war ich schnell begeistert. Ich wollte mehr darüber erfahren. Also machte ich mich an die Recherche, doch die anfängliche Euphorie schlug schnell in Ernüchterung um. Die Stadt Dortmund konnte mir keine Auskunft geben und verwies mich an die Bundesanstalt für Immobilienaufgaben. Auch die wollte nicht verantwortlich sein, Eigentümer der Bunker seien jeweils die Besitzer der Grundstücke darüber. Also schrieb ich den Westfalenhallen, unter deren Parkplatz ein Bunker liegt. Der Pressesprecher war freundlich – und verwies mich an die Stadt. Ein Teufelskreis, den ich schließlich aber doch noch durchbrechen konnte. Was ich alles herausgefunden habe, lest ihr ab Seite 12. Martin Nefzger
28 ALTES HANDWERK
Billig und online: Wie Schuhmacher, Hutmacherin und Buchbinderin dagegen ankämpfen
INHALT MOMENTE Schönwetter-Sportler in der Halle
VOR DEM MIKROFON
EINS VORAB
Zwei Podcaster in physikalischer Mission VON LARA WANTIA
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ann, Mann, Mann! Was haben wir da wieder für ein Heft produziert. Moderne Technik trifft auf altes Handwerk, Hallensport auf Jürgen Klopp. Wir sind viele Kilometer gereist, zu Fuß, mit dem Fahrrad, dem Auto und der Bahn. Unser Autor Julian hat Klopps Führungsstil untersucht, Martin war in einem Dortmunder Bunker spazieren, Mona verbrachte einen Tag mit einem Fußball-Roboter und Thorben beschäftigte sich mit aussterbenden Handwerks-Berufen. Wir haben für euch ungewöhnliche Hallensportarten gesucht und einen Abstecher zum Autokino gemacht. Insgesamt sind also einige sportliche Themen im Heft: Zum Beispiel Monas kleiner Roboter Antman – ein Produkt der herausragenden TU-Forschung (Anmerkung der Redaktion: Er hat absolut nichts mit dem gleichnamigen Marvel-Helden zu tun – der Name ist natürlich trotzdem cool). Antman soll irgendwann seinen menschengroßen Nachfolgern das Fußballspielen beibringen. Es ist vielleicht keine schlechte Idee, wenn man einen Spieler vom Format eines Höwedes oder Özil durch einen maschinellen Alleskönner auszutauschen. Wobei ich die kleinen,
BEINE AUS STAHL Roboter statt Millionenkicker
menschlichen Fehler eines Huntelaars im entscheidenden Moment vielleicht doch vermissen würde. Perfektionismus? Nein, danke. Oder vielleicht doch? Glaubt man zumindest der Forschung, ist Jürgen Klopp der perfekte Fußballtrainer. Schade eigentlich, dass er Liverpool zu einem Sieg nach dem anderen verhilft und nicht mehr die deutsche Bundesliga bereichert. Viel Spaß beim Lesen wünscht
DER BUNKERGANG 15 Meter unter der Stadt
ANGESCHRIEBEN Nils sagt: Mindestlohn für alle!
KIRMESKINDER Heinz-Günter (22) arbeitet als Schausteller
FALSCHES SPIEL Teure Tickets auf dem Schwarzmarkt
LUKAS MIT MEINUNG Der Versuchung widerstehen. Ein Kommentar.
KAFFEE MIT SCHUSS Jens Menke jobbt im Drogencafé
SAG MAL DOC …!? Wie reagiert das Gehirn auf Alkohol?
ERFOLGSGARANT Was Studierende von Jürgen Klopp lernen können
PFLICHTTERMINE Stummfilm mit Dortmunder Philharmonikern
ABGEFAHREN Nostalgie im Autokino
IMPRESSUM Wer was wann wie gemacht hat und Rätsel
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SCHÖNWETTERUnter freiem Himmel lauern mannigfache Gefahren – herabstürzende Flugzeuge, Satelliten und Meteoriten sowie giftige Gase durch Explosionen in nahegelegenen Chemiefabriken. Immer
-SPORTLER
mehr Menschen verlagern deshalb ihre sportlichen Aktivitäten in geschlossene Räume. Vorreiter dieses neuen sicherheitsbewussten Trends ist der Hochschulsport Dortmund. FOTOSTHORBEN LIPPERT&DOMINIK REINTJES
FORSCHER BRAUCHT DAS LAND Kneipenabend, kaltes Bier und Fußball? Nein. Beim Podcast der Wissenschaftler Nicolas Wöhrl und Reinhard Remfort fühlt man sich zwar wie am Stammtisch – statt BVB gegen Bayern heißt es dann aber Higgs-Teilchen gegen Bomben aufspürenden Spinat. TEXTNILS GRONEMEYER FOTOSDOMINIK REINTJES
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er Wissenschaft ihren Schrecken nehmen: Das wollen zwei Nanotechnik-Physiker der Uni Duisburg-Essen. Sie starteten den Wissenschafts-Podcast „methodisch inkorrekt“. Zwischen 30 000 und 60 000 Hörer haben die etwa dreistündigen Folgen von Dr. Nicolas Wöhrl (unten rechts) und Reinhard Remfort. Seit Mai 2013 veröffentlichen die Physiker dienstags neue Episoden. Darin berichten sie von wissenschaftlichen Arbeiten, ihren Erlebnissen auf Geschäftsreisen und lustigen Internet-Einkäufen. Nicolas Wöhrl erzählt von dem Projekt. Hattest du als Kind schon Interesse an der Wissenschaft? Wöhrl: Mein Vater war Physiker. Ich hatte es bewundert, dass er mir so vieles erklären konnte. Kinder heute wollen lieber Topmodel oder Superstar werden. Ich würde als Alternative gerne Lehrer oder Wissenschaftler
anbieten. Wir sind auch cool. Wir machen etwas Nützliches und unheimlich Spannendes. Der Beruf ist kreativ und hält immer Überraschungen bereit. Für mich ist Wissenschaftler der tollste Beruf der Welt. Und Forscher braucht Deutschland mehr als einen neuen Superstar. Was hat euch dazu inspiriert, einen Podcast zu beginnen? Wir waren früher zusammen in einer Arbeitsgruppe. Dadurch haben wir oft gemeinsam in der Mensa gegessen und uns auch privat getroffen. Meistens haben wir dann über wissenschaftliche Publikationen geredet. Irgendwann kam uns die Idee, dass das auch für andere interessant sein könnte. Wieso fiel die Wahl ausgerechnet auf einen Podcast, statt zum Beispiel auf einen Youtube-Kanal? Wir waren damals schon leidenschaftliche Podcast-Hörer. Da wollten wir das gerne mal ausprobieren. Neben dem Podcast hattet ihr auch Auftritte in Videoproduktionen. Du warst zum Beispiel bei der KinderQuizshow „1, 2 oder 3“. Warum? Kinder sind toll, weil sie durch die Welt gehen und ständig Fragen stellen. Sie sind unvoreingenommen und sehr dankbar. Diese Weltanschauung geht Erwachsenen oft verloren. Deshalb ist es mir wichtig,
junge Heranwachsende früh für Wissenschaft zu faszinieren. Wie ist eine typische Podcast-Episode aufgebaut? Wir stellen uns gegenseitig jeweils zwei in unseren Augen spannende Publikationen vor. Das sind meistens hochaktuelle Artikel, normalerweise nicht älter als zwei Monate. Die Themen kommen aus der Grundlagenforschung. Bis die Themen im echten Leben angewendet werden, dauert es also üblicherweise noch fünf bis zehn Jahre. Und wir haben feste Kategorien in den Folgen, zum Beispiel das „China-Gadget“ und das „Bier der Woche“. Zwischendrin machen wir dann Experimente. Die Anleitung und manchmal auch ein Video dazu laden wir danach auf unsere Homepage. Wenn die vorgestellten Themen umgesetzt werden, könnten sie sich auf den Alltag Vieler auswirken. So arbeiten Forscher aktuell an mit Nanotechnik versetztem Spinat, der zum Beispiel alte Sprengminen aufspüren kann. Der Spinat beginnt zu leuchten, wenn sich Spuren von Sprengstoff in dem Wasser befinden, das das Gewächs aufnimmt.
Das Experiment der Woche ist im Podcast meist so aufgebaut, dass es jeder nachmachen kann: Wie verhält sich zum Beispiel ein Heliumballon, wenn man ihn an die Handbremse eines Autos bindet? Für das Video zum Experiment fahren die Wissenschaftler mit dem Auto um den Uni-Parkplatz. Für die meisten anderen Versuche braucht man keinen Führerschein, sondern nur alltägliche Haushaltsgegenstände. Was kann man sich unter den Kategorien vorstellen? Das „Bier der Woche“ ist für gewöhnlich unsere Begrüßung. Wir stoßen mit einem Bier an. In jeder Episode mit einem anderen. Mit Glück schmeckt das sogar. Und beim „China-Gadget“ stellt Reinhard irgendeinen Scheißdreck vor, den er im Internet gekauft hat. Alkohol und Wissenschaft, verträgt sich das? Für uns schon. Wir wollen StammtischAtmosphäre vermitteln. Da sitzen zwei Typen zusammen und unterhalten sich bei einem Bier über die Wissenschaft. Wissenschaft sollte etwas sein, worüber jeder reden kann. Aber die meisten Menschen haben Angst vor ihrer Komplexität. Das ist eigentlich komisch. Fußball ist auch ein sehr komplexes Thema. Während der WM wissen trotzdem plötzlich 80 Millionen Deutsche besser als Trainer Jogi Löw, wie man die Nationalmannschaft aufstellen sollte. So sollte es auch mit der Wissenschaft sein. Wir wollen weg von dem Bild der Forscher, die im Elfenbeinturm sitzen und hochkomplexe Dinge hochkompliziert erklären. Man muss ja auch nicht alles verstehen. Das tun wir auch nicht. Ein grundlegendes Verständnis reicht völlig aus. Passieren euch manchmal Fehler? Es kann vorkommen, dass wir etwas nicht hundertprozentig richtig erklären. Gerade bei Gebieten, in denen wir uns selbst nicht so gut auskennen, zum Beispiel in der Biologie. Darauf weisen uns unsere Hörer meistens hin. Grundsätzlich erzählen wir aber nie Bullshit. Die Fehler liegen im Detail. Sind solche Patzer problematisch? Wir haben letzten Endes nicht den Anspruch einer Vorlesung. In erster Linie
uns etwa acht Stunden Arbeitszeit. Da müssen wir dann auch mal eine Wochenendschicht einlegen. Wir haben auch schon eine Folge in Indien gemacht, als wir gemeinsam dort waren. Durch ihre öffentliche Präsenz erhalten die Podcaster regelmäßig E-Mails von Kollegen aus aller Welt, oft mit absurden Inhalten. Ein solcher Kollege ist Dr. Das. Der indische Wissenschaftler gründete die „University of God“ und glaubt, er habe die Vereinigung von Wissenschaft und Gott gefunden. Dabei hat er sich seine ganz eigene Weltanschauung aufgebaut. Nicolas Wöhrl an seinem Arbeitsplatz. wollen wir unterhalten. Im Optimalfall lernen unsere Zuhörer dabei etwas. Die genauen Details von Publikationen sind schon sehr kompliziert, das verstehen auch Wissenschaftler nicht immer. Wir wollen verdeutlichen, was die Idee hinter der Sache ist, was diese Forschung für uns bedeuten könnte. Die Folgen der Nanotechnik-Wissenschaftler werden auf ihrer Homepage regelmäßig kommentiert. Oft sagen die Hörer ihnen, sie erklären die Wissenschaft besser als Lehrer. Freut euch positives Feedback? Natürlich. Man darf allerdings nicht vergessen, dass Lehrer einen schweren Job haben. Die können nicht jeden Tag so ein Feuerwerk veranstalten, wie wir das alle zwei Wochen machen. Ist Hörerbindung wichtig für Euch? Ja, das stand von Anfang an im Vordergrund. Deshalb halten wir uns an einen festen Zeitplan. Unsere Hörer verlassen sich darauf. Einige fahren extra später zur Arbeit, um für die Fahrt die neueste Folge herunterladen zu können. Ist so ein Zeitplan schwer einzuhalten? Wir sind beide häufig unterwegs, ob im Urlaub oder auf Dienstreise im Ausland. Aber wir wollen nicht einfach eine Folge ausfallen lassen. Die Hörer erwarten schließlich eine neue Episode. Deshalb nehmen wir für gewöhnlich im Voraus auf. Das kann neben Familie und Job mal stressig sein. Eine Folge kostet jeden von 07
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Wie geht ihr mit Mails zu absurden Theorien um? Grundsätzlich ist es uns zu zeitintensiv, uns mit so etwas zu beschäftigen. Wir erhalten regelmäßig E-Mails von Leuten, die glauben, Einstein widerlegt zu haben. Das gleiche gilt für Dr. Das, er ist mehr zu einem Running Gag im Podcast geworden. Podcasts zu veröffentlichen ist kein Job im klassischen Sinn. Durch Spenden-Seiten wie Patreon oder flattr kann man trotzdem Geld verdienen. Könntet ihr nur vom Podcasten leben? Nein, so weit sind wir nicht. Das Geld reicht nicht einmal für einen von uns. Aber wir konnten davon neue Ausrüstung kaufen, etwa neue Mikrofone. Das hat uns sehr fasziniert. Ursprünglich hatten wir nur gehofft, mit den Spenden die Serverkosten zu decken. Inzwischen müssen wir auf unsere Einnahmen sogar Steuern zahlen. Das sind also mehr als nur ein paar flattr-Cent. Könntet ihr euch vorstellen, das Podcasten zum Beruf zu machen? Nein. Ich liebe meinen Job an der Uni, die Wissenschaft ist meine Leidenschaft. Aber ich finde es schon faszinierend, dass das vielleicht mal möglich wäre. Vielleicht werden wir mal mit einer Experimente-Show auf die Bühne gehen. Das liegt aber noch in weiter Zukunft. Alle Episoden des Podcasts sind auf www.minkorrekt.de zum Abspielen oder Downloaden verfügbar.
BEINE AUS STAHL Und Schuss! In den Laborhallen des Roboterinstituts an der TU Dortmund kicken kleine Roboter statt großer Menschen. Was verbirgt sich dahinter? Forschung für die Zukunft oder Verlust der Traditionen? TEXTMONA FROMM FOTOSTHORBEN LIPPERT
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anz still steht er auf dem Tisch und stützt sich mit seinen langen Armen auf der Tischplatte ab. Er hat nur drei Finger an jeder Hand, fünf wären zu schwer für seinen Körper. Neben ihm steht ein Laptop mit komplizierten Formeln auf dem Bildschirm. Seine Ohren leuchten blau. Sein linkes Auge auch, das rechte grün. In der Haltung sieht es aus, als ob er ruht. Plötzlich ein müdes Stöhnen. „Was war das?“, fragt Thorben Seeland. „Dem ist, glaube ich, langweilig“, sagt er und lacht. „Nein, der schaltet sich jetzt aus“, korrigiert ihn Ingmar Schwarz. Er ist „Antman“. So heißt der kleine Roboter. Antman ist ausgestreckt 57,4 Zentimeter groß. Er ist zwei Jahre alt, trotzdem hat er schon sehr viel geleistet – er ist Sportler. Profi ist er noch nicht wirklich, aber er trainiert hart, um einer zu werden. Antman will in den Profifußball, denn das ist seine Leidenschaft. Eigentlich ist er nur dafür geschaffen worden, um Fußball zu spielen. In den Laborhallen des Instituts für Roboterforschung (IRF) an der TU Dortmund ist Antman zu Hause. Hier wird er programmiert – von InformatikStudierenden wie Thorben Seeland und wissenschaftlichen Mitarbeitern wie Ingmar Schwarz und Matthias Hofmann. „Die Arbeit ist anspruchsvoll, weil man kreative Lösungen finden und gleichzeitig die pure Logik der Programmiersprache verstehen muss“, sagt Matthias. Antman hält sich fast immer in den Laborhallen auf, außer zu Spielzeiten. Im Juli geht es zum Beispiel mit der Dortmunder Mannschaft „Nao Devils“ nach Japan. Dort findet die Weltmeisterschaft der fußballspielenden Roboter statt, genannt RoboCup. Die Androiden agieren zwar grundsätzlich allein in einem Fußball-
spiel, weil sie per WLAN miteinander kommunizieren. Aber bevor sie das können, muss das Team aus Informatikerinnen und Informatikern einiges an Fleiß- und Geduldarbeit investieren.
spielen können. Sebastian erklärt: „Der Roboter zeigt mit seinem rechten Auge die Ballposition und mit seinem linken seine eigene Position oder Rolle an – blau heißt zum Beispiel Torwart.“
Mensch gegen Roboter
Außerdem müssen die Programmiererinnen und Programmierer den Roboter vorher so einstellen, dass er auf einen weißen Ball reagiert. Klingt einfach, ist manchmal aber schwierig umzusetzen, weil die Markierungslinien auf dem sechs mal neun Meter großen Feld auch weiß sind. Die „Nao Devils“ interpretieren viele Linien falsch. Es kann sein, dass sie einen Ball erkennen, wo keiner ist, oder dass sie keinen Ball sehen, wo sich eigentlich einer befindet. Die Roboter merken sich nichts, sie haben (noch) kein Gedächtnis. Deswegen können sie nur mit der Kamera ihre Position steuern. Die Kamera ist auf der Stirn zwischen den Augen der Roboter angebracht. Häufig sehen sie dann nicht exakt genug. Vor ein paar Jahren war das noch einfacher, weil die Tore unterschiedliche Farben hatten. Die Roboter wussten: rotes Tor – hineinschießen, blaues Tor – fernbleiben. Schnell zu erkennen, auf welches Tor sie schießen müssen, ist jetzt schwieriger. Außerdem müssen sie sich besser auf dem Spielfeld orientieren können.
Das Team hat ein großes Ziel: Antman und seine Mannschaft sollen den Nachfolge-Generationen das Fußballspielen beibringen. Denn 2050 soll es ein ganz besonderes Spiel geben: Menschen gegen menschengroße Roboter. Und diese Roboter sollen den dann amtierenden Fußballweltmeister schlagen. Der kleine Antman ist Versuchsobjekt, eines von vielen auf dem langen Weg dorthin. Auch wenn er bis zum großen Moment, bis 2050, überleben sollte, wird er selbst nicht mitspielen können. Das wäre nicht mehr seine Liga. Die Informatiker bereiten sich jedes Jahr auf den RoboCup vor. Der Wettbewerb wird immer in einem anderen Land ausgerichtet. Das Team besteht aus rund 20 Studierenden. Thorben schreibt seine Diplomarbeit am IRF, Sebastian Hoser seine Bachelor-Arbeit. Beide sind begeistert von der Materie. „Es sind Roboter, die Fußball spielen!“, sagt Sebastian euphorisch. Außerdem macht sich die Roboterforschung auch gut im Lebenslauf, sagt der wissenschaftliche Mitarbeiter Matthias. Bei Unternehmen sei die Forschung mit fußballspielenden Roboter sehr beliebt. Antmans verschiedenfarbige Augen haben eine besondere Funktion. Die Roboterforscherinnen und -forscher programmieren die Hardware so, dass sie damit 08
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Die „Adult Size“ ist zu schwer Antman und seine Gefährten sind also weit entfernt vom Profifußball. Sie rennen momentan mit einer Geschwindigkeit von maximal 30 Zentimetern pro Sekunde. Die Geschwindigkeit hängt stark vom Ort und Untergrund auf dem Feld sowie vom Zustand der Roboter ab – das ist ähnlich wie bei Menschen, wenn zum
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Beispiel die Gelenke alt und abgenutzt sind. Anders ist jedoch: Menschliche Profifußballer können bis zu 830 Zentimeter pro Sekunde schnell laufen. 1997 gab es den ersten RoboCup und damit die ersten beiden Teams aus Robotern, die gegeneinander Fußball spielten. Entstanden ist der Wettbewerb aus einer Robotik-Konferenz. Internationale Organisationen betonen, dass 2050 die Maschinen den dann amtierenden Fußballweltmeister schlagen können. Die Forscher der TU halten das für gewagt – und äußern sich eher vorsichtig. „Das dürfte unwahrscheinlich sein“, schätzt Matthias. Es gibt zwar schon „adult size“Roboter, erklärt er, die gehen Menschen ungefähr bis zur Brust oder zum Kinn. „Aber hier gab es in den vergangenen zehn Jahren keine großen Veränderungen.“ Sie seien noch immer zu schwer. „Wir müssen warten, bis die Hardware billiger und besser ist.“ Die kleinen „standard platform“-Roboter wie Antman sind wesentlich flinker. Sie können mehr, aber es ist teuer, sie weiter zu verbessern. Mitarbeiter Matthias sagt, für einen wirklich herausragenden Roboter müsse man eine gute halbe Million Euro investieren. Dem finanziellen Rahmen sei nach oben keine Grenze gesetzt. An der TU Dortmund kosten die Roboter zwischen 3500 und 4000 Euro. An anderen Instituten wird mehr Geld investiert, aber mit einem Spielfeld mit zwei Toren sind die „Nao Devils“ in Dortmund schon nicht schlecht aufgestellt. Obwohl die „standard platform“Roboter damit vergleichsweise preiswert ausfallen, sind sie den großen überlegen. Mit menschlichen Fußballern können die halbmetergroßen Androiden jedoch noch lange nicht konkurrieren. Wenn die Ma-
schine gegen den fast dreimal so großen Menschen gewinnen soll, muss bis 2050 also noch an vielen Stellen gefeilt werden. Kamera, Sensorik und Gelenke müssen als erstes optimiert werden, betont Matthias. Das Ziel der internationalen Roboterforschung sei, sie auf den neuesten Stand zu bringen. Man kann die Ergebnisse der Forschung im Bereich Fußball auf den Hausgebrauch oder die Mensch-Maschine-Interaktion anwenden, sagt Matthias. Im Hausgebrauch müsse sich der Roboter sehr präzise bewegen und besonders gut im Raum zurechtfinden können. Die Forscher müssen herausfinden, wie er antwortet und wie er sich in bestimmten Situationen verhält. Dazu brauchen sie nicht nur Wissen, sondern auch finanzielle Mittel. „Fußball ist interessanter für die Öffentlichkeit“, sagt Matthias. Wenn es ausschließlich um Haushaltsgebrauch
oder Krankenpflege ginge, würde man nicht so einfach Sponsoren finden.
Fußball ist der Aufhänger, der das Projekt verkauft „Fußball ist verbunden mit Emotionen, es ist etwas, was die Menschen verbindet, das ist ein Stück weit Kultur“, sagt der wissenschaftliche Mitarbeiter. Der Roboterfußball würde den menschlichen Fußball nicht ersetzen. „Fußball ist der Aufhänger, der das Projekt verkauft“, meint er. Die Spiele beweisen das: „Es gibt immer sehr viele Fans und Zuschauer. In Brasilien beim RoboCup gab es sogar richtige Tribünen. Die Leute sind einfach begeistert, sie freuen sich, wenn die Roboter hinfallen und von allein wieder aufstehen, oder wenn sie den Ball richtig treffen. Es spielt eigentlich keine Rolle, wer gewinnt. Es ist ein freundschaftlicher Wettbewerb.“ Es gibt Simulationen, in denen die Roboter Elf gegen Elf spielen. Übersichtlicher ist es für die Forscher jedoch, wenn die Teams kleiner sind. Die Dortmunder Spieler spielen Fünf gegen Fünf. Manche Regeln sind analog zum Menschenfußball: Zum Beispiel ist es verboten, dass ein Spieler das Spielfeld verlässt. Einen Freistoß gibt es auf den kleinen Feldern aber nicht.
Matthias Hofmann beim Zusammenbau seines „Antman“. 10
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Auf dem Rasen ist grundsätzlich Fairplay angesagt. Aber es kommt schon vor, dass die Roboter mal gegeneinander laufen. „Wenn sie den anderen ein Beinchen stellen, machen sie das definitiv nicht mit Absicht“, erklärt Thorben. „Sie haben dann im Netz Linien oder in den weißen Linien einen Ball erkannt, den sie schießen wollten. Zack, liegt der Verteidiger auf dem Boden.“ Dieser Roboter wird
bestraft: Er ist so programmiert, dass er sich für dreißig Sekunden gar nicht mehr bewegen kann. Dann fällt er einfach um und die menschlichen Helfer müssen eingreifen und ihn wieder aufstellen. Es gibt sogar einen Coach Robot – wenn auch noch nicht in Dortmund. Der Coach Robot ist der Jogi Löw der Mannschaft, weil er taktische Anwendungen übermittelt. Er steht auf einem Tisch außerhalb des Spielfeldes. Er kann Informationen lesen, die die Spieler auf dem Feld untereinander austauschen. Diese Codes können die Programmierer nicht entziffern; deswegen sind die Roboter so eingestellt, dass sie Informationen nach außen abgeben. Wenn die Programmierer die Ursache für ein Problem kennen, können sie es
beheben. Der Coach Robot wird sie also nie ersetzen. Deshalb ist für sie Konzentration während des Spiels angesagt. Die Arbeit während der RoboCups kann sehr anstrengend sein, mental und körperlich. Nicht, weil die Informatiker sehr viel rennen oder selbst Sport treiben würden, sondern weil sie mehrere Tage lang hoch konzentriert arbeiten und wenig schlafen. „Außerdem fiebern wir für unser Team mit“, sagt Matthias. „Das ist körperlich sehr fordernd, aber es ist kein Vergleich zum richtigen Fußball.“ Er kickt auch selbst auf dem Feld. Das Gefühl sei aber ähnlich, die emotionale Belastung beim Wettkampf trage zur Anstrengung bei. Emotionale Belastung hei-
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ße aber auch emotionale Verbundenheit. Beim Programmieren in den Laborhallen des IRF an der TU Dortmund sind die Forscher entspannter als auf Wettkämpfen. Das Spielen mit Antman und seinem Team erfordert Konzentration, ist für alle aber auch eine Leidenschaft. Wenn Antman schießt, klatschen sie. Wenn er trifft, jubeln sie. Wenn er fällt, heben sie ihn wieder auf. Und wenn er sogar selbst wieder aufsteht, dann lachen alle.
Im Dortmunder Tiefstollen. Weitere EindrĂźcke der verschiedenen Bunker gibt es online:
TUNNELBLICK Mehr als 1300 Bunker und Tiefstollen wurden während des Zweiten Weltkriegs unter Dortmund gebaut. Viele davon existieren noch heute, doch kaum jemand kennt sie. Manche der Anlagen haben nach dem Krieg neue, außergewöhnliche Aufgaben erhalten. TEXTMARTIN NEFZGER FOTOSMARTIN NEFZGER&TEAM ROSENGARTEN
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inter einer unscheinbaren Tür führt ein langer, flach abfallender Steinweg durch einen tunnelartigen Gang hinab. Er endet vor einer schweren, grauen Stahltür. Es riecht muffig, wie in einem Keller, der zu selten gelüftet wird. Kleine Tropfsteine hängen neben Spinnweben von der Decke herab. Sie haben sich in den vergangenen Jahrzehnten durch die eindringende Feuchtigkeit gebildet. Auch vor der Stahltür hat sich Wasser gesammelt. Um keine nassen Füße zu bekommen, macht Harry Lausch einen großen Schritt über die Pfütze hinweg. Dann drückt er die Tür auf. Mit einem lauten Quietschen öffnet sie sich Zentimeter für Zentimeter. Der 59-Jährige ist der einzige, der einen Schlüssel für die massive Stahltür besitzt. Nur er kann 13
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Besucher in den dahinterliegenden Bunker lassen, um den er sich seit Jahren als Bunkerwart kümmert. Die Anlage ist ein Überbleibsel aus dem Zweiten Weltkrieg. Fast 1200 Quadratmeter groß. Direkt an der Dortmunder Ruhrallee. Während des Zweiten Weltkriegs gab es in der Stadt zahlreiche solcher Luftschutzanlagen. Manche davon waren von Unternehmen als Schutzraum für die Arbeiterinnen und Arbeiter in der Nähe von Fabriken gebaut worden. Andere waren für alle zugänglich. Wohlhabende Dortmunder Familien bauten teilweise sogar private Bunker, um sich im Angriffsfall schützen zu können. „Heute sind rund 1300 Anlagen bekannt, insgesamt werden es aber noch mehr gewesen sein“, schätzt
Kai Ohlenbostel, der sich seit Jahren als Hobby mit den Dortmunder Bunkern beschäftigt. Nach dem Krieg seien aber einige davon verfüllt worden oder eingestürzt. Als der gebürtige Niedersachse nach seinem Umzug in die Ruhrgebietsstadt von einer Anlage erfuhr, die unter seiner damaligen Wohnung verlief, begann er sich intensiv mit dem Thema zu beschäftigen. Er studierte alte Bücher und Pläne, tauschte sich mit anderen Expertinnen und Experten aus und besuchte viele der unterirdischen Bauwerke. „Manche Leute glauben, dass da Stahlhelme oder alte Kriegswaffen drin liegen. Das ist völliger Unsinn“, sagt er. „Das sind einfach nur leere Räume. Bis auf sanitäre Anlagen und ein paar Bänke ist da nichts mehr.“
Eine Reise in die Vergangenheit Mehr als nur ein leerer Bau ist der „Befehlsbunker Ruhrallee“, für den Bunkerwart Harry Lausch verantwortlich ist. Eigentlich ist er Raumplaner, aber seit fünf Jahren kümmert er sich hauptberuflich um das Relikt aus der Ära der Nationalsozialisten. „Es ist ein bisschen, als wäre hier die Zeit stehen geblieben“, sagt er. Unter der Erde existieren unzählige Räume, darunter ein großer Besprechungsraum mit einem schweren Holztisch, an dem einst wichtige Entscheidungen getroffen wurden. Die kleine Kantine dagegen erinnert mit ihren Tischen und dem Tresen eher an ein in die Jahre gekommenes Vereinsheim. Überall riecht es feucht und muffig, an den Wänden wächst teilweise Schimmel.
FÜHRUNG DURCH DIE HISTORISCHE ANLAGE Im „Befehlsbunker Ruhrallee“ bietet Harry Lausch Führungen an. Diese dauern bis zu drei Stunden und kosten zehn Euro pro Person. Interessierte können sich per Mail melden: hy-lausch@web.de Zu sehen gibt es Besprechungsräume, einen OP-Stuhl für kleinere Eingriffe und Massenschlafräume. Jedes Bett kann in wenigen Handgriffen in eine Krankenbahre umgewandelt werden.
Die Geschichte des Bunkers begann 1943 mit dessen Planung, ein Jahr später wurde er fertiggestellt. Das Militär zog ein und befehligte von hier aus Stellungen der Flugabwehrkanonen. Auch die NSDAP hatte in der Anlage ein Büro, um wichtige Parteifunktionäre im Angriffsfall in Sicherheit bringen zu können. „Wahrscheinlich ist das der Grund, warum der Bunker direkt in der Stadt gebaut wurde“, sagt Harry Lausch. „Das ist ungewöhnlich, meist waren die Militärstützpunkte eher außerhalb.“ Noch heute kann man den zentral gelegenen Bunker erkennen, wirklich versteckt liegt er nicht. Der Belüftungsturm steht zwischen Ruhrallee und Leipziger Straße. Auch die drei Meter dicke Decke aus Beton, die sogar Bomben standhalten konnte, ist von außen zu sehen. Kennt man das Bauwerk, springt es sofort ins Auge. Sonst verschwinden die unscheinbaren Zeugen des Krieges fast zwischen den neueren Gebäuden. „Kaum jemand weiß noch von dem Bunker“, sagt Lausch. Nach der Kapitulation des Deutschen Reichs stand der Bunker zunächst leer. Erst in den 1970er-Jahren richtete die Stadt Dortmund in der Anlage die Leitstelle des Krisenstabs ein. Dieser besteht aus Verantwortlichen der Stadt und Sachverständigen, die im Katastrophenfall zusammenkommen. Für rund eine Million D-Mark wurde der Bunker in deren Kommandozentrale umgebaut. Von hier aus hätte der Krisenstab die Stadt im Notfall mehrere Wochen lang regieren können.
Nach dem Krieg wurde der Bunker nie benötigt Noch heute finden sich in den Gängen Überbleibsel der ehemaligen Leitstelle, die Anfang der 1990er an einen anderen, geheimen Ort verlegt wurde. Vieles wurde einfach zurückgelassen. Ersatzkleidung liegt sorgfältig gestapelt in den Regalen. Notfallpläne liegen auf den Tischen – bereit für Einsätze, die es nie geben wird. Telefone, Schreibmaschinen, ganze Tagungsräume, Dekontaminationsduschen und sogar eine Operationsliege zeigen, wie akribisch man sich damals auf den Katastrophenfall vorbereitet hatte. Schreckensszenarien gab es in den 14
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1970er-Jahren viele: Naturkatastrophen, atomare Unglücke oder ein Angriff der Sowjetunion. „Das ist uns zum Glück erspart geblieben“, sagt Lausch. Heute kümmert er sich um den Bunker, wartet die Technik und sorgt dafür, dass das Bauwerk nicht verfällt. Der „Befehlsbunker Ruhrallee“ ist nicht die einzige Anlage in Dortmund, die nach dem Krieg umfunktioniert wurde. Direkt an der Halle 1 der Westfalenhallen befindet sich ein Bunker, der einst als Schutzraum für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter gebaut worden war. Nach 1945 blieb er zunächst ungenutzt. Als dann während des Wiederaufbaus der Wohnraum knapp war, wurde die unterirdische Anlage in ein Hotel umgewandelt. „Ein Hotelier aus der Stadt hat den Bunker damals gemietet und hergerichtet“, sagt Kai Ohlenbostel. Nach dem Umbau seien dort Gäste der Westfalenhallen untergebracht worden. Sogar Schauspielerinnen und Schauspieler, die in der Stadt gastierten, sollen hier abgestiegen sein. Doch mit dem Bau modernerer, oberirdischer Unterkünfte verblasste der Glanz des Hotelbunkers bereits in den 1960er-Jahren. Danach übernachteten dort hauptsächlich Geschäftsreisende, 1984 wurde die unterirdische Herberge endgültig geschlossen. Heute wird die Anlage nicht mehr genutzt, die Überbleibsel sind unter der Erde aber immer noch vorhanden. Fotos von Kai Ohlenbostel zeigen etwa alte Waschbecken. Das Schlüsselbrett hängt noch dort, wo früher der Empfangstresen stand. Und auch der ehemalige Eingang ist noch gut zu erkennen. Auf dem Parkplatz vor den Hallen markiert ein großer Steinquader die Stelle, an der einst Übernachtungsgäste in die Unterwelt hinabstiegen. Noch tiefer hinab in die Unterwelt führt ein Tiefstollen, der ebenfalls während des Krieges als Luftschutzanlage gebaut worden war. Bis heute erstreckt er sich unter weiten Teilen der westlichen Innenstadt. Mehr als 15 Meter unter Gebäuden und Straßen verlaufen lange Gänge, in denen während der Luftangriffe viele Dortmunderinnen und Dortmunder Schutz fanden. Der Bau der Anlage hatte
bereits vor dem Krieg begonnen. Von 1938 bis 1945 gruben Zwangsarbeiter unter Tage kilometerlange Tunnel. Selbst kurz vor Kriegsende wurden die Arbeiten im Größenwahn der Nationalsozialisten fortgeführt. Wären die Bauarbeiten nicht durch die Niederlage des Deutschen Reichs gestoppt worden, wäre die Anlage wohl noch weitaus größer geworden. So war geplant, einen Tiefstollen mit demselben Grundriss unter der östlichen Innenstadt zu bauen. Außerdem hätten bereits vorhandene Bunker, wie der „Befehlsbunker Ruhrallee“, an die Anlage angeschlossen werden sollen. Einen Rekord hält Dortmund dennoch: „Der Dortmunder Tiefstollen ist die größte zivile Luftschutzanlage in Deutschland“, sagt Ohlenbostel.
Auf der Suche nach dem Kick Gerade weil der Dortmunder Tiefstollen etwas Besonderes ist, versuchen immer wieder Menschen in ihn einzudringen. Auch andere Bunker sind betroffen. Sogenannte Prepper werden von den Geheimnissen angelockt, die die unterirdischen Tunnel umgeben. Manche suchen dort verborgene Schätze, andere schlicht den Adrenalin-Kick. „Früher gab es den Trick, dass man die Schlösser an den Eingängen geknackt und durch eigene ersetzt hat“, sagt Harry Lausch. „Dann konnte man ein- und ausgehen wie man wollte. Zumindest, bis es die Behörden bemerkt haben oder jemand anderes die Schlösser ausgetauscht hat.“ Heute sei es kaum möglich, in die Anlagen zu gelangen. Viele Eingänge wurden zugemauert oder verschweißt, andere mit schweren Schlössern gesichert. Denn das Betreten der Anlagen kann sehr gefährlich sein. So können sich in den Tunneln kaum wahrnehmbare, giftige Gase sammeln. Auch können von der Decke Teile herabfallen und Personen verletzen. Außerdem stehen viele Tunnel unter Wasser – hier besteht die Gefahr zu ertrinken. Für die Sicherung von Anlagen, die wie der Dortmunder Tiefstollen im Auftrag der Nationalsozialisten erbaut wurden, ist durch das Allgemeine Kriegsfolgengesetz die Bundesanstalt für Immobilienaufgaben (BImA) verantwortlich.
Ein langer Gang führt hinab in den „Befehlsbunker Ruhrallee“. 15
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„Befehlsbunker Ruhrallee“: Der OP-Stuhl kam hier nie zum Einsatz – zum Glück. Denn er war bereits veraltet, als er „gebunkert“ wurde. Sie kümmert sich darum, dass von den Bunkern keine Gefahr für die Zivilbevölkerung ausgeht. Das könnte zum Beispiel der Fall sein, wenn ein Tunnel einstürzt und so die Gebäude darüber beschädigt werden. Auf Anfrage heißt es: „Generell weisen derartige Anlagen aufgrund ihres Alters und ihres Zustandes regelmäßig ein erhebliches Gefahrenpotential auf. Die BImA weist […] ausdrücklich darauf hin, dass die Anlagen aufgrund der erheblichen Gefährdungslage nur von geschultem Fachpersonal […] betreten werden sollten.“ Doch die Faszination bleibt. Unzählige Gerüchte ranken sich bis heute um die unterirdischen Tunnel. So sollen einige Gänge des Tiefstollens bis unter den Stadtteil Dorstfeld reichen. Von solchen Märchen hält Harry Lausch nicht viel. „Da wird natürlich viel vermutet“, sagt er. „Mit manchen Mythen muss man einfach aufräumen.“ Die Realität ist zwar weniger spektakulär, aber trotzdem beeindruckend: „Heute ist die Anlage wohl noch um die 4,2 Kilometer lang“, sagt Kai Ohlenbostel. „Früher war sie durchaus größer. Nach dem Krieg sind Teile davon schon mit Trümmerschutt verfüllt worden.“
Neben den bekannten Schutzräumen sind es auch die (noch) nicht bekannten Anlagen, von denen der Reiz des Geheimnisvollen ausgeht. Viele Bunker, die während der Kriegsjahre von Privatleuten gebaut wurden, sind auf keiner Karte verzeichnet. Und auch sonst gibt es keinerlei Unterlagen. „Teilweise tauchen die Bunker heute noch auf, wenn etwas gebaut wird“, sagt Ohlenbostel. Manchmal würden sie auch einbrechen. Plötzlich tut sich dann im Garten ein Loch auf und offenbart einen unterirdischen Schutzraum. „Das kann passieren, wenn sie unter Privatgrundstücken liegen und keiner davon weiß.“ Einmal sei es schon vorgekommen, dass in einem vergessenen Bunker Skelette von Menschen gefunden wurden, die während der Luftangriffe eingeschlossen worden waren. Wer diese Menschen waren, bleibt ein Rätsel. Geheimnisse bergen womöglich auch bekannte Anlagen wie der „Befehlsbunker Ruhrallee“. „Es gibt hier Räume, die komplett zugemauert sind“, sagt Harry Lausch. „Bisher haben wir noch nicht hineingesehen.“ Bald soll der Bunker überbaut werden, auf der Deckenkonstruktion werden dann Appartements errichtet. Bei den damit verbundenen Bauarbeiten im Bunker wird dann 16
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eventuell auch dieses Geheimnis gelüftet. „Aber das Bernsteinzimmer werden wir dort wohl nicht finden“, sagt der Bunkerwart und schmunzelt.
BUNKER: DIE BEHÖRDEN REDEN UNGERN DRÜBER An Informationen über die Bunker zu kommen, ist oft nicht einfach, denn die Behörden sind alles andere als auskunftsfreudig. Hintergrund: Die Eigentumsverhältnisse scheinen nicht endgültig geklärt zu sein. Die Stadt verweist auf die Zuständigkeit der Bundesanstalt für Immobilienaufgaben (BImA). Diese will aber nicht Eigentümer der Anlagen sein – das seien die Besitzerinnen und Besitzer der Grundstücke über den Bunkern. In vielen Fällen ist das die Stadt, zum Beispiel, wenn die Tunnel unter Straßen verlaufen. Auf Anfrage heißt es von der Pressestelle der Stadt allerdings: „Die vorhandene Tiefstollenanlage ist nicht mehr in Betrieb und unterliegt der Bundesvermögenverwaltung.“ Diese existiert heute aber nicht mehr – ihre Aufgaben hat die BImA übernommen.
ANGESCHRIEBEN In jedem Heft schreiben wir einem Prominenten einen Brief. Dieses Mal: Kritik an Paul Ziemiak, Bundesvorsitzender der Jungen Union. Unser Autor plädiert für Mindestlohn auch für Studierende. TEXTNILS GRONEMEYER FOTOMARKUS BERGMANN
Herr Ziemiak, Sehr geehrter
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KING OF KIRMES Sein Alltag ist vergleichbar mit einer Fahrt in seinem Autoscooter: Mal läuft es rund, mal geht es auch etwas härter zu, freie Fahrt gibt es selten. Doch Schausteller Heinz-Günter Wendler (22) liebt die Kirmes. Für ihn ist sie der schönste Arbeitsplatz. TEXT&FOTOROBIN LINDEMANN ILLUSTRATIONNANNA ZIMMERMANN
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ber dem Platz liegt der Duft von gebrannten Mandeln und frischem Popcorn. Flackernde Lichter erfüllen die Dunkelheit und die satten Bässe aus den Boxen vermischen sich mit dem Klappern der Metalltrittbretter. Auf denen tummeln sich die Besucher der Fahrgeschäfte, während sie auf die nächste Runde warten. Vom Geländer des Karussells aus blickt Heinz-Günter Wendler auf die Masse, die sich langsam durch die Gassen schiebt: „Schausteller ist für mich der schönste Beruf auf der Welt“, sagt der 22-Jährige. Von März bis November zieht seine Familie mit ihren Fahrgeschäften und Buden quer durch Nordrhein-Westfalen, um Volksfeste, Jahrmärkte und große Kirmessen mit Spaß zu versorgen. Im Winter stehen einige Weihnachtsmärkte auf dem Programm. Heinz-Günter Wendler tritt mit dem Schausteller-Beruf in große und traditionsreiche Fußstapfen. Sein Urgroßvater hatte insgesamt acht Kinder. Viele
von ihnen sind ebenfalls Schausteller geworden und haben diese Tradition an ihre Kinder weitergegeben. Heute bildet die Familie, die ursprünglich aus dem Kreis Unna stammt, ein dicht verästeltes Netzwerk aus Schaustellern. Allein in Unna laufen sechs Betriebe unter dem Namen Wendler, die Autoscooter, Musik Express und viele weitere Karussells sowie Imbissbuden betreiben – man unterstützt und hilft sich in der großen Familie, erklärt Wendler.
Jahrmarkt und Schule – passt das? Auch der junge Schausteller wuchs zwischen Fahrgeschäften auf. Seine Kindheit war geprägt vom Alltag auf dem Rummel. Bereits mit elf Jahren half er der Familie bei der Arbeit. „Meine Eltern haben mir die Wahl gelassen, und ich habe mich letztendlich für die Kirmes entschieden“, sagt er. Besonders in jungen Jahren stellte die Kombination aus Rummel und Schulbank den Schausteller auf die Probe.
Wenn die Familie ihr Fahrgeschäft weniger als eine Autostunde entfernt vom Zuhause in Iserlohn aufgebaut hatte, brachte seine Mutter den Jungen oft abends nach Hause. So konnte er am nächsten Morgen seine Stammschule besuchen. „Bei Reisen in weiter entfernte Städte habe ich dann Aufgaben für die Woche bekommen, die ich in den Schulen vor Ort oder im Wohnwagen am Kirmesplatz erledigt habe“, erzählt Heinz-Günter Wendler. Das sei nicht immer einfach gewesen. „Wo Kirmes ist, ist auch viel los. Da fällt es schwer, sich zu konzentrieren.“ Inzwischen hat der 22-Jährige die Schule erfolgreich abgeschlossen. Der Deutsche Schaustellerbund mit Sitz in Berlin sieht in Sachen Schulangebot noch Handlungsbedarf. So kämen Schausteller-Kinder im deutschen Schulsystem häufig zu kurz. „In anderen Ländern gibt es zum Beispiel viel mehr mobile Schulwagen für Kirmeskinder“, sagt Präsident Albert Ritter.
Für Schausteller Heinz-Günter Wendler stehen inzwischen über 30 Kirmessen und Märkte in der Saison jedes Jahr auf dem Plan. Viel Zeit für Freunde und Hobbys bleibt da nicht. „Es gab schon mal eine Phase, in der mir das total auf die Nerven ging. Da wollte ich mit dem ganzen Kram nichts mehr zu tun haben. Auf dem Kirmesplatz hat man nie mal seine Ruhe und vieles kam gerade damals einfach zu kurz.“ Das ist nicht gerade die Wunschvorstellung eines Teenagers. Doch dann kam der Winter – die Zeit, in der es in der Schausteller-Branche ruhiger zugeht. Diese Monate verbrachte die Familie häufig in der heimatlichen Wohnung. „Da ist mir dann aber sofort langweilig geworden. Ein Zeichen, dass ich die Kirmes einfach brauche.“ Seitdem packt er kräftig mit an und nimmt allmählich einen beträchtlichen Teil des Tagesgeschäfts in die Hand. „Mittlerweile lebe ich mehr Tage im Jahr im Wohnwagen, als in meiner Wohnung“, sagt Wendler. Viel Freizeit bleibt auch heute nicht. „Aber ich bin Schausteller aus Überzeugung. Ich habe mir das so ausgesucht.“ Der Vater, Heinz-Thomas Wendler, und Sohn Heinz-Günter kümmern sich mit der ganzen Familie und Hilfskräften um das Fahrgeschäft und alle anfallenden Arbeiten. 16-Stunden-Tage sind da keine Seltenheit. „Irgendwas muss immer gemacht werden, da hört die Arbeit an manchen Tagen einfach nicht auf“, erklärt Wendler. Sein Vater hat ihm früh das nötige Handwerkszeug mit auf den Weg gegeben – von Schweißen und Schrauben über Buchführung bis hin zur Einstellung dem Alltagsgeschäft gegenüber. In der Schaustellerbranche lautet die Devise also „Learning by doing“. „Man muss schon der richtige Typ sein, um
das Schaustellerleben zu mögen“, erklärt Wendler junior. Er scheint der richtige Typ zu sein – ein echter Macher mit breitem Kreuz, lauter Stimme und großer Klappe. Dabei verschließt er nicht die Augen vor den allgegenwärtigen Problemen. Wendler weiß, dass die Schausteller-Branche zu kämpfen hat. „Besonders die kleinen Jahrmärkte verlieren an Bedeutung und Gewicht im Alltag der Menschen“, sagt er. Leere Plätze bedeuten für ihn eine leere Kasse. Vor Ort habe man als Schausteller häufig mit widrigen Bedingungen zu kämpfen. „Viele Leute treten zum Beispiel aggressiv auf, wenn Alkohol im Spiel ist“, sagt Wendler.
Die Branche kämpft ums Überleben Auch Schaustellerbund-Präsident Albert Ritter sieht Probleme in der Branche. „Viele Schausteller stehen mit dem Rücken zur Wand“, sagt er. Grund dafür seien in erster Linie die stetig steigenden Kosten. „Vom Strom bis zum Feuerwerk – das müssen die Schausteller alles selbst tragen“, erklärt er. An dieser Stelle sehen sich Ritter und seine Kollegen vielfach von der Politik im Stich gelassen. Denn auch die Gebühren würden vielerorts ansteigen. Immer mehr müsse man als Schausteller für alles hinblättern, um sein Karussell am Platz aufbauen zu können. Auf der einen Seite stünde das Interesse der Politik, die Kirmes-Tradition zu erhalten, auf der anderen Seite mache die Bürokratie das Tagesgeschäft immer komplizierter. An dieser Stelle würden viele Schausteller auf ein wenig mehr Unterstützung hoffen. Denn schließlich verschaffen bekannte Kirmessen der Stadt ein gutes Image und locken jährlich unzählige Besucher an. Die harten Umstände hätten einige Schausteller schon dazu bewogen, das Geschäft
mit dem Spaß aufzugeben. Trotzdem bangt Ritter nicht um die Zukunft des Rummels. „Das Gemeinschaftgefühl ist nach wie vor einzigartig auf der Kirmes und große Veranstaltungen ziehen nach wie vor viele Menschen an“, sagt er. Mit einem gewissen Rückgang müsse man eben auch in diesem Bereich leben. Aber das verkrafte ein so altes Traditionsgut wie die Kirmes. „Viele Schausteller haben den Vorteil, dass eine starke Familie hinter dem Betrieb steht“, sagt Ritter. Die „Früher war alles besser“-Haltung will auch Schausteller Heinz-Günter Wendler keinesfalls einnehmen. „Denn es gibt auch ganz viele Tage, an denen das Karussell voll ist und das Ganze friedlich und einfach nur ausgelassen läuft.“ Außerdem würden große Events, wie die Soester Allerheiligenkirmes, im Gegensatz zu Kleinveranstaltungen von Jahr zu Jahr mehr Menschen anlocken – und volle Feste lassen die Kirmes-Kasse klingeln. Der positive Trend lässt Wendler optimistisch in die Zukunft blicken. Die kleine Dorfkirmes gebe es vielleicht nicht mehr so oft, aber dafür andere Events. „Neulich hatten wir unser Fahrgeschäft zum Beispiel als Attraktion bei einer Messe in der Westfalenhalle stehen, das lief super“, sagt Wendler. Den Trend, dass Kleines immer kleiner und Großes tendenziell größer wird, bestätigt Schaustellerbund-Präsident Albert Ritter. Das steigende Interesse an großen Events freut ihn. So geht es auch Heinz-Günter Wendler. Deshalb ist er fest entschlossen, die Herausforderung anzunehmen. Er will in den nächsten Jahren das Traditionsgeschäft erhalten. Denn trotz aller Probleme in der Branche sieht er am Ende des Tages in den Gesichtern der Besucher, was er bewirken kann: Dass ein Fahrchip nach wie vor für ein Lächeln sorgt, motiviere ihn Tag für Tag. Und dieses Lächeln gibt es oft: „Das kommt vom Kind oder auch mal vom abgeklärten Businessman.“
SCHLECHTE
KARTEN
Trikot an, Schal um, ab zum Fußball! Zehntausende Menschen pilgern jedes Wochenende in die deutschen Bundesliga-Stadien. Doch was, wenn das Spiel ausverkauft ist? Wirklich keine Tickets mehr da? Doch doch, jede Menge. Es wird betrogen, gefälscht und abgezockt. TEXTLUKAS HEMELT FOTOSMARKUS BERGMANN
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chon auf dem Weg zum Stadion kommen sie den Fans entgegen: Es sind meistens Männer, die mit selbst beschrifteten Pappschildern umherwedeln. „Tickets?“ oder „Suche Ticket“ steht drauf. Wenige Meter weiter winken wieder Männer, diesmal mit Karten in der Hand. Bei ihnen zählt nicht das geschriebene, sondern das gesprochene Wort: „Tickets, Tickets“, schreien sie in die sich langsam fortbewegende Masse von Fußballfans. Ein ausverkauftes Spiel und noch keine Eintrittskarte: Dann führt der Weg ins Stadion unweigerlich über diese Personen. Schwarze Bomberjacke, den Kragen hochgezogen, die eine Hand in der Tasche, die andere mit den Tickets in die Höhe gestreckt. Es braucht wenige Worte, um klar zu machen, wer was will. „Wie viele hast du?“, fragt der potentielle Käufer. „Wie viele brauchst du?“, entgegnet der potentielle Verkäufer. Die Verhandlungen beginnen. Der Bomberjacken-Mann guckt nervös immer wieder nach links und rechts. Er ist nicht allein: Ein augenscheinlicher Bekannter sucht wenige Meter weiter Tickets. Sie arbeiten zusammen: Der eine kauft Karten auf, der andere vertickt sie umgehend teurer weiter. Geld und Tickets wandern von Jackentasche zu Jackentasche. Die Feilscherei läuft. Irgendwo zwischen Originalpreis und anfänglich angesetztem Preis – abhängig von der Bedeutung des jeweils anstehenden Spiels – endet die Verhandlung. Es folgt der Austausch Papier gegen Papier: Geld gegen Tickets. Nach zwei bis drei Minuten ist alles vorbei. Es ist das klassische Prinzip von Marktwirtschaft: ist die Nachfrage gering, sinkt der Preis. Wollen viele noch eine Karte haben, schnellen die
Summen in die Höhe. Am Ende gewinnt derjenige mit dem gefüllten Portemonnaie.
Herzlich Willkommen auf dem Schwarzmarkt Solche Szenen gehen in den Menschenmassen oft unter, spielen sich aber dauernd und tausendfach rund um die Stadien der deutschen Fußball-Spitzenklubs ab. Es ist der übliche Tickethandel auf dem Schwarzmarkt. Ein Segen für Tickethändler, ein kostspieliger Eintritt für noch nicht mit Karten versorgte Fußballfans. Ein großes Ärgernis für die Vereine. Das dubiose Geschäft boomt. Der Ansturm auf Bundesliga-Tickets ist ungebremst. In der Saison 2015/2016 kamen laut DFB knapp 13 Millionen Besucher in die Stadien, ein Großteil der Spiele war ausverkauft. Gut für die SchwarzmarktHändler: Die Nachfrage nach ihren Tickets wächst stetig. „Wir verurteilen jegliche Form des Schwarzmarkthandels“, sagt Daniel Stolpe, stellvertretender Medienverantwortlicher bei Borussia Dortmund. Der BVB und alle anderen Vereine wollen den Zuschauern einen Eintritt zu fairen Preisen ermöglichen. „Es geschieht einiges, um den Handel zu verhindern“, versichert BVB-Sprecher Stolpe. „Es werden extra Strategien ausgearbeitet, um das Geschäft einzudämmen.“ Wie solche Konzepte im Detail aussehen, dazu will Stolpe aus taktischen Gründen keine Angaben machen. Auch möchte er nicht verraten, inwieweit aufgeflogene Händler strafrechtlich verfolgt werden. Die Deutsche Fußball Liga (DFL) arbeitet seit der Saison 2014/2015 an einem offiziellen Ticketzweitmarkt.
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Auf dieser Plattform im Internet können Fans zu fairen Konditionen kaufen oder verkaufen. „Der nicht autorisierte Zweitmarkt ist vielen Fans ein Dorn im Auge“, sagt Dr. Hendrik Weber von der DFL im Bundesliga-Magazin. „Ob illegale Kartenverkäufe über Internetanbieter oder Agenturen, die Kartenpakete unter falschen Namen von den Klubs erwerben und dann zu Höchstpreisen weiterveräußern – beides ist nicht in unserem Sinne.“
Preissteigerungen um das Zehnfache Diese Maßnahmen sagen nicht nur dem Handel auf der Straße den Kampf an. Auch das Internet ist ein beliebter und teurer Umschlagplatz für Tickets ausverkaufter Veranstaltungen. Wer sich beispielsweise kurz vor dem Finale der Fußball-Europameisterschaft im Juli 2016 im Netz auf die Suche nach Eintrittskarten begab, wurde schnell fündig. Ein Beispiel: tab-ticketbroker.de. Ein Ticket in der niedrigsten Preisklasse – Kategorie Vier – kostete 840 Euro. Der europäische Fußballverband UEFA verkaufte dieses Ticket als Veranstalter der EM ursprünglich für 85 Euro – eine Preissteigerung um fast das Zehnfache. Websites wie tab-ticketbroker.de oder auch die beliebte Seite viagogo.de sind Zweitmarktplattformen, auf denen Inhaber und Inhaberinnen von Veranstaltungstickets anonym und zu selbst gesetzten Preisen ihre Karten an Interessierte weiterverkaufen können. Viagogo selbst definiert sich auf seiner Website in den Geschäftsbedingungen als Servicedienstleister, „der es Mitgliedern ermöglicht, andere Mitglieder zu finden, die Tickets kaufen oder verkaufen möchten“. Das Ticketportal garantiert dabei in seinen
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DIE RECHTLICHE SEITE Grundsätzlich ist der Weiterverkauf von Tickets – egal ob für Fußballspiele oder Konzerte – im privaten Bereich erlaubt. Für Privatpersonen muss es möglich sein, ihr erworbenes Ticket an Dritte weiterzugeben. Sollte es sich um ein personalisiertes Ticket handeln, muss es auf den neuen Käufer umgeschrieben werden. Bei nicht übereinstimmenden Personendaten kann der Eintritt zur Veranstaltung verwehrt werden. Beim Weiterkauf von Karten darf durchaus ein höherer als der ursprüngliche Preis verlangt werden. Wucherpreise, die also in einem auffälligen Missverhältnis zur Leistung stehen, dürfen jedoch nicht angesetzt werden. Bei einem Fußballticket kann es jedoch keine Wucherpreise geben – schließlich ist niemand gezwungen, es zu kaufen. Veranstalter beäugen den Weiterverkauf von Tickets kritisch. Sie sorgen sich vor allem darum, dass die Preise stabil bleiben und ihre Veranstaltungen sicher. Daher schreiben Veranstalter in den Allgemeinen Geschäftsbedingungen (AGB) bzw. Allgemeinen Ticketbedingungen (ATB) fest, dass es verboten ist, die Tickets weiterzuverkaufen. Oder sie schränken die Weiterveräußerung zumindest ein. Die Allgemeinen Ticketgeschäftsbedingungen der DFL sehen beispielsweise vor, dass der Weiterverkauf durch Private möglich ist, aber nicht in jedem Fall. So darf nicht über Internetauktionshäuser verkauft werden und auch nicht zu einem höheren Preis als dem, der auf den Tickets angegeben ist. Oftmals drohen die AGB mit Sanktionen und Vertragsstrafen. Ein zu hartes Vorgehen gegen Privatpersonen ist aber nicht möglich. Sowieso wäre nur ein Vorgehen gegen den Erstkäufer möglich, der durch den Kauf einen Vertrag mit dem Veranstalter geschlossen hat. Die AGB oder ATB sind nämlich nur im Vertragsverhältnis zwischen Veranstalter und Erstkäufer wirksam. Dies gilt allerdings dann nicht, wenn personalisierte Tickets ausgegeben werden. Dann kann es untersagt werden, die Tickets an Dritte zu übertragen. Im deutschen Strafgesetzbuch findet sich kein Gesetz, das eine strafrechtliche Verfolgung von Tickethändlern vorsieht. Im Wettbewerbsrecht würde der gewerbliche Handel aber gegen das Verbot des unlauteren Wettbewerbs verstoßen. Als gewerblicher Händler kann grundsätzlich derjenige angesehen werden, der regelmäßig Tickets anbietet und diese gewinnbringend verkauft. Es müssen jedoch immer die Umstände des Einzelfalls betrachtet werden.
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Geschäftsbedingungen, dass die Käufer ihre Tickets rechtzeitig vor der Veranstaltung erhalten. Sollte das schiefgehen, würde Viagogo nach eigener Aussage „ohne Mehrkosten Ersatztickets anbieten oder den Betrag für die Tickets zurückerstatten“.
Christian B. tappte in die Facebook-Falle Doch in der Praxis gibt es durchaus Probleme, weiß Professor Johannes Ulbricht, Justiziar beim Bundesverband für Veranstaltungswirtschaft in Hamburg. „Ich würde mir gut überlegen, ob ich bei so einer Zweitplattform mein Ticket kaufe“, sagt Ulbricht. Für ihn besteht immer ein gewisses Risiko, weil in Deutschland der Zweitmarkt nicht reguliert wird. Ein Weiterverkauf von Tickets ist prinzipiell nicht ausgeschlossen. In England, Frankreich oder Dänemark hingegen ist der Zweitmarkthandel untersagt. Wie man beim Ticketverkauf in die Irre geführt werden kann, das hat Christian B. erlebt. Der 25-Jährige ist Anhänger des Fußball-Bundesligisten Schalke 04. Im Februar hatte er die seltene Chance, für sich und seine Freundin zwei der begehrten Dauerkarten für die Schalker Nordkurve zu bekommen. In einer Facebook-Gruppe bot eine Frau zwei Karten zum Verkauf an. Sie müsse diese berufsbedingt abgeben. Das ist die große Chance, dachte sich Christian und kontaktierte die Verkäuferin. Er telefonierte mit der Frau aus Lübeck und vereinbarte, ihr das Geld für die verbleibenden neun Saisonheimspiele zu überweisen: 260 Euro. Im Gegenzug wollte sie ihm die Karten zuschicken. Als das erhoffte Glück nach über einer Woche noch immer nicht bei Christian angekommen war, hakte er
nach. „Ich habe richtig Stress gemacht. Auf der nächsten Auswärtsfahrt nach Frankfurt wollte sie mir die Tickets zuhause vorbeibringen“, erzählt Christian. Doch auch diese Übergabe platzte. „Wir wurden wieder vertröstet. Dieses Mal erzählte sie, dass sie auf der Autobahn einen Unfall gehabt hätte und ihr Mann schwer verletzt ins Krankenhaus gekommen sei. Beim nächsten Auswärtsausflug zwei Wochen später wollte sie dann aber vorbeikommen.“
sagt: „Wir setzen darauf, dass betrogene Fans Anzeige bei der Polizei erstatten, damit diese dagegen vorgehen kann.“ Insgesamt sei das Ausmaß von Betrügereien bei Dauerkarten auf Schalke nicht groß. „Da die komplette Übertragung auf Dritte nicht möglich ist, beziehungsweise nur nach Rücksprache mit dem Verein, gibt es bei den Dauerkarten so gut wie keine Probleme mehr“, schildert Jüngst. Auch gefälschte Karten gebe es so gut wie nicht.
In dieser Zeit stieß Christian jedoch in einer anderen Facebook-Gruppe, über die er schon mehrfach Tickets ergattert hatte, auf einen Post, der ihn vor seiner Dauerkartenverkäuferin warnte. Sie habe mit ihrem Mann einen Fanclub um mehrere tausend Euro betrogen. Daher stammten offenbar die vermeintlichen Tickets für Christian: Der Ehemann habe mehrere Dauerkarten des Fanclubs fotografiert und Einzeltickets mitgehen lassen, als er beim Vorsitzenden zuhause war. Eines dieser Fotos erhielt Christian als Angebot. „Die Tickets existierten, aber sie gehörten eben nicht ihr.“
Um den Schwarzmarkt-Handel zu bekämpfen, hat der FC Schalke 04 die Abteilung „Ticketkontrolle“ eingerichtet. Diese geht auf verschiedenen Verkaufsplattformen gegen den Schwarzmarkt vor. Mit Viagogo waren die Schalker sogar 2013 eine kurzzeitige Werbepartnerschaft eingegangen. Nach großen Protesten der eigenen Fangemeinde sowie Streitigkeiten zwischen der Ticketbörse und dem Bundesligisten beendete ein Schiedsgericht letztendlich die Zusammenarbeit. „Zusätzlich werden zu jedem Spieltag Kontrollen vor dem Stadion durchgeführt“, sagt Jüngst. Allerdings weiß er auch: „Das Problem mit Schwarzmarkt-Handel gibt es und wird es auch vermutlich immer geben.“ Ein weiterer Lösungsversuch: Der Verein bietet seinen Fans die Möglichkeit, auf einer vereinseigenen Tauschbörse im Netz Einzeltickets oder Dauerkarten zu tauschen, um so nicht auf Zweitplattformen zurückgreifen zu müssen.
Er telefonierte mit dem Vorsitzenden des betroffenen Fanklubs und erfuhr, wie groß das Ausmaß des mutmaßlichen Betrugs war. „Ab dem Zeitpunkt war mir klar, dass ich mein Geld nicht wiedersehen würde. Aber im Vergleich zum Fanclub bin ich ja noch glimpflich davongekommen.“ Eine Anzeige hat der Klub bereits gestellt, das Geld werden die Fans aber wohl nicht wiederbekommen. „Bei den beiden ist anscheinend nichts zu holen“, sagt Christian. Deshalb hat er selbst keine Anzeige gestellt. Aus Sicht des FC Schalke 04 wäre eine Anzeige von Christian sinnvoll gewesen. Steffen Jüngst aus der Schalker Medienabteilung
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Der Schwarzmarkthandel ärgert viele, doch niemand weiß, wie man ihn eindämmen sollte. Dubiose Händler in schwarzen Bomberjacken und mit handbekritzelten Papptafeln wird es also weiterhin geben.
Gute Seelen in Fanmontur Schwarzmarkt-Händlern keine Chance geben – das ist der Appell von Lukas Hemelt. Einfacher gesagt als getan, wenn man unbedingt noch ein Ticket für das Spiel der Lieblingsmannschaft ergattern will. Ein Kommentar. TEXTLUKAS HEMELT ILLUSTRATIONPRISMA LABS INC.
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er gelebte Ignoranz gegenüber Schwarzmarkt-Händlern erleben will, der sollte zu einem Heimspiel des Zweitligisten FC St. Pauli nach Hamburg fahren. Dort sind die Verkäufer auf der Straße verpönt, werden von den Anhängern beschimpft und ihre Tickets nicht los. In St. Pauli gibt man Schwarzmarkt-Händlern keine Chance. Und das ist gut so! Von ihnen möchte ich keine Tickets kaufen. Die Typen, die mich schon an der Bahn in Empfang nehmen und immer etwas düsterdubios wirken, wollen nur eins: Geld. Sie sind es nicht wert, dass ich ihnen eine Karte abnehme. Sie stehen nicht zu dem Verein, zu dem ich auch stehe. Sie lieben nicht den Fußball, der mich jede Woche, jeden Tag beschäftigt. Sie machen durch ihre horrenden Preise den Markt kaputt, auf dem ich Tickets fair erwerben möchte. Auch wenn das Spiel ausverkauft ist und ich noch so gerne meine Mannschaft sehen möchte: Ich muss der Versuchung widerstehen und alternative Wege finden. Denn dann greifen schnell die Mechanismen wie in jedem anderen Wirtschaftszweig auch: keine Käufer, kein Geld, kein Geschäft.
Es gibt auch ehrliche Fans Nicht nur eine Medaille hat bekanntlich zwei Seiten, auch erworbene Eintrittskarten vor dem Stadion, auf der Straße oder im Internet. Es gibt auch die ehrlichen, die wahren Fans. Die gehen zu fast jedem Heimspiel, haben eine Dauerkarte oder ein Fanklub-Kontingent, schon frühzeitig in der Saison viele Tickets bestellt – und dann mal kurzfristig und unfreiwillig eine Karte übrig. Weil Oma Geburtstag hat, das Kind krank ist, die Arbeit ruft. Die guten Seelen wollen nur ihre Karte zum Normalpreis loswerden. Ihnen geht es nicht um den schnellen Umsatz. Wenn kein Bekannter die Karte nimmt, kommt sie auf eine Vereinstauschbörse ins Netz oder Freunde nehmen sie mit zum Stadion. Dort muss man sich nur fünf Minuten umschauen und findet dutzende dieser Menschen in Kutte, Trikot oder mit FanSchal, die ihre Tickets in die Höhe strecken und auf einen Abnehmer hoffen. Wenn ich noch eine Eintrittskarte benötige, dann gehe ich gerne zu eben diesen Leuten. Ich frage sie, für welchen Platz im Stadion die Karte ist und wie viel ich dafür zahlen muss. Das Portemonnaie wird gezückt, der genannte Preis – weil gleich Originalpreis – bezahlt. Und wenn’s ein krummer Betrag ist, dann sage ich eben: „Stimmt so! Ein gutes Spiel, auf den Sieg.“ Kuttenträger statt Bomberjacken-Typen: Tschüss Schwarzmarkt-Handel, hallo Fankultur!
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KAFFEE MIT SCHUSS
Heroin-Spritzen verteilen statt Häuser verkaufen: Jens Menke studiert im dritten Semester Soziale Arbeit in Dortmund und jobbt im Drogencafé. Dafür gab er vor anderthalb Jahren seinen gut bezahlten Job als Immobilienmakler auf. TEXT&FOTOTHORBEN LIPPERT
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anchmal bereitet Jens ihnen das Frühstück zu oder verteilt warme Getränke. An anderen Tagen kommen sie nur vorbei, um ihre wenigen Besitztümer an einem sicheren Ort zu wissen oder um sich eine saubere Spritze abzuholen. Jens arbeitet in einem Café – doch es ist kein gewöhnliches. Denn die Besucher sind allesamt drogenabhängig. Jens und seine Kollegen sichern im Café Flash ihre Grundbedürfnisse. „Das Café soll den Süchtigen helfen, zu überleben“, erklärt der 47-Jährige. Deswegen gibt es alltägliche Dinge wie Mahlzeiten, Getränke, Duschen, Lagermöglichkeiten und eben auch saubere Spritzen und Kondome. Darüber hinaus beraten seine Kollegen die Besucher in verschiedensten Lebenssituationen. An ungefähr zwei Tagen pro Woche arbeitet Jens im 24-köpfigen Team der Einrichtung, die Teil der Drogenberatungsstelle Dortmund ist. Diese wird von dem eigenständigen Verein „Soziales Zentrum Dortmund“ geführt und finanziert sich über Fördergelder und Spenden. Jens ist eine von acht studentischen Hilfskräften. Sein Stundenlohn: 10,20 Euro. Dabei hatte er vor gar nicht allzu langer Zeit noch eine gut bezahlte Festanstellung. Vor über einem Jahr bekam Jens erstmals einen Einblick in die Welt der Drogensüchtigen. Davor arbeitete er jahrelang erfolgreich in der Immobilienbranche. Der ständige Verkaufsdruck bei dieser Aufgabe machte ihn jedoch zunehmend unglücklicher: „Im Vertrieb ist das Thema Moral eine Sache, die man hinten anstellen muss. Und das ist mir immer häufiger schwergefallen.“ Kleine Lügen gehörten zu seinem beruflichen Alltag – das wollte Jens nicht mehr. Er kündigte seinen Job und begann, an der Fachhochschule Dortmund Soziale Arbeit zu studieren. Nach Jahren mit einem gesicherten Einkommen war er nun auf der Suche nach einem Studentenjob – und fand eine Stellenanzeige der Drogenberatungsstelle. Seine neue Arbeit belastet Körper und Psyche. Im Café ist es sehr oft sehr laut. Der Umgang mit den Besuchern ist nicht immer einfach, sagt Jens. Die Einrichtung ist für alle Bedürftigen zugänglich, deswegen verändert sich das Klientel täglich. Bis zu 60 Besucher kommen jeden Tag in das Café. Besonders schwierig ist für die Mitarbeiter, wenn ihre Hilfe für die Süchtigen nicht reicht: „Manchmal kommt es vor, dass die Drogensüchtigen am nächsten Tag einfach nicht mehr wiederkommen. Und kurze Zeit später erfährt man, dass sie aus irgendeinem Grund wieder abgerutscht sind.“ Doch Jens kann die belastenden Situationen
von seinem Privatleben fernhalten. Er glaubt, dass er die Arbeit im Café aufgrund seiner Lebenserfahrung gut verarbeiten kann. „Anfangs konnte ich mir überhaupt nicht vorstellen, im späteren Berufsleben mit Drogenkonsumenten zu arbeiten.“ Doch die Arbeit erfüllt Jens inzwischen so sehr, dass er eine Zukunft in diesem Bereich für die Zeit nach dem Studium ernsthaft in Betracht zieht. Auch weil er mittlerweile nicht mehr nur als studentische Hilfskraft im Drogencafé arbeitet, sondern dort sein Praxissemester absolviert. So erhält er einen tieferen Einblick in die Arbeit: Er erfährt, wie langfristige Entgiftungen ablaufen oder ist bei den Therapiestunden der Süchtigen dabei. Aufgrund der vielen Erfahrungen ist der Job für Jens etwas Besonderes: „Die Arbeit im Kontaktcafe ist wie in einer Parallelwelt. Den Besuchern begegne ich mit der gleichen Wertschätzung, wie jedem anderen Menschen auch. Das bedeutet im Umkehrschluss jedoch, dass ich ihr Verhalten nicht immer gutheißen muss und ich ihnen das auch sagen kann.“
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ALTES HANDWERK Das Internet, billige Industrieprodukte und schwindendes Qualitätsbewusstsein: Viele Handwerker bangen um ihre Existenz. Doch es gibt auch Hoffnung. Drei Handwerkerinnen und Handwerker erzählen von ihrem täglichen Kampf. TEXT&FOTOSTHORBEN LIPPERT
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ie Tageszeitung in seinen Händen hat Franco Nalesso schon von vorne bis hinten studiert. Er steht hinter seinem abgewetzten Tresen, an dem er noch vor einigen Jahren etliche Schuhe reparierte. Früher arbeitete er den ganzen Tag über an den alten Maschinen, die jetzt ein wenig aus der Zeit gefallen wirken. Seine Situation hat sich geändert – und Nalesso langweilt sich. „Ich stehe den ganzen Tag hier rum. Das macht keinen Spaß mehr.“ Das Einzige, was ihn noch in seiner Schuhwerkstatt hält, ist die Liebe zu seinem Handwerk. Früher arbeitete der heute 72-Jährige wie im Akkord, reparierte Absätze, klebte Sohlen und polierte einen Lederschuh nach dem anderen. Heute freut er sich über jeden Kunden, der den Weg in seinen Laden in der Dortmunder Nordstadt findet. Höchstens ein Dutzend sind es noch pro Tag, manche lassen sich nur beraten. Als er seine Werkstatt 1980 eröffnete, gab es bereits fünf bis sechs Konkurrenten im Umkreis. „Mein Laden lief damals besser, obwohl ich heute der letzte verbliebene Schuhreparateur bin.“ Sein Handwerk, das er in seiner Jugend in einer Schuhfabrik in Italien lernte, findet keine Abnehmer mehr. Der Grund: Kaum jemand lässt seine Schuhe noch reparieren.
Opfer der Wegwerfgesellschaft Die Zahl der Schuster ist deutschlandweit seit 2000 um ein Viertel zurückgegangen – ähnlich sieht es bei den Buchbindern aus. Die Zahl der Hutmacher ist sogar um ein Drittel geschrumpft. „Manche Handwerksberufe werden weniger nachgefragt – weil die Jugendlichen sie nicht kennen oder falsche Vorstellungen 29 job
von den Anforderungen haben. Vom Aussterben bedroht sind besonders einige künstlerische Berufe wie der des Keramikers oder Stickers“, sagt Gabriele Robrecht von der Handwerkskammer Dortmund. Sie ist dort für Ausbildungsberatung, Nachwuchswerbung und Fachkräftesicherung im Handwerk zuständig. Die Probleme beim Verkauf seien immer gleich: Kunden greifen auf billige Konkurrenzprodukte aus der Industrie zurück, die sie im Internet bestellen. Und auch die Qualität sei Kunden zunehmend unwichtiger. Während früher fast jeder hochwertige Ledertreter sein Eigen nannte, tragen heute viele Menschen nur noch Schuhe aus Plastik und Stoff. Die finden nach ihrer Ankunft aus den riesigen Logistikhallen der Internetshops häufig ein schnelles Ende: Sind sie kaputt, landen sie im Müll. Und Nalesso steht zeitungslesend hinter seinem Tresen, die alten Maschinen hinter ihm stauben langsam ein. Sein Handwerk erscheint zu alt für diese Schuhe, zu alt für diese Zeit. Genau wie das BVB-Plakat an seiner Werkstattwand, das dem Deutschen Meister von 2002 huldigt. Die Nachbarn und Anwohner kommen nicht mehr zu ihm. Bessere Chancen auf Arbeit hätte er vielleicht in der Innenstadt, seine Werkstatt möchte er nach der langen Zeit aber nicht verlassen. Sein Sohn, der nach Nalessos Willen seine Schuhreparatur hätte übernehmen sollen, ist inzwischen Führungskraft einer Maschinenbau-Firma in Düsseldorf – und hilft seinen Eltern finanziell aus. Ernähren könnte Nalesso mit seinem Einkommen seinen Sohn und seine Frau heute nicht mehr. Auch die Hutmacherin Bärbel WolfesMaduka könnte allein mit ihrem Beruf
Franco Nalesso in seiner Schuhwerkstatt. Seit fast 40 Jahren betreibt er seinen Laden in der Nordstadt und denkt gerne an die Anfänge zurück. nicht für ihre Familie sorgen. Sie betreibt in Witten einen Hutsalon. Bunte Kopfbedeckungen aus Filz und Stoff hängen an den Wänden, im hinteren Teil des Ladens ist die kleine Werkstatt. Wolfes-Maduka sitzt vor ihrem Tisch. „Der dürfte jetzt 150 Jahre alt sein“, sagt sie und klopft ehrfürchtig auf das zerfurchte Holz. Die massive Werkbank wurde damals extra für die Hutmacherei hergestellt.
Hüte aus Plastik bedrohen das Handwerk Ihr Handwerk lernte die 51-Jährige an denselben alten Maschinen und auch an dem morschen Holztisch. Damals machte sie eine Ausbildung zur Modistin im bestehenden Hutsalon ihrer Vorgängerin. Schnell legte sie sich auf die Herstellung von Hüten fest, entwarf Helme, Hüte und Hauben für Theater und Opern. Als sie 1996 den Laden von ihrer ehemaligen Ausbilderin übernahm, lief
das Geschäft noch gut. Die Einnahmen bleiben heute immer häufiger aus. Hüte gibt es schließlich im Internet um ein Vielfaches günstiger. Die sind zwar nicht aus hochwertigem Filz – aber in Mode ist der Hut momentan sowieso nicht. Den Kunden reichen mittlerweile Hüte aus Nylonfasern. Die Konsequenz: Kaum jemand kauft den Kopfschmuck noch beim Modisten. Dabei gab es allein in Witten in der Nachkriegszeit mehrere Hutsalons. Heute ist Wolfes-Madukas Laden nicht nur der letzte in Witten, sondern auch einer der letzten im Ruhrgebiet. Dass die Zahl der Modisten zurückgeht, ist auch die Schuld der Branche selbst, meint Wolfes-Maduka: „Die Hutmacher haben sich in den 1970er Jahren nicht darum gekümmert, den Hut auch in Zukunft in Mode zu halten. Schließlich hatten sie ja noch ihre älteren Kunden.“ Zur Jahrtausendwende sei dieses Handwerk dann deutlich geschrumpft. „Da 30 job
haben alle gemerkt, dass es die Generation nicht mehr gibt, die Hüte trägt.“ Doch Wolfes-Madukas Hutsalon hat gegenüber Nalessos Schuhreparatur einen Vorteil: Ihr Handwerk ist so selten geworden, dass sich daraus schon wieder Chancen ergeben – sie bekommt sogar Aufträge aus der Schweiz. „Die Kunden kommen auch von weiter weg und halten uns dann die Treue.“
Kaum Kunden durch schwierigen Standort Einen ähnlichen Effekt wünscht sich Heike Gürtler. Doch sie hat im Moment dringendere Anliegen. An der Tür zeigt die Buchbinderin aufgebracht auf die Wände. Der Putz blättert langsam ab. „Schön war die Werkstatt ja noch nie. Aber inzwischen ist sie leider ziemlich heruntergekommen“, sagt sie. Schmucklose Möbel stehen in ihrem Büro, die Tapete hat einen Gelbstich. Gürtler setzt
sich an den Tisch und zieht hektisch an ihrer Zigarette. Zu lange habe sie an ihrer alten Werkstatt festgehalten, sagt sie. Diese ist inzwischen von einer Häuserzeile verschluckt worden. Den Weg in den kleinen Hinterhof finden potenzielle Kunden nur schwer. Auf die baulichen Veränderungen hat die 52-Jährige damals nicht reagiert. Sie hat wie Nalesso ein Standortproblem. Und während Hutmacherin Wolfes-Maduka sich über Aufträge aus dem Ausland freut, muss Gürtler damit leben, dass ihre Kunden lieber auf Dienstleister aus Osteuropa setzen. „Die Kunden weichen immer häufiger auf Billiganbieter aus Polen aus“, sagt sie verärgert. Der Beruf des Buchbinders ist viel mehr als nur das Zusammenkleben von Seiten. Gürtler bindet Abschlussarbeiten und Verhandlungsunterlagen von Rechtsanwälten. Schmuckkästen baut sie, Einbände sowieso. Aber auch das interessiert die Kunden kaum noch – sie haben mittlerweile ganz andere Wünsche. Fragten sie nach Modeschmuck, machte Gürtler Modeschmuck. Fragten sie nach einer BVB-Kollektion, so setzte Gürtler sich an ihre Werkbank und holte schwarz-gelbe Farben aus den Schubladen. Hilfe erhält Gürtler von der Handwerkskammer. „Wir setzen zum Beispiel Marketing-Berater ein, die die Betriebe darin unterstützen, ihre Dienstleitungen oder Waren zu bewerben“, sagt Robrecht. Ihre Kollegin baute mit Gürtler eine Website und platzierte gut sichtbar große Plakate an der neuen Häuserfront, um potenzielle Kunden auf die Werkstatt im Hinterhof aufmerksam zu machen. Weitere Werbeprojekte sollen folgen: Seminare möchte Gürtler geben, vielleicht auch ihre Werke in einem Atelierhaus ausstellen.
Jugend für das Handwerk begeistern Auch die gelernte Modistin Wolfes-Maduka will dem Wandel entgegenwirken. „Wir müssen die jungen Menschen für das Handwerk begeistern, damit sie ihre Freude am Hut an Gleichaltrige weitergeben. Auf mich hört doch niemand mehr.“ Zwei Auszubildende weiten neben ihr Hüte, schneiden Filz oder nähen
Hutmacherin Bärbel Wolfes-Maduka (oben Mitte) arbeitet mit der Auszubildenden Johanna Schlereth (oben rechts) und Praktikantin Jennifer Janowski in ihrer Werkstatt in Witten. 31 job
Verzierungen. Wolfes-Maduka ist sich sicher: „Auch wenn die Auszubildenden natürlich erstmal eine finanzielle Belastung sind – sie bereichern das Geschäft mit vielen Ideen.“ Gabriele Robrecht findet den Weg von Wolfes-Maduka vorbildlich: „Sie ist das lebende Beispiel, dass man sich für sein Handwerk engagieren und eine Nische auch in seltenen Berufen finden kann. Sie schaut in die Zukunft und gibt jungen Leuten eine Chance.“ Doch nicht viele Handwerker denken so. Bärbel Wolfes-Maduka ist mit ihrem jahrelangen Engagement für Auszubildende eine Exotin. In Deutschland werden pro Jahr nur noch ungefähr ein Dutzend Ausbildungsstellen als Modisten ausgeschrieben.
Auszubildende als Hoffnung des Handwerks Johanna Schlereth und Julia Cuvalo, beide 22 Jahre alt, haben sich für die Ausbildung zur Modistin entschieden. Trotz-
dem sehen sie ihre Zukunft komplett unterschiedlich. Schlereth hat sich in den Beruf verliebt: „Schon als Kind habe ich gewusst, dass ich Hüte machen will.“ Spätestens nach dem ersten Praktikum sei sie sich sicher gewesen.
sie nicht. Hüte für Kunden oder das Theater herzustellen sei nichts für sie, eine Selbstständigkeit erst recht nicht. Die Ausbildung möchte sie auf jeden Fall zu Ende machen. Wie es dann weitergeht, weiß sie noch nicht.
Für die Ausbildung zog sie aus Würzburg ins Ruhrgebiet. Nun hat sie ihre Lehre bald hinter sich, danach will sie sich selbstständig machen. „Ich möchte das Handwerk ein bisschen jünger machen, es vielleicht etwas anders aufziehen und nicht den klassischen Hutsalon betreiben.“ Die eher mauen Zukunftsaussichten sind ihr egal – wichtig ist ihr der Spaß am Handwerk.
Auch wenn es oft schwer ist, Jugendliche für handwerkliche Berufe zu begeistern, wirbt Gabriele Robrecht weiterhin für die Ausbildungsstellen. Sie will die Branche ins rechte Licht rücken: „Handwerkliche Berufe sind technisch anspruchsvoll und attraktiv – auch für junge Leute.“ Für die Zukunft sieht Robrecht nicht unbedingt schwarz, zumal viele Handwerker Nachfolger für die Betriebsübernahme ihrer gut laufenden Geschäfte suchen. „Das Handwerk wird es immer geben, da die Erzeugnisse eben sehr individuell sind.“ Auch Wolfes-Maduka gibt sich hoffnungsvoll: „Ich glaube, das Handwerk hat sich gesundgeschrumpft.“
Julia Cuvalo hat dagegen nie wirklich Freude an ihrer Ausbildung gefunden: „Ich sehe mich einfach nicht in diesem Beruf. Das war mir relativ schnell klar.“ Charakterschule sei es gewesen, natürlich. Die Arbeit mit ihren Kolleginnen und den Kunden hat ihr gefallen. Aber arbeiten als Modistin? Nein, das möchte
Die Buchbinderin Heike Gürtler an ihrer Papierbohrmaschine. Von Modeschmuck bis Bücher stellt sie alles her.
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SAG MAL, DOC …!? Wie reagiert das Gehirn auf Alkohol?
, DOC SAG MAL
TEXT&FOTOJULIAN HILGERS ILLUSTRATIONNANNA ZIMMERMANN
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iele Menschen haben den Eindruck, dass sie unter Alkoholeinfluss besser Englisch sprechen. Der Alkohol beeinflusst die Neurotransmitter-Systeme, die normalerweise hemmend wirken: Mit Alkohol haben wir also vielleicht das Gefühl, flüssiger zu sprechen. Tatsächlich ist unser Urteilsvermögen aber deutlich eingeschränkt. Man hat lediglich weniger Angst vor Fehlern und kommuniziert offener, geht etwa auf Leute zu oder singt Liedtexte mit. Qualitativ besser ist das Englisch aber nicht. Es gibt kaum Anhaltspunkte dafür, dass sich unter Alkoholeinfluss kognitive Funktionen verbessern, man sich also an bestimmte Vokabeln oder andere Dinge besser erinnern kann. Bestimmte Charakterzüge und Stimmungen können sich durch Alkohol teilweise verstärken. Leute, die ohnehin leicht reizbar sind, werden betrunken eher aggressiv. Offene Menschen hingegen reden noch mehr und sind mutiger. Wie man genau auf Alkohol reagiert, hängt immer von der Ausgangsstimmung ab. Gute oder schlechte Laune wird durch Alkohol verstärkt. Das Präfrontalhirn steuert unsere Selbstkontrolle. Durch den Alkohol verliert man diese, in geringen Mengen macht Alkohol also locker. Deswegen trinken Leute auf Partys gerne mal ein Bier. Menschen fällt es unter Alkoholeinfluss schwer, sich in andere Personen hineinzuversetzen: Ein Mechanismus, den man als „Theory of Mind“ bezeichnet. Dabei interpretiert der Betrunkene das Verhalten von anderen Menschen oft falsch und trifft somit eher falsche Entscheidungen. Das kann dann unter Umständen zu sozialen Konflikten beitragen. Langzeitfolgen hat ein
einzelner Abend mit viel Alkohol in der Regel nicht. Bei chronischem und schwerwiegendem Konsum trägt das Gehirn auf Dauer jedoch massive Schäden davon. Dabei können Gehirnzellen absterben. Bei längerer Abstinenz bilden sich diese unter Umständen teilweise wieder zurück. Dieser Prozess kann je nach Alter und Menge des Alkoholkonsums aber sehr lange dauern. Viele der Schäden bleiben dauerhaft: Selbstkontrolle, soziale Fähigkeiten und das Gedächtnis werden eingeschränkt. Durch Alkoholabhängigkeit leiden insbesondere die sogenannten exekutiven Hirnfunktionen. Den Menschen fällt es schwerer, Ziele und Prioritäten zu setzen, ihr Leben zu planen oder flexibel zu handeln. Im Extremfall kann übermäßiger Alkoholkonsum zum „Korsakow-Syndrom“ führen. Diese Krankheit verursacht Amnesien – das heißt, die Patienten vergessen aufgenommene Informationen bereits nach wenigen Minuten und erkennen sogar Personen nicht wieder, die sie wenige Momente zuvor getroffen haben. Oftmals verweigert das Gehirn jedoch nicht die Information, sondern gibt eine falsche, die gar nichts mit der gesuchten Information zu tun hat, aber irgendwo im Gehirn gespeichert ist. Auf die Frage nach seinem Frühstück könnte der Patient dann „Rührei“ antworten, obwohl er Müsli gegessen hat. Dies bezeichnet man als Konfabulation. Für das Gehirn ist Alkohol insgesamt eher schädlich. Nichts deutet darauf hin, dass Menschen unter Alkoholeinfluss tatsächlich etwas besser können. Selbst die Frage, ob Wein in Maßen für Herz und Kreislauf gesund sind, gilt als umstritten. Dr. Patrizia Thoma ist Privatdozentin in der Abteilung für Neuropsychologie an der RuhrUniversität Bochum.
HIGH ON EMOTION Was BVB-Fans schon lange ahnten, haben Forscher der TU Dortmund jetzt bestätigt: Jürgen Klopp ist der nahezu ideale Trainer. Nicht nur Fußballer, auch Studierende können von ihm lernen. TEXTJULIAN BEIMDIECKE FOTOSMARKUS BERGMANN
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eit nun fast zwei Jahren sitzt Thomas Tuchel auf der Dortmunder Trainerbank. Doch beim Gedanken an seinen Vorgänger Jürgen Klopp leuchten nach wie vor die Augen eines jeden BVB-Fans. Kein Wunder, verwandelte „Kloppo“ die Borussia doch von einem mittelmäßigen Club zum zwischenzeitlich besten Verein Deutschlands. Selbst Schalker müssen einräumen: Jürgen Klopp ist ein Meister seines Fachs. Sein Erfolg ist kein Zufall – das haben Wissenschaftler der TU Dortmund jetzt herausgefunden. Das Zauberwort im Fall von Jürgen Klopp lautet: transformationaler Führungsstil – ein Stil, bei dem eine Führungskraft durch bestimmte Verhaltensweisen ihre Mitarbeiter dazu bewegt,
nicht die individuellen, sondern die gemeinsamen Ziele zu verfolgen. „Die Führungsperson schafft es, dass sich die Mitarbeiter nicht nur für sich selbst, sondern besonders für das gesamte Team einsetzen“, erklärt Dr. Kai Bormann. Er ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für Personalentwicklung und Veränderungsmanagement.
Klopp beherrscht den perfekten Führungsstil Mit Lehrstuhlinhaber Professor Jens Rowold ging er der Frage nach: Wie hängt das Führungsverhalten der Sporttrainer mit der Leistungsentwicklung ihrer Spieler zusammen? Die Forscher haben dazu die Leistung von Spielern der ersten und zweiten Basketballliga 34
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untersucht. So stellten sie fest, worauf es für Sporttrainer besonders ankommt. Das Ergebnis: Der transformationale Führungsstil ist nahezu ideal – ein Stil, den Jürgen Klopp schlichtweg beherrscht. Die Studie ist nicht nur für aktuelle und angehende Sporttrainer interessant. Frühere Untersuchungen zeigen: Führungskräfte in Unternehmen können sich Jürgen Klopp zum Vorbild nehmen. Das gilt auch für Studierende, die sich diese Qualitäten aneignen wollen – was durchaus wichtig ist, wie Denis Waniek sagt. Waniek ist Präsident des Bochumer Lokalkomitees von „Aiesec“, einer studentischen Organisation, die Studierende zu Führungspersönlichkeiten entwickeln will. „Bei Personalern sind gerade Führungsqualitäten sehr begehrt“, erzählt er.
„Es ist ausschlaggebend, dass eine Führungskraft ein positives Bild von der Zukunft zeichnen kann, mit dem sich Mitarbeiter identifizieren und so Unsicherheit ausblenden können“, erklärt Experte Bormann. Jürgen Klopp kann das – gleich bei seiner ersten Pressekonferenz beim BVB 2008 sprach er von attraktivem, leidenschaftlichem Fußball und zukünftigen „Vollgasveranstaltungen“ im Signal-Iduna-Park. Waniek erklärt: „Es gilt, alle auf einen gemeinsamen Nenner zu bringen.“ Wichtig sei, etwas Übergeordnetes zu finden. „Es gibt das alte Sprichwort: Wenn Du ein Schiff bauen willst, dann trommle nicht Männer zusammen um Holz zu beschaffen, Aufgaben zu vergeben und die Arbeit einzuteilen, sondern lehre die Männer die Sehnsucht nach dem weiten, endlosen Meer. Das kann man übertragen“, sagt auch Bormann. Ebenso seien Vergleiche aus dem Sport hilfreich: „Ab heute nur noch Zahlen auf ChampionsLeague-Niveau“ wäre zum Beispiel eine passende Vision für eine Abteilung mit vielen Fußballfans.
Emotionen sind Bausteine des Erfolgs Wie hat man Jürgen Klopp am Spielfeldrand in Erinnerung? Jubelnd, klatschend, zähnefletschend – kurzum: emotional. „Aus wissenschaftlicher Perspektive ist es beeindruckend, wie Jürgen Klopp Emotionen ins Spiel bringt“, sagt Bormann. Auch das sei ein Baustein seines Erfolgs. „Emotionen sind bei jedem menschlichen Handeln wichtig. Wer emotionalisieren kann, kann eine Menge erreichen“, sagt der Wissenschaftler. Wichtig seien auch hierbei eine gemeinsame Basis und gemeinsame Ziele. „Dadurch, dass Jürgen Klopp seine Emotionen frei gezeigt hat, hat er Spieler und Fans mitgerissen. Die haben alle gesehen, dass er an die Ziele wirklich glaubt und voll dahinter steht“, erklärt Waniek. Für Führungskräfte heißt das: Gefühle nicht verstecken und von vornherein einen Job suchen, mit dem sie emotional verbunden sind. „Man muss sich mit seinen Zielen identifizieren können, um emotional zu sein“, erklärt Waniek.
Dr. Kai Bormann hat zum Führungsstil von Jürgen Klopp geforscht. Anfang November 2016 schrieb das Sport-Onlineportal „Spox“ über die zwischenzeitliche Tabellenführung von Klopps neuem Club FC Liverpool: „Klopps Team ist eine absolute Einheit, jeder kämpft für jeden. Der Menschenfänger aus Deutschland schafft in Liverpool […] absolute Geschlossenheit.“ Auch in Dortmund formte er eine echte Mannschaft mit großem Zusammenhalt. „Ein Wir-Gefühl ist enorm wichtig, da es das Hinarbeiten auf die gemeinsamen Ziele viel leichter macht“, erklärt AiesecPräsident Waniek. Ein Wir-Gefühl kann man auch über Abgrenzung kreieren. „Jose Mourinho ist ein prominentes Beispiel eines Trainers, der es schafft, ein ewiges ‚Wir‘ gegen ‚Die‘ zu erschaffen. Er zieht nicht sonderlich viele Sympathien auf sich – aber schafft es offenbar einen Gruppenzusammenhalt zu fördern“, sagt Bormann. Wesentlich für den Erfolg: „Bei Jürgen Klopp wirkt alles immer sehr authentisch und das war, glaube ich, einer der Gründe, warum er auch so lange erfolgreich 35
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war“, erklärt Bormann. Für einen selbst heiße Authentizität auch, seinen eigenen Weg zu gehen. „Wenn man irgendwo etwas aufgeschnappt hat, was gut funktioniert hat, sollte man das nicht übernehmen, wenn es zu einem selbst nicht passt. Das kann man seinem Team nicht vermitteln“, meint der Dozent. Und Waniek stellt fest: „In meiner Funktion als Präsident vom Lokalkomitee merke ich, dass man das Verhalten, das man selbst zeigt, auch bei seinem Team sieht. Das Team ist ein Spiegel der eigenen Führung.“
Mit positiver Ausstrahlung begeistern Jürgen Klopp ist auch abseits des Fußballplatzes erfolgreich. Ob als Werbegesicht oder TV-Experte – er ist gefragt. Seine persönliche Ausstrahlung ist hierbei entscheidend, sie spielt auch eine wichtige Rolle in seinem Führungsstil. „Natürlich kann Charisma helfen, Menschen für etwas zu begeistern. Das kann eine tragende Kraft werden“, erklärt Waniek. Bormann warnt aber: „Es ist schwer,
Denis Waniek ist Präsident der studentischen Organisation „Aiesec“. Er will Studierende zu Führungskräften ausbilden.
Charisma über einen langen Zeitraum aufrecht zu erhalten. Gerade, wenn man sich häufig sieht, verfliegt irgendwann etwas von der Magie.“ Wer sich Klopp zum Vorbild nimmt, hat allerdings noch lange keine Garantie auf Erfolg. Führung und Organisation müssen letztlich zusammenpassen. „Klopp passte hervorragend zum BVB, der Stadt und den Menschen hier“, sagt Bormann. Dass es in der letzten Saison unter Klopp nicht allzu gut lief, lag wohl eher an dem Verletzungspech und Abgang von Torjäger Robert Lewandowski, als am Trainer selbst, sagen Fußballexperten. Außerdem waren nach der kräftezehrenden WM einige Spieler in ein Formtief gefallen. Letztlich profitierten trotzdem alle Seiten – doch es gibt auch Fälle, in denen es nicht so läuft. „Hier kann man wieder eine Anekdote aus dem Fußball bringen: Jupp Heynckes ist 2006 von Borussia Mönchengladbach als Hoffnungsträger verpflichtet worden, war als Trainer aber relativ erfolglos. Ein paar Jahre später hat
er mit Bayern München Meisterschaft, DFB-Pokal und die Champions League gewonnen. Da er sich nicht mit Mitte 60 überlegt haben wird, seinen Stil grundsätzlich zu ändern, kann man davon ausgehen, dass es genug Struktur- und Organisationseinflüsse gibt, die sich auf den Erfolg von Einzelpersonen auswirken können“, sagt Bormann.
Konkrete Vorbilder als Schlüssel zum Erfolg Möglicher Misserfolg gehört also zum Weg zur idealen Führungskraft dazu. Das, wie Waniek sagt, gilt auch für Studierende: Aus Rückschlägen lernt man. „Nur, wer mal auf die Nase fällt, merkt, wo er sich verbessern muss“, meint er. So wie Jürgen Klopp: In seiner ersten Saison in Dortmund verpasste der BVB das internationale Geschäft durch ein 1:1 am letzten Spieltag beim damaligen Abstiegskandidaten Mönchengladbach. Die Klopp-Ära begann also mit einem Misserfolg. 36
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Bis zu einer Führungsposition mit großer Verantwortung ist es meist ein langer Weg. Daher sollten Studierende schon während ihrer Ausbildung mögliche Chancen ergreifen, um sich Qualitäten wie die von „Kloppo“ anzueignen. „Ich rate Studierenden, sich Vorbilder zu suchen und sich dann selbst in einer Führungsposition auszuprobieren, in der man noch nicht die große Verantwortung trägt. Das kann zum Beispiel in einer Lerngruppe sein. Wichtig dabei ist, dass man sich einerseits selbst treu bleibt, andererseits aber auch das Feedback der anderen annimmt“, sagt Bormann. Und immer dran denken: Auch Jürgen Klopp hat mal klein angefangen.
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Wir verschenken zwei mal Was? Die schier unfassbar zwei Eintritsskarten für die große Tier- und Pflanzenwelt Ausstellung. Schreibt uns einverleiht der Erde ihre fach eine Nachricht an unsere beeindruckende Vielfalt. Die Facebook-Seite pfl ichtlektüre! Ausstellung „Wunder der Natur“ folgt dem Wachsen und Gedeihen auf dem Planeten und stellt dies bildreich dar. Großformatige Fotos und Filmausschnitte zeigen die Naturgewalt auf der Leinwand. Wo? Gasometer Oberhausen, Arenastraße 11 Wann? dienstags bis sonntags, 10 bis 18 Uhr Wie viel? 7 Euro Web? gasometer.de
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ABGEFAHREN
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Ihr habt Lust auf einen guten Film, aber ein DVD-Abend oder ein Besuch im Kino sind zu langweilig? Kein Problem! Im „Drive in Autokino Essen“ könnt ihr den neuesten Blockbuster ansehen – außerhalb von Wohnzimmer oder Kinosaal.
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TEXTMARTIN NEFZGER FOTODWJ GMBH – DRIVEIN AUTOKINOS
ausgeliehen, der jetzt in meinem Wagen steht. Über eine Steckdose direkt neben meinem Parkplatz wird dieser mit Strom versorgt und lässt es im Inneren meines Autos wohlig warm werden. Nur bei extremen Wetterlagen fällt die Vorstellung aus. „Wenn es sehr neblig ist oder starker Schneefall die Sicht behindert, können wir natürlich keinen Film zeigen“, sagt Peciak.
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ls ich mit dem Auto in Essen ankomme, ist es ein bisschen, als würde ich in einen dieser amerikanischen Filme der 1960er-Jahre eintauchen. Waren Autokinos in der Jugend meiner Eltern noch gang und gäbe, fühle ich mich heute wie in eine andere Zeit zurückversetzt. Eine große Leuchtreklame zeigt mir den Weg auf den Parkplatz, auf dem die Fahrzeuge während der Vorstellung stehen. In der Mitte dieses Parkplatzes steht die Snackbar, die an ein American Diner erinnert. Hier gibt es Pommes, Burger und Currywurst. Aber auch Popcorn, schließlich ist das im Kino unverzichtbar. Alles frisch zubereitet, wie mir Theaterleiter Frank Peciak erklärt. „Mir ist es lieber, wenn ich etwas länger warten muss und dafür frisches Essen bekomme“, sagt er. „Und ich glaube, das geht den Kunden auch so.“ Nachdem ich mir die nötige Verpflegung gekauft habe, suche ich einen Parkplatz vor der Leinwand aus. Von hier aus werde ich mir nun das Harry Potter Spin-Off „Phantastische Tierwesen und wo sie zu finden sind“ auf der 15 mal 35 Meter großen Leinwand ansehen. „Wo Kino am größten ist“ heißt der Werbeslogan des Betreibers. Und das stimmt auch. Mit diesen Ausmaßen kann wohl kaum ein Indoor-Kino mithalten.
Dennoch: „Mein Tipp ist es, sich eher vorne hinzustellen“, sagt Peciak. Denn mit den gestochen scharfen Bildern, die wir aus konventionellen Kinos kennen, kann es das Autokino nicht aufnehmen. Wenn man – so wie ich – in den hinteren Reihen parkt, um einen guten Überblick zu haben, ist die Leinwand sehr weit entfernt. Besonders dunkle Bilder sind dann schlecht zu erkennen. Für alle Brillenträger sei gesagt: Nehmt die Brille auf alle Fälle mit! Damit ich den Film von meinem Wagen aus nicht nur sehen, sondern auch hören kann, muss ich das Radio einschalten. Hier zeigt sich eine weitere kleine Schwäche, die jedoch weniger das Kino betrifft: Viele Autos haben eine Abschalt-Automatik, die das Radio bei ausgeschaltetem Motor nach einiger Zeit verstummen lässt. Ärgerlich ist das vor allem, wenn gerade die spannendste Szene des Films läuft. Dann hilft nur, den Motor kurz zu starten, um das Radio wieder anzuschalten. Vom Wetter dagegen werde ich im Autokino kaum beeinflusst – und das trotz einer Außentemperatur von minus drei Grad. Vor der Vorstellung habe ich mir in der Snackbar einen kleinen Heizlüfter 38
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Sommer wie Winter: Für mich ist das Autokino einen Besuch wert. Es geht nicht um hohe Bildqualität oder klare Töne. Es ist die Stimmung, die besondere Atmosphäre, die das Erlebnis Autokino ausmacht. Einen Film vom eigenen Wagen aus anzusehen und dabei nicht, wie im normalen Kino, von vielen Menschen umgeben zu sein, ist ungewohnt, aber doch interessant. Bei einem Eintrittspreis von nur acht Euro pro Person lohnt sich das auf jeden Fall – nicht nur für Studierende mit eigenem Auto. „Im Sommer kommen auch Gäste mit Campingstühlen und machen es sich hier gemütlich“, sagt Peciak. „An einigen Stellen auf dem Parkplatz sind Lautsprecher vorhanden, da können sich die Leute den Film auch so ansehen.“ Ihr wollt ins Autokino? Wir verschenken fünf mal zwei Karten. Schreibt uns einfach über unsere Facebook-Seite pflichtlektüre. Wo? Drive in Autokino Essen, Sulterkamp 70, 45356 Essen Wie? Mit dem Auto über die A42 nach Essen, die Autobahn am Kreuz EssenNord in Richtung Altenessen verlassen, dann noch ca. 10 Minuten Wann? Ein oder zwei Vorstellungen täglich nach Sonnenuntergang Wie teuer? 8 Euro pro Person, 10 Euro bei Filmen mit Überlänge Web? essen-autokino.de
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Projektleiterin Prof. Dr. Wiebke Möhring Redaktionsleiterin Sigrun Rottmann Redaktion Uni-Center, Vogelpothsweg 74, Campus Nord, 44227 Dortmund
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Herausgeber Institut für Journalistik, TU Dortmund
Chefin vom Dienst Julia Knübel
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Super-Administrator Stephan Kleiber
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Assistent der Geschäftsführung Markus Bergmann Textchef Leo Exuzidis Illustrationen Nanna Zimmermann Fotoredaktion Markus Bergmann, Thorben Lippert, Dominik Reintjes, Ben Schröder Layout & Grafik Janis Beenen, Timo Halbe, Stephan Kleiber, Anneke Niehues, Martin Schmitz, Nanna Zimmermann, Philipp Ziser Redakteure und Reporter Bettina Ansorge, Julian Beimdiecke, Annabell Bialas, Stella Braun, Ricarda Dieckmann, Alexandra Domanski, Mona Fromm, Michelle Goddemeier, Nils Gronemeyer, Lukas Hemelt, Bodo Hempel, Julian Hilgers, Linda Hopius, Thorben Lippert, Malin Miechowski, Martin Nefzger, Lisa Oenning, Wilhelm Pischke, Dominik Reintjes, Hannah Steinharter, Lara Wantia Das Grafik-Team dankt in freudiger Erwartung … … Stephan für acht funktionierende iMacs, Timo für die tollen Sudokus, Martin NEFzger für die Erfindung seines eigenen Dateiformats und natürlich der Academy! Druck Hitzegrad Print Medien & Service GmbH Auf dem Brümmer 9 44149 Dortmund
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