pflichtlektüre Studentenmagazin für Dortmund
022015
Doctor Dope 647 Personen in Deutschland kiffen mit amtlicher Genehmigung
4,8 Prozent
Brauerei im eigenen Keller
42,195 Kilometer
Ein Marathon nach dem anderen
1 000 Taschen
Mal Gebärmutter, mal Müllbeutel
Aus der redaktion Zum Verzweifeln
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wischen Hochschulpolitik und Gleichstellungsfragen kann man schnell mal den Faden verlieren. Als ich das vom AStA veranstaltete „Männerplenum“ besuchte, habe ich zwar mit einer Diskussion gerechnet, jedoch nicht mit einem Kleinkrieg. Während die Teilnehmer über die Männerrolle in der Gleichstellungspolitik stritten, versuchte ich im Kopf passende, nicht bissige Kommentare zu formulieren. Das war schwieriger als erwartet. Mir gelang eher eine Ansammlung von gehässigen Sprüchen. So war es also naheliegend zu dem Thema eine Glosse zu schreiben (S. 31), um meinem Sarkasmus Raum zu geben. Wie fängt man an und wie setzt man die Pointen optimal? Ich ordnete nach und nach meine Erinnerungen an dieses Plenum. Doch das Wirrwarr aus wütenden Stimmen zu sortieren, war gar nicht mal so einfach. Tim Kröplin
Sonnenmilch und Regenschirm
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u Beginn meiner Zeit im Fotoressort beschäftigte ich mich vor allem mit technischen Fragen, wie der richtigen Brennweite oder der perfekten Einstellung der Blende. Dabei hatte ich eine wichtige Sache nicht beachtet: Mutter Natur lässt gerne einmal wettertechnische Willkür walten. Während ich mir an einem Tag noch Gedanken darüber machte, den dicken Wintermantel wieder hervorzukramen, sorgte ich mich am nächsten Tag darum, ob der Schutzfaktor der Sonnenmilch ausreicht. Vor allem beeinträchtigte das Wechselspiel des Wetters aber meine Foto-Arbeit. Für eine gute Geschichte sind stimmige Fotos wichtig. Also Bilder mit einheitlicher Schärfe und Bildaufbau – und eben einheitlichem Licht. Das gestaltet sich recht schwierig, wenn das eine Bild wolkenverhangen und regnerisch ist, während andere Fotos vor lauter Sonnenschein und blauem Himmel erstrahlen. Dank einiger technischer Kniffe konnten wir das Wetter letztlich aber austricksen. Die Ergebnisse seht ihr ab Seite 4. Chris Holletschek
Der Thekenfuchs
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ie Arbeit im Layoutressort erfolgt im immer gleichen Zyklus. Während die Autoren Storys produzieren, dümpeln wir lethargisch umher. Dann ist Stichtag. Alle Texte, Fotos und Grafiken sind da. Ein paar Tage basteln wir unter Hochdruck das Heft zusammen. In dieser Zeit leben wir mit den Geschichten. Mich lassen die Themen nach vielen Stunden Arbeit nicht mehr los. Der Beitrag über einen Marathonsammler? Für mich der Grund, ab sofort zur Uni zu joggen. Das Interview mit einer Handtaschenpsychologin? Für mich der Anlass, meinen vollkommen eingesauten Rucksack zu entrümpeln. Nur die Reportage über das Bierbrauen hat bei mir keinen Aktionismus ausgelöst. Meine bisherige Leistung an der Theke ist offenbar zufriedenstellend. Janis Beenen
16 der ZWeiFeL ALs Motor
Intendant Kay Voges spricht über seinen Antrieb beim Dortmunder Theater
inHALt 04 VON GEBURT AN 08 HINGEGANGEN 11 KIFFEN AUF REZEPT 12 MARATHONSAMMLER 20 SAG MAL, PROF 25 BIER MARKE „EIGENBRÄU“ 26 MÄNNERREFERAT 30 APROPOS 31 TASCHENPSYCHOLOGIN 32 VERDIENEN AUF SCHIENEN 36 HINGESCHAUT 37 ABGEFAHREN 38 IMPRESSUM 39 MOMENTE
Blühende Landschaften zwischen Rost und Stahl
Zu doof für Mathe, dafür aber musikalisch?
EINS VORAB D
en Anpfiff haben wir überstanden – wenn auch mit Startschwierigkeiten. Zum ersten Mal mussten wir, die neuen Autoren der pflichtlektüre, interessante Themen finden und recherchieren. Wir studieren Journalistik und haben in diesem Semester die Arbeit in der Redaktion übernommen. Jetzt gilt es ein Magazin zu erstellen. Dabei stand zu Beginn so manche Geschichte auf der Kippe, Protagonisten fehlten oder waren nur schwer zu erreichen. Das regte zum Zweifeln an und kurzzeitig stand die Befürchtung im Raum, das Heft streichen zu müssen – ein Warnschuss. Unser erstes Heft, das wollten wir nicht gleich in den Sand setzen. Wir recherchierten weiter und gaben nicht auf. Am Ende entstanden mehr Geschichten als erwartet und wir halten voller Stolz unser Premieren-Magazin in den Händen.
VON MICHELLE GODDEMEIER
mittlerweile über 100 dieser Läufe absolviert. Dabei umkreiste er nicht nur 1 300 mal den Dortmunder Florianturm und bewältigte über 83 000 Stufen in einem Treppenhaus, sondern versuchte auch in der Wüste Namibias länger als Extremsportler Joey Kelly durchzuhalten. Unser Autor Lukas erzählt ab Seite 20 aus dem Leben des Marathonsammlers. Auch wir sammeln wieder fleißig – viele neue und spannende Geschichten. Wir hoffen, dass euch dieses Heft gefällt und freuen uns schon jetzt auf viele weitere.
Es gibt wieder Tickets zu gewinnen!
Dr. Dope sorgt für die besondere Highlung
1 300 mal im Kreis
Wie entsteht Schimmel?
Warum Bockwurstbier das bessere Bier ist
Arme Männer – bald wird ihnen geholfen
Wildes Hauen: Jeder gegen Jede
Die Handtasche als Gebärmutter
Festhalten, Student am Steuer
Cannabis zu konsumieren, das ist für Angelika und Jan keine Premiere, sondern Routine. Unser Autor Martin erzählt die Geschichte der beiden Patienten, die mit Cannabis eine Schmerztherapie machen. Schmerzen kennt auch Frank Pachura. Allerdings fügt er sie sich selbst zu: Frank ist Marathonläufer. Der gebürtige Dortmunder hat
Auf der Suche nach dem Ausgang
Knüppelknifte in Bochum
Wer was wann wie gemacht hat und Rätsel
Duisburg Landschaftspark
BLÜHENDE LANDSCHAFTEN Das Ruhrgebiet war in seiner früheren Zeit vor allem für sein dreckiges Grau in Grau berühmtberüchtigt. In den Köpfen vieler ist das noch immer so. Dabei ist der Pott heute ziemlich grün. Die Natur hat sich die einstigen Industriestätten zurückerobert. pflichtlektüre-Autor Chris Holletschek hat einige der schönsten Zusammenspiele eingefangen. FOTOSCHRIS HOLLETSCHEK
Essen
Zeche Zollverein
Oberhausen Gasometer & Rhein-Herne-Kanal
Von Geburt an könner? Manche Menschen scheinen von Geburt an Vorteile zu haben: Einsen in Mathe, sprachliche Eloquenz, musikalisches Talent. Andere schaffen es nur mit Mühe zum Schulabschluss. Prof. Dr. Ricarda Steinmayr erklärt, ob Gene über die Leistung bestimmen. TEXTLukas Arndt illustrationenPierre Pauma | www.caricactus.canalblog.com
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Zur Person
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rau Professorin Steinmayr, sind Gene für unsere Begabungen verantwortlich oder hängen die von der Erziehung ab? Das lässt sich nicht so einfach sagen. Um das herauszufinden, wurden verhaltensgenetische Studien durchgeführt und beispielsweise eineiige Zwillinge untersucht. Die haben den Vorteil, dass sie zu 100 Prozent die gleichen Gene haben. Alle Unterschiede zwischen den Zwillingen sind also auf die Umwelt zurückzuführen. Man vergleicht die eineiigen Zwillinge dann mit zweieiigen Zwillingen. Die teilen sich nur 50 Prozent der Gene, wachsen aber wie eineiige Zwillinge unter ähnlichen Umwelteinflüssen auf. Mit diesem Vorgehen versucht man zu erklären, wie viel Prozent der Unterschiede zwischen Personen auf Gene zurückzuführen sind und wie viel auf die Umwelt, also beispielsweise auf unterschiedliche schulische Bildung. Da es sich dabei aber immer um Gruppenstatistiken handelt, kann man keine Aussagen über einzelne Personen treffen. Und was haben die Zwillings-Studien ergeben? Die genetisch erklärbaren Unterschiede ändern sich im Laufe des Lebens. Beispielsweise sind zum Ende der Grundschulzeit etwa 60 Prozent der mathematischen und der sprachlichen Begabung auf Gene zurückzuführen. Mit zunehmendem Alter nimmt die Auswirkung dieser dann immer weiter zu. Das liegt daran, dass wir unser Umfeld immer mehr selbst gestalten und es nicht mehr von den Eltern oder der Schule vorgegeben bekommen. Man sucht sich eher Umwelten, die zu eigenen Neigungen und Begabungen passen. Bei Erwachsenen sind die Begabungen dann zu etwa 80 Prozent von den Genen abhängig. Darin steckt aber eine Menge Erbe-Umwelt-Kovariation. Das bedeutet, dass sich auch das genetisch bedingte Leistungspotential nur unter den richtigen Umwelteinflüssen entfalten kann. Jemand, der musikalisch hochbegabt ist, aber nie ein Instrument zu Gesicht bekommen hat, wird kein großer Musiker werden. Darüber hinaus werden
Kinder, die eine bestimmte Begabung in einem Bereich zeigen, in der Regel von ihrer Umwelt auch mehr gefördert als solche, die nicht begabt sind. Oder sie verfolgen nur eine Sache motiviert weiter, in der sie gut sind. In beiden Fällen hängt die Umwelt mit der genetischen Anlage zusammen. Für die Kreativität sind äußere Einflüsse noch wichtiger als für die analytischen Fähigkeiten. Wie kann man d auf jeden Menschen individuell übertragen? Die Leistung eines Menschen in einem bestimmten Bereich kann man anhand eines Rechtecks ausdrücken: Die Längsseiten sind die Einflüsse durch die Umwelt, die Querseiten sind die Gene. Die Fläche bestimmt dann die Leistung. Wenn man die Leistung von jemandem erhöhen möchte, kann man den Faktor Umwelt zum Beispiel durch stärkere Förderung vergrößern. Dadurch vergrößert sich die Fläche des Rechtecks. Wenn jemand durchschnittlich begabt ist und nur ein bisschen Umwelt abkriegt, ist seine Leistung dementsprechend geringer als bei einer gut geförderten durchschnittlich intelligenten Person. Entsprechend können bei einer gewissen Veranlagung auch durch noch so viel Förderung keine Spitzenleistungen hervorgerufen werden. Man kann aus jedem Menschen einen Fußballspieler machen, der den Ball trifft und ungefähr in Richtung Tor rennt. Aber man kann sicherlich nicht aus jedem Menschen einen Bundesligaspieler machen. Da ist einfach auch die Begabung dann ausschlaggebend. Diese gibt die Obergrenze vor, wie gut man in einem Bereich werden kann. Wann diese Grenze erreicht ist, weiß man aber erst, wenn tatsächlich alle erdenklichen Maßnahmen zur Förderung ausgeschöpft worden sind. Da es aber immer noch weitere Möglichkeiten zur Förderung gibt, weiß man das schlussendlich nie. Darüber hinaus gibt es im Leben bestimmte Entwicklungsphasen, in denen Förderung eine besondere Rolle spielt. Fällt diese weg, kann das teilweise später nicht mehr kompensiert werden, etwa in der Sprachentwicklung. 09
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Prof. Dr. Ricarda Steinmayr leitet den Lehrstuhl für Pädagogische Psychologie der TU Dortmund. In ihren Forschungen hat sie sich unter anderem mit dem Leistungsverhalten in der Schule und mit Hochbegabungen beschäftigt.
Gene und Umwelt spielen also beide für unsere Leistung eine wichtige Rolle. Wie aber kommt es, dass manche Menschen eher analytisch und andere eher sprachlich begabt sind? Es gibt sehr viele Leistungsbereiche, die in der Regel alle positiv miteinander zusammenhängen. Das bedeutet: Wenn ich mathematisch begabt bin, ist es sehr unwahrscheinlich, dass ich im sprachlichen Bereich sehr schlecht bin. Aufgrund der hohen Zusammenhänge zwischen verschiedenen Leistungsbereichen fasst man diese häufig unter der „allgemeinen Intelligenz“ zusammen. Das heißt aber nicht, dass diese Menschen in jedem Bereich gut sind. Die verschiedenen Leistungsbereiche sind ja nicht deckungsgleich, sondern hängen nur bis zu einer gewissen Höhe zusammen. Extreme Ausreißer, also dass jemand in einem Bereich sehr gut ist und gleichzeitig in einem anderen sehr schlecht, sind entsprechend eher unwahrscheinlich – aber natürlich nicht unmöglich. Also stimmt es gar nicht, dass Leute reine Mathe-Asse oder die geborenen Künstler sind? Nein, das kommt tatsächlich nicht so häufig vor, wie man denkt. „Oh, derjenige ist mathematisch begabt, dann ist der bestimmt sprachlich nicht so begabt“, heißt es dann. Das ist ein Kontrasteffekt, der häufig in der subjektiven Wahrnehmung auftritt. Das hängt auch stark mit dem eigenen Selbstbild zusammen. Man macht für sich selbst fest, ob man eher der sprachliche oder der mathematische Typ ist. Dabei sind die Begabungsunterschiede gar nicht so groß, wenn man diese im Vergleich zum Bevölkerungsdurchschnitt sieht.
Weiter. Immer Weiter. Von Geburt an Kรถnner? Gene allein reichen nicht aus. Nur wer gefรถrdert wird, kann Spitzenleistungen erreichen. Karikaturist Pierre Pauma bezweifelt, dass das alles immer freiwillig geschieht.
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HINGEGANGEN Wir stellen euch Veranstaltungen im Ruhrgebiet vor und verlosen auch noch Eintrittskarten dafür. Was ein Glück. Vom Kulturfestival auf Industrieanlagen bis hin zur Party im FZW ist alles dabei. Also: Mitgemacht und Hingegangen! TEXTREDAKTION FOTOEXTRASCHICHT
FUKUSHIMA FOTOAUSSTELLUNG
KULTURFESTIVAL IN INDUSTRIEANLAGEN
Was? Der japanische Fotokünstler Shinichi Tsuchiya lebte lange Zeit in Düsseldorf und studierte dort an der Kunstakademie. Im Jahr der Reaktorkatastrophe in Fukushima kehrte er in seine Heimat zurück, um am Rande des Sperrgebiets zu fotografieren: Er zeichnete mit Laserpointern Lichtlinien auf die Umgebung. So werden Figuren und Objekte vor tiefschwarzem Hintergrund sichtbar. In der Essener Galerie werden diese Bilder gezeigt. Wo? Galerie Obrist, Kahrstraße 59, Essen Wann? bis zum 18. Juni mittwochs bis freitags jeweils 12 bis 18 Uhr, samstags 10 bis 16 Uhr Wie viel? freier Eintritt Web? galerie-obrist.de
Wir haben einmal zwei Was? Das KulturfestiTickets für die Extraschicht. val „ExtraSchicht“ will Wollt ihr in diesem Jahr dabei Besucher für die Industsein? Dann schreibt uns eine riekultur des Ruhrgebiets Nachricht an unsere begeistern. Dazu bespieFacebook-Seite pflichtlektüre! len 2 000 Künstler von 18 bis 2 Uhr nachts viele Industrieanlagen, Museen und Sehenswürdigkeiten. In Dortmund können Besucher im Deutschen Fußballmuseum das EM-Achtelfinale schauen oder sich im Kulturdepot an Foto-Workshops versuchen – Selfies inklusive. Die 48 Spielorte sind mit Shuttlebussen erreichbar. Wo? in 20 Städten des Ruhrgebiets Wann? 25. Juni, 18 Uhr Wie viel? alle Spielorte im Vorverkauf: 17 Euro, Abendkasse: 20 Euro, einzelne Spielorte: 12 Euro, 4er-Gruppe: 58 Euro; Shuttlebus inklusive Web? extraschicht.de
EIN PARK IM LICHTERMEER Was? Ein großes Lichtermeer versprechen die Feuerwerker und Lichtdesigner von „Dortmund leuchtet“. Mit LEDs und Fackeln sollen die Wege bunt beleuchtet werden und aus Teelichtern bekannte Dortmunder Formen wie das BVB-Logo entstehen. Außerdem gibt es Streetfood und einen Mittelaltermarkt. Wo? Revierpark Wischlingen, Höfkerstraße 12, Dortmund Wann? 9. und 10. Juli Wie viel? 11 Euro plus Vorverkaufsgebühr Web? wischlingen.de
TANZEN ZU INDIE UND BRITPOP Was? Zu einer Musik-Party Für die kommende Party am lädt das FZW jeden dritten 17. Juni im FZW Freitag im Monat ein. Geverschenken wir dreimal zwei tanzt wird auf zwei Floors: Tickets! Schreibt uns eine einmal zu Best of Rock und Nachricht an die FacebookAlternative und einmal zu Seite pflichtlektüre, um die Indie und Britpop. Karten zu gewinnen. DJ Firestarter legt auf. Wo? FZW, Ritterstraße 20, Dortmund Wann? jeden dritten Freitag im Monat ab 23 Uhr, nächster Termin am 17. Juni Wie viel? 7 Euro an der Abendkasse Web? fzw.de 11
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KIFFEN auf Rezept Nur wenige Menschen dürfen in Deutschland legal Cannabis konsumieren. Gerade einmal 647 Personen haben derzeit eine Ausnahmegenehmigung der Bundesopiumstelle. Zwei „Cannabis-Patienten“ haben der pflichtlektüre ihre Geschichte erzählt. TEXTMartin Nefzger FotosREDaktion
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ank ihrer Wunderpflanze, wie sie Cannabis selbst nennt, kann Angelika* heute ein weitgehend normales Leben führen. Sie ist fröhlich, scherzt und lacht viel. Das war nicht immer so. Schon lange ist die 50-Jährige aus Gelsenkirchen Schmerzpatientin. Nur *Namen der Redaktion bekannt
ungern erinnert sich die Frau mit den lila Haaren an die schwere Zeit, bevor sie mit Cannabis behandelt wurde. „Als ich schließlich damit begonnen habe, wurde alles besser. Meine Tochter meinte damals, dass ihre Mama endlich wieder lebt“, sagt sie. Fast routiniert erzählt sie ihre Geschichte über ihren langen Weg zum legalen Konsum von Cannabis. 12
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Angelikas Krankengeschichte begann 1993 bei ihrer ersten Schwangerschaft. Ein überzähliger Lendenwirbel sorgte damals für Komplikationen, seit damals ist sie wegen andauernder Schmerzen auf Medikamente angewiesen. Vor 16 Jahren misshandelte ihr damaliger Lebensgefährte sie so stark, dass sie mit einem doppelten Kieferbruch ins Krankenhaus kam.
Seitdem leidet sie unter posttraumatischen Belastungsstörungen, ist psychisch labil und von Albträumen geplagt. Doch es kam noch schlimmer: Bei einem Autounfall wurde Angelikas Wirbelsäule verletzt, bis heute ist diese instabil. Dadurch ist die Gefahr einer Lähmung groß. „Jede Bewegung könnte meine letzte sein“, erklärt sie. Dagegen tun kann sie nichts. Auch zwei Bandscheibenvorfälle sind Teil von Angelikas Leidensgeschichte, außerdem ist sie an Osteochondrose erkrankt. Dadurch verknöchern ihre Knorpel und drücken auf den Hauptvenenkanal. Das verursacht erhebliche Schmerzen.
Der harte Weg in die Legalität Zehn Jahre lang wurde sie mit dem starken Schmerzmittel Morphin behandelt. „Damals hatte ich mit heftigen Nebenwirkungen zu kämpfen“, sagt Angelika. Sie war wie betäubt, vergesslich und nicht mehr sie selbst. Auch ihr Magen litt unter den Tabletten. „Den habe ich mir mit dem Morphin kaputt gemacht“, erzählt sie frustriert. Sie nahm kaum noch Nahrung zu sich und wurde immer dünner. Schließlich kam sie durch eine Freundin erstmals in Kontakt mit Cannabis und bemerkte, dass es ihr hilft – und das bei allen Beschwerden. Sie konnte sich
wieder besser konzentrieren, war fitter und agiler. Die Schlafstörungen und Albträume wurden seltener, ihre psychische Verfassung verbesserte sich. Und auch die Schmerzen nahmen ab. Angelika beschloss, sich um eine Ausnahmegenehmigung zu bemühen. Diese sollte es ihr erlauben, Cannabis in der Apotheke zu kaufen und legal zu konsumieren. Nach ihrem ersten – noch illegalen – Kontakt mit Cannabis, wandte sich Angelika wegen einer Behandlung an ihren Hausarzt. Dieser war wenig kooperativ: „Er meinte damals, wenn ich noch weiter nerve, soll ich mir einen anderen Arzt suchen.“ Durch Zufall fand sie in einem Magazin die Adresse von Dr. Franjo Grotenhermen. Der Mediziner aus Rüthen im Landkreis Soest ist auf die Behandlung mit Cannabis spezialisiert und half Angelika weiter. So war sie der Ausnahmegenehmigung schon ein gutes Stück näher. Um diese zu bekommen, musste sie austherapiert sein. Es war also nötig, alle für ihre Erkrankung gängigen Medikamente, in ihrem Fall Schmerzmittel wie Morphin, auszuprobieren. Sie musste nachweisen, dass diese ihre Beschwerden nicht mehr lindern. Das war bei Angelika aufgrund ihrer langen Krankengeschichte
Aus dem Brief der Bundesopiumstelle: Angelika darf legal Cannabis konsumieren.
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bereits bei ihrem ersten Treffen mit Dr. Grotenhermen der Fall – zuvor hatte sie auf der Suche nach einem effektiven Schmerzmittel bereits alle Präparate getestet. Mit der entsprechenden Bestätigung ihres Hausarztes stellte sie den Antrag bei der Bundesopiumstelle, die für die Ausnahmegenehmigungen zuständig ist. Nach weiteren zwei Monaten war es im Frühjahr 2014 soweit. Angelika darf seitdem offiziell und legal Cannabis in der Apotheke kaufen und konsumieren.
Ein Medikament, viele Einsatzmöglichkeiten Dr. Grotenhermen ist von der Behandlung mit Cannabis überzeugt – nicht zuletzt wegen der vielfältigen Einsatzmöglichkeiten. „Man muss verstehen, dass es kein anderes Molekül auf der Welt gibt, das so viele Anwendungsmöglichkeiten wie THC hat“, erklärt er. Tetrahydrocannabinol, kurz THC, ist laut der Arbeitsgemeinschaft „Cannabis als Medizin e.V.“ einer der „wichtigsten pharmakologischen Inhaltsstoffe“ von Cannabis. Die Wirkung dieses Stoffes ist nicht endgültig geklärt. Fest steht, dass THC zum Beispiel in der Schmerztherapie angewandt werden kann. Cannabis ist jedoch nicht nur äußerst vielfältig, sondern in den meisten Fällen auch gut
verträglich. „Wenn man es zu Beginn der Behandlung verträgt, kann man es auch 20 Jahre lang ohne Schäden für Nieren und Magen nehmen“, sagt Dr. Grotenhermen. „Bei anderen Medikamenten ist das häufig nicht der Fall.“ Trotzdem ist es in Deutschland äußerst schwierig, mit Cannabis behandelt zu werden. Ein medizinisches Präparat, das direkt vom Arzt verschrieben werden kann, gibt es nur für Multiple-SklerosePatienten. Und der Weg zu einer Ausnahmegenehmigung ist langwierig. Außerdem ist ein Antrag bei der Bundesopiumstelle nicht immer erfolgreich. Seit 2005 haben nach Angaben des „Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte“, dem die Bundesopiumstelle untergeordnet ist, 1 139 Patienten einen Antrag gestellt – nur 701 davon erhielten positive Rückmeldungen. Heute besitzen 647 Patienten die Ausnahmegenehmigung, weil Patienten verstarben oder Genehmigungen zurückgegeben wurden. Und selbst
wenn der Antrag erfolgreich war, muss der Patient die Kosten für seine Medikation selbst tragen. Bei einem ApothekenPreis von rund 17 Euro pro Gramm wird das schnell sehr teuer. Angelika darf bis zu 30 Gramm pro Monat konsumieren und zahlt dafür mehr als 500 Euro. Und das, obwohl sie infolge ihrer Erkrankungen arbeitsunfähig ist.
Vom Partyspaß zur Selbstmedikation Für Jan* aus Gelsenkirchen ist die Behandlung mit Cannabis günstiger. Er hat keine Ausnahmegenehmigung und kauft sich das Rauschmittel auf dem Schwarzmarkt. Hier zahlt er zwischen sieben und zehn Euro pro Gramm. Dennoch ist es für ihn eine starke Belastung, bis zu 300 Euro gibt er pro Monat für Cannabis aus. Mehr kann er sich nicht leisten. Wie Angelika ist auch Jan Schmerzpatient und durch eine Wirbelsäulenfehlstellung von ständigen Rückenschmerzen geplagt. Und wie Angelika erzählt er seine
Noch bezieht Jan kein Cannabis aus der Apotheke, deswegen möchte er anonym bleiben.
Geschichte, als hätte er das schon viele Male getan. Neben seinen körperlichen Problemen hat er die AufmerksamkeitsStörung ADHS und war deswegen seit seiner Kindheit mehrfach in Behandlung. „Viel gebracht hat mir das aber nie“, sagt er frustriert. Auch eine Medikation mit Ritalin, einem der Standard-Mittel bei ADHS, war wenig erfolgreich. Bessere Erfahrungen hat er mit Cannabis gemacht: In seiner Jugend hat Jan das Rauschmittel auf einer Party ausprobiert, „so wie es eben viele machen“. Schnell bemerkte er dessen positive Auswirkungen: Er konnte sich besser konzentrieren und auch die Rückenschmerzen gingen zurück. Durch das Internet und Bekannte erfuhr der heute 27-Jährige von der Möglichkeit, Cannabis als Medizin einzusetzen. So wurde aus dem gelegentlichen Partyspaß eine Selbstmedikation. Einen Antrag auf eine Ausnahmegenehmigung hat er bisher nicht gestellt, auch wenn er gerne legal konsumieren würde. Doch er ist nicht austherapiert und hat daher
keine Chance auf eine positive Rückmeldung der Bundesopiumstelle.
Mit einem Bein im Gefängnis? Von dem derzeitigen Cannabis-Verbot in Deutschland hält Jan wenig: „Man muss natürlich einen Unterschied machen zwischen medizinischem Konsum und Spaß. Aber es wäre besser, wenn Ärzte Cannabis einfach verschreiben könnten.“ Das sieht auch Dr. Franjo Grotenhermen so: „Wie bei jeder Therapie müssen Risiken, Nebenwirkungen und Nutzen abgewogen werden. Wir setzen Opiate und Chemotherapien ja auch nur ein, wenn es wirklich nötig ist. Das Gleiche muss man auch bei Cannabis machen.“ Durch seinen illegalen Konsum bedingt, belastet Jan die Angst vor Strafverfolgung – auch wenn er selbst immer nur eine geringe Menge Cannabis für den Eigengebrauch bei sich hat. Würde er mit mehr aufgegriffen werden, könnte das den Verdacht erwecken, er deale. Als Jugend-
licher sei er auch durchaus schon erwischt worden, erzählt er. „Damals bin ich mit Sozialstunden davongekommen. Heute wäre das anders. Mir drohen Strafen zwischen 700 und 1 000 Euro.“ Teilweise komme es auch zu einer Ersatzhaft, also einer Gefängnisstrafe, wenn die Konsumenten die Strafe nicht bezahlen können. Um dem zu entgehen und in Zukunft legal konsumieren zu dürfen, hofft Jan auf eine Gesetzesänderung. Auch Dr. Grotenhermen baut auf eine Neuregelung: „Ich kann die Bauchschmerzen der Politiker ja durchaus verstehen. Aber als Arzt, der seine Patienten möglichst gut behandeln möchte, muss ich sagen, dass diese Zugang dazu haben sollen. Und der Wunsch der beiden scheint sich tatsächlich zu erfüllen: Anfang Mai beschloss der Bundestag ein entsprechendes Gesetz. Demzufolge soll es in Zukunft möglich sein, dass Ärzte Cannabis auf normalem Wege und ohne Sondergenehmigung verschreiben können. Auch die Kosten für das Medikament soll dann die
Krankenkasse übernehmen. „In Zukunft ist in Deutschland wohl mit einer sehr hohen Nachfrage zu rechnen“, sagt Dr. Grotenhermen. Doch an der ablehnenden Haltung gegenüber Cannabis, die nach wie vor in weiten Teilen der Gesellschaft herrscht, ändert das Vorhaben des Bundestags nichts. Der Gesetzentwurf mag der erste Schritt zur Entkriminalisierung von Kranken sein, die auf die medizinische Wirkung von Cannabis angewiesen sind. Doch es gibt noch viel zu tun. Deshalb engagiert sich Angelika im „Cannabis Selbsthilfe Netzwerk“ und klärt andere über die Möglichkeiten auf, die Cannabis bietet. Auch Jan kämpft als Mitglied im „Deutschen Hanfverband“ für das Ziel, die vermeintliche Droge zu legalisieren. Beide hoffen, dass Menschen in Zukunft leichter mit ihrer „Wunderpflanze“ therapiert werden können.
Heilmittel oder Highmittel, je nachdem.
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Der Zweifel als Motor Videotechnik, Live-Animationen, Streaming: Der Dortmunder Schauspiel-Intendant und Regisseur Kay Voges setzt auf moderne Erzählformen. In der pflichtlektüre spricht er über Experimente, die Bedeutung von Popkultur und den Zweifel als Antriebskraft. TEXTLARA MERTENS FOTOSVoxi Bärenklau/Birgit Hupfeld/LARA MERTENS
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enn Kay Voges vom Theatermachen spricht, spricht er von einem „permanenten Kampf“, einer „leidenschaftlichen Auseinandersetzung“. Seit er 2010 die Intendanz und damit die künstlerische Leitung des Schauspiels am Theater Dortmund übernommen hat, bestimmt diese Auseinandersetzung den Spielplan. Kaum eine Inszenierung, die nicht auch ein Experiment wäre: Für Voges ist das Theater ein „Labor der Gegenwart“. Darin startet er Versuche mit Videokunst, neuen Erzählformen, dem Internet und aktuellen Inhalten. Deshalb ist ihm auch die Kooperation mit der TU wichtig: An der Uni werde alles immer differenzierter, es werde sich zu sehr auf den eigenen Fachbereich konzentriert und zu wenig über den Tellerrand geschaut. „Der moralische Diskurs rückt in den Hintergrund.“ Theater kann laut Voges helfen, die Perspektive zu erweitern. Das sei einer der Gründe dafür, dass es die Theater-Flat gibt. Mit der erhalten die TU-Studenten für 1,50 Euro pro Semesterbeitrag Freikarten für alle Vorstellungen.
ohne zu rauchen, bis er seine Ausführungen beendet hat. Der Regisseur und Intendant hat wenig Zeit. Gerade wird seine Gast-Inszenierung des „Freischütz“ an der Staatsoper Hannover in den Medien kontrovers diskutiert. Voges wirkt trotzdem nicht gehetzt, nimmt sich Zeit für seine Antworten, spricht überlegt und korrigiert sich, wenn ein neuer Gedanke ihm treffender erscheint.
Zum Gespräch erscheint der 43-Jährige in Lederjacke und neongrünen Sneakers. Zwischen seinen Fingern hält er meist eine Zigarette, auch drinnen. Während er redet, lässt er sie mal fast abbrennen,
„Das Fest“ war 2013 für den „Faust“ nominiert. Ein Preis, der so etwas wie der Oscar der Theaterszene ist. Das experimentelle Einsetzen unterschiedlicher Medien zieht sich als roter Faden
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Live-Film auf der Bühne Als Regisseur ist es ihm wichtig, dass seine Inszenierungen außergewöhnlich sind, das wird schnell klar. Deshalb versucht er Theater ständig neu zu erfinden: In „Das Fest“ dreht er einen Film live auf der Bühne. Durch eine leicht transparente Leinwand kann das Publikum die Schauspieler sehen, während sie gefilmt werden. Mal treten diese vor die Leinwand und sprechen als Schauspieler zu den Zuschauern, die meiste Zeit aber spielen sie eine permanent unter der Decke kreisende Kamera an.
auch durch viele Inszenierungen anderer Regisseure unter Voges‘ Intendanz: In Klaus Gehres Inszenierung von „Minority Report“ können Besucher per Smartphone Teil des Stücks werden und über den weiteren Handlungsverlauf abstimmen. Handlungsstränge folgen bei vielen Inszenierungen nicht dem traditionellen Muster. Voges hinterfragt die gewohnten Erzählformen. Stattdessen orientiert er sich an narrativen Formen aus der Gegenwart: So wie im Alltag oft alles gleichzeitig passiert, verschwimmen auch auf der Bühne die Handlungsebenen – „Wir unterhalten uns, währenddessen bekommen wir Facebook-Nachrichten, unsere Mutter spricht auf die Mailbox. Gleichzeitig werden Leute geköpft in SaudiArabien und Flüchtige versuchen, nach Europa zu kommen, der BVB holt sich einen neuen Spieler.“ Für „Das goldene Zeitalter“ probte er mit seinem Ensemble acht Stunden Material, von denen an jedem Abend drei aufgeführt wurden. Voges saß dabei im Zuschauerraum und führte live Regie, entschied spontan, welche Sequenzen gespielt werden sollten. Erzählebenen überlagern sich, werden aus dem Zusammenhang gerissen: Die Überforderung durch die digitale Welt wird auf der Theaterbühne reproduziert. Mit diesem konsequenten auf-die-SpitzeTreiben, den-Spiegel-Vorhalten will Voges zum Nachdenken anregen.
Theater darf auch wütend machen
SO FUNKTIONIERT DIE THEATER-FLAT Studenten der TU können grundsätzlich alle Veranstaltungen des Theater Dortmund (Oper, Schauspiel, Ballett, allerdings keine Gastspiele und Sonderveranstaltungen) kostenlos besuchen. Dafür zahlen sie einen um 1,50 Euro erhöhten Semesterbeitrag. TU-Karten bekommt ihr entweder direkt an der Theaterkasse (Studentenausweis mitbringen!) oder ihr reserviert telefonisch. Das geht allerdings erst eine Woche vor der Vorstellung. Für Premieren gibt es TU-Karten nur an der Abendkasse, solange die Vorstellung nicht ausverkauft ist. 18
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Als moralische Anstalt empfindet er Theater dennoch nicht. Es soll beim Publikum Fragen aufwerfen, statt sie zu beantworten. Im Stück „Die Show“ wird eine fiktive Fernsehshow nachgespielt, in der der Kandidat um sein Leben spielen muss. „Da sehen wir einen Medienapparat mit all seinem Zynismus und wir erzählen nicht: ‚Guckt mal, wie böse der Medienapparat ist‘, sondern: ‚Wie schön glänzend er vor eurer Nase steht‘“, sagt Voges. Medienkritik, Flüchtlingskrise, Digitalisierung: alle aktuelle Themen, denen Voges sich mit seinen Stücken nähern möchte. Bei Shakespeare findet er das Motiv des Überwachungsstaats. In Kooperation mit den Aktivisten vom Zentrum für Politische Schönheit ist das Stück „2099“ entstanden. Darin wird der
Begriff des Humanismus in Zeiten des syrischen Bürgerkriegs behandelt. Das macht für Voges die Relevanz von Theater aus. Es darf auch wütend machen und provozieren – oder aktivistisch sein. Die Fragestellungen der Aktivisten und der Theatermacher sind für ihn dieselben: „Wie kann Zukunft besser gestaltet werden? Wie kann die Gesellschaft sich aus den Anforderungen der Gegenwart heraus entwickeln?“ Voges spricht viel von diesen Fragen, mit denen es sich auseinanderzusetzen gilt. Als Jugendlicher war er lange sicher, viele der Antworten bereits zu kennen. Damals war er in einer Freikirche aktiv. Er sagt: „Ich hatte die Sehnsucht, klare Antworten zu haben und ein System, das mir den Weg weist.“ Dann begann er zu zweifeln und stellte irgendwann den Zweifel selbst in den Mittelpunkt seiner Suche: „Nicht den Zweifel, der resignativ ist und bewegungslos macht, sondern den, der ein Motor ist, zu suchen, zu hinterfragen, zu erforschen.“ Er wurde Regieassistent am Theater Oberhausen, arbeitete als freier Regisseur unter anderem in Darmstadt und Dresden.
Ausschnitte aus „Das Fest“ (oben) und „Die Show“ (unten).
Kein „Tempel der Hochkultur“ Mit seinem Dortmunder Ensemble verlässt Voges auch die Bühne, spielt mit den Schauspielern auf der Straße und im Museum oder lässt Inszenierungen im Internet übertragen. Im Februar zog das Schauspiel wegen Umbauten zunächst für ein halbes Jahr in den ehemaligen BVB-Megastore in Hörde. Voges meint: „Das Theater findet auch im öffentlichen Raum statt und in den Medien, in den sozialen Netzwerken. Das ist unsere Spielwiese.“ Auch die Grenze zwischen Pop- und Hochkultur verschwimmt bei ihm. „Uraufführungen, Gegenwartsdramatik und Klassiker – das hat die gleiche Bedeutung.“ Er will ausdrücklich keinen „Tempel der Hochkultur“. Ein Theater für alle also? Klingt doch eher wie eine Utopie. Voges versucht dennoch, dem Theater das Elitäre zu nehmen, auch um ein breites Publikum anzulocken. Im Gegensatz zu Kirche oder Partei sei Theater einer der wenigen öffentlichen
Räume, in denen Diskurse unabhängig von Religion, Herkunft oder politischer Einstellung geführt werden könnten. Alle könnten teilnehmen. „Aber ich glaube, nur mit Gefallsucht kann man nichts Bedeutendes schaffen. Mittelmaß ist der größte Feind der Kunst“, sagt Voges. Deshalb nimmt er auch das Risiko in Kauf, nicht zu gefallen oder mit einem Experiment zu scheitern. Inwiefern Geld dabei eine Rolle spielt, dazu möchte Voges sich nicht äußern. Viele Einfälle kommen ihm im Probenprozess, in Zusammenarbeit mit Ensemble und Team. Zwar hat er zu Beginn eine Idee oder eine Frage 19
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– einen „Versuchsaufbau“ – aber der sei nicht immer umsetzbar, sagt er. Für seine Inszenierung von „Hamlet“ wollte er Kinect-Kameras einsetzen, die den Schauspieler erkennen und zur virtuellen Figur, zum Avatar, transformieren. Dafür waren die Computer nicht schnell genug. Solche Erlebnisse gehören für Voges zum Theatermachen dazu. Er betrachtet es optimistisch und zitiert den Schriftsteller Samuel Beckett: „Wieder versuchen. Wieder scheitern. Besser scheitern.“
LÄuft bei Ihm
135 Kilometer durch die Wüste oder dreimal 42,195 Kilometer hintereinander oder 83 808 Stufen rauf und runter – laufend? Für manche ist es unvorstellbar, für Frank Pachura ist es ein Hobby. Aus dem Leben eines Marathonsammlers. TEXTLUkas Hemelt FotosThomas Stachelhaus & Frank Pachura
40 Grad im Schatten: Frank Pachura lief in Namibia.
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nfang April 2016: Frank Pachura dreht seine Runden auf der Aussichtsplattform des Dortmunder Florianturms. In 141 Metern Höhe mitten im Westfalenpark läuft er auf dem Wahrzeichen der Stadt. Er kreist und kreist und kreist. 1 300 Mal. Eintausenddreihundert Mal. Eine Umrundung der Plattform ist 32,5 Meter lang. Nach sechs Stunden und 14 Minuten hat der Mann mit schwarzem Kopftuch und gelbem TShirt sein Ziel erreicht: Mehr als 42 195 Kilometer, die Distanz für einen klassischen Marathon. Er kann einen Haken hinter einem großen Traum machen – Nummer 149 auf seiner Liste. Frank Pachura notiert all seine Läufe über die Mindestdistanz von 42 195 Kilometern. Der 53-jährige gebürtige Dortmunder ist leidenschaftlicher Marathonsammler. In seiner Freizeit bestreitet er fast im Wochenend-Rhythmus die längste olympische Laufdistanz. Der Marathon geht der Legende nach auf einen Boten der Antike zurück, der nach dem Sieg der Athener in der „Schlacht von Marathon“ knappe 40 Kilometer nach Athen rannte und dort zunächst verkündete „Wir haben gesiegt“, bevor er tot zusammenbrach.
Ums Gewinnen oder Verlieren geht es Frank Pachura nicht. Ihn treibt vielmehr das „Erlebnis Marathon“ an. Eigentlich führt Pachura ein ganz normales Leben in Welver bei Soest. Aber neben seinem Job als Ausbilder in der Bauindustrie und seiner Familie ist da eben noch seine Leidenschaft: der Marathon.
In den Bann gezogen Die Lauferei begann 2000: Nach sieben Jahren in einem Fitnessstudio in Dortmund-Dorstfeld, vielen Kämpfen in Judo- und Ju-Jutsu-Vereinen und unzähligen Versuchen eines Kumpels, ihn zum Joggen zu bringen, packte ihn das Lauffieber doch. Sein erster Lauf ging über 15 Kilometer. Ein Silvesterlauf, von Werl nach Soest. Pachura schaffte die 15 Kilometer, wenn auch mit Hängen und Würgen. „Zum Schluss bin ich echt auf dem Zahnfleisch gegangen. Ich hatte ja vorher nicht trainiert“, sagt er. Sogar Sanitäter boten ihm Hilfe an. Trotz der Erschöpfung war Pachura gefesselt. „Durch die Atmosphäre am Rand habe 22
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ich richtig Feuer gefangen“, erzählt er. In den nächsten Wochen und Monaten absolvierte er so viele 10-, 15- und 25-Kilometerläufe wie es Körper und Zeitplan eben zuließen. Nach nur neun Monaten war der gebürtige Dortmunder fit für seinen ersten Marathon in Köln. Bis 2010 folgten 14 weitere Läufe über mindestens 42,195 Kilometer. In der Zwischenzeit hatte Pachura von Läufern gehört, die 100 oder mehr Marathons in ihrem Leben absolviert haben. „Da musst du ja schon mit fünf Jahren anfangen“, scherzt er. Damals ahnte er noch nicht, dass er bald auch über 100 Marathons auf seiner Liste haben sollte. 2014 war es soweit: Mit einem TripleMarathon knackte Pachura die magische Grenze. Bei einem solchen Event läuft man drei Marathons am Stück. Der Start ist früh am Morgen. Die Teilnehmer haben eine gewisse Zeit, bis sie ins Ziel des ersten Marathons kommen müssen. Dort haben sie je nach Ankunftszeit Pause, bis der nächste Marathon startet. Wer es bei so einem Triple-Marathon bis ins Ziel schafft, hat fast 127 Kilometer Laufstrecke in den Beinen. Für die meis-
sportler Joey Kelly aufnehmen wollten. Sein Bewerbungsvideo kam gut an. Er wurde vom Kölner Fernsehsender mit neun anderen zu einem Auswahlcamp eingeladen und überstand 31 Stunden Sport und Überlebenstraining. „Während wir alle vergeblich versucht haben, unser Zelt zum Schlafen aufzubauen, hat sich Joey Kelly einfach unter eine Plane gelegt und gepennt.“
ten Hobby-Sportler eine unvorstellbare Distanz – sogar auf dem Fahrrad. Für Frank Pachura sind solche Strecken fast Normalität. Ihm geht es nicht um die schnellste Zeit – die nebenbei bei drei Stunden und 38 Minuten liegt. Auch nicht um Top-Platzierungen oder Erfolge. „Ich will Marathons erleben“, sagt er. Es müssen auch nicht immer die großen Läufe in Berlin, Hamburg oder New York sein: „Auch die kleinen und besonderen Läufe haben ihren Reiz.“ Davon hat Frank Pachura viele in seinem Album dokumentiert. 700 Meter unter der Erde in einem Thüringer Salzbergwerk. Umgeben von hohen Mauern, Stacheldraht und Polizei in einem Darmstädter Gefängnis. Auf den Spuren der Vergangenheit in einem Hamburger Bunker. Marathonlaufen geht fast überall. In Insider-Kreisen gibt es sogar richtige Partys. „Einige laden zu ihrem Geburtstag auch zum Marathon ein“, berichtet Pachura. „Man trifft sich erst zum Marathon, bevor anschließend noch eine Wurst und ein kühles Getränk warten.“ Einen Geburtstags-Marathon hat Pachura selbst zwar noch nicht geschmissen, einen
Lauf organisiert er aber trotzdem gerne mal. Zuhause in Welver haben er und ein paar Kollegen einmal 600 Runden um den Wendehammer vorm Haus gedreht. Pro Runde 71 Meter, alle 15 Minuten Richtungswechsel. „Damit man nicht umkippt“, sagt Pachura lachend. Umkippen oder kollabieren kommt bei ihm selten vor. Doch auch der geübteste Läufer ist davor nicht gefeit. Bei der „TorTour de Ruhr“, einem Event für besonders harte Läufer, trat Pachura auf der 100-Meilen-Distanz an. 161 Kilometer am Stück, die er 2014 am heißesten Tag des Jahres absolvieren wollte. 151 Kilometer hatte er schon geschafft, da machte sein Körper schlapp. „Ich musste mit einem Sonnenstich aufgeben. Ich bin noch nie so fertig gewesen.“
Nicht ganz so hart wie Joey Kelly Sein größtes Abenteuer erlebte Pachura Ende 2014 rund 12 000 Kilometer von der nordrhein-westfälischen Heimat entfernt. Der Läufer war einem Aufruf der RTL-Fernsehsendung „SternTV“ gefolgt, die Athleten suchte, die es mit Extrem23
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Erst kurz vorm Start am Frankfurter Flughafen im Dezember 2014 erfuhren die Kandidaten, wo sie ihr Abenteuer mit Kelly hinführen würde: Namibia. Im Süden Afrikas, wo statt deutscher Minusgrade 40 Grad im Schatten herrschten. Dort mussten sich die Teilnehmer dann mit Kelly messen. Dazu ging es auf einen Lauf durch die Wüste, bei dem Kelly stets das Tempo vorgab. Wer am Ende mit ihm ins Ziel kommen würde, dem winkten 10 000 Euro. Gestärkt durch gerade einmal zwei Energie-Riegel (zusammen 400 Kilokalorien) morgens und abends sowie einen Teller Nudeln, ging es auf die Tour über Sand und Stein unter der Sonne Namibias. Drei Tage und 135 Kilometer hielt Pachura durch, bis es nicht mehr ging. „Meine Finger sahen durch die Sonne aus wie Bockwürste, meine Füße wollte ich mir gar nicht erst angucken“, sagt Pachura. Sechs bis acht Zentimeter große Blasen hatte er dort. „Das Gesamtpaket war einfach ein Riesenerlebnis. Wir waren sogar dreimal live bei SternTV“, schwärmt Pachura knapp eineinhalb Jahre später. Ums Geld sei es ihm dabei nie gegangen – das gewann am Ende sowieso keiner.
Vorhaben und Vorbilder Kelly ist durch seine Extremsportabenteuer öfter im Fernsehen. Auch Pachura hat einen gewissen Bekanntheitsgrad – in der Läuferszene. Drei Bücher hat er bereits geschrieben. Er veröffentlicht regelmäßig Videos von seinen Läufen im Internet und betreibt ein Portal für Läufer in Dortmund. Ideen für seine originellen Aktionen hat er viele. Neben dem Ablaufen des Wendehammers hat er schon einen Marathon bei Nacht auf seiner Arbeitsstelle und in einem Maislabyrinth organisiert. Inspirationen für
PACHURAS VERRÜCKTESTE MARATHONS
neue Herausforderungen kommen ihm spontan im Alltag. Laufen zum Ideenfinden funktioniert nicht: „Da laufe ich mich in eine Trance und vergesse alles um mich herum.“ Als Sucht würde er seinen Sport aber nicht bezeichnen. „Andere gucken zum Beispiel viel Fernsehen. Ist das dann direkt eine Sucht? Ich kann auch gut ohne das Laufen“, sagt Pachura.
Salzbergwerk: 700 Meter unter der Erde in Thüringen, bei 28 Grad, im Dezember, auf einer offiziell vermessenen Strecke Gefängnis: Als Höhepunkt eines Gefangenen-Projektes in Darmstadt mit den Häftlingen, im Gefängnishof
Pachura trainiert dreimal die Woche. Die Distanz variiert, je nach dem, was für ein Event demnächst ansteht. Außerdem legt er die 18 Kilometer zur Arbeit zeitweise mit dem Fahrrad zurück. Zur Erholung geht er einmal in der Woche in die eigene Sauna im Keller. „Ich habe mittlerweile ein langsames Tempo gefunden, mit dem ich ziemlich lange laufen kann und wovon ich fast keinen Muskelkater bekomme“, erklärt Pachura. Neben dem Training spielt bei so einer extremen Sportart auch die Ernährung eine Rolle. „Ich versuche, wenig Kohlenhydrate zu essen, dafür aber viel Gemüse und Obst.“ Für ihn ist das viele Grün in seinem Essen aber kein Zwang, sondern Genuss. „Was viele Sportler mit Nahrungsergänzungsmitteln versuchen, geht auch ganz lecker und einfach mit Rohkost“, sagt er. Ein kühles Bier oder einen Sekt gibt es nur mal zum Geburtstag. Sonst ist Pachura eher alkoholfrei unterwegs.
Westfalenhallen: Trailrunning unterm Hallendach, über steile Anstiege, turbulente Downhills, matschige Kurven, Schneefelder, Felsen, Baumstämme Rennbahn: 250 Meter eine Runde, auf einer Radrennbahn mit Steilkurven in Senftenberg Maislabyrinth (Soest): selbst organisiert, durch einen gesteckten Weg, eine Runde 1,1 Kilometer lang Florian: 1 300 Runden auf einer 32,5 Meter langen Runde, 141 Meter über dem Boden auf der Aussichtsplattform des Dortmunder Fernsehturms
Wie es mit seinem zeitintensiven Hobby, das keinen Platz für eine weitere Nebentätigkeit lässt, weitergehen soll? Das lässt Pachura völlig offen. „Irgendwo gehen immer neue Türen auf“, sagt er. Er setzt sich keine bestimmten Orte, wo er noch einen Marathon laufen will. „Klar ist das ein Traum, mal einen Marathon in New York oder einer anderen großen Stadt zu laufen“, sagt Pachura und stellt dafür die Kosten in Relation zum Erlebnis. „Einmal New York Marathon kostet dich über 2 000 Euro. Für das Geld kannst du aber so viele andere schöne Marathons absolvieren.“ Für ihn muss es nicht immer weit weg gehen. Nur möglichst lange laufen zu können, das wünscht er sich. Bis auf eine kleine Reizung unterm Fuß blieb er bisher sogar verletzungsfrei. „Hoffentlich bleibt das auch so“, sagt er und klopft schnell auf Holz. „Manchmal sehe ich Läufer, die über 70 Jahre alt sind, und noch bombastische Zeiten hinlegen. Solche Leute sind kleine Vorbilder für mich.“
Der einzige Mann beim Ladies-Run.
Wüste: Abenteuer mit Joey Kelly und SternTV in der Wüste Namibias, Ausstieg nach 135 Kilometern Bunker: In einem abrissbereiten Bunker in Hamburg, acht Stunden lang über sechs Etagen Zwei Länder: Triple-Marathon aus den Niederlanden bis nach West-Niedersachsen. (Triple-Marathon: drei Marathons am Stück mit Zeitfenstern, in denen man die einzelnen Marathons absolviert haben muss) Unter Frauen: Als einziger männlicher Teilnehmer beim „Ladies-Run“ in Dortmund, Sieger in der Männerwertung
1 300 Runden drehte er auf dem Dortmunder Wahrzeichen: dem „Florian“. 24
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SAG MAL, PROF Wie entsteht Schimmel? TEXT&FoTotImo HaLBe ILLUsTRATIoNanJa HarDt
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Diese hemmt das Schimmelwachstum. Ein selbstgebackenes Brot fängt daher früher an zu schimmeln als das aus dem Supermarkt.
or dem Urlaub den Käse im Kühlschrank vergessen und schon hat sich bis zur Rückkehr ein weißer Überzug mit braunen oder grünen Flecken gebildet: Schimmel. Biologen sprechen von einem Schimmelpilz. Insgesamt gibt es mehr als 100 000 verschiedene Arten. Charakteristisch für diese Pilze ist, dass sie farbige Sporen produzieren, die wir dann als grüne oder braune Verfärbungen wahrnehmen. Sporen sind mikroskopisch kleine Einzelzellen, die als Vermehrungsorgan der Pilze dienen. Schimmelpilze vermehren sich in der Regel ungeschlechtlich und so kann aus jeder Spore ein neuer Pilz entstehen. Da sie durch die Luft verteilt werden, sind Sporen in fast allen Räumen zu finden – damit natürlich auch in unserem Kühlschrank und auf unserem Käse.
Was aber nun mit dem verschimmelten Käse aus dem Kühlschrank machen? Hier gilt die klare Regel: Den gesamten Käse wegwerfen. Da ein Großteil des Pilzes für das menschliche Auge nicht sichtbar ist, ist es sinnlos, nur die offensichtlich befallenen Stellen wegzuschneiden. Gefährlich für den Körper ist nicht der Schimmel selbst, sondern die sogenannten Mykotoxine, die er ausscheidet. Das sind Gifte, die dem Pilz in der Natur als Schutz dienen, zum Beispiel vor Bakterien. Je nach Art können sie für den menschlichen Körper sehr schädlich sein – ob giftig oder ungiftig, lässt sich für den Laien nicht erkennen. Ein Verzehr des befallenen Käses könnte zu leichten Vergiftungserscheinungen und Durchfall führen. Besonders schädlich sind Aflatoxine, eine Gruppe der Mykotoxine. Isst man größere Mengen, können schwere Leberschäden und bei Männern Hodenkrebs entstehen.
Werden Lebensmittel nicht rechtzeitig aufgebraucht, keimen aus den Sporen Zellen auf, die sich mit Hilfe der Nährstoffe aus dem Käse durch Zellteilung vermehren. Nach einiger Zeit wird der Schimmel dann sichtbar: Es entsteht ein weißer Wattebelag, das Myzel. In der nächsten Phase bilden sich am Myzel sogenannte Sporenträger, die dann neue farbige Sporen produzieren.
Die Ausscheidungsstoffe von Schimmelpilzen haben auch einen positiven Nutzen. Das bekannteste Beispiel ist Penicillin. Diese Substanz wird von bestimmten Schimmelpilzarten gebildet. Sie tötet Bakterien ab und wird daher in Antibiotika verwendet.
Wie hätte man den Schimmel verhindern können? Mit einer Lagerung im Kühlschrank macht man alles richtig. Die kalten Temperaturen lassen den Pilz langsamer wachsen. Neben den Nährstoffen benötigt der Pilz für sein Wachstum vor allem Feuchtigkeit. Daher schimmeln frische Erdbeeren zum Beispiel deutlich schneller als ein trockenes Stück Brot. Lebensmittel sollten also trocken und möglichst luftgeschützt aufbewahrt werden. So kommen sie nicht so leicht mit Sporen in Kontakt. Viele Industrieprodukte sind außerdem mit Benzolsäure versetzt.
Zum Professor: Ulrich Kück ist Leiter des Lehrstuhls für Allgemeine und Molekulare Botanik an der Ruhr-Universität Bochum. 23
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Bier Marke „Eigenbräu“ Im 500. Jubiläumsjahr des Reinheitsgebots schmecken die deutschen Industriebiere für viele immer ähnlicher. Eine Lösung, dem Einheitsbier zu entkommen: selbermachen! Vom klassischen Kölsch bis zum Exoten mit Bockwurstgeschmack ist alles möglich. TEXT&FotosTimo Halbe
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ier brauen ist wie Kuchen backen: Ich brauche ein Rezept und vor allem gute Zutaten“, fasst Karl „Kajo“ Frieg die Bierproduktion zusammen. Der 65-Jährige ist Mitbegründer der Braugruppe „Lötti“ im Dortmunder Vorort Löttringhausen. Er sitzt an einem Tisch im Brauzimmer unter dem Dach seines Pferdestalls. Hier treffen sich die Freizeitbrauer, um ihrem Hobby nachzugehen. Kajo füllt eine Art Formular aus, das Brauprotokoll. „Heute machen wir Kölsch. Das ist als mildes Bier gut für den Sommer geeignet. Perfekt für alle, die kein Weizen mögen“, sagt er und notiert dabei verschiedene Zutaten: Acht Kilogramm Pilsener Malz, ein Kilogramm Münchener Malz und ein Kilogramm Weizen Malz hell. Gerstenmalz bildet die Grundlage für jedes Bier. Je nach Sorte und Mischung bestimmt es den Geschmack. Die Röstung entscheidet zudem über die Farbe des Getränks. „Je stärker die Röstung, desto dunkler das Bier. Bei unserem Schwarzbier „Pütt“ schmeckt man dann auch die Röstaromen. Ein bisschen wie ein Espresso“, sagt Kajo und zeigt eine Übersicht mit allen Sorten, die die Löttringhausener bisher gebraut haben. Dort stehen neben dem Schwarzbier etwa noch Export, Weizen, Bock oder auch ein spezielles Weihnachtsbier. „Beim Selbstbrauen hat man einfach viel mehr Sortenvielfalt und kann den Geschmack durch die Wahl der Zutaten selbst bestimmen.“ Erst im vergangenen Herbst haben die Hobbybrauer sich zum ersten Mal an einem Kölsch versucht. Der heutige Brauvorgang ist der zweite. Inzwischen schüttet Kajo mit Hilfe von Braufreund Heinz Schlender die verschiedenen Malzsorten in eine Malzmühle. „Die Körner müssen aufgeknackt werden. Es darf aber auch nicht zu mehlig sein“, erklärt Heinz. Neben Malz und Wasser kommen nach dem deutschen Reinheitsgebot dann nur noch Hefe und Hopfen dazu. Dass sich aber mit weiteren Zutaten noch interessantere Kreationen bilden lassen, weiß Philipp Overberg. Der Münsteraner hat sich mit seinem Start-Up „Gruthaus“ auf kuriose Biere spezialisiert. Darunter zum Beispiel das „Bockwurst Bock“. 27
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Trotz des Namens ist das Bier vollkommen vegetarisch. „Das Malz wird einfach vorher zwischen Buchenholzscheiten geräuchert. Genauso wird das bei Bockwürsten gemacht. Dadurch entsteht dann der typisch rauchige Geschmack, den wir mit Wurst oder Schinken verbinden“, erklärt er. Hauptberuflich arbeitet der 44-Jährige als Texter in der Werbebranche. Vor zehn Jahren hat er mit dem Hobbybrauen begonnen: „Ich bin oft in England oder Belgien. Dort gibt es in den Kneipen eine Riesenauswahl, vor allem an regionalen Biersorten mit unterschiedlichen Zutaten. Irgendwann wollte ich das dann selbst machen“, sagt er. „Bei meinen Kreationen versuche ich Ideen, die ich in den anderen Ländern gesehen habe, mit einem lokalen Bezug zu Münster zu verbinden. Das Malz für das Bockwurst Bock wird zum Beispiel beim Metzger um die Ecke geräuchert.“
„Brauautomat“ als wichtigstes Hilfsmittel In Löttringhausen bleiben die Brauer lieber bei den klassischen Zutaten. Fertig mit dem Mahlen des Korns, zeigen Heinz und Kajo den ganzen Stolz ihrer Braugruppe: Der „Braumeister 50 Liter“. Ein großer Edelstahltopf mit elektronischer Anzeige. Der Kessel ist bereits mit Wasser gefüllt, in der Mitte befindet sich ein Rohr, das am unteren Ende mit einem Sieb abgeschlossen ist. In dieses „Malzrohr“ geben die beiden nun langsam das gemahlene Getreide. Anschließend wird der „Brauautomat“ verschlossen und gestartet. „Jetzt werden vier verschiedene Phasen durchlaufen, in denen das Wasser unterschiedlich stark erhitzt wird. So werden nach und nach verschiedene Bestandteile aus dem Malz herausgekocht: Erst Eiweiße, später dann der Zucker“, sagt Kajo. Zwei Pumpen schicken dabei das Wasser immer wieder durch das gefüllte Malzrohr. „Der große Vorteil ist, dass das Gerät durchgehend die Temperatur überwacht. Die primitive Alternative wäre der Heizkessel mit Rührstab. Aber das geht auf Dauer nicht nur in die Arme, sondern ist auch sehr ungenau“, erklärt
Heinz. Das sogenannte Maischen dauert nun rund zweieinhalb Stunden. Für die Hobbybrauer ist das die Gelegenheit für ein kleines Frühstück. Bei selbstgemachter Marmelade wird über alte Zeiten diskutiert, als Dortmund noch eine große Bierstadt war und nicht die meisten örtlichen Biere in der Dortmunder Actien-Brauerei produziert wurden. „Vor rund sechs Jahren haben wir einfach mal mit ein paar Freunden einen Braukurs gemacht. Da haben wir dann festgestellt wie viel Spaß es macht, sein eigenes Bier herzustellen“, erzählt Kajo. „Selbstgemachtes Bier ist viel frischer als das aus der Massenfertigung. Wir produzieren in kleineren Mengen und der Brauprozess wird nicht unterbrochen. Dadurch ist es deutlich nahrhafter. Bei den Industriebieren geht es ja auch darum, in der Kneipe nebenbei noch Essen zu verkaufen.“
Zwischen Hobby und Nebenberuf Mittlerweile sind immer mehr Interessierte dazu gekommen, sodass in der Gruppe von Ende 20 bis Mitte 70 alle Altersklassen vertreten sind. Seit dem Kurs hat sich die Gruppe nach und nach weiterentwickelt. „Wir finden immer wieder Kleinigkeiten, bei denen wir noch etwas verbessern können. Zum Beispiel haben wir einen Metallring herstellen lassen, der das Sieb viel fester im Malzrohr hält. Vorher sind uns immer wieder Körner in die Pumpen geraten.“ Nach dem Frühstück werden die leeren Malzbehälter zu einem Spülbecken getragen. „Hygiene ist beim Bierbrauen wichtig. Schließlich arbeiten wir hier mit einem Lebensmittel“, sagt Kajo beim Schrubben. Durch ein lautes Piepen verkündet der Brauautomat, dass der Maischvorgang abgeschlossen ist. Gemeinsam heben Kajo und Heinz jetzt das Malzrohr aus dem Kessel und lassen das Wasser abtropfen. Anschließend gießen sie neues Wasser durch das Rohr in den Kessel. „Damit werden auch noch die letzten Bestandteile aus dem Korn gespült. Außerdem füllen wir Wasser nach, das verdampft ist“, erläutert Heinz. Unterdessen bereitet Kajo das „HopfenKochen“ vor. Dazu füllt er Hopfenpellets in kleine Säckchen und erklärt: „Für
Drei Arbeitsschritte auf dem Weg zum Genuss. 28
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Kölsch benutzen wir nur Aromahopfen, weil es ein mildes Bier ist. Bei Pils zum Beispiel gibt man dann auch Bitterhopfen dazu. Das sorgt für den herberen Geschmack.“ Er öffnet ein Döschen mit dem Bitterhopfen und riecht daran. Ein intensiver Geruch. Die Säckchen werden nach dem Entfernen des Malzrohrs in die trübe Flüssigkeit geworfen. Bei 100 Grad Celsius werden jetzt die Aromen aus dem Hopfen gekocht. Wieder heißt es abwarten, was Kajo aber nicht stört: „Beim Brauen gibt es genug Zeit zum Quatschen. Die Möglichkeit Neuigkeiten und Geschichten auszutauschen, ist für uns ein wichtiger Teil des Hobbys. Wir wollen damit ja kein Geld verdienen.“ Einen anderen Weg hat hingegen Philipp Overberg in Münster eingeschlagen. Mit seiner Kreation „Pumpernickel Porter“ stieß er auf positive Resonanz. „Bekannte haben immer mehr danach gefragt. Irgendwann wollte ein Wirt das dann in seiner Kneipe anbieten.“ Dann habe er bei einer kleinen Brauerei angefragt und schließlich das Bier dort produzieren lassen. „Das war ein großer Schritt, von
50 auf 400 Liter. Das konnte ich natürlich nicht alles an einen Wirt vergeben und so habe ich mich dann entschlossen, ein richtiges Unternehmen daraus zu machen“, erzählt er. So wurde das Brauen für ihn vom Hobby zum Nebenberuf. Bei der Produktion des „Pumpernickel Porter“ wird tatsächlich das körnige Brot verwendet. „Das gibt dann ein zähes und dickes Bier mit einem brotigen Duft“, beschreibt er.
Drei Monate dauert die Lagerzeit Nach 80 Minuten ertönt in Löttringhausen erneut ein Signalton. „Prost“ zeigt die Anzeige des Automaten an. „Ganz so weit sind wir aber noch nicht“, sagt Kajo lachend. „Das ist natürlich viel zu heiß. Außerdem ist ja noch gar kein Alkohol entstanden.“ Mit einem Paddel bringt er die „Bierwürze“ nun zum Kreisen, sodass die verschiedenen Schwebeteile in die Mitte gesogen werden und sich dann am Boden absetzen. Anschließend wird die dunkel-goldene Flüssigkeit in einen Eimer abgefüllt und mit Hilfe einer Spirale, durch die kaltes Wasser fließt, abgekühlt. In einen Zwei-Liter-Becher gibt Kajo
jetzt Wasser und schüttet dort ein kleines Tütchen Hefepulver hinein. Den Becher entleert er schließlich in ein Plastikfass, in das vorher die abgekühlte „Bierwürze“ gefüllt wurde. Im etwa acht Tage dauernden Gärprozess entstehen dann Alkohol und Kohlensäure. „Bei Kölsch verwendet man obergärige Hefe. Das heißt wir können es problemlos bei Raumtemperatur gären lassen. Bei untergäriger Hefe benötigt man hingegen eine Temperatur von vier bis neun Grad“, sagt Kajo, als er das verschlossene Fass ins Regal stellt. Nach dem Gärprozess wird das Bier in Flaschen oder Fässer abgefüllt. Dort gärt es dann noch mal mindestens drei Monate nach. „Anders als in den Großbrauereien ist die Lagerzeit für uns ja kein Kostenfaktor. Wenn das Bier länger steht, ist der Geschmack einfach intensiver“, sagt Heinz. So können die Hobbybrauer heute also nur das Kölsch vom Herbst probieren. Kajo ist zufrieden: „Sehr süffig und erfrischend. Wie es sein muss.“
Die Verköstigung des Schwarzbiers „Pütt“ ist für Karl „Kajo“ Frieg und Heinz Schlender der Höhepunkt der Arbeit. 29
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FRAUEN-, MÄNNER- ODER GLEICHSTELLUNGSREFERAT? An vielen Hochschulen haben Frauen eins und Männer nicht: Ein Referat, das ihre Interessen vertritt. Das soll sich ändern. An der TU Dortmund wird über ein Männerreferat diskutiert. Frauenreferentin Daniela Röttges erklärt die Hintergründe. TEXT&FOTOTIM KRÖPLIN
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ozu gibt es Referate und was sind ihre Aufgaben? An der TU Dortmund gibt es insgesamt vier Referate: Das Behindertenreferat, das Schwulenreferat, das AusländerInnenreferat und das Frauenreferat. Während der AStA die Interessen der gesamten Studierendenschaft vertritt, sind die Referate für die Vertretung gruppenspezifischer Interessen zuständig. Sie setzen sich zum Beispiel für die Verbesserung der Studienbedingungen der jeweiligen Gruppen ein. Alle Referate der TU sind autonom und werden von den Studierenden gewählt. An den Veranstaltungen der Referate dürfen auch Studierende teilnehmen, die dem Gremium nicht angehören. Das Frauenreferat veranstaltet beispielsweise Themenabende, die sich mit der Rolle der Frau in der Gesellschaft und Geschlechterthematiken beschäftigen. Außerdem bieten wir Sprechstunden und psychologische Hilfe für Frauen an.
werden. In Gesprächen stellte sich allerdings heraus, dass das Frauenreferat als solches von Studentinnen immer noch als wichtig angesehen wird. Deshalb kam eine Umwandlung des Referats nicht in Frage. Unabhängig vom Frauenreferat hat der AStA dann zu diesem Thema ein Männerplenum veranstaltet. Hier wurde diskutiert, ob statt eines Gleichstellungsreferats ein reines Männerreferat gegründet werden soll. Anschließend könnte man zwischen dem Frauen- und dem Männerreferat einen Dialog herstellen, um gemeinsam an Themen der Gleichstellung zu arbeiten. Was wurde im Männerplenum letztendlich beschlossen? Es ist noch nicht zu einer abschließenden Entscheidung gekommen. Die Sitzung wurde vertagt, weil man sich nicht einigen konnte. Der nächste Termin steht bisher noch nicht fest. Viele Studenten haben die Idee eines Männerreferats kritisiert. Sie haben Bedenken, dass in einem Männerreferat zum Beispiel Anti-Feministen eine Plattform bekommen. Aber selbst wenn dieser Fall eintreten sollte, müsste man sich nur bedingt Sorgen machen. Denn trotz der Unabhängigkeit der Referate sind sie an bestimmte Regeln gebunden. So dürfen sie zum Beispiel keine fremdenfeindlichen Veranstaltungen durchführen oder Inhalte vermitteln. Verstößt ein Referat dagegen, verlieren die Vertreter sofort ihr Amt.
Wie ist die Idee entstanden, ein Männerreferat zu gründen? Die Grundidee kam vom Frauenreferat. Wir hatten überlegt, das Frauenreferat zu öffnen und auch für Männer, die sich mit Gleichstellung beschäftigen wollen, zugänglich zu machen. Denn Gleichstellungspolitik funktioniert nur im Dialog zwischen den Geschlechtern. Ziel sollte die gemeinsame Arbeit an der Gleichstellungspolitik der TU und die Vertretung aller Studierenden sein, die aufgrund ihres Geschlechts diskriminiert 30
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APROPOS... JEDER GEGEN JEDE Während die kleinen Leute über die Probleme der Welt sprechen, trifft sich die Elite Deutschlands, um über die Männerrolle bei der Gleichstellungsfrage zu streiten. Frauen gegen Frauen, Männer gegen Männer, jeder gegen jede. Schutzweste an und los. TEXTTIM KRÖPLIN ILLUSTRATIONSUE KUNKEL
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ie Luft riecht nach Schwarzpulver und der Zorn der Anwesenden ist nahezu elektrisierend. Ich atme tief ein und nehme abseits des Kampfgeschehens Platz. Nachdem die Regeln mit einer gewissen Härte verdeutlicht wurden, beginnen die Kämpfer, ihre Waffen zu schärfen. Mit Pro-Argumenten werden die Messer der einen Seite gewetzt, mit Kontra-Argumenten die Musketen der anderen geladen. Auf beiden Seiten sind beide Geschlechter vertreten. Der erste Schuss kommt von der Pro-Seite: „Die Mehrheit der Studierenden ist männlich, sie brauchen dementsprechend einen Vertreter, der für sie einsteht.“ Die Kugel durchquert pfeifend das Schlachtfeld und es folgt prompt der Gegenschlag. „Männer sind an der Universität und im Alltag überprivilegiert. Wieso sollten sie noch mehr Privilegien zugesprochen bekommen?“ Die heiße Diskussionsluft verdichtet sich zu einer schwarzen, undurchsichtigen Wolke, die einem weder die Chance gibt, der Gesamtsituation zu folgen, noch angemessen auf eine der beiden Seiten zu reagieren. Die umherfliegenden Granatsplitter in Form von einzelnen Wortfetzen lassen einen lediglich deuten, worum es gerade gehen könnte. „Männer sind…“ oder „Männer wollen…“ und der Favorit „Männer haben…“ bilden den Tenor der Schlachtgesänge. Nur was sind, haben oder wollen Männer? Dann nimmt das Geschehen eine entscheiden31
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de Wendung: „Gleichstellung ist keine Einbahnstraße“, tönt es durch den Saal. Das könnte passen. Bisher wirkte jedes Pro-Argument allerdings wie ein Fahrer, der entschlossen in die falsche Richtung fährt und von entgegenkommenden Geschossen wieder zur Einfahrt katapultiert wird. Die scheinbare Wendung bleibt nur eine Drehung im Kreis. Und so beschießen sich die Fraktionen weiter und weiter. Aus Minuten werden Stunden, in denen sich die Beteiligten streiten, um ihr Überleben zu sichern. Meine geröteten Augen durchstreifen den Raum. Ich bin umgeben von hasserfüllten Blicken militanter Feministen, deren aggressiven Gegensprechern sowie denen, die den Kram „schon okay“ finden. Man könnte das Ganze mit nur einer Abstimmung beenden: „Wer ist für ein Männerreferat und wer ist dagegen?“ Keine Kugeln, keine Hasstiraden – das kurze Anheben der Hand würde reichen. Ein Hoch auf die Demokratie. Stattdessen werden weiterhin anarchistische Prinzipien verteidigt. Nach einem unendlich langen Kampf lichtet sich so langsam der Nebel. Beide Parteien klopfen sich den Staub von ihren Schultern und verlassen nach und nach das Schlachtfeld. Das Ergebnis: Die Sitzung wird vertagt. Ich bleibe verwirrt zurück. Vom Krieg gezeichnet brauche ich jetzt erst einmal eine Frau, die mir etwas kocht, und ein Fußballspiel, das mich auf andere Gedanken bringt. Denn so machen wir Männer das.
DIE HANDTASCHE ALS MÜLLBEUTEL Am roten Teppich, auf dem Ku‘damm oder in Mailand – überall kippen Frauen ihren Tascheninhalt für sie aus. Handtaschentherapeutin Rosanna Pierantognetti hat bereits über 1 000 analysiert. Im Interview spricht sie über Knochen in der Handtasche und warum ein Reißverschluss für sexuelle Offenheit steht. TEXTHANNAH STEINHARTER FOTOSCHRIS HOLLETSCHEK & HANNAH STEINHARTER
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rau Pierantognetti, was sind Sie selbst für ein Handtaschen-Typ? Ich bin eine typische PippilottaDeluxe, eine Glücksstrategin. Das sieht man schon an den ganzen Farben: Unheimlich bunt und schillernd. Bei mir muss alles farbig sein. Das macht mir einfach gute Laune. Was macht eine Taschentherapeutin? Ich analysiere Frauen anhand ihrer Handtaschen und ihres Handtaschen-Inhaltes. Ich schaue mir Form, Farbe, Material, Marke und die Anzahl der Dinge darin an. So erkenne ich, was für eine Frau die Besitzerin ist oder was für einen Charakter sie hat. Ich helfe ihr, ihre eigene Work-Life-Bag-Balance zu verbessern. Das ist die Balance zwischen Leben, Arbeit und der Tasche, die man täglich mit sich herumschleppt. Sie sollte möglichst ausgeglichen sein. Wie kann man diese Balance verbessern? Ich schreibe ein Rezept auf und sage der Frau zum Beispiel, dass sie eher eine rechteckige, gerade Form in dunklen Tönen braucht. Diese Taschen sind besonders für Frauen geeignet, die sehr strategisch oder strukturiert vorgehen. Oft empfehle ich auch zukünftig etwas Fröhliches, Emotionales in die Tasche zu packen. Das können Glücksbringer, Erinnerungsfotos, Geschenke von Freunden oder Spielzeuge der eigenen Kinder sein.
Welche Handtaschentypen gibt es? Ich habe jetzt in mehr als 1 000 Taschen geschaut und dabei vier Haupttypen ausgemacht: Das sind einmal die Spaßhaberinnen, das sind meist sehr junge Frauen. Die Glücksstrateginnen sind ein bisschen ältere Frauen, die wissen, wo sie ihr Glück finden. Die Alleskönnerinnen sind meist Business-Frauen: Sehr organisiert, strukturiert und fokussiert. Und zuletzt die Friedensstifterinnen: Das ist der Typ Frau, der eher auf Nachhaltigkeit Wert legt und dementsprechend auch eher Stofftaschen hat. Funktioniert das Ganze auch mit Rucksäcken und Beuteln? Das Thema funktioniert im Grunde genommen sogar mit Kühlschränken. Man kann mit der Persönlichkeits-Diagnostik bei der Tasche anfangen und beim Auto enden. Beutel und Rucksäcke sind eben auch Behältnisse, die wir den ganzen Tag um uns haben, die unser zweites Zuhause geworden sind oder unser bester Freund. Gibt es einen Unterschied zwischen Frauen- und Männertaschen? Es gibt große Unterschiede zwischen Männern und Frauen! Und da muss ich jetzt ein bisschen ausholen, denn das
„Ich habe Ihretwegen auch nicht aufgeräumt.“ 33
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hat was mit der Geschichte der Handtasche zu tun. Die Ursprünge waren reich verzierte Jagdtaschen der Männer. Die Frauen hatten ursprünglich gar keine Taschen, sondern nur unter ihren Röcken kleine Beutel für den Hausschlüssel oder ganz früher Sammelkörbe. Wie kamen die Frauen dann zur Handtasche? Die älteste Handtasche stammt aus dem 5. Jahrhundert. Zur Zeit von Napoleon hat die Tasche dann ihre Renaissance erlebt. Als Frauen anfingen, auszugehen, zu reisen und später auch zu arbeiten, verließen sie mehr und mehr das Haus. Je emanzipierter sie wurden, desto größer wurden die Frauenhandtaschen. Die Männer nannten das dann ursprünglich „Retikulum“, „Retikül“ – das Lächerliche – und haben dann ihre Taschen weggelassen. Frauen und ihre Handtaschen führen anscheinend schon lange eine sehr innige Beziehung. Woher kommt diese Faszination? Der deutsche Philosoph Peter Sloterdijk hat dazu mal gesagt: Was früher beim Mann der Speer war, ist heute der Fußball. Was früher bei der Frau der Sammel-
Zeigt mal her! Was schleppen die Dortmunder Studenten den ganzen Tag über den Campus? Drei Lehrämtler öffnen ihre Taschen.
korb war, sind heute ihre Taschen. Und deswegen ist die Frau auch so stolz, wenn sie mit einer voll gefüllten Tasche vom Shoppen nach Hause kommt, das ist evolutionsbedingt. Das kriegt man so einfach nicht mehr raus. Gibt es etwas, das sich in jeder Tasche findet? Die Grundausstattung ist natürlich das Portemonnaie, das Handy und der Schlüssel. Das haben auch die meisten Männer. Dann kommen bei den Frauen natürlich noch Kosmetik- und Hygieneprodukte dazu. Welchen Tascheninhalt zeigen die Menschen Ihnen nicht gerne? Häufig schämen sich die Damen, wenn sie Tampons oder Kondome aus ihren Taschen holen. Der Gegenstand an sich ist dabei nicht peinlich, sondern bloß die gedankliche Verknüpfung der jeweiligen Frau. Ich finde es schön, wenn man damit offen umgeht. Tampons und Kondome müssen einem nicht peinlich sein.
Sarah, 38, Lehramt Deutsch & SoWi
Was war das Außergewöhnlichste, was Sie in einer Handtasche gefunden haben? Ich muss dazu sagen: Mich schockt eigentlich nichts. Bei einer Französin habe ich mal den Fingerknochen eines Vorfahren aus dem 15. Jahrhundert gefunden. In Berlin hatte eine Frau 18 Kilogramm Erotikspielzeug in der Tasche – jedoch berufsbedingt. Dann gab es noch eine ältere Frau mit einer Trillerpfeife in ihrer Tasche. Die hatte sie dabei, um ihren Mann wiederzufinden. Beschreiben Sie doch mal eine typische Studentinnen-Tasche. Da gibt’s den Typ Community: Super vernetzt und verdrahtet, mit tausend Kabeln und natürlich einem Tablet oder Laptop in der Tasche. Vielleicht noch etwas Essbares und ein Buch dazu. Und dann gibt’s da den Typ Starshine – die schickere Studentin. Sie will während des Studiums nicht auf Lifestyle verzichten. Die geht dann auch mal mit Mamas Birkin Bag, die mehrere Tausend Euro kostet, in die Uni. Habe ich in München alles schon gesehen.
Lennart, 23, Lehramt Mathe & SoWi
Natalie, 23, Lehramt Mathe & Musik
Von außen betrachtet: Was sagt allein die Wahl zum Rucksack oder der Tasche über die Studentinnen aus? Rucksäcke haben vor allem Frauen, die auch Macherinnen sind. Die brauchen einfach Freiheit. Auch sportliche Studierende, die mit dem Fahrrad zur Uni kommen, tragen einen Rucksack, um die Hände frei zu haben. Die Schultertasche oder die Messenger Bag erfüllt dabei einen ähnlichen Zweck. Sie sind wie der Rucksack für Macherinnen geeignet. Unabhängig von der Tasche ist aber auch der Reißverschluss ein großes Thema. Warum das? Was sagt der Reißverschluss aus? Freud sagt, dass die Tasche einer Frau ihre verborgene Gebärmutter ist. Da darf kein Mann reingreifen, das ist was ganz Intimes. Und wenn eine Frau den Reißverschluss geschlossen hat, ist sie auch sexuell zugeknöpft. Wenn sie ihn auf hat, ist sie sexuell aufgeschlossen. Ich gehe nicht ganz soweit wie Freud. Für mich bedeutet ein offener Taschenverschluss, dass die Frau aufgeschlossen, kommunikativ und offen fürs Leben ist. Ein kleiner Tipp für die Herren, die auf der Suche sind. 34
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Was halten Sie vom Trend der Jutebeutel? Finde ich total gut. Zeigt eine Harmonie zur Umwelt. Ein ganz toller Trend! Oft haben Studentinnen nicht nur eine Tasche dabei, sondern einen Rucksack, einen Beutel und eine Sporttasche. Wie erklären Sie sich mehrere Taschen gleichzeitig? Sind das etwa verschiedene Persönlichkeiten, die man mit sich herumträgt? Ich glaube nicht. Das ist ein bisschen wie ein Zuhause, wo man sich dann noch ein Zimmer mit dazu nimmt. Was sagt es über Studentinnen aus, die keine Tasche dabei haben? Studieren die überhaupt? Oder sind die schon so weit entwickelt, dass die in ihrem Finger alles drin haben? Den Chip der Zukunft? Nein, natürlich gehe ich auch nicht immer mit Tasche raus. Ich mache mal ganz gerne eine Taschen-Diät. Man lernt wieder spontan zu sein. Viele Frauen neigen leider dazu, immer mehr Zeug dabei zu haben. Was ist der Grund dafür? Sie fühlen sich ohne die ganzen Dinge
unperfekt und haben Angst. Nach dem Motto: Jetzt könnte was passieren und ich hab ausgerechnet heute meine Ersatzunterwäsche nicht dabei. Das sagt schon die Mama immer: Pack dir eine saubere Unterhose ein. Nehmen wir mal an, ich möchte jetzt eine ordentliche Studentin werden. Was kann ich nur mit dem Inhalt meiner Tasche dafür machen? Erst mal komplett auskippen und staubsaugen. Und dann den Inhalt sortieren: Was sind Beauty-Hygieneartikel, was Stifte und was Kabelsalat. Für jede Kategorie ein eigenes Täschchen machen und diese Taschen in die Tasche packen. Oder direkt eine Tasche mit Struktur kaufen. Lassen Sie andere Leute denn auch in Ihre Tasche schauen? Uns zum Beispiel? Ja, wir können gerne meine Tasche auspacken. Ich habe auch nicht extra Ihretwegen aufgeräumt. Am Anfang hab ich gedacht, ich muss mich ändern und total aufgeräumt sein. Dann habe ich gemerkt, dass ich das nicht bin. Das will ich den Frauen vermitteln: Bleibt so, wie ihr seid.
Rosanna Pierantognetti bezeichnet sich selbst als Glücksstrategin. Sie braucht knallige Farben an und in ihrer Tasche.
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Ihr müsst euch nicht ändern. Neunzig Prozent der Frauen haben Chaos in ihren Taschen. In Ihrem ausgeschütteten Tascheninhalt fallen benutzte Taschentücher und Parfum-Duftstäbchen ins Auge. Warum tragen Sie so etwas mit sich herum? Ich nutze meine Tasche auch als Müllbeutel. Das heißt, ich pflege sie nicht so. Das ist natürlich auch ein Zeichen dafür, dass ich latent oberflächlich und lebenslustig bin. Das weiß ich. In welche Handtasche würden Sie gerne einmal einen Blick werfen? Frau Merkels Tasche reizt mich natürlich schon sehr. Sie drückt mit ihren Taschen immer etwas aus. Sie weiß ganz genau, wie sie Accessoires gezielt einsetzen muss. Als sie damals sehr dicke mit Sarkozy war, hat sie zum Beispiel eine Tasche von einem französischen Label mitgenommen, um dem Staat Frankreich ihre Freundschaft zu zeigen.
Verdienen auf schienen Lukas Rösgen verdient sein Geld mit Straßenbahnfahren. Zwei Mal in der Woche fährt der 25-jährige Lehramtsstudent durch Köln. Während er morgens selbst in der Universität lernt, fährt er am Nachmittag mit Tempo an ihr vorbei. TEXt&FOTOsMichelle GoddeMeier
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rei Mal bimmelt es, dann stocken die Reifen auf den Schienen. Ein lautes Quietschen ist zu hören, die Straßenbahn steht. Eine Gruppe von Frauen rennt unbedacht über den Bahnübergang. Vorne in der Fahrerkabine hat Lukas Rösgen die Bremse getreten. Die Frauen machen den Weg frei, Lukas fährt wieder an. Seit mehr als zwei Jahren fährt Lukas, der Geschichte und Latein auf Lehramt studiert, Straßenbahn für die Kölner Verkehrs-Betriebe (KVB). 18 Stunden pro Woche arbeitet er in je zwei Schichten, einmal unter der Woche und einmal am Wochenende. Zu welcher Zeit er fahren möchte, kann er sich meist aussuchen. „Am liebsten nehme ich die Mittelschicht in der Woche, so von 13 bis 22 Uhr“, sagt er. „Meine Kollegen meinen zwar, dann geht der ganze Tag verloren, für mich ist das
aber ideal.“ So kann er die Vorlesungen am Morgen und Mittag besuchen und anschließend arbeiten. Die KVB hatten in einer Anzeige gezielt nach Studenten gesucht. Das machte ihn neugierig, also bewarb Lukas sich. Nach einigen Tests und einem Vorstellungsgespräch wurde er als einer von neun unter rund 90 Bewerbern ausgesucht. Er begann eine zweieinhalbmonatige Ausbildung, die bereits vergütet wurde. Dort lernte er was er tun muss, wenn ein Unfall passiert, und wie die Weichen gestellt werden. Am Ende standen – wie beim Autoführerschein – eine theoretische und eine praktische Prüfung. Als Lukas noch als Kellner jobbte, verdiente er 400 Euro im Monat. „Das Straßenbahnfahren ist deutlich spannender und aufgrund von Urlaubs- und Weihnachtsgeld auch finanziell attraktiver“, sagt er. Jetzt verdiene er mehr als das Doppelte. Der Job ist aber nichts für 36
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jeden. „Man muss stets gelassen bleiben“, sagt Lukas. Wer sich von Verspätungen und ähnlichen Unwägbarkeiten stressen lasse, sei nicht geeignet. Universität und Bahnfahren zu verbinden, ist für Lukas kein Problem, da seine Arbeitszeiten flexibel sind. Wenn die Schichten mit Vorlesungen und Prüfungen nicht zu vereinbaren sind, hat die Uni stets Vorrang. Der Lehramtsstudent sieht aber auch die Nachteile seines Jobs. Drei bis vier Feiertage pro Jahr sind vorgeschriebene Diensttage. „Ich würde schon mal wieder gerne Silvester feiern.“ Nach dem Studium ist das hoffentlich wieder möglich. Denn dann will er mit dem Straßenbahnfahren aufhören. Einige seiner Kollegen haben ihr Studium für eine Vollzeitstelle bei der KVB geschmissen. Lukas hingegen hofft nach dem Referendariat auf eine Stelle als Geschichtsund Lateinlehrer.
Hingeschaut Ein Team. Ein Raum. Eine Stunde Zeit, um zu entkommen. Live Escape Games sind in Deutschland derzeit voll im Trend. Was das ist und ob sich es lohnt – das pflichtlektüre-Team hat es in Dortmund ausprobiert. TEXtlukas hemelt FotoChris Holletschek
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ie Suche der Detektive nach dem Versteck dauerte elf Jahre. Nun endlich haben sie es gefunden: Das Schlupfloch der Casa Moretta, einer berüchtigten Mafia-Familie. Doch – klack. Nein! Die Tür ist zu. Verdammt! Was nun? In einer Stunde kommt der Pate der Casa Moretta zurück. 60 Minuten Zeit, sein Versteck zu durchsuchen und die entscheidenden Beweise zu finden, um den Mafiosi endlich zu schnappen. Die Uhr tickt, denn sonst… Was sich anhört wie ein alter italienischer Mafia-Film, spielt sich mitten in der Dortmunder Innenstadt ab. Mitte März hat das „TeamBreakout Dortmund“ eröffnet. In zwei Räumen können dort Gruppen von zwei bis sechs Personen den Trend ausprobieren: Live Escape Games. Die Besucher werden in einen Raum geschlossen und haben 60 Minuten Zeit, aus diesem zu entkommen. Nur Schlüssel ins Schloss und raus ist hierbei aber zu einfach gedacht: Es gibt Schränke, Schachbretter und versteckte Schubladen. Zahlenschlösser, Zeichensprache und doppelte Böden. Hinweise verbergen sich überall. Haben die Eingesperrten die ersten Beweise gefunden, ist Kombinieren gefragt. Sie müssen Codes knacken, um an die nächsten Puzzleteile zu gelangen. Die Suche nach dem entscheidenden Teil geht weiter, mal stockend, mal schnell. Der Countdown tickt auf einem großen Bildschirm. Wenn das Team nur schleppend weiterkommt, werden hier ein paar Tipps angezeigt. Beim Dortmunder „TeamBreakout“ können sich die Besucher auf 180 Quadratmetern in zwei Themenräume sperren lassen. Neben der Mafia-Jagd in der „Casa Moretta“ geht das auch im Labor „Metall & Pikrinsäure“. Dort hat ein Uni-Professor die
Gäste eingeschlossen und versucht etwas zu vertuschen. Jetzt nur immer cool bleiben. Vierzig Prozent der Wagemutigen schaffen letztlich den Breakout aus den geheimnisvollen Kammern. „Den anderen fehlen meist nur einige Minuten, um das letzte Rätsel zu entschlüsseln“, sagt Geschäftsführer Aurel Jahnke. Das ging auch dem pflichtlektüre-Team so. Insgesamt liegt die Erfolgsquote bei Anfängern höher als bei erfahrenen Escapern. Klingt komisch, ist für Jahnke aber logisch. „Man muss jeden Raum so spielen, als würde man es zum ersten Mal machen“, sagt er und setzt eine gewisse Neugier voraus. „Jeder Raum ist eine blanke Seite, die man von überall betrachten sollte.“ Eine bestimmte Zielgruppe gibt es für ihn nicht. „Wir hatten von zwölf bis 75 Jahren schon alles dabei. Hinterher gab es immer jede Menge Gesprächsstoff.“ In den Räumen begebe man sich auf eine abenteuerliche Reise. Jahnkes Ziel: „Zusammen mit der Hintergrundmusik soll die Stunde zu einem filmischen Erlebnis werden.“ 37
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Hingehen oder zu Hause bleiben? Ausprobieren, denn es macht Bock! Im Zweierteam ist es sehr teuer, mit sechs Leuten und Studentenrabatt halbieren sich die Kosten. Wer sich auf dieses Erlebnis einlässt und die Neugier aus Kindertagen nicht ganz verloren hat, dem werden Live Escape Games gefallen. Allein in Dortmund gibt es noch zwei weitere Anbieter. Auch in vielen anderen Städten des Ruhrgebiets gibt es Escape Games. Was? Eine Stunde Rätsel- und Entdeckungsspaß für Hobby-Detektive Wo? Bissenkamp 11-13, 44135 DO Anfahrt? Ab Hbf, Kampstraße oder Reinoldikirche nur wenige Minuten Fußweg Wann? Montags bis freitags ab 15.30 Uhr im 1,5-Stunden-Takt, letzte Tour um 21.30 Uhr; samstags und sonntags ab 11 Uhr im 1,5-Stunden-Takt, letzte Tour um 23 Uhr; vorher anmelden Wie teuer? Je nach Teamgröße zwischen 23 und 32,50 Euro; Studenten, Schüler und Azubis bekommen 5 Euro Rabatt. Infos: dortmund.teambreakout.de
Abgefahren Ihr wollt Kultur, Action und Abenteuer? Wir gehen mit dem NRW-Ticket bis ans Limit und nehmen euch mit auf eine Reise durch das Ruhrgebiet und darüber hinaus. Diesmal: Knüppelknifte in Bochum. TEXtmartin nefzger Fotolukas hemelt
Wo? Sachs Knüppelknifte, iktoriastraße 55, 44787 Bochum Anfahrt? Mit dem RE oder der S-Bahn zum Hbf Bochum, von dort zu Fuß ins Bermuda-Dreieck Wann? Donnerstag, Freitag und Samstag, sowie vor Feiertagen jeweils von 18 bis 22.30 Uhr Wie teuer? Eine herzhafte Knifte kostet 5,70 Euro, eine süße 5,40 Euro; wer mehr als drei Zutaten möchte, zahlt dafür extra Infos: sachs-bochum.de/knueppelknifte
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m Außenbereich des Restaurants „Sachs“ sitzen die Gäste ums Feuer. Obwohl es leicht regnet, sind alle Tische besetzt. Langsam drehen die hungrigen Besucher ihre Stöcke, die sie ins knisternde Feuer halten. Schließlich soll ihr Brot nicht schwarz werden. Es ist fast wie damals, mit 13 oder 14 Jahren im Zeltlager, als Stockbrot am Lagerfeuer gebacken wurde. Doch hier halten die Gäste ihre Stöcke mitten im Bochumer Bermudadreieck ins Feuer und dank der Gasflammen riecht es auch nicht nach Rauch. Und das Brot am Stiel heißt hier anders: Knüppelknifte, die gesellschaftsfähige Variante des Zeltlager-Klassikers. Gefüllt mit Marinade und verschiedenen Zutaten wie Schinken oder Feta-Käse erinnert das nur noch am Rande an die halb rohen Teig-Klumpen von damals. Die Idee dazu hatten zwei Bochumer. Am Lagerfeuer sitzend kam Erik Schwarzer und Florian Hermann der Gedanke, aus dem normalen Stockbrot eine Geschäftsidee zu entwickeln. Lange suchten sie anschließend nach dem richtigen Konzept, entwarfen besondere
Tische mit Gasflammen in der Mitte und Stock-Halterungen an den Ecken. Dann ging es darum, die passenden Knüppel, also Stöcke, zu finden. Auf die sollte die Knifte, wie man Brot im Ruhrgebiet auch nennt, gesteckt werden. „Das Besondere an den Knüppeln ist die Metallummantelung am Ende. Die wird schnell heiß und so wird die Knifte auch von innen gar“, erklärt Dennis Sachsse, Mitarbeiter im Restaurant „Sachs“ in Bochum. Dort stehen die Feuer-Tische seit eineinhalb Jahren. Die luxuriöse Stockbrot-Variante ist einfach und schnell bestellt. Jeder Gast bekommt einen Zettel, auf dem er sich seinen Brotteig, die Marinade und die Zutaten aussuchen kann. Ist alles angekreuzt, geht es für das „Bestellformular“ ab in die Küche. Fertig gewickelt kommt kurze Zeit später die Knüppelknifte an den Tisch. Dann backt jeder sein Brot selbst – ganz wie es sich für echte Lagerfeuer-Romantiker gehört. Auch wenn Halterungen für die Knüppel das ganze etwas erleichtern, muss man doch extrem 38
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aufpassen, damit das Brot nicht schwarz wird. Immer schön drehen ist angesagt, sonst wird aus der Knüppelknifte nur allzu schnell eine Kokelknifte. „Es geht ja sowieso nicht nur ums Essen“, sagt Dennis Sachsse. „Im Vordergrund steht das kumpelhafte Zusammen-amFeuer-Sitzen.“ Jedoch sei für alle Kumpels da draußen erwähnt: Auch wenn sie wirklich lecker sind, satt macht so eine kleine Knifte noch lange nicht. Der bisherige Rekord liegt bei stolzen sieben Stück: Fünf herzhafte und zwei süße Kniften vertilgte ein Gast damals. Mit über fünf Euro pro Stück ein nicht ganz billiges Vergnügen, das sich aber durchaus lohnt. Wer sich selbst seine eigene Knüppelknifte schmecken lassen möchte, kann das nicht nur in Bochum tun. Auch in Essen in der Zeche Carl stehen die Feuer-Tische, die ebenfalls vom Inhaber des „Sachs“ betrieben werden. In beiden Restaurants ist allerdings Planung angesagt: Wer einen Tisch ergattern will, muss reservieren. „Teilweise sind wir schon zwei Wochen im Voraus ausgebucht“, sagt Sachsse.
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