5 minute read
Lesezeit
Teil 3 unserer neuen Kurzgeschichte Hochwürdens Ende
Advertisement
von Ralph D. Wienrich
Wie oft haben Sie das Beichtgeheimnis verletzt und somit die Gläubigen an die Obrigkeit verraten?” Entsetzt riss Don Fernando die Augen auf. Was wussten die Eindringlinge über seine doch sehr eigenmächtige Auslegung des Beichtgeheimnisses, das er ja auch gegenüber den niederen Ständen zu wahren hatte? „Ich habe vor 25 Jahren nur in einem einzigen Fall für Recht und Ordnung gesorgt, sorgen müssen“, log er. “Und dabei sieben, insgesamt sieben weitere unschuldige Männer in Muro verraten und an den Galgen gebracht, war es nicht so? Darunter war auch mein Cousin, Juan Miguel Pons, der Ihnen seine Not gebeichtet hatte, bei der unglücklicherweise der ihn angreifende Täter zu Tode kam, nur weil mein Cousin sich mutig verteidigt hatte“. Mit vor Angst erstarrten Blick nickte Don Fernando Ruíz schließlich mehrmals mit dem Kopf, dann flüsterte er: “Ja, es war so“.
Folter für Hochwürden In einem verschlossenen Schrank fanden die Männer eine stattliche Truhe voll Goldmünzen. Miguel und Antonio schütteten einen Teil dieses Goldschatzes auf die große Tafel: “Ein beachtlicher Judaslohn“, höhnte Miguel und begann in diesem Augenblick langsam an der Garotte zu drehen. Fahrig, von panischer Angst getrieben, bewegte Don Fernando seine Arme unkontrolliert über dem Gold hin und her. Seine Augen begannen, als wären sie Gier gesteuert, ihm langsam aus dem Kopf zu quellen. Mit jeder weiteren Drehung an der Garotte begann Don Fernando seinen Kopf verzweifelt nach rechts und links zu drehen. Das Atmen fiel ihm immer schwerer und auch das Sprechen war nur noch ein panisches Gurgeln. Rafael und Antonio hatten inzwischen die beiden mitgebrachten Olivenstämme auf dem Holzfußboden zu einem stabilen Kreuz zusammen gezimmert. Zu viert hoben sie nun Don Fernando aus seinem bequemen Lehnstuhl und legten ihn unter heftiger Gegenwehr schließlich auf das doch recht unbequeme Kreuz. Antonio, der den ersten Nagel schlagen sollte, hatte neben sich, auf dem Boden, ein Kruzifix liegen. Dann ging alles sehr schnell. Nachdem Hochwürden auf das Kreuz genagelt worden war beendete die Garotte rasch das Leben dieses Verräters.
Gekreuzigt Es waren wieder fünf Gemeindemitglieder, die an diesem frühen Dienstagmorgen darum wussten, warum Hochwürden nicht, wie sonst üblich, die heilige Messe lesen würde. Nur sie wussten, wie das Pack mit dem Geistlichen verfahren war und entschieden hatte, sich nicht mehr länger von der Kanzel herab beschimpfen und bedrohen zu lassen. Als schließlich wenig später der Küster mit hysterischem Geschrei in die Pfarrkirche gestürzt kam, ahnte auch der Rest der Gemeinde, dass etwas Fürchterliches geschehen sein musste. „Er liegt“ japste der Küster abgehackt und nach Luft schnappend, “Hochwürden liegen auf frischem Olivenholz gekreuzigt auf ihrem Bett, gekreuzigt wie der Herr, gekreuzigt…..gekreuzigt… und in seinem Mund“ er rang nach Fassung, „in seinem Mund das Kruzifix mit dem Herrn“. Am Ende seiner Kräfte warf sich der Küster vor den Altar und beklagte laut den Tod von Don Fernando Ruíz, der über Jahre in Artà für katholische Ordnung gesorgt hatte.
Artà in Aufruhr Von Stund‘ an war Artà in Aufruhr. Im Stadtpalast Cas Marques, der Markgrafen del Bellpuig, denen mehr als die Hälfte des Gebietes von Artà gehörte, wurde die Jagd auf die Mörder des Geistlichen organisiert. Besonders auf den Artà umgebenden Landsitzen Can Canals, Es Roco, Sa Badaia, sowie dem befestigten Landsitz Son Morei Vell mit seinem gewaltigen Wehrturm nebst Kapelle, herrschte aufgeregte Wachsamkeit. Und Abend für Abend trafen sich die Großgrundbesitzer und Adligen in ihren Stadtpalästen, um über ihre Machterhaltung zu beraten, die sie gerade noch einmal mühsam gegen die türkische und maurische Piratenplage verteidigen konnten. Sollte schlimmeres vermieden werden, so mussten die Mörder des Priesters rasch unschädlich gemacht werden. Beunruhigt nahmen sie zur Kenntnis, dass in der gesamten Region über Nacht elf einflussreiche Männer aus ihren Palästen verschwunden und obendrein noch mehrere Vorratsspeicher geplündert worden waren, ohne dass auch nur ein Verdächtiger gefasst werden konnte.
Segeln in die Freiheit Zwar waren den Herrschenden in Artà die Namen all derer bekannt, denen der Tod des Geistlichen angelastet werden konnte, hatten die sich doch alle mittlerweile aus Artà in die Berge zurückgezogen. Aber erst nach der endgültig erfolgreichen Abwehr der türkischen und maurischen Piraten wurde es für die Bruderschaft Ses Paises in deren bis dahin sicheren Verstecken gefährlich. Als Juan Serra Mestre auch noch von der Festsetzung des inzwischen 15-jährigen Messdieners erfahren hatte, der seinerzeit die alles auslösenden Beschimpfungen der Campesinos durch Don Fernando verbreitet hatte, da ahnte er, wann dieser über das Wenige, das er über die Bruderschaft wusste, reden würde. Und so begannen sie wohl oder übel die Frage zu besprechen, wie sich
die Bruderschaft mit all ihren Frauen und Kindern dem eines Tages drohenden Zugriff der Obrigkeit und somit dem sicheren Tod entziehen könnte. Aus einem Gespräch mit einem sich in ihrer Gewalt befindenden Familienmitglied der Bellpuig war Juan Serra Mestre bekannt, dass im Hafen von Alcúdia zwei seetüchtige Segler der Markgrafen vor Anker liegen würden. Zu Juans Erstaunen kam von dem Adligen ein überraschender Vorschlag. Er bot einen Handel Leben gegen Leben an. Unter der Zusicherung, ihr Leben nicht gegenseitig zu gefährden, würde er die Bruderschaft in sicheren Nachtmärschen nach Alcúdia begleiten und ihnen dort, gegen das Versprechen, ihn wieder zu seinen in den Bergen gefangenen Standesgenossen zu entlassen, die beiden Segler übergeben. Es war ein Marsch des Abschieds und der schweren Herzen in ein neues unbekanntes Leben. Juans Ziel war der katalonische Teil im Süden Frankreichs, nur einen „Steinwurf“ entfernt von Mallorca, ihrer Heimat…
Ralph D. Wienrich
Historischer Hintergrund Im Jahre 1523 führte Joanot Colom auf Mallorca eine Bruderschaft in den Kampf gegen die Großgrundbesitzer und den allmächtigen Adel. Sein Ziel war es, die erbärmliche Lage der Sklaven und der Landarbeiter zu verbessern. Aber die königlichen Truppen schlugen den Aufstand nieder und Colom wurde für Monate in den Kerker des Castell Bellver gesperrt. Schließlich wurde er geköpft und sein Körper zur Vierteilung durch die gesamte Stadt bis zur Porta Pintada, nahe der heutigen Plaça d Espanya geschleift.