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Interv. mit Paul Zabel

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Erlebnis Kino

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Der Deutsch-Mallorquiner Paul Zabel (53) ist seit Mitte des Jahres Präsident des renommierten Programmkinos CineCiutat auf dem ehemaligen Gelände des Schlachthofs s’Escorxador in Palma und leitet eine eigene Sprachenschule in Cala Millor. Der Trägerverein des Kinos, Xarxa Cinema, mit heute rund 750 Mitgliedern, dem er vorsteht, wurde 2021 nach wirtschaftlichen Problemen des Cine Renoir und etlichen Konkursen anderer Kinos gegründet und fand als erstes Mitgliederkino auch internationale Beachtung. Paul Zabel und sein Vorstandsteam setzen seither auf ein OmU-Programm (Original mit Untertiteln) als sprachliche Alternative zu den spanischen Mainstream-Kinos. EL AVISO sprach mit dem in Artà lebenden Paul Zabel über die Zukunft der Kinos.

EL AVISO: Haben Sie als Kino die Pandemie gut überstanden? Paul Zabel: Ja, wir haben sie überstanden, es gibt uns noch (lacht). Es war schwierig, denn wir mussten wie alle Kinos einige Monate schließen. Wir hatten eine Crowdfunding-Aktion ins Leben gerufen, die uns wesentliche technische Änderungen auch entsprechend der Corona-Auflagen ermöglicht hat und wir konnten schließlich im Juli früher öffnen als die anderen. Das hat uns geholfen schneller über den Berg zu kommen, auch wenn wir jetzt noch finanziell an Corona zu tragen haben. Generell haben wir einen Vorteil gegenüber den anderen Kinos, wir sind ja ein Mitgliederkino, meines Wissens das erste in Europa, und haben die Mitgliedsbeiträge zur Teilfinanzierung. Das werden wir auch soweit möglich weiter ausbauen, es startet gerade eine Mitgliederkampagne.

EA: Die Entstehung des CineCiutat war ungewöhnlich… PZ: Es war zunächst ein Kino der Renoir-Kette und wurde im Mai 2012 als eines von vielen Kinos in Spanien aufgegeben. Am letzten Tag riefen Freunde des Kinos über die sozialen Netzwerke zu einem Abschiedstreffen auf. Einer der Anwesenden hatte eine Kontaktliste vorbereitet und machte den Vorschlag, das Kino zu retten. Die Liste wurde viele Male kopiert. Nach gut zwei Wochen emsigen Treibens fand eine Gründungsversammlung des Vereins Xarxa Cinema mit – für Mallorca von der Zahl her ungewöhnlich – etwa 300 Leuten statt. Das Kino öffnete nach zwei Monaten wieder. Zuvor war noch die Frage, unter welchem Namen. Renoir konnte das Kino nicht heißen, weil es weiterhin das Unternehmen gab. Die Idee war CineCiutat. Ciutat ist der mallorquinische Name für Stadt und im Sprachgebrauch auch für Palma, zudem ist CineCiutat eine Anspielung auf das Wort Cinecittà, diesem berühmten italienischen Filmstudio-Komplex in Rom, wo unter anderem die italienischen Regisseure Luchino Visconti, Federico Fellini oder Sergio Leone ihre Filme drehten.

EA: Es gab lange eine Diskussion um die Mietkosten… PZ: Das Mietkostenproblem haben wir seit Anfang des Jahres nicht mehr. Das Gelände des ehemaligen Schlachthofs s’Escorxador ist ja Eigentum der Gemeinde in Palma. Die Geschäfts- und Veranstaltungsräume wurden lange Zeit von dem halbstaatlichen Unternehmen Mercasa betrieben, das von den Mietern horrende Preise verlangte, woran mehrere Lokale zu Grunde gingen. Auch wir haben als CineCiutat eine sehr hohe Miete bezahlt, was unser größtes Problem war. Im Dezember 2021 ging die Konzession von Mercasa zur Vermietung wieder zurück an die Gemeinde. Irgendwann einigte man sich dann, anstelle einer Miete uns die Räumlichkeiten mietfrei zu überlassen, aufgrund unserer Besonderheit als Programm- und vor allem gemeinnütziges Mitgliederkino. Die Nebenkosten tragen wir, die sind auch noch beachtlich (lacht). Einzelne Förderungen helfen darüber hinaus, vom Kultusministerium und der EU.

EA: Rückläufige Besucherzahlen insgesamt, auch auf Mallorca. Was bieten Sie an Filmen, auch angesichts der hiesigen Markt- und Konkurrenzsituation? PZ: Stimmt, die Zahlen gehen insgesamt zurück. Bei uns weniger, allerdings müssen wir noch die Entwicklung nach der Pandemie abwarten. Wir differenzieren uns durch die gezeigten Filme, Originale mit Untertiteln, und auch Filme, die in wenigen Kinos laufen. Wir haben ein entsprechendes Publikum, das sich für internationale Filme außerhalb des Mainstream-Kinos interessiert. Dabei werden wir uns voraussichtlich darauf einstellen müssen, neben den Streaming-Portalen wie Netflix, HBO oder in Spanien Filmin leben müssen. Mit unterschiedlichen Aktivitäten wollen wir das Kino noch attraktiver machen: Wir bieten Schulen Klassenausflüge in unser Kino an, um den Jugendlichen Kino nahe zu bringen, mit einer Führung und Erklärungen zur Filmgeschichte. Samstags haben wir jeweils um 11.00 Uhr eine Aufführung mit dem Namen CineNins, und zwar für Kinder, die von Freiwilligen betreut werden, damit parallel in einem anderen Saal die Eltern ihren Film sehen können.

EA: Was ist für Sie das Besondere am Kino? PZ: Eine gute Geschichte zu sehen, zu hören, zu erleben, und die besondere Form, die die Konzentration auf die Leinwand erfordert, ohne Ablenkung selbst mitten in der Geschichte zu sein. Bei uns kommt noch ein besonderes Gemeinschaftsgefühl hinzu, viele Kinobesucher kennen sich. Es ist somit bei uns einfacher, Bekannte und Freunde zu treffen, unter den Kinobesuchern oder auch bei den Angestellten. Da wird dann auch schon mal anschließend über den zuvor gesehenen Film gesprochen.

EA: Zum Überleben brauchen Sie aber auch MainstreamFilme? PZ: Das kommt auf die Definition von Mainstream an. Wir brauchen schon Filme, die für ein größeres Publikum interessant sind. Was wir nicht wollen, sind Filme wie The Transporter oder kommerzielle Action-Filme. Aber wir haben schon Filme wie Bullet Train mit Brad Pitt, Elvis von Baz Luhrmann, Oscar-prämierte Filme wie Coda von Siân Heder, Parasite von Bong Joon-ho, oder Arrival von Denis Villeneuve, ein kanadischer Regisseur,

der auch Blade Runner 2049 gedreht hat. Wir haben The Revenant – Der Rückkehrer gezeigt, für den Leonardo DiCaprio den Oscar erhielt. Zurzeit läuft der neue Film Bardo, die erfundene Chronik einer Handvoll Wahrheiten des selben Regisseurs, Alejandro González Iñárritu.

EA: Inwieweit sind Sie eine auch multikulturelle Begegnungsstätte? PZ: Wir arbeiten auch gerade an einem CineClub. Das heißt, die Clubmitglieder sehen sich einen Film an, bleiben im Kino oder treffen sich irgendwo und sprechen darüber. Schon heute haben wir Uraufführungen eines Films und der Regisseur oder ein Schauspieler kommen, um mit dem Publikum darüber zu diskutieren. Wir hatten schon sehr bekannte Leute bei uns wie Ken Loach, Til Schweiger, Joseph Fiennes oder Oliver Stone, der ein Buch präsentierte. Wir haben dazu seinen Oscar-Film Platoon in drei von unseren vier Sälen gleichzeitig gezeigt und mit ihm diskutiert. Nicht zu vergessen: dabei sind wir multikulturell durch unsere Original-Filme, es kommen Deutsche, Engländer, Franzosen und Menschen anderer Nationen.

EA: Es gibt vergleichbare Kinos in den USA. Da gehört ein Biergarten, ein Restaurant oder ein Erlebniscenter mit entsprechendem Umsatz zum Erfolgskonzept. Was halten Sie davon? PZ: Das wäre schön, das würden wir auch gerne machen. Theoretisch hätten wir die Möglichkeit, mit einem Raum, der an unsere Säle anschließt, aber nicht direkt zum Kino gehört. Da könnten wir bewirten, diskutieren, präsentieren und es wäre auch ein idealer Eingangsbereich. Wir bewerben uns gerade um diesen Raum, der derzeit noch ein Restaurant ist. Der Mieter hat mit uns ein gutes Verhältnis, ist aber in Konflikt mit der Gemeinde.

EA: Früher hatte das Knacken und Knistern einer Filmrolle einen besonderen Charme, kann das hochentwickelte Technik ersetzen? PZ: Der beschriebene Charme leider nicht, der wird auch nicht wieder entstehen. Die Atmosphäre des Kinosaals mit bequemen Sesseln hingegen bleibt, und es läuft inzwischen alles digital, das heißt Bildqualität und Hörschärfe sind besser. Mit der Digitalisierung ist zudem vieles einfacher geworden: Filme zu transportieren, es wird nicht mehr so viel Lagerplatz für Filmrollen gebraucht, die Brandgefahr ist geringer. Ob das alles notwendig ist, kann man sicherlich hinterfragen, weil natürlich auch die modernen Vorführgerate, die DCP-Geräte, empfindlich sind und nicht immer funktionieren. Es passiert nicht oft, aber vor 14 Tagen mussten wir ausgerechnet an einem Samstagabend eine Filmvorführung absagen. Der Techniker ist dann direkt am nächsten Morgen eingeflogen und die Reparatur dauerte eine halbe Stunde, aber der Samstagabend zuvor war ausgefallen.

EA: Inhaltlich gesehen: Welche Filme haben Zukunft? PZ: Die, die wir zeigen (lacht). Einerseits sicherlich die großen Hollywood-Produktionen, und dann die Filme, die etwas erzählen, etwas mitteilen, die werden überleben und beispielsweise bei uns gezeigt. EA: Welche Rolle spielt die Verwertungskette? PZ: Eine nach wie vor große Rolle. Aber da hat sich schon etwas geändert, zum Beispiel, dass Netflix schon mal einen Film, vorher, gleichzeitig oder sehr nah am Kinostart zeigt. Das macht uns das Leben schwerer. Früher war es ja so, dass Filme zunächst mal einige Wochen im Kino gezeigt wurden, dann auf Video ausgeliehen werden konnten und ganz zuletzt im Fernsehen zu sehen waren. Dabei kommt es aber auch auf die Art der Filme an. Ich glaube schon, dass unser Publikum zu einem Hauptteil Filme viel lieber zuerst im Kino schaut. Meine Frau und ich haben auch eine der Streaming-Plattform abonniert, aber nur deshalb, weil wir mit in der Regel zwei Kinobesuchen in der Woche nicht nachkommen und einige Filme dann zuhause schauen.

EA: Die Organisatorin des Evolution Filmfestivals Sandra Seeling-Lipski hat mir 2019 (Interview EL AVISO 11/2019) gesagt, für Kinos bleiben in zehn Jahren nur die Festivals und die Blockbuster… PZ: Ich würde das nicht so sehen, denn ich glaube daran (lacht), dass es unsere Art von Kinos weiterhin geben wird. Blockbuster ja, in den Mainstream-Kinos, aber eben auch die Filme in den Programmkinos. Festivals auch, aber eben nicht nur. Wir selbst beherbergen ja bei uns einige Festivals, unter anderem Sandras Evolution Festival.

EA: Das Kino muss sich zumindest in Teilen neu erfinden. Wo geht die Reise in Zukunft hin, einige Kinoexperten sagen, hin zum 3D-Kino? PZ: Die Reise wird weiterhin bestimmt durch einerseits eine Differenzierung der Art der Filme, andererseits durch die Aktivitäten wie unserem CineClub mit anschließendem Gespräch, durch Festivals und so weiter. Ich wünsche mir schon mehr Präsenz außerhalb von Palma, aber das muss ich noch mit dem operativen Kollegen besprechen, wie man das umsetzen kann. Möglich ist, dass 3D einer der Zweige wird, mit dem sich bestimmte Kinos behaupten können. Ich glaube aber nicht, dass das etwas für uns ist. Allein die Finanzierung wäre mit Fragezeichen versehen.

EA: Wie sieht bei Ihnen die aktuelle Programmplanung aus? PZ: Wir bekommen jede Woche zwei neue Filme, die jeweils ab Freitag laufen. Der Programmierer versucht auch aktuell mit den Vorführterminen auf die Nachfrage zu reagieren. Entscheidend sind dabei die Zuschauerzahlen am ersten Wochenende. Hinzu kommt, wir haben mehr Filme, als Säle. Es ist also immer ein kleines Kunststück, dem Publikum das zu bieten, was es zu bestimmten Zeiten gerne möchte. Der deutsche Film „Im Westen nichts Neues“ hatte kürzlich beispielsweise eine sehr gute Resonanz. Zum Programm geben wir jeweils freitags einen Newsletter heraus, der kostenlos abonniert werden kann. Wir freuen uns natürlich auch über neue Mitglieder. Die Jahresgebühr beträgt 100 Euro, Senioren und Schüler zahlen weniger.

EA: Ihr Filmtipp für Weihnachten? PZ: Zum Beispiel „Das Menü“ mit Ralph Fiennes und Anya Taylor-Joy, eine Horror-Satire rund um einen extremen Küchenchef und seinen kulinarischen Albtraum.

 Das Gespräch führte Frank Heinrich

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