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Zu Besuch beim Kerzenzieher

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Die Kunden geben sich buchstäblich die Klinke in die Hand in der Cerería La Real in Palma. Drei Leute passen in das kleine Geschäft und manchmal bildet sich eine Schlange davor. Aber María Ángeles Palacios nimmt sich trotzdem für jeden einzelnen Zeit. Schließlich verkauft sie hier nicht nur Kerzen und Devotionalien, sondern sie hört vom Glück und Unglück der Menschen. Die meisten von ihnen sind auf dem Weg in die Kirche. Die Iglesia de la Sang ist nur ein paar Schritte entfernt und dort entzünden sie ihre Kerzen, um mit Gottes Hilfe kleine und große Anliegen zu klären. Die einen bitten um Genesung, andere um Kindersegen oder um den Sieg ihrer Fußballmannschaft. Wer sich in dem Laden in Ruhe umschaut, entdeckt an den Wänden und Vitrinen alles, was das Herz oder besser gesagt der Glaube begehrt: Medaillons, Duftstäbchen, Räucherutensilien, Engel, Fächer, Kerzenhalter, Rosenkränze, Heiligenbilder. Eine Figur, der Cristo de la Sangre, darf sogar nur hier verkauft werden. Aber die eigentlichen Verkaufsschlager sind die Kerzen. Aufgereiht liegen die knapp ein Meter langen Wachslichter nebeneinander, je nach Umfang zu einem Preis von 1 Euro bis 80 Euro. Gezogene Kerzen erkennt man an ihren Ringen Jede einzelne von ihnen ist von Hand geschöpft, produziert in der familieneigenen Manufaktur von Guillermo „Guiem“ Ramis Carbonell. Es sind die letzten professionellen Kerzenzieher auf Mallorca. „In ganz Spanien gibt es nur noch drei, die dieses Handwerk ausüben“, sagt Guiem. Die kleine „Fabrik“ der Familie liegt am Stadtrand von Palma. Hier werden seit 124 Jahren Kerzen hergestellt. „Den größten Absatz haben wir natürlich für die Semana Santa“, erklärt der Chef. Aber auch an Weihnachten und zu Neujahr ist die Nachfrage groß. Die Cerería La Real beliefert die HauptstadtKathedrale La Seu und die Iglesia de la Sang mit Altarkerzen, nimmt Bestellungen von anderen Kirchen für besondere Festtage entgegen und produziert für Hochzeiten sowie für die prunkvolle Ausstattung der Bar Abaco. Von Hand geschöpfte Kerzen sind wegen ihrer längeren Lebensdauer begehrt. Die großen Altarkerzen beispielsweise brennen in einer Stunde gerade mal einen Zentimeter runter. „Man erkennt die gezogenen Kerzen an der Maserung im Querschnitt am unteren Ende“, verrät Guiem. „Wie beim Baum Jahresringe zu erkennen sind, so zeigen sich bei der Kerze die Ringe von den unterschiedlichen Tauchgängen.“ Recycling hilft beim Überleben Im Vorraum der Werkstatt lagern Säcke voller Kerzenreste, die in einem Bottich zu flüssigem Wachs verschmolzen werden. Um nachhaltig und preiswert produzieren zu können, wird bei La Real das Material recycelt. „Nur so können wir überhaupt mit maschinellen Herstellern konkurrieren“, sagt Guiem. Aus den heruntergebrannten Opferkerzen und den Überbleibseln der Prozessionen entstehen nach der Reinigung des Wachses neue Kerzen. Dass das Endprodukt gelb ist statt weiß, hat nur bedingt mit der Mehrfachnutzung zu tun. „Bis vor rund 100 Jahren waren die Kerzen in den Kirchen aus Bienenwachs, hatten also diese gelbe Farbe, die wir aus Traditionsgründen beibehalten“, erläutert Nicolás Ramis Cuenca, der in der Werkstatt am Tauchbecken steht. „Wir färben das weiße Paraffin mit einer Prise Farbstoff ein – so wie der Safran die Paella färbt.“ Bunter wird es nicht bei La Real. Die farbigen Kerzen, die in ihrem Geschäft verkauft werden, beziehen sie von einer Partnermanufaktur in Valencia. In Palma bleibt alles wie es war. Mit Nicolás, dem Schwager von Guiem, hat die vierte Generation der Familie die Produktion der Kerzen übernommen. Der Seniorchef hat sich vor drei Jahren aus der Fertigung zurückgezogen. „Ich bin froh, dass ich das nicht mehr machen muss. Die Arbeit geht auf den Rücken.“

Die letzten

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Kerzen ziehen ist wie Mus-

Kerzenmacher keltraining Wer die Gelegenheit bekommt, Nicolás bei der Arvon Mallorca beit zuzuschauen, begreift auch sofort, warum es hier kräftige Schultern braucht. In der Adventszeit verspricht schimmerndes Kerzenlicht ein Stückchen Die Gerätschaft, mit der die Glück, weil es schöne Erinnerungen wachruft. Gläubige zünden das ganze Jahr über in der Kirche ihr Opferlicht an. Mit Kerzen verbinden die Kerzen ins Becken getaucht werden, erinnert an eine Pulldown-Maschine aus dem Menschen Geborgenheit und Hoffnung. Wenn sie auch noch handgeschöpft Fitness Center. An einem und nachhaltig produziert werden, trifft das den Nerv der Stunde. Auf zur hölzernen Karussell, das wie Cerería La Real, der letzten verbliebenen Kerzenmanufaktur auf Mallorca. ein Wagenrad an der Decke hängt, sind acht Bretter für je 30 Kerzen befestigt, die über Zugseile mit Gewichten beschwert sind. Sieben Mal wird jedes Brett für einen Tauchgang nach unten gezogen, 30 Mal wird das Karussell gedreht für den nächsten Tauchgang. Bis die Kerzen die richtige Stärke haben, musste Nicolás also 1.680 Mal die Zugmaschine betätigen. Jetzt im Winter geht es ein wenig schneller, weil das Wachs zähflüssiger ist und besser anhaftet. Im Sommer, wenn das Material wegen der Temperaturen kaum aushärtet zwischendurch, dauert die Prozedur länger. Wieder gießt Nicolás Wachs nach, das er aus den Kesseln im Vorraum schöpft. In dem Tauchbecken aus Stein wird das Wachs dank eines Rohrleitungssystems flüssig gehalten, durch das heißes Wasser fließt. „Früher war hier unterirdisch eine Feuerstelle, die mit Holz beheizt wurde, da war es weitaus schwieriger, eine konstante Temperatur zu halten“, erinnert sich Nicolás. Einzelstücke für die Semana Santa Wie viele Kerzen sie pro Jahr produzieren, haben weder Guiem noch Nicolás je gezählt. Rund 250 schlanke Kerzen schafft man pro Tag, von den dickeren Exemplaren werden 100 Stück in drei Tagen fertig. Für sämtliche Varianten hängen Loch-Schablonen an der Wand, mit denen die Stärke überprüft wird. Im Gegensatz zu der Standardproduktion werden die Kerzen für die Semana Santa einzeln per Hand gefertigt. Für die eckigen oder blumenförmigen Gestalten der sogenannten Hachas, die sich auch in der Hitze vieler Kerzen nicht verbiegen, gibt es besondere Schablonen.

Sie sind außerdem mit dickeren Dochten ausgestattet, damit während der Prozession die Flamme nicht erlischt. „Bis zu 700 Hachas stellen wir jährlich her, dafür brauchen wir zwei bis drei Monate.“ Früher wurden bis zu 3.000 Stück gebraucht, aber der Bedarf ist in den letzten Jahren stark gesunken.

Routine als Erfolgsrezept Seit 1899, als die Manufaktur den Betrieb aufnahm, hat sich im Fertigungsprozess kaum etwas geändert. Die Bottiche, in denen früher über Holzfeuer das Wachs geschmolzen wurde, werden heute mit Gas befeuert. Bis vor einem halben Jahrhundert begossen die Kerzenhersteller die Dochte mit Wachs, statt sie einzutauchen. Aber mehr Neuerungen haben nicht Einzug gehalten in der kleinen Werkstatt. Nicolás genießt die Routine und die meditative Stille bei der Arbeit. Morgens um fünf Uhr liefert er die Kerzen für den Laden aus und geht dann einem besonderen Dienst nach: In der Kirche De la Sang ist er für die Opferkerzen verantwortlich. Denn seit der Kerzenaltar aus Sicherheitsgründen hinter Glas geschützt wird, können die Gläubigen entweder nur elektrische Lichter aufleuchten lassen oder ihre Wachskerzen in einem Fach hinterlegen. Nicolás hat die Aufgabe übernommen, sie jeden Morgen in der dazu vorgesehenen Nische aufzustellen und zu entzünden. Anschließend fährt er in die Werkstatt und macht sich daran, die Kerzenration des Tages zu produzieren. Seit 27 Jahren steht Nicolás am Tauchbecken und stellt Kerzen her. Altmeister Guiem begann im Alter von fünf Jahren in der Werkstatt mitzuhelfen. Dessen Vater hatte Kerzen produziert, bis er 82 Jahre alt war. So schnörkellos wie die handgemachten Kerzen der Cerería sind, so nüchtern erklärt Nicolás das Geheimnis der langen Familientradition: „Die Tätigkeit muss einem gefallen, sonst ist es langweilig.“ Apropos: Als Service können sich Kunden auch eigene Behältnisse (Schalen) mit Wachs und Docht als Kerze füllen lassen.

Kerzenladen Cerería La Real Plaça Hospital 2 (La Sang) in Palma Öffnungszeiten: Mo-So 8-13 und 16-20 Uhr

 Christiane Sternberg Fotos: Marcos Gittis

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