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Ungers Krebs Teil 6
Aus dem Roman “Wie viel ist ein Leben wert?”
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von Ralph D. Wienrich
Mit zufriedener Miene legte Sven jetzt seinerseits das Besteck auf den edlen Teller zurück, wischte sich mit der Damastserviette über den Mund, ergriff sein Weinglas, erhob es, nickte zunächst verbindlich dem Professor und erst danach dem Institutsleiter mit einem verkniffenen Lächeln kurz zu. Dann sagte er zu beider Überraschung: „Stimmt. Sie haben Recht. Mit jedem Wort, das Sie mir soeben an den Kopf geworfen haben. Aber bitte verstehen Sie auch mich, mein Verhalten. Mir macht dieser rote Punkt, wie gefährlich er aus Ihrer Sicht auch immer sein mag, keine Angst, keine Sorgen. Es ist mein Gefühl, mein mich bisher noch nie in die Irre geführt habendes Gefühl. Verstehen Sie? Es ist da nichts, was mir Angst einflößt oder mich beunruhigt. Jeder lebt, solange er leben soll. Haben Sie Seneca gelesen? Er sagt, dass sich der Tod unter dem Namen des Lebens verberge. Ist was dran, oder? Meine innere Ruhe also ist durch die Diagnose von Dr. Schneider nicht erschüttert worden. So gesehen verstehe ich diesen ganzen Aufwand, den Sie mit mir bisher betrieben haben – und noch weiter betreiben wollen – überhaupt nicht. Und wenn mir dann auch noch 1.500 Euro Taschengeld täglich nur dafür geboten werden, damit ich in Ihrem Institut brav den Patienten oder vielleicht doch nur das Versuchskaninchen spiele, dann können Sie von mir ja nur Argwohn und Ablehnung erwarten. Eines ist für mich sicher, und bitte fragen Sie mich nicht, warum das so ist, aber dieser kleine rote Punkt wird mich nicht umbringen. Wäre ich argwöhnisch veranlagt, würde ich eher befürchten müssen durch die Umstände, die meine Erkrankung mit sich bringt, ums Leben zu kommen. Aber lassen wir das.”
Ich lebe mein Leben – jetzt Sven schaute in die Runde und sagte dann etwas leiser und mehr zu sich selbst: „Diese Gewissheit trage ich in mir, ohne darüber meine Sterblichkeit zu vergessen. Aber ich muss mich nicht auf ein knappes Leben einstellen! Und ich werde nicht zu jenen gehören, die erst im Alter auf die Idee kommen, ihr Leben zu leben, wenn es für die meisten bereits an der Zeit sein wird, ihren Abschied von dieser Welt zu nehmen.” Sven machte eine Pause. In Gedanken versunken drehte er sein Weinglas abwechselnd einmal links, einmal rechts herum. Abschätzend, mit leicht zur Seite geneigtem Kopf nahm er den Institutsleiter erneut ins Visier: „Werfen Sie hier nicht fahrlässig einen Haufen Geld zum Fenster hinaus, das für die Forschung sinnvoller verwendet werden könnte, Doktor?” Professor Bertram holte bereits tief Luft, um wissenschaftliche Überzeugungsarbeit leisten zu wollen, als ihn König mit einer leichten Handbewegung zur Zurückhaltung aufforderte. „Für die Forschung, lieber Herr Unger, ist es nie zum Fenster hinaus geworfenes Geld, wenn die erhofften Ergebnisse auch erzielt werden.” Sven stutzte überrascht und sah abwechselnd den Professor und dann Dr. König an. „Für die Forschung erzielt werden?”, fragte er gedehnt. „Was macht Sie so sicher, das Ergebnis auch tatsächlich erzielen zu können. Um was geht es bei mir in erster Linie? Um meine Gesundheit oder um Ihre Forschung?“ Unger schaute in die Runde, um dann die entscheidende Frage zustellen: „Und um was für ein Geheimnis in meinem Blut geht es Ihnen überhaupt“? Jetzt schaltete sich blitzschnell Professor Bertram ein, ohne König auch nur die Chance einer Antwort zu lassen: „Herr Unger. Kommen Sie erst einmal zu uns – zunächst für ein, zwei Wochen, dann werden wir bereits mehr wissen”, schloss er das Gespräch, das für ihn jetzt in eine nicht erwünschte Richtung abzugleiten drohte. News aus New York Ein neckischer Hahnenschrei ertönte aus Svens Handy und meldete ihm so ein Gespräch aus Übersee. Sein ehemaliger Assistent in New York, Jakov Rosenberg, signalisierte ihm so eine brisante Neuigkeit und gemahnte ihn damit zu genereller Vorsicht. Dennoch blieb Sven am Tisch sitzen, und nahm das Gespräch mit einem knappen „Ja, bitte“ an. „Scarlese sucht dich, er will dich dringend sprechen, was soll ich ihm sagen?“ Scarlese, jetzt schon, schoss es Sven durch den Kopf, der aber die Ruhe bewahrte. „Wo bist du“, fragte er, statt die Frage zu beantworten. „Wo schon, noch in der Bank. Ich wickle hier mit ab, eine einzige Katastrophe sage ich dir. Die Strecke wird immer länger…“ „Was heißt das, die Strecke…“ „Na, die sich bisher die Kugel gegeben oder den Strick genommen haben, fünf insgesamt“. Aus dem Augenwinkel beobachtete Unger seine beiden Gesprächspartner und schwieg. „Bist du noch da? Was machen wir jetzt mit Scarlese? Ich kann den nicht mehr lange hinhalten, der will die Kohle seiner Familie zurückhaben. Übrigens er weiß, dass du wieder in Frankfurt bist, Sven. Hast du überhaupt eine Ahnung, was mit dessen Kohle, gemacht worden ist? Hast du sie wie üblich… du verstehst, behandelt, oder…“ „Nicht wie üblich“, sagte Sven nur trocken. „Tatsächlich, nicht wie üblich?“ „Richtig, das Problem könnte nur in der Rendite und dem Land bestehen.“ „Wieso das? Werde deutlicher Sven, ich stehe hier unter gewaltigem Druck. Die 150 Millionen werden hier noch von anderen, nicht unbedeutenden Leuten gesucht. Und wenn die hier gefunden werden, fließen die gnadenlos mit in die Konkursmasse. Dann muss Scarlese Dir nicht die Kugel geben, dann tust du das besser selber.“ „Das muss wohl nicht sein, bei euch kann nichts gefunden werden“, sagte Sven nur und dachte an Umbertos Drohung mit der Lupara. „Kannst du nicht reden?“ „Richtig“. „Ok, dann melde ich mich später wieder.“ „Danke, bis dann“, beendete Sven das Gespräch. Die beiden sahen Sven erwartungsvoll an, ließen ihm aber genügend Zeit, seine Entscheidung zu treffen.
Fortsetzung folgt …