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Interview GastroSuisse Präsident Casimir Platzer

«Fast jeder fünfte Betrieb musste in der Krise für immer schliessen»

Auch die Gastronomiebranche war sehr stark von der Pandemie betroffen. Casimir Platzer, Präsident von GastroSuisse, im Interview zu den herausfordernden letzten Monaten und zur Zukunft der Gastronomie.

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Casimir Platzer, seit Ende Mai dürfen Restaurants mit Restriktionen auch wieder in den Innenräumen offen haben. Wie gross war die Erleichterung in der Branche?

Wir sind schlichtweg froh, endlich wieder arbeiten und Gäste empfangen zu dürfen. Das war bitternötig! Fast jeder fünfte Betrieb musste während der Krise für immer schliessen. Viele sind finanziell noch immer angeschlagen. Ich hoffe, dass mit den Öffnungen unsere Mitglieder nun möglichst wieder kostendeckend arbeiten können. Zudem beschäftigen unsere Mitglieder – rund 20‘000 Betriebe – gut 220‘000 Menschen in unserem Land. Die meisten von ihnen durften wegen den Restriktionen des Bundesrats teils monatelang nicht mehr arbeiten. Das zehrte an der Psyche, das war für viele eine grosse Belastung.

Jetzt wieder arbeiten zu dürfen, ist Balsam für die Seele!

Wie gross ist die Angst vor einer nächsten Welle und einem weiteren Lockdown? Wie ist die Stimmung unter den Gastronomen?

Eine nächste Welle wird mit Sicherheit kommen, denn es ist mittlerweile klar, dass Covid-19 saisonale Infektionswellen hat. Entscheidend wird sein, dass der Bundesrat künftig nebst epidemiologischen Richtwerten auch wirtschaftliche und gesellschaftliche Aspekte bei seinen Entscheidungen berücksichtigt.

Das hat er aus unserer Sicht bisher nämlich unzureichend gemacht. Der Bundesrat hat zu stark auf nur eine Gruppe von Wissenschaftlern gehört. Gerade im Hinblick auf den Herbst, falls eine nächste Welle wieder einsetzt, ist es wichtig, die Tests richtig einzuordnen und falsch oder irrelevant Positive von den effektiv ansteckenden Personen zu trennen. So wie es auch die WHO empfiehlt.

Weiter sollte man nicht einfach von Fallzahlen sprechen, sondern informieren, wie viele Personen effektiv erkrankt sind. Allein die Gefahr einer Überlastung des Gesundheitswesens würde erneute Massnahmen begründen, aber da nun die Risikogruppe zum allergrössten Teil geimpft ist, sollte das gar nicht mehr möglich sein.

Die Startphase nach Corona ist gut angelaufen, viele Restaurants sind am Wochenende ausgebucht und auch unter der Woche gut besucht. Ist das nur die Euphorie der Schweizerinnen und Schweizer, nach mehreren Wochen endlich mal wieder ins Restaurant zu können? Oder rechnen Sie damit, dass dieser Hype anhält?

Das ist weder ein Hype noch eine Euphorie, sondern ein pures Grundbedürfnis! Jeden Tag kehren in unseren Betrieben 2,5 Millionen Menschen ein. Der Besuch eines Restaurants, einer Bar oder eines Cafés ist ein wesentlicher Teil unseres gesellschaftlichen Zusammenlebens. Dass viele Restaurants nach einem so langen Lockdown sehr gut ausgebucht sind, bestätigt das umso mehr.

Jede Krise ist bekanntlich auch eine Chance. Welche Lehren hat die Gastronomie aus dieser Krise gezogen? Oder was kann sie daraus ziehen?

Wir haben schon sehr früh in der Krise reagiert und entsprechende Schutzkonzepte fürs Gastgewerbe erstellt und unsere Mitglieder wo immer nötig unterstützt. Wir haben gelernt, dass wir uns in einer solchen Situation sofort und vehement für die Branche einsetzen müssen, damit sie nicht mit Zwangsschliessungen für Symbolpolitik missbraucht wird.

Viele Gastronomen wurden während der Krise auch kreativ, haben sich mit Lieferservice oder Online-Shops weiterentwickelt. Können Sie dem Ganzen auch positive Aspekte abgewinnen?

Unsere Branche ist und war schon immer innovativ und unterliegt ständigen Veränderungen. Denn auch die Bedürfnisse der Gäste verändern sich laufend. So haben während der Corona-Krise nur etwas mehr als vier Prozent unserer Mitglieder neu oder vermehrt Take-Away und Hauslieferungen angeboten. In den meisten Fällen konnten sie damit aber nur einen Bruchteil der Umsatzausfälle auffangen. Jene Betriebe, die solche Dienste schon vor der Krise angeboten hatten und damit bereits im Markt positioniert waren, konnten stärker profitieren.

«Es ist schwierig, gute Fachkräfte zu finden. Der Fachkräftemangel ist aber kein neues Phänomen.»

Casimir Platzer, Präsident GastroSuisse

Die Auswirkungen der Krise in der Gastronomie wird man auch noch spüren, wenn die meisten geimpft sind und der CoronaVirus einigermassen bekämpft ist. Was gibt es in Ihren Augen für Möglichkeiten, um die Umsatzverluste wieder einigermassen auffangen zu können?

Ein erster wichtiger Schritt war, dass die Schweizer Bevölkerung am 13. Juni für das Covid-19-Gesetz gestimmt hat. Damit hat sich die Stimmbevölkerung für die finanzielle Unterstützung für KMU und die Sicherung von Arbeitsplätzen ausgesprochen. Die Härtefallregelung, die Ausweitung der Kurzarbeitsentschädigung und des Erwerbsersatzes, aber auch Hilfsprogramme für Medien, Sport und Kultur sind nämlich existenziell für die von der Corona-Krise betroffene Wirtschaft. Wichtig ist aber auch, dass das Epidemiengesetz angepasst wird. Denn die Corona-Pandemie hat gezeigt: Die Schweizer Politik und Gesetzgebungen waren nicht ausreichend auf die anhaltende Notsituation vorbereitet. Die Behörden haben im Epidemiengesetz zwar eine Grundlage, strenge Massnahmen zum Schutz der Volksgesundheit zu ergreifen. Einen Anspruch auf Entschädigung gibt es für die betroffenen Betriebe aber nicht.

Die Folge ist, dass stark betroffene Unternehmen und Mitarbeitende nur unzureichend und viel zu langsam entschädigt werden. GastroSuisse hat deshalb das Zepter in die Hand genommen und hierfür im Frühling eine Volksinitiative angekündigt. Zusammen mit weiteren betroffenen Branchen haben wir auch schon den Text zur Volksinitiative erarbeitet und der Bundeskanzlei zur Vorprüfung eingereicht. Damit dürfte die Unterschriftensammlung noch dieses Jahr starten.

Wie zufrieden sind Sie mit der Politik? Was hätte sie in dieser Krise besser/anders machen müssen?

Zufrieden sind wir keineswegs. Zu Beginn der Krise war es für die Politik sicherlich schwierig. Vieles war neu und unbekannt. Der Bundesrat hat das Notrecht verhängt und entsprechend gut und schnell reagiert. Danach aber folgten politisches Hickhack, Angstmacherei und Massnahmen, die oft widersprüchlich und meist nicht nachvollziehbar waren. Wenige Branchen wie das Gastgewerbe wurden abgestraft und mussten ein überdurchschnittlich hohes Opfer bringen. Der Bundesrat hätte nebst epidemiologischen Richtwerten auch wirtschaftliche und gesellschaftliche Aspekte bei seinen Entscheidungen berücksichtigen müssen (siehe auch Antwort 2). Das tat er aber zu wenig.

Man hört auch immer wieder das Argument, es gebe sowieso viel zu viele Restaurants, eine «Aussortierung» sei gar nicht so schlimm. Stimmen Sie dem zu?

Das Gastgewerbe bewirtet täglich 2,5 Millionen Menschen, beschäftigt über 200‘000 Mitarbeitende und löst eine Bruttowertschöpfung von 35 Milliarden Franken aus. Da ist es selbstsprechend, dass Restaurants verschwinden und neue gegründet werden. Eine allfällige Strukturbereinigung kann aber nur der Markt entscheiden. Vor Ausbruch des Coronavirus in der Schweiz beurteilten mehr als vier von fünf Betrieben (82.6 %) ihre Liquidität als gut bis sehr gut. Anfang Jahr waren es noch 13.9 %. Nur weil die Gewinnmargen in der Gastronomie im Durchschnitt eher tief sind, bedeutet das folglich auch nicht, dass bereits vor der Krise viele Betriebe in Schieflage gewesen sind und eine Aussortierung gar nicht so schlimm sei. Im Gegenteil: Umfragen bei unseren Mitgliedern haben sogar gezeigt, dass auch Betriebe, die sehr gut aufgestellt waren, finanziell in Schwierigkeiten kamen. Zudem sagt die Gewinnmarge nichts über die volkswirtschaftliche Bedeutung der Branche aus. Von der Gastronomie sind etliche Zulieferer abhängig. Wenn die Umsätze in der Gastronomie wegfallen, wird dies viele weitere Branchen treffen. Das Gastgewerbe ist für den Lebensmittelsektor, den Tourismus und die Standortattraktivität ein unverzichtbarer Faktor. Dazu kommt die soziale und kulturelle Bedeutung: Die Restauration bietet Raum für gemeinsame Erlebnisse und Erholung. Als Ort, wo Öffentlichkeit entsteht, übt das Gastgewerbe in einer Demokratie auch eine zentrale politische Funktion aus. Demokratie entsteht dort, wo sich Menschen austauschen.

Eigentlich sollte man denken, dass die Gastro-Angestellten froh sind, nun endlich wieder arbeiten zu können. Doch viele Gastronomen suchen händeringend Personal. Wieso?

Wir müssen präzisieren: Es ist schwierig, gute Fachkräfte zu finden. Der Fachkräftemangel ist aber kein neues Phänomen. Das Gastgewerbe und viele andere, vor allem gewerbliche Branchen, haben schon lange Mühe, gute Fachkräfte zu finden. Mit der Krise hat sich das nun einzig verschärft. Leider sind viele Leute bereits abgesprungen und haben die Branche gewechselt, weil sie so lange keine Perspektive hatten. Seit Ausbruch der Pandemie sind im Gastgewerbe mehr als 50‘000 Stellen verloren gegangen. Die Arbeitslosenquote im Gastgewerbe ist im April auf über 10 % gestiegen. Diese Situation hat viele Branchenangehörige dazu gedrängt, sich nach einem Stellenverlust neu zu orientieren. Ich bin aber optimistisch, dass sich die Branche wieder erholen wird. Die Zahl der Nachfragen von Lehrstellensuchenden hat denn auch in den letzten Wochen wieder deutlich zugenommen. •• interview: carole bolliger

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